Messtechnik - Sterne und Weltraum

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Messtechnik - Sterne und Weltraum
III. Messtechnik
1. Zeitmessung
Methoden der darstellenden Geometrie mit Lineal und Zirkel zu konstruieren ist. Die Voraussetzung dafür ist, dass die geographische Breite des Ortes,
an dem die Sonnenuhr angebracht werden soll, bekannt ist. Vitruv gibt die
Breite nicht als Winkel, sondern als Verhältniszahl der Länge des Gnomons
zur Länge des Mittagsschattens an den Äquinoktien an. Für Rom sagt er, dass
der Mittagsschatten an den Äquinoktien 8/9 der Länge des Gnomons betrage.
Allerdings beschreibt er nur die Konstruktion des Meridians einer Sonnenuhr mit horizontaler ebener Uhrenfläche, um dann mit folgenden Worten zu
schließen: „Nachdem das auf diese Weise verzeichnet und entwickelt ist,
werden unter Zugrundelegung des Analemmas, sei es durch Nachtgleichelinien oder auch durch Monatslinien, die Einteilungen der Tagesstunden auf
den Auffangflächen aufgezeichnet werden müssen, und es werden dabei
viele verschiedene Auffangflächen und Arten von Uhren gebaut“ (Vitr. 9, 7).
Die Genauigkeit einer Sonnenuhr ist abhängig von der exakten Konstruktion
der Uhrenfläche und der Länge und Positionierung des Gnomons nach dem
Analemma, der korrekten Übertragung der analemmatischen Uhrenfläche
auf die tatsächliche Fläche und die sorgfältige Ausrichtung, so dass sich die
Schattenspitze zum Zeitpunkt des äquinoktialen Mittags genau im Schnittpunkt der Meridian- und der Äquinoktiallinie befindet.
In der Antike kannte man zwei Arten, die Länge der Stunden zu berechnen.
Astronomen unterteilten den Tag für ihre wissenschaftlichen Beobachtungen
in 24 Stunden gleicher Länge (Äquinoktialstunden) – wie wir heute. Im Alltagsleben hingegen wurden der lichte Tag – von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang – und die Nacht in je zwölf gleich lange Stunden unterteilt (Temporalstunden). Dieses System bewirkt, dass die Stunden je nach Jahreszeit und
geographischer Breite unterschiedlich lang sind. In Rom zum Beispiel dauerte die längste Tagstunde 75 Minuten und die kürzeste 45 Minuten. Der Begriff
„Stunde“ hatte in der Antike eine zweifache Bedeutung. hora sexta (sechste
Stunde des Tages oder der Nacht) kann entweder die Zeitspanne der sechsten
Stunde bedeuten oder das Ende der sechsten Stunde. Zur Zeitmessung dienten Sonnen- und Wasseruhren.
왗 Abb. 2
Uhrenflächen
antiker Sonnenuhren:
1: horizontale
ebene Sonnenuhr
2: Skaphe mit
zentralem
Gnomon
3: Skaphe mit
Lochgnomon:
Frontalansicht
(3a) und Meridianschnitt (3b)
4: Kegelsonnenuhr: Frontalansicht (4a) und
Meridianschnitt
(4b), G: Gnomon,
W/S: Winter- bzw.
Sommersolstitiallinie, Ä: Äquinoktiallinie, M: Meridian (Mittagslinie)
Sonnenuhren
Eine Sonnenuhr besteht aus dem Gnomon – dem Schattenstab – und der
Uhrenfläche mit drei Datumslinien für die Äquinoktien und die Solstitien,
sowie elf Stundenlinien. Die mittlere der Stundenlinien ist der Meridian, die
Mittagslinie. An den Äquinoktien bewegt sich die Schattenspitze im Laufe
des Tages entlang der Äquinoktiallinie. Einzig zur Zeit der Äquinoktien entspricht die Länge der Temporalstunden der der Äquinoktialstunden, nämlich
60 Minuten.
Vitruv beschreibt in seinem Analemma (siehe auch Anhang 3), wie die
Uhrenfläche einer Sonnenuhr, ohne astronomische Kenntnisse, nach den
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des Wintersolstitiums am größten. Skaphen mit einem Lochgnomon im
Zenit der Halbkugel sind vertikale Sonnenuhren. In diesem Fall ist der Datumsbogen des Sommersolstitiums am größten (Abb. 2, 3).
3. Kegelsonnenuhren mit hohlkegelförmiger Uhrenfläche. Diese Sonnenuhren
werden vertikal aufgestellt; der Datumsbogen des Sommersolstitiums ist am
größten (Abb. 2, 4).
Daneben gab es Sonderformen, wie zum Beispiel Doppelsonnenuhren, aber
auch tragbare Reisesonnenuhren.
Auf demselben Prinzip wie eine Sonnenuhr beruht der Meridian, der
allerdings keine eigentliche Uhr, sondern vielmehr ein Kalender zum Ablesen
des Datums ist. Er besteht aus einem Gnomon und der Mittagslinie, auf der
die mittägliche Schattenspitze jedes Tages durch eine Linie gekennzeichnet
ist. Im Jahr 10 oder 9 v. Chr. ließ Augustus in Rom einen Meridian anlegen,
der mit seinem Mausoleum und der Ara Pacis („Altar des Friedens“) eine
architektonische und propagandistische Einheit bildet. „Dem auf dem Marsfeld stehenden Obelisken gab der vergöttlichte Augustus eine bemerkenswerte Bestimmung, nämlich die Schatten der Sonne und auf diese Weise die
Länge der Tage und Nächte anzuzeigen. Er ließ entsprechend der Länge des
Obelisken ein Steinpflaster in den Boden legen, dem der Schatten der Wintersonnenwende in der sechsten Stunde gleichkommen sollte und der allmählich nach den aus Erz eingelegten Streifen an den einzelnen Tagen abnahm und
wieder länger wurde“ (Plin. nat. 36, 72–73). Ausgehend von der bekannten
Höhe des Gnomons (29,42 m) kann die Länge des augusteischen Meridians
mit 62,26 m berechnet werden. Obwohl Plinius eindeutig einen Meridian
beschreibt, wurde, ausgehend von der Höhe des Gnomons, eine Sonnenuhr
rekonstruiert, die selbst unter Weglassung der äußeren Stundenlinien ein Ausmaß von 160 mal 75 m hat und vom Boden aus unmöglich abzulesen wäre.
1982 konnte bei archäologischen Untersuchungen auf dem Marsfeld, 1,6 m
über dem augusteischen Niveau, ein kleiner Abschnitt eines wahrscheinlich
an derselben Stelle befindlichen flavischen Meridians mit Monats- und Tageslinien freigelegt werden.
Abb. 3 왖
Römische
Kegelsonnenuhr.
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In der Antike gab es drei Grundtypen von Sonnenuhren:
1. Sonnenuhren mit horizontaler oder vertikaler ebener Uhrenfläche. Die
Solstitiallinien dieser Sonnenuhren sind Hyperbeln. Bei vertikalen Sonnenuhren ist im Gegensatz zu horizontalen der Datumsbogen des Sommersolstitiums am größten (Abb. 2, 1).
2. Hohlkugelsonnenuhren mit kalotten- bis halbkugelfömiger Uhrenfläche.
Wegen ihrer Form werden diese Sonnenuhren auch Skaphen (griechisch skaphion: Becken) genannt. Skaphen mit dem Gnomon am tiefsten Punkt der
Schale werden horizontal aufgestellt (Abb. 2, 2), daher ist der Datumsbogen
III. Messtechnik
Wasseruhren
Sonnenuhren haben den großen Nachteil, dass sie nur bei Sonnenschein
brauchbar sind. Die Notwendigkeit, die Zeit auch in Räumen, bei Bewölkung
oder nachts zu messen, führte zur Entwicklung der kleps(h)ydra (griechisch:
Wasserdieb), der Wasseruhr, mit der die verstrichene Zeit an dem sich verändernden Wasserstand in einem Gefäß mit konstantem Abfluss (Auslaufuhr)
oder Zufluss (Einlaufuhr) gemessen wird.
Die einfachste Wasseruhr beruht auf demselben Prinzip wie die – in der
Antike allerdings unbekannte – Sanduhr und diente zur Messung einer
1. Zeitmessung
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relativen Zeitdauer. Durch eine kleine Öffnung rinnt Wasser von einem
Gefäß in ein darunter stehendes zweites Gefäß. Uhren dieser Art wurden
bei Gericht verwendet, um jedem Redner eine gleich lange Redezeit zuzumessen (Aristot. Ath. pol. 76, 2). Auch im militärischen Bereich kamen Wasseruhren zum Einsatz, um die Nacht in vier annähernd gleich lange Nachtwachen zu unterteilen. Ein Hinweis darauf findet sich bei Caesar (Caes. bell.
Gall. 5, 13): „Wir konnten durch genaue Messungen mit der Wasseruhr (ex
aquis) feststellen, dass hier [in Britannien] die Nächte kürzer sind als auf dem
Kontinent.“
Große Wasseruhren, an denen man die Uhrzeit ablesen konnte und die
in Städten oder bei Heiligtümern aufgestellt waren, sind zwar aus der antiken
Literatur bekannt, aber leider nur selten, und wenn, nur in ihrer Basis erhalten. Eine Ausnahme stellt die Wasseruhr des 4. Jahrhunders v. Chr. im Amphiareion von Oropos, einer Stadt in Attika, dar. Es handelt sich dabei um
eine Auslaufuhr mit einem großen Becken, aus dem täglich nachzufüllendes
Wasser mit konstanter Geschwindigkeit abfließt. Ein mit einem Zeiger versehener Schwimmer zeigt auf einer Skala die Stunden an. Da die Zeit anhand
des sich senkenden Wasserspiegels gemessen wird, befindet sich die 12. Stunde am unteren Ende der Skala. Entsprechend der antiken Stundeneinteilung
mussten die Stundenmarken zu den Solstitien und Äquinoktien umgesteckt
werden.
Die Erfindung der wesentlich komplizierteren Einlaufuhr, mit der die
Uhrzeit über die in ein Becken einfließende Wassermenge gemessen wird, wird
Ktesibios von Alexandria (3. Jh. v. Chr.) zugeschrieben (Vitr. 9, 8,2). Einlaufuhren setzen das Vorhandensein einer Wasserleitung und die Regelung des
konstanten Einflusses in das Wasserbecken voraus. Dazu kommt, dass täglich zu Sonnenuntergang die Zuleitung abgesperrt und das Becken entleert
werden muss. Bei der von Vitruv (Vitr. 9, 8,6–7) beschriebenen Einlaufuhr
handelt es sich um ein technisch ausgereiftes Modell mit Regulierbecken
und analemmatischer Uhrenfläche, auf der, entsprechend der Messung der
Zeit anhand des sich hebenden Wasserspiegels, der oberste Bogen die zwölfte
Stunde markiert. Aus einer Leitung, die mit einem Absperrhahn versehen ist,
ergießt sich das Wasser in ein Regulierbecken, in dem sich ein kegelförmiger
Schwimmer befindet, der durch den Wasserdruck in die Höhe gehoben wird.
Bei starkem Druck in der Leitung schneidet der Schwimmer den Wasserzufluss ab. Ist das Wasser unten abgeflossen, senkt sich der Schwimmer und
Wasser aus der Leitung kann nachfließen. Vom Regulierbecken fließt das Wasser in das Hauptbecken. Der steigende Wasserspiegel hebt einen Schwimmer,
auf dem eine kleine Figur angebracht ist, die mit einer Rute auf einem drehbaren Zylinder, auf dem die Monate als vertikale Linien und die Stunden als
horizontale Bögen markiert sind, die Uhrzeit anzeigt. Will man die Uhr auch
nachts benutzen, dreht man den Zylinder um 180° und erhält so die jeweils
gültigen Nachtstunden.
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III. Messtechnik
2. Landvermessung
Die Vermessungsingenieure der Antike bedienten sich ausgereifter Verfahren
und Messgeräte, die mit denen der modernen Geodäsie – vor der Einführung
elektronischer Geräte – durchaus vergleichbar sind. Genaue Vermessungsarbeit ist die Voraussetzung für den Bau von Wasserleitungen, Straßen und
Tunnelbauten sowie für die Festlegung von Grundstücksgrenzen. Landvermessung umfasst die Bereiche Entfernungsmessung, Abstecken von rechten
Winkeln, Nivellieren und Winkelmessung.
Entfernungsmessung
Bei der Entfernungsmessung wird eine Strecke unbekannter Länge mit einer
genormten Maßeinheit verglichen. Kurze Strecken können mit einer Messkette oder aber einem Messseil gemessen werden. Die Messkette hat den
Vorteil, dass sie aufgrund der Materialeigenschaften von Bronze oder Eisen
maßgetreu bleibt. Allerdings ist sie auch schwerer und weniger flexibel als das
Messseil, das sich daher für Arbeiten in schwierigem Gelände besser eignet.
Allerdings muss beim Messseil darauf geachtet werden, dass es maßgetreu
gehalten wird. Heron von Alexandria schreibt dazu, dass das Messseil vor der
Verwendung zwischen zwei Pfählen gespannt und mit einer Mischung aus
Wachs und Harz eingerieben oder mit einem am unteren Ende befestigten
Gewicht aufgehängt werden soll (Heron aut. 2, 4–5).
왗 Abb. 4
Hodometer (Entfernungsmesser)
nach der Beschreibung Vitruvs.
2. Landvermessung
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XII. Kriegstechnik
Da eine umfassende Behandlung dieses Themas den Rahmen des vorliegenden Buches überschreiten würde, wird hier nur auf Wurfgeschütze eingegangen. Wurfgeschütze wurden in der Antike generell als Katapulte (griechisch
katapeltes, lateinisch catapulta) bezeichnet. Je nach ihrer Konstruktion unterscheidet man Bogen- und Torsionskatapulte.
Die ältesten Fernwaffen sind Schleuder und Bogen. Eine Schleuder besteht
aus einem langen Leder- oder Stoffstreifen mit einer Ausbuchtung in der Mitte für das Geschoss (Bleigeschoss oder Stein). Der Schleuderer nimmt beide
Enden des Streifens in die Hand, schwingt die Schleuder, lässt ein Ende los und
das Geschoss fliegt aus der Schleuder.
Der Vorläufer der antiken Wurfgeschütze ist der Bogen. Die Wirksamkeit
eines Bogens ist abhängig von der Zugkraft, die ihrerseits von der Muskelkraft
des Schützen abhängig ist, und der Länge des Zuges, die von der Armlänge
des Schützen bestimmt wird. Die Zugkraft ist die Kraft, die notwendig ist, die
Sehne auszuziehen, und als Länge des Zuges wird die Strecke bezeichnet, um
die der Schütze die Sehne auszieht. Das Bestreben der antiken Ingenieure, diese „menschlichen“ Beschränkungen zu überwinden, führte zur Entwicklung
der Katapulte, deren erster Einsatz für das Jahr 399 v. Chr. bezeugt ist. Diodorus Siculus berichtet, sie seien von Ingenieuren Dionysios’ I. von Syrakus für
den Einsatz im Krieg gegen Karthago erfunden worden (Diod. 14, 42,1).
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XII. Kriegstechnik
1. Bogenkatapult – gastraphetes (Bauch-Bogen)
Dieses älteste Katapult zum Abschießen von Pfeilen, dessen Aufbau von
Heron von Alexandria (Heron bel. p. 75–81) beschrieben wird, ist nichts
anderes als ein Reflexbogen mit mechanischer Zugvorrichtung. Der Name
kommt daher, dass der Schütze den Bogen beim Ausziehen gegen seinen
Bauch drückt. Ein gastraphetes (Abb. 121) besteht aus einer Führungsschiene,
an deren vorderem Ende der Bogen befestigt ist und einem gebogenen Endstück. In dieser Führungsschiene gleitet der Schieber (diostra), der mit einer
Rille für das Geschoss versehen ist. Am hinteren Ende des Schiebers befinden
sich eine Klaue zum Einhängen der Sehne und der Abzugshebel. Um den
Bogen auszuziehen, wird der Schieber nach vorn geschoben und die Klaue
1. Bogenkatapult – gastraphetes (Bauch-Bogen)
왖 Abb. 120
Legionäre an
einem Katapult
(cheiroballistra)
in einem Schanzwerk. Ausschnitt
aus den Szenen
zu den Dakerkriegen auf der
Trajanssäule.
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2. Torsionskatapulte
Um die Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. begann die Entwicklung der Torsionskatapulte, noch stärkerer Geschütze, deren grundsätzliche Neuerung
darin besteht, dass anstelle des Bogens verdrillte Seilbündel aus Sehnen oder
Haaren, so genannte Torsionsfedern, und Bogenarme treten. Große Katapulte wurden für den Transport zum Kriegsschauplatz in Einzelteile zerlegt.
Zweiarmige Torsionskatapulte
Abb. 121 왖
gastraphetes:
1: Rekonstruktion,
2: Detail des
Schiebers mit
Abzugsmechanismus,
3: Ausziehen der
Bogensehne.
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über die Sehne gelegt. In dieser Stellung ragt der Schieber über das vordere
Ende der Führungsschiene hinaus. Das vordere Ende der Waffe wird nun gegen den Boden oder eine Wand gestemmt und das gebogene Ende der Führungsschiene gegen den Bauch gedrückt. Der Schütze drückt mit ganzer Kraft
nach unten und der Schieber gleitet in der Führungsschiene nach hinten.
Um zu verhindern, dass der Schieber wieder zurückrutscht, sind an seinem
hinteren Ende zwei Klauen befestigt, die in Kerben auf der Führungsschiene
einrasten. Ist die Sehne ausgezogen, wird der Pfeil eingelegt und der Abzugshebel betätigt. Die Zugkraft eines gastraphetes liegt je nach der Muskelkraft
des Schützen zwischen 68 und 91 kg. Der Vorteil dieser Waffe ist ihre große
Reichweite beziehungsweise größere Durchschlagskraft, wenn mit schweren
Pfeilen geschossen wird. Die Nachteile sind, außer blauen Flecken an Bauch
und Rippen des Schützen, dass die Zugkraft immer noch von der Muskelkraft
des Schützen abhängt, dass bei jedem Schuss neu gezielt werden muss und dass
die Zeitspanne zwischen den Schüssen daher relativ lang ist.
In der Folge behob man diese Einschränkungen, indem man die Waffe
auf einem Stativ aufstellte und eine Seilwinde zum Zurückziehen des Schiebers einsetzte. Dadurch entfällt das Zielen vor jedem Schuss, und durch die
größere Zugkraft können schwerere Pfeile, aber auch Blei- und Steingeschosse abgefeuert werden. Geschütze für Blei- oder Steingeschosse hatten eine
etwas breitere Sehne mit einer Schlinge für das Geschoss und einem Ring für
das Zugseil.
XII. Kriegstechnik
Ein zweiarmiges Katapult besteht aus einem Spannrahmen mit zwei vertikalen Torsionsfedern, in denen je ein hölzerner Bogenarm steckt (Abb. 122). Die
Federn sind zwischen zwei eisernen Spannbolzen, die in bronzenen Spannbuchsen eingelassen sind, gespannt. Zwischen den Spannbuchsen und dem
Spannrahmen muss eine Beilagscheibe eingelegt werden, um zu verhindern,
dass sich die Spannbuchsen durch die beim Abschuss auftretenden Kräfte
in den Spannrahmen hineindrücken. Durch Drehen der Spannbuchsen mit
hebelartigen Spannschlüsseln werden die Federn vor dem Gefecht verdrillt.
Dabei ist darauf zu achten, dass beide Federn gleich stark verdrillt werden.
Um die Buchsen nach dem Verdrillen zu fixieren, sind sie entweder mit Sperrzähnen versehen, in die auf dem Spannrahmen angebrachte Sperrklinken
eingreifen, oder sie weisen Bohrlöchern auf, durch die Stifte in entsprechende Löcher der Beilagscheibe gesteckt werden. Zum Schutz der Torsionsfedern
ist an der Vorderseite des Spannrahmens ein Schutzschild aus Metall mit
einer Öffnung für Schieber und Geschoss angebracht. Spannbuchsen, Spannbolzen und Schutzschilde sind aus archäologischen Fundkomplexen bekannt.
왗 Abb. 122
Rahmen eines
zweiarmigen Torsionskatapultes.
2. Torsionskatapulte
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왗 Abb. 124
scorpio:
1: Seitenansicht,
2: Frontalansicht
(a: Gelenk für
horizontales
Schwenken,
b: Gelenk für
vertikales
Schwenken).
Abb. 123 왖
Zweiarmiges
Torsionskatapult
(Draufsicht):
Drehwinkel der
Bogenarme:
1: euthytonos
(GeradeausFeder),
2: palintonos
(zurückgebogene Feder).
Die Schusskraft des Geschützes ist abhängig von der Größe der Federn
und dem Drehwinkel der Bogenarme nach vorn, der von der Bauweise des
Rahmens abhängig ist. Abbildung 123 zeigt die beiden möglichen Bauarten,
die Heron von Alexandria euthytonos (Geradeaus-Feder) und palintonos (zurückgebogene Feder) nennt (Heron bel. p. 74 und 103–104). Im ersten Fall
(Abb. 123, 1) sind beide Federn in einem Rahmen untergebracht. Mit Geschützen dieser Bauart können nur Pfeilgeschosse abgefeuert werden. Im zweiten
Fall hat jede Feder ihren eigenen Rahmen (Abb. 123, 2). Durch Schrägstellen
der Rahmen zueinander wird der Drehwinkel der Bogenarme merkbar größer und die Geschütze werden damit leistungsfähiger. Mit Geschützen dieser
Bauart können Steingeschosse und Pfeile abgeschossen werden.
Die Waffe wird gespannt, indem der Schieber in der Führungsschiene
nach vorn geschoben und die Sehne in die Klaue eingehängt wird. Dann wird
der Schieber mit einer Seilwinde nach hinten gezogen. Anstelle der Kerben auf
der Führungsschiene tritt meist ein an der Seilwinde angebrachter Zahnkranz
mit einer Sperrklinke. Wenn die Waffe gespannt ist, wird das Geschoss eingelegt und der Abzugshebel betätigt.
Vitruv beschreibt zwei Arten von Standardkatapulten, nämlich den
scorpio zum Abschießen von Pfeilen und die ballista für Steingeschosse. Die
cheiroballistra (Handballista: lateinisch manuballista) ist ein leichtes, aus
Metall konstruiertes Pfeilgeschütz. Der Aufbau dieser Waffe wird von Heron
von Alexandria in seinem gleichnamigen Werk Cheiroballistra beschrieben.
scorpio
Die Maße der einzelnen Bauteile des scorpio (Abb. 124) sind abhängig von
der Länge der Pfeile, die abgeschossen werden sollen. Laut Vitruv soll der
Durchmesser der foramina ein Neuntel der Länge des Pfeils betragen. Um
zielgenaues Einrichten zu gewährleisten, ist das Geschütz mit einem Universalgelenk auf dem Stativ befestigt.
ballista
Die Maße der einzelnen Bauteile dieses Geschützes (Abb. 125) sind abhängig
vom Gewicht des Steingeschosses, das abgefeuert werden soll. Vitruv gibt die
왗 Abb. 125
ballista.
Vitruvs Katapulte (Vitr. 10, 10–12)
Als Grundmaß für die einzelnen Bauteile der Geschütze gibt Vitruv den
Durchmesser der Bohrungen am Spannrahmen an (foramen), durch die die
Torsionsfedern geführt werden (Abb. 122). Die Abmessungen der einzelnen
Bauteile der Geschütze sind entweder Vielfache oder Bruchteile dieses Grundmaßes.
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2. Torsionskatapulte
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