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Schutz
Männlichkeit
Wann ist ein Mann ein Mann?
Popkultur
Homo-Bashing – nur Attitüde?
Fußball
Homophobie: Rote Karte!
Migration
Mythos „Multikulti“
Religion
Keine zwei Meinungen
Polizei
Der Draht in die Behörden
Editorial
Wir setzen
Zeichen.
enjoy bed & breakfast ist eine der weltweit
führenden Agenturen für die Vermittlung
privater Unterkünfte in der schwul-lesbischen
Community.
Unser Ziel ist es, Menschen zueinander zu
bringen. Ein global funktionierendes Netz
von Unterkünften für Schwule, Lesben und deren Freundinnen und Freunde – in angemessener
Qualität und sicherer Umgebung – soll die Grundlage für eine interkulturelle Kommunikation
bilden. Durch unsere Arbeit und unser Engagement fordern und fördern wir Toleranz, Akzeptanz und Selbstverwirklichung.
In diesem Sinne unterstützen wir MANEO, um ein Zeichen zu setzen für ein respektvolles und
tolerantes Miteinander.
Editorial
Homophobie und vorurteilsmotivierte Hassgewalt werfen einen Schatten auf die freiheitliche Grundordnung unserer Gesellschaft. Seit 18 Jahren ist MANEO als profiliertes schwules
Anti-Gewalt-Projekt in Berlin tätig, um schwulenfeindliche Gewalt sichtbar zu machen, auf
die anhaltende Ausgrenzung und Diskriminierung von homosexuellen Männern hinzuweisen und mehr Licht in das Dunkelfeld homophober Gewalt zu bringen.
schaftlichen Vorurteilen nicht frei; viele Betroffene fürchten deshalb Rechtfertigungen
gegenüber Bekannten und Freunden und
verschweigen aus Scham und Angst die erlebte Demütigungen und Gewalt.
Neben Gewaltprävention sind Opferhilfe, Meldestelle und Engagement zentrale Kernbereiche des Projekts. Auf den aus dieser Vernetzung resultierenden Synergieeffekten basiert unser langjähriger Erfahrungsschatz im Kampf gegen Homophobie und Hassgewalt.
So steht die mittlerweile gesellschaftlich geforderte Aufgabe, Vorurteile und Gewalt
gegen Homosexuelle zu überwinden, den
Alltagserfahrungen vieler Schwuler widersprüchlich gegenüber. Ihr Alltag berührt
gesellschaftliche Teilbereiche, durch die sie
nach wie vor mit Homophobie und Ausgrenzung konfrontiert sind, teilweise auch mit
konkreter schwulenfeindlicher Gewalt. Unser Bemühen ist, diese Bereiche zu skizzieren und sichtbar zu machen.
Damit ein tragfähiges Fundament für Toleranz und Akzeptanz geschaffen werden kann,
müssen die Mauern der Homophobie überwunden werden. In unserer Arbeit wird uns regelmäßig vor Augen geführt, wie sehr Alltag und Gewohnheit jedoch den Blick auf Probleme
verstellen. So verursachte der Hinweis der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin (GEW) vor einiger Zeit, „schwule Sau“ sei das meistgebrauchte Schimpfwort an Berliner
Schulen, in Politik und Verwaltung eher ein Achselzucken, als dass ein Maßnahmenkatalog
zu Wege gebracht wurde, schwule Schüler und Jugendliche vor Beleidigungen und Ausgrenzungen besser zu schützen.
Während unserer vielen Vor-Ort-Aktionen, die wir regelmäßig in den schwulen Szenen
Berlins durchführen, sprechen wir jedes Jahr mit Tausenden Szenegängern über Alltagsdiskriminierung und Gewalt. Auch hier erfahren wir immer wieder Achselzucken und Kopfschütteln, wenn wir auf die Notwendigkeit hinweisen, auch Beleidigungen und verbale Bedrohungen zu melden oder zur Anzeige zu bringen. Als Antwort erhalten wir mit großer
Regelmäßigkeit, dass man als Schwuler dann ja fast täglich unser Überfalltelefon anrufen
oder Anzeige bei der Polizei erstatten müsse, und: Als Schwuler lerne man eben früh, sich auf
diese Gegebenheiten einzustellen, sich anzupassen, damit zu leben.
Als Schwuler in der Öffentlichkeit sichtbar zu werden, geht mit einem hohen Risiko einher,
Beleidigungen und Anfeindungen, sogar körperliche Übergriffe zu erleben. Für sehr viele Schwule lautet deshalb die Devise „no show“, nicht auffallen, oder „straight acting“, sich
allgemeinen Normenvorstellungen nach unauffällig männlich verhalten. Nicht selten resultiert daraus die irrige Annahme, dass diejenigen, die dennoch Übergriffe erlitten haben,
sich falsch verhalten haben müssten, dass sie die Situation durch ihr Verhalten mitverursacht oder gar provoziert hätten. Auch die schwulen Szenen sind von diesen allgemeingesell-
Unsere Fachzeitschrift impuls, die einmal
jährlich erscheinen soll, unterstützt dieses Anliegen, indem sie die verschiedenen
Themenfelder in den Kontext unserer eigenen Bemühungen auf diesen Gebieten setzt.
Mit impuls möchten wir sachdienliche Informationen über die Themen sowie über
unsere Arbeit vermitteln, gesellschaftliche Aufklärungsarbeit unterstützen und so
dazu beitragen, Mauern der Homophobie zu
überwinden und Hassgewalt gegen schwule
Männer zu beenden.
Bastian Finke
Dipl. Soziologe, MANEO-Projektleiter
Impressum
Herausgeber
MANEO
Das schwule Anti-Gewalt-Projekt Berlin
Ein Projekt von Mann-O-Meter e.V.
Bülowstraße 106 – 10783 Berlin
Macht Spaß.
Schafft Kontakte.
Ist weltoffen.
Telefon: 030-216 333 6
Telefax: 030-236 381 42
E-Mail: [email protected]
Internet: www.maneo.de
Projektleitung (impuls) und V.i.S.d.P.
Bastian Finke
Redaktion
Jens Brodzinski (red)
Fotos und Illustrationen
(soweit nicht anders angegeben): freikind
Mitarbeiter dieser Ausgabe
Mark Coester, Dr. Tatjana Eggeling, Jan
Feddersen, Florian Frei, Dr. Bodo Lippl,
Oliver Lück, Dr. Christian Messer, Stefan
Mey, Martin Reichert, Sirko Salka, Rainer
Schäfer, Paul Schulz, Frank Störbrauck
Anzeigenleitung
Matthias Reetz
Art Direction, Grafik, Layout
Marlene Bruns, Michael Pfötsch
freikind, www.freikind.com
Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 2 vom 1.3.2008.
Impuls erscheint, vorbehaltlich Sondernummern, einmal jährlich im Eigenvertrieb.
Erscheinen dieser Ausgabe: April 2008.
Druck
diedruckerei.de
Ermöglicht durch die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin.
www.ebab.de
impuls - 2008
3
Inhalt
Inhalt
Dossiers
Homophobie & Männlichkeit 12
Mann oder Memme?
Wie gesellschaftliche Dimensionen die
Stigmatisierung von Homosexuellen
begünstigen 13
Homophobie
Eine Definition
13
Der Schwule als Feindbild
Interview mit Prof. Kersten, Deutsche
Hochschule der Polizei Münster 15
Homophobie & Popkultur Suck my Gun!
Hate-Music und Homo-Bashing als
salonfähige Jugendkultur
Gewalt in Buchstaben
Interview mit Tomte-Sänger
Thees Uhlmann
18
Homophobie & Fußball
19
Platzverweis hintenrum
Fußball – eine schwulenfreie
Männerzone?
21
Vom Platz auf die Couch
Psychologische Betreuung für traumatisierte Spitzensportler
30
Antischwule Hetze in Songs nicht
verharmlosen!
Kommentar von Kai Gehring
MdB (Grüne)
23
Verkaufsschläger
Kolumne von Musikjournalist
Paul Schulz
23
24 Stunden in Angst
Interview mit Corny Littmann, offen
schwuler Präsident des FC St. Pauli
26
27
Homophobie & Migration
42
Der Multikulti-Mythos
Interview mit der Rechtsanwältin und
Autorin Seyran Ates und dem Soziologen
Michael Bochow
43
Simon-Studie
Verbreitung homosexuellenfeindlicher
Einstellungen unter Schülern mit Migrationshintergrund
45
Homophobie & Religion
46
Keine zwei Meinungen
Interview mit der Hamburger Bischöfin
Maria Jepsen
47
Homosexualität am Pranger
Stimmen prominenter
Glaubensführer 48
31
Hilfe in Hamburg
Wie die Hansestadt Betroffenen von homophober Gewalt zur Seite steht
49
Hort der Homophobie
Fatale Denkmuster und ihre Folgen für
den Fußballsport 32
Glaubensgesichter
Vier homosexuelle Gläubige erzählen aus
ihrem Religionsalltag 50
Homophobie & Polizei 52
Im Notfall: Kommunikationsstörungen
auf breiter Front
Schwule Überfalltelefone suchen den
Draht in die Behörden
53
Die Polizei – dein Freund und Helfer?
Zwei Geschädigte berichten von ihren
Erfahrungen mit den Ermittlungsbehörden
55
Viktimisierung von Menschen mit
homosexueller Identität
Opfererleben im individuellen psychodynamischen Kontext 56
Den Bock zum Gärtner gemacht
Proteste gegen Berliner Rapper Bushido 25
Hass-Videos im Internet
MANEO kämpft gegen Windmühlen
überblick
Editorial
Impressum
Danksagungen
Engagement Publikationen
Das Projekt MANEO 4
impuls - 2008
25
information
3
3
34
36
63
66
impulse
§175
Geschichte der Homosexuellenverfolgung
in Deutschland 6
Antischwule Hassgewalt
Ein Fall für den Staatsschutz
11
Hate-Crimes
Hasskriminalität als „politisch motivierte
Kriminalität“ und ihre Relevanz für die
Gesellschaft 9
Ausstellung
Zeugnisse schwulenfeindlicher Gewalt
Auszüge aus der MANEO-Wander 38
ausstellung Studie
Hasskriminalität gegenüber bi- und
homosexuellen Männern in Deutschland
Ergebnisse der MANEO-Studie zu
Gewalterfahrungen von schwulen und
bisexuellen Jugendlichen und
Männern 2006/2007 57
Konferenz
Gemeinsam gegen Homophobie und
Hassgewalt
Die deutsch-französisch-polnische
MANEO-Werkstatt als Forum der
länderübergreifenden Vernetzung Aktion
Internationaler Tag gegen
Homophobie 17. Mai
MANEO-Aktionstage 2008 64
60
Tolerantia-Preis
Auszeichnung des „Schwulen Weimarer
Dreiecks“ für verdiente Persönlichkeiten
und Projekte
63
impuls - 2008
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Information
Information
Christopher Street Day
Berlin
Die 175er
Hass du was dagegen?
Von Sirko Salka
Homosexuellenverfolgung per Gesetz in der
Bundesrepublik Deutschland – erst 1994,
mit der ersatzlosen Streichung des §175 StGB,
wurden schwule Männer entkriminalisiert.
Sie wurden erpresst, denunziert und verurteilt. Verloren ihre Jobs, ihre Wohnungen,
ihre Freiheit. Schwule Männer waren Kriminelle. Und das noch 20 Jahre nach dem Ende
der Nazi-Diktatur in Deutschland. Als „äußerst homophob“ bezeichnet deshalb der Sexualwissenschaftler Günter Grau das politische Klima der jungen Bundesrepublik. So
hatten die Gründungsväter der BRD eben
nicht quasi aus Versehen einen von den Nationalsozialisten drastisch verschärften Paragraphen gegen homosexuelle Handlungen
unter Männern (§175 StGB) übernommen,
sondern in öffentlichen Erklärungen dessen
Legitimität noch zementiert. Wie Juristen,
Politiker und Meinungsmacher dieser Zeit
kolportierten, hatte Homosexualität demnach das verwerfliche Potenzial, die sittliche
Haltung eines ganzen Volkes zu untergraben.
Außerdem, so wurde argumentiert, gefährde
sie die Jugend und rüttele an den Vorzeigeinstitutionen des Staates – Ehe und Familie.
Das Bundesverfassungsgericht erklärte 1957
in einem Grundsatzurteil dann sogar, dass
männliche Homosexualität im Widerspruch
zum Sittengesetz stehe. Auch sei der §175
kein Nazi-Gesetz. Damit schmetterten die
Obersten Richter eine Verfassungsbeschwerde ab, die die Unvereinbarkeit des §175 mit
dem deutschen Grundgesetz beklagt hatte.
Insofern rechtsgültig, kam es zwischen 1950
und 1969 zu über 50.000 Verurteilungen,
die von einer breiten Öffentlichkeit getragen wurden.1 So publizierte die „Frankfurter Rundschau“ eine frühe Umfrage (1950),
in der alle Interviewten für die Beibehaltung
6
impuls - 2008
des §175 votierten. Außerdem forderten diese
eine schnelle medizinische Heilung homosexueller Menschen, deren Geschlechtsleben –
wie bereits im Dritten Reich – gemeinhin als
Perversion galt.
Dabei schien während der Weimarer Republik einst die Abschaffung des §175, der seit
seiner Verabschiedung als Reichsstrafgesetz
(1872) nie so lax gehandhabt wurde wie gegen
Ende der 1920er-Jahre, greifbar nahe gewesen zu sein. Ein Rückschritt also, dass sich in
der jungen BRD Schwule abermals verstecken
und ihre Identität verleugnen mussten – bevor 1969 und 1973 das Sexualstrafrecht reformiert und §175 dann 1994 endgültig gelöscht
wurde. Homosexuelle standen bis dahin vor
einem doppelten Dilemma: Als NS-Opfer
konnten sie keine Entschädigungsansprüche
geltend machen, ohne sich dabei selbst zu de-
nunzieren. Auf der anderen Seite wurden sie
durch die populäre Legende vom „latent homosexuellen Nazi“ zusätzlich stigmatisiert
und gedemütigt. So schreibt die Historikerin
Anna Maria Sigmund,2 dass „die nationalsozialistische Bewegung selbst nach 1945 als
Homosexuellenbewegung in das Bewusstsein
vieler Menschen gedrungen“ ist. Im Zuge der
Entnazifizierung glaubte man offenbar, das
„Homoproblem“ gleich mitzulösen.
Kein Wunder also, dass die frühe westdeutsche Homobewegung dem eine ebenso wackelige These von der „Weiterwirkung des
Dritten Reichs“ entgegensetzte, wie HansJoachim Schoeps 1962 in einem Aufsatz
schreibt.3 Analog zum Holocaust verbreiteten Aktivisten auch hartnäckig die Mär vom
„Homocaust“, also einer systematischen Auslöschung der Schwulen – die von der Wissen-
Einfach Liebe!
Christopher Street Day
am 28. Juni 2008
>>
www.csd-berlin.de
§ 175 in der Bundesrepublik Deutschland
·1872 tritt §175 als Reichsstrafgesetz in Kraft, Höchststrafe: sechs Monate
Gefängnis.
·1935 wird §175 überarbeitet. In den neuen §§175a und 175b werden Härtefälle wie
Missbrauch, Prostitution, Vergewaltigung und Sodomie geregelt und mit bis zu
zehn Jahren Zuchthaus belegt.
· 1949 werden §175 und §175a von der BRD offiziell übernommen.
· 1969 und 1973 Reform des bundesdeutschen Sexualstrafrechts.
· 1994 Streichung des §175.
§ 175 in der deutschen demokratischen republik
· Die DDR übernimmt §175 in der alten Fassung von 1872, behält aber §175a bei.
·Ab Ende der 1950er-Jahre bleiben homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen straffrei.
· 1968 wird §175 im DDR-Strafgesetzbuch umbenannt zu §151.
· 1988 Streichung des §151.
www.publicom.info Foto: Burghard Mannhöfer © MANEO – www.maneo.de
impuls - 2008
7
Information
schaft längst widerlegt wurde. Der Historiker
Andreas Pretzel sagt, dass „die Mehrheit der
Verfolgten [...] Opfer der NS-Justiz geworden“ ist: „Die Reviere von Polizei und Gestapo, Gerichtssäle sowie Haftanstalten und
Zwangsarbeitslager der Justiz waren die für
Homosexuelle mehrheitlich durchlittenen
Orte des Terrors.“ Die Dimension staatlicher
Verfolgung sei nicht gleichzusetzen mit dem
Holocaust. „Sie ist aber ebenso nicht gleichzusetzen mit den Erfahrungen, die Lesben
während des Nationalsozialismus machten.“
Denn „175er“ oder „am 17. Mai Geborene“,
wie Schwule salopp genannt wurden, waren immer homosexuelle Männer; im Wortlaut des §175 tauchten Frauen nicht auf. Ob
nun bewusst ignoriert oder vernachlässigt,
weil man ihnen keine freie Sexualität zubilligte – von Diskriminierung betroffen waren
Lesben während der NS-Diktatur ebenfalls.
Die Historikerin Claudia Schoppmann hat
die Schicksale solcher Frauen dokumentiert
und kommt zu dem Schluss, dass der Verfolgungsbegriff auf Lesben nicht zutrifft. 4 Auch
Andreas Pretzel erläuterte 2007 auf einer
MANEO-Soirée, dass man eher von Repression und Diskriminierung sprechen sollte.
Um nichts Geringeres aber als um die Frage, wer alles zu den homosexuellen Verfolgten im Dritten Reich zu zählen sei, dreht sich
ein Streit um das 2008 am Rande des Berliner
Tiergartens fertiggestellte „Homo-Mahnmal“, dem vorläufig letzten Kapitel des §175.
Angetrieben durch das Frauenmagazin Emma
– welches sich über einen ursprünglich geplanten Schwulenkuss im Denkmal, der als
Videoinstallation in einer Dauerschleife gezeigt werden sollte, lautstark empörte, weil
Lesben augenscheinlich mal wieder vergessen
wurden – einigten sich die Verantwortlichen
Information
Hate-Crimes
Hassverbrechen | Vorurteilsverbrechen
um Kulturstaatsminister Bernd Neumann
(CDU) auf einen eilig gezimmerten Kompromiss: Alle zwei Jahre werden nun Schwule und Lesben im Wechsel knutschen. In einer Erklärung der Arbeitsgemeinschaft der
KZ-Gedenkstätten vom 19.05.07 wird dazu
unter anderem erklärt: „Die Arbeitsgemeinschaft sieht daher mit großen Bedenken, wie
durch den Streit um die Ausgestaltung des
Denkmals für die verfolgten Homosexuellen
und die verschiedensten Versuche nachträglicher Einflussnahme allgemeine Trends der
deutschen Erinnerungskultur fortgesetzt und
verstärkt werden, die zu einer immer stärkeren politischen Instrumentalisierung des
Gedenkens führen.“ Der Historiker Joachim
Müller erklärte: „Ein am Ort zelebriertes differenzierendes Gedenken birgt die Gefahren
der falschen Interpretation, der Faktenverfälschung und einer sicher nicht beabsichtigten Opferverhöhnung.“ Vergangene Homosexuellenverfolung mit gegenwärtiger
Diskriminierung in Eins zu setzen, führt die
Idee des Mahnmals ad absurdum. Von Marc Coester
Hans-Georg Stümke: Homosexuelle in Deutschland – Eine politische Geschichte. Verlag C.H.
Beck, München 1989. / Hans-Georg Stümke, Rudi
Finkler: Rosa Winkel, rosa Listen: Homosexuelle
und ‚gesundes Volksempfinden‘ von Auschwitz bis
heute. Rowohlt, Reinbek 1981.
2
Anna M. Sigmund: Das Geschlechtsleben bestimmen wir – Sexualität im Dritten Reich. Heyne,
München 2008.
3
Hans-Joachim Schoeps: Soll Homosexualität
strafbar bleiben? In: Der Monat Jg. 15, Nr. 171,
S. 19-27. Berlin, Dezember 1962.
4
Claudia Schoppmann: Nationalsozialistische
Sexualpolitik und weibliche Homosexualität.
Centaurus, Herbolzheim 1991.
1
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Vorurteilsverbrechen sind Straftaten gegen
Personen oder Sachen, die der Täter vor
dem Hintergrund eines eigenen Gruppenzugehörigkeitsgefühls gegen ein Mitglied
einer anderen sozialen Gruppe aufgrund
deren Eigenschaft (wie Rasse, Nationalität,
Religion, sexuelle Orientierung oder sonstiger Lebensstile) ausführt und damit beabsichtigt, alle Fremdgruppenmitglieder
einzuschüchtern und die Eigengruppe zu
entsprechenden Taten aufzufordern. Der
Begriff entstammt dem Konzept der sogenannten Hassverbrechen (hate crimes) und
wurde Mitte der 1980er-Jahre in den USA
durch die Einführung von Gesetzeserweiterungen in mehreren Staaten und dem daraus resultierenden „Hate Crime Statistics
Act“ von 1990 geprägt. Dieses Gesetz verlangt vom amerikanischen Justizministerium die Sammlung und Veröffentlichung von
Daten über die Ursache und Verbreitung
von Kriminalität, die von rassistischen, religiösen, sexistischen und ethnischen Vorurteilen geleitet ist. Die international eingeführte Bezeichnung der hate crimes lässt
allerdings wegen ihrer alleinigen Berücksichtigung der Tatmotivation die entscheidende gesellschaftliche Dimension der Gemeinschaftsschädigung außer Betracht.
Deshalb findet sich auch die Bezeichnung
bias crimes. Wegen der genaueren Inhaltsangabe zum Erscheinungsbild dieser Kriminalitätsform wird dieser Begriff in letzter Zeit verstärkt übernommen und das zu
bearbeitende kriminologische und kriminalpolitische Problemfeld als Vorurteilskriminalität begriffen. Hasskriminalität ist
ein synonymer Ausdruck.
Zentrales Element der Vorurteilskriminalität ist die Gewalthandlung gegen Mitglieder anderer Gruppen. Der Täter nimmt
8
impuls - 2008
Politsch motivierte Kriminalität (PMK) - rechts in Deutschland 2001-2006
14000
12629
12000
10000
10905
9418
8538
8000
8455
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Propagandadelikte
Gewaltdelikte
6000
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0
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2003
832
2004
1034
2005
1115
2006
Quelle: Bundesministerium des Innern (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2002 bis
2006. Berlin 2003 bis 2007. Online unter www.verfassungsschutz.de.
zum Zeitpunkt der Handlung das Opfer
als Mitglied einer Gruppe wahr, die sich
von einer für ihn wichtigen Eigengruppe
unterscheidet. Hass mag dabei eine Rolle spielen; denkbar sind aber auch andere
begleitende Emotionen oder auch immanent rationale Handlungen. In dieses Verständnis von Vorurteilskriminalität fließen
theoretische Vorstellungen über Gruppenprozesse und soziale Ausgrenzungsprozesse ein: Zugrunde gelegt wird die Annahme,
dass Gruppen wesentlich durch Identifikationsprozesse entstehen. Ob eine solche Gruppenmitgliedschaft dann handlungswirksam wird – nach innen in Bezug
zu Mitgliedern dieser Gruppe oder nach
außen gegenüber anderen Gruppen, beispielsweise in Form von Vorurteilskriminalität – hängt vom Kontext ab. Die Wahl von
Gruppen, mit denen Menschen sich iden-
tifizieren, ist nicht beliebig. Gesellschaftliche Definitionsprozesse bestimmen mit,
was als Eigengruppe, was als Fremdgruppe
überhaupt in Frage kommt.
Als Vorurteil in diesem Sinn ist eine ablehnende Haltung gegenüber einer fremden
Gruppe und deren Mitgliedern zu verstehen. Vorurteile bestehen aus dem vermeintlichen Wissen über die fremde Gruppe,
dem Stereotyp, der negativen Bewertung
der fremden Gruppe und der Neigung, der
fremden Gruppe und ihren Mitgliedern
gegenüber entsprechend diskriminierendes Verhalten zu zeigen. Menschen können
aus sehr unterschiedlichen Gründen Vorurteile entwickeln. Wesentliche Ursachen
sind zum Beispiel, dass die fremde Gruppe als Konkurrent um wichtige Ressourcen
angesehen wird oder dass sie wichtige kul-
impuls - 2008
9
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Information
Information
turelle Werte der eigenen Gruppe gefährdet. Solche Gefährdungen von Ressourcen
oder der kulturellen Identität müssen nicht
wirklich gegeben sein; hinreichend ist, dass
dies unterstellt wird. Damit haben Familien, Peergroups und Massenmedien einen
bedeutsamen Einfluss auf die Entstehung
von Vorurteilen. Gleichzeitig bieten insbesondere persönliche Begegnungen mit
Mitgliedern fremder Gruppen eine wichtige Informationsquelle für eigenständige
Urteile, die der Entstehung von Vorurteilen
entgegenwirken können.
Die besondere Gefährlichkeit der vorurteilsbedingten Gewaltkriminalität liegt
in ihrem Angriff auf die Grundlagen des
friedlichen Zusammenlebens in der zivilisierten Gesellschaft: die Unantastbarkeit
der Menschenwürde als Gemeinschaftswert. Brutale Gewalt, die das konkrete Opfer zufällig und gesichtslos auswählt, um
eine ganze Bevölkerungsgruppe (Ausländer, Behinderte, Obdachlose, Homosexuelle usw.) symbolisch zu erniedrigen und
einzuschüchtern, muss eine Gemeinschaft
besonders beachten. Die Wirkungen dieser Taten sind verheerend, da sie zum einen
auf Merkmale abzielen, welche das Opfer
nicht beeinflussen kann, und zum anderen
der gesamten Opfergruppe die einschüchternde Botschaft der Ablehnung, des Hasses und der Angst signalisieren. Schließlich
wohnt ihnen ein fataler Aufforderungscharakter an Gleichgesinnte inne. Der kriminalpolitische Begriff der Vorurteilskriminalität bündelt diese Zusammenhänge
und sensibilisiert die Gesellschaft für die
Gefahren. Der Ansatz ist opferorientiert:
Nicht nur das unmittelbare Opfer wird
schwer traumatisiert, wie bei jeder Gewalttat, sondern es geht um die Verunsicherung und Verängstigung der gesamten
Opfergruppe. Betroffen ist darüber hinaus die rechtsstaatliche Gemeinschaft,
denn die Täter senden durch ihre Tat die
Botschaft, die Opfergruppe auszugrenzen.
Auch leichte Delikte können so erhebliche
Konsequenzen haben.
Seit 2001 existiert das neue Definitionssystem „Politisch motivierte Kriminalität“
bei der Polizei in Deutschland. Während
traditionell Staatsschutzdelikte immer ein
10 impuls - 2008
Extremismuselement beinhalteten, konnten Verbrechen ohne diesen Bezug, aber
dennoch gegen gesellschaftliche Gruppen
gerichtet, nicht adäquat statistisch abgebildet werden. Damit waren Diskrepanzen
zwischen der öffentlichen Wahrnehmung
von entsprechenden Taten und der polizeilichen Registrierung gegeben. „Politisch“
wird seither nicht nur im Sinne einer Systemüberwindung oder der Gefährdung der
Belange der Bundesrepublik Deutschland
verstanden (Extremismus), sondern schon
dann, wenn der demokratische Willensbildungsprozess beeinflusst wird, oder sich
Taten gegen Personen richten aufgrund deren Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Herkunft, äußeren
Erscheinungsbildes, Behinderung, sexueller Orientierung oder gesellschaftlichen
Status. Grundsätzlich ist eine solche Vorgehensweise zu begrüßen und diese sollte
in Zukunft weiter ausgebaut werden – einhergehend mit der umfangreichen Sensibilisierung potentieller Opfergruppen.
Zahlenmäßig treten in der statistisch erfassten politisch motivierten Kriminalität
in Deutschland die auch in der Öffentlichkeit am stärksten beachteten rechtsextremen, rechtsradikalen, fremdenfeindlichen
oder antisemitischen Straftaten hervor.
Das Schaubild (s. S. 9) zeigt diese Verteilung der so genannten „Politisch motivierten Kriminalität – rechts“ der Jahre 2001
bis 2006 differenziert nach Propaganda(gemäß §§ 86 und 86a StGB) und Gewaltdelikten.
Bei den Tätern fällt auf, dass ihre Vorurteile zum großen Teil nicht im engen Sinn politisch reflektiert und motiviert und schon
gar nicht organisiert sind. Es handelt sich
fast ausschließlich um männliche Täter
und überwiegend um Jugendliche und Heranwachsende, die ihre allgemeine Gewaltbereitschaft mit einer rechtsradikalen
Ideologie der Gewalt verbinden. Forschungen zu den Opfern von Vorurteilsverbrechen sind noch relativ selten, jedoch bestätigen sich die Ergebnisse aus den USA, dass
die extremeren Tatbedingungen bei hate
crimes – verglichen mit anderer (Gewalt-)
Kriminalität – einen höheren physischen
und psychischen Schaden bei den Opfern
hervorrufen. Gleichzeitig senden die Irra-
tionalität, Unberechenbarkeit und Zufälligkeit der Hassverbrechen, welche auf die
Identität der Opfer abzielen, eine Botschaft
und lösen somit auf gesellschaftlicher Ebene und innerhalb der gesamten Opfergruppe Angst und Schrecken aus.
In Zukunft und mit voranschreitender Differenzierung der gesellschaftlichen Gruppen wird dieses Kriminalitätskonzept in
Europa und Deutschland an Aktualität gewinnen. Wichtig erscheint hierbei die umfassende Sensibilisierung und Aufklärung
potentieller Opfergruppen zu diesem Phänomen, seiner statistischen Erfassung, den
rechtlichen und sozialstaatlichen Möglichkeiten einer Bekämpfung, sowie der übergreifenden Hilfsangebote.
Marc Coester, geboren 1972, hat nach seinem Diplom Studiengang der Erziehungswissenschaft – neben praktischer Arbeit in
der Jugendhilfe – am Institut für Kriminologie der Universität Tübingen geforscht und
eine Dissertation zum Thema „Das Konzept
der hate crimes aus den USA unter besonderer
Berücksichtigung des Rechtsextremismus
in Deutschland“ verfasst (erscheint 2008).
Seine zentralen Themen sind Rechtsextremismus (so arbeitete er im Bundesprojekt „Primäre Prävention von Gewalt gegen
Gruppenangehörige - insbesondere: junge
Menschen“), Kriminalprävention, Kinderund Jugendkriminalität, Restorative Justice
sowie Viktimologie. Heute arbeitet Coester
beim Landespräventionsrat Niedersachsen
und koordiniert dort das Bundesprogramm
„kompetent. Für Demokratie. Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus“.
www.marc-coester.de
Antischwule Hassgewalt
– ein Fall für den Staatsschutz – Von Martin Reichert
Im Gegensatz zu den USA gibt es in Deutschland noch immer keine Gesetzgebung,
die sogenannte Hasskriminalität explizit berücksichtigt. Allerdings: Im Rahmen einer bundesweiten Neuordnung des polizeilichen Meldedienstes aus dem Jahr 2002
wurde der für die Belange des Staatsschutzes relevante Begriff der "politisch motivierten Gewalt" mit einem neuen Definitionssystem versehen, das der Motivation
der Täter größere Beachtung schenkt. Demnach liegt eine politisch motivierte Gewalthandlung vor, wenn die Umstände der Tat oder die Einstellung des Täters darauf
schließen lassen, dass sie sich gegen eine Person aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung,
Herkunft, Behinderung oder eben auch ihrer sexuellen Orientierung richtet.
Diese zunächst auf Verwaltungsebene erfolgte Neuerung ist für die Situation von
Schwulen und Lesben von großer Bedeutung: Homophobe Gewalt gehört somit in
den Aufgabenbereich der politischen Polizei – also dem Staatsschutz. Was theoretisch bedeuten könnte, das dem auf noch immer erschreckend hohem Niveau relevanten Thema homophober Gewalt mehr Bedeutung als bislang zugemessen werden
könnte.
Die Praxis sieht jedoch bislang anders aus, wie eine jüngst von der Linkspartei im
Berliner Senat vorgetragene Anfrage deutlich machte: Von administrativer Seite erfolgte bislang keinerlei Reaktion, die Neuerung besteht vorerst nur auf dem Papier.
Polizeiinterne Aufklärung über diese Gewichtung, gar eine Verbesserung der Gewaltschutzmaßnahmen für die homosexuellen Szenen? Bislang Fehlanzeige.
Auch in den anderen Bundesländern herrscht weiterhin der Status Quo – im Glücksfall gibt es bei der jeweiligen Polizei einen Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche
Lebensweisen. Für ganz Berlin gibt es immerhin anderthalb.
Die Anfrage der Linkspartei hat nun zumindest in Berlin einen Prozess des Nachdenkens in Gang gesetzt. Bei dem sich zunächst herausstellte, dass eigentlich keiner
nichts Genaues weiß von diesen neuen Gegebenheiten. Ein Anfang, nicht mehr, nicht
weniger.
Literatur:
Bundesministerium der Justiz (Hrsg.): Hasskriminalität – Vorurteilskriminalität. Projekt Primäre Prävention von Gewalt gegen Gruppenangehörige –
insbesondere: junge Menschen – Band 1. Endbericht der Arbeitsgruppe mit einem Geleitwort von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Berlin 2006.
(Beziehbar über das Deutsche Forum für Kriminalprävention).
Coester, M./Gossner U.: Rechtsextremismus – Herausforderung für das neue Millennium. Wirklichkeiten eines Jugendphänomens. Marburg 2002.
Gerstenfeld, P.B.: Hate Crimes: Causes, Controls, and Controversies. Thousand Oaks/London/New Delhi 2004.
impuls - 2008
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Homophobie und Männlichkeit
Mann oder Memme?
Von Martin Reichert
Individualpsychologisch lässt sich das Phänomen Homophobie nur unzureichend erklären. Vielmehr gesellschaftliche Dimensionen begünstigen die Stigmatisierung
Homosexueller.
Jeder Homosexuelle weiß, was Homophobie ist. Sie ist so alltäglich, dass sie von vielen
längst als Selbstverständlichkeit hingenommen wird: Selbstverständlich geht man in gewissen Vierteln der Großstadt nicht Hand in
Hand, selbstverständlich nimmt man seinen
Partner nicht in den Arm, wenn man sich auf
einem kleinstädtischen Weinfest befindet.
Völlig klar, dass man den Arbeitskollegen
oder Menschen, die man im Urlaub oder im
Fitnessstudio neu kennenlernt, schonend
beibringen muss, dass man eine andere Sexualität hat. Ein routinierter Witz über sich
selbst hier, die lustig verpackte Versicherung,
dass man nichts Böses im Schilde führt dort
– in ganz heiklen Fällen das Selbstbewusstsein des Gegenübers stützen, indem man ihm
versichert, dass er ja so was von eindeutig hetero sei, dass keine Verwechslung möglich ist.
Dann klappt das schon irgendwie – die Herausforderung besteht darin, auf die Ängste
des Gegenübers einzugehen, seine Vorurteile mitzudenken. Es klappt leider nicht immer
– noch immer werden Schwule beschimpft,
verhöhnt und oft genug auch körperlich attackiert.
Umgekehrt klappt es jedoch auch immer öfter mit den Nachbarn, ist die „Mehrheit“ der
Heterosexuellen manchmal weiter als sich
die „Minderheit“ der Homosexuellen nur zu
denken traut: Das gesellschaftliche Klima
hat sich in den letzten Jahren enorm gewandelt. Will sagen: Es ist genau so wahr, dass
Deutschland mindestens zwei schwule Regierungschefs hat, wie es wahr ist, dass die
Gewalt besonders gegenüber schwulen Jugendlichen zugenommen hat. Es mag paradox klingen: Aber diese Zunahme von Gewalt
hängt auch mit der emanzipationsbedingten
stärkeren Sicht- und Wahrnehmbarkeit der
Schwulen zusammen.
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
Nicht jeder Heterosexuelle weiß, was Homophobie ist. Gerade deshalb gehört sie noch
immer zum Alltag. Homophobe Menschen
wissen oft gar nicht, dass sie zu den Betroffenen zählen, sie haben keinen Leidensdruck,
haben vordergründig „kein Problem“ mit
Homosexuellen. Im Ergebnis verursachen sie
jedoch Probleme, mit denen Homosexuelle
leben müssen.
Homophobie steht als Phänomen in einer
Reihe mit Xenophobie, Rassismus oder Sexismsus – es handelt sich um so genannte
„gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“,
die man mittlerweile, nach jahrelangem
Campaigning auf politischer Ebene, versucht, mit Antidiskriminierungsgesetzen
einzudämmen.
Für die Opfer von Homophobie ist es sehr
hilfreich, dass sie im Zweifelsfall durch das
Gesetz geschützt werden. Antidiskriminierungsgesetze sind auch ein wichtiges Hilfsmittel im Kampf gegen institutionalisier-
Ho | mo | pho | bie, die <o. Pl.>: Homophobie bezeichnet einerseits eine irrationale
Angst vor Homosexualität, und andererseits den Hass, Ekel und die Vorurteile, welche wiederum Angst und infolgedessen Aggression und Gewalt produzieren (Hassgewalt, engl. Hatecrime). Homophobie bezeichnet eine soziale, gegen Lesben und
Schwule gerichtete homophobische Aversion bzw. Feindseligkeit. Beleidigungen wie
„schwule Sau“ (laut Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW auf Platz 1 der
meistgebrauchten Schimpfwörter an deutschen Schulen) drücken Herabwürdigung,
Verachtung und Entwertung aus.
ho | mo | phob <Adj.> [zu griech. phobeïn = fürchten] (bildungsspr.): eine starke
[krankhafte] Abneigung gegen Homosexualität und Homosexuelle habend.
(MANEO 2007, nach: duden.de, wikipedia.de)
te Homophobie, etwa am Arbeitsplatz. Die
durchschnittliche, alltägliche Homophobie
ist jedoch meistens nicht justiziabel, da sie
sich zunächst in den Köpfen einzelner Persönlichkeiten abspielt.
Angst vor sich selbst
So verweist der Begriff Homophobie (von
griechisch phóbos: Angst) auf die psychologischen Ursachen der Homophobie: eben einer diffusen, meist unbewussten Angst vor
gleichgeschlechtlich Liebenden. Wobei sich
diese Angst nicht auf die konkrete Person
bezieht, sondern auf eigene, unterdrückte
Persönlichkeitsanteile. Dieses Erklärungsmodell beruht zwar zum einen auf Sigmund
Freud, zum anderen jedoch auch auf den empirischen Befunden der Kinsey-Studie1, die
glaubhaft macht, dass nahezu jeder Mensch
bisexuell ist, wenn auch in graduelle unterschiedlichem Maß: Ein bisschen bi schadet nie, sagt der Volksmund, doch für nicht
wenige Menschen bedeutet eine Auseinandersetzung mit diesen verwirrenden Begehrlichkeiten eine Bedrohung der eigenen
Identität.
Wenn schon erwachsene Männer unter der
Angst leiden, von ihren Geschlechtsgenossen nicht für ausreichend männlich gehalten
zu werden, so gilt dies erst recht für heranwachsende, junge Männer. Sie sind besonders anfällig, weil ihre Männlichkeit noch
auf schwachen Füßen steht, erst noch erarbeitet werden muss. Männlichkeit an sich
muss, egal ob von jung oder alt, jeden Tag neu
bewiesen werden, handelt es sich schließlich
um einen Status, den man verlieren kann:
Mann oder Memme? Während nun Männlichkeit in Abgrenzung zu Weiblichkeit definiert wird – im Falle junger Männer vor
allem in Ablösung von der Mutter – werden homosexuelle Männer in dieser Sichtweise als weiblich begriffen. Und zwar vordergründig im abwertenden Sinne, also als
verweichlicht, schwach und passiv. Hintergründig jedoch vor allem als rezeptiv – was
einer rigiden Auffassung von Männlichkeit
zentral widerspricht.
Der Schlüssel für die Ursache individueller Homophobie liegt also zunächst in der
jeweiligen Psyche der Betroffenen, in ih-
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>>
Homophobie und Männlichkeit
rem Selbstwertgefühl – je fragiler die Geschlechtsidentität, desto höher die Anfälligkeit für Homophobie.
Hegemoniale Männlichkeit
Um das Phänomen Homophobie in seiner
komplexen Gesamtheit zu erfassen, reicht
solch eine individualpsychologische Erklärung allerdings nicht aus. Oberhalb dieser Ebene ist zum Beispiel die gesellschaftlich verhandelte Definition hegemonialer
Männlichkeit zu beachten, die den einzelnen Akteur prägt und formt. Je rigider die
durch Schule, Medien und Eltern vermittelten Auffassungen von Geschlechterrollen
sind, desto größer werden die Schwierigkeiten für jene, die aus dem Rollenmuster fallen.
Das fängt bei dem Indianer an, der keinen
Schmerz kennt und hört bei dem Mädchen
auf, das nicht ungezogen vorlaut sein darf.
Dies lässt sich konkretisieren in der Formel: je patriarchaler eine Gesellschaft, desto homophober. Denn in einer patriarchalen
Werteordnung gilt der Mann als das Maß aller Dinge, und diese Maßeinheit muss dementsprechend klar definiert und unerschütterlich sein, um weiterhin ihre normative
Wirkung entfalten zu können. Unter solchen Bedingungen funktioniert der Umgang
mit Homosexuellen als Kehrseite der Medaille „Rolle der Frau“ – der jeweilige Stand
weiblicher Emanzipation verweist zugleich
auf den Stand homosexueller Emanzipation:
vom herrschenden Männlichkeitsbild.
Brunnenvergifter und Fußabtreter
Abseits der Problematik konstruierter Geschlechterrollen dräut eine weitere gesellschaftliche Dimension, die Homphobie begünstigen kann. Der in einer modernen
Gesellschaft herrschende Kampf um sozialen Auf- und gegen sozialen Abstieg führt
insbesondere in Krisensituationen, aber
Homophobie und Männlichkeit
auch unter vergleichsweise „normal“ gewordenen Konkurrenzbedingungen im Spätkapitalismus, mitunter dazu, dass ganze gesellschaftliche Gruppen abgewertet werden
– motiviert von der Absicht, den eigenen, als
bedroht empfundenen Status zu verteidigen
und aufzuwerten. Solcherart motivierte Homophobie ist vergleichbar mit dem modernen Antisemitismus und jener spezifischen
Xenophobie, die in westlichen Einwanderungsländern anzutreffen ist. Der Homosexuelle wird zum einen zu einer Art Brunnenvergifter, für schuldig befunden, die
Fundamente der Gesellschaft zu beschädigen. Zum anderen wird er zum Fußabtreter für all jene, die sich marginalisiert fühlen und Trost in der Empfindung finden, es
gäbe immer noch jemanden, der noch weniger wert sei als sie. Ein Arbeitsloser ohne
Perspektive zieht sich mitunter auf seinen
„Stolz, ein Deutscher zu sein“ zurück – seine Nationalität kann ihm schließlich keiner wegnehmen. Niemand ist zwar bislang
auf die Idee gekommen, eine Homo-Bar mit
dem Schlachtruf „Ich bin stolz, ein Hetero zu sein“ zu überfallen – doch auch ohne
dieses Bekenntnis erfolgt oft genug der Griff
zum Baseballschlager oder zur Fahrradkette, mit der auf vermeintlich Minderwertige
eingeprügelt wird. Manchmal bleibt es auch
„nur“ bei einem gezischten „Schwule Sau!“.
Affront gegen die Ehe
Bliebe noch die kollektive, mehrheitsgesellschaftliche Homophobie zu nennen, die von
den Institutionen Staat und Kirche zum einen bekämpft, zum anderen gefördert wird.
Genau in diesem Spannungsfeld spielten
und spielen sich die Auseinandersetzungen
um die so genannte „Homo-Ehe“ ab. Auf
deutsche Verhältnisse bezogen sind es die
christlichen Parteien, die eine wahrhaftige
Gleichstellung der Gleichgeschlechtlichen
Lebenspartnerschaft mit der Ehe hartnä-
ckig verhindern. Zum einen bedienen die
„C“-Parteien damit ihre zum Teil tatsächlich christlich geprägte Klientel, indem sie
zumindest auf symbolischer Ebene versuchen, den Anordnungen des Vatikans Folge
zu leisten. Der Widerstand gegen die HomoEhe wird so zu einer Art Marketing-Kniff:
Mit „weichen“ Themen ist es vergleichsweise
leicht, Profil zu zeigen. Zum anderen jedoch
holen die Konservativen mit der Aufrechterhaltung solcher Grenzen ihre Wähler dort
ab, wo Sie auch stehen: Homosexuelle Lebensweisen werden von manchen als Angriff
auf das, was ihnen heilig ist, begriffen – als
Affront gegen die Familie, als Affront gegen die Ehe. Homosexualität wird in dieser
Lesart vor allem begriffen als ein Lifestyle
der Verantwortungslosigkeit, als Verweigerung gegenüber all jenen Pflichten, denen
man sich selbst unter Inkaufnahme von allerlei Verzicht unterzieht: von der ehelichen
Treue bis zur zeit- und geldintensiven Aufzucht einer mittleren Kinderschar. Ein solches Ressentiment greift das in den Medien
allzeit verstärkte Stereotyp des hedonistischen Party-Schwulen gerne auf – unterfüttert von stillen Momenten des Neids. Und
ignoriert, dass sich das Leben der meisten
Homosexuellen keineswegs zentral in NightClubs und Bars abspielt, sondern in ganz
normalen, alltäglichen Zusammenhängen.
Homophobie dieser Kategorie, gewaltfrei im
Prinzip, findet sich auch in gebildeten, mittelständischen Milieus: etwa ein gewisses
Unbehagen, wenn das dritte Homo-Pärchen
im Haus einzieht. Inklusive anschließendem
Umzug wegen Milieu-Überfremdung.
Für den Schutz Homosexueller vor Homophobie ist dementsprechend eine konsequente Trennung von Kirche und Staat
überlebenswichtig – die Einführung des
muslimischen Rechtssystems der Scharia
könnte tödlich sein, wie die entsprechenden
Beispiele von Yemen bis Iran zeigen.
Auf staatlicher Ebene ist, nach Abschaffung
der jeweiligen „Homoparagraphen“ in allen westlichen Industrieländern, nach wie
vor eine völlige rechtliche Gleichstellung das
Ziel – welches in Deutschland noch nicht
erreicht ist.
Die Eindämmung der individuellen Homophobie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der zunächst jeder einzelne gefordert ist. Auch die Schule müsste ihre
Verantwortung wahrnehmen und entsprechende Aufklärung betreiben, was trotz Bereitstellung diverser Lehr- und Informationsmaterialien noch immer kaum erfolgt.
Wer das Problem Homophobie nachhaltig angehen möchte, wird auch kaum darum herum kommen, sich einer gesellschaft-
Die unermüdlichsten, offen bekennenden
Homophobiker findet man jedoch weder in
gutbürgerlichen Vororten noch in den Reihen
rechtsradikaler Parteien. Es sind die fundamentalistischen Vertreter der Religion, die
Interview: Jan Feddersen
WWWSCHWUSOSBERLINDE
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Aufklärung tut Not
Der Schwule als Feindbild
LiSSTKEINEN0LATZF~R(OMOPHOBIE
14 repressiv-christlichen Sexualmoral eine unreife Sexualität entwickelt haben und daher
mit Unreifen verkehren.
Religiöser Terror
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die Fahne der Homosexuellenfeindlichkeit
am höchsten halten. Insbesondere die monotheistischen Religionen wetteifern diesbezüglich um die ersten Ränge, wenn es um die
Abwehr gleichgeschlechtlicher Lebensweisen geht. Diese Position steht in engem Zusammenhang mit den Kernkompetenzen der
jeweiligen Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften: Allen einig ist die Rolle als Verwalter der Ehe zwischen Mann und Frau – und
fast alle Religionen predigen eine Sexualmoral, die im Wesentlichen auf Reproduktion
abzielt. Mögen auch die jeweiligen theologischen Begründungen für die Ablehnung der
Homosexualität differieren – diesbezüglich
eindeutig aussagekräftige Passagen finden
sich in den überlieferten religiösen Schriften
zumeist nicht –, so ist sie doch in der derzeitigen religiösen Praxis von zentraler Bedeutung. Die evangelikalen Kirchen in Nordamerika haben die Schwulen zum Feindbild
Nr. 1 erhoben und auch der Vatikan tut sich
immer wieder mit entsprechenden Verlautbarungen hervor. Wobei Letzterer mit dieser
Politik alles daran setzt, der eigenen Organisation Probleme zu bereiten: Zum einen ist
der Anteil homosexueller katholischer Priester sehr hoch, was bei „Aufdeckung“ immer
wieder für Skandale sorgt. Imageabträglicher sind nur noch die stetig wiederkehrenden Pädophilieskandale: Priester, die wahrscheinlich aufgrund einer internalisierten
Joachim Kersten, Professor an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster,
über geschlechtliche Identitätsfindung und
die Wahrnehmung von Homosexuellen in
maskulinitätsbetonten Kulturen.
impuls: Herr Prof. Dr. Kersten, wie äußert sich Homophobie bei Jugendlichen:
Dass sie ab einem bestimmten Alter beginnen, gleichgeschlechtlicher körperlicher,
womöglich sexueller Nähe mit einer tiefen
Aversion zu begegnen?
Prof. Dr. Kersten: Aversion scheint mir das
richtige Wort. Vorurteil, Abneigung und
Hass sind auf emotionaler Ebene tätig. Daher ist es wenig erfolgreich, auf rationaler
Ebene zu argumentieren. Das Gefühl, ein
Mitglied des gleichen Geschlechts zu mö-
gen, gerät mit Beginn der Pubertät unter
den Verdacht, man könnte schwul sein. Viele Jungen, die solche Gefühle erleben, haben
Angst davor und reden nicht darüber – nicht
zuletzt, weil sie in männlichen Pädagogen
oder Lehrern, im Vater oder im älteren Bruder keinen wertfreien Ansprechpartner vermuten. Schließlich wird „schwul“ bereits im
Kindergarten als ein abwertender Ausdruck
gebraucht, so wie „Mamasöhnchen“ oder
„Feigling“ ...
... oder „Weichei“, „Warmduscher“.
Solch eine Phase der geschlechtlichen Identitätsfindung erleben viele Männer als Achterbahnfahrt. Sobald der Junge die erste
Freundin hat, kann er sich leisten über einen
Freund zu sagen: den find ich in Ordnung,
lichen Problemgruppe zuzuwenden, der in
den letzten, post-emanzipativen Jahren zu
wenig Aufmerksamkeit und Förderung zuteil wurde: jungen, heterosexuellen Männern, die zunehmend von Verunsicherung
geprägt sind.
Nur so wird es möglich sein, dass die Begegnung mit Homophobie nicht mehr zum
Alltag der Homosexuellen gehört, sondern
zu einer schrillen Ausnahmeerscheinung
wird. Kinsey-Studie: Der US-amerikanische Zoologe
und Sexualforscher Dr. Alfred Charles Kinsey erregte öffentliches Aufsehen, als er 1948 und 1953
zwei kontrovers diskutierte Studien veröffentlichte, wonach 90 bis 95 Prozent der Bevölkerung
zu einem gewissen Grad bisexuell seien („Sexual Behavior in the Human Male“, 1948; „Sexual
Behavior in the Human Female“, 1953). Kritiker
bemängelten die Repräsentativität der Stichprobe Kinseys, weshalb dessen Nachfolger am Kinsey Institute for Sex Research, Paul Gebhard, die
Daten empirisch bereinigte – und Kinseys frühere Schlussfolgerungen im Wesentlichen bestätigte
(„The Kinsey Data: Marginal Tabulations of the
1938-1963 Interviews conducted by the Institute
for Sex Research“, 1979).
1
das ist mein Kumpel – denn im Alter von 16,
17 Jahren gibt es ja durchaus auch homoerotische Kontakte. Das ist der Verlauf beim heterosexuellen, christlich-westlichen Mitteleuropäer. In anderen Kulturkreisen kommt
zu diesem Gefühlsmäßigen, zu dieser Aversion, noch ein Moment von Reinheit, von Hygiene hinzu – gerade, weil andere Kulturen
oft viel stärkere homoerotische Komponenten haben: dass Männer sich ganz natürlich
in den Arm nehmen oder Hand in Hand auf
der Straße gehen. Dies jedoch mit Homo​​sexualität in Verbindung zu bringen, kommt
ihnen gar nicht in den Sinn. Die Kante zwischen Kameraderie unter Männern und dem,
was anders ist und daher nicht sein darf, wird
hart gezogen. Aus dieser Reibung entsteht die
Bereitschaft zur Gewalt.
06.04.2008 17:23:22 Uhr
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15
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Homophobie und Männlichkeit
Warum äußert sich diese Irritation, geltend für alle Kulturkreise, nicht anders als
in Gewalt?
Hier spielen mehrere Faktoren eine Rolle.
Der eine ist, dass in einer Stadt wie Berlin
Homosexuelle überdurchschnittlich präsent sind ...
... man reibt sich also auch an deren Selbstbewusstsein?
Ja, natürlich. In Berlin gibt es einerseits die
vergleichsweise große Repräsentanz von homosexueller Kultur und andererseits viele Migranten einer bestimmten kulturellen
Herkunft. Deshalb ist auch die Häufigkeit
größer, denn die Gelegenheitsstruktur ist
vorhanden. Aber, wie gesagt, dies ist nur ein
Faktor. Ein weiterer ist, dass das Auftreten
der Kids – diese Mischung aus Martialischem und Weichheit – auf einen homosexuellen Mann durchaus eine homoerotische
Faszination ausüben kann. Der Erhalt der
Identität der Männlichkeitskultur, zum Beispiel der islamischen, bedingt jedoch die
betont scharfe Abgrenzung vom Homosexuellen. Eigentlich sollte diese zwanghafte,
normengeregelte Grenze durchlässiger sein;
ein wechselseitiger Austausch könnte in der
Tat fruchtbar sein. Er wird jedoch nicht zugelassen, von beiden Seiten.
Weshalb sind die Normen des Heterosexuellen so streng?
Aus Angst. Was wir als Angstphase während
der ohnehin unangenehmen Pubertät erleben, wird bei den Jugendlichen zwischen 16
und 18 Jahren, die längst aus dieser Latenzphase heraus sind, Teil ihrer Alltagswahrnehmung: Der Schwule wird zum Konsens
für jedes Feindbild. Man weiß, wo er ist, man
weiß, wo man ihn finden kann, man weiß,
wo er angreifbar ist. Wenn nun eine Verabredung, um sich gegenseitig die Fresse einzuhauen, ins Wasser fällt – also der Spaß,
den solche Gewalt macht, ausbleibt –, dann
weicht man eben aus auf den Stadtpark, in
dem Schwule zum Cruisen unterwegs sind.
Diesen Eindruck haben mir Präventionsbeamte bestätigt.
Gewalt kann also Spaß machen?
Der Pädagogentraum, wonach Gewalt etwas Böses, etwas ganz Schlimmes sei, ist
realitätsfern. Gewalt macht Spaß, gibt einen Kick. Nach diesem Prinzip funktioniert
beispielsweise auch das „Bullenjogging“ bei
Hooligans gegenüber der Polizei: Man tut
so, als würde man sich schlagen; die Polizisten müssen anfangen zu rennen, man rennt
vor denen weg und verarscht sie ein bisschen. So hat man abends in der Kneipe etwas zu erzählen. Ich denke, viele Angriffe
16 impuls - 2008
Homophobie und Männlichkeit
auf Schwule resultieren aus diesem Gangverhalten – „Schwule klatschen“, weil einem nichts Besseres einfällt. Das war auch
bei den Rockern so. Angriffe auf Schwule
sind in maskulinitätsbetonten Jugendkulturen Usus.
ren lässt. Als Nicht-Gewaltgeübter hat man
gegenüber einem Gewaltgeübten extrem
schlechte Karten. Sich nun die Gewaltübung
selbst anzueignen funktioniert zwar, stößt
aber an Grenzen: Von Fäusten lässt sich ein
Messestecher kaum beeindrucken.
Es scheint, als würde sich dahinter zwar
keine unterdrückte Homosexualität, aber
eine Angst vor dem Weiblichen, dem Weichen, verbergen.
Diese Angst ist angelegt. Ich denke, es gibt
eine fließende Grenze zwischen Faszination,
Aversion, Gewaltbereitschaft und dem Umschlag von Gewaltbereitschaft in tätige Gewalthandlung. Gewaltbereitschaft, die auch
gemessen wird in Studien, und der Umschlag in faktische Gewalttätigkeit sind zwei
verschiedene Sachen. Tief im Innern werden jene Jugendlichen wahrscheinlich eine
individuelle Faszination der Schwulenkultur erleben, aber gleichzeitig auch die Angst,
bereits dadurch selbst schwul sein zu können. Dann entsteht eine Aversion, die sich
auch daraus speist, dass das Feindbild „die
Schwulen“ gemeinsam geteilt wird.
Ist eine Investition in Selbstverteidigung
der Königsweg?
Zwar bietet die Polizei Nachhilfe in Selbstverteidigung an, aber ich fände es ebenso
sinnvoll, wenn die Polizei verstärkt an die
Jugendlichen, an die potentiellen Täter, herantreten würde und sie über die Rechtsfolgen aufklärte. Viele Kids denken ja, es sei
okay, Schwule anzugreifen, da sie die Botschaft verinnerlicht haben, Schwule seien
Menschen zweiter Klasse. Sie denken eben,
dass die Gesellschaft so denken würde –
und damit haben sie ja auch nicht ganz Unrecht.
Herr Prof. Dr. Kersten, wir danken
Ihnen für dieses Gespräch.
Was also tun als schwuler Mann, dem
plötzlich eine Gruppe Gewaltbereiter gegenübersteht? Zurückschlagen? Oder 110
wählen?
Der Polizeinotruf ist natürlich die bessere Wahl. Allerdings besagt auch das Strafrecht, dass ich mich oder Mitmenschen bei
unmittelbarer Bedrohung verteidigen darf.
Schwäche zu zeigen – das weiß man nun aus
allen Untersuchungen! – ist das Schlimmste, was man tun kann. Sobald sich das Opfer in den Augen der Angreifer symbolisch
„verweiblicht“, wird es praktisch als ein legitimes Angriffsopfer wahrgenommen. Daher die Brachialgewalt, mit der auf bereits
am Boden Liegende eingetreten wird.
Wie würde die homophobe Gang reagieren,
stünde ihr plötzlich ein schwuler Mob anstelle eines einzelnen, vermeintlich Wehrlosen gegenüber?
Es würde sich vielleicht herumsprechen, sowohl bei den Opfern als auch bei den Angreifern. Aus Erfahrung weiß man, dass ein
sich wehrendes, vor allem ein sich gemeinsam wehrendes Opfer die Kräfteverhältnisse verschieben kann.
Plötzlich hätte man also Respekt?
Respekt ist in maskulinitätsbetonten Kreisen eine sehr hoch gehandelte Aktie, ein
zentraler Wertmaßstab von Ich-Stärke und
Akzeptanz. Aus diesem Kontext heraus ist
„Opfer“ ein Schimpfwort geworden. Die
Frage ist nun, wie sich Stärke demonstrie-
Prof. Dr. Joachim Kersten. Bis September 2007 lehrte der studierte Sozialwissenschaftler mit Lehrbefugnis für Allgemeine
Soziologie als Professor in der Fachgruppe
Psychologie/Soziologie an der Hochschule
für Polizei Baden-Württemberg. Seit Oktober 2007 ist er Universitätsprofessor an
der Deutschen Hochschule der Polizei in
Münster.
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Homophobie und Popkultur
Suck my Gun!
Von Martin Reichert
Homo-Bashing gehört in der aktuellen
Popkultur zum guten Ton – bloß eine
Attitüde?
„Dissen“ – dieses Wort kommt von „disrespect“ und bezeichnet eine Technik der
Hip-Hop-Kultur: Die Protagonisten machen einander auf der Bühne verbal so lange
fertig, bis einer der Kontrahenten ausflippt,
die Beleidigung ernst nimmt und nicht mehr
als Teil eines Spiels behandelt. Den Respekt
verweigern: Frauen sind Schlampen, und
Männer sind Schwule und Stricher. Ohne
die Beschimpfungsformel „Schwuchtel“, im
englischen „Faggot“ oder „Fag“, ist die HipHop- und Rap-Szene gar nicht denkbar. In
den USA sowieso nicht, und in Deutschland nicht mehr seit dem bahnbrechenden
Erfolg des Labels Aggro Berlin: Unter dem
Dach der Berliner Plattenfirma reimen nun
die Vertreter der multiethnischen Unterschicht; vorbei die Zeiten, in denen die netten Mittelschicht-Jungs aus den westdeutschen, gutbürgerlichen Wohnvierteln den
deutschen Hip-Hop dominierten: Die Fantastischen Vier, Freundeskreis oder Fettes
Brot wären nicht auf die Idee gekommen,
gegen die „politisch korrekte“ Erziehung ihrer Eltern oder Lehrer zu verstoßen – man
dichtete stattdessen netten Mädels namens
Anna hinterher oder träumte von einem Tag
am Meer. Das waren die Neunziger, damals,
als schwul sich noch auf cool reimte.
Ganz anders die Masche der harten Ghetto-Jungs aus Berlin, die mit ihrer Bad-BoyAttitüe besonders bei braven Jugendlichen
gut ankommen: Bushido – mittlerweile sogar bei Universal unter Vertrag – zieht gerne über „Homo-Opfer“ her und träumte
auch schon mal davon, „Tunten zu vergasen“.
Rap-Kollege FLER „disste“ einen Konkur-
renten als „schwulen Zigeuner“. Sido, der
Mann mit der Maske, dessen Künstlername
für „Superintelligentes Drogenopfer“ steht,
hatte großen Erfolg mit seinem „Arschficksong“ – und hat für alles, was man früher mit dem Ausdruck „Scheiße“ bezeichnet
hätte, nur noch ein Wort: Voll schwul, Altah.
Das ist das neue Jahrtausend, in dem schwul
mit cool nicht mehr im Einklang steht.
Der Mehrheitsgesellschaft den Mittelfinger zeigen
„Leute, wir sind die Gesellschaft“, lautet die
Botschaft. Jungmänner, die entgegen aller Verbote ihr Ding durchziehen, darunter
liegend die selbstmitleidige Attitüde: Wenn
Ihr, die Mehrheitsgesellschaft, uns nicht
mitmachen last, zeigen wir Euch den Mittelfinger – leider auch auf Kosten einer anderen Minderheit, die sie für noch schwächer
als sich selbst halten: Schwule.
So mancher Musikkritiker zeigte sich über
derlei „authentische“ Auswüchse höchst erfreut – sei doch nun der tatsächliche HipHop, eine afroamerikanisch dominierte
Ghettokultur, im verschlafenen Deutschland angekommen. Angekommen ist allerdings auch die folgende Botschaft für deutsche Kids: Wenn Du Gewalt ausübst, bist Du
cool. Uncool hingegen sind die Schwulen,
Synonym für als Weiche, Schlechte, Nichtmännliche. Eigentlich für Dreck.
Die Haltung der deutschen Aggro-Rapper
entspricht dem US-amerikanischen Vorbild
– und hier wie dort ist die ehemalige Subkultur längst in den popkulturellen Mainstream eingespeist, hier wie dort wird eine
Menge Geld verdient. Der tatsächliche Ursprung der Hip-Hop-Kultur lag dort, wo
man auch schon mal bereit ist zur Waffe zu
greifen, wenn es ums Geld verdienen geht:
In den Ghettos amerikanischer Großstädte und den dazugehörigen Knästen, in denen
Afroamerikaner nach wie vor überrepräsentiert sind. Wer in diesen Knästen Zweifel an seiner Männlichkeit aufkommen lässt,
läuft Gefahr von seinen Mitinsassen sexuell missbraucht zu werden und fortan als
„Schwuchtel“ zu gelten.
Im Knast wie außerhalb leben diese „schweren Jungs“ in homosozialen Beziehungen.
Straßengangs, in deren Lebenswelt offen gelebte Homosexualität keinen Platz hat und im
Gegenteil ängstlich vermieden werden muss,
wie in fast allen Männergesellschaften.
Insbesondere der afroamerikanische Bevölkerungsanteil der USA ist zudem besonders
empfindlich in Bezug auf das Thema Homosexualität. Das hat zum einen mit strenger
Religiosität und einer strengen Auslegung
des Alten Testaments zu tun, zum anderen
mit der Auffassung, dass es sich bei der Homosexualität um eine Erfindung der weißen
Mehrheitsgesellschaft handele, unter anderem dazu gedacht, den „schwarzen Mann“ zu
kastrieren. Kein Wunder also, wenn OberRapper 50Cent im Playboy über uncoole
Schwule herzieht – nur die Spitze des Eisbergs, denn Homo-Bashing ist geradezu ein
integraler Bestandteil der Hip-Hop-Kultur.
Restauration von Männlichkeit
Der Kulturkritiker Houston Baker vermutet
gar, dass es sich bei Hip-Hop um den Versuch einer Restauration schwarzer Männlichkeit handele, die sich durch die schwarze
Disco- und Popkultur bedroht fühle: Machismo, dicke Macker-Goldketten, schwel-
impuls - 2008
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Homophobie und Popkultur
lende Muskeln und Genitalprotzerei als
Antwort auf Michael Jackson und Prince.
Die Rechnung für die aufwändige Wiederherstellung männlichen Selbstbewusstseins
zahlen die Schwulen: Jede öffentliche Propagierung von Gewalt gegenüber Homosexuellen öffnet Tür und Tor für verbale Injurien und Übergriffe – dies zu verhindern
müsste eigentlich ein Anliegen der Mehrheitsgesellschaft sein, stattdessen stellt sie
sich die provokanten Hass-Produkte gern
ins CD-Regal.
Auch das Beispiel Eminem zeigt, dass Homophobie keineswegs nur ein Problem der
afroamerikanischen Minderheit ist. Der erfolgreichste weiße Rapper erging sich in seinem Song „Criminal“ in orgiastischen Gewaltfantasien gegen „Faggots“. Nicht nur
dort, und alles mit millionenfachem Erfolg.
Feier des männlichen Genitals
„Guns & Girls“, das sind die Themen von
Beenie Man und Buju Banton, dem zum Beispiel die Songzeile „Schieß der Schwuchtel
in den Kopf“ zu verdanken ist. Die so genannten „Batty Men“ gelten in Jamaika als
das Allerletzte, was wiederum mit gestreng
religiösen Auffassungen und der Überzeugung, dass es sich bei Homosexualität um
ein kolonialistisches Repressionsinstrument
handeln würde, zu tun hat. De facto wurde
der Gründer der ersten jamaikanischen Homo-Organisation mit unzähligen Messerstichen abgeschlachtet – und Kreuzfahrtschiffe mit schwulen Urlaubern müssen in
Jamaika damit rechnen, nicht im Hafen anlegen zu dürfen.
Die Dancehall-Platten verkaufen sich trotzdem gut – die Konsumenten scheinen die
jamaikanische Homophobie für eine Art
Rasta-Folklore zu halten. Und vergessen darüber nur allzu gerne, dass die Menschenrechte universell sind und dementsprechend
auch für Homosexuelle gelten, in Europa wie
in Jamaika. Ein öffentlicher Mordaufruf bildet einen deutlichen Verstoß dagegen.
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Mit „Homo-Hop“ gegen Homophobie
Muss das eigentlich wirklich sein? Müssen Homosexuelle einsehen – wie von vielen
Fans gefordert – dass sie im Hip-Hop nichts
verloren haben? Es geht darum, Differenz
herzustellen: Wir sind so und Ihr seid so,
bleibt gefälligst in Eurem Ghetto. Im wirklichen Leben sind die Schwulen schon längst
mitten im Revier. Bereits 1986 schrieb Man
Parish den Genre-Klassiker „Hip Hop Be
Boop Don’t Stop“ – ein Song, der allerdings
nie den Sprung in den Mainstream der längst
zu Million-Dollar-Boys mutierten „Gangsta“ geschafft hat. Der offen schwule HipHopper Deadlee lässt sich denn auch von
niemandem die Tür vor der Nase zuschlagen
bzw. in die schrille Disco-Ecke abdrängen.
Er bezeichnet seine Musik als „Homo Hop“
oder „Gayngsta Rap“ – und reimt nicht über
große Brüste, sondern über die Schönheit
des Oralverkehrs. Seine Texte handeln zudem von der Unterdrückung, die Schwule
in den USA Tag für Tag am eigenen Leib erfahren müssen, von homophober Gewalt und
Suizidgedanken schwuler Jugendlicher. Eigentlich ist Deadlee damit sogar viel näher
am Ursprungsgedanken des Hip-Hop: den
Unterdrückten eine Stimme verleihen.
Gewalt in Buchstaben
Interview: Martin Reichert
Thees Uhlmann, Sänger der Hamburger
Indie-Band Tomte, lehnt verbale Gewalt
gegen Schwule ab – und wundert sich, dass
Homosexualität wieder ein Thema ist.
impuls: Thees, in deinem Büro hängt ein
Plakat von Eminem. Der träumte schon mal
öffentlich davon, Homos totzuschlagen ...
Thees Uhlmann: Ich weiß. Ich kann mich
auch noch daran erinnern, als Sammy de
Luxe und Ferris MC damit anfingen: Dies
ist schwul, das ist schwul. Da fing das so
an in der Hamburger Szene, das Dinge, die
vorher politisch korrekt eingehalten wurden, mit einem Mal aufbrachen. Die Leute hielten sich plötzlich für besonders klug,
wenn sie ein angebliches, politisch korrektes
Zwangskorsett sprengten.
Wie war eure Haltung dazu?
Wir haben dann auf unsere Platte als letzten Track „Adam & Steve“ aufgenommen,
ein Liebeslied, das von zwei Männern handelt. Als Statement. Aber „voll schwul“ hat
sich als Gewalt in Buchstaben mittlerweile komplett durchgesetzt. Dabei ist es ja
schrecklich, wenn ein Junge plötzlich feststellt, dass er seinen Freund Boris eben
knackiger findet als Mädchen – und das für
die anderen das Schlimmste, absolut das
Schlimmste ist! Politisch korrekt heißt doch
in diesem Fall nur, dass man seine Worte so
wählt, dass man andere Menschen so wenig
wie möglich verletzt. „Schwul“ wurde am
Anfang hauptsächlich von bildungsfernen
Schichten als Schimpfwort benutzt, und
jetzt ist es Mainstream.
Die Beschimpfungsformel „schwul“ ist in
der Mitte der Gesellschaft angekommen, ist
Alltag?
Ich weiß nicht, wie das bei 22-Jährigen ist.
Aber nach dem Konzert kommen dann schon
mal Leute und sagen: “Die neue Kettcar ist
echt voll schwul.“ Oder Kumpels sagen: „Die
Party neulich war echt voll schwul.“ In diesem Umfeld kann man das einschätzen, wie
das gemeint ist. Ich würde das aber nie gegenüber jemandem sagen, der selbst schwul
ist. Das Eminem-Plakat hängt hier, weil ich
Eminem gut finde, er ist sozusagen der Elvis
des Hip-Hop. Der homophobe Kram gehört
eben leider zur Hip-Hop-Kultur.
Seit wann hat sich dieser „Style“ in Deutschland etabliert?
© Ingo Pertramer, www.pertramer.at
Von diesen Größenordnungen können Jamaikas Dancehall-Stars nur träumen, dennoch ist ihre Musik ein Dauerbrenner bei
der Jugend der Welt. Dancehall, eine Abart des Reggae und eine Art kleiner Bruder des HipHop, kommt aus der Karibik. In
den Tonstudios von Kingston wird fast wie
am Fließband produziert, inhaltlich bewegt
man sich stets im thematischen Dreieck von
Homophobie, Frauenverachtung und Feier
des männlichen Genitals.
Homophobie und Popkultur
So lässt er es sich denn auch nicht nehmen,
homophobe Kollegen zu dissen: „Die ölglänzenden Oberkörper von 50Cent und
seiner Crew, das sieht doch aus wie in einem
Homo-Magazin.“ Deadlee steht nicht alleine auf weiter Flur. Johnny Dangerous, Bigg
Nugg und wie sie alle heißen: In Oakland
gibt es schon seit Jahren ein Festival des
schwulen Hip-Hop, und im Jahr 2007 startete die erste LGBT-Hip-Hop-Tour durch
die USA. Mit Deadlee als Headliner.
Gut, wenn sich mutige schwule Protagonisten nicht ausgrenzen lassen und sich auf
eigene Faust einen Raum im großen HipHop-Haus kapern. Noch besser, wenn heterosexuelle Rapper Türen öffnen, so wie der
anerkannte Rap-Star Kanye West, der öffentlich ein Ende der Homophobie im HipHop gefordert hat. Das Coming-out seines
Cousins hatte ihm die Augen geöffnet und
ihn zugleich ermutigt, über die Wurzeln seines eigenen Schwulenhasses nachzudenken:
Als Kind war er immer als Muttersöhnchen
gehänselt worden.
Der Berliner Rapper Bushido wohnt übrigens immer noch unter einem Dach mit seiner Mutter. Thees Uhlmann: „Wäre schon toll, wenn es einen richtig populären Hip-Hop-Song gäbe, der sagt: Hey, Schwule sind okay!“
impuls - 2008
21
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Homophobie und Popkultur
Ungefähr ab 2000 ging das los. Zwei, drei
Leute haben das in der deutschen Szene eingeführt; es geht ja beim Dissen auch darum, sich zu übertrumpfen: Sagt der eine,
du bist eine Nutte, sagt der andere, du bist
eine schwule Nutte. Was meinen die wirklich? Die meinen damit Schwäche, klar.
Und es gibt viel bildungsferne Menschen in
Deutschland, die sich von Homosexualität
bedroht fühlt.
Die Jugend von heute funktioniert so, wie
die Jugend von gestern: über Provokation.
Ist es da überhaupt sinnvoll, einzuschreiten? Die Bundesprüfstelle auf den Plan zu
rufen?
Ich glaube es ist gut, wenn man ein Auge darauf hat, was die so treiben. Es ist gut, wenn
ihnen jemand sagt: Das ist nicht okay. Die
Hip-Hopper wollen sich ja auch irgendwann mal verändern, weiterentwickeln. Da
muss man Anreize schaffen. Eminem ist ja
irgendwann auch mit Elton John aufgetreten. Kein Mensch kann eben ein ganzes Leben darüber rappen, 20 Autos zu haben und
die Bitches zu hauen.
Jugendkultur hat ja auch immer etwas mit
„dazugehören“ zu tun, eine Szene zu bilden, Teil einer Peergroup zu sein. Sollen
sich Schwule ihre eigene Ecke suchen bzw.
darin bleiben – das ist zumindest die Ansage der Hip-Hop-Szene: Ihr habt eure eigenen Läden, wir sind so, ihr seid so.
Mir ist aufgefallen, dass es neuerdings wieder nötig ist, darüber zu reden, dass man
schwul ist. Vor zehn Jahren war das irgendwie „egaler“ als jetzt. Das ist vergleichbar mit den Juden: Vor zehn Jahren war das
kein Thema mehr, es war irgendwie egal. Inzwischen hat man das wieder auf dem Zettel, Juden in Deutschland müssen nun wieder überlegen, ob sie öffentlich eine Kippa
tragen oder nicht. Das sind Rückschritte;
sowohl für Juden als auch für Schwule ist
es wieder härter geworden. Man muss sich
22 impuls - 2008
plötzlich mit Dingen beschäftigen, die man
für überwunden gehalten hatte.
Das würde bedeuten, dass ein Coming-out
heute schwerer ist als vor zehn Jahren?
Das glaube ich schon. Diese latent aggressive Art, wie damit umgegangen wird! Die
Macht der Masse ist das. Wenn Leute in den
Charts sind, die 100.000-mal gekauft werden und öffentlich über „scheiß Schwule“
herziehen, dann sind das Tropfen, die stetig
den Stein höhlen.
Früher rappten die Fantastischen Vier oder
Freundeskreis – hat die weiße Mittelklasse
die Diskurshoheit im Popgeschäft verloren?
Die veranstalten ja keinen Diskurs. Ich mag
ja auch einige Songs von Bushido. Aber im
Interview sagt er dann Sachen wie: „Schwul
sein ist für mich wie Golfer sein – beides
finde ich Scheiße.“ Wie will man da eigentlich noch diskutieren? Das sind doch keine
Argumente! Soll man dem mit Adorno kommen, oder wie? Das bringt doch gar nichts.
Hat denn Musik tatsächlich konkrete Auswirkungen, sind solche Songs eine Einladung, Schwulen auf die Fresse zu hauen?
Da denke ich gleich an die Bösen Onkelz, die
alles tun, um von ihrem rechten Image wegzukommen. Und dennoch ziehen sich das
Rechte rein, heizen sich mit der Musik auf
und schlagen dann Leute zusammen. Kommt
auf die Anwendung an, auf die Kids.
Der Rock‘n’Roll, um mal auf dein Genre zu
kommen, gilt auch nicht gerade als Heimstatt der Homosexuellen. Was hat Rock mit
Männlichkeit zu tun, und was mit Sex?
Rock‘n’Roll ..., dieses stilisierte „Ich bin hier
oben, ihr da unten“. Und ich singe euch Sachen vor von einer Welt, die werdet ihr niemals sehen – so war das in den 1980er-Jahren. Das ist der Reiz des Affenfelsens: Oben
sitzt der Silberstreifen-Pavian und man holt
sich eine Medaille ab, wenn man dem einen
bläst. Das ist die Natur der Dinge.
Bei dir auch?
Wenn ich Noel Gallagher kennenlernen
würde und dem dann erzähle: Hey, ich bin
auch in einer Band. Dann ist das auch Affenfelsen: Guck mal, ich bin auch wer. Oder
ich möchte mit Amy Winehouse bumsen, weil
die so toll aussieht und genauso viel säuft.
Vielleicht kriegt man im Rock‘n’Roll einfach
mehr sexuelle Angebote als in der Bildenden
Kunst. Das ist der Rhythmus, das Ausgehen,
das Trinken.
Singst du auch über Sex?
Ich singe auch über Sex, aber das kriegt nie
jemand mit. Ich kann ja der Welt schlecht offiziell mitteilen: Kann mir mal jemand einen
runterholen? Ich singe lieber über Dinge, die
mich bewegen. Aber generell stimmt schon,
dass es bei Heavy Metall und Punk weniger
schwule Menschen gibt, bei den richtig heftigen Bands. Aber in der Gesamtbreite des
Rock‘n’Roll, von den Arctic Monkeys über
Tomte bis zu den Strokes, ist Homosexualität
kein Problem – und wenn, dann höchstens
ein ganz kleines.
Antischwule Hetze in Songs nicht
verharmlosen!
Kommentar von Kai Gehring MdB, jugendpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion
Als sich in den 1980er-Jahren der Sänger
von Judas Priest als schwul geoutet hat, war
das ein Schock.
Ja, aber das war in den 80er-Jahren. Wenn
man heute in die Fan-Blogs schaut, sieht
man ja die Reaktionen auf schwule Musiker:
„Mann, ist mir doch egal, ob der schwul ist,
Hauptsache die Soli sind geil.“
Andererseits gibt es da ein Identifikationsproblem: Die Jungs wollen sich mit dem Sänger oder Drummer identifizieren, wollen sein
wie er. Aber wenn der dann schwul ist?
Mag sein, aber wenn der Sänger schwul ist,
dann wollen die Mädels hin, weil da endlich
mal jemand singt, der nicht so ein Testosteronarsch ist. Und die Jungs müssen dann mit
– eben weil die Mädchen da sind. Als damals, Anfang der 90er-Jahre, Guns N‘ Roses „Niggers and Faggots, get out of my Way“
sangen, waren die „Goldenen Zitronen“ die
ersten, die darauf kritisch reagiert haben.
Das war aber auch das letzte Mal, dass eine
Weltrockband wegen Homophobie in die
Schlagzeilen gekommen ist. Damals haben
zum Beispiel Faith no More eine gemeinsame Tour mit Guns N‘ Roses abgesagt, weil
die ständig Witze über Schwule gerissen haben.
Das ist doch mal ein Statement!
Wäre schon toll, wenn es einen richtig populären Hip-Hop-Song gäbe, der sagt: Hey,
Schwule sind okay! Vielleicht wäre es auch
mal gut, wenn eine Riesentruppe Lederschwuler auf ein Bushido-Konzert ginge.
Dein Büro ist in Neukölln. Als schwules
Paar, ob in Leder oder nicht, sollte man hier
jedenfalls nicht unbedingt Hand in Hand
gehen ...
Liegt das am Hip-Hop? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Die Beschimpfung „voll
schwul“ ist jetzt seit 2000 hip, wie Vulgarität ja im Moment überhaupt angesagt ist.
Solche Modeerscheinungen dauern in der
Regel sieben Jahre an – und jetzt haben wir
ja schon 2008.
Thees, wir danken dir
für dieses Gespräch. © guidorottmann.de
Und warum stimmen dann Akademiker
und Abiturienten mit in den Gesang ein?
Das ist so wie mit dem Proll-Kult in der Indie-Szene: Dosenbier und so. Sich was rausnehmen. Wenn ich auf dem Tomte-Konzert
ein Lied ankündige und sage: „Tut mir leid,
der nächste Song ist echt unser schwulster
Song“, dann lachen die Leute, weil sie verstehen, dass diese Ansage zweimal ironisch
gebrochen ist. Die wissen dann, dass ich
mich selbst über mich lustig mache, aber das
hängt eben auch vom Publikum ab. Ich glaube einfach, dass 22jährige Assi-Hip-Hoper
das geil finden, wenn sich auch nur zwei
Leute über sie aufregen.
Homophobie und Popkultur
Ob Hip-Hop, Rap oder Reggae, englischoder deutschsprachig: Durch einzelne Musiker und ihre Labels wird immer wieder
Schwulenfeindlichkeit geschürt und zu Gewalt gegenüber Minderheiten aufgerufen.
Diese Entwicklung ist bedenklich: Mögliche
Auswirkungen von Hass-Musik auf Jugendliche dürfen nicht verharmlost werden. Die
künstlerische Freiheit ist zweifellos ein hohes Gut, sie rechtfertigt aber keine diskriminierenden Songtexte. Die Musikindustrie muss umdenken: Antischwule Hetze und
Aufrufe zu Gewalt in Songs sind weder Bagatelle noch akzeptabler Teil von Jugendmusikkultur. Der Umgang mit Gangsta-Rap ist
dabei nicht einfach, weil diese Musikszene und ihre PR-Strategien auf Provokation
und Tabubruch angelegt sind. Ein eindeutig
rassistisches, homophobes oder sexistisches
Vokabular ist aber nicht länger hinnehmbar. Genauso wie rassistische und antisemitische Songs inakzeptabel sind, müssen
schwulenfeindliche geächtet werden - alles andere wäre perfide Doppelmoral. Was
ist also zu tun? Wir brauchen einen breiten
Diskurs und Konsens über klare Grenzen
gegenüber minderheitenfeindlichen Songtexten. Von der Hip-Hop-Community können wir erwarten, dass sie für Respekt und
gegen alle Formen von Rassismus und Homophobie eintritt. Ihre Selbstreinigungskräfte können wirken (wie z.B. die Initiative von „Brothers Keepers“) und sind daher
zu unterstützen. Die Bundesprüfstelle für
jugendgefährdende Medien ist aufgefordert, mögliche Hass-Songs intensiv zu prüfen und sie gegebenenfalls zu indizieren.
Jugendmusikkultur braucht Mindeststandards für Minderheitenschutz. Eine wirksame Selbstverpflichtung der Musikindustrie
wäre ein wichtiger Schritt. TV- und Radiosender, Jugendmagazine und Konzertveranstalter müssen selbstkritisch reflektieren, ob
sie Teil der PR-Strategien von Hass-Musikern sein wollen oder stärker gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Nur wenn
die Zivilgesellschaft Hetze entgegentritt,
Staatsanwaltschaften Gewaltaufrufe verfolgen und durch Indizierung Hass-Songs unterbunden werden, können wir auch gegen
alltägliche antischwule Gewalt und Diskriminierung wirkungsvoll vorgehen.
Verkaufsschläger
Kolumne von Paul Schulz, Musikjournalist
Unterstützen Musikindustrie und Musikjournalismus Gewalt gegen Schwule und
Lesben? Oder wird nur verkauft, was gefällt?
Es wäre so schön, wenn es so einfach wäre:
Auf der einen Seite die böse Musikindustrie, die Homos hassende Unterschichtler aus
niederen, monetären Beweggründen dazu
aufstachelt, sich in Machoposen zu werfen
und per Sprechgesang Gewalt zu propagieren, um mehr Tonträger zu verkaufen – und
dabei noch von der Musikpresse beklatscht
wird. Auf der anderen Seite, sozusagen am
anderen Ufer, ein Häuflein aufrecht protestierender Schwulenbewegter aus der in-
tellektuellen Mittelschicht, die nicht mehr
bedroht werden wollen von den proletarischen Schergen des Ghettorap. Die Schuldigen sind gefunden, man erweitert ein paar
Gesetze über Volksverhetzung, verbietet ein
paar Alben, rüffelt ein paar Journalisten,
Ende Gelände.
Und, ist es denn nicht so einfach? Nein, Kinder, ist es nicht. Das Problem ist weit komplexer. Nach einem Jahrzehnt als schwuler Musikjournalist mache ich mir keinerlei
Illusionen mehr: Die Musikindustrie verkauft – wie jeder andere Industriezweig,
der in der Marktwirtschaft Erfolg haben
will – was nachgefragt wird. Kommentarund wahllos. Daran, dass Musiker wie FLER
oder Bushido sexistische und homophobe
Raps zu Top-Ten-Hits machen können, ist
nicht die Industrie schuld, sondern der gemeine, meist jugendliche männliche Musikkonsument in Deutschland, der seine Musik
genauso selbstbewusst einkauft wie seine
Markenturnschuhe und seine Bio-Milch. Er
macht diese Acts groß und hat damit angefangen, lange bevor Bushido auf seinem ersten BRAVO-Cover böse guckte. Wer glaubt,
dass die Industrie in der Lage wäre, den „armen Kids“ per Dauerbeschuss durch die
Teeniepresse Gewalt verherrlichende RapMusik quasi im Handstreich unterzujubeln,
ist naiv. Warum? Nun: Die Zeiten, in denen Angestellte von Universal Music, Warner Music, Emi oder Sony BMG auf Festivals
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Homophobie und Popkultur
Homophobie und Popkultur
© Universal Music Hall Berlin
Universal Music Group Berlin – „Ab 30.000 verkauften Einheiten nehmen wir alles unter Vertrag, egal was.“
oder in Clubs Bands „entdeckten“, um diese dann über Jahre zu formen und zu einem
Hit aufzubauen, sind seit mehr als 15 Jahren
vorbei.
Solch aufwändige Prozeduren kann sich
in Zeiten jährlich zweistellig schrumpfender CD-Verkäufe niemand mehr leisten.
Lange schon wird von den vier verbliebenen großen Plattenfirmen und ihren Sublabels in Deutschland nur eingekauft, was
ohnehin schon Erfolg hat. Das gilt für Rosenstolz genauso wie für Bushido, für Obermacho 50Cent und die quietschig queeren
Scissor Sisters, für den dienstältesten Homo
des Pop, Elton John, wie für Eminem. Sie alle
waren internationale Erfolgsgaranten oder
hatten sich auf endlosen Touren oder im Internet eine stabile Fanbase erarbeitet, lange bevor ein deutsches Major-Label sie unter Vertrag nahm. Will ich heute Interviews
mit einem dieser Künstler anfragen, muss
ich nur eine Nummer wählen, denn sie sind
alle bei derselben Plattenfirma unter Vertrag: Universal Music.
In deren damals funkelnd neuem Gebäude
an der Spree begriff ich vor ein paar Jahren
endgültig, wie’s läuft: „Es ist ganz einfach:
Ab 30.000 verkauften Einheiten nehmen
wir alles unter Vertrag, egal was“, lautete die
Antwort eines Firmenmitarbeiters auf meine
Frage nach ihrer Künstlerauswahl.
Heißt in der Praxis: Erst als sich Bushido
und Aggro Berlin unabhängig auf Independent-Labels blendend verkauft hatten, war
24 impuls - 2008
auch Universal interessiert, auf das Erfolgsmodel „deutscher Gangsta-Rap“ zu setzen. Genauso war es Rosenstolz zehn Jahre früher ergangen. Und so funktioniert es,
das große Musikgeschäft 2008: Verspricht
es Geld, verkauft man alles, egal ob Hetero„Arschficksong“ oder schwulen „Sex im Hotel“. Zynisch? Klar. Nur: Kann man der Musikindustrie ihre völlig wertfreie Einstellung
zur Dividende nach Noten verübeln? Natürlich kann man das, wahrscheinlich hat
man sogar Recht.
Aber man muss sich dann auch fragen lassen: Gilt der Protest nur Behilfs-GangstaRappern wie Bushido, oder auch Songs, in
denen die nicht minder erfolgreichen Toten Hosen oder die Ärzte dazu auffordern,
Rechte zu vermöbeln, Frauen doch ein bisschen zu verhauen, oder Alex mordend durch
die Stadt ziehen zu lassen? Ist man also generell gegen Gewalt im Pop, oder nur gegen
Gewalt, wo sie einem selbst gefährlich wird?
Die Antwort auf diese Frage muss jeder für
sich selbst finden.
Die Teeniepresse wird dabei nicht helfen. Aber schaden kann sie auch nicht. Fakt
ist: Die BRAVO macht heute genauso wenig
Stars wie Deutschlands zweitälteste Frauenzeitschrift Emma dafür sorgen kann,
dass Pornos verboten werden. Die Auflagen der Jugendpresse schrumpfen – ebenso wie die der Emma – kontinuierlich. Was
nicht nur daran liegt, dass es immer weniger
Jugendliche gibt, die gleichzeitig aus immer
mehr Kulturkreisen kommen, sondern vor
allem daran, dass auch das Internet so etwas wie ein Zentralorgan für Jugendkultur,
das die BRAVO noch in den 1990er-Jahren
war, längst unmöglich gemacht hat. Im Netz
ist jeder sein eigener Star und findet die, die
er für Stars hält, viel schneller als einmal
wöchentlich am Kiosk. Deswegen bildet die
BRAVO Erfolg heute nur noch ab, im großen Maßstab hervorrufen kann sie ihn nicht
mehr – da geht’s dem Musikmedium wie der
Musikindustrie. Egal ob LaFee ihrem Ex einen „Virus“ wünscht, FLER sich „fremd im
eigenen Land“ fühlt oder Bushido „Musik
für den Hof im Knast“ macht, sie sind erst
danach auf dem BRAVO-Cover, nicht davor.
Sollte man trotzdem protestieren – dagegen
etwa, dass die BRAVO bei einem „Konzert
gegen Gewalt“ Verkaufsschläger Bushido auf
die Bühne lässt, um sich anschließend über
die einhergehenden Proteste auszuschweigen? Ja, sollte man, weil das ein schwerer
medialer Fehler war und die gesamte Veranstaltung entwertete.
Man sollte jedoch nicht reflexartig so tun,
als stünde der Untergang des Abendlandes bevor. Denn die Entmachtung klassischer Medien und der großen Plattenfirmen, die es Verbalrandalierern wie FLER
leicht macht, hat auch viele Vorteile für Fans
queerer Künstler. Noch nie in der Geschichte der Popmusik waren so viele von ihnen so
erfolgreich wie im neuen Jahrtausend, noch
nie waren sie über das Internet und alternative Medien so sichtbar wie heute. Gut so.
Den Bock zum Gärtner gemacht – Proteste gegen Berliner R apper Bushido
Das im August 2007 von der Jugendzeitschrift BRAVO und dem Musik-TV-Sender
VIVA initiierte Anti-Gewalt-Event „Schau nicht weg!“ geriet zur Farce, nachdem die
Veranstalter trotz breiten Protestes aus Politik und Interessenverbänden am Auftritt des
umstrittenen Krawall-Rappers Bushido festhielten. Mit der Argumentation, keiner seiner
für den Live-Act am Brandenburger Tor geplanten Songs wäre als jugendgefährdend
eingestuft, verweigerten die Veranstalter bereits im Vorfeld jegliche Diskussion; die
Eignung Bushidos als Anti-Gewalt-Botschafter stünde außer Zweifel. Jedoch kamen
weder der Berliner Rapper noch die Veranstalter der wiederholten Aufforderung von
MANEO nach, sich unmissverständlich auch von antischwuler Gewalt zu distanzieren.
Stattdessen verteidigten sie Bushidos Texte wie „Berlin wird wieder hart, denn wir
verkloppen jede Schwuchtel“ als einer legitimen Jugendsprache entlehnt und gar nicht
ernst gemeint. MANEO kritisierte diese offensichtliche Ignoranz auf Schärfste und
unterstütze nach mehreren gescheiterten Gesprächsangeboten eine parallel zum Konzert
stattfindende Protestkundgebung. Deren rund 50 Teilnehmer, darunter Vertreter u.a. der
Schwulen Lehrer der GEW-Berlin, des Vereins ABqueer, der Schwullesbischen Gruppe
von Ver.di Berlin-Brandenburg, der Vereinigung lesbisch-schwuler Polizeibediensteter
VelsPol Berlin-Brandenburg, des LSVD-Landesverbands Berlin-Brandenburg sowie
von Mann-O-Meter und MANEO, griff Bushido dann während seines Auftritts frontal
an. Unter zustimmenden Buh-Rufen des Publikums lästerte er: „Es geht heute Abend
nicht um die Schwulen, die da gegen mich demonstriert haben. Ich würde nie gegen
Homosexuelle demonstrieren. Aber ich hoffe, die hatten ihren Spaß dabei.“ An die Adresse
der Homosexuellen zeigte er dann den ausgestreckten Mittelfinger in die TV-Kameras:
„Die Wichser können demonstrieren, sich aufhängen – ich scheiß’ drauf!“ MANEO-
Projektleiter Bastian Finke erklärte
dazu: „Es ist ein handfester Skandal,
dass BRAVO und VIVA solchen Parolen
ein Forum bieten. Die Veranstalter haben
sich mit dem Auftritt Bushidos selbst
disqualifiziert. Das Konzert, mit dem
vollmundig behauptet wurde, Gewalt
an Schulen bekämpfen zu wollen, war
eine einzige Alibi-Veranstaltung. Mit
ernsthafter Anti-Gewalt-Arbeit hat das
nicht das Geringste zu tun, im Gegenteil:
Das Event konterkariert sämtliche
Bemühungen auf diesem Gebiet.“
(red)
Hass-Videos im Internet
Die Stärke des sogenannten Web 2.0 ist zugleich seine Schwäche: Wo jeder mit wenig
Aufwand und geringem technischen Know-how selbst erstellte Inhalte jedermann zugänglich machen kann, ist das Risiko groß, dass auch Inhalte Verbreitung finden, die
dazu geeignet sind, die Entwicklung einer toleranten und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit nachhaltig zu stören.
Im Sommer 2007 erhielt MANEO verstärkt Hinweise,
wonach insbesondere in Online-Videoportalen homophobe und Gewalt gegen Schwule verherrlichende Inhalte kursierten. MANEO-Projektleiter Bastian Finke
erklärte dazu: „Wir nehmen diese Hinweise ernst und
gehen ihnen nach. Jedoch können wir nicht selbst jeden
Tag das Internet auf homophobe und strafrechtlich relevante Inhalte durchforsten. Daher sind wir auf die Mithilfe der Internetnutzer angewiesen und bitten sie, uns
ihre Beobachtungen mitzuteilen.“
Obschon es ein ständiger Kampf gegen Windmühlen ist,
zeitigten die Bemühungen von MANEO bereits Erfolge.
Webvideo „Suppeinapuppe – Nachdem MANEO Anfang Juli 2007 bekannt wurde,
Keine Toleranz auf dem CSD“: dass über die Plattform YouTube.com Videoclips VerZwei lesbischen Frauen wird breitung fanden, die unverhohlen zu homophober Gezugerufen: „Die Untermenschen walt aufriefen, erstattete MANEO umgehend Strafkommen vom Fest.“
anzeige gegen unbekannt. Die Clips wurden noch am
selben Tag vom System gelöscht.
Finke: „Uns ist wohl bewusst, dass dies
nur ein Etappensieg war. Aber das Internet ist, wenn auch ein schwer überschaubarer, so doch kein rechtsfreier
Raum. Eine Duldung dort verbreiteter
antischwuler Parolen käme einer Aufgabe des Terrains gleich. Das kann nicht
im Interesse einer Gesellschaft sein, die
in stetig steigendem Maße dieses Kommunikationsmittel nutzt!“
Der Berliner Senat begrüßte daher ausdrücklich das Vorgehen von MANEO:
„Zu den Aufgaben von MANEO gehört
es, Gewaltopfern beizustehen und ihnen Hilfe zu leisten. Der Senat begrüßt
es, wenn sich Betroffenen bzw. deren
Organisationen gegen diskriminierende Darstellungen gegenüber Lesben und
Schwulen in Videoclips wehren“, so der
Senat auf eine Kleine Anfrage des CDUAbgeordneten Sascha Steuer vom 16.
August 2007 zum Thema Musikszene
ohne Jugendschutz?. (red)
Über die beiden oben beschriebenen Vorfälle informierte MANEO seinerzeit aktuell mit seinem MANEO-Newsletter (s. S. 34).
impuls - 2008
25
Homophobie und Fußball
Platzverweis hintenrum
Von Oliver Lück und Rainer Schäfer
Die beiden Sportjournalisten Oliver Lück
und Rainer Schäfer sind dafür bekannt,
den Ball nicht flach zu halten, wenn es um
Homophobie in Deutschlands populärster Sportart geht. Für impuls haben sie mit
zahlreichen Fußball-Insidern gesprochen,
von denen jedoch nur wenige bereit waren,
sich dem Thema offensiv zu stellen.
Die Stimme des Mannes zittert, überschlägt sich. Fast schreit er in den Telefonhörer. „Bei uns gibt es keine Homosexualität
in der Mannschaft!“ Das Gespräch sei hiermit beendet, erklärt er außer Atem. Nur eines noch: „Bei uns ist alles in Ordnung! Wir
haben auch kein Problem mit Schwulenfeindlichkeit!“ Der Pressesprecher hatte die
Fassung verloren. Dabei handelte es sich lediglich um eine Umfrage unter den 36 Profiklubs der ersten und zweiten Bundesliga, ob
man sich gegen das homophobe Klima in den
deutschen Fußballstadien engagieren wolle.
Das ernüchternde Resultat: Nur acht Vereine
reagierten überhaupt auf die Anfrage.
Fußball - schwulenfreie Männerzone?
Fußball und Homosexualität gelten noch
immer als unvereinbare Gegensätze. Im
Profifußball darf es offiziell keine Schwulen geben. Kein deutscher Profi hat sich bislang als homosexuell zu erkennen gegeben,
obwohl, statistisch gesehen, drei schwule
Teams in den Bundesligen spielen müssten.
Auch in den Vorstandsetagen der Liga-Klubs
sitzen homosexuelle Funktionäre, aber nur
Corny Littmann, Präsident des FC St. Pauli, kokettiert offen mit seinem Schwulsein.
Unter der Hand werden immer wieder einige Namen gehandelt, aber offen möchte keiner damit umgehen. Stattdessen wird weiter
Verstecken gespielt und viel Energie darauf
verwandt, Fußball als angeblich schwulenfreie Männerzone zu präsentieren und zu
erhalten.
Dabei musste in 45 Jahren Bundesliga keiner der heterosexuellen Kollegen „mit dem
Arsch zur Wand“ duschen, aus Angst, dass
er ungewollt penetriert würde, wie eines der
beliebtesten Klischees im Fußball besagt.
„Da werden alle Ängste vor Schwulen mobilisiert, die man sich vorstellen kann“, sagt
die Kulturwissenschaftlerin Tatjana Egge-
le Fußballer im Geheimen. „Ich fühle mich
beschissen. Auch meine Frau weiß nichts
davon“, offenbarte ein verzweifelter Zweitligaprofi seine absurden Lebensverhältnisse gegenüber dem Fußballmagazin RUND.
Offiziell ist er verheiratet, lebt aber schon
seit seiner Jugend in einer festen Beziehung
mit einem Schulfreund zusammen. „Aber
was soll ich machen? Ein Outing wäre das
Ende meiner Karriere, mein Tod.“
MANEO-Plakat zur Fußball WM
2006. Prominente Sportler und
Künstler sowie der Reg. Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit,
zeigen die Rote Karte: „Homophobie
und Hassgewalt haben keinen Platz
in unserer Mitte!“ Im Uzs.: Klaus
Wowereit, Reg. Bürgermeister; Marc
Hartensuer, Füchse Berlin; Désirée Nick, Schauspielerin; Christian Beeck, 1. FC Union Berlin; Georg
Uecker, Schauspieler; Oliver Flemming, Berlin Thunder.
ling, „und die verbieten es, sich dem Thema
zu stellen.“ Das Bild des sexuell gierenden
Schwulen, immer bereit, einen der Kollegen in den weiträumigen Funktionsräumen
der Stadien „zu vernaschen“, ist eine bittere
Parodie auf die wirklichen Lebensumstände. Die sind oft von Angst und Verzweiflung
geprägt.
Versteckspiel zugunsten der Karriere
Während ein Coming-out in anderen Gesellschaftskreisen zumeist nur noch nebensächlich zur Kenntnis genommen wird und
schwule Politiker oder Fernsehstars mit ihren Lebenspartnern ganz selbstverständlich
auf Empfängen erscheinen, leben schwu-
Auch der Erstligaprofi, der ebenso eine langjährige homosexuelle Partnerschaft führt,
ist es leid, dass ihn eine eingeweihte Freundin zu den Mannschaftsabenden und Weihnachtsfeiern begleitet, um den Eindruck zu
erwecken, „normal“ zu sein. „Die Notlügen
und die Heimlichtuerei sind unglaublich belastend.“ Scheinehen, zu denen auch Kinder
gehören können, dienen dazu, das Leitbild
des potenten und heterosexuellen Fußballprofis aufrecht zu erhalten. Dass ein Spieler unter diesen Bedingungen selten seine
bestmögliche Leistung erbringen kann, liege auf der Hand, weiß der Sportpsychologe
Dr. Martin Schweer, der seit Jahren schwule
Fußballprofis betreut (s. S. 30): „Es ist eine
kontinuierliche Problemlage; es geht nur darum, halbwegs zurechtzukommen.“
Gefangen in einer Schweigespirale
Es ist ein Funktionieren unter unwürdigen Lebensumständen, ein erfülltes Leben
ist nicht möglich. „Je bekannter die Profis
sind, desto schwieriger wird es, die Fassaden eines solchen Doppellebens aufrechtzuerhalten“, glaubt Tatjana Eggeling. „Sport
ist einer der konservativsten Bereiche unserer Gesellschaft. Der Arbeitersport wurde
jahrzehntelang nur von Männern und deren
Sichtweise dominiert“, erklärt die Kulturwissenschaftlerin. Andere Lebensweisen
finden da keinen Platz. „Das Fremde löst besonders viel Angst aus, auch weil Sport ganz
nah an der Körperlichkeit dran ist. Dem wird
besonders aggressiv und intolerant begegnet.“ Selbst ausgewiesen soziale und liberal denkende Spieler wie die Nationalspieler Christoph Metzelder von Real Madrid
(„Ein zu heißes Eisen, zu dem ich mich auf
keinen Fall äußern möchte“) und Sebastian
Kehl von Borussia Dortmund („Kein Kommentar“) schweigen lieber zum Thema, weil
impuls - 2008
27
>>
Homophobie und Fußball
sie fürchten, in ein falsches Licht zu geraten
und in einem auf Kraft und Härte verpflichteten Männerkosmos gedemütigt zu werden, in dem Homosexualität als Schwäche
gilt. „Dabei wäre es wichtig, dass heterosexuelle Spieler sagen würden, dass Schwule kein Problem für sie sind“, glaubt Tanja Walther von der European Gay & Lesbian
Sport Federation (EGLSF), „das Fehlen eines solchen Statements belegt, dass das Klima nicht stimmt.“ Die Diskriminierung von
Homosexuellen wird noch auf lange Sicht
ein Bestandteil des Fußballs bleiben, solange Homophobie totgeschwiegen wird, in
den Verbänden, in den Klubs und von den
Sportlern. Fortschritte vollziehen sich nur
sehr schleppend. Nur wenige Profis lassen
sich in diesem Kontext zitieren, wie kürzlich Nationalspieler Philip Lahm im Magazin Front: „Wenn ein Spieler schwul ist, ist
er trotzdem mein Mannschaftskollege, und
für mich würde sich im Umgang mit ihm
nichts ändern.“ Unterstützung erhält Lahm
von Michael Preetz, dem früheren Nationalspieler und jetzigen Leiter der Lizenzspielerabteilung des Bundesligisten Hertha
BSC Berlin: „Homosexuelle gibt es in allen
Gesellschaftsschichten, auch im Sport und
auch im Fußball. Ich bin gegen jegliche Form
der Diskriminierung, auch gegen Homophobie.“ Eine Aussage, die selbstverständlich sein sollte, im Fußball aber viel zu selten
zu hören ist.
Den ersten beißen die Hunde
Immerhin wird die Existenz homosexueller
Kollegen nicht mehr kategorisch abgestritten, wie es über Jahrzehnte der Fall gewesen
ist. „Ich glaube schon, dass es auch schwule Fußballprofis gibt“, sagt etwa Ivan Klasnic, Stürmer des SV Werder Bremen, „auch
wenn ich es selber noch nicht gesehen habe,
dass sich zwei Spieler wild geknutscht hätten. Ich habe nichts gegen Schwule. Wenn
sie ihre Sachen machen wollen, sollen sie
das. Jeder wie er will.“ Auch der deutsche
Ex-Nationalspieler Robert Huth vom FC
Middlesbrough sagt, er habe mit Homosexualität „kein Problem“: „Jeder soll so leben, wie er will.“ Er gibt aber zu bedenken,
dass sich ein Spieler mit einem Coming-out
„gewiss keinen Gefallen tun“ würde. „Dieser hätte im Stadion sicher nicht das schönste Leben.“ Eine starke Persönlichkeit wäre
vonnöten, um die Konsequenzen eines Coming-outs auszuhalten. „Der erste Profi,
der das auf sich nimmt, kommt nicht mehr
zum Schlafen, zum Essen und zum Trainieren“, mutmaßt Tatjana Eggeling. Jens Todt,
Fußball-Europameister von 1996 und heute
Journalist, pflichtet bei: „Der wird sicher ein
28 impuls - 2008
Homophobie und Fußball
Jahr lang niedergemacht, zu Hause und auswärts.“ Sicher auch ein Grund dafür, warum
die Klubs fast panisch reagieren, wenn Homosexualität thematisiert werden soll. Und
so kommt es, dass selbst ein aufgeschlossener und aufmerksamer Profi wie Jens Todt in
13 Jahren nicht mitbekommen hat, „dass einer schwul ist. Klar kann man sich Gedanken machen, wenn einer nie eine Frau oder
Freundin zu Feiern mitbringt. Aber zu den
meisten Spielern hat man keinen engen privaten Kontakt.“ Auch Henning Bürger, ExProfi des FC St. Pauli und des FC Schalke 04
und heute Trainer des Zweitligisten FC Carl
Zeiss Jena, hat bislang keinen homosexuellen
Profi kennen gelernt, glaubt aber auch, dass
sich so schnell keiner outen werde: „Dann
wäre der Rummel riesig. Gerade bei Auswärtsspielen müsste ein bekennender Homosexueller einen riesigen Druck aushalten.
Irgendwann passiert es sicher, noch ist die
Angst aber viel zu groß.“
Mangelnde Sensibilität
Seitens der Vereine und Verbände wird noch
wenig unternommen, um schwulen Fußballern die Angst vor Repressionen zu nehmen.
Die meisten deutschen Profiklubs haben den
Anti-Rassismus-Paragraphen in ihre Satzung
aufgenommen, den gegen sexuelle Diskriminierung findet man bei den wenigsten. Und
auch beim Deutschen Fußball-Bund (DFB)
stehen Maßnahmen gegen Homophobie nicht
auf der Prioritätenliste. Sechs Jahre hat es
gedauert, bis der DFB den 1994 vom Bündnis
aktiver Fußballfans (BAFF) vorgeschlagenen
Anti-Rassismus-Paragraphen umsetzte, auf
den 2002 empfohlenen Homophobie-Katalog
ist der Verband noch nicht weiter eingegangen. „Beim Thema Rassismus kann der DFB
es sich nicht mehr leisten zu schweigen, auch
aus Imagegründen“, meint Gerd Dembowski,
Fanaktivist und Fußballautor, „Homophobie
aber kann man noch verdrängen. In der Hierarchie der Diskriminierungen steht sie ganz
weit hinten, hinter Rassismus, Frauen und
Behinderten.“
Dabei ist die Situation in den deutschen Stadien alarmierend, wie BAFF-Sprecher Martin Endemann aus wöchentlichem Anschauungsunterricht weiß: „Bei Homophobie ist
gar kein Bewusstsein da. Sehr viele Choreographien beschäftigen sich damit, dass der
Gegner schwul ist. Ganze Kurven verbreiten
homophobe Inhalte – wären es rassistische
Inhalte, gäbe es einen Riesenaufruhr. Nähme
der DFB Homophobie in seinen Strafenkatalog auf, müsste er fast jedes Bundesligastadion dicht machen und jedes zweite Bundesliga-Spiel abbrechen.“
Vorsichtiger Optimismus bei Aktivisten
Ein Novum erlebten die Besucher des ersten Aktionsabends gegen Homophobie im
deutschen Fußball, zu dem die EGLSF, BAFF
und das Magazin RUND im Oktober letzten
Jahres nach Berlin eingeladen hatten. Denn
erstmals beteiligte sich der DFB in Person
von Helmut Spahn, dem Sicherheitsbeauftragten und Leiter der Task Force, öffentlich an einer Podiumsdiskussion zum Thema. Spahns Aussagen lassen hoffen, dass der
DFB gegen das schwulenfeindliche Klima in
den Stadien und auf den Fußballplätzen aktiv vorgehen wird: „Gerade was sich Woche
für Woche in dieser Hinsicht in den unteren Ligen abspielt, ist nach wie vor erschütternd. Wir haben das Problem erkannt und
werden es angehen“, versprach Helmut Spahn und ging sogar noch einen Schritt weiter: „Wenn sich ein prominentes Mitglied des
Frauen- oder des Männer-Nationalteams als
homosexuell outet, wäre der DFB der Letzte,
der damit ein Problem hätte. Wir würden ihn
in jeder Hinsicht unterstützen.“ Ein großes
Versprechen, das Erstaunen, aber auch Erwartungen auslöst.
verbal beleidigt. Asamoah bezichtigte Weidenfeller, ihn ,,schwarzes Schwein‘‘ genannt
zu haben. Vom Vorwurf des Rassismus’ wurde Weidenfeller allerdings frei gesprochen.
„Schwules Schwein“ hätte er gerufen, gab er
vor dem Sportgericht zu, und wurde wegen
,,einer herabwürdigenden und verunglimpfenden Äußerung‘‘ zu einer Geldbuße von
10.000 Euro und einer Sperre von drei Spielen verurteilt. Im Falle einer rassistischen
Äußerung hätten Weidenfeller sechs Spiele
Sperre gedroht.
2. Aktionsabend gegen Homophobie im FuSSball
Nachdem zahlreiche Vereine und Organisationen, darunter auch MANEO, am
12. Oktober 2007 die „Erklärung gegen Homophobie im Fußball“ unterzeichneten,
lädt die EGLSF am 23. Mai 2008 zum zweiten Aktionsabend nach Köln, zu dem auch
DFB-Präsident Theo Zwanziger erwartet wird. War Organisatorin Tanja Walther im
Vorjahr noch „vorsichtig optimistisch“, sei sie nun „vorsichtig und ein bisschen mehr
optimistisch“, weitere Vereine zur Unterzeichnung der Erklärung bewegen zu können.
(red)
www.eglsf.info
Alle Vereine der ersten und zweiten Bundesliga sowie der Regionalligen waren zur Veranstaltung eingeladen. Dass nur wenige Klubs
kamen, zeigte einmal mehr, dass der Fußball
die Homophobie noch immer nicht erkannt
hat oder nicht erkennen will. Aus den Bundesligen unterzeichneten einzig Werder Bremen, Energie Cottbus, Carl-Zeiss Jena, der
Hamburger SV und Gastgeber Hertha BSC
Berlin die „Erklärung gegen Diskriminierung im Fußball“. „Ein Anfang“, blieb Mitorganisatorin Tanja Walther von der EGLSF
vorsichtig optimistisch. In diesem Jahr soll
ein zweiter Aktionsabend in Köln folgen.
Immerhin hat der DFB seine Unterstützung
für die Ausrichtung eines Spieles vor einer
Bundesligapartie zwischen einem schwulen
Männerteam und einer Prominentenauswahl zugesagt. Tanja Walther: „Das könnte
helfen, das Thema weiter in die Öffentlichkeit zu bringen. Nur so wird sich das homophobe Klima nach und nach verändern.“
Messen mit zweierlei Maß beim DFB sendet
falsches Signal
Dass der DFB und seine Sportgerichtsbarkeit
„Rassismus“ und „Homophobie“ nach wie
vor unterschiedlich schwer gewichtet, zeigt
ein Vorfall im Bundesligaderby zwischen dem
FC Schalke 04 und Borussia Dortmund vergangenes Jahr. Dortmunds Torwart Roman
Weidenfeller hatte den dunkelhäutigen Stürmer Gerald Asamoah nach einem Zweikampf
MANEO-Plakat zur Fußball WM 2006. Die Kampagne wurde unterstützt vom
Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, sowie vom Polizeipräsidenten
von Berlin, Dieter Glietsch. Unter anderem als City-Light-Poster war das Motiv lange
Zeit im Berliner Stadtbild präsent.
impuls - 2008
29
Homophobie und Fußball
Homophobie und Fußball
Vom Platz auf die Couch
„24 Stunden in Angst“
Von Rainer Schäfer
Interview: Oliver Lück und Rainer Schäfer
Dr. Martin Schweer, Direktor des Instituts
für Soziale Arbeit, Angewandte Psychologie
und Sportwissenschaft an der Hochschule
Vechta, berät traumatisierte Spitzensportler – darunter auch Profifußballer, die ihre
Homosexualität verheimlichen müssen.
Deshalb tarnen sich die meisten schwulen
Sportler. Sie schlüpfen in eine andere, oftmals verhasste Identität und versuchen mit
den Widersprüchen ihrer schizoid zerfransten Existenz möglichst viele Jahre über die
Runden zu kommen – einige davon mit Martin Schweers Hilfe. Auch wenn die mediale Präsenz und Penetranz inzwischen feste
Konstanten in dessen Tagesablauf darstellen: Dr. Martin Schweer ist kein auf schwulen Sport spezialisierter PR-Manager, er ist
Direktor des Instituts für Soziale Arbeit,
Angewandte Psychologie und Sportwissenschaft an der Hochschule Vechta.
Schweer engagiert sich auch an einem europäischen Forschungsprojekt zur Thematik
„Sexuelle Orientierung und Hochleistungssport“, da bestätigt sich europaweit im Gro-
30 impuls - 2008
Martin Schweer ist viel unterwegs, seine
Dienste sind gefragt. Spezialgebiet: traumatisierte Sportler. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit betreut er seit Jahren als
Sportpsychologe schwule Spitzensportler,
darunter auch Fußballprofis, die zu den besten in Deutschland zählen. So unterschiedlich sie in ihrer Persönlichkeit sind, eines
verbindet sie alle: Sie können, wollen sie ihr
Geld als Profi verdienen, ihre Homosexualität nicht ausleben. Eine Konstellation, die
viele Probleme mit sich bringt und wenige
Lösungsansätze zulässt – die Leistungssport
erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht.
„Sie ist mit einem enormen Leidensdruck für
die Sportler verbunden“, weiß Schweer.
Vor allem schwule Fußballprofis kommen
nicht mit ihren teilweise absurden Lebensverhältnissen zurecht. Mit den extremen
emotionalen Schwankungen, die sie aushalten müssen: Nach außen sind sie gefeierte und beneidenswerte Stars in einem Sport,
der sich hart und männlich gibt. Und privat
Menschen, die an ihrer Rolle verzweifeln:
Zutiefst verunsichert, weil sie einen elementaren Teil ihrer Identität nicht zeigen können und dürfen. „Ich weiß aus meiner Be-
ratungsarbeit, dass diese Spieler für sich nur
die Wahl sehen, ein Versteckspiel zu führen
und ihre Homosexualität zu vertuschen. Vor
dem Trainer, der Mannschaft und dem eigenen Management. Das stellt eine erhebliche
psychosoziale Belastung dar.“
Der Hamburger Theaterintendant und
Präsident des deutschen Zweitligaklubs FC
St. Pauli, Corny Littmann, lässt sich nur
selten den Mund verbieten. Der 54-Jährige
über seine Arbeit als erster offen schwuler
Vereinsboss.
Trotz dieser belastenden Umstände schaffen
es Fußballprofis, nach ganz oben zu kommen. Sie spielen in Spitzenklubs und in der
Nationalmannschaft. Die meisten aber bleiben auf der Strecke. Sie entscheiden sich gegen ihr Talent und ihre Karriere und für ein
Leben mit weniger Angst und Selbstverleumdung.
Herr Littmann, wären Sie heute so bekannt,
wenn Sie nicht schwul wären?
Corny Littmann: (lacht) Über diese Frage
könnte ich mich totlachen! Vielleicht wäre
ich heute nicht so bekannt, wenn ich größer als 1,70 Meter wäre oder mehr Haare auf
dem Kopf hätte.
Die Zuversicht, dass gerade der Fußball sich
von seinem homophoben Grundklima befreien kann, hat Martin Schweer in den Jahren seiner sportpsychologischen Beratung
nach und nach zurückgefahren. Die tägliche Arbeit, die vielen bedrückenden Fakten
und Gespräche legen es nahe. Seinen Sportlern rät er deshalb zur Zurückhaltung im öffentlichen Umgang mit ihrer Homosexualität: „Ich kann derzeit keinem raten, damit
konfrontativ umzugehen. Ich halte es für die
sinnvollere Alternative, an vielen Stellen ein
Umfeld und Klima zu schaffen, das antidiskriminierend ist.“
Die großen Lösungen können Psychologen wie Martin Schweer nicht anbieten. Sie
können homosexuellen Sportlern nur zeitweise Linderung verschaffen, Ruhephasen
in einer anstrengenden Hetzjagd. Es ist noch
ein langer Weg, bis Sportler unabhängig von
ihrer sexuellen Orientierung beurteilt werden. Auch wenn das Thema immer häufiger
medial angegangen wird. Vielleicht auch gerade deswegen.
Als heterosexueller Fußballpräsident wären Sie aber vermutlich weit weniger interessant für die Medien.
Das ist doch aber nicht mein Problem, sondern das der Medien. Schon in jungen Jahren war ich Fußballfan, da hatte ich von
Männern, Frauen oder Sex noch überhaupt
keine Ahnung. Der Beginn meiner Fußballleidenschaft liegt lange vor meiner Geschlechtsreife.
Ein homosexueller Profi müsste um seine
Karriere bangen, sollte er sich outen. Wie
erleben Sie die alltägliche Atmosphäre in
den Stadien?
Da die Besucher eines Fußballstadions recht
gut den Durchschnitt der Bevölkerung repräsentieren, gibt es nach wie vor auch Homophobie beim Fußball. In ländlichen Gebieten ist das noch ausgeprägter als in
Stadtgebieten. „Schwule Sau“ ist aber sicher
überall noch immer ein Schimpfwort, auf
und neben dem Fußballplatz. Und sicher gibt
es auch versteckte Homophobien beim Fußball. Es ist aber auch eine Frage, wie man damit umgeht. In Deutschland gibt es mittlerweile einige schwul-lesbische Fangruppen,
© FC St. Pauli
Es vergeht kaum mehr ein Tag, an dem Martin Schweer keine dieser Anfragen erhält: Er
solle doch, bitteschön, mal eben einen homosexuellen Sportler für ein Interview vermitteln. Es sind Ersuchen, die schnell im Papierkorb landen. Schweer lehnt sie grundsätzlich
ab, auch um keinen der von ihm betreuten
Sportler zu gefährden. Denn das Verlangen
der Medien ist in den überwiegenden Fällen
zu offensichtlich, zu leicht durchschaubar:
Es ist ein voyeuristisches Interesse an den
Sportlern und deren Leiden. Das darin begründet ist, dass sie homosexuell sind. Eine
sexuelle Orientierung, die in mancher Profisportart immer noch einem Berufsverbot
gleichkommt.
ßen, was er hierzulande im Kleinen schon
längst erfahren hat: Wie brisant dieses Thema immer noch ist. Dass sich ganz schnell
Türen schließen, die sonst offen stehen. Bei
Sportlern, Funktionären, Managern und
Sponsoren. „Das Thema Homosexualität ist
in keinster Weise selbstverständlich“, sagt
Schweer. „Gerade in stark männlich konnotierten Sportarten, wie es der Fußball ist,
stellt Homosexualität noch ein großes Problem dar.“ Ein offener Umgang mit ihr ist in
den meisten Sportarten immer noch nicht
möglich.
die aktiv gegensteuern und auch mehr und
mehr wahrgenommen werden. Die Schwulen sind nicht nur in der Opferrolle, sie wissen sich zu wehren und tun es auch.
Sind schwul-lesbische Fanclubs ein Ausdruck von gewachsenem Selbstbewusstsein?
Es ist zuallererst ein Ausdruck von großer
Fußballleidenschaft. Wenn ich mir zum Beispiel im Internet die Spielberichte durchlese, die von den schwulen Anhängern geschrieben und veröffentlicht werden, dann
ist das zunächst ein subjektiver und durch
Sachverstand geprägter Bericht. Es tauchen aber natürlich auch Sichtweisen auf,
die einem heterosexuellen Fußballfan völlig
fremd sind – etwa, ob ein Spieler attraktiv
ist. Grundsätzlich glaube ich aber, dass die
Existenz schwul-lesbischer Fangruppen das
Klima positiv beeinflusst.
nes Verdachts aufkommen zu lassen, vielleicht als schwul gelten zu können. Das kostet unglaublich viel Energie und raubt dir
alle Sinne. In jeder Sekunde musst du auf
jedes deiner Worte, jede deiner Handbewegungen, jede Kleinigkeit achten. Lach an der
richtigen Stelle über einen Witz, den deine heterosexuellen Kollegen lustig finden,
du aber ganz und gar nicht. Lebe möglichst
mit einer Frau zusammen, damit gar nicht
erst Gerüchte entstehen. Diese Lebensumstände sind das eigentliche Drama schwuler
Fußballer.
Sie haben es als schwuler Präsident einfacher?
Natürlich, ich muss mich nicht auf dem Platz
beweisen und kann meine Homosexualität offen ausleben. Das ist wohl nur beim FC
St. Pauli möglich. Woanders hätte man mich
vermutlich gar nicht gewählt. Meine sexuellen Neigungen waren im Verein jedenfalls
noch nie ein Thema.
Herr Littmann, wir danken Ihnen
für dieses Gespräch.
Kennen Sie schwule Fußballprofis?
Ja, ich würde die Namen aber nie öffentlich
nennen. Viel wichtiger ist, dass sich auch
Ihre Leser einmal bewusst machen, in welch
verzweifelter Lage ein schwuler Profi ist. 24
Stunden am Tag muss er mit der Angst leben, entdeckt zu werden. Er muss immer
alles dafür tun, bloß nicht den Hauch ei-
impuls - 2008
31
Homophobie und Fußball
Homophobie und Fußball
Hort der Homophobie
Von Dr. Tatjana Eggeling
Die Welt des Fußballs empfängt Lesben und
Schwule nicht mit offenen Armen, Homosexualität ist hier ein Tabu. Über sie wird selten gesprochen und die Verletzung des Tabus
verspricht allerlei Sanktionen bis hin zum
Ausschluss aus dem Team. Es wird unhinterfragt davon ausgegangen, dass alle Aktiven –
TrainerInnen, FunktionärInnen, AthletInnen
usw. – heterosexuell sind, alles andere ist
undenkbar. Dennoch befürchten viele – heterosexuelle – Beteiligte, im Sport auf Lesben und Schwule zu treffen. Sie versuchen
mit homophoben Strategien, diese Begegnungen zu vermeiden, Homosexualität nicht
denken, nicht erfahren, nicht sehen zu müssen, in keiner Weise mit ihr in Berührung zu
kommen. Sie macht Angst, wird als ein gefährliches Anderes ausgegrenzt und als dem
Ansehen des Fußballs schadend be-trachtet.
Der Fußball, für viele „die schönste Nebensache der Welt“, hält besonders beharrlich an
überkommenen Werten und Normen fest und
weigert sich, gesellschaftliche Wandlungsprozesse anzuerkennen.Er stützt sich dabei
auf folgende Denkmuster und Vorstellungen.
Zum einen ist dies die Heteronormativität,
die auf zwei Annahmen beruht: der von zwei
distinkten Geschlechtern – dem männlichen
und dem weiblichen – und der des grundsätzlichen heterosexuellen Begehrens. Zum
zweiten sind dies patriarchale Vorstellungen von Wert und Eigenart der Geschlechter;
das Männliche ist im Fußball wie in anderen
Sportarten auch Richtschnur und Messlatte
aller Dinge, dem das Weibliche hierarchisch
untergeordnet ist. Beide gehen eine fatale
produktive Allianz ein. Zudem ist im Sport
der Körper zentrales Medium, während er
in fast allen anderen gesellschaftlichen Bereichen (zumindest in spätindustrialisierten
Gesellschaften) längst nicht mehr die Rolle spielt, die er einst für Arbeit und Überleben hatte. Er ist zugleich die Bühne für die
Aufführung traditioneller Geschlechterrollen; auch Sexualität ist eine Sache des Körpereinsatzes. All dies bildet ein normatives
Geflecht von Akzeptablem und Nichtakzeptablem, das Lesben und Schwule zu verletzen
scheinen.
Schwulen wird unterstellt, sie wollten ihren
Mitspielern „an die Wäsche“. Kurzschlussartig werden gedanklich Freizeit- oder be-
32 impuls - 2008
rufliche Beschäftigung mit einem unaufhaltsamen Drang, das sexuelle Begehren
auszuleben, in Eins gesetzt – ein unbegründeter Reflex, denn im Sport kommen sexuelle Übergriffe von heterosexuellen Männern
auf von ihnen abhängige Mädchen oder junge Frauen weit häufiger vor als von Schwulen
auf andere Männer. Schwule gelten nicht als
„echte“ Männer, sondern als weich, schwach,
empfindlich u.ä., Beschimpfungen wie
„Weichei“, „Warmduscher“ oder „Memme“
sind sinnfälliger Ausdruck für die Gleichsetzung von „Schwulsein“ und Weiblichkeit. Schon im Jugendalter lernen Fußballer,
dass Schwule minderwertig sind, und trainieren nicht nur den versierten Umgang mit
dem Ball, sondern auch das Verstecken und
Verleugnen all dessen, was als schwul wahrgenommen werden könnte. Schwule Fußballer sind deshalb zu einem psychisch und physisch sehr anstrengenden Spagat gezwungen;
sie müssen sich möglichst heterosexuell geben. Die hierfür aufgewendete Energie steht
für den Sport nicht mehr zur Verfügung.
Schwule, die den Spagat nicht aushalten und
auf eine Fußballkarriere verzichten, fällen
eine nicht nur persönlich weitreichende sondern auch für ihren Sport bedeutsame Entscheidung. Der Fußball verliert Talente; die
Homophobie im Fußball hat letztlich also
auch negative ökonomische Folgen.
Der Homophobie sind Lesben im Fußball
ebenfalls ausgesetzt, sie bekommen sie nur in
anderer Weise zu spüren. Zunächst finden sie
als Frauen weniger Anerkennung als Männer,
denn sie sind in eine Männerdomäne eingebrochen, die proletarisch-männliche Tugenden und Eigenschaften verlangt: Fußball
gilt vielen, auch vielen Aktiven, geradezu als
Kampfsport, der besonderen Körpereinsatz
verlangt und Zimperlichkeit, Zurückhaltung,
übermäßige Vorsicht und Sorge um die eigene körperliche Unversehrtheit im Spiel – also
Verhaltensweisen, die traditionell als weiblich betrachtet werden – sofort ahndet.
Es ist zwar weithin bekannt, dass im Frauenfußball (im Breiten- wie im Leistungssport)
viele Lesben mitspielen, doch in den oberen Ligen unterliegen sie Stillhalteabkommen, die von ihnen verlangen, ihr Lesbischsein nicht in die Öffentlichkeit zu tragen. Die
heterosexuelle Ordnung wird einer Doppel-
moral folgend aufrechterhalten. Lesbischsein wird weniger ernst genommen und ist
weniger angstbesetzt als Schwulsein, analog zur relativen Geringschätzung der weiblichen Sexualität gegenüber der männlichen.
Ebenso wird Frauenfußball immer noch
nicht überall als „echter“ Fußball ernst-,
sondern als missglückte Imitation des Männerfußballs wahrgenommen. Und da der
Fußball als kampfbetontes Spiel Fähigkeiten
verlangt, die als „männlich“ gelten, werden
Fußballerinnen immer noch von vielen nicht
als „echte“ Frauen betrachtet, dazu sind sie
ihnen zu kerlig, robust und unattraktiv – Attribute, die gemeinhin Lesben zugeschrieben
werden –, und verstoßen gegen die Normen
geschlechtskonformen Verhaltens.
Denkmuster und Verhaltensweisen lassen
sich nicht leicht ändern, doch ist ein nachhaltiger Wandel im Fußball möglich. Zunächst einmal muss die Homophobie als
Problem benannt und anerkannt werden,
um dieses Bewusstsein dann in konkrete Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen
umzusetzen: in gezielte Ausbildungseinheiten für die Trainerausbildung, die explizite Aufnahme von Antidiskriminierungsparagraphen in Satzungen von Vereinen und
Verbänden, in aktives Vorgehen gegen Diskriminierung von Lesben und Schwulen auf
dem Platz und auf den Rängen usw. Dem
Sport wird nicht grundlos ein integratives
Potential und die Fähigkeit zur Sozialität
zugeschrieben; der Fußball als kulturell und
ökonomisch mächtige Institution könnte das
eindrücklich belegen, indem er im aktiven
Auftreten gegen Homophobie gesellschaftliche Verantwortung in einem demokratischen Gemeinwesen zeigt.
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impuls - 2008
33
Engagement
Homophobie und Religion
Danksagung
Engagement
Kolumnentitel
MANEO bedankt sich bei seinen Sponsoren
und Spendern für die Unterstützung in 2007.
Sponsoren 2007
Spender 2007
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Hochschulen, Universitäten und
Forschungseinrichtungen.
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Missionsarbeit für die Freuden des Sicheren
Geschlechtsverkehrs.
Ältester filmtechnischer Dienstleister
und Postproduzent in Deutschland.
Enjoy Bed and Breakfast. Die Zimmervermittlung für Schwule, Lesben und
Freunde.
Deutsche Film- und Fernsehakademie
Berlin GmbH.
34 impuls - 2008
Licht, Liebe, Lust und Latex – Schwesternschaft der Perpetuellen Indulgenz e.V
impuls - 2008
35
Engagement
© MANEO
Stimmen zu Maneo
„Seit vielen Jahren verfolge ich mit
Respekt und Sympathie den professionellen Einsatz von MANEO zugunsten von Opfern von Gewalttaten
sowie die gezielte Aufklärungsarbeit
im Rahmen des Projektes.“
Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister von Berlin
MANEO am Nollendorfplatz in Berlin-Schöneberg
Unterstützung für MANEO
Seit 18 Jahren leistet MANEO erfolgreich Opferhilfe- und Gewaltpräventionsarbeit, erfasst gegen Schwule gerichtete Gewalttaten und mobilisiert bürgerschaftliches Engagement
– die Schlagkraft des Projekts liegt nicht zuletzt in der Vernetzung dieser vier Kernbereiche
begründet. Jedoch reicht die Förderung der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend
und Sport schon seit langem nicht mehr aus, die vielfältige Arbeit von MANEO zu finanzieren. Aufgrund der schlechten Berliner Haushaltslage drohen zudem beständig weitere Kürzungen. Mittlerweile beläuft sich die Summe auf 10.000 Euro, die MANEO als Eigenmittel
selbst erwirtschaften muss. Die hohe Qualität seiner Projektarbeit aufrechtzuerhalten gelingt MANEO vor allem, weil zahlreiche Ehrenamtliche und Helfer dem Projekt mit tatkräftiger Unterstützung zur Seite stehen. MANEO ist für jede helfende und jede gebende Hand
dankbar.
Spendenkonto: Mann-O-Meter e.V.
Bank für Sozialwirtschaft
BLZ 100 205 00
Konto-Nr. 312 60 00
Zweck: MANEO / Nicht-senatsfinanzierte Opferhilfearbeit
Spenden sind steuerabzugsfähig. Für die Erstellung einer Spendenquittung bittet MANEO
um eine Benachrichtigung. Telefon: 030-216 33 36, E-Mail: [email protected].
MANEO-Newsletter
Mit seinem E-Mail-Newsletter informiert MANEO regelmäßig über aktuelle Vorkommnisse
und Aktionen. Um in den Verteiler aufgenommen zu werden, genügt eine kurze Nachricht
an [email protected]; eine Faxvorlage ist online unter www.maneo.de zum Ausdrucken
bereitgestellt.
36 impuls - 2008
„MANEO, das schwule Überfalltelefon, hat eine Vorbildfunktion für
ganz Deutschland. Seit vielen Jahren leistet es Unterstützung für Opfer von Gewalttaten, sowohl durch
Nachsorge als auch durch die Organisation gewaltpräventiver Angebote. Auch dieses Projekt ist ein
hervorragendes Beispiel für gut organisiertes und wirkungsvolles bürgerliches Engagement. Punktgenau
setzt es dort an, wo es für die Betroffenen sinnvoll ist. Gerade im Bereich
der sogenannten Hasskriminalität – also der Kriminalität, die sich
gezielt gegen Angehörige bestimmter gesellschaftlicher Gruppen richtet–, ist es für die Opfer von Straftaten wichtig zu wissen, dass sie nicht
allein sind.“
Brigitte Zypries, Bundesjustizministerin, Berlin
Bleibtreustr. 6
Fon 313 58 00
www.bleibtreu-augenoptik.de
„MANEO betreibt in Berlin mit
großem Erfolg politische Aufklärungsarbeit. Mit seinem Überfalltelefon ist der Verein eine wichtige
Anlaufstelle für Opfer von Diskriminierung und Homophobie. Diesen
Erfolg trägt MANEO durch seine
Netzwerkarbeit in die europäischen
Partnerstädte und stärkt dort kleinere Organisationen, damit diese
genauso schlagkräftig werden."
Elisabeth Schroedter MdEP, Grüne/EFA
Fraktion im Europäischen Parlament
„Das Schwule Überfalltelefon Berlin ist als Opferhilfe weit über die
Grenzen Berlins hinaus bekannt und
hilfsbereit gewesen. Wer einmal Opfer antischwuler Gewalt war, weiß
diese Arbeit hoch zu schätzen.“
Georg Uecker, Schauspieler
Weitere Statements unter:
www.maneo-toleranzkampagne.de
www.regenbogenfonds.de
impuls - 2008
37
Ausstellung
Ausstellung
MANEO Wanderausstellung
„Zeugnisse schwulenfeindlicher Gewalt“
Als „abstoßend eindringlich und von zugleich nüchterner Sensibilität“ bezeichnete die Trierer Presse die MANEO-Wanderausstellung „Zeugnisse schwulenfeindlicher
Gewalt“, als diese Ende 2007 in der Universitätsstadt gastierte. Mit der bundesweit
einzigartigen Ausstellung zeigt MANEO
eine nüchterne Dokumentation realer Auswirkungen schwulenfeindlicher Gewalt,
ohne dabei die geschädigten Personen vorzuführen. Die Bilder von teils schwerwiegenden Körperverletzungen dokumentieren auf drastische Weise, dass antischwule
Gewalt, die von der breiten Öffentlichkeit
kaum wahrgenommen wird, keine Bagatelle ist. Die hier gezeigten Opfer stehen stellvertretend für viele, die, teilweise am helllichten Tag, angegriffen worden sind: in der
U-Bahn, im Bus, auf offener Straße, am Badestrand. Bilder können aber nur schwer
verdeutlichen, was Menschen durch einen
solchen Überfall erleiden. Es sind nicht nur
körperliche Verletzungen, die das Leben der
Betroffenen über lange Zeit belasten, beeinträchtigen und auch verändern, sondern oft
auch immer wiederkehrende oder andauernde Erfahrungen mit Beleidigung, Ausgrenzung, Abwertung und Erniedrigung.
Berlin-Neukölln, 7. August 2006
Graffiti „No Gay Area !!! – tötet Schwule !!!“ auf einem Berliner U-Bahnhof.
38 impuls - 2008
MANEO stellt seine Wanderausstellung seit
2007 Projekten und Einrichtungen zur Verfügung, um Diskussionen über Homophobie und Hassgewalt anzuregen. Die Ausstellung, die aktuell zwölf Motive umfasst,
wird kontinuierlich ergänzt. Eine identische
zweite Ausstellung ist parallel zur Wanderausstellung an wechselnden Orten in Berlin
zu sehen. (red)
impuls - 2008
39
Ausstellung
Ausstellung
Berlin-Schöneberg, 9. September 2005
Im Bus beleidigt, bespuckt und getreten. Eine gebrochene Rippe durchstach die Lunge.
Berlin-Köpenick, 3. Juli 2001
Beim Baden am Müggelsee als „schwule Sau“ beleidigt und getreten: fünffach gebrochener Kiefer.
Berlin-Schöneberg, 23 . August 2005
Vor einem Lokal sitzend als „schwule Sau“ beleidigt und mit einem Bierglas
beworfen, das im Gesicht zersprang.
Berlin-Mitte · Prenzlauer Berg · Treptow im September 2001
Wahlkampfplakate der NPD titeln „Normal, nicht schwul“.
40 impuls - 2008
impuls - 2008
41
Homophobie und Migration
Der Multikulti-Mythos
Interview: Stefan Mey
Die Rechtsanwältin und Autorin Seyran
Ates und der Soziologe Michael Bochow im
Gespräch.
Frau Ates, Sie schlagen in Ihrem aktuellen
Buch „Der Mutlikulti-Irrtum“ 1 das Wort
„Deutschländer“ anstelle der umständlichen Bezeichnung „mit Migrationshintergrund“ vor. Was sind die Vorzüge dieses
Wortes?
Ates: Die Bezeichnung „mit Migrationshintergrund“ impliziert, dass diese Menschen, die irgendwann mit ihren Großeltern hergezogen sind, nicht hierher gehören
würden. Die Menschen, die von der Türkei
nach Deutschland gezogen sind, werden in
der Türkei „Almancilar“, Deutschländer,
genannt, weil sie jetzt in Deutschland ihre
Heimat haben. Es bezeichnet einfach die
Zugehörigkeit zu dem Land, in dem sie leben. Das ist doch toll.
Viele Schwule nehmen junge Deutschländer
als Bedrohung wahr. Sind Deutschländer
durchschnittlich homophober?
Ates: Die meisten Deutschländer leben in
sehr konservativen Familien, in denen Homosexualität als abartig und krank angesehen wird. Wenn die Eltern das so vermitteln,
ist es kein Wunder, dass die Kinder dieses Bild übernehmen. Wir haben in Europa
schon viele Schritte in Richtung Gleichberechtigung der Geschlechter und Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Lebensweisen getan, was sich so im Vergleich in der
orientalisch-muslimischen Welt nicht wiederfindet.
Viele “Ur-Deutsche“, um ein anderes Wort
von Frau Ates zu übernehmen, setzen Türkischstämmige mit Muslimen gleich. Es gibt
aber eine große Zahl muslimischer QuasiAtheisten in Deutschland, Frau Ates nennt
sie „Kultur-Muslime“, Herr Bochow „Quasi-Moslems“. Ist die patriarchalische Kultur entscheidender für Homophobie als der
Islam?
Bochow: In den letzten Jahren hab ich das
mit der Bedeutung des Patriarchats einige
Mal polemisch zugespitzt, weil ich manchmal den Eindruck hatte, der Islam solle für
alle Übel dieser Welt herhalten. Den Islam
gibt es gar nicht.
Ates: Das hat viel mit Orthodoxie und Fun-
damentalismus zu tun. Es gibt allerdings
ganz klar Stellen im Koran, die gleichgeschlechtliche Sexualität verdammen und
verteufeln. Unterm Strich kommt man aber
zu dem Ergebnis, dass es sehr viel stärker
patriarchale Strukturen sind, die zu dieser
Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit führen.
Was hat das Patriarchat mit Homophobie
zu tun?
Ates: Das Machtverhältnis des Patriarchats
ist nur in heterosexuellen Beziehungen auslebbar. Die Gesellschaft basiert darauf, dass
bestimmte Mitglieder ihrer Sexualität beraubt und Frauen unterdrückt werden.
Bochow: Die schlimmste Bedrohung sind
nicht unbedingt gleichgeschlechtliche Kontakte, sondern wenn ein Mann „wie eine
Frau funktioniert“, das heißt, sich penetrieren lässt…
Ates: …so dass Männer dem Patriarchat abhanden kommen.
Bochow: Gerade westlich geprägte Schwule gerieren sich – als Emanzipationsstrategie! – tuntig und damit in den Augen junger Türken teilweise provozierend weiblich.
Damit kratzen sie erheblich an der traditionellen Vorstellung von Geschlechterrollen
und Machtverhältnissen.
Welche Erfahrung machen Sie, wenn Sie
die eine besondere Homophobie bei jungen
Deutschländern thematisieren?
Ates: Es wird ganz schnell der Vorwurf der
Verallgemeinerung laut. Man sagt, junge
Deutsche sind genauso schwulen- und lesbenfeindlich. Es wird so lange relativiert
und ausdifferenziert, bis gar kein Problem
mehr da ist. Und es kommt der Vorwurf des
Rassismus.
Sind Sie als Deutschländerin nicht vor dem
Vorwurf gefeit, Rassistin zu sein?
Ates: Nein, wieso denn? Ich habe das System
sozusagen so sehr verinnerlicht, dass ich all
das, was ich von meinem Unterdrücker erlebt habe, jetzt selbst weitergebe. Das ist das
Bild vieler Menschen, die mich als Rassistin
bezeichnen.
Bochow: Das wäre die berühmte „Identifikation mit dem Aggressor“. Umgekehrt
muss ich mir manchmal anhören, ich wäre
so ein typischer verständnisvoller Multikulti, der sich mit dem anderen Aggressor
identifiziert, den jungen Türken. Natürlich
sind sie stark geprägt von der patriarchalischen Struktur. Aber es gibt doch noch andere Sachen, die man bedenken muss. Grade
die türkisch-kurdische Population, die wir
in Deutschland haben, kommt in der Regel
nicht aus der Istanbuler Mittelschicht, sondern aus dem dörflich geprägten Anatolien.
Somit hatten deren Familien mit der Auswanderung nach Deutschland einen KulturClash zu verarbeiten.
Wie hat sich das ausgewirkt?
Bochow: Solche Clashs führen oft dazu, dass
Leute besonders traditionell werden. Es gibt
zum Beispiel nichts Ekelhafteres als Deutsche, die vor drei Generationen ausgewandert sind und ein Deutschlandbild konservieren, über das sich Deutsche kaputtlachen
würden.
Ates: Außerdem sind die Großeltern der
heutigen Deutschländer-Generation nur zu
Arbeitszwecken hergekommen und wollten
ursprünglich wieder zurückgehen. Man hat
sich in diesen Familien niemals auch nur in
Aussicht gestellt, Deutschland als Heimat zu
begreifen. So entstand ein neues Phänomen
in der Migrationsgeschichte: Menschen, die
die Gesellschaft, in der sie leben, verachten,
weil sie alles als sittlich und moralisch verfallen ansehen. Dieses Phänomen verstärkt
die Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit und
führt zu einer türkisch-nationalistischen
Deutschenfeindlichkeit.
Was ist schief gelaufen, dass die schöne
Idee vom friedlichen „Multikulti“ nicht
funktioniert?
Bochow: Es gab auf vielen Ebenen zu wenig
aktiven Willen, sich mit den Leuten, die eingewandert sind, auseinanderzusetzen. Wenn
man sich als Einwanderungsland versteht,
darf und muss man auch sagen: „Hört mal zu,
Ihr seid hier eingewandert, und hier gelten
diese Regeln“ – so wie es in Australien oder
der USA selbstverständlich ist. Die deutschen Konservativen haben lange Zeit das
Problem kleingeredet, indem sie lapidar gesagt haben, „Deutschland ist kein Einwanderungsland, die sind bald alle wieder weg.“
Ates: Genau. 16 Jahre hatten wir einen
Kanzler, der gesagt hat, wir sind kein Einwanderungsland. Heute haben wir zwar de
facto die Realitäten im Alltag, auch in Form
impuls - 2008
43
>>
Homophobie und Migration
Frau Ates, was ist bei Ihnen eigentlich richtig gelaufen?
Ates: Ich hatte als Kind das große Glück,
mit 6 Jahren in eine Vorschule gekommen
zu sein, in der alle nur Deutsch sprachen.
Innerhalb eines Jahres habe ich akzentfrei
Deutsch gesprochen. In der Grundschule waren wir zu zweit, und von der siebten
Klasse bis zum Abitur war ich die einzige, deren Muttersprache Türkisch ist. Das
heißt, ich habe in der Schule wirklich die
deutsche Kultur kennen gelernt und erlebt.
Wenn das die Minderheit war, wie lebt dann
die Mehrheit der schwulen Deutschländer?
Ates: Die leben verdeckt als Schranklesben
und Schrankschwule, so wie die Ur-Deutschen das teilweise auch noch machen. Aber
bei den Türken, Kurden und Muslimen ist es
meiner Ansicht nach noch einmal potenziert,
weil es in ihrer näheren Umgebung noch
weniger offen lebende Schwule und Lesben
gibt, an denen sie sich orientieren könnten.
Werden türkisch - oder kurdischstämmige
Schwule und Lesben von urdeutschen Homos angenommen?
Bochow: Es gibt auch unglaublich spießige
deutschstämmige Schwule. Für die heißt es
nicht primär, „die sind ja auch schwul“, sondern viel eher, „das sind Türken, die wollen wir hier gar nicht, also der gewöhnliche
deutsche Rassismus. Für andere deutschstämmige Schwule sind Türken ein begehrtes Sexobjekt, aber es fehlt die Bereitschaft,
sich auf sie in ihrer Unterschiedlichkeit einzulassen. Anderen Schwulen und Lesben ist
das alles herzlich egal, oder sie bemühen sich
44 impuls - 2008
die können nazistisch sein oder islamischfundamentalistisch oder ganz normal treudeutsch-doof, auch in Westdeutschland.
Herr Bochow, welche Faktoren kommen
aus sozialwissenschaftlicher Sicht noch als
„Auslöser“ von Homophobie infrage?
Bochow: Religion ist generell ein wichtiger
Faktor. In einer Studie zu Schwulenfeindlichkeit, die ich kurz nach der Wende durchgeführt habe, habe ich auch gefragt, wie oft
die Leute in die Kirche gehen. Je öfter die Befragten in die evangelische oder katholische
Kirche gingen, desto schwulenfeindlicher
waren sie. Das sag ich gern meinen Mit-Urdeutschen, die so eingeschränkt auf muslimische Menschen gucken. Nun gibt es auch
Unterschiede in der Schwulenfeindlichkeit.
Sie werden kaum über 30-jährige türkischoder kurdischstämmige Familienväter finden, die auf einmal Schwule vermöbeln gehen. Schwulenfeindlichkeit, zumindest die
aktive, ist auch eine Altersfrage. Schwulenfeindlichkeit wird in Form körperlicher Gewalt vor allem von Jugendlichen und jungen
Männern ausagiert, deutschstämmigen wie
auch anderen. Schwulenfeindlichkeit bei
über 30jährigen Männern führt seltener zu
gewalttätigen Aggressionen, bei Frauen generell noch weniger, stockkonservative katholische Omis neigen nicht wirklich dazu,
Schwule zu verprügeln.
Kommt der Staat seinen Aufgaben von Prävention und Repression beim Thema homophobe Gewalt ausreichend nach?
Ates: Nein. Die offene, direkte, und auch die
subtile Gewalt, die Lesben und Schwule erfahren, ist noch nicht ausreichend als gesellschaftliches Problem anerkannt worden.
Ist an der Behauptung, junge Deutschländer würden besonders zu Gewalt neigen etwas dran?
Ates: In der türkisch-kurdisch-muslimischen
Erziehung ist Gewalt nach wie vor als Erziehungsmittel sehr stark akzeptiert. Es gibt
Sprüche wie „Wer seine Tochter nicht schlägt,
der schlägt später sein Knie“. Auch die Gewaltneigung ist so ein Thema, bei dem einige
Multikultis aufschreien und sagen „Nein, um
Gottes Willen, junge Menschen sind grundsätzlich gewaltbereit, da gibt es überhaupt
keinen Unterschied.“ Aber diese Gleichmacherei bringt uns keinen Schritt weiter.
Bochow: Es gibt allerdings bestimmte soziale Milieus, in denen man auch bei jungen Deutschstämmigen eine besondere
Gewaltneigung findet. Erstmal ist es eine
Geschlechterproblematik.
Ates: Genau. Es sind Männer und Jungs einer bestimmten Altersklasse. Und da ist es
wichtig zu schauen, in was für einem kulturellen, religiösen Kontext diese Kinder aufwachsen.
Bochow: Das merken Sie in bestimmten Gegenden in Ostdeutschland und beim Fußball,
bei den Hooligans. Es gibt unterschiedlich
ideologisch drapierte männerdominierte
Jugendkulturen, die sehr gewalttätig sind,
Wie könnte der Staat intervenieren?
Ates: Mittels Aufklärung und Bildung! Homogene Schulklassen mit fast nur Deutschländer-Kindern sind die schlimmsten Auswüchse der Parallelgesellschaft.
Bochow: Im deutschen Bildungssystem könnte viel mehr gemacht werden, was sprachliche Kompetenz und Vermittlung kultureller Kompetenz anbelangt. Und man muss
in die Zivilgesellschaft hinein: Mein Paradebeispiel sind die türkischen und kurdischen Fußballvereine. Die sind der Hort der
jungen, heterosexuellen Männlichkeit und
Schwulenfeindlichkeit. Das gilt übrigens
für urdeutsche Fußballvereine auch. Es gibt
in Berlin eine begrüßenswerte Initiative von
LSVD und Türkiyemspor. Das sind schüchterne Anfänge, aber das ist die richtige Richtung. Mit der juristischen Anerkennung der
gleichgeschlechtlichen Partnerschaft, so
unvollständig diese auch noch ausgestaltet
ist, haben der deutsche Staat und die deutsche Gesellschaft symbolisch einen wichtigen Schritt getan. Dies ist gleichermaßen
wichtig für die konservativen Milieus unter
Deutschstämmigen und Menschen, mit anderer Herkunft, die in Deutschland leben.
Zum Abschluss noch ein Blick in die Zukunft.
Sind Sie in puncto Homophobie bei Deutschländern optimistisch?
Ates: Die wichtigste Bedingung für einen
Optimismus wäre, dass der Staat sich endlich ganz klar dazu bekennt, dass zu seinem
Volk auch Schwule und Lesben gehören.
Bochow: Ich nehme als Beispiel, dass ausgerechnet die CDU-dominierte Verwaltung in
Baden-Württemberg Türken oder Kurden,
die die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben wollen, gefragt hat, ob sie schwul oder
lesbisch lebende Personen akzeptieren. Das
ist einerseits der Gipfel der Heuchelei, aber
andererseits bedeutet es kulturell etwas,
nämlich dass das als Kriterium für die Akzeptanz universalistischer Normen genommen wird.
Ates: Wenn wir Parallelgesellschaften, wie
sie existieren, weiterhin zementieren, dann
wird sich nichts ändern. Ich werde dann optimistisch, wenn wir insgesamt die Integra-
tionsdebatte voranbringen und das konzeptionell umsetzen. Dann wird sich auch etwas
an der Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit
bei Deutschländern ändern.
Frau Ates, Herr Bochow, wir danken
Ihnen für dieses Gespräch.
Seyran Ates: Der Multikulti-Irrtum.
Ullstein 2007.
1
Michael Bochow: Homosexualität junger Muslime – Anmerkungen zu gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten unter Männern in Westeuropa. In:
Hans-Jürgen von Wensierski und Claudia Lübcke (Hrsg.): Junge Muslime in Deutschland. Barbara Budrich 2007.
Michael_Bochow © Jörn Hartmann
Es gibt natürlich auch innerhalb der türkischen und kurdischen Community Schwule
und Lesben. Wie leben diese?
Bochow: Ich habe in einer Studie schwule Türken interviewt. Überraschend war die
Ähnlichkeit mit den Geschichten aus deutschen Familien: Die Mütter sind die Chefdiplomatinnen der Familie, während die
Väter sich besonders schwer tun mit der Homosexualität des Sohnes. Und dann gibt es
die Kompromisslösung, man einigt sich auf
Schweigen. Die türkischen Schwulen, die
ich interviewt habe, sind aber eine Minderheit unter türkischen Männern, die Sex mit
Männern haben.
um politische Korrektheit. Verallgemeinern
lassen sich die Reaktionen aber nicht so
ohne weiteres.
Ates, Seyran © Müjgan Arpat
von transkulturellen Identitäten, wie ich sie
trage, aber wir haben nicht die gesetzlichen
Entsprechungen dazu. Das zeigt mir, dass
Deutschland nach wie vor kein Einwanderungsland ist, im Bewusstsein und in Form
von Gesetzen, die klassische Einwanderung
ermöglichen würden.
Homophobie und Migration
Im Sommer 2006 wurden 922 Berliner Gymnasiasten und Gesamtschüler (14-20 Jahre) deutscher, russischer und türkischer Herkunft zu ihren Einstellungen gegenüber
Schwulen und Lesben befragt. Die vergleichende Untersuchung von Prof. Bernd Simon
(Christian-Albrechts-Universität Kiel) wurde im Rahmen des Projektes Migrationsfamilien des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) und mit Unterstützung des Bundesfamilienministeriums durchgeführt. Der Studie zufolge sind homosexuellenfeindliche Einstellungen unter Schülern mit Migrationshintergrund wesentlich stärker
verbreitet als in der deutschen Vergleichsgruppe. Besonders stark ausgeprägt sind sie bei
männlichen Jugendlichen türkischer Herkunft. In dieser Gruppe halten es 78,9 Prozent
für „abstoßend“, wenn sich zwei Männer auf der Straße küssen; von Jungen deutscher
Herkunft teilen 47,7 Prozent diese Ansicht. Während von Mädchen deutscher Herkunft
nur 10,2 Prozent zustimmen, liegt die Zustimmung von Mädchen russischer Herkunft
bei 63,5 Prozent, von Mädchen türkischer Herkunft bei 59,6 Prozent. Um etwas über
mögliche Ursachen homosexuellenfeindlicher Einstellungen zu erfahren, wurden Korrelationen zu verschiedenen Faktoren untersucht, die hier Einfluss haben könnten. Am
deutlichsten zeigten sich dabei Zusammenhänge mit Religiosität und mit der Akzeptanz traditioneller Männlichkeitsnormen. Religiosität: Der Zusammenhang von Religiosität und Homosexuellenfeindlichkeit ist bei türkischstämmigen Schülern am stärksten ausgeprägt. Je religiöser sie sind, desto homosexuellenfeindlicher sind sie. Auch bei
den Russischstämmigen zeigen sich solche Zusammenhänge, wenn auch weniger stark.
Bei den deutschen Schülern dagegen kaum. Akzeptanz traditioneller Männlichkeitsnormen: Die Akzeptanz traditioneller Männlichkeitsnormen ist bei allen Befragten mit
Homosexuellenfeindlichkeit verbunden - bei Schülern ohne Migrationshintergrund sogar besonders deutlich. Je mehr traditionelle Männlichkeitsbilder akzeptiert werden,
desto stärker ist die Ablehnung Homosexueller. Bildungsgrad des Elternhauses: Auch
türkischstämmige und russischstämmige Schüler aus Akademikerhaushalten sind ho-
Seyran Ates, geb. 1963 in Istanbul, kam im
Alter von 6 Jahren mit ihren Eltern nach
Deutschland. Sie ist Rechtsanwältin und
durch Publikationen in den wichtigsten
Zeitungen aktive Stimme im MigrantenDiskurs. Zuletzt erschien ihr Buch „Der
Multikulti-Irrtum“, in dem sie den „Multikulti-Fanatikern“ vorwirft, Menschenrechtsverletzungen in der türkisch-kurdischen Community kleinzureden. Mitte
März 2005, nach dem Ehrenmord an Hatun
S., war sie Podiumsgast einer MANEO-Matinée mit dem Titel „Multikulti ist (schwer)
möglich“.
Michael Bochow, geb. 1948, ist Soziologe.
Neben Studien zu Schwulen in der Provinz,
Schwule und Alter, gab der seit langem in
Berlin tätige Forscher schwuler Lebenswelten u.a. den Sammelband „Islam und Homosexualität“ (Männerschwarm, 2003) heraus,
in dem er sich mit der sozialen Konstruktion
von Männlichkeit und Sexualität unter türkisch-, kurdisch- und arabischstämmigen
Deutschen beschäftigte. Er forscht am Wissenschaftszentrum Berlin. Michael Bochow
ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von
MANEO.
mosexuellenfeindlicher als solche ohne
Migrationshintergrund. Integration und
Diskriminierungswahrnehmungen: Bei
türkeistämmigen Schülern ist das Gefühl
der persönlichen Integration ein wichtiger
Faktor: je integrierter sie sich fühlen, desto weniger homosexuellenfeindlich sind sie.
Bei den russischstämmigen Schülern sind es
dagegen Diskriminierungswahrnehmungen, die mit Homosexuellenfeindlichkeit
korrespondieren: je mehr sie sich diskriminiert fühlen, desto homosexuellenfeindlicher sind sie. Kontakte zu Schwulen und
Lesben: Kontakte zu Schwulen und Lesben
scheinen einen Einfluss zu haben auf Homosexuellenfeindlichkeit: Je mehr Kontakte bestehen, desto weniger homosexuellenfeindlich sind die Schüler.
Quelle: Simon 2007, „Einstellungen zur Homosexualität: Ausprägungen und sozialpsychologische Korrelate bei Jugendlichen mit und ohne
Migrationshintergrund“
impuls - 2008
45
Homophobie und Religion
Keine zwei Meinungen
Interview: Sirko Salka
In ihrer Synodalerklärung vom 2. August
1991 stellte die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg nachdrücklich fest, Homosexualität sei „weder
sündhaft noch krankhaft“ und appellierte an die Gesellschaft, „Toleranz zu üben“.
Des weiteren forderte sie die „Verantwortlichen in der Gesellschaft“ auf, „Maßnahmen zum Schutz von Homosexuellen zu
treffen und Gewaltakte gegen sie im Ansatz zu verhindern“. Anlass der deutlichen
Worte war ein gewaltsamer Übergriff von
Skinheads auf ein Frühlingsfest von Lesben und Schwulen im Mai desselben Jahres in Berlin.
Heute, über 16 Jahre später, ist Homophobie nach wie vor verbreitet, mitunter sogar
salonfähig, gegen Homosexuelle gerichtete Hassgewalt vielerorts keine Seltenheit.
Allein in Berlin werden MANEO jährlich rund 200 Vorfälle mit antischwulem
Hintergrund gemeldet. Laut MANEOStudie 2006/2007 („Gewalterfahrungen
von schwulen und bisexuellen Jugendlichen und Männern“, s. S. 57), an der rund
24.000 Personen bundesweit teilnahmen, hatte mehr als jeder dritte Befragte
in den vergangenen zwölf Monaten seelische und/oder körperliche Gewalt erfahren; in der Gruppe der Unter-18-Jährigen
waren es sogar 63 Prozent. Zudem wurde
ein Dunkelfeld von 90 Prozent polizeilich
nicht angezeigter Straftaten offenbar. Antischwule Gewalt jeder Form wird zunehmend bagatellisiert – teilweise sogar von
den Betroffenen selbst.
Frau Bischöfin Jepsen, wie kann die evangelische Kirche Homophobie und Hassgewalt
entgegenwirken? Worin liegt ihre besondere Verantwortung?
Jepsen: Gewalt gegen Menschen ist grundsätzlich abzulehnen. Das gilt ja auch, wenn
Menschen wegen ihrer Hautfarbe Gewalterfahrungen machen müssen oder Kinder
als die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft misshandelt werden. Wenn schwule Männer auf Grund ihrer sexuellen Orientierung Opfer von Gewalt werden, muss
sich eine demokratische Gesellschaft dagegen stellen. Für uns als Kirche gibt es da
keine zwei Meinungen. Diese Gewalt muss
notfalls auch strafrechtlich verfolgt werden. Sie ist jedoch nicht gleichzusetzen mit
Homophobie, die allenfalls als innerer Motivationsfaktor der Gewalttäter verstanden
werden kann. Hier ist dann Bildung und Erziehung gefragt, weil oft eine dumpfes Unverständnis gegenüber anders ausgelebter
Sexualität oder eine innere ungeklärte sexuelle Identität der Betreffenden vorliegt.
Dort, wo wir als Kirche Einfluss haben in
diesem Bereich, sollten wir klar aufklärend
Stellung beziehen und tun dies ja auch zum
Beispiel im Unterricht für Konfirmandinnen
und Konfirmanden.
Welchen Stellenwert hat Toleranz gegenüber Homosexuellen in der evangelischen
Kirche?
Ich denke, es geht um mehr als nur Toleranz,
nämlich um die vollständige, gleichberechtigte Anerkennung gleichgeschlechtlicher
Sexualität – für uns als Kirche vor allem
dann, wenn diese Sexualität von Liebe zweier Menschen zueinander getragen ist. Dass
Männer Männer lieben, dass Frauen Frauen
lieben, rein aus Liebe, mit Treue und Hingabe, das kann doch nicht gegen die christli-
che Ethik sein. Verantwortlich gelebte Liebe
kann nicht als böse und schlecht bezeichnet
werden. Gegen Gesetze eines Staates und
Ordnungen einer Gesellschaft, die nur Heterosexualität dulden, haben wir auch um
Jesu willen zu protestieren und das Recht auf
homosexuelle Liebe und Partnerschaft einzufordern.
Das war nicht immer so ...
Wir haben unsere eigene Vergangenheit in
diesem Zusammenhang. Die Kirchen haben
sich in der Geschichte zu oft nicht an Gottes
Barmherzigkeit und Gerechtigkeit erinnern
lassen, um menschenverachtende Parolen
und Entwicklungen als solche zu entlarven.
Homosexuelle Menschen hatten es in unserer abendländischen Geschichte niemals
leicht. Sie wurden diskriminiert und gezwungen, ihre Homosexualität zu verbergen. Die schlimmste Verfolgung geschah
ohne Zweifel im Deutschland des so genannten Dritten Reiches. Erst langsam, sehr
langsam hat sich die Bevölkerung nach diesem unseligen Abschnitt der Geschichte von
dem damals weit verbreitetem Ungeist gelöst
– aber noch nicht genug: Es gibt zurzeit unter anderem in Osteuropa neue Entwicklungen, die sich gegen Homosexuelle richten –
und die dortigen Kirchen stehen dahinter,
auch die evangelisch-lutherischen. Ich hätte
mir gewünscht, dass unsere Kirche viel früher – vor Jahrzehnten schon – mutig gegen
die verschärften Gesetzgebungen aufbegehrt hätte, dass sie bedrohte Homosexuelle und Bisexuelle genauso wie Heterosexuelle und zölibatär lebende Männer und Frauen
geachtet und geschützt hätte.
Wie lautet also Ihre Empfehlung für die
Gegenwart?
Wir dürfen nicht nachlassen, Diskriminie-
impuls - 2008
47
>>
Homophobie und Religion
HOMOSEXUALITÄT AM
PR ANGER
„Unsere Regierung spielt Gott, indem sie sagt, dass Menschen machen
können, was sie wollen. Wir haben
Probleme, weil jede Art von Lebensstil jetzt als legitim angesehen wird.
Wir sind an dem Punkt angekommen,
an dem wir uns vor Gott verantworten müssen. Er wird uns zur Reue
auffordern.“
Laut Bischof Graham Dow (Anglikaner) ist
die freizügige Lebensführung Homosexueller Schuld an Umweltkatastrophen wie den
jüngsten Überschwemmungen in England.
/ Quelle: Sunday Telegraph, Juli 2007
„Das Verhalten Homosexueller führt
zum Ende der menschlichen Rasse. Deshalb darf die Parade [CSD in Moskau;
Anm. d. Red.] unter keinen Umständen
stattfinden. Wenn sie auf die Straßen
gehen, sollten sie verprügelt werden.
Alle normalen Menschen werden das
tun, sowohl Orthodoxe als auch Muslime.“
Russischer Großmufti Talgat Tadschuddin,
Februar 2006
„Unser geliebter vierter Khalifa, Hazrat Mirza Tahir Ahmad, äußerte in
dem Zusammenhang, dass er den zunehmenden Hang zur Homosexualität mit dem Schweinefleischverzehr in
unserer Gesellschaft in Verbindung
setzt.“
Muslimische Ahmadiyya-Gemeinde in ihrer
Publikation „Jugend Journal“, April 2007
„Wenn sie alle auf der Insel [einer unbewohnte Insel im Victoriasee; Anm. d.
Red.] sterben, haben wir keine Homosexuellen mehr in unserem Land.“
Scheich Ramathan Shaban Mubajje, islamischer Rechtsgelehrter aus Uganda /
Quelle: Zeitung „The Monitor“
„Die erste Form der Gemeinsamkeit
zwischen Menschen ist die, welche aus
der Liebe zwischen einem Mann und
einer Frau hervorgeht. Alles, was dazu
beiträgt, die auf die Ehe eines Mannes und einer Frau gegründete Familie
zu schwächen [...] stellt ein objektives
Hindernis auf dem Weg des Friedens
dar.“
Papst Benedikt XVI. in seinem am 1. Januar
2008 veröffentlichten Wort zum Weltfriedenstag
48 impuls - 2008
Homophobie und Religion
rungen anzuprangern. Und: Wir müssen in
unseren eigenen Zusammenhängen zeigen,
dass Homosexualität als eine mögliche Lebensäußerung anerkannt neben anderen
Lebensäußerungen ihren Platz hat.
Dem würden nicht alle zustimmen: In den
USA propagieren religiöse Vereinigungen
statt Akzeptanz die Heilung und Umpolung homosexueller Menschen. Angetrieben
durch verschiedene fundamentalistische
Gruppierungen, gewinnt diese Haltung
auch in Deutschland an Anhängern.
Jede Form des Fundamentalismus ist schwierig, da hier offene Kommunikation abgelehnt wird. Starke Ängste und Verunsicherung machen die Menschen oft immun gegen
Aufklärung, Erklärungen und die Bereitschaft, anders lebende – glaubende – Menschen zu akzeptieren. Wir brauchen Begegnungsmöglichkeiten, damit Menschen sich
selber erkennen, annehmen und die je eigene Bedürftigkeit und Würde verantwortlich
zu leben versuchen.
Inwieweit ist dies eine Frage der Generationen: Haben junge Christen heute weniger
Vorbehalte gegenüber Schwulen und Lesben
als ihre Eltern?
Gesellschaftlich hat sich in den letzten Jahren nach meiner Beobachtung oberflächlich
eine größere Toleranz gegenüber Schwulen und Lesben entwickelt. Jedoch haben
wir in der Bevölkerung dabei kein einheitliches Bild. Oft spielt die Kultur, aus der ein
Mensch kommt, eine nicht zu unterschätzende Rolle für seine Einstellung auch gegenüber Menschen mit anderen sexuellen
Orientierungen. Das gilt übrigens ebenfalls
für Menschen deutscher Herkunft, deren
Milieu oft prägend wirkt. Eine ähnliche Pluralität findet sich genauso unter den Christen verschiedener Ausrichtung und vor allem unterschiedlicher kultureller Herkunft,
wie im Übrigen auch in den Religionsgemeinschaften mit Migrationshintergrund.
Ich denke, wir haben an mancher Stelle noch
kräftig zu arbeiten.
Wie also erklären Sie sich die verbreitete
Wahrnehmung, die Kirche sei kein Ort für
Homosexuelle?
Das hängt einerseits mit der Vergangenheit
der Kirche zusammen, und andererseits bedauerlicherweise damit, dass selbst heute in
unserer Kirche nicht überall schwul lebende Männer wie auch lesbisch lebende Frauen
oder transsexuelle Menschen willkommen
sind. Wir sind noch nicht da ankommen, wo
wir hinkommen müssen. Hinzu kommt, dass
sich die Arbeit vieler Kirchengemeinden am
Leben von Familien orientiert [gemeint ist
das traditionelle Familienbild; Anm.d.Red.].
Homosexuelle, Singles und andere Menschen, die nicht in dieses Raster passen, finden häufig in den Gemeinden keine Angebote, die sie interessieren. Allerdings erlebe ich
auch, dass Schwule sich in unserer Kirche
sehr wohl geachtet, geschützt, normal anerkannt wissen.
Berichten Sie uns aus Hamburg: Wie offen
können sich Schwule und Lesben in Ihrer
Gemeinde bewegen? Wie wird Homosexualität diskutiert oder ist sie eher Privatsache?
Auch in Hamburg ist nicht alles erreicht.
Dennoch haben wir in der nordelbischen
Kirche mit der Einrichtung einer AIDSSeelsorge 1994 einen Ort geschaffen, an
dem die Anerkennung homosexueller Liebe und Sexualität selbstverständlich ist. Das
strahlt aus, auch in andere Gemeinden unserer Landeskirche. Wer an einem der regelmäßig stattfindenden AIDS- und Gemeindegottesdienste teilgenommen hat,
weiß wovon ich rede. Dort wird nicht über
Menschen und Probleme geredet, sondern
die betroffenen Menschen kommen selbst
zu Wort. Themen mit aktuellem Lebensbezug, auch gesellschaftlichpolitische Themen
sowie Forderungen in Bezug auf Homosexualität kommen klar zur Sprache. Die Gottesdienste haben einen guten Zulauf; nicht
selten finden auch Christen aus anderen
Gemeinden den Weg in diese Gottesdienste und tragen den Geist dieser besonderen
Feiern weiter. Nach und nach wird es selbstverständlicher, dass auch an anderen Orten
unserer Kirche homosexuelles Leben und
Lieben nicht mehr nur Privatsache bleibt.
Wie reagierten Sie, wenn Ihnen Fälle von
Diskriminierung und Intoleranz gegenüber
Homosexuellen in Ihrer Kirche bekannt
würden?
Ich lade ein zum Gespräch und zu den Gottesdiensten der AIDS-Seelsorge. Erfreulicherweise werden homosexuelle Pastorinnen und Pastoren sowie andere kirchliche
Mitarbeitende nicht diskriminiert. Mir ist
– abgesehen von einer Mobbingmeldung,
die aber nicht ganz deutlich wurde – kein
Fall aus jüngster Zeit bekannt. Wenn Menschen verunglimpft werden, erhebe ich meine Stimme. Das ist nicht immer leicht. Viele
Drohungen habe ich früher erhalten, in sehr
schlimmer Weise. Doch Schweigen hilft selten weiter. Offene Worte mehr.
Auch schwule Anti-Gewalt-Projekte wie
MANEO erheben die Stimme gegen Ausgrenzung und Intoleranz. Wie kann die
Kirche die Arbeit solcher Projekte unterstützen?
In Hamburg arbeitet die kirchliche AIDSSeelsorge ganz selbstverständlich im Netzwerk der anderen AIDS-Hilfe-Einrichtungen mit und hat dort ihren eigenen,
anerkannten Stellenwert – mit voller Rückendeckung aus der Landeskirche. Dazu
gehört dann auch die Unterstützung und
Beteiligung an den von Ihnen angesprochenen Projekten. Uns freut dabei, dass dieses
Engagement der Kirche auch eine hohe Anerkennung durch die sonst oft eher kirchenferne Szene erfährt.
Mit welchen Organisationen arbeiten Sie
in Hamburg zusammen? Was tun Sie, wenn
ein Opfer antischwuler Gewalt sich Hilfe
suchend an Sie wendet?
Wichtig ist in diesem Bereich eine sinnvolle
Aufgabenteilung. Hein & Fiete, der schwule
Infoladen in Hamburg, das Magnus-Hirschfeld-Zentrum als Beratungseinrichtung für
Schwule und Lesben sowie die AIDS-Hilfe in Hamburg haben im vergangenen Jahr
auch stellvertretend für die Landesarbeitsgemeinschaft AIDS, zu der die AIDS-Seelsorge gehört, ein Angebot geschaffen, um
Opfern antischwuler Gewalt eine schnelle
Anlaufmöglichkeit zu bieten. Wie auch sonst
in der Beratungsarbeit in diesem Bereich
vermitteln die einzelnen Stellen Rat- und
Hilfesuchende auch an die jeweils anderen
Einrichtungen, wenn der Eindruck entsteht,
dass ihnen dort speziellere Hilfe angeboten
werden kann.
Frau Bischöfin, wir danken Ihnen
für dieses Gespräch.
Maria Jepsen, geboren 1945 in Bad Segeberg, wurde 1992 von der Synode der Nordelbischen
Evangelisch-Lutherischen Kirche zur Bischöfin von Hamburg gewählt. Damit war sie die erste lutherische Bischöfin der Welt. 2003 wurde Maria Jepsen Mitglied im Rat des Lutherischen
Weltbundes. Für ihr großes Engagement für Minderheiten erhielt sie bereits den Zivilcouragepreis des Berliner CSD.
Gottesdienst der AIDS-Seelsorge und der Kirchengemeinde St. Georg-Borgfelde an jedem letzten
Sonntag im Monat, 18 Uhr in der St. Georgs Kirche am Hamburger Hauptbahnhof
www.stgeorg-borgfelde.de
hilfe in Hamburg – Von Florian Frei
Anders als mit MANEO in Berlin gibt es in Hamburg keine zentrale Anlaufstelle für Opfer antischwuler Gewalt. Im Sommer 2007,
nach Presseberichten über angebliche Übergriffe gegen Schwule in St. Georg und auch aufgrund der letzten MANEO-Studie, an der
sich viele Hamburger beteiligt hatten, geriet das Thema wieder in den Blickpunkt: Die Aidshilfe, der schwule Infoladen Hein & Fiete,
die Telefonberatung Schwub und das Magnus-Hirschfeld-Centrum produzierten initiativ einen Flyer zum Thema mit ihren Telefonnummern („Wir sind für dich da!“), der an den jeweiligen Anlaufstellen und in der Szene aushängt; zum CSD gab es außerdem einen
Fragebogen. „Als Rücklauf auf diese Aktionen kamen in den vergangenen sechs Monaten um die 30 Meldungen,“ weiß Jörg Korell von
der Hamburger Aidshilfe. „Akute Fälle, in denen jemand sofort Hilfe benötigte, waren jedoch nicht dabei.“ Zurzeit werden die Daten
ausgewertet um zu erkennen, in welchen Bereichen Handlungsbedarf besteht.
Die Telefonberater der vier Einrichtungen sind entspchend sensibilisiert: „Was passiert, hängt von der Verfassung des Anrufers ab,“
sagt Steffen Indelkofer von Hein & Fiete. „Wir helfen bei einer etwaigen Anzeige oder können Ärzte, psychologische Betreuung und
Kontakt zur Opferhilfe vermitteln.“
Der erste Anlaufpunkt bei der Polizei sind die acht „Beauftragten für Opfer antischwuler Gewalt“– unter anderem in den Wachen
in St. Georg und in Stadtparknähe –, die sich regelmäßig mit den schwulen Einrichtungen austauschen. Kriminalhauptkommissar
Eckhard Carrie ist seit zwölf Jahren einer von ihnen: „Niemand zweifelt daran, dass es in diesem Bereich eine hohe Dunkelziffer gibt.
Aber angezeigt werden im Jahr nur drei bis vier Fälle.“ Mit dieser Begründung wurde 1998 auch das vom LSVD Hamburg betreute
Schwule Überfalltelefon nach zwei Jahren wieder eingestellt.
impuls - 2008
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Homophobie und Religion
Interviews: Sirko Salka
Fotos: Ralf Rühmeier
Gürkan (38)
„An einer Internatsschule in der Türkei studierte ich vier Jahre den Islam. Damals lebte ich noch nicht offen schwul, was für mich
kein Problem war, weil ich nie etwas über
Homosexualität erzählt bekommen hatte.
Wir waren fünf oder sechs Schwule im Internat, wussten alle voneinander Bescheid
und hatten auch Sex untereinander. Aber
niemand redete offen darüber. Laut Koran
ist Sex vor der Ehe eine Sünde. Wie auch in
anderen Religionen spielt die Doppelmoral
im Islam eine große Rolle. Dabei verbietet
der Koran Homosexualität nur oberflächlich betrachtet: Die Passage, die Homosexualität angeblich untersagt, bezieht sich auf
die Gemeinde Lud, in der Männer andere
Männer vergewaltigt haben sollen. Ich interpretiere das so, dass Vergewaltigung bestraft werden soll und nicht Homosexualität.
Insofern kann man nicht ernsthaft behaupten, der Koran wäre schwulenfeindlich. Es
kommt immer darauf an, wie man ihn auslegt. Eine zentrale Stelle im Koran sagt zum
Beispiel, dass jedem seine Schulden berechnet werden und dritte Personen dazu nichts
zu sagen haben. Das ist für mich eine gewisse Toleranz.
Toleranz habe ich auch nach meinem Coming-out von meiner Mutter erfahren. Meine Familie war damals Mitglied einer islamischen Sekte. Eines Tages outete ich mich
gegenüber einem sehr heiligen Mann, doch
er erwiderte: „Herzlich willkommen, das
interessiert mich nicht.“ Darum glaube ich,
dass Homophobie weniger mit Religion oder
Tradition zu tun hat, als vielmehr mit mangelnder Bildung. Zuhause und in den Schulen wird nicht über das Thema gesprochen.
Und wenn zum Beispiel jugendliche Muslime in Deutschland keinen Schwulen in ihrem Umfeld kennen und auch sonst keinen
Zugang zur Weiterbildung haben, bekommen wir ein Problem. Deshalb muss man
50 impuls - 2008
Homophobie und Religion
ihnen noch andere Werte vermitteln als
nur die Fixierung auf Religion, Männlichkeit oder einen großen Penis. Haben sie keine anderen Werte, verteidigen sie natürlich
ihre Männlichkeit. Und reagieren dann womöglich allergisch auf Homosexuelle, weil
sie das nicht verstehen. Dabei ist dem Islam
zufolge Gewalt verboten. Alkohol auch. Und
man muss fünfmal am Tag beten. Ich bin mir
sicher, dass sich muslimische Jugendliche
nicht immer daran halten.
Fest steht, dass der Islam bis heute kein
vernünftiges Konzept von Homosexualität hat. Schwule werden als „getürkte Frauen“ wahrgenommen. Würde ich einem muslimischen Mann sagen, dass ich mich in ihn
verliebt habe, antwortet der: „Aber du fickst
mich nicht.“ Das ist seine größte Sorge. Im
islamischen Verständnis gehört der Körper
nicht uns, sondern Gott hat ihn uns geliehen,
wir müssen ihn gut aufbewahren. Wenn du
etwas ausleihst, passt du auf, dass du es nicht
falsch gebrauchst. Sonst verwirkst du möglicherweise dein Rückgaberecht. Und deshalb
darf sich ein islamischer Mann auch nicht
penetrieren lassen. Aber er darf durchaus
Männer lieben, solange er keinen Sex mit
ihnen hat: Dschalal ad-Din Muhammad
Rumi ist ein bekannter islamischer Mystiker, der früher oft mit jungen Männern gesehen worden ist. Er hat immer nur von Liebe
geredet, und das haben ihm die Leute abgenommen. Sie interpretierten es als eine Liebe zu Gott, die man nur über einen männlichen Körper ausleben kann. Bald störte sich
keiner daran, wenn er in der Moschee mit
seinen Jungen eng betete.“
Dr. Michael Brinkschröder (40)
Kath. Theologe und Religionssoziologe,
arbeitet am Institut für Religionswissenschaft an der LMU München und ist Herausgeber der Zeitschrift „Werkstatt schwule Theologie“.
„In meiner Kindheit und Jugend in Niedersachsen gehörte die katholische Kirche ganz
selbstverständlich zum Leben dazu. Ich besuchte eine katholische Klosterschule und
bin mit einer totalen Tabuisierung der Homosexualität aufgewachsen. Da fehlte jegliches Vokabular. Im Religionsunterricht
wurde mir beigebracht, dass schwule Beziehungen Sünde sind. Das habe ich erst viel
später hinterfragt. Bei meinem Studium der
Theologie stand ich dann vor dem Problem:
Will ich künftig offen schwul leben oder bei
der katholischen Kirche arbeiten? Beides
zusammen, das geht nicht. Ich habe mich für
die Offenheit und gegen das Versteckspiel
entschieden. Priester wollte ich nicht werden, weil ich die Standesunterschiede zwischen Priestern und Laien in der Kirche ungerecht fand.
Das Lehramt der katholischen Kirche sagt,
dass es eine klare Schöpfungsordnung gibt,
einen Plan Gottes, der von der Geschlechterdifferenz ausgeht. Deshalb achtet die katholische Kirche nicht darauf, ob es in der
Bibel homoerotische Szenen gibt, sondern
schaut allein auf die Ablehnung gleichgeschlechtlicher Handlungen. Aber die katholische Kirche steckt voller Widersprüche.
Innerhalb des Klerus ist das schwule Leben
eine Art Spiel: Man muss die Regeln kennen
und beherrschen. Solange es keinen Skandal
gibt, kann man praktisch eine Menge machen. Über Jahrhunderte waren der Klerus
und Klöster die attraktivsten Lebensräume
für Personen, die gleichgeschlechtlich empfunden haben. Dadurch hat sich so etwas wie
eine heimliche Kultur entwickelt, die im Widerspruch zur offiziellen Lehre steht. Durch
den gesellschaftlichen Wandel der letzten
40 Jahre ist Homosexualität heute lebbar.
Der Klerus ist deshalb auf neue Weise unter Druck, weil es jetzt nicht mehr nötig ist,
sich als Schwuler ins Priestertum zu flüchten. Unter anderem deswegen gibt es meines
Erachtens auch immer weniger Priester. Viele der schwulen Priester sind sehr reflektiert
und würden niemals antihomosexuelle Predigten halten, sondern äußern sich integrierend. Aber es gibt auch Priester, die gegen
Schwule wettern, obwohl sie es selber heimlich praktizieren. Die ist für mich der Inbegriff der Heuchelei.
Und es gibt einen Graben zwischen den Bischöfen und den katholischen Laien. So
wurde in den letzten Jahren auf verschiedenen Synoden mit über 95 Prozent der Stimmen beschlossen, dass es runde Tische zum
Thema Homosexualität geben solle. Dahinter
steckt der Wunsch der kirchlichen Basis, dass
Homosexualität nicht mehr als unmoralisch
verdammt, sondern eine andere Einordnung
gefunden werden soll. Aber diese Beschlüsse
werden von den Bischöfen nicht umgesetzt,
denn sollte so ein runder Tisch Positionen
entwickeln, die der Position aus Rom nicht
entsprechen, hätten die Bischöfe einen Konflikt mit Rom am Hals – und dafür haben sie
nicht genug Mut. Meine Berufung sehe ich
darin, die katholische Kirche zu Veränderungen in ihrer Einstellung zur Homosexualität zu bewegen. Das sind Grund und Motivation für mich, in der Kirche zu bleiben.
Dazu wünsche ich mir von den Priestern etwas mehr Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit
und von den Laien, dass sie sich stärker für
ihre Positionen einsetzen.“
da es eine gleichberechtigte Form der Liebe ist. Mein Kollege in der Kölner Südstadt
hatte damals als erster die Segnung eines
schwulen Paares vollzogen – und dafür eine
Rüge vom Landeskirchenamt erhalten, weil
die Synode zu diesem Zeitpunkt noch keinen offiziellen Beschluss gefasst hatte. Erst
mit der Entscheidung der Synode hielt die liberale Auffassung allmählich Einzug in die
Gemeindepraxis, obschon leider auch heute
noch längst nicht in allen evangelischen Gemeinden Homosexualität thematisiert wird.
Was unserer Kirche sicherlich noch fehlt, ist
eine vernünftige Debatte über Sexualität.
Ich glaube, das wird noch zwei, drei Generationen dauern. In meinen Predigten spreche ich Dinge wie eine gesunde Sexualität, nämlich eine ohne Schuldgefühle, ganz
selbstverständlich an. Denn zum „Vater unser, gib uns heute...“ gehören eben nicht nur
das Essen, die Liebe, sondern auch: Gib uns
Sex – oder gesunde Luft – einfach das volle
Programm.“
Dr. Bertold Höcker (49)
Evangelisch-lutherischer Stadtpfarrer von
Köln, AntoniterCityKirche
„Als Stadtpfarrer von Köln ist es meine Aufgabe, das evangelische Profil der Stadt zu
prägen. Dazu machen wir profilierte Angebote wie Gottesdienste für Frauen oder
mit dem „Saturday Night Fever“ regelmäßig
Gottesdienste für Schwule und Lesben. Die
Gesellschaft ist heute viel ausdifferenzierter; den einen Gottesdienst für alle gibt es
so nicht mehr. Mittlerweile hat der schwullesbische Gottesdienst in Köln eine gewisse
Tradition. Als ich vor drei Jahren ins Pfarramt gewählt wurde, war das eine ganz entscheidende Frage: Ob ich mir solche Gottesdienste vorstellen könne? Mein Vorgänger
war ja heterosexuell, und von mir wussten das Presbyterium nicht, dass ich schwul
bin. Also nutzte ich die Gelegenheit, mich zu
outen. Probleme gab es keine. Nicht zuletzt
deshalb bin ich überzeugt, dass die evangelische Kirche Schwule und Lesben nicht diskriminiert. Homophobie ist in unserer Kirche weitgehend abgebaut – seit nun schon
zehn oder fünfzehn Jahren. Auslöser war
Ende der 1980er-Jahre ein theologisches
Papier, das festgestellt hatte, Homosexualität sei nicht sündhaft. Aus diesem Grund
war es bald nicht mehr haltbar, sie als eine
defizitäre Form der Sexualität zu bewerten. Das heißt: Theologisch konnte man nun
nichts mehr gegen Homosexualität sagen,
Fred Fischer (42)
Vorstandsmitglied der Beth Shalom Gemeinde München; ehem. Vorstandsmitglied
Yachad und World Congress of Gay, Lesbian, Bisexual and Transgender Jews
„In der Tora, der heiligen Schritt des Judentums gibt es zwei Stellen, die sich möglicherweise auf die männliche Homosexualität beziehen: „Mit einem Manne sollst Du
nicht liegen, wie man bei einem Weibe liegt
– dies ist ein Gräuel“ (Lev. 18,22). Diese Verurteilung wird an einer anderen Stelle noch
schärfer formuliert: „Und jemand, der einem Manne beiliegt, wie man einem Weibe
beiliegt – Gräuel haben sie beide begangen.
Getötet sollen sie werden, ihr Blut über sie.“
(Lev. 20,13) Der Talmud, das zweite Hauptwerkt des Judentums, bekräftigt diese Einstellung an einer Stelle sogar noch (Sanhedrin, 54a). Heute gehen die vier religiösen
Richtungen im Judentum unterschiedlich mit
Homosexualität um. Lesbische Jüdinnen und
schwule Juden in orthodoxen Gemeinden haben sicherlich keinen leichten Stand und leiden unter dem traditionellen Druck der Homophobie. Sich zu outen wird dort niemand
wagen; der Ausschluss käme unweigerlich.
Ich kenne Homosexuelle in orthodoxen Gemeinden, die sogar geheiratet haben, um den
Schein zu wahren. Das Ausmaß der Ängste
und Selbstzweifel von jüdischen Lesben und
Schwulen, die ihre Heimat trotzdem in einer orthodoxen Gemeinde suchen, kann man
nur ahnen! In einer zweiten Strömung, dem
konservativen Judentum, urteilt man milder
über homosexuelle Gemeindemitglieder. Allerdings nur in Worten, nicht in der Sache:
Man empfiehlt ihnen den „Verzicht“ auf ihre
sexuelle Orientierung als einzig legitime Lösung. In der dritten und größten Ausrichtung, dem liberalen Judentum, das übrigens
vor 200 Jahren in Deutschland gegründet
wurde, hat man keine Vorbehalte gegenüber
homosexuellen Gemeindemitgliedern. Dort
werden Schwule und Lesben genauso als Teil
der Schöpfung betrachtet wie Heterosexuelle. Vor allem in Übersee gibt es viele schwule Rabbiner innerhalb der Reformbewegung,
die in der Gemeinde als gleichwertige Instanz akzeptiert werden. Und als vierte religiöse Richtung haben wir den Rekonstruktionismus, die kleinste der Bewegungen, die
in einigen Bereichen Pionierarbeit leistete:
Zum Beispiel, indem sie die „gender inclusive
liturgies“ entwarf, die ein nicht allein männliches Gottesbild transportieren.
Ich selbst komme aus einer liberalen Familie. Mit meinem Coming-out hatte ich aber
trotzdem zu kämpfen – weil ich dachte, meine Homosexualität würde den überlieferten
Werten und Traditionen widersprechen. So
kam es, dass ich mein Judentum lange Zeit
„auf Eis gelegt“ habe. Das Stigma, das Homosexualität in der jüdischen Tradition anhängt, ist leider noch immer stark im Bewusstsein verhaftet. Das kann dazu führen,
dass sich Lesben und Schwule dem Gemeindeleben entziehen, weil sie Ablehnung und
Ausgrenzung befürchten. Erst mein Beitritt
zum Verein Yachad Deutschland, der 1995 in
Köln gegründeten Gruppe jüdischer Lesben
und Schwulen, hat mich zurück zu den Wurzeln gebracht. Auf einmal konnte ich Judeund Schwulsein prima miteinander vereinen. Seit dem Wiedererwachen der liberalen
jüdischen Gemeinden in Deutschland vor gut
zehn Jahren bin ich Mitglied der Gemeinde
Beth Shalom in München. In dieser Gemeinde bin ich offen schwul und noch nie auf Ablehnung gestoßen. Und wenn, dann würde
ich es mir auch nicht gefallen lassen.“
impuls - 2008
51
Homophobie und Polizei
Im Notfall:
Kommunikationsstörungen auf breiter Front
Von Frank Störbrauck
Schwule Überfalltelefone suchen den Draht
in die Behörden: Die Zusammenarbeit zwischen den schwulen Szenen und der Polizei
ist in vielen deutschen Großstädten verbesserungsbedürftig. Zahlreiche Opfer homophober Gewalt scheuen weiterhin den Gang
zu den Ermittlungsbehörden. MANEO will
sich des Problems annehmen und ein Kompetenzzentrum in Berlin einrichten – in
Kooperation mit dem BKA, den Landespolizeien und wissenschaftlich begleitenden
Hochschuleinrichtungen.
Als MANEO im Mai vergangenen Jahres
die Ergebnisse seiner Umfrage unter rund
24.000 schwulen Männern zum Thema antischwule Gewalt (s. S. 57) veröffentlichte,
war das Entsetzen groß: Mehr als jeder dritte
Befragte (35 Prozent) gab an, in den letzten
zwölf Monaten Gewalterfahrung gemacht zu
haben. Die Täter, meist in der Gruppe auftretende jugendliche Halbstarke, fühlen sich
anscheinend zunehmend provoziert vom
selbstbewussten Auftreten schwuler Männer in der Öffentlichkeit. Ein Unrechtsbewusstsein haben die Täter meist nicht, stellte
jüngst Prof. Dr. Joachim Kersten, Soziologe
an der Deutschen Hochschule der Polizei in
Münster, fest: „Die denken ja, das sei okay,
was sie da machen, denn sie haben die Botschaft empfangen, dass Schwule Menschen
zweiter Klasse seien und dass man das dürfe,
dass es kein Problem sei.“
Doch nur eine verschwindend geringe Zahl
der Schläger konnte ausfindig gemacht, geschweige denn vor Gericht zur Rechenschaft
gezogen werden. Das ist aber meist nicht der
Spitzfindigkeit der Täter oder gar der mangelnden Ermittlungsbereitschaft der Polizei geschuldet. Nein, häufig schon hapert es
an der Anzeigebereitschaft der Opfer. Nur
10 Prozent der Befragten, die bereits antischwule Gewalterfahrungen machten, gaben an, anschließend Anzeige bei der Polizei
erstattet zu haben. „Aus Scham, die Niederlage einzugestehen, aus Angst, damit das
herrschende Klischee der fehlenden Männlichkeit einzugestehen, scheuen immer noch
viele den Weg zur Polizeiwache“, resümiert
Dr. Bodo Lippl vom Institut für Sozialwissenschaft an der Humboldt-Universität. Die
restlichen 90 Prozent, so MANEO-Projektleiter Bastian Finke, verharmlose die
Taten mit Antworten wie: „Ich hatte zwar ein
blaues Auge, aber es war Gott sei Dank nicht
so schlimm.“ Doch ist es bei den Opfern
nicht nur die Scham, die sie von einer Anzeige abhält. Bei den Betroffenen herrscht
offenbar die Vermutung, dass die Polizei
diese Fälle bagatellisieren würde. Im Endeffekt führt das schlechte Image der Beamten
bei den Betroffenen dazu, dass die Polizei
kaum Kenntnis von homophoben Gewalttaten nimmt, so Finke.
Dunkelfeld im Fokus
Dabei ist eine Anzeige nicht nur die Voraussetzung für die Klärung der einzelnen
Straftat. Von der Entwicklung polizeilicher
Konzepte bis hin zu konkreten Maßnahmen
in der Schul- und Jugendpolitik hängt vieles
von dem festgestellten Straftatenaufkommen ab. Liegen beispielsweise für ein Cruisinggebiet [Ort, an dem regelmäßig schwule
Männer auf der Suche nach einem spontanen Sexualpartner verkehren; Anm. d. Red.]
keine Anzeigen vor, geht die Polizei davon
aus, dass es dort friedlich ist – und trifft keine besonderen Maßnahmen zum Schutz der
Cruiser. Die besten Chancen zur Ermittlung der Täter bei gewaltsamen Übergriffen
haben die Ermittler, wenn die Polizei sofort
während oder nach der Tat über den Notruf
110 verständigt wird. Die Täter können erfahrungsgemäß oft in der Nähe des Tatortes
festgenommen werden.
Die hohe Dunkelziffer ist auch Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) bekannt. Anfang Februar dieses Jahres nahm
er zu der Problematik aufgrund einer parlamentarischen Anfrage Stellung. Berlinweit
wurden 2006 27 Fälle erfasst, 2005 waren
es noch 14. Für das vergangene Jahr liegen
noch keine abschließenden Daten vor. Aber
auch diese Zahlen sind in Sachen Aussagekraft stark begrenzt. In der jährlichen polizeilichen Kriminalitätsstatistik werden nach
Körtings Angaben Straftaten gegen Schwule
und Lesben nicht gesondert erfasst. Nur in
der Statistik über politisch motivierte Kriminalität gebe es das Feld Hasskriminalität, innerhalb dessen mehrere Bereiche
wie „antisemitisch“, „Rassismus“ und eben
auch „sexuelle Orientierung“ unterschieden
werden.
Brückenköpfe bauen
Dabei gilt die Zusammenarbeit zwischen
der Polizei und den schwulen Szenen in der
Hauptstadt als bundesweit vorbildlich. Seit
1992 gibt es die hauptamtliche Stelle des
Ansprechpartners der Polizei für gleichgeschlechtliche Lebensweisen und seit 2006
zusätzlich die Stelle einer Ansprechpartnerin. „Das heutige Niveau der Zusammenarbeit ist uns dabei aber nicht zugeflogen. Über
die Jahre musste das Vertrauensverhältnis
und das Verständnis zwischen der Polizei
und den lesbischen/schwulen Projekten erarbeitet werden“, so Uwe Löher, Ansprechpartner der Polizei für gleichgeschlechtliche Lebensweisen, rückblickend. Heute tritt
impuls - 2008
53
>>
Homophobie und Polizei
Homophobie und Polizei
er – zumeist gemeinsam mit seinem weiblichen Pendant – mit Informationsständen
in den verschiedenen Szenen und bei Unterrichten in der polizeiinternen Aus- und
Fortbildung auf, kooperiert bei Präventionskampagnen und sitzt nach Beschwerdefällen
oder zur Problemlösung am Runden Tisch.
„Ergebnis ist ein hoher praktischer Nutzen
für beide Seiten. Wichtig dabei ist, die Rolle
des anderen zu kennen und zu respektieren
und auch mal mit unterschiedlichen Sichtweisen leben zu können“, so Löher.
MANEO hatte seinerzeit vom Senat die Einrichtung einer Stelle eines Ansprechpartners für gleichgeschlechtliche Lebensweisen
bei der Berliner Polizei gefordert, um somit
einen kompetenten Brückenkopf zu haben,
der nicht zuletzt auch in die Behörde hinein wirken soll. Bislang ist Berlin das einzige Bundesland, das für derlei Aufgaben eine
hauptamtliche Stelle vorsieht.
Allerdings: Berlin hat aufgrund seiner Bevölkerungszahl einen Sonderstatus; in der
Millionenmetropole leben schätzungsweise
250.000 bis 350.000 Lesben und Schwule.
Konzepte, die sich dort bewährt haben, sind
deshalb nicht unbedingt eins-zu-eins auf
kleinere Städte oder Flächenländer übertragbar. Doch die Berliner wollen bundesweit Impulse setzen. So denkt man gerade
über die Planung eines bundesweiten Arbeitstreffens der polizeilichen Ansprechpartner für Lesben und Schwule nach.
Sensibilisierung auf breiter Front notwendig
Für Bastian Finke und seine Mitstreiter ist
ebenfalls klar: Die Zusammenarbeit zwischen den schwulen Ansprechpartnern bei
der Polizei, den Anti-Gewalt-Projekten
und den schwulen Szenen muss grundlegend verbessert werden – zum einen, damit
durch erhöhtes Anzeigeverhalten mehr Täter zur Rechenschaft gezogen werden können, zum anderen, damit die Öffentlichkeit
stärker für das Thema sensibilisiert wird.
Doch das ist in der Theorie leichter gesagt
als in der Praxis umgesetzt. Horst Heinemann, Kriminalhauptkommissar bei der
Frankfurter Polizei und dort Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen, sieht seine Behörde in einem Zwiespalt,
wenn es darum geht, homophobe Delikte
zu erfassen. Häufig passiere das nicht, weil
es konkret bedeuten würde, bei der Anzeigenaufnahme explizit nach der sexuellen Orientierung des Geschädigten fragen
zu müssen, um einen homophoben Hintergrund erfassen zu können. „Ich denke, dass
sich viele Homosexuelle dies auch aufgrund
54 impuls - 2008
der eben bestehenden Vorbehalte gegenüber
der Polizei verbitten würden. Das wäre für
eine Vertrauensbasis eher kontraproduktiv. Da hilft wirklich nur, dass die Betroffenen dies von sich aus angeben, wenn sie wollen, dass die Tat entsprechend eingeordnet
wird“, resümiert Heinemann. Häufig habe
er aber das Problem, dass viele Schwule dies
bewusst verschweigen oder gar den tatsächlichen Tatort „verlegen“: Um sich nicht als
schwul zu outen, würde statt „Cruisinggebiet“ beispielsweise „am Bahnhof“ angegeben. Der Kriminalkommissar sieht daher
auch die Betroffenen in der Pflicht: „Sonst
geht das so weiter, dass in der Szene immer
über permanente Übergriffe räsoniert wird,
aber bei der Polizei nichts ankommt.“
Die Scheu, die Polizei als Freund und Helfer anzusehen, kommt jedoch nicht von ungefähr. „Es darf keinesfalls der Eindruck
entstehen, die Polizei wolle eine latente Mitschuld der Opfer ermitteln!“ Bastian Finke
fordert daher gleichsam die Polizeien auf,
in die eigenen Reihen hinein zu vermitteln,
„dass sich durchaus Täter auf Schwule als
Opfer spezialisiert haben. Es gilt also, die
Beamten entsprechend zu sensibilisieren,
geht es doch bei homophoben Übergriffen in
erster Linie um die Einstellung der Täter.“
Für Prof. Claudius Ohder von der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Berlin (FHRV) hat die Aufhellung des
Dunkelfeldes drei Voraussetzungen: Erstens
eine höhere Anzeigebereitschaft der Opfer,
zweitens die Bereitschaft der Geschädigten, den antischwulen Hintergrund der Tat
zu benennen und drittens die Erfassung eines solchen Hintergrundes durch die Polizei. Das aber ist für Ohder nicht unproblematisch: „Denn zum einen wäre zu klären,
was die Kriterien für einen homophoben
Hintergrund sein sollen – rein subjektives
Ermessen dürfte nicht ausreichen. Und zum
anderen würde dieses eine Erfassung der
sexuellen Präferenz des Geschädigten mit
sich bringen - wogegen es nachvollziehbar
Widerstand gibt“. Ohders Fazit: „Die Verkleinerung des Dunkelfeldes kann kein absolutes Ziel sein, dem sich alles andere unterordnet.“
Problem benannt – und nun?
Um die Anzeigebereitschaft zu erhöhen,
engagiert sich auch der hessische Landesverband der lesbischen und schwulen Polizeibeschäftigten (VelsPol). Peter Jüngling,
Sprecher des Verbandes: „Wir in Hessen beteiligen uns beispielsweise im Juli mit einem Infostand am Frankfurter CSD und –
wenn es uns möglich ist – auch mit einem
Wagen am dortigen Umzug. Freilich sind
unsere Kapazitäten bei gerade einmal einem guten Dutzend Mitglieder recht eingeschränkt; man muss sich nach dem personell Machbaren richten.“ Er ist stolz darauf,
dass es in Hessen – mit einer Ausnahme –
inzwischen in jedem Polizeipräsidium mindestens einen Ansprechpartner für schwule Belange gibt, wtritt und gewisse interne
Einwirkungsmöglichkeiten in die Behörde
hat. Allerdings, so Jüngling: „Soweit ich das
überblicke, haben diesbezüglich viele andere Bundesländer noch einen großen Nachholbedarf.“
Ein bundesweites Konzept gegen antischwule Gewalt existiert aber nicht; das Thema
wird vielerorts totgeschwiegen und ausgesessen. Da Polizeiangelegenheiten grundsätzlich Ländersache sind, kann eine entsprechende Regelung nur in den einzelnen
Bundesländern getroffen werden und ist somit abhängig von der jeweiligen politischen
Gewichtung des Problems. Und hier schließt
sich der Teufelskreislauf wieder: Da die Polizei den Innenministern keine verlässlichen
Daten liefern kann, interessiert sich kaum
jemand in der Politik für das Problem.
Um nun aber mehr Licht in das Dunkel zu
bringen, will Bastian Finke die Stellung der
Schwulen Überfalltelefone ausbauen. Diese sollen nicht nur als Opferberatungsstellen fungieren. Vielmehr sollen sie auch ihre
Kompetenz als Erfassungs- und Präventionsstelle unter Beweis stellen. Hier will
MANEO in Zukunft ansetzen: Die Beratungsstelle will sich als professionelles Projekt empfehlen und in Berlin ein Kompetenzzentrum einrichten – in Kooperation
mit dem Bundeskriminalamt, den Landespolizeien und wissenschaftlich begleitenden
Hochschuleinrichtungen. Die Polizei – dein Freund und Helfer?
Interviews: Frank Störbrauck
Zwei Geschädigte berichten von ihren Erfahrungen mit den Ermittlungsbehörden.
Tobias*, 34, Köln
Matthias*, 50, Berlin
„Wir feierten Silvester 2006 eine große Party bei mir. Nach Mitternacht wollten wir in
der Kölner City in einem Club weiterfeiern.
Mit rund zehn Leuten benutzten wir die UBahn. Dort wurden wir von zwei Typen und
deren Freundinnen mit antischwulen Sprüchen blöd angemacht, weil einer von uns auf
dem Schoß des anderen saß. Wir ließen uns
von denen aber nichts gefallen und keiften
zurück. Irgendwann eskalierte die Situation und einer der beiden Typen schmiss eine
leere Bierflache in unsere Richtung. Anschließend schlugen sie auf uns ein. Es entwickelte sich eine wilde Schlägerei. Mit ein
paar blauen Flecken und ein paar Beulen
sind wir noch einigermaßen glimpflich davon gekommen. Wir haben sofort die Polizei gerufen und noch in der U-Bahn-Station
konnten die Täter gestoppt werden. Dreisterweise behaupteten sie, wir hätten mit den
Pöbeleien und der Schlägerei begonnen. Die
Polizei vor Ort konnte oder wollte nicht so
recht feststellen, wer die Wahrheit sagte. Ein
paar Tage später suchte mich jemand von der
Kölner Polizei auf. Allerdings nicht im Sinne
einer Opfer-, sondern einer Täterbetreuung
wegen. Nach dem Motto: „Man schlägt sich
nicht!“ Da hatte ich einen ziemlichen Hals!
Es dauerte dann Monate bis ich von der Polizei schließlich zur Aussage gebeten wurde.
Zwar sagte mir der zuständige Beamte, man
glaube mittlerweile, dass wir die Opfer seien. Dennoch wurde das Verfahren gegen alle
Beteiligten am Ende eingestellt. Ich habe im
nachhinein so meine Zweifel, ob die Polizei
den Vorfall überhaupt als antischwule Tat
eingeordnet hat. Für sie war das wohl eher so
’ne typische Silvesterschlägerei.“
„Es war an einem Sonntagnachmittag, gegen 15 Uhr etwa, als ich mit meinem Freund
von einem Spaziergang heimkehrte. Schon
von weitem sah ich eine vierköpfige Jungenclique auf uns zukommen, bei der ich gleich
ein ungutes Gefühl hatte. Als wir an ihnen
vorbeigingen, haben sie uns absichtlich angerempelt. Es war ganz offensichtlich, dass
sie Streit suchten. Sie beschimpften uns als
Schwuchteln. Wir gingen aber rasch weiter.
Als ich vor unserer Haustür stand, verspürte ich plötzlich einen Schlag. Ich ging zu Boden. Als ich mich wieder aufrichtete, wollte
ich rasch mein Pfefferspray zur Verteidigung
einsetzen, doch das Spray funktionierte
nicht. Damit hatte ich die Täter noch mehr
gereizt, sie schlugen alle heftig auf mich ein.
Sie brachen mir sieben Rippen, zwei davon doppelt. Mein Freund hatte in der Zwischenzeit die Polizei gerufen, die Beamten
waren sehr schnell vor Ort. Aufgrund der
Personenbeschreibung haben sie sich sofort auf die Suche nach den Tätern gemacht,
leider bis heute vergeblich. Die Betreuung
durch die Polizei war rückblickend sehr gut.
Sie kümmerten sich auch anschließend um
mich, waren im Krankenhaus und auch ein
paar Wochen später bei mir zu Hause. Aufgrund meiner Erfahrung kann ich sagen,
dass die Berliner Polizei antischwule Straftaten schon ernst nimmt und sich sowohl um
die Opfer kümmert als auch darum, die Täter zu fassen.“
*Namen von der Redaktion geändert
impuls - 2008
55
Homophobie und Polizei
Studie
Viktimisierung von
Menschen mit homosexueller Identität
Hasskriminalität gegenüber
bi- und homosexuellen Männern in
Deutschland
Von Dr. Christian Messer
Von Dr. Bodo Lippl
Der Begriff der Viktimisierung ist in den
Sozialwissenschaften nicht unkontrovers
diskutiert. Pragmatisch wird er in Verbindung mit Zuschreibung oder Erleben einer
Opferposition konnotiert und verwendet.
Die Bedeutung für den Einzelnen erschließt
sich aus der jeweiligen Integration und Verarbeitung des Opfererlebens im individuellen psychodynamischen Kontext.
Was bedeutet das für die Entwicklung eines Menschen mit homosexueller Identität?
Worin besteht die Täterschaft, die für eine
Viktimisierung unabdingbar ist?
Hier gilt, wie in der Psychogenese ganz allgemein: Wiederkehrende und atmosphärisch konstante und so prägende Mikrotraumatisierung, also Haltungen (etwa der
Elternpersonen oder Repräsentanten ihrer Sozialisation) über einen längeren Zeitraum während der psychischen Entwicklung und Reifung eines Individuums, sind
erheblich prägender – und im ungünstigen
Fall dann auch schädlicher – als einmalige, als Traumata sehr viel leichter erkennbare Ereignisse. Problematische Haltungen der Beziehungsumgebung in sensiblen
Entwicklungsphasen bereiten den Boden für
eine spätere Verletzungsbereitschaft durch
wiederkehrende (Mikro-)Traumata.
In aller Regel drängt sich eine homosexuelle Identität mit Beginn der Pubertät im 13.
bis 15. Lebensjahr ins Bewusstsein, bei einigen setzt dieser Prozess bereits in der sogenannten Latenzphase ein, also etwa mit Beginn der Schulzeit. Individuen, die in einer
explizit homophoben Umgebung aufwachsen, in der etwa „beiläufig“ entsprechende abwertende Äußerungen (meist in Form
von Witzen oder Erzählungen) wiederkeh-
56 impuls - 2008
ren, entwickeln eine hohe Verletzbarkeit des
Selbstwerterlebens. Es keimt die Vermutung auf, prinzipiell oder partiell „falsch“
zu sein. Es bedarf in der Folge eines hohen
Ich-Aufwandes, die konflikthafte Comingout-Situation zu bestehen. Diese gelingt
dann meist nach erheblichen innerpsychischen Konfliktaustragungen und nur in der
dadurch gefestigten inneren Überzeugung,
doch im Grunde in Ordnung zu sein. Soweit
ist dies ein Prozess, der bei anderen Menschen in anderen Identitätsbereichen ähnlich ausgetragen wird.
Eine wirkliche Viktimisierung entsteht
durch Remobilisierung der ursprünglichen
Befürchtung, in aller Regel ausgelöst durch
abfällige Bemerkungen auf der Straße, am
Arbeitsplatz oder in einem anderen alltäglichen Kontext. Dabei setzt die Viktimisierung
oft bereits im Stadium vor dem Coming-out
ein. „Schwul“ ist ein beliebtes und gängiges
Schimpfwort unter Schülern, und oft genug
trifft die hochsensible Angriffslust pubertierender Horden den „Richtigen“. Weiter
geht die offene Diskriminierung danach auf
der Straße mit Abwertungen, Beschimpfungen und – nicht zuletzt – mit tätlichen
Angriffen weiter.
Diese Remobilisierung zuvor gehegter Identitätsängste hat – so lassen Ergebnisse neuester Befragungen vermuten – bei Schwulen ganz besondere Relevanz: Ein Drittel der
Befragten (MANEO-Umfrage, s. S. 57) bestätigt derartige Konfrontationen pro Kalenderjahr, was auf eine relevante Wiederholungswahrscheinlichkeit schließen lässt.
Dieser wiederkehrenden traumatischen
Verunsicherung müssen eine sehr gefestigte
Identität und Ich-Stärke gegenüberstehen,
damit eine Beeinträchtigung der Persön-
lichkeitsentwicklung im Weiteren erfolgreich abgewehrt werden kann.
Selbstredend können Gewalterfahrungen –
genau wie andere Extremtraumata – je nach
psychodynamischer Entwicklung des Betroffenen alle Formen der posttraumatischen Belastungs- oder Persönlichkeitsstörung auslösen.
Die klinische Erfahrung in der psychosomatisch-psychotherapeutischen Behandlung homosexueller Patienten bestätigt die
im Vergleich zu heterosexuellen Patienten
ungleich höhere Exposition von Viktimisierung eben aufgrund der sexuellen Identität.
In diesem Zusammenhang ist die von Zizek
(vgl. Zizek, Slavoj, „Liebe Dein Symptom
wie Dich selbst“, Frankfurt/M. 1991) aufgestellter Hypothese, dass das postmoderne
Subjekt zu einem narzisstischen Selbstverhältnis neigt, bei dem es sich gern in seiner
selbstgewählten Opferrolle darstellt, stark
zu problematisieren, auch wenn aktuelle
mediale Diskussionen immer wieder einen
derartigen Kontext bei der homosexuellen
Viktimisierung zu suggerieren suchen.
Dr. Christian Messer, Studium der Medizin in Ulm, Berlin (FU) und Zürich (Psychiatrische Universitätsklinik Burghölzli), Studium der Musiktherapie an der Hochschule
der Künste Berlin. 1990 bis 1993 klinische
Tätigkeit in der Med. Abt. der Allgemeinen Krankenhauses Ochsenzoll in Hamburg, ab 1993 in der Abt. für Innere Medizin
und Psychosomatik der Kliniken im Theodor
Wenzel Werk und der dortigen psychiatrischen Abt.. Promotion über „Musiktherapie
und Schizophrenie“ an der FU. Seit Januar
2005 in eigener Praxis tätig. Wissenschaftliches Beiratsmitglied bei MANEO.
Das Ausmaß an Gewalttaten in Deutschland, die Täter aufgrund der sexuellen Orientierung ihrer Opfer begehen, ist weitgehend unbekannt. Sie werden in den offiziellen Statistiken staatlicher Behörden meist nicht berichtet oder dort als solche nicht eigenständig und
differenziert genug erhoben. Zahlen, die bislang Auskunft über das Ausmaß dieser vorurteilsmotivierten Hassgewalt zu geben vermochten, beschränkten sich im wesentlichen auf
die von szenenahen Einrichtungen (Überfalltelefone, Beratungsstellen etc.) gemeldeten Fälle. Von daher kann angenommen werden, dass das Dunkelfeld homophober Gewalt noch
weitaus größer ist als bisher bekannt. Da ein geeigneter Umgang mit diesem gesamtgesellschaftlich schädlichen Problem nur gefunden werden kann, wenn derartige Hasskriminalität sichtbar gemacht und in ihren Ursachen und Wirkungen erforscht wird, hat MANEO,
das schwule Anti-Gewalt-Projekt in Berlin von Dezember 2006 bis Januar 2007 eine breit
über schwule Printmedien und Internetportale beworbene Umfrage unter schwulen, bi- und
transsexuellen Jugendlichen und Männern über ihre erlebten Gewalterfahrungen durchgeführt. 1 Eine für diese Gruppe repräsentative Erhebung kann wegen unlösbarer methodischer
Probleme nicht realisiert werden; es muss deshalb eine Strategie verfolgt werden, möglichst
Körperverletzung
4,5 %
Eigentumsdelikt
4,2 %
Kein Vorfall
64,5 %
Abb. 1: Verteilung des schwerwiegendsten Gewaltvorfalls
Bedrohung
26,9 %
breitgestreut über verschiedene Kontaktwege möglichst viele Befragungsteilnehmer
zu erreichen und zur Teilnahme zu motivieren. Auf diese Weise sind in der MANEOUmfrage 2006/07 fast 24.000 auswertbare
Fälle zustande gekommen. Die rekordverdächtige Teilnahmezahl allein zeigt bereits,
dass das Thema homophobe Gewalt innerhalb der Szene eine große Bedeutung hat,
weil damit offenbar ein Problembereich angesprochen wird, der vielen homosexuellen
Männern aufgrund ihrer Lebenserfahrungen vertraut ist.
So geben mehr als ein Drittel aller Befragten für den Zeitraum der letzten 12 Monate
an, Opfer mindestens einer Gewalttat geworden zu sein (35,5 Prozent). 64,5 Prozent
nennen keinen Vorfall im selben Zeitraum
(vgl. Abb. 1).
Falls mehrere Vorfälle stattgefunden haben, was den Angaben zufolge bei über einem Fünftel aller Befragten der Fall ist (22,4
Prozent), sollten die Befragten ihre Angaben
auf den Vorfall beziehen, der sie am stärksten betroffen hat. Die Verteilung dieser ggf.
schwerwiegendsten Gewaltakte auf verschiedene Formen zeigt, dass 75,7 Prozent
der genannten Vorfälle auf Beleidigungen
und Bedrohungen im weitesten Sinne entfallen (26,9 Prozent aller Befragten), 11,8
Prozent auf Gewalttaten in Zusammenhang
mit Eigentumsdelikten (4,2 Prozent aller
Befragten) und 12,5 Prozent auf Körperverletzungen (4,5 Prozent aller Befragten). Damit beschränkt sich zwar der überwiegende
Teil aller Vorfälle auf Bedrohungen, Beleidigungen und Pöbeleien. Körperverletzungen
fallen jedoch dann stark ins Gewicht, wenn
zudem bedacht wird, dass 4,5 Prozent aller
Befragungsteilnehmer (also jeder 18. Be-
impuls - 2008
57
>>
Studie
Studie
Fast zwei Drittel der Gewalttaten werden von
mehreren Tätern begangen (40,7 Prozent der
Vorfälle von einem Täter). In 5,3 Prozent aller Vorfälle sind Waffen im Einsatz gewesen.
In den meisten Fällen sind die Täter für die
Opfer unbekannte Personen (70,7 Prozent),
in 15,1 Prozent der Fälle kennen die Opfer sie flüchtig und in 14,2 Prozent der Fälle sogar persönlich. Die Befragten nehmen
ihre Täter, wenn sie unbekannt sind, überwiegend als nicht weiter auffällige Personen wahr (48,6 Prozent). Entgegen der weit
verbreiteten Vermutung, dass homophobe
Gewaltvorfälle größtenteils von Rechtsradikalen begangen werden, ist der Anteil derartig wahrgenommener Vorfälle vergleichsweise eher gering (6,7 Prozent). Auch wenn
nicht explizit danach gefragt wurde, gaben
die Befragten jedoch in ihren offenen Antworten zum Umfeld der Täter von sich aus
nicht selten an, dass die Täter nichtdeutscher Herkunft waren (15,9 Prozent).
fragte) eine derartige Gewaltform als schwerwiegendsten Fall angibt. Eine schwere Körperverletzung geben immerhin noch 0,5 Prozent aller Befragten an, auch wenn hier berücksichtigt werden muss, dass die Teilnahmemotivation an der Umfrage für diese Betroffenen
besonders hoch sein dürfte. Hochgerechnet ist dies ungefähr jeder 200. Befragungsteilnehmer, der den eigenen Angaben zufolge in den letzten 12 Monaten körperlich schwer verletzt
wurde.
Unabhängig davon, welche Gewaltform als schwerwiegendste vorliegt, kann das Risiko, von
homophober Gewalt überhaupt betroffen zu sein, für verschiedene Gruppen ganz unterschiedlich sein. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass die Größe des Wohnorts der Befragten offenbar keine große Rolle spielt. Homophober Hassgewalt ausgesetzt zu sein ist
demnach keine Frage der Einwohnerzahl des Wohnortes. Sie tritt in Großstädten genauso
häufig auf als auf dem Land oder in der Kleinstadt. Allerdings hängt die Betroffenheit von
homophober Gewalt vom Alter der Opfer ab. Sie nimmt mit zunehmendem Alter ab. Umgekehrt können insbesondere die ganz jungen bisexuellen und schwulen Befragten als diejenige Gruppe ausgemacht werden, bei denen das Gewaltrisiko am höchsten ist. 63,9 Prozent der Bis-18-Jährigen, 46,0 Prozent der 19-25-Jährigen und bei den 26-30-Jährigen noch
immerhin 34,7 Prozent, geben einen Vorfall an. Damit lässt sich insbesondere die Gruppe
der Schüler als eine Hochrisikogruppe bezüglich homophober Gewalt bezeichnen, die mehrheitlich (56,4 Prozent) einen derartigen Vorfall angeben.
Entgegen oft geäußerter Vermutungen ereignen sich derartige Gewalttaten nicht an unbekannten Orten, sondern an Orten, die das Opfer gut kennt. Fast 85 Prozent der Opfer ist der
Ort des Vorfalls gut bzw. sehr gut bekannt. Die meisten Vorfälle finden den Angaben zufolge
auf der Straße (44,8 Prozent), in öffentlichen Verkehrsmitteln (14,7 Prozent) in der Schule,
dem Ausbildungs- oder am Arbeitsplatz (14,9 Prozent) statt.
Da die sexuelle Orientierung als Hassmotiv
im Hintergrund der berichteten Gewalttaten angezweifelt werden kann, ist die Frage
der Erkennbarkeit der sexuellen Orientierung des Opfers für die Täter von zentraler
Bedeutung. Sie ist den Angaben der Befrag-
Die Täter werden aus Sicht der Opfer folgendermaßen charakterisiert: Sie sind meist männlich (86,8 Prozent) und jung. Nur 12,4 Prozent der Täter werden über 35 Jahre eingeschätzt.
44,8
Öffentliches Straßenland
14,7
Öffentliche Verkehrmittel
5,2
Park / Waldgebiet
1,8
Umfeld öffentlicher Toiletten
In meiner Wohnung
3,6
Vor Wohnungstür / Hauseingangtür
3,6
6,6
Unmittelbare Nachbarschaft
10,3
In einem Lokal
3,7
Vor einem Lokal
8,9
Umfeld schwuler Lokale / Treffpunkte
14,9
Schule / Ausbildungs- / Arbeitsplatz
2,0
Bei s chwullesbischer Veranstaltung
4,2
Internet / E-Mail
1,1
Briefpost / Anrufe
5,2
Woanders
0
10
20
30
Genannter Vorfallort – Prozent
Abb. 2: Orte des Vorfalls
58 impuls - 2008
40
50
Bedrohung
95,9
Eigentumsdelikt
61,9
Körperverletzung
71,0
0
20
4,1
38,1
29,0
40
60
Polizei verständigt bzw. Anzeige erstattet? – Prozent
80
nein
100
ja
Abb. 3: Verständigung der Polizei nach Vorfallformen
ten nach in den meisten Fällen und zudem unter Angabe von Indikatoren gegeben und kann
nur in 17,4 Prozent der Vorfälle möglicherweise ausgeschlossen werden.
Gerade für die öffentliche Sichtbarkeit des Ausmaßes homophober Gewalt ist die Anzeige bei
der Polizei als staatlicher Behörde von besonderer Bedeutung. Allerdings wurden den Angaben der Opfer zufolge nur 11,9 Prozent aller Vorfälle polizeilich zur Anzeige gebracht. Betrachtet man das Anzeigeverhalten in Zusammenhang mit der Verletzung der Opfer, zeigt
sich zwar, dass der Anteil einer polizeilichen Meldung im Falle einer Verletzung deutlich höher liegt. Mehr als die Hälfte der Vorfälle mit einer Verletzung (54,6 Prozent) werden jedoch
auch in diesem Fall nicht angezeigt oder polizeilich gemeldet. Wird das Anzeigeverhalten
nach verschiedenen Gewaltformen unterschieden, überrascht es nicht, dass das Einbeziehen
der Polizei deliktspezifisch ist, d.h. bei Bedrohungen deutlich niedriger (4,1 Prozent), hingegen bei Eigentumsdelikten (38,1 Prozent) und Körperverletzungen (29,0 Prozent) deutlich höher ausfällt. Allerdings wird selbst im Falle einer schweren Körperverletzung in nur
69,2 Prozent dieser Vorfälle die Polizei eingeschaltet. Damit wird fast ein Drittel selbst dieser als besonders schwerwiegend geltenden Gewaltkriminalität von bisexuellen und schwulen Männern nicht angezeigt. Dass sich eine Anzeige lohnt, zeigt die erhobene Aufklärungsquote. In immerhin 43,0 Prozent der Vorfälle, die zur Anzeige gebracht wurden, konnten die
Täter durch die Polizei ermittelt werden (52,9 Prozent der gemeldeten Bedrohungen, 27,2
Prozent der Eigentumsdelikte und 54,0 Prozent der angezeigten Körperverletzungen).
Insgesamt zeigen die Ergebnisse in der Zusammenschau dreierlei Problemkomplexe: 1. Vor
allem die jüngeren homosexuellen Männer sind gerade in der Lebensphase viel stärker von
Gewalt betroffen, in der sie auch eine besondere Vulnerabilität aufgrund der Widrigkeiten
im Rahmen des eigenen Coming out sowie der sexuellen Entwicklung aufweisen. Die Umstände derartiger Gewalt müssen daher weiter untersucht werden. 2. Ferner erfordert das
geringe Anzeigeverhalten besondere Aufmerksamkeit. Die Opfer schalten die Polizei zu selten ein. Ob dies stärker am mangelnden Vertrauensverhältnis zwischen Polizei und Opfern
aufgrund der sexuellen Orientierung liegt oder von der Bagatellisierung der erfahrenen Gewalt auf Seiten der Opfer abhängt, ist wissenschaftlich noch ungeklärt. Die Ergebnisse der
Analysen sprechen dafür, dass beides eine Rolle spielt. 3. Opferbefragungen in einer gesellschaftlichen Gruppierung allein sind in ihrer Aussagekraft zur Gesamtlage des Ausmaßes an
antischwuler Gewalt zwar beschränkt, aber sie sind eine sinnvolle Ergänzung insbesondere
zur Aufhellung des Dunkelfeldes in diesem Bereich. Sie sind jedoch kein Ersatz für eine politisch gewollte staatliche Registrierung derartiger Vorfälle. Zur Sicherung der Transparenz
und zur Betonung des Wertes des demokratischen Schutzes von Minderheiten, ist der eigenständige Ausweis von Hassgewalt aufgrund der sexuellen Orientierung in der polizeilichen
Kriminalstatistik unabdingbar. Fehlentwicklungen und ungerechte Zustände können nur
bekämpft und vermieden werden, wenn sie sichtbar für alle gemacht werden. Ebenso nötig
ist dazu aber auch die Fortführung und Vertiefung der wissenschaftlichen Forschung zu den
Ursachen und Motiven vorurteilsmotivierter Hassgewalt.
Dr. Bodo Lippl, geb. am 30.04.1970. Studium der Kath. Theologie und Soziologie in
München, Wiss. Mitarbeiter am Institut für
Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von MANEO.
Zum wissenschaftlichen Beirat von MANEO,
der die MANEO-Studie begleitet, gehören
des weiteren Dr. Michael Bochow, (Soziologe), bekannt durch Untersuchungen zu Einstellungen von schwulen Männern zu HIV
und AIDS im Auftrag der Bundeszentrale
für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), Dr.
Martina Stallmann (Soziologin), Dozentin für Methodenlehre an der Evangelischen
Fachhochschule Berlin, sowie Bastian Finke
(Soziologe), MANEO-Projektleiter.
Danksagung: Die Bewerbung der ambitionierten Studie wurde unterstützt u.a. von den Onlineportalen gayromeo.com, queer.de, gay.de,
gayforum.de, gay-web.de, gaychat.de, gayroyal.com, homo.net, queerwelt.de, eurogay.de und
dbna.de, die ihre User zur Teilnahme aufriefen.
Der umfassende Bericht zu dieser Studie kann
im Internet herunter geladen werden unter:
www.maneo-toleranzkampagne.de
1
impuls - 2008
59
Konferenz
Konferenz
Gemeinsam gegen Homophobie
und Hassgewalt
Mit seiner deutsch-französisch-polnischen Konferenz bietet MANEO der länderübergreifenden Vernetzung und dem Dialog zwischen Projekten, Polizeien und Politik ein etabliertes Forum. Im Mai 2007 thematisierte die einmal jährlich im Rahmen des Internationalen Tages gegen Homophobie stattfindende MANEO-Werkstatt das Dunkelfeld bei
antischwulen Delikten und formulierte Gegenstrategien. Eine Bilanz.
Anknüpfend an den Erfolg der ersten Konferenz in 2006 lud MANEO vom 11. bis 12. Mai
2007 zur Fortsetzung des Dialogs erneut nach Berlin ein. MANEO begrüßte 120 Tagungsgäste aus Deutschland, Frankreich und Polen zur zweiten MANEO-Werkstatt im Rathaus
Schöneberg. Der länderübergreifende Austausch wurde von zahlreichen Vertretern aus Polizeien, Politik und Organisationen interessiert angenommen und als Basis für neue Impulse
für die zukünftige Projektarbeit in den Ländern begriffen.
Breite politische Unterstützung für die MANEO-Werkstatt
Nicht nur das Interesse des Fachpublikums war groß, auch die hiesige Politik würdigte die
zweite MANEO-Werkstatt, die in ihrer thematischen Ausrichtung als bundesweit beispiellos gelten kann, mit breiter Unterstützung: Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus
Wowereit, der die Schirmherrschaft über den Internationalen Tag gegen Homophobie 2007
innehatte, zählt MANEO aufgrund seiner Erfahrung „zu den Vorreitern der gesellschaftlichen Öffnung“ hin zu mehr Toleranz und Akzeptanz gegenüber unterschiedlichen Lebensformen im Land und lobte es in seinem Grußwort als „das erfahrenste schwule Anti-Gewalt-Projekt in Deutschland“. Auch Berlins Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales,
Heidi Knake-Werner, betonte in ihrer Rede vor dem Auditorium im Willy-Brandt-Saal die
immense Bedeutung der Opferhilfe- und Präventionsarbeit von MANEO und sicherte abermals ihre volle Unterstützung zu.
Dunkelziffer weit höher als bislang
angenommen
Dass hierbei Handlungsbedarf besteht,
zeigten neueste Zahlen, die MANEO auf
der Konferenz präsentierte: Laut MANEOStudie 2006/2007, an der rund 24.000 Personen deutschlandweit teilgenommen hatten
(s. S. 57), liegt die Dunkelziffer nicht-angezeigter Straftaten zum Nachteil schwuler
und bisexueller Jugendlicher und erwachsener Männer mit 90 Prozent in Deutschland weit höher als bislang angenommen.
Dem Ziel, das Dunkelfeld zu reduzieren,
pflichteten Berlins Innensenator Dr. Ehrhart Körting und Polizeipräsident Dieter
Glietsch bei. „MANEO verfolgt auch für die
Dunkelfeldforschung wertvolle und damit
präventive Ansätze“, so Körting in Bezug auf
die erfolgreiche MANEO-Studie. Es gälte „der vorurteilsmotivierten Gewalt zu begegnen und das entsprechende Dunkelfeld
zu erhellen“, so Glietsch, weswegen die Ber-
impuls - 2008
Dr. Louis-Georges Tin, Begründer des
Internationalen Tages gegen Homophobie: „Das europäische Netzwerk
unterstützen!“
Bagatellisierung und Berührungsängste mit
der Polizei prägen das Meldeverhalten der
Opfer
© MANEO
60 Mit vereinten Kräften: Stärkung des deutsch-französisch-polnischen Netzwerks
liner Polizei die MANEO-Toleranzkampagne, deren Bestandteil die MANEO-Werkstatt ist, nach Kräften unterstützen würde.
Fehlende öffentliche Aufmerksamkeit erschwert die Situation für Betroffene
wie für Initiativen
Zweifelsohne, Engagement tut weiterhin Not. Denn: Schwulenfeindliche Gewalt findet auch
heute noch überall statt – ob in Metropolen wie Berlin, Paris und Warschau, in Kleinstädten
oder ländlichen Regionen. Doch sorgen selbst tätliche Übergriffe auf Homosexuelle selten für
Schlagzeilen; insbesondere Deutschland fiel in diesem Zusammenhang während der Werkstatt gegenüber dem vergleichsweise offenen Frankreich überraschend negativ auf:
Trotz einer großen Mediendichte, auch und vor allem im Bereich der schwullesbischen Medien, finden Homophobie und Hassgewalt seitens der Presse kaum Beachtung. „Dass sich gerade in
den schwulen Szenen das Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit angesichts der Vielzahl von
konkreten Gewalterfahrungen breit macht, liegt auch an der Tatenlosigkeit der Presse“, konstatierte deshalb MANEO. Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen wies in ihrem
Grußwort hier auf einen wichtigen Zusammenhang hin. Gerade die „öffentliche Aufmerksamkeit“ sei wichtig für Menschen, die von Gewalt betroffen waren, denn: „Wer Opfer von
Gewalt wird, darf durch Wegschauen und mangelnden Beistand nicht ein zweites Mal zum
strafrechtliche Verfolgung müsse „rasch und konsequent“ erfolgen.
Dies wird jedoch erst
möglich, wenn die zuständigen Behörden von den Taten wissen. „Dazu müssen wir Berührungsängste bei den Opfern abbauen und sie zur Anzeigeerstattung ermutigen,“ so Zypries.
Nur, die bereits wiederholt in der Öffentlichkeit geäußerten Erfahrungen von MANEO wurden einmal mehr auch auf der Werkstatt bestätigt: Die Betroffenen verschweigen oft den Hintergrund – oder dieser wird im Zuge der polizeilichen Ermittlungsarbeiten dann „entwertet“
oder nicht ernst genommen. Kein Wunder also, dass infolgedessen Bedrohung, Beleidigung
oder Körpergewalt von den Betroffenen nicht selten als ein „normales“ und zu erduldendes
Übel angenommen wird, dessen strafrechtliche Verfolgung sich nicht lohnen würde – getreu
der Devise, „das hätte auch jedem anderen passieren können“. Deshalb gilt es, verstärkt auf die
Sensibilisierung aller Betroffenen hinzuwirken.
© Burghard Mannhöfer
Unter der Überschrift „Homophobie und schwulenfeindliche Gewalt im öffentlichen
Raum: Meldung – Bewertung – Prävention“ standen angesichts des Dunkelfeldes nichtgemeldeter Straftaten zum Nachteil schwuler Männer zahlreiche Fragen auf der Agenda.
Hierzu gehörten Fragen nach den möglichen Ursachen für das zurückhaltende Anzeigeverhalten unter Schwulen ebenso wie Fragen nach möglichen Gründen für die Unsicherheiten
seitens der Polizei bei der Identifizierung homophober Gewaltdelikte als „vorurteilsmotivierte Straftaten“, und schließlich Fragen nach geeigneten Präventionskonzepten.
Regen
Zuspruch fanden sowohl die Workshops als auch die öffentlichen Podiumsdiskussionen, in
denen die Teilnehmenden im Anschluss an die Impulsreferate unter jeweils akzentuierter
Fragestellung am Thema arbeiteten.
Opfer gemacht werden“. Insbesondere Opfer homophober Gewalt haben mit diesem
Problem zu kämpfen.
Polizeivertreter aus zahlreichen Bundesländern waren von ihren Behörden offiziell zur Tagung nach Berlin
entsandt worden.
Ein Problemkreislauf wird offenbar und
problematisiert: Einerseits ist zu beklagen,
dass antischwule Gewalt in all ihren Facetten in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, oft sogar bagatellisiert wird. Andererseits werden homophobe Übergriffe kaum
gemeldet oder bekannt, geschweige denn bei
der Polizei als Straftat angezeigt.
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, die die Arbeit von MANEO bereits seit längerem aufmerksam verfolgt, ließ in ihrem Grußwort
die Forderung verlautbaren, gegen Hasskriminalität „entschlossen“ vorzugehen – „mit
Mitteln der Prävention aber auch mit repressiven Maßnahmen.“ Die Bekämpfung
schwulenfeindlicher Gewalt dürfe sich daher „nicht auf die Prävention beschränken“,
Diesen Zielen wollen die drei Projekte MANEO, SOS-Homophobie aus Frankreich und
Lambda Warschau näher kommen. Durch regelmäßige Treffen der drei Projekte, so der einstimmige Beschluss derer Projektleiter Bastian Finke, Jacques Lizé und Krzysztof Kliszczynski, soll der Austausch der Erfahrungen aus der Anti-Gewalt-Arbeit der Partnerländer des
„schwulen Weimarer Dreiecks“ hinsichtlich Effizienz und „best practice“ sowie das Networking gefördert werden. Erklärtes Ziel ist auch der Austausch von Erfahrungen und die
Verbesserung gewaltpräventiver Ansätze mit den Polizeien, deren Arbeit die Projekte mit ihrem Know-how als Thinktank unterstützen können.
Wiederholung der MANEO-Umfrage 2008
Um das wissenschaftliche Fundament dieser Arbeit zu stärken, wurde die MANEO-Umfrage zum Jahreswechsel 2007/2008 wiederholt*. Ziel ist es, die empirische Untersuchung zu
Gewalterfahrungen von schwulen und bisexuellen Jugendlichen und Männern mittelfristig
in einen europäischen Kontext einbetten zu können. Dagmar Roth-Behrendt, Vizepräsidentin des Europaparlaments, begrüßte in ihren Grußwort das Vorhaben des länderübergreifenden Erhellens des Dunkelfeldes und versicherte den Tagungsteilnehmenden: „Sie können sicher sein: Das Europäische Parlament wird mit Ihnen gemeinsam für eine Europäische
Union ohne Homophobie kämpfen.“
Länderarbeit im Blick der EU
Auch wenn in Frankreich und Deutschland bereits Hürden genommen wurden –innerhalb
Europas ist das Gefälle nach wie vor groß, wie auch das Beispiel Polen zeigte: Die zum damaligen Zeitpunkt restriktive Haltung der polnischen Behörden erschwerte es vielen Interessierten, insbesondere Vertretern der polnischen Polizei, an der MANEO-Werkstatt teilzunehmen; einigen machte sie es gar gänzlich unmöglich. Lambda-Warschau wurde daher
angeboten, eine Einladung an Vertreter von Polizeien aus Deutschland und Frankreich nach
Polen zu unterstützen, um dort die Kooperationsmöglichkeiten zu thematisieren und zu verbessern. Dass ein solches Vorhaben auch Unterstützung auf europäischer Ebene finden würde, belegten deutliche Worte, die Roth-Behrendt an die Adresse der damaligen polnischen
Regierung richtete. Sie kritisierte harsch deren gegen die europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien verstoßenden Gesetzesvorhaben und wies darauf hin, „dass Polens Beitritt
zur Europäischen Union nicht möglich gewesen wäre, wenn es vor der letzten Erweiterung
der Union im Jahr 2004 zu diesen nicht hinnehmbaren Ereignissen gekommen wäre.“ Die
„Äußerungen einiger polnischer Regierungsvertreter“ hätten „gegen die demokratischen
Grundsätze der Europäischen Union verstoßen“, so Roth-Behrendt weiter. Die Bundesvorsitzende der Grünen, Claudia Roth, die ebenfalls die Haltung der damaligen polnischen Regierung kritisierte, sekundierte in ihrem Grußwort: „Wer sich mit Worten einübt in Ausgrenzung und Diskriminierung, für den rücken auch gewaltsame Taten in den Blick.“
impuls - 2008
61
>>
Konferenz
Publikationen
TolerantiaPreis
Antidiskriminierungsarbeit und Gewaltprävention nur als gesamtgesellschaftliche
Aufgabe umsetzbar
„Worten müssen Taten folgen“
– MANEO fordert Konsequenzen ein
MANEO appellierte an diese breite politische Unterstützung und fordert Konsequenzen ein: Der Kampf gegen Homophobie und
Hassgewalt könne nicht nur von einzelnen,
überwiegend ehrenamtlich organisierten
Initiativen ausgefochten werden, sondern
müsse auf sämtlichen Ebenen der Gesellschaft stattfinden. MANEO appellierte mit
Nachdruck an die Politik der Bundesländer,
sich der Verantwortung zu stellen. „Worten
müssen nun Taten folgen“, so Bastian Finke
gegenüber der Presse. Dass dies möglich ist,
beweist die gute Zusammenarbeit zwischen
MANEO und der Polizei in Berlin, die einen
offiziellen Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen in ihrer Behörde eingerichtet hat. Anders als in Berlin sind
in keinem anderen Bundesland Ansprech-
62 impuls - 2008
© MANEO
Effektive Antidiskriminierungsarbeit wie
auch Gewaltprävention stellen eine „gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar,
der sich zu stellen ausnahmslos alle Verantwortlichen aufgefordert sind“, betonte
Bastian Finke auf der MANEO-Werkstatt:
„Hassgewalt bedroht den sozialen Frieden
in unserer Gesellschaft.“ Eine Viktimisierungsrate von 35 Prozent in den vorangegangenen 12 Monaten, außerdem 90 Prozent
nicht-angezeigte, das heißt nicht geahndete
Taten offenbaren nicht nur ein Gefahrenpotential für den sozialen Frieden innerhalb
der Gesellschaft, sondern vermitteln auch
einen Eindruck von den immensen Kosten
für die Allgemeinheit, die aufgrund vielfach
notwendig werdender medizinischer oder
psychosozialer Nachsorge für die Betroffenen entstehen. Die Bemühungen von MANEO, vor allem Betroffene in ihrem Schicksal nicht alleine zu lassen, sich ebenso für
effektive Gewaltprävention und den Abbau
von Vorurteilen einzusetzen, stießen auf
klare Worte der Unterstützung durch Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen
(CDU): „Bitte lassen Sie in Ihrem Engagement nicht nach!“ Aus dem Auswärtigen Amt
kamen ähnlich deutliche Worte: „Die Bundesregierung schätzt diese wertvolle Arbeit“,
so Günter Nooke, Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und
Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt, gegenüber MANEO; „der Einsatz gegen Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung ist ein wichtiger Punkt der deutschen
und EU-Menschenrechtspolitik.“
Die Vorsitzenden bekräftigen ihr Bündnis (v.l.n.r.):
Jacques Lizé (SOS-Homophobie, Frankreich), Krzysztof Kliszczynski (Lambda-Warschau, Polen), Bastian Finke (MANEO, Deutschland).
partner von den zuständigen Polizeipräsidien mit festen Stellen eingerichtet worden. „Das
Bewusstsein ist dort noch gar nicht richtig angekommen, dass mit einer solchen Stelle viel
harte Arbeit bevorsteht.
In einigen Präsidien ist man tatsächlich der Meinung, man könne
einen solchen Job nebenbei machen. Es reicht jedoch nicht aus, eine Telefonnummer einzurichten und dann abzuwarten, dass jemand anruft. Die Polizei ist hier aufgefordert, auf
den Bürger zuzugehen und Vertrauen herzustellen“, so Bastian Finke (s. S. 53).
MANEO forderte daher, dass zum einen in jedem Bundesland die zuständigen Polizeipräsidien offizielle
Ansprechpartner benennen, und zum anderen die zuständigen Sozial- und Innenministerien Anti-Gewalt-Projekte angemessen fördern, um einen Brückenschlag zu ermöglichen. Mit
dieser Basis würde Vertrauen geschaffen – eine Arbeit, die nur langfristig ausgerichtet Erfolge in der Präventionsarbeit verspricht. Erstrebenswert, so die MANEO-Werkstatt diesbezüglich im Ergebnis, sei außerdem ein nachhaltig über die einzelnen Bundesländer hinaus etabliertes Netzwerk von Landesbeauftragten der Polizeien und Anti-Gewalt-Projekten,
die sich austauschen und ihre Aufklärungs- und Präventionsarbeit intensivieren könnten.
Anerkennend würdigte Finke die zahlreichen anwesenden Polizeivertreter, die vielfach bemüht sind, nebenbei oder ehrenamtlich eine solche Funktion in ihrer Behörde auszuüben –
oft auch ohne Rückhalt. Das Fehlen des Top-down-Prinzips sei, so Finke, exemplarisch für
die Aufklärungsarbeit insgesamt. Es mache darüber hinaus ein strukturelles Problem deutlich: „Wie soll das große Misstrauen, das seitens vieler von homophober Gewalt Betroffener
gegenüber der Polizei offenkundig besteht, angegangen werden, wenn nicht auch die Polizei
sich von institutioneller Seite her bewegt?“
Handlungsbedarf erkannt, breite Zustimmung für Fortsetzung des Dialogs
Die Teilnehmenden der zweiten MANEO-Werkstatt signalisierten ihre Bereitschaft, die offenkundig gewordenen Probleme anzugehen und den Gesprächsfaden bis zur nächsten MANEO-Werkstatt im Mai 2008 (s. S. 64) nicht abreißen zu lassen. Bastian Finke: „Wir freuen
uns, mit der MANEO-Werkstatt ein Forum geschaffen zu haben, das sich als konstruktives
Instrument im länderübergreifenden Austausch bewährt hat.“ (red) * MANEO-Umfrage 2: Die Ergebnisse der zum Jahreswechsel 2007/2008 durchgeführten Wiederholungsstudie werden auf der MANEO-Werkstatt 3 am 17. Mai 2008 präsentiert.
Mit dem „Schwulen Weimarer Dreieck“ begründeten im November 2005 MANEO, der
französische Verein SOS-Homophobie und
die polnischen Organisationen Lambda,
KPH und Stiftung für Gleichberechtigung
ein grenzüberschreitendes Netzwerk, mit
dem Ziel, künftig in der Anti-Gewalt-Arbeit
enger zusammenzuarbeiten. Die Jahresberichte der Projekte sollen zudem regelmäßig
der EU vorgelegt werden.
Symbolträchtiger Ausdruck dieser beispiellosen Zusammenarbeit ist der TolerantiaPreis. Ausgezeichnet wurden im Mai 2006
auf einer Benefizveranstaltung in Berlin –
im Beisein des Regierenden Bürgermeisters
von Berlin, Klaus Wowereit – die GrünenPolitiker Volker Beck und Günther Dworek
(Deutschland), der Begründer des Internationalen Tages gegen Homophobie Dr. Louis-Georges Tin (Frankreich) und der Senator Kazimierz Kutz (Polen). 2007 fand die
Preisverleihung im Pariser Louvre statt; die
Preisträger waren das Jugendtheater-Projekt „Place de Mythos / Delusion Square“
(Frankreich), die Gruppe „Menschenrechte
und sexuelle Identität (MERSI)“ bei amnesty international (Deutschland), und der polnische Bürgerrechtler und stellvertretende
Chefredakteur der liberalen Tageszeitung
Gazeta Wyborcza, Piotr Pacewicz (Polen).
(red)
Tolerantia-Erklärung:
„Wir einen unsere Kräfte zum Aufbau einer Bürgergesellschaft in Europa, in der wir gemeinsam
und frei von Diskriminierung leben können. Wir
bekunden gegenseitigen Beistand, um dieses Ziel
zu erreichen.
Im Geiste der Europäischen Menschenrechtskonvention stellen wir uns gegen Hass und Gewalt
sowie gegen Diskriminierung von gesellschaftlichen Minderheiten. Wir solidarisieren uns mit
Menschen, die für Bürgerrechte, Gleichberechtigung, Schutz von Minderheiten und für die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention in Europa eintreten.
Wir wollen Diskriminierung und Ausgrenzung
von homosexuellen Menschen in einem vereinten
Europa entgegentreten. Wir wollen dafür eintreten, dass die Grund- und Menschenrechte von
Lesben und Schwulen respektiert werden.“
Informationsmaterialien
MANEO publiziert, neben zahlreichen aktionsbegleitenden Medienprodukten, verschiedene Informationsmaterialien, die im Rahmen der Aufklärungs-, Präventions-,
und Opferhilfearbeit eingesetzt werden. Interessierte können die Materialien zur Unterstützung eigener Projekte, wie zum Beispiel Fortbildungen, bei MANEO anfragen:
www.maneo.de.
Gewalt gegen Schwule – das ist nicht gut so!
Mit der viersprachigen Hochglanzbroschüre informiert MANEO auf 50 Seiten umfassend über seine Arbeit, die Situation in Berlin und gibt Tipps zum Umgang mit schwulenfeindlicher Gewalt. Die in Deutsch, Englisch, Französisch und
Polnisch verfasste Publikation richtet sich vor allem an NeuBerliner und Touristen.
Opferhilfe – Meldestelle – Prävention – Engagement
Mit dem achtseitigen Faltblatt informiert MANEO über die
vier Kernbereiche seiner Arbeit und bietet einen kompakten Überblick über das Dank der Synergieeffekte vielfältige Angebot des Projekts – von Opferhilfe über Erfassung
von homophoben Gewalttaten bis hin zu Aufklärungs- und
Präventionsarbeit, sowie ehrenamtlichem Engagement und
Unterstützung.
Love hurts und Überwachungskamera
Auf der Berlinale 2007 präsentierte MANEO die beiden Social-Spots, die Dank tatkräftiger Unterstützung der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) und der
Miami Ad School entstanden sind, erstmalig der Öffentlichkeit. Beide Spots transportieren in jeweils individueller
Dramaturgie, dass Homophobie und Hassgewalt nicht hinzunehmen seien, vielmehr proaktiv dagegen vorgegangen
werden müsse. Von der Festivaljury des Queer Film Awards
als „herausragend“ gewürdigt, entwickelten sich die 60
und 45 Sekunden langen Spots zu einem Exportschlager
für Kino und TV bis weit über die Grenzen Berlins hinaus.
Streaming auf www.maneo-toleranzkampagne.de.
„MANEO informiert“ Mit der
Faltblattserie informiert MANEO
zu spezifischen Themen wie zum
Beispiel K.O.-Tropfen, Blind Dates oder sogenannten „täuschenden
Flirts“, und gibt Tipps zum Schutz
vor sowie zum Umgang mit Gefahrensituationen. Die Serie wird
ständig aktualisiert und erweitert.
Berlin/ Warschau/ Paris,
im November 2005
impuls - 2008
63
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Aktion
MANEO–Aktionstage 2008
anlässlich des Internationalen Tages gegen Homophobie 17. Mai
Am 17. Mai 1990 beschloss die
Generalversammlung der WHO
längst Überfälliges: Homosexualität von der Liste psychischer
Krankheiten zu streichen. Weltweit machen seither zahlreiche
Organisationen und Vereine mit
Aktionen und Veranstaltungen
auf Homophobie, Diskriminierung und Gewalt aufmerksam
- MANEO mobilisiert mit. Die
MANEO-Aktionstage 17. Mai,
die unter der Schirmherrschaft
des Regierenden Bürgermeisters
von Berlin, Klaus Wowereit, stehen, sind Bestandteil der
MANEO-ToleranzKampagne.
www.tag-gegen-homophobie.de
16. - 17. Mai 2008
17. Mai 2008
18. Mai 2008
25. Mai 2008
MANEO-Werkstatt 3
Homophobie und schwulenfeindliche
Gewalt im öffentlichen Raum
2. MANEO-Kussmarathon
Protect Every Kiss
MANEO Benefiz-Event 2008
MANEO-Kreativpeis „Hands of Courage“
Im Rahmen der MANEO-Spendenwoche
vom 10. bis 18. Mai lädt MANEO zu seinem
Benefiz-Event in die exklusive Berliner Location Bangaluu. Da die finanziellen Zuwendungen der Berliner Senatsverwaltung
nicht ausreichen, die Arbeit von MANEO in
vollem Umfang zu sichern, ist MANEO zusätzlich auf Spenden angewiesen.
Um Homophobie und Hassgewalt unter Jugendlichen zu begegnen, verleiht MANEO im
Rahmen eines Ideenwettbewerbs für Teens
und Twens erstmalig den MANEO-Kreativpreis 2008 „Hands of Courage“. Schirmherr des Wettbewerbs ist Bezirksstadtrat für
Jugend, Familie, Schule und Sport, Reinhard Naumann. Unterstützt wird der Wettbewerb u.a. von den Initiativen „Schule ohne
Rassismus“, „Gesicht zeigen“ und ChanceUnit e.V., sowie der Hannchen-MehrzweckStiftung und der Vaganten-Bühne.
Seit MANEO 2006 die erste Werkstatt initiierte, finden sich jährlich namhafte Vertreter aus Wissenschaft, Politik, Polizeien und
Organisationen zum länderübergreifenden
Austausch in Berlin zusammen. Nach den
beiden erfolgreichen Werkstätten in 2006
und 2007 (s. S. 60) setzt MANEO nun vom
16. bis 17. Mai 2008 mit der dritten MANEO-Werkstatt den konstruktiven Dialog
fort. Die diesjährige Fachtagung mit dem
Titel „Wie kommt Licht ins Dunkelfeld können Schwule vor Übergriffen besser geschützt werden?“ lädt ein zum Diskurs über
die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen schwulen Anti-Gewalt-Projekten und
der Polizei mit dem Ziel, Hürden für eine
bessere Gewaltprävention abzubauen.
Freitag, 16. Mai 2008, 9:00 bis 18:00 Uhr
Fachtag: Impulsreferate und Workshops
(verbindliche Anmeldung bis 30.04.08 erforderlich)
Samstag, 17. Mai 2008, 9:00 bis 13:00 Uhr
Publikumstag: Podiumsdiskussionen und
Pressegespräch (Teilnahmeregistrierung vor
Ort)
Ausführliches Programm, Informationen zu
den Workshops und Anmeldeformular unter
www.tag-gegen-homophobie.de
Mit seinem Kussmarathon quer durch das
Berliner Stadtgebiet bemüht sich MANEO
die Selbstverständlichkeit schwulen und
lesbischen Lebens stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Handlungsbedarf besteht, da gerade einander auf offener Straße küssende Schwule und Lesben
immer wieder schief angeguckt oder beschimpft, bedroht und nicht selten sogar
Opfer von körperlicher Gewalt werden. Das
Motto der viel gerühmten Aktion hatte MANEO einem seiner auf der Berlinale 2007
vorgestellten Social-Spots entlehnt: Protect
Every Kiss - jeder Kuss zählt, jeder Kuss ist
schützenswert.
Anlässlich des Internationalen Tages gegen
Homophobie sind wieder schwule, lesbische
und auch heterosexuelle Paare sowie deren
Freunde und Bekannte eingeladen, an Orten, die als kein leichtes Pflaster für Homosexuelle bekannt sind, für mehr Toleranz zu
werben - mit einem demonstrativen Kuss.
Samstag, 17. Mai 2008, ab 15:00 Uhr
Die Stationen des 2. MANEO-Kussmarathons werden Anfang Mai 2008 offiziell
unter www.tag-gegen-homophobie.de bekannt gegeben.
MANEO Charity-Dinner 2008
Sonntag, 18. Mai 2008 im Bangaluu-Dinnerclub. Am exklusiven MANEO CharityDinner werden der Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit und weitere
Prominenz aus Politik, Sport, Wirtschaft
und Show teilnehmen. Eine Teilnahme ist
nur mit gültiger Einladung möglich.
MANEO Benefiz-Party 2008
Sonntag, 18. Mai 2008, ab 22:00 Uhr, im
Bangaluu Club. Die MANEO Benefiz-Party
im Souterrain des Bangaluu steht allen Interessierten offen. Tickets sind an der Abendkasse erhältlich.
Sämtliche Erlöse aus dem Charity-Dinner
und der Benefiz-Party kommen unmittelbar
der Gewaltpräventionsarbeit von MANEO
zugute.
Schüler und Jugendliche im Alter von etwa
14 bis 25 Jahre sind aufgerufen, sich kreativ mit dem Thema „Homophobie, Männlichkeit und Gewalt“ auseinanderzusetzen und hierzu eigene Ideen zu entwickeln,
umgesetzt z.B. in Kurzfilmen, Fotografien, Kurzgeschichten, Tanz- oder Musikvideos. Der Ideenwettbewerb versteht sich
als Berlin-open, so dass auch Beiträge aus
ganz Deutschland berücksichtigt werden.
Eine unabhängige Jury sichtet alle Beiträge
und benennt die PreisträgerInnen der vier
Wettbewerbskategorien („Theater & Film“,
„Musik & Tanz“, „Kurzgeschichten“, „Fotos“); der MANEO-Kreativpreis ist mit einem Preisgeld dotiert.
Sonntag, 25. Mai 2008 Preisverleihung und
Party im Berlin-Charlottenburger Haus der
Jugend
Ausführliche Informationen unter
www.tag-gegen-homophobie.de
21. - 22. Juni 2008
16. LesBiSchwules Stadtfest Berlin
1993 ins Leben gerufen, ist das LesBiSchwule Stadtfest mittlerweile
eines der größten Open-Air-Events
im Veranstaltungskalender der
Hauptstadt. Rund 200.000 Besucher jährlich feiern den Auftakt zur
Berliner Pride Week, deren Höhepunkt die CSD-Parade am darauffolgenden Wochenende ist, mit einer
bunten Mischung aus Entertainment und Information über die Gay
Community. MANEO-Projektleiter
Bastian Finke hatte das Fest seinerzeit als Antwort auf wiederholte homophobe Vorfälle rund um
den Kiez am Nollendorfplatz initiiert. Die offensive Demonstration
schwuler und lesbischer Selbstverständlichkeit zeigt bis heute Wirkung.
MANEO wird Samstag, 21. Juni
und Sonntag, 22. Juni ganztägig
am Stand von Mann-O-Meter e.V.
vertreten sein und über seine Arbeit
informieren sowie für aktuelle Projekte werben.
28. Juni 2008
30. Christopher-Street-Day (CSD)
Berlin
Die Parade durch die Berliner Innenstadt erinnert an die Aufstände Homosexueller gegen homophobe Polizeiwillkür in der New Yorker
Christopher Street im Jahr 1969.
MANEO wird am 28. Juni 2008
am Demonstrationszug teilnehmen
und um Unterstützung seiner Arbeit
werben.
Weitere MANEO-Veranstaltungen
und Aktionen in 2008
immer aktuell unter:
www.maneo-toleranzkampagne.de
64 impuls - 2008
impuls - 2008
65
MANEO
Homophobie und Religion
Das Projekt
Seit 1990 besteht das Berliner Anti-GewaltProjekt MANEO als eigenständiges Projekt
von Mann-O-Meter e.V.. MANEO ist das
erfahrenste und bekannteste schwule AntiGewalt-Projekt in Deutschland. Die Mitarbeiter beraten jährlich über 300 Betroffene von Gewalt, erfassen gegen Schwule
gerichtete Gewalttaten und leisten gewaltpräventive Öffentlichkeitsarbeit. Das Angebot richtet sich an schwule und bisexuelle
Jugendliche und Erwachsene in Berlin, unabhängig davon, ob sie sich gerade in Berlin
aufhalten oder in Berlin wohnen.
MANEO hat seit seiner Gründung zahlreiche bundesweit einzigartige Initiativen und
Projekte ins Leben gerufen, wofür das Projekt bereits mehrfach ausgezeichnet wurde.
Die Arbeit umfasst vier Kernbereiche, deren Synergieeffekte von hohem Wert für die
Projektarbeit insgesamt sind.
Opferhilfe
MANEO hilft ... schwulen und bisexuellen Männern, die von Gewalt und
schwulenfeindlicher Diskriminierung
betroffen sind – egal ob als unmittelbar Betroffene, Tatzeugen oder Lebenspartner der
Betroffenen. Betroffene fühlen sich häufig
schutzlos und den Interessen anderer ausgeliefert, z.B. der Polizei, Justiz, Versicherungen oder Medien. MANEO nimmt die
Ängste und Sorgen von Gewaltopfern und
Zeugen ernst. MANEO berät und begleitet
in schwierigen Situationen. MANEO unternimmt nichts, was der Betroffene nicht
möchte. MANEO berät über Möglichkeiten einer Anzeigenerstattung, über das
Strafverfahren, überlegt aber auch mögliche Alternativen dazu. MANEO vermittelt
Kontakt zu erfahrenen Rechtsanwälten, zu
Ärzten und weiterhelfenden Einrichtungen.
MANEO begleitet zur Polizei und zu Gerichtsverhandlungen.
Meldestelle
MANEO erfasst ... gegen Schwule gerichtete Gewalttaten. Hierzu zählen
Fälle von Körpergewalt, Raub und Erpressung ebenso wie sexuelle Übergriffe, Bedrohung, Beleidigung, Diskriminierung und
Mobbing. Betroffene oder Zeugen können
Vorfälle und Beobachtungen dem MANEOÜberfalltelefon (030 – 216 33 36) oder per EMail melden ([email protected]), auch
anonym. Einmal im Jahr wertet MANEO alle
bekannt gewordenen Vorfälle aus. Zu diesem
Zweck werden sämtliche Informationen anonymisiert und anschließend in einem Bericht zusammengefasst, der öffentlich zugänglich gemacht wird. Die Dokumentation
dient der Verdeutlichung der Dimensionen
schwulenfeindlicher Gewalt und leistet einen
Beitrag zur Erhellung des Dunkelfeldes. Die
gewonnenen Erkenntnisse helfen MANEO,
konkrete Maßnahmen zur Verbesserung des
Gewaltschutzes zu veranlassen.
Prävention
MANEO klärt auf ... über antischwule Gewalt und ihre Folgen.
MANEO weist auf Fälle von Diskriminierung und Gewalttaten hin und richtet
sich damit gegen eine Bagatellisierung von
Homophobie und schwulenfeindlicher Ge-
walt. MANEO macht deutlich, dass es nach
wie vor eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, emanzipatorische Aufklärungsarbeit zu leisten, ob in den Schulen
oder in der allgemeinen Öffentlichkeit. Mit
Vor-Ort-Aktionen in den schwulen Szenen
wie auch mit Anti-Gewalt-Trainings an Bildungseinrichtungen und der Veröffentlichung von Informationsmaterialien, leistet
MANEO gewaltpräventive Öffentlichkeitsund Aufklärungsarbeit, und steht durch die
Zusammenarbeit mit dem Ansprechpartner
für gleichgeschlechtliche Lebensweisen der
Berliner Polizei in Kontakt mit den Ermittlungsbehörden.
Engagement
MANEO wird unterstützt ... von
zahlreichen Helfern und eigens geschulten ehrenamtlichen Mitarbeitern, die wesentlich zum Erfolg der Projektarbeit beitragen. Darüber hinaus gelingt
es MANEO immer wieder, bürgerschaftliches Engagement zu mobilisieren, um für die
Verteidigung der Rechte von Homosexuellen
einzustehen. Angesichts der unzureichenden Finanzierung durch den Berliner Senat
ist MANEO beständig auf die Unterstützung
durch Sponsoren und Spender angewiesen,
ohne die viele der erfolgreichen Projekte
kaum umsetzbar wären. Einmal jährlich lädt
MANEO alle Unterstützern und Helfern zu
einer großen Würdigungsfeier ein, um sich
für deren Engagement zu bedanken.
Besuchen Sie uns im Internet unter
www.maneo.de. (red)
Philosophie
Professionalität und unbürokratische Hilfe
Mit unserer Erfahrung und fachlichen Arbeit bieten wir Hilfe und Unterstützung an. Diese Hilfe erfolgt schnell und unbürokratisch.
Jedes Anliegen nehmen wir ernst. Mit jedem, der sich an uns wendet, erarbeiten wir individuelle Lösungswege. Alle Informationen
behandeln wir selbstverständlich vertraulich.
Schwule für Schwule
Bei uns muss niemand mit Vorwürfen oder Vorhaltungen rechnen. Unser Beratungsteam besteht aus erfahrenen schwulen und bisexuellen Männern. Es liegt uns am Herzen, Menschen nach einer Gewalttat oder Diskriminierung zu helfen, zu unterstützen und in
ihrer sexuellen Selbstbestimmung zu stärken.
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