missbrauch 03
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missbrauch 03
Die Familienministerin informiert: Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen Ratgeber gegen sexuellen Missbrauch vorbeugen · erkennen · handeln Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung Nordrhein-Westfalen herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerberinnen und -werbern oder Wahlhelferinnen und -helfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Landtags-, Bundestags- und Kommunalwahlen sowie auch für die Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Eine Verwendung dieser Druckschrift durch Parteien oder sie unterstützende Organisationen ausschließlich zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder bleibt hiervon unberührt. Unabhängig davon, wann, auf welchem Weg und in welcher Anzahl diese Schrift der Empfängerin oder dem Empfänger zugegangen ist, darf sie auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme der Landesregierung zugunsten einzelner Gruppen verstanden werden könnte. Impressum Herausgeber Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen 40190 Düsseldorf www.mgsff.nrw.de [email protected] Gestaltung Giffhorn und Serres Design, Wuppertal Druck Druckerei Koopmann, Leverkusen Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Herausgebers. Düsseldorf, September 2003 Vorbeugen · erkennen · handeln Ratgeber gegen sexuellen Missbrauch Von Ursula Enders Inhalt Vorwort 1. Sexueller Missbrauch geht uns alle an! – Die Fakten 2. Definitionen und gesetzliche Grundlagen 3. Sexueller Missbrauch in der Familie: Was kann ich tun? Doktorspiele oder sexuelle Übergriffe? Opferschutz steht vor Datenschutz! Hinterlässt sexueller Missbrauch körperliche Spuren? 4. Wenn Mütter von der sexuellen Ausbeutung ihres Kindes durch den Partner erfahren 5. Die Narben der Gewalt – Folgen sexuellen Missbrauchs Die Situation der Geschwister bei innerfamilialem sexuellen Missbrauch Geschlechtsspezifische Hilfen für Mädchen und Jungen Muttersprachliche Hilfen anbieten 6. Auch Eltern brauchen Unterstützung 7. Wenn Väter von der sexuellen Ausbeutung der Tochter/des Sohnes erfahren 8. Strafanzeige: ja oder nein? 9. Kindliche und jugendliche Täter 10. Missbrauch durch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus Institutionen 11. Sexueller Missbrauch von Mädchen und Jungen mit Behinderungen 12. Sexuelle Ausbeutung von Mädchen und Jungen im Rahmen von Pornoproduktionen 13. Die Online-Opfer 14. Das Wichtigste für den Schutz von Kindern sind aufmerksame Erwachsene – Möglichkeiten der Prävention 15. Anhang Kinderbücher, Materialien und Fachliteratur Literatur Hilfreiche Adressen und Websites Vorwort 3 4 9 11 18 26 29 30 33 36 37 38 39 42 44 46 49 59 61 64 66 73 81 82 Vorbeugen · erkennen · handeln Immer wieder gehen erschreckende Meldungen über sexuelle Gewalterfahrungen an Mädchen und Jungen durch die Medien. Die Öffentlichkeit reagiert verunsichert, pädagogische Fachkräfte und Eltern wissen meist nicht, wie sie mit Kindern und Jugendlichen darüber sprechen sollen und was sie tun können, um ihre Kinder wirksam zu schützen. Trotz erheblich verbesserter Aufklärung und vielfältiger Präventionskampagnen werden Mädchen und Jungen Opfer sexueller Gewalt. Ich stelle deshalb den Eltern und pädagogischen Fachkräften diesen „Ratgeber gegen sexuellen Missbrauch“ zur Verfügung. Er soll sie darin unterstützen, sexuellem Missbrauch vorzubeugen, sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen frühzeitig zu erkennen und ihr Handeln leiten, wenn ein ihnen anvertrautes Kind betroffen ist. Der Ratgeber profitiert von der langjährigen Erfahrung der Beratungsstellen im Vorbeugen, Erkennen und Handeln. Die Präventionsarbeit mit Mädchen und Jungen, Eltern und Erziehergruppen hat ebenso ihren Niederschlag gefunden, wie der Umgang mit Kindern, die einen Missbrauch erlebt haben und bei seiner Verarbeitung begleitet werden. Mütter und Väter, aber auch die Bezugspersonen des Kindes in Kindergarten und Schule können dem Kind besser helfen, wenn sie sich mit der Thematik intensiv auseinander gesetzt haben. Sie müssen auch wissen, wann sie sich Hilfe holen sollten und wo es diese Hilfemöglichkeiten gibt. Der Ratgeber soll ermutigen, mit Kindern und Jugendlichen ihrem Entwicklungsstand entsprechend, einfühlsam über Sexualität und Partnerschaft, Selbstvertrauen und Vertrauen zu sprechen. Wenn es dadurch gelingt, dass Mädchen und Jungen sexuelle Grenzverletzungen besser wahrnehmen und eher darüber reden, kann Schlimmeres verhütet und können gezielte Maßnahmen eingeleitet werden. Als Familienministerin des Landes NRW möchte ich alles tun, um sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen zu verhindern und die vorhandenen Hilfen zu erschließen. Inzwischen gibt es in Nordrhein-Westfalen zahlreiche Beratungsstellen für die betroffenen Mädchen und Jungen, wie auch für die Familien und pädagogischen Fachkräfte. Die Broschüre gibt Hinweise, an wen man sich um Rat und Hilfe wenden kann. Darüber hinaus ist ein ausführliches Adressverzeichnis der Einrichtungen auf den Internet-Seiten unseres Hauses – www.mgsff.nrw.de – zu finden. Birgit Fischer Ministerin für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen 2 3 1. Sexueller Missbrauch geht uns alle an! Die Fakten Etwa jedes 4. bis 5. Mädchen und jeder 9. bis 12. Junge macht mindestens einmal vor seinem 18. Lebensjahr eine sexuelle Gewalterfahrung, die der Gesetzgeber als sexuellen Missbrauch, exhibitionistische Handlung, Missbrauch von Schutzbefohlenen, sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung unter Strafe gestellt hat. Dies bedeutet keinesfalls, dass jedes 4. bis 5. Mädchen jahrelang von ihrem (Stief-)Vater, Opa oder älteren Bruder vergewaltigt wird. In zwei Dritteln aller Fälle sexueller Ausbeutung kommen die Täter und Täterinnen aus dem außerfamilialen Umfeld des Opfers: Sie sind Nachbarn, Verwandte, Freunde der Familie und in einzelnen Fällen auch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus Institutionen. Mädchen werden zu etwa einem Drittel von Tätern und Täterinnen aus der Familie missbraucht ((Stief-)Väter, Brüder, Mütter, im Haushalt lebende Opas). Der größte Teil kommt aus dem außerfamilialen Nahbereich – z.B. Verwandte, Pädagogen, männliche Jugendliche, Babysitter (vgl. z.B. Wetzels 1997). Jungen werden meist Opfer von Bezugspersonen aus dem außerfamilialem Nahraum (z.B. Bekannte, Pädagogen, ältere Jungen, Trainer) und von Fremden. Die Täter und Täterinnen kommen mit 10 – 20% etwas seltener aus der unmittelbaren Familie (vgl. z.B. Julius/Boehme 1997). In vielen Fällen sexueller Ausbeutung wird ein Mädchen/ein Junge nur einmal missbraucht und kann den Kontakt zu dem Missbraucher oder der Missbraucherin abbrechen bzw. kann sich selbst – oftmals mit Unterstützung Dritter – vor weiteren sexuellen Übergriffen schützen. Doch häufig läuft die sexuelle Ausbeutung über einen langen Zeitraum. Einige Mädchen und Jungen werden auch im Laufe ihrer Kindheit und Jugend von mehreren Tätern und Täterinnen missbraucht. Etwa ein Drittel aller Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Mädchen und Jungen wird von kindlichen oder jugendlichen Tätern verübt (vgl. z.B. Deegener 1999). Die Mehrzahl jugendlicher Täter fällt bereits als Kind durch sexuelle Übergriffe gegenüber Gleichaltrigen und Jüngeren auf. In der Regel haben schon kindliche und jugendliche Täter mehrere Opfer. Viele erwachsene Missbraucher hatten schon vor ihrem 10. Lebensjahr sexuelle Fantasien auf Kinder und zeigten bereits im Jugendalter sexuell gewalttätige Interessen oder Handlungen. Bei männlichen Jugendlichen, die Kinder missbrauchen und keine therapeutische Behandlung bekommen, besteht die Gefahr, dass sie in eine langfristige Täterkarriere einsteigen und im Laufe ihres Lebens bis zu mehrere hundert Mal Kinder missbrauchen (vgl. Abel/Rouleau 1990). 4 Sexueller Missbrauch wird meistens von männlichen Tätern verübt Sexueller Missbrauch ist Missbrauch von Macht, den in der Mehrzahl Männer und männliche Jugendliche ausüben. Hierin liegt auch die Ursache, dass ca. 80% der sexuellen Ausbeutung von männlichen Tätern verübt wird. Bis zum heutigen Tage haben Männer im öffentlichen Leben immer noch die größere Macht. So sind in Politik und Wirtschaft die leitenden Positionen in der überwiegenden Mehrzahl mit Männern besetzt. Auch wenn einige Männer nicht mehr Macht als Frauen haben, so gibt dennoch die insgesamt größere gesellschaftliche Macht von Männern diesen vielfach die Möglichkeit, Frauen, Kindern und Jugendlichen ihren Willen aufzuzwingen. Dementsprechend ist Sexualität in unserer Gesellschaft noch weitgehend gekennzeichnet durch die Unterordnung des weiblichen Lustempfindens. Dies spiegelt sich nicht nur in den Medien und in der Werbung, sondern ebenso im Umgang mit Sexualität innerhalb von Beziehungen. So wird z.B. Vergewaltigung in der Ehe von weiten Teilen der Bevölkerung nach wie vor als „Kavaliersdelikt“ bagatellisiert, obwohl dieses Verbrechen seit einigen Jahren in Deutschland strafrechtlich verboten ist. Viele Männer nehmen sich auch heute noch ihr vermeintliches Recht auf ihre Frau; viele Frauen gehen auch heute noch fälschlicherweise von der Annahme aus, sie müssten „ehelichen Pflichten nachkommen“. Andere wissen zwar, dass gewalttätige Ehemänner sich strafbar machen, trauen sich jedoch aus Angst vor deren Reaktionen und denen der Umwelt nicht, ihre Männer wegen Vergewaltigung in der Ehe anzuzeigen. Auch ist es noch nicht allgemein bekannt, dass seit Januar 2002 die Polizei sogar gegen den Willen der Frau das gewalttätige Familienmitglied der Wohnung verweisen kann. Zwar ist diese Maßnahme zunächst befristet, doch sind die Opfer häuslicher Gewalt erst einmal für einige Tage geschützt. So entwickeln sie oftmals die Kraft, um mit der rechtlichen Unterstützung einer Anwältin und der persönlichen Unterstützung einer Beraterin weitere Schritte zu ihrem eigenen Schutz und dem ihrer Kinder einzuleiten. Männer „bevorzugen“ oftmals Partnerinnen, die jünger und schwächer als sie sind. Einige betrachten ihre Töchter als ideale ’Partnerinnen‘, denn in keiner anderen Beziehung ist das Machtgefälle größer als zwischen Vater und Tochter. Sexuelle Ausbeutung der Tochter durch den Vater ist Ausdruck eines männlichen Besitzdenkens („Ich kann mit meiner Tochter machen, was ich will!“). Töchter aus Familien, in denen Männer und Jungen mehr Macht und dementsprechend mehr zu sagen haben als Frauen und Töchter, unterliegen einem erhöhten 5 Sexueller Missbrauch geht uns alle an! Risiko, Opfer sexueller Gewalt zu werden – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Familie. Sie lernen von klein auf, dass Frauen in allen Lebensbereichen benachteiligt und/oder abhängig sind und sie deshalb (sexuelle) Übergriffe von Männern und männlichen Jugendlichen (auch von älteren Brüdern) schweigend dulden und aushalten müssen. Ihre Widerstandskraft kann sich kaum entwickeln. Keinesfalls ist die sexuelle Ausbeutung von Mädchen und Jungen durch Männer Ausdruck eines starken Geschlechtstriebs oder eines sexuellen Notstandes. Die Täterforschung belegt, dass sexuelle Gewalttaten in der Regel nicht aus Mangel an anderen sexuellen Möglichkeiten, sondern zusätzlich zu freiwilligen Sexualkontakten erfolgen. Täter und Täterinnen haben genauso häufig sexuelle Kontakte zu erwachsenen Partnerinnen und Partnern wie Männer und Frauen, die nicht missbrauchen. Ebenso wenig liegt die Ursache in Reaktionen auf berufliche Belastungen oder der Homosexualität von Tätern begründet. Sexuelle Gewalttaten sind weder Einzelfälle noch werden sie bis auf ganz wenige Ausnahmen von besonders gestörten Persönlichkeiten verübt. 6 Sexuelle Ausbeutung durch Frauen und jugendliche Mädchen wird bis zum heutigen Tage von großen Teilen der (Fach-)Öffentlichkeit im Verhältnis zu männlicher Gewalt als weniger gewalttätig eingeschätzt. Die Verharmlosung zeigt sich z.B. daran, dass die sexuelle Ausbeutung durch Frauen nur in ganz seltenen Fällen angezeigt wird und Täterinnen dementsprechend in der Kriminalstatistik nur selten auftauchen. Dies liegt u.a. in den Schwierigkeiten vieler Menschen begründet, sich vorzustellen, wie Frauen sexuell missbrauchen. Doch die Formen weiblicher und männlicher sexualisierter Gewalt unterscheiden sich nur minimal: Auch eine Frau kann z.B. ein Kind sehr sadistisch mit einem Gegenstand vergewaltigen. TIPP Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz NRW: An eine Frau hätte ich nie gedacht. Frauen als Täterinnen bei sexueller Gewalt gegen Mädchen und Jungen. Zu bestellen: AJS, Poststr.15 – 23, 50676 Köln. Frauen als Täterinnen Sexueller Missbrauch und beruflicher Alltag In etwa 20% der Fälle wird sexuelle Gewalt durch Frauen oder jugendliche Mädchen verübt (z.B. Wetzels 1997: 10%; Raupp/Eggers 1993: 25%). Viele dieser Frauen sind Mehrfachtäterinnen. Das heißt: Sie missbrauchen im Laufe ihres Lebens zwei oder mehrere Kinder. Ihre Opfer suchen Frauen in der Regel unter den Kindern, die ihnen am nächsten stehen. Der überwiegende Teil der sexualisierten Gewalthandlungen durch Frauen wird an Mädchen verübt (vgl. Enders 2001; Kavemann 1999). Die Mehrzahl der Täterinnen üben die sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche aus eigener Initiative heraus aus. Bis zur Hälfte der Täterinnen geben an, von Männern zu den von ihnen verübten Verbrechen gezwungen oder veranlasst worden zu sein. Diese Angaben stimmen jedoch nur zum Teil: Nur in wenigen Fällen verüben die Täterinnen ihre Gewalthandlungen ausschließlich aus Zwang. Ein Teil macht im Rahmen ihrer Täterinnenkarriere eine Entwicklung durch, in deren Verlauf sie selbst zu Initiatorinnen des Missbrauchs werden (vgl. Kavemann 1999, Heyne 1996). Schon die Zahlen über das Ausmaß sexualisierter Gewalt gegen Mädchen und Jungen machen deutlich, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter pädagogischer Arbeitsfelder immer wieder Kontakt zu betroffenen Kindern und Jugendlichen und auch zu jugendlichen und erwachsenen Tätern und Täterinnen haben – meist ohne um den sexuellen Missbrauch zu wissen. Keinesfalls ist es die Aufgabe von Pädagoginnen und Pädagogen, betroffene Mädchen und Jungen und deren Familien unmittelbar auf sexuelle Gewalterfahrungen anzusprechen und diesen eine therapeutische Begleitung zu geben. Dennoch benötigen pädagogische Fachkräfte ein fundiertes Wissen über die Problematik der sexuellen Ausbeutung von Kindern, damit sie die verdeckten Hilferufe der betroffenen Mädchen und Jungen besser verstehen und die z.T. sehr offensichtlichen Strategien der Täter und Täterinnen eher erkennen können (z.B. die Manipulation der Wahrnehmung der Umwelt). Informationen über Möglichkeiten einer interdisziplinären Zusammenarbeit sind die Voraussetzung, um in Kooperation mit Jugendamt und Beratungsstellen betroffene Kinder und Jugendliche schützen und ihnen eine Hilfe bei der Bewältigung sexueller Gewalterfahrungen geben zu können. Ebenso brauchen Pädagoginnen und Pädagogen eine klare Haltung im Umgang mit kind7 2. Definitionen und gesetzliche Grundlagen lichen Tätern und Täterinnen. Deren sexuell übergriffiges Verhalten darf im pädagogischen Alltag nicht bagatellisiert werden; sonst besteht die Gefahr der Entwicklung einer langfristigen Täterkarriere. Alle, die mit Kindern leben und arbeiten, können einen Beitrag zu einer vorbeugenden Arbeit gegen sexuelle Ausbeutung leisten. Missbrauch beginnt in der Regel nicht mit einer Vergewaltigung, sondern Täter und Täterinnen sondieren zunächst einmal im Rahmen subtiler sexueller Übergriffe die Widerstandsfähigkeit eines Kindes. Eine präventive Erziehung stärkt die Widerstandskraft von Mädchen und Jungen gegen sexuelle Grenzverletzungen. Ebenso wenig wie in der Verkehrserziehung eine Garantie dafür gegeben werden kann, dass ein Kind niemals Opfer eines Verkehrsunfalls wird, kann eine präventive Erziehung sicherstellen, dass ein Mädchen oder Junge niemals sexuell missbraucht wird. Doch bedeutet eine kindgerechte Information auch im Falle eines Missbrauchs eine wesentliche Unterstützung für betroffene Mädchen und Jungen. Das Beispiel eines 8-jährigen Opfers belegt dies: Das Mädchen wurde vom Vater einer Schulfreundin oral missbraucht. Schon am nächsten Tag vertraute das Kind sich seiner Mutter an. Diese vereinbarte umgehend einen gemeinsamen Termin mit ihrer Tochter in einer Beratungsstelle. Auf die Feststellung der Beraterin, dass es sehr mutig sei, sich sofort Hilfe zu holen, reagierte das Mädchen empört: „Das habe ich doch schon im Kindergarten gelernt. Das darf der nicht!“ 8 Mädchen und Jungen entdecken ihren Lebensraum mit einer oft unerschöpflich erscheinenden Neugier. Sie zeigen spontanes Interesse für nahezu alles, was um sie herum und mit ihnen geschieht, und lernen so Schritt für Schritt, sich in der Welt zurechtzufinden. Sie sind darauf angewiesen, dass Erwachsene sie in ihrer Entwicklung anregen, unterstützen, begleiten und ihre Bedürfnisse nach Liebe, Zärtlichkeit und Schutz erfüllen. Kinder und Jugendliche müssen darauf vertrauen können, dass Erwachsene dieser Aufgabe gerecht werden. Nutzen Erwachsene oder Jugendliche Kinder zur Befriedigung der eigenen sexuellen Interessen und Bedürfnisse aus, so wird deren Vertrauen zutiefst verletzt, ihre Entwicklung grundsätzlich gefährdet. „Sexuelle Ausbeutung“ umfasst mehr als „sexueller Missbrauch“, denn auch sexuelle Übergriffe, die nicht vom Strafgesetzbuch erfasst sind, werden als sexuelle Ausbeutung bewertet. Diese Handlungen stehen zwar nicht unter Strafe, können jedoch ebenso belastend für Kinder und Jugendliche sein – z.B. die (tägliche) Androhung eines Vaters gegenüber seiner jugendlichen Tochter, dass er „gleich komme und es ihr beibringe“. Es gibt viele Handlungen, die in einem Kontext sexuell übergriffig sind, in einem anderen nicht. In einer Familie, in der Kinder gewohnt sind, ihre Eltern nackt zu sehen, ist es z.B. noch kein Anzeichen von sexueller Ausbeutung, wenn sich die Mutter im Badezimmer aufhält, während die 8-jährige Tochter badet. Schämt sich das Kind jedoch und bittet die Mutter, sie allein zu lassen, und setzt sich die Erwachsene über diesen Wunsch hinweg, dann beginnt damit die Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung des Mädchens. Zur Kategorie der sexuellen Grenzverletzungen gehört auch das Beobachten des Kindes beim Ausziehen (z.B. durch das Schlüsselloch), oder wenn der Vater/Bruder scheinbar zufällig seiner Tochter/Schwester sein erigiertes Glied zeigt. Eine liebevolle und zärtliche Beziehung zu einem Kind hat nichts mit sexueller Ausbeutung gemein. Ausdrücklich geht es um eine Instrumentalisierung des Mädchens/Jungen für die Befriedigung der Bedürfnisse des Erwachsenen oder älteren Jugendlichen. Sexualisierte Gewalt gegen Mädchen und Jungen fängt bei heimlichen, vorsichtigen Berührungen, verletzenden Redensarten und Blicken an und reicht bis hin zu oralen, vaginalen oder analen Vergewaltigungen und sexuellen Foltertechniken. Auch das Befühlen und die „fachmännische“ Begutachtung der körperlichen Rundungen, das Betasten der Brust oder des Penis und abschätzige oder auch wohlwollende Qualitätsurteile beuten Kinder sexuell aus. 9 3. Sexueller Missbrauch in der Familie: Was kann ich tun? Der Gesetzgeber hat jeglichen sexuellen Kontakt einer strafmündigen Person (ab dem 14. Lebensjahr) mit Kindern unter 14 Jahren gem. § 176 StGB unter Strafe gestellt. Neben körperlichen Berührungen mit sexueller Absicht ist auch das Zeigen pornografischer Darstellungen und entsprechender verbaler Beeinflussungen strafbar. § 174 StGB, „Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen“, untersagt sexuelle Handlungen an einer Person unter 16 Jahren, die einem Erwachsenen zur Erziehung, Ausbildung oder Betreuung anvertraut ist. Nutzt der Missbraucher das durch das Obhutsverhältnis bestehende Abhängigkeitsverhältnis aus, so erhöht sich die Altersgrenze auf 18 Jahre. Exhibitionistische Handlungen stellt der § 183 StGB unter Strafe. Jugendliche Täter sind ab dem 14. Lebensjahr strafmündig. Wenn z.B. zwei Mitschüler eine/n Klassenkameradin/-kameraden gegen ihren/seinen Willen festhalten, sich voll bekleidet auf sie/ihn legen und Koitusbewegungen machen, so ist dies eine sexuelle Nötigung im Sinne des § 177 StGB, für die die jungen Täter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalens hat sich wiederholt dafür eingesetzt, den sexuellen Missbrauch von Kindern schärfer zu bestrafen. Diese Taten dürfen nicht als Vergehen bagatellisiert werden. So würde verhindert, dass Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt oder mit einem Strafbefehl – also ohne Gerichtsverhandlung – beendet werden. Die Bundesregierung hat das Anliegen aufgegriffen. Das Sexualstrafrecht wird reformiert. 10 Wie Täter ihre Taten langfristig vorbereiten Robert S. und Manuela B. lernen sich auf einer Geburtstagsparty eines gemeinsamen Freundes kennen. Für die junge allein erziehende Mutter des 5-jährigen Tom ist es Liebe auf den ersten Blick. Der charmante, zehn Jahre ältere Bauunternehmer wurde einige Monate zuvor von seiner ersten Frau geschieden. Seine Freunde gratulieren ihm zu seiner neuen Lebensgefährtin, die wesentlich friedfertiger als dessen Ex-Ehefrau scheint. Diese hatte nach der Trennung Robert sogar Besuchskontakte mit dem gemeinsamen 8-jährigen Sohn Jan verweigert. Manuela weiß nicht, dass Roberts erste Frau sich von diesem getrennt hat, nachdem Jan einen sexuellen Missbrauch durch den Vater angedeutet und sie erfahren hatte, dass Robert schon als Jugendlicher ein Nachbarskind missbrauchte. Bis in die 80er Jahre hielt sich der Mythos vom bösen Mann, der Mädchen und Jungen auf Spielplätzen auflauert, sie mit Süßigkeiten anlockt und anschließend sexuell missbraucht. Heute wissen wir, dass bis auf wenige Ausnahmen Täter (Täterinnen) dem Kind vertraute Personen sind, die aus allen gesellschaftlichen Schichten kommen. Ebenso belegt die neuere Täterforschung, dass es wesentlich weniger Täter als Opfer gibt, denn die meisten Missbraucher haben im Laufe ihres Lebens mehrere oder sogar viele Opfer. Einige missbrauchten bereits im Jugendalter zunächst kleinere Geschwister, Nachbarskinder oder die kleine Cousine, den Cousin; später fügen sie den eigenen Kindern, deren Freundinnen/Freunden, im hohen Alter den Enkelkindern sexuelle Gewalt zu. Oftmals haben missbrauchende (Stief-)Väter parallel zur Tochter/zum Sohn noch weitere Opfer außerhalb der Familie (z.B. die Freundin/den Freund des Kindes). Ebenso wie Robert S. waren sie häufig schon sexuell gewalttätig, bevor sie die Mutter der/ihrer Kinder kennen lernten. 11 Sexueller Missbrauch in der Familie Manuela kann die Gründe für das scheinbar „streitsüchtige Verhalten“ von Roberts erster Ehefrau überhaupt nicht nachvollziehen. Sie ist vielmehr davon überzeugt, dass Kinder ihren Vater brauchen. Ihr ehemaliger Lebensgefährte hatte sie während ihrer Schwangerschaft mit Tom verlassen, und sie ist froh, in Robert nun endlich einen neuen Partner gefunden zu haben, der sich auch als idealer Vater präsentiert. Es ist z.B. einfach rührend zu beobachten, mit welcher Geduld er mit Tom spielt. Der Junge liebt seinen neuen Stiefvater, den er von sich aus Papa nennt. Manchmal scheint Robert mehr Zeit für den Jungen als für seine Partnerin zu haben. Es gibt Augenblicke, in denen ist die junge Mutter sogar eifersüchtig auf ihren Sohn. Dann schämt sie sich für dieses Gefühl und meint ihrem Partner dafür dankbar sein zu müssen, dass er Tom wie ein eigenes Kind akzeptiert. Robert meint, ihre Eifersucht sei fast schon krankhaft. Manuelas Glück scheint perfekt. Auch die Sexualität mit ihrem neuen Partner erlebt sie als sehr lust- und genussvoll. Als sie schwanger ist, wird gemeinsam mit Freunden und Verwandten eine rauschende Hochzeit gefeiert. Nicht zuletzt sind die Eltern der Braut sehr erleichtert, dass ihre Tochter nach ihrem schweren Schicksalsschlag nun den richtigen Mann gefunden hat, der zudem finanziell gut gestellt ist. Manuela gibt ihre Stelle als Buchhändlerin auf. Einige Täter verwenden Monate darauf, eine Beziehung zu allein erziehenden Müttern aufzubauen, um Zugang zu ihren Kindern und deren Freundinnen und Freunden zu bekommen. Allein erziehende Mütter sind häufig sehr erleichtert, wenn sie einen neuen Partner finden, der ihnen einen Teil der Versorgung der Kinder abnimmt. Nur allzu schnell räumen sie diesen ein Mitspracherecht in der Erziehung ein und missachten die Tatsache, dass ein neuer Partner noch lange nicht der neue soziale Vater der Tochter/des Sohnes ist. Untersuchungen belegen, dass die Gruppe der „Stiefväter“ die größte Tätergruppe innerhalb der Familie ist. In der Mehrzahl der Fälle, in denen Stiefväter oder Lebensgefährten der Mütter die Täter sind, beginnt die sexuelle Ausbeutung kurze Zeit, nachdem sich die Beziehung zur Kindesmutter stabilisiert hat. Oftmals wählen Missbraucher gezielt (z.T. wiederholt) Partnerinnen, die aufgrund eines geringen Selbstwertgefühls, eines sehr traditionellen Weiblichkeitsbildes oder besonderer Belastungen wenig autonom ihre Interessen vertreten und große Angst davor haben, verlassen zu werden (vgl. Heiliger 2000). 12 Allein erziehende Mütter können sich und ihre Kinder schützen, indem sie in ihrer Partnerschaft selbstbewusst ihre eigenen Interessen vertreten und ihre eigenen Gefühle ernst nehmen. Sie haben z.B. allen Grund misstrauisch zu ein, wenn ihr Partner der Tochter/dem Sohn allzu große Geschenke macht oder dem Kind mehr Aufmerksamkeit schenkt als ihnen selbst. Wie Täter das Schweigen der Opfer sichern Schon kurze Zeit nachdem sich der Kontakt zu der allein erziehenden Mutter stabilisiert hat, beginnt Robert Schritt für Schritt die Beziehung zu Tom zu sexualisieren, indem er diesen scheinbar zufällig am Genital berührt und ihn zu „gemeinsamen Doktorspielen“ überredet. Manchmal tarnt er die sexuelle Ausbeutung auch als „Zauberspiel“ und zeigt dem inzwischen 5-jährigen Jungen „wie sein Pimmel lachen und weinen kann“. Unter anderem missbraucht er seinen Stiefsohn wiederholt während des gemeinsamen wöchentlichen Bades. Als Manuela einmal zufällig das Badezimmer betritt, macht sie eine seltsame Beobachtung: Tom spielt gerade mit dem erigierten Penis seines Stiefvaters. Sowohl das Kind als auch Robert reagieren einen Augenblick irritiert auf Manuelas Erscheinen. Nach einer Schrecksekunde erklärt diese, dass es schon spät sei und sie nun Tom ins Bett bringen wolle. Später stellt sie ihren Mann zur Rede. Der gibt sich sehr erstaunt: Warum sie nur so ein Theater mache, er habe doch Tom nur gezeigt, wie man die Vorhaut reinige. Das müsse jeder Junge lernen. Sie würde aufgrund angeblicher hormoneller Probleme in der Schwangerschaft mal wieder überreagieren. Aber wenn es sie so sehr aufrege, werde er dies in Zukunft ihr zuliebe unterlassen. Manuela wehrt sich gegen die Abwertung ihrer Person, doch scheint ihr die von Robert genannte Motivation nachvollziehbar. Allerdings überfordert er ihrer Meinung nach den Jungen durch eine derartige Aufklärung. Das sagt sie ihm. Für sie ist die Angelegenheit damit erledigt. Tom geht es an diesem Abend überhaupt nicht gut. Eigentlich hat er seinen Stiefvater sehr lieb, doch manchmal macht der so doofe Spiele. Die machen ihm Angst. Dann stöhnt Papa und guckt so komisch. Auch hat er schon oft gesagt, dass diese Spiele ein Geheimnis sind. Mama dürfe das nicht wissen, sonst habe sie Tom nicht mehr lieb. Das will der Junge auf keinen Fall. Heute musste er Roberts Penis wieder reiben. Plötzlich ist Mama ins Badezimmer gekommen und hat alles gesehen. Aber warum hat sie nichts gesagt? Mama hat ihm nicht geholfen. 13 Sexueller Missbrauch in der Familie Entsprechend kindlichen Vorstellungen haben Erwachsene – vor allem Mütter – hellseherische Fähigkeiten und können ihren Kindern alles an der Nasenspitze ansehen. Sexuell missbrauchte Mädchen und Jungen können es kaum nachvollziehen, dass ihre Mütter/Väter über die Handlungen der Täter (Täterinnen) nicht im Bilde sein sollen – insbesondere, wenn sie, wie Manuela, quasi Augenzeugen der Tat wurden. Und da die Umwelt oftmals nicht reagiert, fühlen sich die Opfer Tätern (Täterinnen) schutzlos ausgeliefert und bewerten den Missbrauch als „normal“. Täter (Täterinnen) sind fast immer „Insider“, sie kennen den Alltag der Kinder und können meist unmerklich deren Tagesablauf steuern. Sie haben ihre Methoden, um Mädchen/ Jungen systematisch in ein Spinnennetz der Geheimhaltungsallianz zu verwickeln, damit die „stummen Schreie“ der Opfer nicht verstanden werden und bei Außenstehenden und Familienangehörigen kein Argwohn geweckt wird. Betroffene Mädchen und Jungen können nicht überschauen, mit welcher Raffinesse Missbraucher (Missbraucherinnen) sie in eine Komplizenschaft hineinziehen. Täter (Täterinnen) spekulieren meist auf die Liebe des Kindes zu den Eltern: Und so wahren viele Opfer gegenüber ihren Müttern (und Vätern) das von Tätern auferlegte Schweigegebot nicht aufgrund einer gestörten Eltern-Kind-Beziehung, sondern um den geliebten Personen Kummer zu ersparen. Sie schweigen, da „Mama jetzt wieder glücklich ist“ und sie nicht wollen, „dass Mama wieder traurig wird“. Robert versucht nun gezielter einen Keil zwischen die Beziehung des Jungen zu seiner Mutter zu treiben. Diese soll auf keinen Fall nochmals misstrauisch werden, dann würde sie sich vermutlich von ihm trennen und das Kind schützen. Mit großer Raffinesse nutzt er die leichten Schwangerschaftsbeschwerden seiner Frau, um Tom in eine Komplizenschaft zu verstricken: „Guck mal, Mama hat schlechte Laune. Hat sie dich schon wieder in dein Zimmer geschickt?“ Er schenkt dem Jungen besondere Aufmerksamkeit und untergräbt die Autorität der Mutter. 14 Wie Täter die Wahrnehmung der Mütter und der Umwelt beeinflussen Manuelas Nerven liegen blank; sie schreit ihren Sohn häufig an. Einmal rutscht ihr sogar die Hand aus. Tom wird immer schwieriger. Die Erzieherinnen der Kindertagesstätte haben sie schon angesprochen: Toms Sprachentwicklung ist verzögert, es fällt ihm schwer, mit anderen Kindern im Spiel Kontakt zu bekommen. Oft sitzt der Junge völlig in sich gekehrt in der Ecke und nimmt kaum Kontakt zur Umwelt auf. An anderen Tagen bekommt er unkontrollierte Wutanfälle. Durch verletzende Bemerkungen, ungerechtfertigte Kritik und Schikanen wertet Robert zunehmend seine Frau in der Rolle als Mutter und Partnerin ab und verletzt deren Selbstwertgefühl: „Sieh mal, als Frau bist du für die Erziehung deines Sohnes verantwortlich. Bist den ganzen Tag zu Hause und wirst noch nicht einmal mit dem Jungen fertig.“ Manuela fühlt sich extrem belastet. Sie spürt, dass etwas nicht stimmt, weiß aber nicht was. Tom zeigt ihr gegenüber ein immer aggressiveres Verhalten. Häufig versteckt er sich, wenn sie ihn aus der Tagesstätte abholen will. Kommt hingegen Robert im Kindergarten vorbei, so läuft er diesem strahlend entgegen. Manuela zweifelt an ihrem Selbstwert als Mutter und sieht ihr eigenes Versagen und ihre Schwangerschaft als ursächlich für die Probleme des Sohnes. Sie schämt sich dafür, dass ihr Mann anscheinend das wesentlich bessere Verhältnis zu seinem Stiefsohn hat. Die von ihr beobachtete Situation zwischen Robert und Tom im Badezimmer hat sie längst vergessen. Auf die Idee eines sexuellen Missbrauchs kommt sie überhaupt nicht. Zumal sie auch während der Schwangerschaft regelmäßig sexuellen Kontakt zu ihrem Partner hat und sie sich auch nicht vorstellen kann, dass Robert sich in einer Zeitspanne von nur wenigen Minuten durch Reiben des Penis zwischen den Oberschenkel des Jungen befriedigt – z.B. wenn er mit dem Kind auf der Coach im Wohnzimmer liegt und Fernsehen guckt. Mütter spüren in vielen Fällen, dass mit ihren Töchtern/Söhnen in der letzten Zeit „etwas nicht stimmt“. Sie machen sich Gedanken über Konzentrationsstörungen in der Schule, über distanzloses Verhalten gegenüber Dritten oder auffällige Geschenke des Täters. Doch welche Mutter vermutet schon einen sexuellen Missbrauch durch den Partner?! Die meisten Menschen können sich ein solches Verbrechen von einer geliebten Person an einem geliebten Menschen – erst recht am gemeinsamen Kind – nicht vorstellen. Mütter geben sich meist selbst die Verantwortung für die Probleme der Tochter/des Sohnes, trauen ihren eigenen Sinnen nicht mehr und resignieren über die Tatsache, dass sie „noch nicht einmal mit dem eigenen Kind klarkommen“. 15 Sexueller Missbrauch in der Familie Robert versucht derweil, seine Ehefrau zu isolieren. Ihren Freundinnen gegenüber verhält er sich freundlich, wimmelt deren Besuche jedoch öfters ab; Manuela brauche Ruhe. Die Frauen können überhaupt nicht nachvollziehen, warum Manuela so belastet wirkt; sie hat doch alles: einen attraktiven Partner, der sie in der Kindererziehung unterstützt, ein wunderschönes Haus, eine Putzfrau ... Manuela fühlt sich von ihren Freundinnen nicht verstanden. Die Kontakte zu ihnen schlafen mehr und mehr ein. Gegenüber seinen Freunden, Geschäftskollegen, Schwiegereltern und den Erzieherinnen der Kindertagesstätte mimt Robert den sorgenden Ehemann: „Ich mache mir große Sorgen um meine Frau. Sie ist psychisch sehr belastet. Ich versuche sie schon so weit eben möglich zu entlasten und ihr den Jungen abzunehmen.“ Seine Schwiegermutter sieht sich bald zu einem ernsthaften Gespräch mit ihrer Tochter veranlasst: „Kind, jetzt nimm dich mal ein bisschen zusammen und sei dankbar, dass du so einen liebevollen Partner und fürsorglichen Vater für deinen Sohn gefunden hast.“ Auch die Erzieherinnen sind von Robert sehr angetan, bewundern dessen Engagement für den Jungen. Die Kindesmutter empfinden sie hingegen als kompliziert, zumal sie in der letzten Zeit kaum ein freundliches Wort für die Pädagoginnen übrig zu haben scheint. Es gehört zur Strategie von vielen Missbrauchern, die sozialen Kontakte der Ehefrau zu beschneiden. Sie sprechen ihren Frauen z.B. oft das Recht auf eigene Freundinnen und Freizeitaktivitäten ab, intrigieren im Verwandten- und Bekanntenkreis gegen sie. Oft stellen sie die Mutter als gefühlskalt, kompliziert oder psychisch belastet dar. Das Erleben des Kindes Nach der Geburt ihres zweiten Kindes (Lena) geht es Manuela sichtbar besser. Die Welt scheint wieder in Ordnung. Nur die Probleme mit Tom werden immer größer. Der Junge ist eifersüchtig auf seine kleine Schwester und will endlich mal seine Mama wieder für sich haben. Robert nutzt die Situation, um das Kind noch weiter zu missbrauchen: „Mama hat gar keine Zeit mehr für uns, kümmert sich nur noch um das Baby ... .“ 16 In einer anderen Situation erklärt Robert dem Jungen nachdrücklich, dass sie beide nicht mehr zusammen wohnen und spielen dürfen, wenn Dritte erfahren sollten, was Tom mit ihm mache. Damit suggeriert er dem Jungen eine aktive Beteiligung. Durch die vom Täter ständig praktizierten Grenzverletzungen sind für Tom ohnehin die Grenzen zwischen kindgerechter zärtlicher Zuwendung und Formen der sexuellen Ausbeutung nicht mehr eindeutig zu definieren. Eine Zurückweisung ist ihm kaum möglich – zumal der Junge spürt, dass er bei einem Nein die vorherige Beachtung des Täters verlieren würde. Und je länger der Missbrauch dauert, desto schuldiger fühlt sich Tom. Nicht zuletzt hat er ein schlechtes Gewissen, weil er öfters Notlügen gebraucht, um die „Spiele mit dem Papa“ gegenüber der Mama zu vertuschen. In dieser verzweifelten Lage versucht Tom auch vor sich selbst Roberts Handlungen zu „normalisieren“ und fängt an zu glauben, dass er "es" selbst gewollt habe. Im Sinne einer Überlebensstrategie glauben viele Opfer, sie hätten selbst die an ihnen verübte sexuelle Ausbeutung aktiv herbeigeführt. Um ihre eigene Ohnmacht nicht zu spüren, versuchen sie ihre eigene Machtlosigkeit umzudeuten. Je länger der Missbrauch dauert, umso mehr glauben viele Opfer, „es“ sei nicht böse gemeint, sondern eher als ein Zeichen der Zuneigung des Täters (der Täterin) zu verstehen. Zwischen den ambivalenten Gefühlen wie Zuneigung und Angst, Respekt und Ekel, Scham und Trauer hin- und hergerissen, übernehmen Kinder bei der Bewertung der Situation die Perspektive des übermächtigen Täters (der Täterin). Aus Angst „kriechen“ sie gleichsam mit ihrer inneren Wahrnehmung in die Rolle des Missbrauchers (der Missbraucherin), sehen sich selbst mit dessen (deren) Augen und übernehmen seine (ihre) Argumentation. Wenn er (sie) sagt: „Du hast es selbst gewollt!“ oder „Es bereitet dir ja Spaß!“, so machen sich viele Opfer in ihrer ohnmächtigen Lage diese Einschätzung zu eigen. Sie identifizieren sich mit den Missbrauchern (Missbraucherinnen), idealisieren diese und bagatellisieren die an ihnen verübten Verbrechen. Durch diese Identifikation mit dem Aggressor schwindet scheinbar der Anteil der Gewalt in den Handlungen des Täters (der Täterin). Kinder und Jugendliche schaffen sich so ein ungebrochenes Bild der meist geliebten Bezugsperson zurück, denn welches Kind möchte schon den Vater, die Mutter, den Lieblingslehrer ... verlieren? Die „Entschuld(ig)ung“ des Täters (der Täterin) durch das Opfer ist somit keinesfalls ein Zeichen für eine besonders positive emotionale Bindung an den Ausbeuter (die Ausbeuterin) oder ein Hinweis auf ein vermeintlich geringes Ausmaß des Missbrauchs – im Gegenteil: Je mehr ein Mädchen oder Junge den Missbraucher (die Missbraucherin) idealisiert und entschuldigt, umso weniger hat das betroffene Kind den Missbrauch verarbeitet. 17 Im Kindergarten fällt Tom inzwischen durch Doktorspiele auf, die weit über altersgemäße sexuelle Neugierde hinausgehen. Wiederholt versucht er, anderen Jungen seinen Penis in den Po zu stecken, und möchte, dass diese seinen Penis in den Mund nehmen. Auch einige Mädchen der Gruppe fühlen sich durch ihn belästigt. Die anderen Kinder beschweren sich bei der Erzieherin. Diese spricht den Jungen ruhig an und erklärt ihm, dass die anderen Kinder solche Doktorspiele nicht mögen und deshalb seien sie verboten. Tom reagiert empört: „Das darf man doch, der Robert macht das doch auch mit mir.“ Obgleich sich die Erzieherin in diesem Moment erschrickt, reagiert sie äußerlich gelassen und stellt nur fest, dass sie trotzdem nicht damit einverstanden ist. Der Junge ist zwar noch sauer, aber er hat durch die besonnene Reaktionsweise der Pädagogin noch nicht einmal bewusst wahrgenommen, dass er entgegen dem Schweigegebot des Stiefvaters den Missbrauch aufgedeckt hat. Oftmals reinszenieren betroffene Kinder im Spiel sexuelle Gewalterfahrungen. Insbesondere kleine Kinder verplappern sich manchmal gegenüber Bezugspersonen, die meist nicht zur unmittelbaren Familie gehören. Reagieren diese Personen mit Entsetzen und/oder bedrängen sie das Mädchen/den Jungen mit Fragen, so verstummen die meisten Opfer erneut und nehmen die eigene Aussage zurück. Doktorspiele oder sexuelle Übergriffe? „Doktorspiele“ gehören zur normalen Entwicklung von Mädchen und Jungen, schon sehr kleine Kinder experimentieren sexuell. Sie befriedigen sich selbst, erkunden – schauen und berühren – mit kindlicher Neugier die eigenen Geschlechtsorgane und die ihrer kleinen gleichaltrigen Freundinnen und Freunde und interessieren sich für Urinieren und Stuhlentleeren. Mütter und Väter, Pädagoginnen und Pädagogen sind häufig verunsichert, welches Verhalten Ausdruck einer gesunden sexuellen Betätigung ist und welches als sexuelle Grenzverletzung gewertet werden muss. „Doktorspiele“ sind gegenseitige Spiele: Kinder begucken und berühren sich gegenseitig, sie tauschen die Rollen. Die Initiative geht nicht nur von einem Mädchen oder Jungen aus und kein Kind muss sich einem anderen unterordnen. Meistens finden sie unter Kindern gleichen Alters oder mit ein oder zwei Jahren Altersunterschied statt. Sind ältere oder in ihrer Entwicklung eindeutig überlegene Mädchen und Jungen beteiligt, so 18 kann die Situation von Kindern durchaus als sehr beängstigend erlebt werden. Konzentriert sich über einen längeren Zeitraum das Interesse einzelner Kinder fast ausschließlich auf sexuelle Handlungen, die z.T. über kindliches Erkunden hinausgehen und Erwachsenensexualität entsprechen, und werden einzelne Kinder wiederholt verletzt, so sind dies keine altersgemäßen „Doktorspiele“. Für „Doktorspiele“ gelten klare Regeln: – Jedes Mädchen/jeder Junge bestimmt selbst, mit wem sie/er Doktor spielen will. – Die Kinder streicheln und untersuchen sich nur so viel, wie es für sie selber und die anderen schön ist. – Kein Kind darf einem anderen wehtun! – Größere Kinder, Jugendliche und Erwachsene haben bei Doktorspielen nichts zu suchen. Können einzelne Kinder diese Regeln nicht einhalten und sehen die anderen Mädchen und Jungen sich nicht in der Lage, sich allein oder als Gruppe zu wehren, so sind Mütter, Väter, Pädagoginnen und Pädagogen gefordert, aktiv zum Schutze der Schwächeren einzugreifen. Unter fachlicher Begleitung einer Beratungsstelle oder des Jugendamtes sind ebenso den sexuell übergriffigen Kindern Hilfen anzubieten. Literaturempfehlung: Broschüren der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Körper, Liebe, Doktorspiele. Ein Ratgeber für Eltern zur kindlichen Sexualentwicklung vom 1. bis zum 3. Lebensjahr (Bd.1) und vom 4. bis zum 6. Lebensjahr (Bd. 2). Ursula Enders/Dorothee Wolters: Wir können was, was ihr nicht könnt. Ein Bilderbuch über Zärtlichkeit und Doktorspiele. Weinheim 1996. 19 Sexueller Missbrauch in der Familie Was können Pädagoginnen und Pädagogen tun? Ruhe bewahren, überstürztes Handeln schadet nur! Die Erzieherin informiert ihre Vorgesetzte, die Kindertagesstättenleiterin, über Toms Aussage. Die Pädagoginnen schmerzt die Vorstellung, dass der Junge möglicherweise sexuell ausgebeutet wird. Sie möchten so schnell wie eben möglich dem Kind helfen und selber wieder ruhig schlafen können. Doch ihnen ist bewusst, dass es besser ist, erst einmal sehr sorgfältig Strategien der Hilfe zu erarbeiten. Was hilft es, wenn aufgrund eines übereilten Vorgehens Robert den Verdacht der Erzieherinnen erahnt? Zu groß wäre im Falle eines tatsächlichen Missbrauchs die Gefahr, dass er Tom unter Druck setzen oder Manuela überreden würde, den Jungen in einen anderen Kindergarten umzumelden. Die Einrichtungsleiterin bittet die Erzieherin, alle ihre Beobachtungen schriftlich festzuhalten: die Aussagen und das Verhalten des Kinds, ihre Eindrücke und Reaktionen, alle Gespräche und Handlungsschritte und die Beschreibung der Stärken des Jungen. Sie selbst nimmt Kontakt zu einer Beratungsstelle auf und vereinbart für sich und die in der Gruppe tätigen Pädagoginnen einen gemeinsamen Beratungstermin. Es kostet viel Kraft, besonnen auf die Aussage eines Kindes zu reagieren, denn die Konfrontation mit der Vermutung eines sexuellen Missbrauchs löst auch bei Fachkräften emotionale Betroffenheit aus. Die eigene Hilflosigkeit verleitet Pädagoginnen und Pädagogen nur allzu leicht zu überstürztem Handeln. Dabei gilt es zunächst einmal, Ruhe zu bewahren, denn nicht das Kind gerät gerade in eine akute Krise, sondern die Person, die den Missbrauch vermutet oder von ihm erfährt. Das Kind lebt in der Regel schon über einen längeren Zeitraum in einer extrem belastenden Situation und musste notgedrungen Überlebensstrategien entwickeln. Jetzt hat es die Kraft und den Mut gefunden, die eigene Isolation zu durchbrechen. Das Opfer wählte bewusst oder unbewusst eine Vertrauensperson und fand in ihr einen Menschen, der die versteckten oder offenen Hinweise auf die Gewalterlebnisse verstanden und nicht beiseite geschoben hat. Dieses anfängliche Vertrauen des Kindes muss gefestigt werden. Zunächst einmal muss in Kooperation mit einer Beratungsstelle abgeklärt werden, ob den Hinweisen und Verhaltensauffälligkeiten ein sexueller Missbrauch oder andere Belastungen des Mädchens/Jungen zu Grunde liegt (z.B. körperliche Kindesmisshandlung, Kindesvernachlässigung, persönliche Belastungen der Eltern). In jedem Fall ist es für Pädagoginnen und Pädagogen sinnvoll, sich die Unterstützung eines Fachdienstes zu holen, denn verhaltens20 auffällige Kinder brauchen grundsätzlich Hilfe, ganz gleich, welche Ursache ihre offenen oder verdeckten Hilferufe haben. Besonnenheit ist auch geboten, damit im Fall einer sexuellen Ausbeutung der Täter (die Täterin) nicht erfährt, dass das Kind sich jemandem anvertraut hat, denn er/sie würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit versuchen, es mit zusätzlicher Gewalt erneut zum Schweigen oder zur Zurücknahme der eigenen Aussage zu zwingen. Mädchen und Jungen stehen in diesen Fällen als Lügnerinnen da und bleiben in der Regel weiterhin über Jahre der sexuellen Gewalt ausgeliefert. Meist fällt es Pädagoginnen und Pädagogen besonders schwer, bei innerfamilialem Missbrauch durch den Partner der Frau zunächst auch dieser gegenüber keine Andeutung zu machen. Doch erfahren diese durch Dritte unvorbereitet von der Vermutung, so konfrontieren/informieren sie in ihrer Not fast immer den beschuldigten Partner, auch wenn sie sich Dritten gegenüber sehr distanziert über ihren Lebenspartner äußern oder versichern, keine Andeutung zu machen. Auch muss zunächst geklärt werden, wer als Täter (Täterin) in Frage kommt, denn in vielen Fällen ist dies nicht so eindeutig wie bei Toms Stiefvater. Sicherlich, in einem Drittel aller Fälle gehören die Täter (Täterinnen) zur unmittelbaren Familie des Opfers (Väter, ältere Geschwister, Mütter und in der Familie lebende Verwandte), die meisten kommen jedoch aus dem außerfamilialem Nahbereich (z.B. Freunde der Familie, Jugendliche aus der Nachbarschaft, Trainer, Babysitter oder entferntere Verwandte. Manchmal werden Mädchen und Jungen von mehreren Personen missbraucht). Eine zu frühe oder unberechtigte Konfrontation einer Mutter mit der Vermutung, dass ihr Partner die Tochter/den Sohn missbraucht, kann eine Familie in eine schwere Krise stürzen. Dies gilt es zu vermeiden. Sich fachliche Unterstützung suchen! Vertrauenspersonen von kindlichen Opfern sexueller Gewalt brauchen fachliche Unterstützung, damit sie den betroffenen Mädchen und Jungen besonnen zur Seite stehen, ihre eigenen Grenzen erkennen können und selbst entlastet werden. Es ist z.B. nicht die Aufgabe einer Pädagogin, eine Mutter/einen Vater mit der Vermutung der sexuellen Ausbeutung der Tochter/des Sohnes zu konfrontieren oder weitere Informationen über den Missbrauch aufzudecken. In Familienberatungsstellen und Spezialberatungsstellen können Pädagoginnen und Pädagogen kostenlose Beratung und Unterstützung im Falle der Vermutung eines sexuellen Missbrauchs bekommen. 21 Sexueller Missbrauch in der Familie Im Gespräch mit der Beratungsstelle schildern die Erzieherinnen zunächst einmal ihre eigenen Belastungen, denn nicht nur der Junge ist in einer Krise, sondern auch sie selbst: Sie sind unsicher und entsetzt. Zum einen wollen sie nicht Toms Stiefvater zu Unrecht verdächtigen, zum anderen können sie kaum die Vorstellung ertragen, dass das Kind eventuell weiter missbraucht wird. Es tut ihnen gut, über ihre Situation zu sprechen. Die Beraterin macht ihnen deutlich, dass der Junge schon eine erste Hilfe bekommen hat, indem die Erzieherinnen etwas wahrgenommen haben. Jetzt sei es entscheidend, dass sie sich selbst stärken, damit sie besonnen und ruhig handeln können. Die Konfrontation mit dem Leid kindlicher und jugendlicher Opfer sexueller Gewalt erschüttert auch das Grundvertrauen professioneller Helferinnen und Helfer. Es ist für sie unfassbar, dass Menschen in der Lage sind, ein Kind so tief zu verletzen. Zudem werden sie sich ihrer eigenen Verwundbarkeit bewusst. Erinnerungen an eigene schmerzhafte und auch schöne Kindheitserlebnisse werden wieder lebendig, eine Auseinandersetzung mit der persönlichen Lebensgeschichte wird notwendig. Diejenigen, die selber Kinder haben, sorgen sich oftmals, ob sie diese vor traumatischen Erfahrungen bewahren können. Einige Bezugspersonen fühlen sich schuldig, da ihnen das Leid der Mädchen und Jungen erspart blieb und sie eine „bessere“ Kindheit hatten. Sie wollen das Unrecht, das den Kindern zugefügt wurde, wieder ausgleichen und überfordern sich. Manchmal beeinträchtigt das Wissen um die Leidensgeschichte eines Mädchens/Jungen die eigene Lebensfreude und beeinflusst die privaten Beziehungen zu Lebenspartner und Kindern. Meist führt der enge Kontakt zu betroffenen Kindern und Jugendlichen dazu, dass Pädagoginnen und Pädagogen die Gefühle des Mädchens/Jungen zeitweise „übernehmen“: Sie spüren dessen Trauer, Wut, Ekel, Verzweiflung und Angst, als ob es ihre eigenen Gefühle wären. Die fachliche Unterstützung durch eine Beratungsstelle wird es ihnen erleichtern, wieder zwischen den vom Kind übernommenen und eigenen Gefühlen unterscheiden zu können. In einem nächsten Schritt beschreiben die Erzieherinnen im Gespräch mit der Beratungsstelle nochmals die von ihnen beobachteten Verhaltensänderungen des Jungen seit Beginn des Kindergartenbesuches. Sie fühlen sich z.B. häufig überfordert, denn Tom zeigt manchmal ein extrem grenzverletzendes Verhalten. 22 Die eigenen persönlichen und professionellen Grenzen wahrnehmen! Oftmals geraten Pädagoginnen, Therapeuten und Sozialarbeiterinnen bei der Konfrontation mit sexueller Ausbeutung von Mädchen und Jungen an ihre professionellen und persönlichen Grenzen und sie beginnen an ihrer Kompetenz zu zweifeln. Kindliche und jugendliche Opfer bringen im Kontakt zu Dritten ihr im Kontext des Missbrauchs erlerntes Verhalten ein. Dieses Verhalten kann bei möglichen Bezugspersonen Abneigung und Vorurteile hervorrufen. Ein Mädchen/Junge, das/der über einen langen Zeitraum gelernt hat, sich mit kleinen Notlügen zu schützen, wird nicht von heute auf morgen vertrauensvoll auf Dritte zugehen können. Einige Helferinnen und Helfer werten das misstrauische Verhalten betroffener Kinder und Jugendlicher als einen persönlichen Angriff und fühlen sich verletzt, wenn sie ihnen trotz ihres Engagements nicht trauen. Sexuell missbrauchte Kinder und Jugendliche haben zumeist gelernt, dass sie durch die Sexualisierung von Beziehungen Zuwendung erhalten. Sie zeigen daher oftmals sexualisiertes und grenzverletzendes Verhalten und meiden keineswegs immer Körperkontakt und Sexualität. Den Erzieherinnen fallen plötzlich Aussagen des Kindes wieder ein, die sie seinerzeit nicht besonders beachtet und wieder vergessen hatten: Tom gibt bereits seit mehreren Monaten deutliche Hinweise auf einen Missbrauch durch Robert. Sie wollen dem Jungen nun Zeit lassen, nicht mit bohrenden Fragen in ihn eindringen und ihm keine Vermutungen in den Mund legen. Bei überstürzten oder bedrängenden Reaktionen würde Tom vermutlich wieder verstummen und ihm könnte nicht geholfen werden. Zur Stärkung des Kindes planen sie unter fachlicher Begleitung der Beratungsstelle, sehr sensible Präventionseinheiten in der gesamten Gruppe zu den Themenschwerpunkten „Trau deinem Gefühl!“ , „Kein Küsschen auf Kommando!“ und „Schöne und blöde Geheimnisse!“ durchzuführen. Keinesfalls wollen sie Tom direkt ansprechen, sondern lediglich sehr aufmerksam sein, ob er von sich aus nochmals einen Hinweis auf eine sexuelle Ausbeutung gibt. Erleichtert nehmen die Erzieherinnen zur Kenntnis, dass niemand im Falle eines sexuellen Missbrauchs zur Anzeige verpflichtet ist - auch das Jugendamt nicht. 23 Sexueller Missbrauch in der Familie Täter (Täterinnen) missbrauchen die kindliche Vertrauensseligkeit der Opfer. Betroffene Kinder und Jugendliche brauchen deshalb meist viel Zeit, um wieder Vertrauen zu finden und offen über die Gewalterfahrungen sprechen zu können. Nicht immer vertrauen sich betroffene Mädchen und Jungen den Personen an, die ihnen am nächsten stehen. Sie spüren, wie sehr diese Menschen sich durch die Information belastet fühlen würden und welche Personen die Bereitschaft haben, ihnen zuzuhören, und welche nicht. Meist wählen sie eine Vertrauensperson außerhalb der Familie, der sie sich Schritt für Schritt anvertrauen. Entscheidend ist, dass diese Menschen auf die Hinweise des Kindes ruhig und sachlich reagieren. Bohrende Fragen, Äußerungen des Entsetzens, des Bedauerns und bewertende Kommentare, auch über vermutete Missbraucher/Missbraucherinnen, lassen Kinder häufig erneut verstummen. Jedes Kind hat eigene Überlebensstrategien. Unabhängig davon, ob es sich tatsächlich um einen Missbrauch oder andere Belastungen handelt, ist es wichtig, das Mädchen/den Jungen mit allen seinen Fähigkeiten, Bedürfnissen sowie seiner individuellen Entwicklung zu sehen und das Selbsthilfepotenzial des Kindes zu stärken. Die Mutter stärken! Im Gespräch mit der Beratungsstelle wird den Erzieherinnen auch bewusst, wie sehr sich ihre Beziehung zur Mutter im Laufe der Zeit verschlechtert hat und in welch positivem Licht Toms Stiefvater gestanden hat. Obwohl sich die Mutter im Kontakt mit den Pädagoginnen oftmals sehr abweisend verhält, nehmen sie sich vor, in Zukunft wieder auf die Mutter zuzugehen. Dem Kind glauben! Häufig können die Vertrauenspersonen von sexuell missbrauchten Mädchen und Jungen die Realität nicht glauben. Durch intensives Nachfragen wollen sie die „Wahrheit“ herausfinden. Betroffene Kinder und Jugendliche spüren den Unglauben und ziehen sich dann fast immer zurück. Im Kontakt mit sexuell missbrauchten Mädchen und Jungen ist es deshalb wichtig, ihnen grundsätzlich zu glauben und ihre Aussagen nicht in Frage zu stellen. In den meisten Fällen verharmlosen die Opfer die sexuelle Gewalt, berichten nur über die „Spitze des Eisbergs“. Oft sprechen sie z.B. nur über einen einzigen Vorfall – selbst dann, wenn sie schon jahrelang sexuell ausgebeutet wurden. Dem Mädchen/Jungen glauben, heißt jedoch nicht, jede Silbe eines Kindes als objektive Wahrheit zu bewerten, sondern von der Wahrhaftigkeit der Aussage des Opfers auszugehen, auch wenn die einzelnen Mosaiksteinchen der Erinnerungen nicht zueinander zu passen scheinen. In vielen Fällen verdrängen die Opfer sexueller Gewalt wesentliche Details, oder aber die Täter (Täterinnen) haben die kindliche Wahrnehmung derart verwirrt, dass die Aussagen der Mädchen und Jungen auf den ersten Blick als widersprüchlich erscheinen. Auch spalten viele Kinder und Jugendliche die nicht zu ertragende Realität vom eigenen Erleben ab und erzählen deshalb die eigenen Erlebnisse zunächst so, als würden sie über eine andere Person berichten. Dennoch macht ihnen der „Verrat“ Angst und Schuldgefühle. 24 Bei innerfamilialem Missbrauch durch den (Stief-)Vater können sich die Mütter nur auf die Seite des Opfers stellen, wenn Dritte sich ganz eindeutig auf ihre Seite stellen. Nicht die Mutter, sondern der Täter muss die Tat verantworten. So sollte die Mutter auch nicht ohne weiteres mit der Vermutung eines Missbrauchs konfrontiert werden, sondern Ziel der Arbeit muss es sein, sie für eine Zusammenarbeit und Parteinahme für das Kind zu gewinnen. Deshalb sollte die Mutter – wenn eben möglich – auf die Offenlegung des Missbrauchs vorbereitet werden. Im Rahmen einer Fallkonferenz aller professionellen Kontaktpersonen der Familie gilt es, folgende Fragen zu beantworten: Wer kennt die Mutter? Welche Stärken hat die Mutter? Zu wem hat die Mutter das größte Vertrauen oder zu wem könnte sie Vertrauen finden? Hat der Täter sie abgewertet? Welche Stärken hat das Kind von der Mutter vermittelt bekommen? Wer könnte bei der Mutter ganz vorsichtig das Thema „Sexuelle Gewalt“ ansprechen, ohne den konkreten Verdacht zu thematisieren? Falls der Verdacht sich erhärtet: Wer informiert die Mutter – das Jugendamt oder die Beratungsstelle? 25 Sexueller Missbrauch in der Familie Opferschutz steht vor Datenschutz! Viele Pädagoginnen und Pädagogen sind unsicher, ob sie bei der Vermutung eines sexuellen Missbrauchs die Unterstützung einer Beratungsstelle einholen und mit dem Jugendamt kooperieren dürfen, ohne den Datenschutz der Betroffenen zu verletzen. Doch der Opferschutz steht immer vor Datenschutz! Das heißt: Wenn das Kindeswohl gefährdet ist, dürfen nicht nur, sondern müssen Pädagoginnen und Pädagogen mit anderen Fachdiensten kooperieren, soweit dies fachlich geboten ist. Wichtig ist, das Jugendamt früh einzuschalten. Man kann auch anonym Kontakt aufnehmen. Wenn man beim Jugendamt anruft und lediglich die Straße der Wohnung des Kindes nennt, erfährt man, welcher Sozialarbeiter/welche Sozialarbeiterin zuständig ist. Für Notfälle hat jedes Jugendamt einen Tagesdienst (Bereitschaftsdienst) und Möglichkeiten der Notunterbringung von Kindern. Die Telefonnummer erfährt man über die Zentrale der Stadt- oder Kreisverwaltung. In jedem Fall empfiehlt es sich, innerhalb der Einrichtung einen Elternabend zum Thema „Wie kann ich mein Kind vor sexuellem Missbrauch schützen“ anzubieten. In der Praxis zeigt sich immer wieder, dass einigen Müttern und auch Vätern, die in den meisten Fällen nicht die Täter sind, im Rahmen eines Elternabends plötzlich die verdeckten Hinweise ihres Kindes auf einen Missbrauch bewusst werden. „Meine Tochter will nie mehr zu dem Opa, der sei immer so komisch!“ Oder: „Mein Mann sagt immer, ich sei ja nur eifersüchtig und zu prüde. Heute müsse man die Kinder von klein auf offen aufklären!“ Nicht selten melden sich betroffene Mütter und Väter nach einem Elternabend bei der Referentin/dem Referenten. Die Tatsache, dass sie eine Ansprechpartnerin/einen Ansprechpartner kennen lernen, die/der die Belastungen betroffener Mütter und Väter benennt, macht es ihnen möglich, den Tatsachen ins Auge zu sehen und die Wirklichkeit nicht weiter zu verdrängen. Doch selbst wenn betroffene Eltern an so einem Elternabend noch ahnungslos sind, haben sie doch erfahren, dass es Hilfen für Mütter, Väter, Mädchen und Jungen gibt, so dass sie nach einer evtl. späteren Offenlegung wissen, an wen sie sich wenden können. 26 Nachdem zunächst das Jugendamt vom Kindergarten über die Vermutung der sexuellen Ausbeutung des Jungen und die in Kooperation mit der Beratungsstelle geplanten nächsten Schritte informiert wurde, lädt die Kindertagesstätte einige Wochen später zu einem Elternabend ein. Dieser wird von einer Mitarbeiterin der Beratungsstelle durchgeführt. Auch Manuela nimmt an diesem Abend teil. Die Erzieherinnen haben sie persönlich eingeladen. Im Laufe der sehr interessanten Diskussion erläutert ein Vater am Beispiel des gemeinsamen Badens mit seiner Tochter, wie und wann für ihn dieses in Ordnung ist und ab welchem Punkt für ihn ein sexueller Missbrauch beginnen würde. Manuela fällt plötzlich die von ihr beobachtete Badewannenszene zwischen Robert und Tom wieder ein. Dieser Mann vertritt eine ganz andere Position als Robert. Hatte sie die Situation damals etwa doch richtig eingeschätzt? Auch erkennt die Mutter in den Beschreibungen der Referentin ihre Konflikte in der Beziehung zu Tom wieder. Liegen Toms Aggressionen ihr gegenüber vielleicht gar nicht in ihrem Verhalten begründet? Der Elternabend hat Manuela wachgerüttelt. Ihr werden immer mehr Merkwürdigkeiten bewusst: Warum macht Robert Tom trotz ihres Protestes immer so unangemessen große Geschenke? Warum hat sie sich mit ihrem Sohn viel besser verstanden, als dessen Stiefvater im letzten Jahr für einige Wochen beruflich im Ausland tätig war? Muss sie sich auch Sorgen um ihre Tochter machen? Warum verweigert Roberts erste Frau den Besuchskontakt des gemeinsamen Sohnes mit dem Vater? Manuela entschließt sich spontan, sie anzurufen. Als diese erfährt, dass Manuela ohne Wissen ihres Mannes bei ihr anruft, ist sie sofort bereit, sich zu einem Kaffee zu verabreden. Ein paar Tage später treffen sich die beiden Frauen in einem Café. Nach einer Weile deutet Manuela vorsichtig an, dass sie sich Sorgen macht, da sie sich nicht sicher ist, ob Robert immer die richtige Umgangsweise mit Tom findet. Sie solle ihr Misstrauen sehr ernst nehmen, erklärt daraufhin Roberts geschiedene Frau. Sie selbst habe im Sorgerechtsverfahren ein gerichtliches Umgangsverbot zwischen Robert und ihrem Sohn erwirkt, denn der Junge habe sehr massive Ängste vor seinem Vater gehabt und sexuelle Übergriffe durch diesen angedeutet. Erst nachdem er den Vater mehrere Monate nicht mehr gesehen habe, sei es eines Abends aus dem Jungen „herausgeplatzt“. Er habe ihr bis ins Detail erzählt, wie Robert ihn missbraucht habe. Für Manuela bricht eine Welt zusammen. Heute Abend will sie erst einmal unter einem Vorwand mit beiden Kindern bei ihren Eltern übernachten und sich morgen Hilfe holen. Die wird sie brauchen, denn sie will ihren Sohn und auch ihre Tochter schützen. 27 Sexueller Missbrauch in der Familie Das Opfer schützen! Hinterlässt sexueller Missbrauch körperliche Spuren? Wird der Täter (die Täterin) mit dem Missbrauch konfrontiert, so kann der Schutz des Mädchens/Jungen nur durch eine räumliche Trennung gewährleistet werden. In jedem Fall sollten die rechtlichen Möglichkeiten genutzt werden, damit bei innerfamilialem sexuellen Missbrauch der Täter (die Täterin) die gemeinsame Wohnung verlässt, denn das Kind und die Geschwister haben das Recht, in der vertrauten Umgebung zu bleiben. Wenn jedoch das Opfer oder die Geschwister räumlichen Abstand zum Tatort brauchen, sollte für sie eine andere Wohnung gesucht werden. Niemals darf ein Opfer nach der Konfrontation des Täters (der Täterin) in dessen Reichweite bleiben, denn fast immer versucht dieser (diese) mit erneuter (psychischer) Gewalt, das Kind wieder zum Schweigen zu bringen. Vor allem bei innerfamilialem Missbrauch durch den (Stief-)Vater brauchen Mutter und Tochter/Sohn jeweils eine eigene Beraterin, denn ihre Interessen sind keinesfalls immer die gleichen. In den meisten Fällen richtet sich die Wut des Opfers zudem zunächst gegen die Mutter – nicht gegen den Täter, denn dieser hat mit großer Raffinesse die Mutter abgewertet und das Kind „auf seine Seite gezogen“. Die Beraterin der Mutter muss diese stützen, damit sie einerseits das Verhalten des Kindes verstehen kann, aber andererseits nicht die eigenen Interessen vergisst und auch der Tochter/dem Sohn klare Grenzen setzen kann. Ebenso brauchen Väter bei sexueller Ausbeutung des Kindes durch die Mutter oder eine andere Person eine intensive Unterstützung. Sexuelle Ausbeutung von Kindern hinterlässt nur selten körperliche Spuren (z.B. Risse, Brandwunden und Hämatome im Genitalbereich). In einigen Fällen ist eine Veränderung des Hymens feststellbar. Doch selbst wenn ein Mädchen vaginal vergewaltigt wurde, ist dieses Verbrechen medizinisch nicht immer nachweisbar, denn das Hymen kleiner Mädchen ist oft noch so elastisch, dass es sich dehnt und wieder zusammenzieht. Auch lassen die evtl. feststellbaren Veränderungen des Hymens oftmals keine zweifelsfreien Rückschlüsse auf sexuelle Ausbeutung zu: Sie können in einigen Fällen auch Folge von Verletzungen im Rahmen kindlicher Doktorspiele sein. Eine medizinische Untersuchung sollte möglichst schnell erfolgen, denn körperliche Verletzungen heilen bei Kindern sehr schnell und können später nicht mehr eindeutig diagnostiziert werden. Der Untersuchung kommt vor allem die Bedeutung einer Stabilisierung des Opfers zu. Im Rahmen einer mit großer Sensibilität durchgeführten Ganzkörperuntersuchung durch eine Ärztin/einen Arzt kann dem Mädchen/Jungen bestätigt werden, dass es/er „in Ordnung“ ist und keine bleibenden Verletzungen hat. Die Kriminalpolizei kennt meist Namen und Anschriften von Kindergynäkologinnen, die in der Untersuchung von kindlichen Opfern sexueller Gewalt erfahren sind. Die eigenen Schritte planen – überlegt handeln. Ein Leitfaden für Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen und in Schulen zum Umgang mit der Vermutung des sexuellen Missbrauchs an Mädchen und Jungen. Zu beziehen über Zartbitter Köln, Sachsenring 2-4, 50677 Köln, gegen einen mit EUR 1,53 frankierten DIN-A4-Rückumschlag. 28 TIPP 29 4. Wenn Mütter von der sexuellen Ausbeutung ihres Kindes durch den Partner erfahren In den meisten Fällen wissen Mütter nichts von der sexuellen Ausbeutung des Kindes durch den eigenen Lebenspartner. Die Nachricht trifft sie meist plötzlich und unerwartet. Mütter reagieren oft geschockt: Sie fühlen sich wie betäubt, können den Missbrauch nicht glauben und zunächst weder denken noch handeln. Der Täter hat nicht nur das Vertrauen des Kindes, sondern auch ihr Vertrauen missbraucht. Für viele bricht „eine Welt zusammen“. Für einige Mütter ist die Situation etwas leichter: Sie haben sich bereits zuvor aus anderen Gründen innerlich vom Partner gelöst. In einer zweiten Phase versuchen Frauen meist, sich über den Verstand zu wehren, und zweifeln die Realität an. Alles erscheint ihnen wie ein böser Traum, sie stellen die Aussagen des Kindes in Frage, suchen nach Beweisen, warum das alles nicht wahr sein kann, und sind oftmals auf alles und jeden wütend (Kind, Täter, sich selbst, die Informanten). Doch je mehr Details über den Missbrauch bekannt werden, desto mehr sehen sie das Verhalten des Täters in einem anderen Zusammenhang. Betroffene Mütter werden meist von Gefühlen überflutet: Sie machen sich Vorwürfe, fühlen sich durch den Täter verletzt und betrogen und leiden darunter, dass das Kind sich ihnen nicht anvertraut hat. Dazu aus einer anderen Fallgeschichte: „Denn ich hatte versagt, auf der ganzen Linie versagt. Das Gefühl, sie hat kein Vertrauen zu mir, war für mich das Schlimmste überhaupt“ (Brigitte, 35 J.). Viele Mütter schämen sich dafür, dass sie eifersüchtig auf die scheinbar liebevolle Beziehung vom Partner zum Kind waren, und fühlen sich beschmutzt, dass sie mit einem Missbraucher eine sexuelle Beziehung hatten. „Vor dem Täter ekelte ich mich, konnte mich selbst auch eine ganze Zeit lang nicht mehr im Spiegel betrachten oder nackt sehen. Wie bei einem Thermometer stiegen die Gefühle in mir hoch: ‚Du hast neben dem gelegen und mit dem geschlafen – da ist schon alles gelaufen.’ Dieser Gedanke berührte mich wahnsinnig. Ich fühlte mich, als ob mir alle Haare hochstehen, wie bei einem Igel. Ich fühlte mich nicht nur schlecht, mir wurde schlecht. Damals machte ich einen richtigen Badebetrieb auf und habe ewig gebadet, immer das Gefühl: schrubben und nochmals schrubben. All den Ekel und all die Kränkung einfach wegspülen, sozusagen eine Komplettreinigung“ (Brigitte, 35 J.). 30 Mütter werden nicht nur mit Gefühlen des Schmerzes, der Trauer, der Wut, der Ohnmacht, der Verzweiflung, der Schuld, des Versagens, der Einsamkeit und des Verlustes konfrontiert, sie sind auch stark verunsichert. Sie leiden unter der tiefen Enttäuschung, zweifeln an ihrer eigenen Wahrnehmungsfähigkeit und können nicht verstehen, warum sie sich in dem Partner getäuscht haben und ihm oftmals immer noch auch positive Gefühle entgegenbringen. Viele Frauen sind hin- und hergerissen zwischen Hass- und Ekelgefühlen, Mitleid mit dem Partner und Angst vor dem Zusammenbruch der Familie. Auch Frauen, die selbst keinen sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit erfahren haben, können meist nachempfinden, wie die Tochter/der Sohn sich fühlt. Viele können sich z.B. an unangenehme sexuelle Kontakte bzw. Demütigungen in dieser oder einer früheren Partnerschaft erinnern. Doch auch unabhängig davon, ob sie selbst Opfer von Gewalt waren oder nicht, bedeutet die sexuelle Ausbeutung des Kindes durch den Partner für Mütter in der Regel eine tiefe existenzielle Krise. Viele Frauen sind in den ersten Monaten nach der Aufdeckung des Verbrechens selbstmordgefährdet. Allein die Sorge um das Kind lenkt von dem eigenen Schmerz ab und lässt sie funktionieren. Doch gerade in dieser extremen Belastungssituation erwarten Verwandte, Bekannte und professionelle Helferinnen/Helfer von Müttern schnelle und weit reichende Entscheidungen: Mütter sollen das Mädchen/den Jungen schützen, die Familie erhalten, sich vom Partner trennen, dem Kind bei der Bewältigung helfen, ihr Leben in die Hand nehmen, rechtliche Auseinandersetzungen führen, sie sollen …, sie sollen …! Einige Mütter stecken in dieser Situation den Kopf in den Sand und leugnen die Realität oder bagatellisieren aus ihrer Überforderung heraus den „Vorfall“. Andere stehen zu ihren Töchtern und Söhnen und schützen ihr Kind. Nicht selten sehen diese sich plötzlich mit heftigen Gegenreaktionen konfrontiert: Bedrohungen, finanzielle Erpressungen, Beschimpfungen und ein erbitterter Kampf um Sorgerecht und Besuchskontakte. Weder der Frau noch dem Kind hilft es, wenn sie in einer Zeit des emotionalen Aufruhrs zu Entscheidungen gedrängt wird, zu denen sie später eventuell nicht mehr stehen kann. Mütter brauchen in dieser Krisensituation Beraterinnen, die ihnen mit viel Geduld und Verständnis begegnen, sie nicht überfordern, ihnen zunächst „handfest“ bei der konkreten Alltagsbewältigung zur Seite stehen. Eine therapeutische Aufarbeitung der emotionalen Konflikte können Mütter in dieser Situation ebenso wenig leisten wie eine intensive Auseinandersetzung mit eigenen Gewalterfahrungen in der Kindheit oder als erwachsene Frau. Im Vordergrund steht zunächst einmal die Unterbringung von Mutter und Kind, die 31 5. Die Narben der Gewalt Folgen sexuellen Missbrauchs Sicherung des Lebensunterhalts, ein Erholungsurlaub, der Aufbau einer aktiven Freizeitgestaltung und die Pflege der Kontakte zu Verwandten und Freunden, die sich auf die Seite von Mutter und Opfer stellen. Auch braucht die Frau Rückendeckung, um sich vor Vorwürfen von Dritten zu schützen und sich innerlich von diesen distanzieren zu können – besonders dann, wenn die Anschuldigungen von sehr nahen und geliebten Menschen erhoben werden. Viele Mütter nehmen – nachdem sie den ersten Schock überwunden haben – ihr neues Leben beherzt in die Hand. Mit Unterstützung von Menschen, die zuhören, mitfühlen, sie entlasten und ihnen immer wieder Mut machen, gewinnen Frauen oft mehr Autonomie und Selbstvertrauen, als sie jemals zuvor hatten. Sexuellen Missbrauch und das Miterleben der sexuellen Ausbeutung anderer Mädchen, Jungen oder Erwachsener erleben die meisten Opfer als ein extremes, überflutendes Ereignis, dem sie nicht ausweichen können. Es ist mit Gefühlen der Angst, Erregung, Hilflosigkeit und eventuell auch mit starken körperlichen Schmerzen verbunden. Durch die Reizüberflutung erleben viele Opfer einen Zusammenbruch jeder Abwehrmöglichkeit. Vor allem sehr jungen Opfern sexueller Ausbeutung ist es kaum möglich, das Geschehen zu begreifen. Ihnen fehlt z.B. die Sprache, um die Gewalterfahrungen zu benennen. Menschen können sich nicht an alles, was sie erlebt haben, bewusst erinnern. Beispielsweise wissen viele Menschen, dass sie einen Unfall hatten. Sie haben jedoch einen „Filmriss“ und wichtige Details des Unfallgeschehens verdrängt. Einige erinnern sich noch nicht einmal mehr daran, dass dieses für sie sehr dramatische und folgenträchtige Ereignis überhaupt stattgefunden hat. Sexueller Missbrauch wird von Mädchen und Jungen wie ein – sich ständig wiederholender – Unfall erlebt. Einem Kind fällt z.B. nur noch ein, dass es mehrfach mit dem Täter/der Täterin gespielt hat. Doch was sonst passiert ist, hat das Kind vergessen. Nicht wenige Opfer sind dementsprechend „felsenfest davon überzeugt“, ein Missbrauch habe nie stattgefunden, oder sie glauben, sie hätten das alles nicht selbst erlebt, sondern nur im Film gesehen oder geträumt. Fast die Hälfte der Opfer kann sich gar nicht mehr oder nur noch bruchstückhaft an einzelne – nebensächliche – Details der sexuellen Ausbeutung erinnern. Auch wenn sich viele Opfer an die sexuelle Ausbeutung nicht bewusst erinnern können, ist das Erlebnis nicht endgültig gelöscht. Dies führt oftmals dazu, dass Situationen, die in irgendeiner Weise an den sexuellen Missbrauch erinnern, so erlebt werden, als seien sie eine Wiederholung des Missbrauchs. Opfer fühlen sich manchmal selbst in schützender Umgebung in Gefahr, denn überall können sie auf etwas stoßen, was an das Trauma erinnert. Viele Mädchen und Jungen können sich z.B. nicht erklären, warum ihnen bei einem bestimmten Geräusch immer schlecht wird oder sie vor Männern mit einer bestimmten Haarfarbe Angst bekommen. Oft tauchen die bewussten Erinnerungen an einzelne Szenen der Gewalterfahrung oder die in der Situation erlebten Gefühle erst Wochen, Monate, Jahre, Jahrzehnte später wieder auf. Manchmal bleibt die Erinnerung für immer verschüttet. 32 33 Folgen sexuellen Missbrauchs Viele Opfer sexuellen Missbrauchs leiden unter den Folgen der sexuellen Gewalterfahrungen. Erinnerungen daran und die seinerzeit verdrängten Gefühle überfluten das Opfer unkontrollierbar in Form von „Erinnerungsblitzen/-filmen“ und Albträumen. Das Geschehen läuft nochmals, immer und immer wieder wie ein Film vor ihrem inneren Auge ab. Oftmals erleben betroffene Kinder erneut die alte Angst. „Es“ verschlägt ihnen die Sprache. Sie sehen nicht nur die Bilder der Gewalterfahrung vor Augen, sie hören, was sie damals hörten, riechen, was sie damals rochen, schmecken, was sie damals schmeckten. Der Körper fühlt sich an, als ob er den Missbrauch nochmals erlebt. Viele Kinder ekeln sich, krümmen sich vor Schmerzen, können sich nicht mehr bewegen ... Sexuell ausgebeutete Mädchen und Jungen leiden meist unter starken Stimmungsschwankungen. Sie werden häufig in ganz alltäglichen Situationen, von einem Moment auf den anderen, von Gefühlen „überflutet“. Plötzlich sind sie ohne ersichtlichen Anlass ängstlich, traurig, wütend oder sie schämen sich. Wenn sie von Erinnerungen überschwemmt werden, verhalten sich viele betroffene Mädchen und Jungen nicht ihrem Alter entsprechend: Von einem Augenblick zum anderen sprechen sie z. B. plötzlich in Babysprache, wirken wie ein Kleinkind, dann wieder wie ein ganz normales Grundschulkind oder sogar für ihr Alter zu erwachsen. Betroffene Mädchen und Jungen verstehen sich selbst nicht mehr, wissen nicht, weshalb sie plötzlich – manchmal erst Monate oder Jahre später – so reagieren, so handeln oder fühlen, als kehre das Ereignis wieder. Es kann z.B. eine extreme seelische Qual bedeuten, wenn Kinder zufällig mit Ereignissen oder Gegenständen konfrontiert werden, die sie an die traumatischen Erlebnisse erinnern (z.B. ein Name, eine Farbe, ein Gegenstand, das Aussehen einer Person, ein Datum). Vergangenheit und Gegenwart verschmelzen. Betroffene können nicht mehr zwischen gestern, heute und morgen unterscheiden. Etwa 40 % der sexuell missbrauchten Kinder zeigen zunächst in ihrem Verhalten keine Auf fälligkeiten. Andere Mädchen und Jungen bringen über Verhaltensänderungen ihre Gewalterfahrungen zum Ausdruck. Kinder im Vorschulalter spielen oftmals die erlebte sexuelle Gewalt nach. Einige Mädchen und Jungen vermeiden Aktivitäten oder Situationen, die Erinnerungen an die sexuellen Gewalterfahrungen hervorrufen – sie geben z.B. ohne erkennbaren Grund ihr Hobby auf oder scheuen den Kontakt mit Personen, die dem Täter (der Täterin) ähnlich sehen. Viele betroffene Kinder und Jugendliche verhalten sich in alltäglichen Situationen plötzlich wie unbeteiligt oder als ob sie gar nicht anwesend seien. Oftmals leiden sie unter Schlafproblemen, Konzentrationsstörungen, Übererregung, chronischer 34 Erschöpfung, extremer Müdigkeit, übertriebener Wachsamkeit, Schreckreaktionen, Reizbarkeit, Weinkrämpfen und Wutausbrüchen, deren Heftigkeit nicht im Verhältnis zu der vermeintlichen Geringfügigkeit der Anlässe steht. Viele Mädchen und Jungen, die sexuell ausgebeutet wurden, reinszenieren Situationen, in denen sie gefährdet sind, sexuell missbraucht zu werden. Sie zeigen z.B. gegenüber Dritten das im Kontakt mit dem Täter (der Täterin) gelernte sexualisierte Verhalten. Aus einer weiteren Fallgeschichte: „Anne geht es heute wieder recht gut ... Manchmal zeigt sie allerdings noch ein recht auffälliges Sexualverhalten gegenüber Männern mit schwarzen Haaren. Der Täter war auch ein dunkler Typ. Meine Tochter geht auf fremde dunkelhaarige Männer zu und verhält sich recht kokett. Sie springt denen sofort auf den Schoß, schmeichelt sich so an, was sonst überhaupt nicht ihre Art ist. ... Anscheinend lebt sie in diesem Moment etwas aus, denn sie ist dann wie weggetreten und nicht ansprechbar, reagiert kaum. Erst wenn ich sehr massiv auf sie einrede, habe ich in diesen Situationen den Eindruck, zu ihr durchzukommen, sie zu erreichen. ... Für mich sind solche Situationen sehr schwierig. Auf der einen Seite möchte ich, dass sie unbeschwert auf Männer zugeht, und dann zeigt sie ein solches Verhalten, und ich muss sie von Männern wegholen“ (Christiane, 31 J.). Heilung ist möglich. Nicht alle Kinder, die sexuell missbraucht wurden, leiden unter lebenslangen Folgen. Wird einem Kind geglaubt, wird es geschützt und bekommt das Mädchen/der Junge Hilfe bei der Bewältigung der Gewalterfahrungen, so besteht eine große Chance, dass sie/er die Gewalterfahrung verarbeitet. Kinder, die vor dem traumatischen Erlebnis psychisch stabil waren, sind eher in der Lage, die schädigenden Auswirkungen der Gewalterfahrungen zu bewältigen. Es verbessert die Heilungschancen auch, wenn nicht nur Mütter, sondern ebenso Väter den Aufarbeitungsprozess der kindlichen Gewalterfahrungen aktiv unterstützen (z.B. am therapeutischen Prozess beteiligt sind). Auf keinen Fall darf die Fürsorge für das sexuell ausgebeutete Kind aufgrund einer geschlechtsspezifischen Rollenverteilung zur „reinen Frauensache“ erklärt werden. Alle beschriebenen Auffälligkeiten können ein Hinweis auf sexuellen Missbrauch sein, sie können jedoch auch andere Ursachen haben. Ängste, aggressives Verhalten, Sprachstörungen und andere Auffälligkeiten können ebenso auf andere seelische Verletzungen und Belastungen eines Mädchens/Jungen hinweisen – z.B. auf Konflikte in der Familie, im Kindergarten, in 35 Folgen sexuellen Missbrauchs der Schule, im Freundeskreis. Verhaltensauffälligkeiten sind immer ein Hilferuf eines Kindes! Im Einzelfall gilt es, mit fachlicher Unterstützung von außen vorsichtig abzuklären, ob ein Kind sexuell missbraucht wird oder unter anderen Belastungen leidet. Die Situation der Geschwister bei sexueller Gewalt innerhalb der Familie Sexuelle Gewalt durch Familienangehörige hat immer mehrere Opfer, denn auch die Geschwister werden in Mitleidenschaft gezogen. Ganz gleich, ob sie um die sexuelle Ausbeutung wissen oder diese ihnen verborgen bleibt – auch sie sind Betroffene. Das „gemeinsame Geheimnis“ von Opfer und Täter (Täterin) belastet die Beziehung zwischen den Geschwistern: Die Schwestern und Brüder erleben, wie sich das Verhalten des Opfers „aus unerklärlichen Gründen“ ändert, sie spüren die Sexualisierung der Beziehungen innerhalb der Familie und ahnen, dass etwas vor ihnen geheim gehalten wird. Oft reagieren sie z.B. mit Eifersucht, wenn das betroffene Mädchen/der Junge zum „Lieblingskind“ ernannt und mit Geschenken und Aufmerksamkeit überhäuft wird. Verunsicherung und Aggressionen belasten in erheblichem Maße das Vertrauensverhältnis unter den Geschwistern. Viele Geschwisterkinder fühlen sich in besonderem Maße schuldig, weil sie die Schwester oder den Bruder nicht beschützen können und selber von der sexuellen Ausbeutung „verschont“ bleiben. Andere distanzieren sich aus Angst vor dem Täter (der Täterin) vom Opfer und identifizieren sich mit dem Aggressor, übernehmen dessen Sichtweise und schreiben der Schwester/dem Bruder die Schuld für das Verbrechen zu. Bisher wird in der Fachliteratur wie auch in der Praxis die Situation der Geschwister fast gänzlich vergessen. Kaum Beachtung fand bisher zudem die Tatsache, dass das Miterleben von sexueller Gewalt in der Familie für Schwestern und Brüder gleichermaßen eine Traumatisierung sein kann wie für das Opfer selbst. Häufig spüren Frauen und Männer bei der Konfrontation mit der Problematik der sexuellen Ausbeutung von Kindern eine starke Betroffenheit, können sich jedoch an nichts „Konkretes“ erinnern. Nicht selten fällt ihnen nach einer intensiven Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen wieder ein, dass sie als Kind Zeugin (Zeuge) der Vergewaltigung der Schwester oder der Mutter wurden oder nachts mit im Ehebett schlafen mussten, um die Mutter vor der sexuellen Gewalt des Vaters zu schützen – sie erlebten eine Atmosphäre sexueller Gewalt. 36 Geschlechtsspezifische Hilfen für betroffene Mädchen und Jungen Mädchen und Jungen brauchen jeweils geschlechtsspezifische Hilfen. Doch sollte keinesfalls dogmatisch darauf bestanden werden, dass nur Therapeutinnen mit weiblichen Opfern arbeiten. Viele Mädchen vertrauen sich zunächst Männern an. Nur Männer scheinen ihnen stark genug, um die sexuelle Gewalt zu stoppen. Auch bevorzugen einige Mädchen den Kontakt zu männlichen Beratern, wenn sie von einer Frau missbraucht wurden. Die Vorstellung, mit einer Frau allein im Raum zu sein, kann für sie extrem bedrohlich sein. So wichtig es für betroffene Mädchen ist, dass ihre männlichen Bezugspersonen (z.B. Sozialarbeiter, Therapeuten, Lehrer) für sie Partei ergreifen und die Handlungen des Missbrauchers (der Missbraucherin) verurteilen, ebenso wichtig ist es auch, dass sie im Kontakt mit Therapeutinnen/Beraterinnen einen Raum für die Entwicklung eines neuen Selbstbildes als Frau bekommen. Sie brauchen Beraterinnen, die ihnen vorleben und vermitteln, dass auch Frauen stark sind, selbstbestimmt ihre eigenen Interessen vertreten und sie schützen können. Von sexueller Gewalt betroffene Jungen brauchen Männer, die ihnen beim Aufbau eines neuen Selbstbildes helfen, die ihnen vorleben, dass auch Männer Gefühle zeigen, schwach sein und Hilfe annehmen dürfen. Da auch Jungen meistens von männlichen Tätern missbraucht werden, fühlen sich viele Jungen – vor allem im Vor- und Grundschulalter – sicherer, wenn ihnen zunächst ein Beratungsangebot von einer Frau gemacht wird. Männlichen Opfern sollte deshalb die Wahlmöglichkeit zwischen einem Therapeuten und einer Therapeutin angeboten werden. Bei pädagogischen Fachkräften besteht oft die Tendenz, nur auf aggressives Verhalten betroffener Jungen zu reagieren. Sie sollten darauf achten, die stillen und eher depressiven männlichen Opfer nicht zu übersehen. Die Arbeit mit sexuell missbrauchten Jungen setzt die Bereitschaft voraus, neben der notwendigen Grenzsetzung gegenüber aggressiven und sexistischen Verhaltensweisen die Einfühlung in die innere Not der Jungen nicht zu vergessen. Heute noch werden viele Jungen, die Opfer waren, automatisch als potenzielle Täter betrachtet – nach dem Motto: Da ein Teil der Täter als Junge missbraucht wurde, müssen wir darauf achten, dass dieser Junge nicht auch zum Täter wird. Nicht nur, dass eine solche Sichtweise dem Mythos einer zwangsläufigen Opfer-Täter-Entwicklung Vorschub leistet, das Leid der betroffenen Jungen wird damit ignoriert. 37 6. Auch Eltern brauchen Unterstützung Muttersprachliche Hilfen anbieten Nicht wenige Mädchen und Jungen mit Gewalterfahrungen wachsen zweisprachig auf. Solange sie ihre traumatischen Erlebnisse in ihrer zweiten Sprache verbalisieren, bleibt für sie eine größere Distanz zu dem emotionalen Erleben bestehen, als wenn sie ihre Gefühle in ihrer Muttersprache zum Ausdruck bringen. Selbst wenn Kinder und Jugendliche gut Deutsch sprechen, erleben sie Erinnerungen an Gewalterfahrungen oftmals in der Muttersprache. Rutschen sie in den Zustand unverarbeiteter Gefühle und Erinnerungen, so sind sie über eine Ansprache in deutscher Sprache kaum erreichbar. Sie wirken z.B. auf Lehrerinnen und Lehrer wie geistig abwesend und sind im Unterricht nicht ansprechbar. Damit betroffene Mädchen und Jungen nicht erneut von Gefühlen der Angst und Ohnmacht überflutet werden, ist es sinnvoll, in einigen Phasen der Verarbeitung die Distanz über die deutsche Sprache zu halten. In anderen Phasen ist eine muttersprachliche Begleitung notwendig, um die Gewalterfahrungen dauerhaft bewältigen zu können. Ebenso hilfreich ist es für Mädchen und Jungen, wenn die Präventionsarbeit in Kindergarten und Schule durch muttersprachliche Fachkräfte unterstützt wird – sei es im Sexualkundeunterricht oder in der Elternarbeit. Einige Broschüren und Materialien liegen in mehreren Sprachen vor. 38 Die Aufdeckung der sexuellen Ausbeutung der Tochter/des Sohnes durch Dritte bedeutet sowohl für Mütter als auch Väter immer eine extreme emotionale Erschütterung. Der Täter (die Täterin) hat nicht nur dem Kind Schaden zugefügt, sondern auch die Hoffnung der Eltern zerstört, ihrem Kind eine rundum glückliche Kindheit zu ermöglichen. Die Konfrontation mit dem Leid ihrer Töchter und Söhne erschüttert das Grundvertrauen vieler Eltern. Es ist für sie unfassbar, dass dieser Mensch, den sie womöglich sympathisch fanden und in dessen Obhut sie ihr Kind gaben, in der Lage war, ihre Tochter/ihren Sohn so tief zu verletzen. Viele Eltern versuchen, sich die am Kind verübten Missbrauchshandlungen vorzustellen. Diese Fantasien, das Verständnis für die Tochter/den Sohn und das Miterleben der durch den Missbrauch bedingten Folgeproblematik des Opfers führen dazu, dass auch Mütter und Väter die Gefühle des Kindes durchleben und „übernehmen“. Sie sind z.B. traurig, unruhig, gereizt, wütend oder leiden unter starken Stimmungsschwankungen. Ganz gleich, wem ein Mädchen/Junge die sexuelle Ausbeutung anvertraut hat, fast alle Mütter und Väter berichten, dass sie „immer mal wieder“ die Realität anzweifeln, selbst wenn der Missbrauch zweifelsfrei bewiesen wurde. Sie haben den intensiven Wunsch, die schlimmen Erfahrungen einfach zu vergessen, nicht mehr daran erinnert zu werden. Während einige Mütter und Väter diesem Impuls nachgeben und „die Sache als erledigt erklären“, verfallen andere ins andere Extrem und versuchen, ihre eigene Fassungslosigkeit durch eine ständige Überprüfung der Details zu überwinden: Sie stellen ihrem Kind immer wieder die gleichen Fragen, obgleich sie die Antworten darauf schon längst kennen. Das „ständige“ Gespräch über das Verbrechen trägt dazu bei, dass sich weder Kinder noch Eltern erholen können. Viele Mütter und Väter können nicht mehr entspannen, entwickeln Ängste, Schlafstörungen und andere psychosomatische Beschwerden. Nicht wenige Eltern erleben den Missbrauch der Tochter/des Sohnes mit einer solchen Intensität, als ob ihnen selbst sexuelle Gewalt zugefügt worden wäre. In dieser Krisensituation werden oftmals Konflikte in der Paarbeziehung und/oder im Verwandten-, Freundes- und Bekanntenkreis der Eltern deutlich. Kommt der Täter (die Täterin) aus dem sozialen Umfeld, so zeichnen sich oftmals Spaltungstendenzen ab – zwischen denen, die den Missbrauch glauben, und denen, die dem Mädchen/Jungen und den Eltern Verleumdung oder Hysterie unterstellen. Auch werden vielfach (bisher verdrängte) Gewalterfahrungen der Erwachsenen wieder lebendig: psychische und körperliche Misshandlungen, sexuelle Gewalterfahrungen, Miterleben von (sexueller) Gewalt gegen Geschwister, Freunde, die Mutter. Nicht wenige Eltern – vor allem Väter – reagieren in ihrer 39 Eltern brauchen Unterstützung Hilflosigkeit mit Wut auf das betroffene Kind: Ohne dass es ihnen selbst bewusst ist, machen sie dem Jungen/Mädchen zum Vorwurf, dass sie mit dem eigenen – verdrängten – Leid konfrontiert werden. Nicht selten erklären sie schon einige Wochen nach Aufdeckung der sexuellen Ausbeutung des Kindes: „Jetzt muss es endlich mal gut sein!“ Sie hoffen damit die eigenen Ohnmachtgefühle wieder wegschieben zu können. Die aus den Missbrauchserfahrungen des Kindes resultierenden Folgen für die psychische Situation der Eltern werden noch einmal durch die mitunter sehr großen alltagspraktischen Belastungen verstärkt, die die Eltern zu bewältigen haben. Neben der Organisation zahlreicher Termine bei einer Beratungsstelle, dem Jugendamt, der Polizei, einer Rechtsanwältin, dem Weißen Ring (einer Organisation, die Opfer von Verbrechen unterstützt) müssen ggf. Gespräche mit Kindergarten und Schule geführt werden. Auch brauchen insbesondere sehr junge Opfer nach der Aufdeckung des sexuellen Missbrauchs eine intensive Begleitung, um Schritt für Schritt wieder an Sicherheit zu gewinnen. Oft dreht sich der gesamte Familienalltag über einen längeren Zeitraum um die Bewältigung des sexuellen Missbrauchs. fältigen Freizeitangebot zu garantieren. Erst einige Zeit später werden die Mütter und Väter die Kraft und Ruhe finden, im Rahmen regelmäßiger wöchentlicher Beratungskontakte mit einer Aufarbeitung der auch für sie traumatischen Erfahrungen zu beginnen. Zu Beginn einer therapeutischen Behandlung zeigen betroffene Mädchen und Jungen oftmals eine verstärkte Folgeproblematik, denn das Kind hat nun den Raum, verdrängte schmerzhafte Gefühle zuzulassen, um sie verarbeiten zu können. Für Mütter und Väter ist diese Phase häufig extrem belastend. Sie brauchen intensive Beratung, damit sie ihrem Kind bei der Bewältigung der Gewalterfahrungen unterstützen und den therapeutischen Prozess ihrer Tochter/ihres Sohnes mittragen können. Was Eltern brauchen Nach der Aufdeckung der sexuellen Ausbeutung eines Mädchens/Jungen brauchen die Eltern eine intensive Beratung. Für viele Eltern ist es hilfreich, wenn eine Beraterin/ein Berater mit ihnen gemeinsam in einem zeitlich nicht von vorneherein begrenzten Gespräch zunächst einmal alle Fragen sortiert und die ersten notwendigen Schritte plant. Oftmals können in einem zwei- bis dreistündigen Gespräch die ersten aktuellen Fragen geklärt werden. Mütter und Väter empfinden es als Entlastung, wenn ihnen „wirklich zugehört wird“ und sie nicht auf einen zweiten Termin in der nächsten Woche vertröstet werden. Auch erleben viele Eltern in den ersten Wochen nach der Aufdeckung zusätzliche Telefonkontakte als sehr hilfreich. Eltern sexuell missbrauchter Kinder fühlen sich meist sehr beschämt und allein. Auch Mütter und Väter, die ansonsten sehr kompetent ihren Alltag bewältigen, nehmen das Angebot der Beraterin/des Beraters meist dankbar an, für sie Kontakte vorzubereiten und sie bei einzelnen Terminen zu begleiten (z.B. mit dem Jugendamt, der Polizei, dem Weißen Ring, der Lehrerin). Sinnvoll ist zudem häufig das Angebot familienunterstützender Hilfen durch das Jugendamt (z.B. eine Einzelfallhilfe für das Mädchen/den Jungen). Ein wichtiges Ziel ist es, sobald wie möglich wieder einen „normalen“ Alltag der einzelnen Familienmitglieder mit einem viel 40 41 7. Wenn Väter von der sexuellen Ausbeutung der Tochter/ des Sohnes erfahren Väter können die sexuelle Ausbeutung der Tochter/des Sohnes durch Menschen aus dem sozialen Nahbereich oftmals noch weniger glauben und als Realität akzeptieren als Mütter. Die Zweifel schützen sie u.a. vor dem Gefühl, „auf der ganzen Linie als Vater versagt zu haben“, denn entsprechend ihrer Einschätzung haben sie ihre von der Gesellschaft zugeschriebene oberste Vaterpflicht nicht erfüllt, ihr Kind vor Gewalt zu schützen. Sie machen sich Vorwürfe, nicht genug aufgepasst zu haben, nicht im rechten Augenblick da gewesen zu sein, und sorgen sich um die Zukunft ihres verletzten Kindes. Kommt die Realität langsam bei ihnen an, so entwickeln viele Väter eine große Wut auf den Täter (die Täterin). Manche Väter drohen, den Täter (die Täterin) umzubringen. Leider äußern sie diese Wut oft auch im Beisein der Opfer. Kinder nehmen solche Ankündigungen meist sehr ernst: Sie versetzen Mädchen und Jungen erneut in Angst und Schrecken, denn Kinder können weder die Vorstellung ertragen, dass dem Täter (der Täterin) etwas zustößt, noch dass der eigene Vater zum Mörder wird. In den ersten Wochen nach der Aufdeckung der sexuellen Ausbeutung übernehmen Väter meist das „Management der äußeren Situation“, während viele Mütter sich intensiv um die Kinder kümmern und sich die Zeit nehmen, mit ihren Freundinnen über ihren Schmerz zu sprechen. So ist es bei sexuellem Missbrauch von Kindern durch Mitarbeiter (Mitarbeiterinnen) aus Institutionen typisch, dass sich die Väter vor allem in Gesprächen mit Fachaufsichtsbehörden engagieren und Aufgaben übernehmen, die die Neuorganisation der Einrichtung betreffen. Auf ihre persönliche Befindlichkeit angesprochen, nennen sie in der Regel weniger ihre eigene Erschütterung als die Sorge um das Kind und ihre Frau, „die das alles sehr mitnimmt“ und die Unterstützung brauche. 42 Hier spiegelt sich die typische geschlechtsspezifische Rollenverteilung wider. Die Frau ist für das Emotionale und das Innere zuständig, der Mann vertritt die Familie nach außen. Beides ist in der Krise eines sexuellen Missbrauchs insofern zuerst einmal nützlich, als dass es Vätern und Müttern Sicherheit vermittelt. In der Beratung von Vätern ist dennoch darauf zu achten, dass auch ihre Ängste und Zweifel von Beginn an angesprochen werden. Zumal nach einigen Wochen nicht selten diese Rollen wechseln: Die Mütter haben wieder an Boden unter den Füßen gewonnen, die Väter lassen den eigenen Schmerz eher zu – vor allem die hinter ihrer Wut liegende Trauer. Nicht wenige nehmen nun wahr, dass die sexuelle Ausbeutung der Tochter/des Sohnes auch sie zutiefst erschüttert hat: Sie können kaum noch schlafen, liegen nachts weinend im Bett, haben den Missbrauch bildlich vor Augen. Insbesondere wenn der Sohn missbraucht wurde, erleben viele Väter die Leiden des Kindes, als ob sie „es“ selbst am eigenen Leib erfahren hätten. Oftmals erinnern sie sich an eigene Gewalterfahrungen, über die sie noch nie gesprochen haben – z. B. an sexuelle Gewalterfahrungen durch Jugendliche oder während ihrer Ausbildungszeit. Obgleich inzwischen fachlicher Konsens darüber besteht, dass zwei Drittel aller Fälle sexueller Ausbeutung von Mädchen und Jungen außerhalb der Familie stattfindet und der Anteil der Väter unter den Tätern weitaus niedriger ist, als noch in den 90er Jahren vermutet wurde, wird bis heute in der Fachdiskussion die Wichtigkeit der Väter bei der Unterstützung des Heilungsprozesses der Opfer sexueller Gewalt grob vernachlässigt. Erfahrungen belegen, dass auch Väter Beratungsangebote annehmen und oftmals eine große Bereitschaft haben, ihre Kinder aktiv zu unterstützen, wenn sie persönlich eingeladen und ihnen Beratungstermine angeboten werden, die außerhalb ihrer Arbeitszeiten liegen. 43 8. Strafanzeige: ja oder nein? Erfahren Mütter, Väter, Verwandte oder auch Fachkräfte von der sexuellen Ausbeutung eines Mädchens/Jungen, so fragen sie sich häufig, ob sie eine Strafanzeige erstatten wollen. Meist fällt es ihnen schwer, eine Entscheidung zu treffen. Auf der einen Seite möchten sie dem Opfer keine zusätzlichen Belastungen im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen aufbürden, andererseits wissen sie, dass ohne Strafanzeige keine Verurteilung und somit auch keine Bestrafung des Täters (der Täterin) erfolgen kann. Der Erfolg der polizeilichen Ermittlungsarbeit und die Möglichkeit einer späteren Verurteilung des Täters (der Täterin) hängen entscheidend von der Aussage des Opfers ab. Häufig ist diese Aussage der einzige Beweis. Gibt es keine anderen Beweise wie z. B. Bilddokumente, körperliche Spuren oder keine weiteren Zeuginnen/Zeugen, die die Tat selbst gesehen haben, so ist eine Verurteilung des/der Beschuldigten ohne Aussage des betroffenen Mädchen oder Jungen nicht möglich. Verweigert das Kind die Aussage oder ist es nicht bereit, genaue Angaben zu den Missbrauchshandlungen zu machen, so ist der Erfolg eines Strafverfahrens gefährdet. Häufig stellt in diesen Fällen die Staatsanwalt das Verfahren aus Mangel an Beweisen ein. Äußert ein Mädchen/Junge gegenüber den Eltern oder anderen Bezugspersonen, dass sie/er keine Aussage machen möchte, so sollte ihr/ihm vor Erstattung der Anzeige die Beratung durch eine Fachberatungsstelle und eine Anwältin angeboten werden. So kann das Mädchen/der Junge sich über die Belastungen im Strafverfahren informieren und abklären, und ob sie/er auf keinen Fall oder evtl. erst zu einem späteren Zeitpunkt eine Aussage machen möchte. Im Falle einer Strafanzeige sollten immer die rechtlichen Möglichkeiten des Opferschutzes genutzt werden und schon zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung eine Anwältin/ein Anwalt mit der Wahrnehmung der Interessen des Opfers im Rahmen der Nebenklage betraut werden. 44 Eine Anzeigepflicht bei Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern gibt es in Deutschland nicht. Doch jede Person, die Kenntnis von dem sexuellen Missbrauch eines Kindes hat und/oder selber betroffen ist, kann Anzeige erstatten. Die Anzeige kann schriftlich oder mündlich bei jeder Polizeidienststelle oder der Staatsanwaltschaft erfolgen. Es empfiehlt sich, die Anzeige nicht auf der nächsten Wache, sondern bei dem zuständigen Kommissariat des jeweiligen Polizeipräsidiums zu erstatten, denn hier arbeiten Beamtinnen und Beamte, die speziell für die Befragung von Kindern geschult wurden. Sobald die Polizei oder die Staatsanwaltschaft von einem sexuellen Missbrauch erfährt, ist sie verpflichtet, ein Strafverfahren einzuleiten. Die Strafverfolgungsbehörden müssen auch dann weiter ermitteln, wenn eine zuvor gemachte Anzeige später zurückgenommen wird. Es gibt keine Frist, innerhalb derer eine Strafanzeige erstattet werden muss (mit Ausnahme der Verjährungsfrist). Abgesehen von Fällen, in denen die Gefahr besteht, dass andernfalls Beweismittel verloren gehen, sollte man sich deshalb die Zeit nehmen, das Für und Wider einer Strafanzeige in Ruhe abzuwägen. Friesa Fastie: Ich weiß Bescheid! Ruhnmark 1997 Ein Rechtsratgeber, der gut verständlich die Arbeitsweisen der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der Gerichte vorstellt und die Möglichkeiten des Opferschutzes aufzeigt. 45 9. Kindliche und jugendliche Täter – Die Mehrzahl jugendlicher Täter fallen bereits als Kinder durch sexuelle Übergriffe gegenüber Gleichaltrigen und Jüngeren auf. – Schon kindliche und jugendliche Täter haben in der Regel mehrere Opfer. – Die häufigsten Formen der von kindlichen und jugendlichen Tätern verübten sexuellen Ausbeutung sind genitale Manipulationen, vaginale, anale und/oder orale Vergewaltigungen. Ebenso wird sexuelle Gewalt ohne Körperkontakt, z.B. in Form von Exhibitionismus und obszönen Anrufen, verübt. Je älter die Täter sind, umso häufiger vergewaltigen sie ihre Opfer – z.B. schwächere Klassenkameraden, Freundinnen, Bekannte. – Die Opfer sexuell übergriffiger Jungen sind überwiegend junge Kinder im Grundschulalter, nur bei einigen Delikten (z.B. Exhibitionismus, obszöne Telefonanrufe) sind häufiger Gleichaltrige und Erwachsene betroffen. – Etwa 75 % der Opfer junger männlicher Täter sind Mädchen, wobei allerdings unter den jüngeren Opfern im Vor- und Grundschulalter etwa 50 % Jungen sind. – Die meisten jungen Missbraucher kennen ihre Opfer, sind mit ihnen befreundet oder verwandt. Bei Vergewaltigung besteht eine Tendenz zu fremden Opfern (Deegener 1999). – Kindliche und jugendliche Täter sind in den bis heute bekannt gewordenen Fällen in der Regel männlich. Infolge eines steigenden Problembewusstseins werden auch zunehmend Fälle wahrgenommen, in denen Mädchen jüngeren/schwächeren Kindern und Jugendlichen sexualisierte Gewalt zufügen. Die Tatsache, dass ein Drittel aller Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Mädchen und Jungen von vorwiegend männlichen Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren verübt werden, ist sowohl durch Einflüsse der individuellen Lebensgeschichte und einer Sozialisation als „harter Mann“ als auch durch Reaktionsweisen der Umwelt bedingt. Forschungsergebnisse zeigen schädigende biografische Einflüsse auf, die das Risiko einer Entwicklung zum Täter erhöhen. – Viele der sexuell übergriffigen Kinder und jugendlichen Täter wurden emotional vernachlässigt und körperlich misshandelt, erlebten einen häufigen Wechsel ihrer Bezugspersonen und litten unter den Problemen ihrer Eltern (z.B. Streitigkeiten und Alkoholmissbrauch). – Mehr als 60 % der jungen Täter waren Zeuge von Gewalt innerhalb der Familie. Sie beobachteten z.B. körperliche und/oder sexuelle Gewalt gegen die Mutter oder Geschwister durch den Vater bzw. Partner der Mutter. 46 – Jugendliche Täter wurden oftmals zu jung und zu massiv mit Erwachsenensexualität konfrontiert oder sind/waren einer verzerrten, abweichenden oder traumatisierenden Sexualität ausgesetzt – z.B. Konsum von („harter“) Pornografie. – Viele junge und jugendliche Täter bewerten gewalttätiges Handeln als von ihnen erwartetes männliches Verhalten. Als Auslöser für ihr sexuell aggressives Verhalten geben sie vielfach Ärger, familiäre Probleme und Langeweile an. – Zwei Drittel der jugendlichen Täter sehen Sexualität als eine Möglichkeit, andere zu verletzen, zu erniedrigen, zu bestrafen, Ärger und Wut abzubauen und sich mächtig zu fühlen. Jungen orientieren sich in ihrer Vorstellung von Männlichkeit an dem gesellschaftlich vorherrschenden Leitbild des „erfolgreichen Mannes“, der mit Stärke, Distanziertheit und ohne fremde Hilfe „seinen Weg macht“. Doch die Realität vieler Jungen und Männer sieht anders aus. Gemessen am Leitbild des stets erfolgreichen Mannes stehen sie auf der Seite der Verlierer. Um diesen Widerspruch zu lösen bzw. zu kaschieren, greifen Jungen auf Verhaltensweisen zurück, die ihnen das traditionelle patriarchale Rollenbild anbietet. Viele von ihnen demonstrieren durch Gewalthandlungen/übergriffiges Verhalten eine vermeintliche Überlegenheit gegenüber Mädchen, schwächeren Jungen und Frauen. Durch besonders „cooles“ Gehabe und sexuelle Übergriffe versuchen beispielsweise Jungen schon im Vorschulalter, ihr mangels positiver männlicher Identifikationsfiguren brüchiges Selbstbewusstsein „wiederherzustellen“. Der Gebrauch von subtiler bis hin zu offener Gewalt erscheint ihnen unausweichlich. Nicht nur Mädchen und Frauen sind Ziel der verbalen und körperlichen Übergriffe: Auch vermeintlich „schwächere“ Jungen, die sich nicht rollenkonform verhalten, werden Opfer sexuell gefärbter Aggression. Wer sich bei solchen sexuellen Übergriffen hervortut, gilt unter Jungen oftmals als besonders „männlich“. Den Zusammenhalt der für Jungen typischen „Banden“ und Cliquen garantieren in der Regel starke Hierarchisierungen, deren Achtung im Zweifelsfall mit körperlicher oder sexueller Gewalt gesichert wird. Nicht selten fühlen sich die Jungen aufgrund der starken Ritualisierungen und Normierungen in den Cliquen einsam und unwohl und sind auch mit sexuell gewalttätigen Aufnahmeritualen, sexistischem Gerede und abschätzigem Verhalten gegenüber schwächeren Jungen, Mädchen und Frauen nicht immer einverstanden. Doch Jungen, die nicht mitmachen wollen oder sich ängstigen, werden als „unmännlich“ abgestempelt und geraten leicht in eine Außenseiterrolle. Die wenigsten Jungen trauen sich, offen gegen den von der Clique ausgeübten Sexismus bis hin zu massiven Übergriffen Stellung zu beziehen. 47 10. Missbrauch durch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus Institutionen Reaktionsweisen der Umwelt Die Strategien der Täter und Täterinnen Die Tatsache, dass ca. ein Drittel aller Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Mädchen und Jungen von kindlichen und jugendlichen Tätern (Täterinnen) verübt wird, wird im Alltag weder von Laien noch von professionellen Helferinnen und Helfern ausreichend beachtet. Vielfach werden sexuelle Grenzüberschreitungen und auch massive Formen sexualisierter Gewalt als „pubertäres Gehabe“, „Ausprobieren“ oder „kann doch nicht so schlimm sein“ bagatellisiert. Dabei werden die weit reichenden Folgen für die Opfer und die möglichen Folgen für die jungen Täter (Täterinnen) nicht anerkannt. Da eine Sanktionierung der sexuellen Übergriffe ausbleibt, verfestigen sich Haltungen und gewalttätige Umgangsweisen. Oftmals handelt es sich um Straftaten, auch wenn der Täter (die Täterin) aufgrund seines (ihres) geringen Alters noch nicht strafrechtlich verfolgt werden kann. Im Sinne einer weitergehenderen Täterprävention muss sexuell übergriffigen Jungen eine frühe therapeutische Hilfe angeboten werden. Das Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen fördert seit 2001 im Rahmen eines Modellprojekts Beratungsstellen, die erzieherische Hilfen für kindliche und jugendliche Täter und ihre Familien anbieten. Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet und ausgewertet. Mit Kindern in Kontakt kommen In den letzten Jahren wurde zunehmend deutlich, dass sich einige Täter (Täterinnen) bewusst für eine ehrenamtliche, haupt- oder nebenberufliche Tätigkeit im pädagogischen, medizinischen, seelsorgerischen oder therapeutischen Bereich entscheiden, um so leichter mit potenziellen Opfern in Kontakt zu kommen. Sie arbeiten z.B. als Taxifahrer im Behindertentransport, Seelsorger, Arzt, Erzieherin, Lehrer, Polizist, Tagesmutter, Kindertherapeut, Schulaufgabenhilfe, Trainer, Hausmeister einer Schule oder Koch in einer Kindertagesstätte. Zielgerichtet suchen sie Arbeitsplätze in Einrichtungen, in denen die Wahrscheinlichkeit relativ gering ist, dass ihre Missbrauchshandlungen bekannt werden. Dies ist z.B. bei Institutionen der Fall, die sich im besonderen Maße „um ihren guten Ruf sorgen“, in denen aufgrund autoritärer Leitungsstrukturen starke persönliche Abhängigkeiten bestehen oder unzureichend zwischen beruflichen und persönlichen Kontakten getrennt wird. Nicht selten wechseln Täter (Täterinnen) den Arbeitsplatz, wenn wenig Spielraum für persönliche Intrigen, den Aufbau persönlicher Abhängigkeiten und sexuelle Übergriffe besteht. Wahrnehmung der Umwelt vernebeln Je höher das Maß an Vertrauen und Autorität, desto leichter ist es für einen Erwachsenen, ein Kind zu missbrauchen. Mitarbeiter (Mitarbeiterinnen) pädagogischer und psychosozialer Arbeitsfelder gelten gemeinhin als gute Bürger und als Autoritäts- und Vertrauenspersonen, die im Sinne des Kindeswohls tätig sind. Einige Täter (Täterinnen) wiederum gelten als „arme Schluffen“, „Kindsköppe“ oder „Dauerjugendliche“, die von Erwachsenen „nicht ernst genommen werden“, aber angeblich „gut mit Kindern und Jugendlichen können“. Missbrauchende Mitarbeiter (Mitarbeiterinnen) aus Institutionen wägen die Risiken der Entdeckung der von ihnen geplanten sexuellen Ausbeutung von Mädchen und Jungen genau ab. Ihre Fähigkeit, Menschen täuschen zu können, nutzen sie bei sexueller Ausbeutung in Institutionen auch im Kontakt mit Kolleginnen, Kollegen, Müttern und Vätern. Gezielt vernebeln sie die Wahrnehmung der Umwelt. Sie bieten z.B. nichts ahnenden Eltern eine besondere Förderung ihrer Kinder an und räumen ihnen „Sonderrechte“ ein (z.B. das Angebot der Übernahme privater Babysitterdienste). In Gesprächen empören sie sich häufig über die sexuelle Ausbeutung von Mädchen und Jungen und stellen sich selbst als Kinderschützer dar. 48 49 Missbrauch in Institutionen Verhaltensauffälligkeiten, die Opfer als Folge der sexuellen Ausbeutung entwickeln, erklären sie mit angeblichen Problemen im Elternhaus der Kinder. Gegen kritische Kollegen, Kolleginnen, Mütter und Väter spinnen sie Intrigen. Gezielte Suche nach verletzlichen Kindern Nach einer ersten Kontaktaufnahme mit Mädchen und Jungen nutzen Täter (Täterinnen) erst einmal ihre berufliche Position, um die sozialen Kontakte ihrer potenziellen Opfer, deren Vorlieben, Abneigungen, Gewohnheiten, Wünsche und Ängste, familialen Belastungen, soziale Stellung innerhalb der Gruppe und/oder Familie und die Situation der Bezugspersonen zu erkunden. Ein erhöhtes Risiko, Opfer sexueller Ausbeutung zu werden, haben u.a.: – Mädchen und Jungen, die bereits zuvor sexuell ausgebeutet wurden und deren Widerstandskraft mangels Unterstützung bei der Bewältigung der Gewalterfahrungen besonders geschwächt ist, – Mädchen und Jungen, die unter einem Mangel an positiven erwachsenen Bezugspersonen leiden, – Mädchen und Jungen, die in Armut leben, – Mädchen und Jungen mit körperlichen Gewalterfahrungen, – Mädchen und Jungen, die vernachlässigt werden (auch sog. Wohlstandswaisen), – Mädchen und Jungen mit Behinderungen. Strategien im Kontakt mit den Opfern Nach der Kontaktaufnahme mit potenziellen Opfern praktizieren missbrauchende Mitarbeiter (Mitarbeiterinnen) aus Institutionen oftmals zunächst sexuelle Grenzüberschreitungen, um die Widerstandsfähigkeit einzelner Mädchen/Jungen zu prüfen. Schritt für Schritt betten sie die sexuellen Grenzüberschreitungen in alltägliche Arbeitsabläufe ein (z.B. Pflege, Hilfestellungen im Sport). Viele Kinder brechen nach den ersten sexuellen Übergriffen den Kontakt zum Täter (zur Täterin) ab, geben z.B. den Musikunterricht auf oder verzichten auf den sportlichen Erfolg. Missbrauchende Mitarbeiter (Mitarbeiterinnen) aus Institutionen wählen Tatorte und Zeitpunkte, an oder zu denen sie unbeobachtet ein Kind missbrauchen können. Oftmals unterlaufen sie Absprachen von festen Tagesabläufen und verändern in einzelnen Fällen 50 sogar örtliche Gegebenheiten (z.B. Umbau von Türschlössern). Auch schaffen sie Gelegenheiten, um mit den Kindern regelmäßig allein zu sein. Sie bieten z.B. Kolleginnen und Kollegen an, entgegen den Dienstvorschriften Dienste alleine zu übernehmen, oder laden die Mädchen und Jungen zu sich nach Hause ein. Im Rahmen ihrer Ausbildungen werden Pädagogen, Trainer, Therapeuten ... darin geschult, Kinder für die Durchführung bestimmter Tätigkeiten zu motivieren. Täter (Täterinnen) nutzen diese Kompetenz, um Schritt für Schritt die Wahrnehmung ihrer Opfer zu manipulieren und sie durch Abwertung oder Bevorzugung innerhalb der Kindergruppe zu isolieren. Ebenso säen sie oftmals Intrigen zwischen den Opfern und deren Eltern bzw. den anderen Bezugspersonen. Die Geheimhaltung des Missbrauchs versuchen sie häufig durch Androhung von Gewalt (gegen die Opfer, deren Eltern und Geschwister), körperliche Gewaltanwendungen und Erpressung sicherzustellen. Immer wieder sprechen kindliche Opfer darüber, dass Täter (Täterinnen) sie zwangen, sich gegenseitig sexuelle Gewalt zuzufügen. Die betroffenen Mädchen und Jungen schwiegen anschließend aus Angst vor Bestrafung, Scham über die „eigenen“ Taten oder um sich selbst und ihre Freunde und Freundinnen nicht zu „verraten“. Wie Institutionen auf Missbrauch in den eigenen Reihen reagieren Wurde in der Vergangenheit ein Fall der sexuellen Ausbeutung von Kindern durch einen Mitarbeiter (eine Mitarbeiterin) einer Einrichtung bekannt, so fühlten sich noch vor einigen Jahren Institutionen oftmals mehr dem eigenen Ruf als dem Wohl der Opfer verpflichtet. Nach dem Motto „Das darf doch nicht wahr sein!“ versuchten sie, „die Angelegenheit diskret zu lösen“ – z.B. durch „ein klärendes Gespräch“ zwischen Täter und Opfer. Diese Konfrontation überforderte in der Regel die Opfer - auch wenn diese äußerlich relativ souverän oder "cool" wirken. Um endlich wieder Ruhe zu haben und die extrem belastende Situation zu beenden, nahmen viele Opfer ihre Aussage zurück. Manche Opfer verwickelten sich in Widersprüche, so dass sie anschließend als unglaubwürdig dastanden. In anderen Fällen wurden Täter (Täterinnen) „in den vorzeitigen Ruhestand versetzt“ oder einer anderen Dienststelle zugewiesen – ohne Rücksicht auf die nächsten Opfer. In der letzten Zeit setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass Einrichtungen ihren guten Ruf am besten schützen, wenn sie sich mit der gebotenen Sachlichkeit und Fachlichkeit 51 Missbrauch in Institutionen der Problematik sexueller Übergriffe in den eigenen Reihen stellen. Viele Einrichtungen der Jugendhilfe, Schulen und Sportverbände gehen inzwischen offener mit der Problematik um und lassen sich bei der Vermutung einer sexuellen Ausbeutung in den eigenen Reihen von einer Fachstelle beraten. Zum Umgang mit Vermutungen Es fällt ungleich schwerer, sich sexuelle Gewalt in den eigenen Reihen vorzustellen, als außerhalb der eigenen unmittelbaren Lebenswelt. Ähnlich wie Mütter den Missbrauch durch den eigenen Partner kaum erkennen, denken auch viele professionelle Helfer/Helferinnen bei einer Vermutung der sexuellen Ausbeutung eines Mädchens/Jungen durch einen Kollegen (eine Kollegin) den Gedanken nicht zu Ende. Verdachtsmomente werden z.B. nur allzu schnell durch die vom Täter (von der Täterin) gestreuten Erklärungen für die Auffälligkeiten der betroffenen Kinder „entkräftet“ (z.B. „Der will immer im Mittelpunkt stehen!“). Einige Kollegen und Kolleginnen bewerten die Vermutung eines sexuellen Missbrauchs zunächst als den Versuch einer „Rufmordkampagne“. Sie glauben häufig, für die verdächtigte Person „die Hand ins Feuer legen zu können“. Dabei erleben sie die Vorstellung, eventuell selbst einmal des Missbrauchs verdächtigt zu werden, als sehr beängstigend. Nicht selten wird der Person, die die Vermutung äußert, der Versuch der Verleumdung des Täters (der Täterin) unterstellt. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass sexuelle Ausbeutung durch Mitarbeiter (Mitarbeiterinnen) aus Institutionen oftmals von Personen aufgedeckt wird, die nicht mehr oder noch nicht fest in die Struktur der Einrichtung eingebunden sind – z.B. durch Eltern, deren Töchter/Söhne erst seit kurzer Zeit die Einrichtung besuchen oder diese bereits verlassen haben. Im Falle der Vermutung einer sexuellen Ausbeutung innerhalb einer Institution ist auf allen institutionellen Ebenen ein Krisenmanagement vonnöten. Der Träger und die fachliche Leitung brauchen rechtliche Informationen und fachliche Unterstützung von außen. Nur so können sie die Zerreißprobe der unterschiedlichen an sie gerichteten Erwartungen meistern. Denn aufgrund ihrer Fürsorgepflicht gegenüber allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben sie nicht nur den Schutz der ihnen anvertrauten Mädchen und Jungen zu sichern, sondern auch die Verpflichtung, den beschuldigten Arbeitnehmer (die Arbeitnehmerin) vor einer Vorverurteilung zu schützen. Dieser (diese) sollte auch zum eigenen Schutz umgehend von der Arbeit freigestellt werden. In Absprache mit der Fachaufsicht sind Schritte zur Abklärung der Vermutung zu planen. 52 Zum Umgang mit einem erwiesenen Missbrauch Im Falle der sexuellen Ausbeutung durch einen Mitarbeiter (eine Mitarbeiterin) einer Institution erleben Kinder und Erwachsene die Einrichtung nicht mehr als grundsätzlich sicheren und positiven Ort. Ebenso wie bei innerfamilialem Missbrauch wird ihr Erleben nun maßgeblich bestimmt durch Verleugnung und Abstumpfung. Oftmals versuchen Einrichtungen, die Erinnerung an die Gewalterfahrungen und die Beschäftigung damit abzuwehren, indem sie z.B. bestimmte Situationen und Handlungsabläufe vermeiden. Institutionelle Rituale, Materialien und Begegnungen werden jedoch in unerwarteter Weise häufig zu Auslösern, die nicht verarbeitete Gefühle und Empfindungen in ungehemmter Heftigkeit wieder lebendig werden lassen. Die verdrängten Erfahrungen werden dabei meist mit einer solchen Intensität wieder erlebt, als ob das Geschehen erneut stattfände. So reagieren betroffene Kolleginnen und Kollegen nicht selten auf alltägliche Situationen mit Übererregung, übertriebener Wachsamkeit und erhöhter Reizbarkeit: Die Nerven „liegen blank“. Pädagoginnen und Pädagogen bestrafen z.B. Mädchen und Jungen, wenn diese einer normalen kindlichen Entwicklung entsprechend Doktor spielen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen in dieser Situation Rückendeckung: Ihnen muss im Rahmen von Supervision und/oder Fachberatung eine erste Orientierungshilfe für den Umgang mit den betroffenen Mädchen, Jungen und deren Eltern gegeben werden. Selbst wenn ein Täter (eine Täterin) die Einrichtung verlassen hat, dreht sich in Institutionen für eine lange Zeit fast „alles“ um den Missbrauch. Der gesamte Alltag wird mehr oder weniger durch die Aufarbeitung des Missbrauchs bestimmt – insbesondere dann, wenn der Täter (die Täterin) mehrere Kinder der Einrichtung missbrauchte oder eine herausgehobenen Position in der Institution hatte (z.B. Schulleiter oder Trainer einer Spitzenmannschaft). Unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist oftmals eine Spaltung zu beobachten: Einige glauben den Missbrauch, andere können sich diesen immer noch nicht vorstellen. Aufgrund des Vertrauensbruchs begegnen sich die Kolleginnen und Kollegen vielfach mit großem Misstrauen. Im Rückblick erkennen einige von ihnen seinerzeit nicht erkannte Hinweise auf die sexuelle Ausbeutung. Sie schämen sich ihrer eigenen Grenzen, leiden unter Schuldgefühlen. Einige treten den inneren Rückzug an. Andere agieren, suchen verzweifelt nach Lösungen. Viele leiden unter dem Gefühl, die Institution sei wertlos („Und ich habe an diesen Laden geglaubt!“). Einzelne schämen sich, Mitglied der Institution zu sein; sie haben Angst, von Dritten auf das Verbrechen angesprochen zu werden, und vor der Berichterstattung der Medien. 53 Missbrauch in Institutionen Oft findet eine intensive Auseinandersetzung mit Argumenten statt, die den Täter (die Täterin) möglicherweise entlasten könnten. Über Erklärungen und mögliche Tatmotive wird spekuliert. Diese Auseinandersetzung liegt nicht zuletzt in der Sorge begründet, jemanden zu Unrecht zu verurteilen. Häufig wird dementsprechend die sexuelle Ausbeutung bagatellisiert, die notwendigen Hilfen für die Opfer, die Kindergruppe und die Eltern werden vernachlässigt. Aus der Beratungsarbeit mit Familien, in denen der (Stief-)Vater die Tochter/den Sohn missbrauchte, ist bekannt, dass einige Mütter nach der Offenlegung der sexuellen Ausbeutung ihre Wut nicht gegen den Täter richten, sondern gegen das Opfer. Eine vergleichbare Dynamik ist bei sexueller Ausbeutung in Institutionen zu beobachten. Nicht selten werfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dem Kind eine aktive Beteiligung vor und ordnen z.B. dessen Übererregung und/oder sexualisiertes Verhalten nicht als Folgeproblematik der sexuellen Gewalterfahrung ein („So ein “Täterkind“ können wir in der Gruppe nicht mehr halten!“). Selbst wenn nun einige Jungen ein betroffenes Mädchen als „Freiwild“ betrachten, wird dem Opfer die Schuld zugeschoben („Die macht alle Jungen der Gruppe verrückt!“). Die Erwachsenen möchten glauben, dass die Gewalterfahrung nicht wirklich der Grund des Leidens des Opfers ist, und reagieren auf das Mädchen/den Jungen häufig abwertend, manchmal sogar strafend. Selbst in Fällen, in denen pornografische Fotos oder ein Geständnis des Täters (der Täterin) vorliegen, werden die betroffenen Mädchen und Jungen in Alltagssituationen oftmals z.B. als Lügnerin/Lügner dargestellt. Die institutionelle Krise wird verstärkt durch persönliche Krisen vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die völlig unerwartete Konfrontation mit sexueller Gewalt löst bei vielen eine tiefe Erschütterung des eigenen Selbst- und Weltbildes aus. Andere erleben eine Bestätigung einer lang befürchteten Vermutung. Vielleicht hatten sie diese Vermutung sogar schon gegenüber Vorgesetzten und/oder Kolleginnen/Kollegen geäußert, waren jedoch nicht ernst genommen worden. Die Situation wird nicht dadurch gelöst, dass den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihre menschlich nur allzu verständlichen fachlichen und persönlichen Grenzen vorgeworfen werden. Ihnen muss vielmehr im Rahmen von Supervision und Fortbildung ermöglicht werden, sich vor dem Hintergrund einer umfassenden Information über Täterstrategien eine realistischere Bewertung der Situation zu erarbeiten. Sie brauchen einen geschützten Raum, um ihre eigenen widersprüchlichen Gefühle zulassen und bewältigen zu können. Oftmals 54 bestehen gegen eine externe Beratung zunächst große Widerstände. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind nur aufgrund einer von Seiten der Fachaufsicht ausgesprochenen Dienstverpflichtung zur Teilnahme an Fortbildung und Supervision zu bewegen. In der Regel wird diese jedoch im Laufe der Zeit zunehmend als Unterstützung erlebt. Die extremen Belastungen in den ersten Monaten der Aufdeckung der sexuellen Ausbeutung führen meist zu einem hohen Krankenstand und Personalfluktuation. In Kooperation mit der Fachaufsicht ist abzuklären, inwieweit über die Kostenträger für eine Übergangsphase zusätzliche Personalstellen finanziert werden können. Diese sollten möglichst mit Fachkräften besetzt werden, die bisher keinerlei Kontakt zum Täter (zur Täterin) hatten. Dynamik der Elterngruppe Eine für die Missbrauchsdynamik typische Spaltung spiegelt sich in fast allen Fällen auch in den Reaktionsweisen der Eltern wieder. Während einige Mütter und Väter den Täter (die Täterin) verteidigen („Der hat das nicht so gemeint, ... muss eine neue Chance bekommen...“), fordern andere die Todesstrafe. Auch wenden sich verzweifelte Mütter und Väter häufig an die Presse, „damit endlich mal etwas passiert“. Dies ist meist zum Nachteil der Opfer und ihrer Eltern, die nicht selten von Dritten auf die Presseberichte angesprochen werden. Viele Mütter und Väter versuchen in zahlreichen Telefongesprächen und persönlichen Kontakten, die Fakten selber zu „ermitteln“. Im Rahmen des Strafprozesses erweisen sich die aus dieser Gerüchteküche resultierenden unpräzisen Aussagen der Zeugen und Zeuginnen als Vorteil für den Täter (die Täterin). Ebenso führten wiederholte Befragungen der Opfer durch Eltern und andere Kontaktpersonen in einigen Fällen dazu, dass Gerichte die Aussagen der kindlichen Zeugen/Zeuginnen nicht mehr als beweiskräftig einstufen konnten und der Täter freigesprochen wurde. Wenn mehrere Mädchen und Jungen einer Gruppe durch einen oder mehrere Täter (Täterinnen) missbraucht wurden, so leugnen zwar nur wenige Eltern die Tatsache, dass ein Missbrauch stattgefunden hat. Doch sind sie meistens „felsenfest“ davon überzeugt, dass ihr eigenes Kind „garantiert nicht betroffen ist“: „Meine Tochter/mein Sohn hätte mir das erzählt!“ Sie können sich nicht vorstellen, dass viele – vor allem männliche – Opfer sexueller Ausbeutung sich aufgrund der Drohungen des Täters (der Täterin) ihren Müttern und Vätern nicht anvertrauen und allenfalls über beobachtete Gewalthandlungen gegen andere Kinder sprechen. 55 Missbrauch in Institutionen Mütter und Väter benötigen nach der Aufdeckung vor allem klare Informationen. Detailinformationen über die Missbrauchshandlungen oder die Namen der betroffenen Kinder sollten keinesfalls benannt werden, denn dies wäre eine zweite Verletzung des Opfers. Allerdings haben die Eltern ein Recht darauf zu erfahren, wie die sexuelle Ausbeutung aufgedeckt wurde und welche Schritte die Leitung der Institution bisher unternommen hat bzw. plant. In jedem Fall sollte umgehend ein Informationsabend für die Eltern in Zusammenarbeit mit einer Fachberatungsstelle angeboten werden, auf dem nicht nur über die aktuelle Sachlage, sondern ebenso über Beratungs- und Therapieangebote für die Mütter und Väter, Mädchen und Jungen und über Möglichkeiten einer Strafanzeige informiert wird. Reaktionen der Kinder/Jugendlichen Ebenso wie unter den Erwachsenen ist auch in der Kindergruppe fast immer eine Spaltung zu beobachten. Meist können auch einige Kinder/Jugendliche die sexuelle Ausbeutung ihrer Freunde und Freundinnen durch einen Pädagogen (eine Pädagogin) nicht glauben. Einige sind wütend, dass ihnen die (geliebte) Bezugsperson „genommen“ wird – und richten ihre Wut gegen das Mädchen/den Jungen, das/der den Missbrauch öffentlich machte. Häufig versuchen männliche Jugendliche nach der Aufdeckung der sexuellen Ausbeutung die vakante Machtposition zu besetzen, die der Täter innerhalb der Gruppenhierarchie hatte: Nach dem Motto „Stell dich nicht so an, das hat dir doch Spaß gemacht!“ fügen sie dem Opfer erneut sexuelle Gewalt zu. Wurden mehrere Mädchen und Jungen innerhalb einer Einrichtung missbraucht, so sind viele Eltern bemüht, die Kindergruppe möglichst komplett zusammenzuhalten. Sie möchten ihrer Tochter/ihrem Sohn „wenigstens die Freundschaften erhalten“. So sinnvoll dies für viele Kinder sein mag, sind andere hingegen oftmals erleichtert, wenn sie die Einrichtung verlassen dürfen. Nicht nur die Räumlichkeiten und das Spielzeug, sondern auch der Kontakt zu den anderen Opfern erinnert sie an das selbst erlebte Leid und beschränkt die Möglichkeiten, ein eigenes Tempo der Verarbeitung zu entwickeln. Nicht selten werden Mädchen und Jungen, die offen über die Gewalterfahrungen sprechen, von ihren verzweifelten Freundinnen und Freunden erneut zum Schweigen gezwungen. Die Kinder halten die Konfrontation mit den eigenen Gewalterfahrungen nicht aus. Insbesondere Opfer im Vorschulalter spielen innerhalb der Kindergruppe noch nicht verarbeitete Missbrauchshandlungen mit neuen Rollenaufteilungen nach und fügen sich dabei oftmals selbst und gegenseitig sexuelle Gewalt zu. Fast immer werden aufgrund dieses Folgeverhaltens einzelne Jungen und Mädchen von den Erwachsenen fälschlicherweise als 56 „Täterkinder“ diffamiert: Sie würden in anderen Gruppenkonstellationen oftmals keinerlei übergriffiges Verhalten zeigen. Auch einige nicht unmittelbar von sexueller Ausbeutung betroffene Kinder der Institution leiden unter den Folgen der sexuellen Ausbeutung: Sie fühlen sich schuldig, da andere und nicht sie selbst zum Opfer wurden. Ohnehin sind bei sexueller Ausbeutung in Institutionen fast alle Mädchen und Jungen der Kindergruppe extrem belastet, da die durch die Situation überforderten erwachsenen Bezugspersonen nur begrenzt in der Lage sind, auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Nach der Aufdeckung der sexuellen Ausbeutung braucht die Kindergruppe zunächst einmal Ruhe und einen „ganz normalen Alltag“, denn zu diesem Zeitpunkt sind weniger sie als die Erwachsenen in einer Krise. Oftmals sind in dieser Phase fachlich qualifizierte Aushilfskräfte, die den Täter (die Täterin) nicht kennen, für Mädchen und Jungen die geeigneteren Betreuungspersonen als vertraute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die den Vertrauensbruch durch den Kollegen (die Kollegin) noch nicht verarbeitet haben und sich den Missbrauch oftmals bildlich vorstellen. Es ist sicherzustellen, dass die Kinder nicht wiederholt und von verschiedenen Personen „befragt“ werden. Keinesfalls dürfen Detailschilderungen, die Kinder über einzelne Missbrauchshandlungen gegenüber Vertrauensperson machen (z.B. gegenüber den Eltern), unter den Erwachsenen „gehandelt werden“. Dies wäre ein erneuter Vertrauensbruch, der betroffene Kinder oftmals endgültig verstummen lässt. In den Monaten nach der Aufdeckung ist in Kooperation mit einem Fachdienst für jedes einzelne Kind abzuklären, ob dieses eine therapeutische Unterstützung braucht oder nicht. Ebenso muss überlegt werden, ob ein weiterer Verbleib in der Kindergruppe sinnvoll ist oder ob das Mädchen/der Junge in einer anderen Einrichtung bessere Chancen zur Verarbeitung der Gewalterfahrungen hat. In jedem Fall sind jedoch die Räume, die zum Tatort wurden, gemeinsam mit den Kindern neu zu gestalten. Institutionen, die die Erfahrung der sexuellen Ausbeutung in den eigenen Reihen zu verarbeiten haben, verändern sich. Ob es einer Institution gelingt, ihre Lebendigkeit wieder zu entdecken, hängt wesentlich davon ab, inwieweit die Institution Unterstützung von außen bekommt und diese zulässt. Entscheidend für den Erfolg des Verarbeitungsprozesses ist, dass Mädchen und Jungen, Mütter und Väter, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Leitung jeweils ein eigenes Hilfeangebot möglichst schnell bekommen. Vor allem in den ersten Wochen nach der traumatischen Erfahrung ist ein beträchtliches Maß an Heilung möglich. 57 11. Sexuelle Ausbeutung von Mädchen und Jungen mit Behinderungen Wie Institutionen sich vor Missbrauch in den eigenen Reihen schützen können Mädchen und Jungen haben nur begrenzte Möglichkeiten, sich vor sexueller Ausbeutung zu schützen. Die Stärkung von Kindern kann dementsprechend nur ein Baustein im Rahmen der Prävention sexualisierter Gewalt in Institutionen sein. Es ist die Aufgabe von uns Erwachsenen, laufenden Missbrauch zu stoppen und schützende Strukturen zu entwickeln, die Tätern (Täterinnen) die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen in Institutionen erschweren. Institutionen müssen für Kinder und Erwachsene einen Rahmen gestalten, in denen Mädchen und Jungen sicher sein können. Sie sollten eine Atmosphäre schaffen, in der persönliche Grenzen geachtet werden, eine Auseinandersetzung über Grenzverletzungen möglich ist und Gewalt – insbesondere sexuelle Gewalt – geächtet wird. Es gilt gemeinsam mit allen Ebenen der Institution – den Kindern und Jugendlichen, Eltern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und der Leitung – verbindliche Regeln zu entwickeln, die das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung sichern und die im jeweiligen Arbeitsfeld gegebenen besonderen Gefährdungen explizit benennen. In festgelegten Abständen sollten alle Mitglieder der Institution über diese Regeln informiert werden. Regelmäßige Informationsveranstaltungen bzw. Fortbildungen über Möglichkeiten der Prävention sexualisierter Gewalt wären eine sinnvolle Unterstützung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrem Bemühen um eine präventive Erziehungshaltung. Eine unabhängige Ethikkommission, die auch mit externen Fachkräften besetzt ist und an die sich Mädchen und Jungen, Mütter und Väter sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Vermutung der sexuellen Ausbeutung innerhalb der eigenen Institution wenden können, erleichtert es ihnen, sich gegen sexuelle Ausbeutung zu wehren. Täter (Täterinnen) haben wenig Interesse an einem Arbeitsplatz, an dem ein relativ großes Risiko besteht, für von ihnen verübte sexuelle Grenzverletzungen zur Verantwortung gezogen zu werden. Eine im Arbeitsvertrag festgeschriebene Verpflichtung zur Einhaltung der innerhalb der Institution festgelegten Regeln und die Benennung arbeitsrechtlicher Konsequenzen bei Missachtung wird einige von ihnen davon abhalten, hier tätig zu werden. Ebenso hilft es Dienstvorgesetzten, ihrer Verantwortung für den Schutz von Kindern und Jugendlichen gerecht zu werden, wenn in ihrem Arbeitsvertrag bzw. in einer Anlage zum Arbeitsvertrag steht, dass sie tätig werden müssen, sobald sie von sexueller Ausbeutung innerhalb der Institution erfahren. Zartbitter Köln (Hg.): Das geplante Verbrechen. Sexuelle Ausbeutung durch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus Institutionen. Köln 2002. Zu bestellen gegen EUR 3.- in Briefmarken 58 über Zartbitter Köln, Sachsenring 2-4, 50677 Köln TIPP Die Formen der sexuellen Ausbeutung von Mädchen und Jungen mit Behinderungen unterscheiden sich zwar nicht von denen von Kindern und Jugendlichen ohne Behinderung (z.B. sexuelle Übergriffe, Vergewaltigungen, sexistische Bewertungen des Körpers, Missbrauch im Rahmen von Pornoproduktionen). Es kommt jedoch hinzu, dass einigen Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen bei medizinischen Untersuchungen und sexuell übergriffiger Pflege sexuelle Gewalt zugefügt wird. Mädchen und Jungen mit Behinderungen haben ein erhöhtes Risiko, Opfer sexuellen Missbrauchs zu werden. Manche Täter (Täterinnen) knüpfen gezielt Kontakte zu Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen. Die sexuelle Ausbeutung von Mädchen und Jungen mit Behinderungen ist aus Tätersicht ungefährlich, denn: – sexuelle Übergriffe können als Pflege getarnt werden. – Menschen mit Behinderungen werden bis heute als geschlechtslose und neutrale Individuen betrachtet, ihre Sexualität wird geleugnet. Dementsprechend wird die Sexualaufklärung von Mädchen und Jungen mit Behinderungen sowohl in der familialen als auch institutionellen Erziehung vernachlässigt. Die daraus resultierende Sprachlosigkeit über Sexualität erschwert es betroffenen Mädchen und Jungen, ihren Vertrauenspersonen sexuelle Gewalterfahrungen mitzuteilen. – Mädchen und Jungen mit Behinderungen kennen oftmals keinen stabilen Intimbereich. Bedingt durch ihre Pflegebedürftigkeit sind sie auf die Hilfe unterschiedlicher Menschen angewiesen und können ihre emotionalen und körperlichen Bezugspersonen nur selten selber wählen. Es fällt ihnen deshalb besonders schwer, ein verlässliches Gespür für Grenzen und Strategien der Gegenwehr gegen sexuelle Grenzüberschreitungen zu entwickeln. – Kinder und Jugendliche mit Behinderungen leiden häufig unter einem niedrigen Selbstwertgefühl. Im Sinne einer Überlebensstrategie lernen viele Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, dass sie eher in den Genuss von Privilegien kommen (z.B. innerhalb der Wohngruppe, dem Klassenverband), wenn sie sich den Bedürfnissen ihrer erwachsenen Kontaktpersonen anpassen. Ihre Widerstandskraft – auch gegen sexuelle Übergriffe – wird dadurch eingeschränkt. – Mädchen und Jungen mit Behinderungen sind noch stärker von ihrer Umwelt abhängig als Mädchen und Jungen ohne Behinderungen. Oftmals sind sie auf die Betreuung durch eine bestimmte Person oder eine Spezialeinrichtung angewiesen. Diese Abhängigkeit wird von Tätern (Täterinnen) genutzt, um Opfer unter Druck zu setzen. 59 12. Sexuelle Ausbeutung von Mädchen und Jungen im Rahmen von Pornoproduktionen – Nicht nur von Gerichten, sondern auch von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern psychosozialer Arbeitsfelder wird das Folgeverhalten sexueller Traumatisierungen oftmals als solches nicht erkannt und/oder falsch interpretiert. So wird z.B. das sexualisierte Verhalten von Opfern sexueller Ausbeutung mit geistiger Behinderung meist als behinderungstypische Verhaltensweisen (ausgeprägte Aufnahme von Körperkontakt) eingeordnet und/oder fälschlicherweise als Ausdruck einer aktiven Beteiligung des Opfers bewertet. – Mit pornografischem Material über die sexuelle Ausbeutung von Mädchen und Jungen mit Behinderungen können professionelle Pornohändler besonders hohe Profite erzielen. Daraus resultiert eine gezielte Kontaktaufnahme von Tätern (Täterinnen) zu Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen. In den letzten Jahren ist das Problembewusstsein gegenüber der sexuellen Ausbeutung von Mädchen und Jungen mit Behinderungen gewachsen. In einigen Städten NordrheinWestfalens haben sich inzwischen interdisziplinäre Arbeitskreise gebildet, in denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterschiedlicher Träger gemeinsam Konzepte der Hilfen für betroffene Mädchen und Jungen mit Behinderungen und Konzepte der Prävention erarbeiten. 60 Sexuelle Ausbeutung von Mädchen und Jungen im Rahmen von Pornoproduktionen wird sowohl von Personen aus dem familialem und sozialen Nahbereich der Opfer verübt, die Videos für den „Privatgebrauch“ produzieren (homevideos), als auch durch professionelle Pornoproduzenten, die pornografisches Material für den Handel herstellen. Professionelle Täter (Täterinnen) nehmen z.T. auch über Dritte Kontakt zu potenziellen Opfern auf und setzen z.B. andere Kinder als „Schlepper“ ein: Man bezahlt und/oder zwingt sie, ihre kleinen Freunde und Freundinnen „anzuwerben“. Ebenso wie andere Missbraucher (Missbraucherinnen) sondieren auch Produzenten von Pornoproduktionen erst einmal die Widerstandsfähigkeit potenzieller Opfer. In der sozialarbeiterischen Praxis wird beobachtet, dass Kinder, die in Armut leben, einem erhöhten Risiko unterliegen, Opfer sexueller Ausbeutung im Rahmen von Pornoproduktionen zu werden. Täter (Täterinnen) sexualisieren die Atmosphäre bewusst, um die Widerstandskraft kindlicher und jugendlicher Opfer gegenüber der sexuellen Ausbeutung zu reduzieren. Zur Veranschaulichung der verschiedenen sexuellen Praktiken werden oftmals zunächst Pornofilme mit erwachsenen Darstellern/Darstellerinnen vorgeführt, die das Interesse des Mädchens/ Jungen an sexuellen Kontakten wecken sollen. Es werden aber auch Filme und Bilder gezeigt, in denen auch Mädchen und Jungen sexuell ausgebeutet werden. Diese sollen Kindern „beweisen“, dass es „normal“ sei, wenn Erwachsene mit Kindern sexuelle Praktiken ausleben und diese fotografieren oder filmen. Viele Jungen entwickeln schon vor der Pubertät ein großes Interesse an pornografischem Material und sind daher von Tätern/Täterinnen relativ leicht verführbar. In dem von der Polizei gesichteten pornografischen Material sind viele der Opfer männlich. Immer wieder binden Täter (Täterinnen) die sexuellen Ausbeutungen in „Spielsituationen“ ein, um die Wahrnehmung der Opfer zu verwirren. Sie spielen z.B. „Superman“ oder „Teufel“ und tragen entsprechende Masken, so dass die in Todesangst versetzten Mädchen/ Jungen nicht mehr unterscheiden können, ob der „Teufel“ oder ein Mensch ihnen Gewalt zugefügt hat. Auch wenn Mädchen und Jungen konkrete Hinweise auf derartige Inszenierungen geben, so werden diese sowohl von Pädagogen, Gutachterinnen als auch von Juristen oftmals als Ausdruck kindlicher Fantasie bewertet. 61 Pornographische Ausbeutung von Kindern Mädchen und Jungen zu Gewalthandlungen vor der Kamera zwingen Die ewige Zeugenschaft der Bilder Kinder werden im Rahmen von Pornoproduktionen häufig gezwungen, sich gegenseitig sexuelle Gewalt zuzufügen. Aufgrund ihrer Gefühle von Scham, Schuld und Verrat können sie sehr schwer über die von ihnen erzwungenen Handlungen sowie die Taten der anderen Opfer sprechen. Das Wissen um die Existenz der Filme legt ihnen ein besonderes Schweigegebot auf: Die von ihnen unter psychischem Druck erzwungenen Gewalthandlungen wurden mit der Videokamera aufgenommen und dokumentiert. In den meisten pornografischen Produktionen mit Kindern werden Mädchen und Jungen zudem dazu angehalten, sich so zu verhalten, als ob die Handlung ihnen Spaß mache. Betroffene Kinder und Jugendliche berichten häufig, dass die Täter (Täterinnen) sie mit Drogen, Tabletten oder Alkohol betäubten. Sie sollten in den Filmen „leicht und gelöst“ wirken. Auch bietet die Technik Tätern (Täterinnen) eine breite Palette an Möglichkeiten, den Eindruck einer vom Opfer gewollten Beteiligung zu verstärken. Nicht nur die Bilder werden entsprechend manipuliert, sondern auch Schmerzlaute des Kindes herausgeschnitten und die Filme mit Musik unterlegt. Vielfach führen Pornoproduzenten anschließend den kindlichen und jugendlichen Opfern die Filme vor, um diesen zu „beweisen, wie viel Spaß es ihnen doch gemacht habe“. Wenn Kinder eine weitere Beteiligung ablehnen, wird ihnen häufig gedroht, die Aufnahmen an Freunde oder die Familie zu verschicken. Das Gefühl der Erniedrigung und Beschämung der Opfer steigt mit der filmischen Dokumentation der sexuellen Ausbeutung. Die Bilder werden zu „ewigen Zeugen“, denn einmal ins Internet gestellt, sind die Daten nicht mehr rückrufbar. Doch auch vor der Entwicklung der modernen Medien hatten die kindlichen und jugendlichen Opfer keine Chance, die Verbreitung des Bildmaterials zu stoppen. Im Unterschied zu den Opfern sexueller Gewalt ohne Pornoproduktion bedeutet die Zeugenschaft der Bilder für die Opfer, dass der Missbrauch niemals endet. Betroffene leben bis ins Erwachsenenalter mit der Angst, dass das Film- oder Bildmaterial noch im Umlauf ist und jemand sie erkennt. TIPP Arbeitskreis Kinder- und Jugendschutz Nordrhein-Westfalen: Kinderpornographie. Gefördert vom Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen. Zu beziehen über AJS NRW, Poststr. 15-23, 50676 Köln gegen Briefmarken im Wert von EUR 1-. Kindliche Opfer in Todesangst versetzen „Harte Pornografie“ wird von Tätern genutzt, um die Opfer in Angst und Schrecken zu versetzen. Ein inzwischen rechtskräftig verurteilter Schulleiter versetzte z.B. seine Schülerinnen und Schüler in Todesangst, indem er ihnen im Religionsunterricht Pornofilme und Filme zeigte, in denen Babys zu Tode gefoltert wurden. Die Schülerinnen und Schüler bangten nicht nur um ihr eigenes Leben, sondern auch um das ihrer Eltern und Geschwister. Seit mehr als zehn Jahren sind Berichte von Mädchen und Jungen über sexuelle Ausbeutung im Rahmen der Produktion von „snuff-pornos“ (Pornos mit Tötungsdelikten) und über sexuelle Folterungen bekannt, die sie selbst im Rahmen organisierter Verbrechen miterlebten. Im Sommer 2000 bestätigten internationale kriminalpolizeiliche Ermittlungen die Existenz derartiger Filme. 62 63 13. Die Online-Opfer Nicht nur die vor der Kamera missbrauchten Mädchen und Jungen sind Opfer von Pornografie, sondern auch die, die damit konfrontiert werden – z.B. im Internet. Nicht selten landen Kinder und Jugendliche bei ihren Surftrips durchs Internet mehr oder weniger zufällig in dessen so genannten Schmuddelecken und werden so mit harter Pornografie konfrontiert. Auch wird in Chats (Online-Dialoge) offen Pornografie mit Kindern und extremer Sex in allen Variationen angeboten. Einige männliche Jugendliche nutzen das neue Medium, um Pornografie mit Kindern zu konsumieren. Damit steigt das Risiko, dass sie selbst sexuell übergriffiges Verhalten entwickeln. Das Internet bietet einen ungeahnten Freiraum, innere Hemmungen gegenüber dem Konsum von Produkten der pornografischen Ausbeutung von Kindern abzubauen und einen ersten Einstieg in eine Täterkarriere zu bekommen. Einige Täter (Täterinnen) setzen darauf, dass Kinder und Jugendliche alleine vor dem Bildschirm sitzen, und nutzen das Internet, um mit diesen in Kontakt zu kommen. Zwar wissen Mädchen und Jungen in der Regel weitaus besser als Erwachsene, wie das Datennetz technisch zu bedienen ist, doch begegnen sie den Tätern im Netz völlig unvorbereitet und sind dadurch für deren Verführung besonders anfällig. Viele von ihnen kommen gar nicht auf die Idee, dass die Personenbeschreibungen, die ihnen ihre Gesprächspartner mailen, gefälscht sein können. Auch fällt der beim realen Kontakt natürliche Abstand zwischen einem (bekannten oder fremden) Erwachsenen und einem Kind (schon allein durch die unterschiedliche Körpergröße) weg. Mädchen und Jungen haben zudem keinen Eindruck von dem äußeren Erscheinungsbild ihres Dialogpartners. Die Kinder und Jugendlichen sitzen in ihrem vertrauten Umfeld am Computer (zu Hause, bei Freunden, in der Schule) und haben den Eindruck, selbst ein Stück Macht in der Hand zu halten, da sie den Kontakt durch Abschalten des Rechners jederzeit beenden können. Daraus ergibt sich ein trügerisches Gefühl der Sicherheit, das zu einer größeren Bereitschaft führt, sich zu öffnen: Mädchen und Jungen geben oftmals völlig unbedarft Auskunft über ihre Lebensgewohnheiten und ihre Familie. Einige Täter (Täterinnen) nutzen diese Informationen, um sie später in der realen Welt leichter zu missbrauchen. Chatrooms sind nicht gefährlich, wenn Mädchen und Jungen Regeln beachten, die sie auch sonst im Umgang mit Fremden befolgen sollten. Auf keinen Fall sollten sie ihre Adresse, ihre Telefonnummer oder die Adresse ihrer Schule weitergeben. Sie sollten auch kein Bild von sich verschicken. Misstrauen ist immer dann angesagt, wenn jemand vor allem über das Aussehen des Kindes oder über Sex sprechen will, dauernd Komplimente macht oder das Mädchen/den Jungen zu etwas überreden oder zwingen will. Vor allem aber sollten sich 64 Kinder und Jugendliche niemals mit einer Chatbekanntschaft alleine treffen. Ein persönliches Kennenlernen sollte immer nur unter Begleitung einer erwachsenen Person und an einem öffentlichen Ort stattfinden, den man gut kennt und an dem man zunächst einmal unbemerkt beobachten kann, ob wirklich eine Person gekommen ist, die man erwartet hat. Es macht wenig Sinn, wenn Eltern ihren Töchtern und Söhnen die Nutzung des Internets verbieten. Sinnvoller ist es, eine Weile mit ihnen gemeinsam zu chatten und im Chatraum verschiedene Rollen auszuprobieren. So wird Kindern schnell bewusst, dass auch ihr Gegenüber nicht der sein muss, der er/sie vorzugeben versucht. Neben dieser auf die Stärkung der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen zielenden Prävention sollten aber auch andere Präventionsstrategien durch Eltern umgesetzt werden. Eine Möglichkeit besteht im Installieren von sog. Jugendschutz-Software. Diese soll verhindern, dass Kinder und Jugendliche auf Netzinhalte stoßen, die unzulässig, gefährdend oder beeinträchtigend für sie sind. Im Jahr 2003 tritt der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag in Kraft, der umfängliche Schutzregelungen beinhaltet und auch vorsieht, dass Jugendschutzprogramme zur Anerkennung ihrer Eignung einer Kommission für Jugendmedienschutz vorzulegen sind, die gegründet werden wird. Eltern, Pädagoginnen, Pädagogen und Mädchen und Jungen sollten dazu beitragen, dass die gesetzlichen Regelungen zum Jugendschutz im Internet eingehalten werden. Sie sollten rechts- oder ordnungswidrige Angebote den zuständigen Behörden bekannt machen, damit diese die erforderlichen Schritte einleiten können. TIPPS Fragen zum Jugendmedienschutz beantworten Jugendschutz.net (www.jugendschutz.net), eine gemeinsame Stelle der Länder/Jugendministerien, und das Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen (email-Adresse: [email protected]). Arbeitskreis Kinder- und Jugendschutz Nordrhein-Westfalen: Sicher surfen. Sicherheitsregeln für Kinder im Internet. Gefördert vom Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit Nordrhein-Westfalen. Köln 1997. Zu beziehen über AJS NRW, Poststr. 15-23, 50676 Köln gegen Briefmarken im Wert von EUR 0,30. 65 14. Das Wichtigste für den Schutz von Kindern sind aufmerksame Erwachsene Möglichkeiten der Prävention „Bleib in der Nähe des Hauses! – Nimm keine Süßigkeiten von Fremden! – Geh nie mit einem Fremden mit!” Wer kennt sie nicht, die Warnung vor dem „schwarzen Mann”?! Noch in den neunziger Jahren gaben viele Mütter, Väter, Pädagoginnen und Pädagogen Kindern diese wohlgemeinten, jedoch schlechten Ratschläge. Sie vermittelten Mädchen und Jungen Fehlinformationen, denn die Täter und Täterinnen sind nur selten Fremde. Die meisten Fälle sexueller Ausbeutung werden von vertrauten Erwachsenen und Jugendlichen verübt. Zudem machen solche Warnungen Mädchen und Jungen große Angst und schwächen damit deren Selbstbewusstsein. Die Verunsicherung der Kinder wird durch eine Sensationsberichterstattung der Medien zusätzlich verstärkt. Mädchen und Jungen erhalten über die Medien häufig diffuse und bedrohliche Informationen; nicht selten sind massive Ängste die Folge. Ängstliche Kinder verlieren den Glauben an die eigene Widerstandskraft und erstarren in Gefahrensituationen leicht vor Schreck. Sie sind oftmals wie gelähmt, können sich gegenüber sexuellen Übergriffen schlecht abgrenzen und kommen häufig nicht auf die Idee, sich Hilfe zu holen. Mädchen und Jungen stärken! Als Antwort auf die Grenzen der Abschreckungsprävention wurden unter dem Motto „sicher, stark und selbstbewusst" seit Mitte der achtziger Jahre und verstärkt in den neunziger Jahren Konzepte einer Präventionsarbeit entwickelt, die vor allem Mädchen und Jungen stärken. Sie vermitteln auf kindgerechte Art und Weise Möglichkeiten der Gegenwehr und die notwendigen Informationen über sexuelle Übergriffe, damit Mädchen und Jungen diese leichter als solche erkennen und Hilfe von Dritten einfordern können. In dieser Arbeit stehen folgende Themenbereiche im Mittelpunkt: – Dein Körper gehört dir! Du darfst selbst bestimmen, mit wem du zärtlich sein möchtest! – Deine Gefühle sind wichtig, du kannst ihnen vertrauen! – Es gibt schöne, unangenehme und komische Berührungen. Du kannst entscheiden, welche du magst und welche nicht! – Du darfst NEIN sagen – auch zu Erwachsenen! – Niemand hat das Recht, dir durch Worte oder Taten Angst zu machen! – Wenn jemand dich sexuell missbraucht, dich z.B. an deiner Scheide oder deinem Penis berührt, dich zwingt bzw. überredet, sexuelle Handlungen an ihm oder anderen Kindern auszuführen, dann hast du keine Schuld! 66 – Es gibt gute und blöde Geheimnisse – Geheimnisse, die dich bedrücken, darfst du weitererzählen! Das ist kein Petzen. – Wenn es dir nicht gut geht, darfst du darüber sprechen und dir Hilfe holen – auch wenn es jemand verboten hat! – Wenn du ein Problem hast: Welche anderen Kinder und welche Erwachsenen können dir helfen? Der Erfolg einer solchen Präventionsarbeit zeigt sich schon daran, dass viele Mädchen und Jungen heute viel offener über selbst erlebte sexuelle Übergriffe sprechen und sich Hilfe holen können, als dies noch vor zehn Jahren der Fall war. Gleichzeitig werden die Anforderungen an eine präventive Erziehung deutlich: Eine sinnvolle präventive Arbeit muss in ein umfassendes Erziehungskonzept und in einen pädagogischen Alltag eingebettet sein und kann nicht allein im Rahmen eines ein- oder zweimaligen Intensivkurses geleistet werden. Nur allzu leicht entsteht sonst bei Kindern der Eindruck: „Wenn ich mich nicht so gut wehren kann wie die kompetenten Kinder in dem Rollenspiel, so ist es meine Schuld.” Da Präventionsangebote nicht nur den Effekt haben, sexuelle Gewalt zu verhindern, sondern immer auch aufdeckend wirken, muss Präventionsarbeit stets auch eine Unterstützung für betroffene Mädchen und Jungen sein. Sie muss für Opfer Partei ergreifen, ihnen Mut machen und Wege der Bewältigung sexueller Gewalterfahrungen aufzeigen. Keinesfalls dürfen Pädagoginnen und Pädagogen zu „massiv” über sexuellen Missbrauch sprechen und in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit belastenden Fallbeispielen arbeiten. Erschütternde Texte oder Filmbeiträge über ehemals Betroffene, die über ihre Erlebnisse aus der Kindheit berichten, sind keine geeigneten Medien für den Unterricht, denn sie versetzen viele Mädchen und Jungen in Angst und Schrecken. Betroffene Kinder und Jugendliche werden im Gespräch über Detailschilderungen von Missbrauchshandlungen zudem oftmals in einem unerträglichen Maße mit ihren eigenen Gewalterfahrungen konfrontiert und somit erneut geschwächt. Viele fühlen sich erkannt und/oder reagieren auf eine zu massive Präventionsarbeit mit Ängsten oder Krankheit und ziehen sich oft ganz zurück. Keinesfalls darf Präventionsarbeit betroffene Mädchen und Jungen auf (mögliche) Opfererfahrungen reduzieren. Sie muss Opfer ganzheitlich mit ihren Stärken wahrnehmen, ambivalente Gefühle von Mädchen und Jungen gegenüber Tätern (Täterinnen) akzeptieren, das Vertrauen von Mädchen und Jungen in die eigene Wahrnehmung stärken, die Verantwortung für den Schutz von Kindern bei Erwachsenen belassen, Betroffenen Mut machen, Wege der Bewältigung sexueller Gewalterfahrungen aufzeigen. Vor allem aber soll sie Lebensfreude vermitteln, sie soll Kraft geben und nicht Verzweiflung erzeugen. 67 Möglichkeiten der Prävention Sexualerziehung als Schutz vor sexuellem Missbrauch Eine emanzipatorische Sexualerziehung ist ebenso ein wichtiger Baustein einer präventiven Erziehung, denn Mädchen und Jungen können ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung nur vertreten, wenn sie ihren Körper kennen und mögen. Der eigenen sinnlichen Wahrnehmung trauen und die eigenen Gefühle wahr- und ernst nehmen, die eigenen Grenzen und die anderer achten, sich Hilfe holen, wenn man alleine nicht zurechtkommt ... all das sind zentrale Gesprächsthemen für die Entwicklung einer lust- und verantwortungsvollen Sexualität und gleichzeitig zentrale Fragestellungen in der Präventionsarbeit gegen sexuelle Gewalt. Auch heute noch sind trotz der scheinbaren Offenheit, mit der in Medien über Sexualität berichtet wird, viele Mädchen und Jungen über ihren eigenen Körper, über Lust und Frust von Liebe und Sex usw. weitgehend uninformiert. Kinder und Jugendliche, denen es an einem altersadäquaten Wissen über den eigenen Körper und dem des anderen Geschlechts mangelt, die nicht gelernt haben, zwischen angenehmen und unangenehmen Körpergefühlen zu unterscheiden und über Sexualität offen zu sprechen, sind nicht nur leichter von Tätern (Täterinnen) verführbar, sondern haben auch kaum die Möglichkeit, selbst erlebte sexuelle Übergriffe zu benennen. Präventionsarbeit gegen sexuelle Gewalt sollte immer eingebettet sein in eine emanzipatorische Sexualerziehung, denn es ist einer positiven Einstellung zur Sexualität wohl kaum zuträglich, wenn Kinder und Jugendliche in Elternhaus, Kindergarten und Schule ausschließlich vor der Gefahr der sexuellen Ausbeutung gewarnt werden, ohne dass auch die lustvollen Seiten der Sexualität thematisiert werden. Traditionelle Rollenbilder überwinden! Sexueller Missbrauch beginnt in der Regel nicht mit Vergewaltigung, sondern die meisten Täter (Täterinnen) nehmen zunächst mit Mädchen und Jungen Kontakt auf, „testen” die Widerstandsfähigkeit potentieller Opfer. Mädchen und Jungen haben aufgrund ihrer geschlechtsspezifischen Sozialisation ein jeweils geschlechtsspezifisches Risiko, Opfer sexuellen Missbrauchs zu werden. Solange von Mädchen erwartet wird, dass sie brav, verständnisvoll, fürsorglich, sanft und niemals eine Zicke sein sollen, solange haben es Mädchen schwer, sich gegen sexuelle Übergriffe zu wehren, denn Widerstandsfähigkeit setzt Eigenwilligkeit, 68 Selbstbewusstsein, Mut und Durchsetzungsfähigkeit voraus. Sie gilt es im pädagogischen Alltag mit Mädchen und im Rahmen von Selbstbehauptungskursen für Mädchen zu fördern! Angst und Ohnmachtsgefühle sind mit einem traditionellen Jungenbild nicht vereinbar. Nach dem Motto „Ein Indianer kennt keinen Schmerz!” lernen viele Jungen auch heute noch, dass sie nur dann „wirkliche Kerle” sein sollen, wenn sie trotz eines blauen Auges bei einer Keilerei keinen Zentimeter zurückgewichen sind. So wird Jungen von klein auf der Kontakt zu eigenen Gefühlen und denen anderer erschwert. Wird ihnen hingegen vermittelt, dass sie auch mit leisen Gefühlen wie Angst, Ohnmacht und Hilflosigkeit angenommen und wertgeschätzt werden, so fällt es ihnen leichter, sich in schwierigen Situationen, z.B. bei sexuellen Übergriffen, jemandem anzuvertrauen und sich Hilfe zu holen. Jungen brauchen im pädagogischen Alltag die Unterstützung der Erwachsenen, um auch ihre leisen Gefühle zulassen zu können. Seit Ende der neunziger Jahre werden in vielen Schulen Jungenprojekte angeboten, die männlichen Kindern und Jugendlichen eine Hilfestellung bei ihrer Suche nach einem differenzierten männlichen Selbstbild geben. Kulturelle Hintergründe beachten Der Umgang zwischen den Geschlechtern wird von den jeweiligen kulturellen Hintergründen unterschiedlicher Nationalitäten und Religionen geprägt. In einigen Kulturen wird z.B. bereits bei drei- bis vierjährigen Jungen die Verwendung sexistischer Schimpfwörter als Beweis von Männlichkeit bewertet und es besteht nur eine geringe Grenzsetzung bei körperlichen Kontakten. So kann es durchaus üblich sein, dass die Genitalien des Jungen von Verwandten und Bekannten in aller Öffentlichkeit gestreichelt werden oder Vätern das Recht zugestanden wird, die Brust oder den Po ihrer Tochter zu berühren. Gleichwohl bedeutet ein solcher Umgang für die betroffenen Kinder und Jugendlichen fast immer eine Überforderung und emotionale Überflutung. Die Präventionsarbeit in multikulturellen Kindergruppen verlangt einen respektvollen Umgang mit den kulturellen Hintergründen der Herkunftsfamilien der Mädchen und Jungen und gleichzeitig eine klare Grenzsetzung gegenüber Grenzüberschreitungen. Wenn Mädchen und Jungen so lernen, ihre eigenen Körpergrenzen und die anderer zu achten, dann können sie sich auch leichter gegen die aus kulturellen Hintergründen resultierenden Grenzverletzungen und gegen die von Tätern (Täterinnen) gezielt verübten sexuellen Übergriffe wehren, ohne in Konflikt mit ihrem eigenen kulturellen Hintergrund zu kommen. 69 Möglichkeiten der Prävention Jungenarbeit und Täterprävention Die meisten Jungen werden auch heute noch dazu erzogen, hart zu sein, Konflikte zur Not mit körperlicher Gewalt zu lösen und sich Mädchen und Frauen überlegen zu fühlen. Jungen spüren, dass gewalttätiges Verhalten von anderen Jungen und auch z.T. von Erwachsenen bewundert und in vielen Situationen als angemessenes Verhalten angesehen wird. Cooles Gehabe ist oftmals der Versuch von Jungen, diesem Bild zu entsprechen und ‘echt männlich’ zu wirken. Verbale, körperliche und sexuelle Übergriffe werden häufig als das Recht von Jungen und Männern bewertet. Männlichen Kindern und Jugendlichen wird oftmals vermittelt, dass Sexualität nicht nur ein Weg ist, um Nähe und Intimität zu spüren, sondern ebenso ein Instrument, um Bedürfnisse nach Selbstbestätigung und Kontrolle zu befriedigen. Sie lernen, dass sie durch grenzüberschreitendes Verhalten ihre „Männlichkeit” beweisen und Macht über andere ausüben können; ihre Bereitschaft zur Ausübung von Gewalt in jeder Form wird so gefördert. Die meisten Missbraucher beginnen ihre Täterkarriere im Jugendalter. Eine früh einsetzende emanzipatorische Jungenarbeit, die Jungen mit der Gesamtheit ihrer Gefühle annimmt und sie nicht auf die Rolle der kleinen Helden reduziert, kann die überfordernden und krank machenden Ansprüche des gültigen Männerbildes abschwächen und friedlichere Konfliktlösungsmöglichkeiten vermitteln. Viele Jungen sind mit dem übergriffigen Verhalten ihrer Geschlechtsgenossen nicht einverstanden, doch aus Angst vor Sanktionen trauen sie sich nicht, offen dagegen Stellung zu beziehen. In einer täterpräventiven Arbeit gilt es, diese Jungen zu stützen und so gewaltfördernde Normen innerhalb der Jungengruppe Schritt für Schritt abzubauen. Die Verantwortung der Erwachsenen Täter (Täterinnen) sind „Künstler der Manipulation”. Die Raffinesse, mit der viele von ihnen vorgehen, um die Wahrnehmung der Opfer zu vernebeln, lässt wenig Hoffnung, dass Mädchen und Jungen ohne Hilfe von Erwachsenen diese Strategien in ihrer Komplexität durchschauen und sich schützen können. Wir Erwachsenen sind für den Schutz von Mädchen und Jungen verantwortlich! Wissen ist Macht! Dementsprechend erweitert eine sachgerechte Information über die Strategien der Täter (Täterinnen) die eigene Handlungskompetenz, um einer sexuel70 len Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen vorzubeugen. Wie oft stellen Mütter und Väter, Pädagoginnen und Pädagogen nach der Aufdeckung eines Missbrauchs fest, dass sie sich immer darüber gewundert haben, wie dieser Mann (diese Frau) mit dem Kind umging, sich jedoch gescheut haben, einen falschen Verdacht auszusprechen. Das ist auch nachvollziehbar, zumal keineswegs jede Grenzverletzung ein Hinweis auf einen systematisch vorbereiteten sexuellen Missbrauch ist. Auch gilt es, nicht inflationär mit den Begriffen Täter und Täterin umzugehen. Doch oftmals muss der Verdacht gar nicht ausgesprochen werden. In vielen Fällen werden die Anfänge eines langfristig geplanten sexuellen Übergriffes schon dadurch beendet, dass die erwachsenen Bezugspersonen eines Mädchens/Jungen offen Stellung beziehen, wenn sie Geschenke an ein Kind als unangemessen groß oder nicht altersentsprechend empfinden, es nicht in Ordnung finden, wenn ein Mädchen wie eine Geliebte hofiert oder ein Junge wie ein Erwachsener behandelt wird, sie Berührungen und Bemerkungen gegenüber einer Jugendlichen als zu intim und damit als grenzverletzend bewerten ... Setzen sich Erwachsene offensiv für das Recht von Mädchen und Jungen auf sexuelle Selbstbestimmung ein, so werden auch betroffene Kinder und Jugendliche in ihrer Widerstandskraft bestärkt und bekommen ein Signal, dass sie über grenzverletzende Erlebnisse sprechen und sich Hilfe holen dürfen. Die Täter (Täterinnen) werden hingegen vorsichtiger und ziehen sich häufig zurück, wenn sie mitbekommen, dass die Umwelt auf ihre Grenzverletzungen aufmerksam wird und sie Gefahr laufen, dass ihre Gewalttaten entdeckt werden. Entscheidend für eine erfolgreiche Präventionsarbeit ist somit eine erzieherische Grundhaltung, für die Mütter und Väter, ehrenamtliche und professionelle Kontaktpersonen von Mädchen und Jungen nicht nur sachgerechte Informationen und Mut zur Konfrontation, sondern ebenso eine Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit eigenen Gefühlen, Werten und Rollenbildern brauchen. Dies erfordert eine Auseinandersetzung mit der eigenen Identität als Mann oder Frau und mit den eigenen Mädchen-, Frauen-, Jungen- und Männerbildern. Da es bisher noch keine Vorbilder für eine präventive Erziehung gibt, kann dieser Anspruch leicht Gefühle der Überforderung auslösen, die es möglichst zu vermeiden gilt. Die Teilnahme an Elternabenden, Informations- und Fortbildungsveranstaltungen, das Gespräch mit einer Beratungsstelle, die Lektüre von Ratgebern können Müttern und Vätern, Pädagoginnen und Pädagogen helfen, eigene Unsicherheiten in der Erziehung der Kinder besser zu akzeptieren und den Mut für eine präventive Erziehung zu finden. 71 15. Anhang Kinderbücher, Materialien und Fachliteratur Arbeitskreis Kinder- und Jugendschutz Nordrhein-Westfalen: Gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen. Ein Ratgeber für Mütter und Väter. Gefördert vom Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit NRW. Zu beziehen über AJS NRW, Poststr. 15 - 23, 50676 Köln, gegen Briefmarken im Wert von EUR 1,50. TIPP Gefühle Bücher für Mädchen und Jungen Enders, Ursula/Wolters, Dorothee: „Lilly” und „Luis” Weinheim: Beltz 2000 Zielgruppe: Mädchen und Jungen ab 1 Jahr Zwei Pappbilderbücher über kindliche Gefühle, die zudem Anregungen für eine Präventionsarbeit vom ersten Lebenstag an geben. Manske, Christa/Löffel, Heike: Ein Dino zeigt Gefühle. Ruhnmark: Donna Vita 1996 Zielgruppe: Mädchen und Jungen von 3–7 Jahren Eine Reise durch verschiedene Emotionen, die abgerundet wird mit einem zufrieden lächelnden Dino. Enders, Ursula/Wolters, Dorothee: LiLoLe EigenSinn Weinheim: Beltz 1996 Zielgruppe: Mädchen und Jungen von 4–9 Jahren Dieses Bilderbuch über die eigenen Sinne und Gefühle stärkt das Vertrauen von Mädchen und Jungen in die eigene Wahrnehmung. Cormier, Robert: Gefühle sind immer dabei. München: Bertelsmann 2002 Zielgruppe: Mädchen und Jungen ab 14 Jahre Materialien für Mädchen und Jungen Reichling, Ursula/Wolters, Dorothee: Hallo, wie geht es dir? Gefühle ausdrücken lernen. Mühlheim a. d. Ruhr: Verlag an der Ruhr 1994 Zielgruppe: Mädchen und Jungen von 3–10 Jahren Ein ausgezeichnetes Präventionsmaterial. Das Begleitheft enthält zahlreiche Spielanleitungen und Kopiervorlagen. Blattmann, Sonja: Alarm! Alarm! Lieder für mutige Mädchen und Jungen ... und alle, die es werden wollen. Ruhnmark: Donna Vita 1999 Zielgruppe: Mädchen/Jungen von 3–10 Jahren Sonja Blattmann singt davon, wie Mädchen und Jungen Spaß am Leben haben (können), wie sie selbstbewusst für sich eintreten und wie sie sich Hilfe suchen können. Enders, Ursula/Wolters, Dorothee: Gefühlequartett Ruhnmark: Donna Vita 1999 Zielgruppe: Mädchen/Jungen von 3–10 Jahren Sonja Blattmann singt davon, wie Mädchen und Jungen Spaß am Leben haben (können), wie sie selbstbewusst für sich eintreten und wie sie sich Hilfe suchen können. „Eine Explosion von Denken und Fühlen.“ 72 73 Kinderbücher, Materialien und Fachliteratur Geschlechtsspezifische Prävention Bücher und Materialien für die Arbeit mit Mädchen und Jungen Hoffmann, Atze-Klaus W./Baltscheit, M.: Junge, Junge! Uccello, 1998 Zielgruppe: Jungen im Grundschulalter Fetzige Musik über die vielen Seiten von Jungs: die leisen, die zärtlichen und die mutigen. Grote, Christoph/Reidt, Guido/Wegner, Lothar: Bennys Beziehungskiste. Reisten, 1998 Bezug über Donna Vita, Kaiserstr. 139-141. 53113 Bonn Zielgruppe: männliche Jugendliche ab 13 Jahre, Männer Bennys Beziehungskiste ist ein Ereignis- und Entscheidungsspiel, welches männliche Jugendliche zum Nachdenken anregt und mit Spaß ins Gespräch bringt. Mebes, Marion: Stück für Stück. Sicher*Stark*Selbstbewusst. Ruhnmark: Donna Vita 1998 Zielgruppe: Mädchen ab 9 Jahre, jugendliche Mädchen, Frauen „Stück für Stück“ ist ein Spiel, durch das Mädchen und Frauen lernen, gemeinsam Handlungsstrategien zu entwickeln, um sich sicher, stark und selbstbewusst bewegen zu können. Die Spielkarten können entsprechend der jeweiligen Altersgruppe gewählt werden. Zartbitter, Köln: Von der Rolle. Songs für die Präventionsarbeit mit jugendlichen Mädchen und Jungen. Zum downloaden unter www.zartbitter.info 74 Götz, Barbara/Späth, Gabi: Ich bin stark. Selbstverteidigung für Mädchen. Würzburg: Arena 2002 Zielgruppe: Mädchen ab 10 Jahre Auf sehr einfache und wirkungsvolle Weise wird sowohl das körperliche als auch das mentale Training näher gebracht. Das ultimative Mutmachbuch für schlagfertige Mädchen. Finke, Regina: Weil ich Nein sagen darf. Freiburg: Christophorus 1998 Zielgruppe: Grundschulpädagogen/innen Mit Bedacht geschriebener Ratgeber für Pädagoginnen und Pädagogen, die im Umgang mit Kindern im Grundschulalter offensiv auftauchende Fragen zu Sexualität, Körperlichkeit, Grenzen, Freiheiten und Rechten tragen wollen. Mit Tipps zur Prävention und zur sinnvollen und sinnlichen Sexualaufklärung. Wortberg, Christiane: „Macht uns nicht an!” Tipps und Tricks zur Selbstbehauptung von Mädchen für Mädchen. Münster: Unrast 2001 Zielgruppe: jugendliche Mädchen Rohrmann, Tim: Echte Kerle. Jungen und ihre Helden. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch 2001 Zielgruppe: Eltern, pädagogische Fachkräfte Acht Mädchen erzählen über ihre Erfahrungen und motivieren die jungen Leserinnen, sich selbst zu behaupten. Dieses Buch ist eine Einladung, die Lebenssituation von Jungen und die für sie geschaffene Spiel- und Medienwelt neu zu betrachten. Fachbücher Rhyner, Thomas/Zumwald, Bea (Hg.): Coole Mädchen – starke Jungs. Ratgeber für eine geschlechtsspezifische Pädagogik. Stuttgart: Paul Haupt 2002 Eine gute Reflektion geschlechtsspezifischer Pädagogik, mit Ideen sowohl für Mädchen- als auch Jungenarbeit. Seyffert, Sabine: Kleine Mädchen. Starke Mädchen. Spiele und Phantasiereisen, die mutig und selbstbewusst machen. München: Kösel 2000 Zielgruppe: Mädchen im Grundschulalter In diesem Buch werden Spiele, Lieder und Phantasiereisen dargestellt, die Mädchen im Grundschulalter stärken. Landschaftsverband Rheinland: Nein, das will ich nicht. Eine Broschüre über sexuelle Gewalt für Frauen mit geistiger Behinderung. Bezug über: Landschaftsverband Rheinland, Gleichstellungsamt, Kennedy-Ufer 2, 50679 Köln Zielgruppe: Pädagoginnen/Pädagogen, jugendliche Mädchen, Frauen Diese Broschüre soll betroffene Mädchen und Frauen unterstützen und sie ermutigen, bestehende Hilfsangebote zu nutzen. Körper, Sexualität, Aufklärung Bücher für Mädchen und Jungen: Fagerström, Grethe/Hannsson, Gunilla: Peter, Ida, Minimum. Ravensburg: Ravensburger 1992 Zielgruppe: Mädchen und Jungen von 3–9 Jahren Ein liebevolles und kindgerechtes Aufklärungsbuch, das Mädchen und Jungen vom dritten Lebensjahr bis ins Grundschulalter begleitet. Rübel, Doris: Wieso? Weshalb? Warum? Woher die kleinen Kinder kommen. Ravensburg: Ravensburger 2001 Zielgruppe: Mädchen/Jungen ab 4 Jahre Dieses Sachbuch gibt Kindern altersgerechte Antworten auf die Fragen: Woher kommen die Babys? Warum gibt es Mädchen und Jungen? Und was passiert bei der Geburt? Enders, Ursula/Wolters, Dorothee: Wir können was, was ihr nicht könnt! Weinheim: Beltz 1994 Zielgruppe: Mädchen und Jungen von 4–9 Jahren Ein multikulturelles Bilderbuch über Zärtlichkeit und Doktorspiele, das Regeln für altersentsprechende kindliche Doktorspiele aufzeigt und Kinder stärkt, um sich gegenüber sexuellen Übergriffen durch Gleichaltrige und Jugendliche leichter abgrenzen zu können. Furian, Martin: Das Buch vom Liebhaben. Wiesbaden: Quelle u. Meier 2001 Zielgruppe: Mädchen und Jungen von 8-12 Jahren 75 Kinderbücher, Materialien und Fachliteratur Schneider, Sylvia/Rieger, Birgit: Das Aufklärungsbuch. Ravensburg: Ravensburger 2000 Zielgruppe: Mädchen und Jungen ab 10 Jahre Eine einfühlsame Hinführung an das Thema Sexualität, erste Liebe und an die körperliche und seelische Veränderung während der Pubertät. Braun, Joachim/Kunz, Daniel: Weil wir Jungen sind. Körper, Sexualität und Lust. Reinbek: rororo 1997 Zielgruppe: Jungen (ab 13 Jahre) Broschüren für Mütter, Väter, Pädagoginnen und Pädagogen Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Körper. Liebe, Doktorspiele. Ein Ratgeber für Eltern zur kindlichen Sexualentwicklung vom 1. bis 3. Lebensjahr. Köln 2001. Kostenlos über: BZgA, 51101 Köln, oder per Fax: 0221 - 899 22 57; Best.-Nr. 136 601 00. Diese Broschüre informiert Mütter und Väter, wie sie ihr Kind beim Entdecken seines Körpers, bei der Erfahrung seiner sinnlichen Fähigkeiten und seiner Sexualität unterstützen können. Dieses kleine Nachschlagewerk beantwortet die Fragen männlicher Jugendlicher zu Körper, Sexualität und Lust. Schneider, Sylvia: Girls Talk. Was Mädchen wissen wollen über Liebe, Lust und Leidenschaft. München: Arena 1999 Zielgruppe: Mädchen (ab 13 Jahre) Dieser informativ aufgemachte Ratgeber bleibt Mädchen keine Antwort schuldig. Schneider, Sylvia: Boys Talk. Was Jungen wissen wollen über Liebe, Lust und Leidenschaft. München: Arena 1999 Zielgruppe: Jungen (ab 13 Jahre) Dieser unkonventionelle Ratgeber gibt Jungen ehrliche und altersentsprechende Antworten auf ihre Fragen. Mennen, Patricia/Rieger, Birgit: „Let’s talk about love.” Ravensburg: Ravensburger 2002 Zielgruppe: Mädchen und Jungen ab 13 Jahre Einfühlsame und kompetente Antworten auf alle Fragen über die Themen Liebe, Partnerschaft und Sexualität. 76 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Körper. Liebe, Doktorspiele. Ein Ratgeber für Eltern zur kindlichen Sexualentwicklung vom 4. bis 6. Lebensjahr. Köln 2001. Kostenlos über: BZgA, 51101 Köln oder per Fax: 0221 - 899 22 57; Best.-Nr. 136 602 00. ajs – Aktion Jugendschutz (Hg.): Manske-Herlyn, Bernhild: Sexualerziehung und Prävention von sexueller Gewalt. Kommentierte Bücher und Materialsammlung für Jugendliche und Fachleute. Gefördert von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Köln, 1998. Zu beziehen über: BZgA, 51101 Köln, oder per Fax: 0221.-.899 22 57, Bestellnummer: 1300 7000. Fachbücher Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Sexualerziehung, die ankommt ... Leitfaden für Schule und außerschulische Jugendarbeit zur Sexualerziehung von Mädchen und Jungen der 3.–6. Klasse. Köln 1999 – zu beziehen über: BZgA, 51101 Köln. Basisinformationen, Literaturliste und Medien, Richtlinien der Länder und Arbeitsblätter. Färber, Hans - Peter; Lipps, Wolfgang; Seyfarth, Thomas: Sexualität und Behinderung. Tübingen: Alltempo 1998 Die Autorinnen/Autoren greifen medizinische, ethische, pädagogische, psychologische und juristische Aspekte zum Thema Sexualität und Behinderung auf. Valtl, Karl-Heinz: Sexualpädagogik in der Schule. Weinheim: Beltz 1998 Der Autor entwickelt Bausteine für den Unterricht. Themenschwerpunkte: ich und die anderen, Körper, Sinne, Vertrauen, Geschlecht, Sexualität, Identität, Werte, Sprache ... Bücher und Materialien, die sexuelle Übergriffe/sexuellen Missbrauch beim Namen nennen Bücher für Mädchen und Jungen Mebes, Marion/Sandrock, Lydia: Kein Küsschen auf Kommando. Ruhnmark: Donna Vita 2000 Zielgruppe: alle, die mit Kindern leben und arbeiten; Mädchen/Jungen von 2–9 Jahren Ein Bilderbuch, das Mädchen und Jungen stärkt und ebenso Erwachsene auffordert, die Grenzen von Kindern zu achten. Enders, Ursula/Wolters, Dorothee: SchönBlöd. Weinheim: Beltz 1999 Zielgruppe: alle, die mit Kindern leben und arbeiten; Mädchen/Jungen von 2–9 Jahren Zartbitter Köln: Komm mit – hau ab! Lieder für starke Mädchen und Jungen. Weinheim: Beltz 1997, über den Buchhandel erhältlich Zielgruppe: Mädchen und Jungen von 4–10 Jahren Die musikalisch anspruchsvollen Songs gehen in Kopf und Bauch und sprechen alle Themen rund um die Präventionsarbeit an. Enders, Ursula/Boehme, Ulfert/Wolters, Dorothee: Lass das – Nimm die Finger weg! Ein Comic für Mädchen und Jungen im Grundschulalter. Gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Weinheim: Beltz 1997 Zielgruppe: Mädchen/Jungen von 6–10 Jahren Ein Comic mit Selbstbehauptungstipps für Mädchen und Jungen im Grundschulalter. Irwin, Hadley: Liebste Abby. Weinheim: Beltz & Gelberg 1999 Zielgruppe: Mädchen und Jungen von 12–15 Jahren Ein Taschenbuch über die Geschichte einer von sexueller Ausbeutung betroffenen Jugendlichen und ihren Freund, der zu ihr hält. Empfehlenswerte Schullektüre. Talbert, Marc: Das Messer aus Papier. Weinheim: Beltz & Gelberg 2002 Zielgruppe: Jungen und Mädchen ab 13 Jahre Das Buch beschreibt die Gefühle betroffener Jungen und wie viel Kraft es ihnen abverlangt, ihre sexuellen Gewalterfahrungen aufzudecken. Ein Buch, das hilft, sexuell missbrauchte Jungen besser zu verstehen. Das Bilderbuch, das nicht nur sexuellen Missbrauch benennt, sondern ebenso mit viel Humor Alltagssituationen beschreibt und Kinder ermutigt, ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen. 77 Kinderbücher, Materialien und Fachliteratur Bain, Quainé/Sanders, Maureen: Wege aus dem Labyrinth. Fragen von Jugendlichen zu sexuellem Missbrauch. Berlin: Donna Vita 1993 Zielgruppe: jugendliche Mädchen (und Jungen) Der bisher einzige deutschsprachige Ratgeber, der sich direkt an jugendliche Mädchen und Jungen richtet. Weinstein, Nina: Keine Geheimnisse mehr. München: dtv pocket plus 1999 Zielgruppe: jugendliche Mädchen STOPP heißt Stopp – jeder Junge hat seine eigene Art, Stopp zu sagen (9–12 Jahre). Einzelexemplare dieses integrativen und multikulturellen Materials können gegen einen mit EUR 1,12 frankierten Rückumschlag bezogen werden. Größere Stückzahlen gegen Unkostenbeitrag erhältlich über Zartbitter Köln, Sachsenring 2 - 4, 50677 Köln. Zielgruppe: Jungen von 8–13 Jahre. Das mit Illustrationen von elf Jungen unterschiedlicher Nationalitäten gestaltete Leporello vermittelt, dass es keinesfalls unmännlich ist, STOPP zu sagen und sich Hilfe zu holen, wenn jemand die eigenen Grenzen verletzt. Gleichzeitig gilt es das STOPP anderer Mädchen und Jungen zu achten. Das Buch zeigt den Weg der 16-jährigen Amanda, ihre Sprachlosigkeit zu überwinden und von sexuellem Missbrauch zu sprechen. Dirks, Liane: Die liebe Angst. München: BTB-Goldmann 1997 Zielgruppe: Jugendliche ab 14 Jahre und Erwachsene Dieses Buch schildert mit großer Sensibilität das Erleben eines kleinen Mädchens, das ebenso wie die Schwester durch den Vater sexuell missbraucht wird. Materialien und Broschüren für Mädchen und Jungen Tipps für Kids. Selbstbehauptungsregeln für Mädchen und Jungen im Grundschulalter. Gefördert durch das Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes NRW. Einzelexemplare können gegen einen mit EUR 0,56 frankierten Rückumschlag bezogen werden. Größere Stückzahlen gegen Unkostenbeitrag erhältlich über Zartbitter Köln, Sachsenring 2 - 4, 50677 Köln. Zielgruppe: alle, die mit Kindern leben und arbeiten; Mädchen/Jungen ab 7 Jahre 78 Die „Tipps“ vermitteln Mädchen und Jungen Selbstbehauptungsregeln gegen sexuelle Grenzverletzungen. Müttern, Vätern, Pädagoginnen und Pädagogen geben sie wertvolle Tipps für eine präventive Erziehung. Empfehlenswertes Material für die Elternarbeit. Übersetzung des Textes in zahlreiche Sprachen unter (www.zartbitter.de) Die Nachricht. Taschenheft für Jungen über sexuellen Missbrauch an Jungen. Einzelexemplare können gegen einen mit EUR 1,12 frankierten Rückumschlag bezogen werden. Größere Stückzahlen gegen Unkostenbeitrag erhältlich über Zartbitter Köln, Sachsenring 2 - 4, 50677 Köln. Zielgruppe: männliche Jugendliche ab 11 Jahre; erwachsene Männer; alle, die mit Jungen leben und arbeiten. Das Taschenheft informiert über sexuelle Ausbeutung von Jungen und zeigt Möglichkeiten der Hilfe auf. Ebenso als Informationsbroschüre für die Elternarbeit geeignet. Nein ist NE!N. Selbstbehauptungstipps für Mädchen (ab 12 Jahre). Gefördert durch das Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes NRW. Bezug: Einzelexemplare dieses integrativen und multikulturellen Materials können gegen einen mit EUR 1,12 frankierten Rückumschlag bezogen werden. Größere Stückzahlen gegen Unkostenbeitrag erhältlich über Zartbitter Köln, Sachsenring 2 - 4, 50677 Köln. Zielgruppe: Mädchen von 8–13 Jahren Das mit Illustrationen von elf Mädchen unterschiedlicher Nationalitäten gestaltete Leporello gibt Informationen über die Strategien von Tätern und Täterinnen und ermuntert jugendliche Mädchen, sich gegenüber sexuellen Übergriffen durch Gleichaltrige und Erwachsene abzugrenzen und sich Hilfe zu holen. Übersetzung des Textes in zahlreiche Sprachen unter (www.zartbitter.de) Mädchenprojekt Rostock: Selma. Ein Computer-Adventure aus dem richtigen Leben. Ruhnmark: Donna Vita 1996 CD-Rom (DOS und Mac) Zielgruppe: Pädagoginnen, Mädchen ab 13 Jahre Ein interaktiver Ratgeber über sexuellen Missbrauch, der sich hervorragend für die Mädchenarbeit eignet. Materialien für Pädagoginnen und Pädagogen Braun, Gisela: Ich sag NEIN. Mülheim: Verlag an der Ruhr, überarbeitete Neuauflage 1999 Zielgruppe: Pädagoginnen und Pädagogen, Mütter und Väter von Kindern im Vor- und Grundschulalter Eine umfangreiche Zusammenstellung von Spielideen, Reimen, Geschichten, Liedern ...., die deutlich macht, wie viel Spaß Präventionsarbeit bereiten kann. Zartbitter Köln (Hg.): Auf den Spuren starker Mädchen. Cartoons für Mädchen – diesseits von Gut und Böse. von Irmgard Schaffrin und Dorothee Wolters Köln: Zartbitter-Eigenverlag. Bezug: Zartbitter Köln, Sachsenring 2 - 4, 50677 Köln. Zielgruppe: Pädagoginnen; jugendliche Mädchen ab 12 Jahre Die Cartoons zeigen starke Mädchen, die selbstbewusst Rollenzuweisungen in Frage stellen und mutig eigene Interessen vertreten. Mit ausführlichem Begleittext für Pädagoginnen und Kopiervorlagen. Zartbitter Köln (Hg.): Ey Mann, bei mir ist es genauso! Cartoons für Jungen – hart an der Grenze vom Leben selbst gezeichnet. von Burkhard Fritsche und Rainer Neutzling Köln: Zartbitter-Eigenverlag Bezug: Zartbitter Köln, Sachsenring 2 - 4, 50677 Köln. Zielgruppe: Pädagogen; jugendliche Jungen ab 12 Jahre Die Jungen der Cartoons werden in Alltagssituationen gezeigt, in denen entweder ihre eigenen Grenzen verletzt werden oder sie die Grenzen anderer missachten. Mit ausführlichem Begleittext für Pädagogen und Kopiervorlagen. Arbeitskreis „Das misshandelte Kind“, Köln (Hg.): Die eigenen Schritte planen – überlegt handeln. Leitfaden für Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen und in Schulen zum Umgang mit der Vermutung des sexuellen Missbrauchs an Mädchen und Jungen. Gefördert durch das Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes NRW. Köln 2001. Bis zu 3 Exemplare gegen einen mit EUR 1,53 frankierten Din-A4-Rückumschlag; bis zu 25 Exemplare gegen EUR 2,56 in Briefmarken zu beziehen über: Zartbitter e.V., Sachsenring 2 - 4, 50677 Köln. Zielgruppe: Pädagoginnen und Pädagogen Dieser Leitfaden hilft, bei der Vermutung eines sexuellen Missbrauchs ruhig und besonnen zu handeln sowie die Unterstützung eines Fachdienstes zu finden. Fachbücher Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz NRW (Hg.): Sexueller Missbrauch an Mädchen und Jungen. Sichtweisen und Standpunkte zur Prävention. Köln: Drei-W 1998 Unterschiedliche Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Fachbereichen tragen Hintergründe, Sichtweisen, Meinungen und Bewertungen zum Thema Prävention zusammen. Bange, Dirk/Enders, Ursula: Auch Indianer kennen Schmerz. Sexuelle Gewalt gegen Jungen – Ein Handbuch. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1995 Dieses Handbuch analysiert die Belastungen einer geschlechtsspezifischen Sozialisation für (von sexueller Gewalt betroffenen) Jungen, beschreibt die Gefühle männlicher Opfer und vermittelt konkrete Anleitung für Beratung und Therapie mit Betroffenen. 79 Kinderbücher, Materialien und Fachliteratur Bange, Dirk/Körner, Wilhelm (Hg.): Handwörterbuch Sexueller Missbrauch. Göttingen: Hogrefe 2002 Ein Nachschlagewerk für wissenschaftlich interessierte Fachkräfte, das einen Überblick über die internationale Fachdiskussion und den aktuellen Forschungsstand vermittelt. Dieser interdisziplinäre Ratgeber gibt wertvolle Hilfestellungen für die Kooperation von Justiz und Jugendhilfe im Rahmen der Begleitung kindlicher und jugendlicher Opfer im Strafverfahren. Becker, Monika: Sexuelle Gewalt gegen Mädchen mit geistiger Behinderung. Daten und Hintergründe. Heidelberg: Uni-Verlag Winter 2001 Fegert, Jörg M.: Handlungsmöglichkeiten bei sexuellem Missbrauch und anderem Fehlverhalten in Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe. Weinheim: Beltz 2002 In Auswertung nordamerikanischer Forschungsergebnisse reflektiert die Autorin den Stand der bundesdeutschen Fachdiskussion zur Problematik der sexuellen Ausbeutung von Menschen mit Behinderungen. In diesem Sammelband beleuchten Fachkräften aus Jugendhilfe, Justiz und Politik unterschiedliche Aspekte der sexuellen Ausbeutung von Mädchen und Jungen durch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus Institutionen. Enders, Ursula (Hg.): Zart war ich, bitter war's. Handbuch gegen sexuellen Missbrauch. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2001 Heiliger, Anita: Täterstrategien und Prävention. München: Frauenoffensive 2000 Dieser in einer leicht verständlichen Sprache geschriebene Ratgeber leistet einen Theorie-Praxis-Transfer. Er beschreibt nicht nur Ursachen, Ausmaß und Folgen der sexuellen Ausbeutung von Kindern, sondern gibt ebenso zahlreiche Hilfestellungen in vielen praxisrelevanten Fragestellungen: z.B. „Missbrauch in Institutionen”, „Frauen als Täterinnen”, „Hilfen für die Opfer”, „Hilfen für jugendliche Täter”, „Strafanzeige – ja oder nein?”. Fastie, Friesa: Ich weiß Bescheid. Ein Rechtsratgeber für Mädchen und junge Frauen. Bonn: Donna Vita 2001 Ein ausgezeichneter Rechtsratgeber, der nicht nur betroffenen Mädchen und Frauen bei der Erstattung einer Strafanzeige eine wertvolle Hilfe ist, sondern ebenso allen Kontaktpersonen betroffener Kinder und Jugendlicher. 80 Fastie, Friesa: Opferschutz im Strafverfahren. Opladen: Leske und Budrich Verlag 2002 Diese Studie beschreibt eindrucksvoll die Strategien der Täter bei innerfamilialer sexueller Ausbeutung und zieht Schlussfolgerungen für die Entwicklung von Konzepten einer Präventionsarbeit, die der Verantwortlichkeit von Erwachsenen für den Schutz von Kindern Rechnung tragen. Autorengruppe Tauwetter: Tauwetter. Ein Selbsthilfe-Handbuch für Männer, die als Junge sexuell missbraucht wurden. Ruhnmark: Donna Vita 1998 Ein fachlich fundiertes Buch über Möglichkeiten der Selbsthilfearbeit betroffener Männer. Empfehlung: Donna Vita, pädagogisch therapeutischer Fachhandel, verschickt auf Anfrage einen Katalog, in dem ausgewählte Bücher und Materialien zur Sexualerziehung und Präventionsarbeit vorgestellt werden. Donna Vita Fachhandel, Kaiserstr. 139 - 141, 53113 Bonn, Tel.: 0228 - 289 12 00. Hilfen für betroffene Mädchen und Jungen und ihre Vertrauenspersonen Literatur Kompetente Hilfe finden Sie im Telefonbuch unter folgenden Stichworten: - Anlauf- und Beratungsstelle für Mädchen und Frauen - Ärztliche Beratungsstelle - Beratungsstelle für Eltern, Jugendliche und Kinder - Beratungsstelle für Familien - Beratungsstelle für Frauen und Mädchen - Deutscher Kinderschutzbund - Erziehungsberatungsstelle - Evangelische Beratungsstelle - Familienberatungsstelle - Frauenberatungsstelle - Frauen helfen Frauen - Frauen-Notruf - Frauenzentrum - Katholische Beratungsstelle - Jugendberatungsstelle - Mädchenberatung/Mädchenhaus/Mädchentreff/Mädchenzentrum - Männerbüro, Männer gegen Männergewalt - Notruf ... - Pro Familia - Psychologische Beratungsstelle - Stadtverwaltung: Jugendamt, Frauenamt, Gleichstellungsbeauftragte - Verein gegen sexuelle Gewalt - Wildwasser - Zartbitter Abel, Gene/Rouleau, Joanne (1990): The Nature and Extent of Sexual Assult. In: Marshall, W. u.a. (Hg.): Handbook of Sexual Assult: Issues, Theories and Treatment of the Offender. New York 1990: 9-21. Die Beratungsstellen, die in Nordrhein-Westfalen Hilfen für sexuell missbrauchte Mädchen und Jungen und ihre Kontakt- und Vertrauenspersonen anbieten, finden sie außerdem im Internet unter www.mgsff.nrw.de Deegener, Günther (1999): Diagnostik und Therapie von psycho sexuell auffälligen männlichen Jugendlichen. In: KiZ – Kind im Zentrum im EJF – Evangelisches Jugend- und Fürsorgewerk (Hg.): Wege aus dem Labyrinth. Erfahrungen im familienorientierter Arbeit zu sexuellem Missbrauch. Eigenverlag. Berlin 1999: 92-110. Enders (2001) (Hg.): Zart war ich, bitter war’s. Handbuch gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen. Vollständig überarbeitete und erweiterte Neuauflage. Köln 2001. Heiliger, Anita (2000): Täterstrategien und Prävention. Sexueller Missbrauch an Mädchen innerhalb familialer und familienähnlicher Strukturen. München 2000. Julius, Henri/Boehme, Ulfert (1997): Sexuelle Gewalt gegen Jungen. Eine kritische Analyse des aktuellen Forschungsstandes. Göttingen 1997. Heyne, Claudia (1996): Täterinnen. Stuttgart 1996. Kavemann, Barbara (1999): Viel schlimmer oder halb so schlimm? Wenn Frauen Mädchen und Jungen sexuell missbrauchen. In: Wodtke-Werner, V./Mähne, U. (Hg.): „Nicht wegschauen!“ Vom Umgang mit Sexual(straf)tätern. Baden-Baden 1999: 31-44. Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit NRW (Hg.): Gewalt gegen Mädchen und Frauen im Sport. Studie, Tagungsdokumentation. Dokumente und Berichte 46. Düsseldorf 1998. Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit NRW (Hg.): Wann wird ein Mann zum Täter? „Psycho- und Soziogenese von männlicher Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen“ – Eine Literaturauswertung. Dokumente und Berichte 35. Düsseldorf 1996. 81 Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit NRW: Thesenpapier zur häuslichen Gewalt. Runder Tisch zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen in NRW. Bestellungen unter www.mfjfg.nrw.de Raupp, U./Eggers, Ch. (1993): Sexueller Missbrauch von Kindern. Eine regionale Studie über Prävalenz und Charakteristik. In: Monatsschrift Kinderheilkunde Vol. 141/1993: 316-322. Wetzels, Peter (1997): Gewalterfahrungen in der Kindheit. Sexueller Missbrauch, körperliche Misshandlung und deren langfristige Konsequenzen. Baden-Baden 1997. Notizen Emfehlenswerte websites www.bke.sorgenchat.de www.bzga.de www.dasberatungsnetz.de www.dji.de/ikk www.jugendschutz.de www.kidcarenet.de www.kinderschutzzentren.de www.mgsff.nrw.de www.tauwetter.de www.zartbitter.de Beratung im Internet Online-Beratung unter www.profamilia-online.de, ein bundesweites Angebot, gefördert durch das Sozialministerium BadenWürttemberg. e-mail-Beratung e-mail-Beratung für Jugendliche unter www.sexundso.de, ein bundesweites Angebot von Pro Familia Niedersachsen, gefördert durch das Niedersächsische Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales. 82 Notizen