Stefan Sagmeister auf der Terrasse seines Studios

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Stefan Sagmeister auf der Terrasse seines Studios
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Stefan Sagmeister auf der Terrasse seines Studios
Fotografiert von Birgit Schaller
„Die Schönheit, selbst etwas zu schaffen“
Stefan Sagmeister, Star der internationalen Designszene,
möchte vor allem eines: Menschen berühren
Interview von Birgit Schaller
C
helsea, Manhattan. Hier trifft sich New Yorks Visual Arts Community in 250 Galerien und Studios. Eines davon,
Sagmeister Inc., gehört dem Bregenzer Stefan Sagmeister, dem Designer von CD-Covers für
Aerosmith und die Rolling Stones, 2009 ausgezeichnet mit dem Lucky Strike Design Award;
ein Designer, der Texte in seinen Oberkörper ritzten lässt und kürzlich seine ganz persönliche
­Lebenserfahrung, als Design-Kunstwerk gestaltet, in Buchform veröffentlichte. Die Agentur liegt
gleich neben dem berühmten Chelsea Hotel, in dem sich Schriftsteller wie Arthur Miller und
Musiker wie Jimi Hendrix ein Stelldichein gaben. Am Studio-Eingang hängt ein Schild: „third
world office, first world awards“. Das Studio ist wirklich bescheiden: ein Raum, eine Küche,
­eine kleine Terrasse. Die Tür wird geöffnet. Vor mir steht ein sehr großer, schlanker Mann mit
wachen Augen: „Hallo, ich bin Stefan“, begrüßt er mich. Wir gehen auf die Terrasse, setzen uns
auf zwei wackelige Holzstühle an einem zerbrechlichen Tisch. Neben uns dröhnt einer der in
New Yorks Hinterhöfen überall
präsenten Ventilatoren. Stefan
zündet sich einen Zigarillo an; bis
das absolute Maximum. Das Thema
Besteller Bereits dein Großvater war
zum Ende des Gesprächs ist die
Grafiker …
Musikindustrie hat lange viel Spaß
Packung leer und eine zweite geStefan Sagmeister Mein Großvater
gemacht, wir gestalteten CD-Covers
öffnet – ein Kettenraucher. Es hat
war Schildermaler, also Grafiker.
für Bands wie Aerosmith, die Rolling
40 Grad Hitze, wir essen Kirschen
Die ersten „Grafiker“ übten einen
Stones oder die Talking Heads.
und trinken Wasser. Sein Deutsch
sehr vielseitigen Beruf aus: Toulouseist nach 30 Jahren im Ausland ein
Wie bist du an diese Aufträge
Lautrec oder Schiele war es egal, ob
Vorarlbergerisch, durchsetzt von
­gekommen?
sie Wände, Gemälde oder ein Poster
englischer Grammatik und engliSagmeister Ich ging zu allen und nutzgestalteten. Mein Ziel war es immer,
schen Ausdrücken. Rasch taute die Referenz von M&Co. Es hat
ein Studio zu führen, in dem so eine
chen wir in seine Welt ein, spre­einige Zeit ­gedauert, bis wir ein Cover
große Bandbreite möglich ist.
chen darüber, wie alles begonnen
für Hans Platzkummer gestalteten,
Doch begonnen hast du mit der
hat, warum New York und
­einen ­Österreicher, der mit einer
­Gestaltung von CD-Covers.
­Bregenz besondere Städte sind,
­amerikanischen Band im Untergrund
Sagmeister Als Musiker spielte ich in
dass Design Menschen berühren
sehr erfolgreich war. Dieses Cover
miserablen Bands. Also widmete ich
muss, was für die Mick Jaggers
wurde für den Grammy nominiert.
mich der Cover-Gestaltung (lacht).
dieser Welt von Bedeutung ist,
Du hast zwei Grammys gewonnen –
Nach einem Master am Pratt-Institut
welche Auswirkungen ein Sabba2004 für ein Cover der Talking Heads
in Brooklyn ging ich nach Hongkong,
tical hat und warum ein wenig
und 2009 für das Cover für David
um unter der Schirmherrschaft von
Stardom gut fürs Ego ist.
Leo Burnett ein Grafikstudio zu grün- Byrne & Brian Eno. Wie wird man
­
für den Grammy nominiert?
den. Die Arbeit war sehr kommerziSagmeister
Das funktioniert wie die
ell, aber ich lernte, wie man ein StuOskarnominierung.
Es gibt eine
dio leitet. Dann hat mir mein Hero,
Academy
von
5.000
Leuten aus der
Tibor Kalman, Leiter von M&Co, ErMusik­industrie. Bei Fachkategorien
finder des Benetton Colors Magazine,
gibt es kleinere Kommissionen, die die
ein Angebot gemacht, und ich bin
fünf Besten auswählen. Die Academy
nach New York zurückgekehrt. Kurz
wählt den Sieger. Wer am Ende gedarauf gründete ich mein eigenes
­Studio. Ich wollte klein bleiben, denn winnt, ist Glückssache, es hängt auch
von der Bekanntheit des Künstlers ab.
meine Erfahrung aus Hongkong war,
Das Relevante und Schwierige ist es,
dass mich große Studios nicht anmachen. Wir sind sechs Leute, das ist
die Nomination zu bekommen.
Bestseller 9|10 2010
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Wie ging es weiter?
Sagmeister Es ist alles super gelaufen, bis wir gemerkt haben, dass das fünzigs­
te Cover nicht mehr so viel Spaß machte wie das erste. Es ist langweilig ge­
worden. Also führten wir ein, dass das Studio jedes siebente Jahr zusperrt.
Was bringt ein freies Jahr?
Sagmeister Im ersten kundenfreien Jahr sind wir in New York geblieben, haben
nachgedacht, Konzepte erstellt, diese dann aber überhaupt nicht ausgeführt. Das
zweite Mal, 2009, waren wir in Indonesien. Dort machten wir Experimente. Wir
designten Möbel, und ich habe mit einem Dokumentarfilm begonnen.
Stefan Sagmeister
wurde 1962 in Bregenz geboren und machte in Amerika als Grafik­
designer Karriere. Nach der Angewandten absolvierte er ein Master­
studium am Pratt-Institut in Brooklyn. Sagmeister eröffnete ein Gra­
fikstudio in Hongkong und kehrte nach New York zurück, um bei
M&Co unter Tibor Kalman zu arbeiten. 1992 eröffnete er sein eige­
nes Studio. Er wurde als Designer von CD-Covers für Bands wie die
Rolling Stones, Lou Reed oder Aerosmith bekannt. Humor, Radikales
und Neues zeichnen seine Arbeit aus, sei es, dass sich Sagmeister
einen Einladungstext in die Brust gravieren, oder seine persönlichen
Lebensweisheiten in Kundenaufträge einfließen lässt. Er hat zwei
Grammys gewonnen und wurde 2009 mit dem Lucky Strike Award
ausgezeichnet. Sagmeister lebt in New York, hält weltweit Vorträge
und unterrichtet an der School of Visual Arts, New York.
Wovon handelt der Film?
Sagmeister Es ist ein Film über das Glück.
Ich gebe mir noch drei Jahre dafür.
Und die Möbel?
Sagmeister Damals wurde unser Studio
umgebaut, wir brauchten Möbel. Diese
haben wir selbst gestaltet. In Holland
gibt es die High-End-Möbelfirma Droog.
Sie werden einen Stuhl von uns heraus­
bringen, der auf der Art Basel vorgestellt
wurde. Der Stuhl besteht aus 200 Lagen
perforierten Papiers, das man abziehen
kann. So wechselt er sein Gesicht.
Ist dieser Stuhl bequem?
Sagmeister Im Design kann man in ver­
schiedene Richtungen gehen. Ein Stuhl
dient dem Sitzen, aber er hat auch andere Funktionen – er könnte über das
­Leben heute erzählen. Ich glaube nicht, dass ein unbequemer Stuhl automa­
tisch auch ein schlechter Stuhl ist, denn dann könnte er immer noch eine
Skulptur sein, Aspekte wie Schönheit würden in den Vordergrund treten.
Du hast einen philosophischen Zugang zum Design …
Sagmeister Einen ganzheitlichen. Ich bin überhaupt nicht gegen rein funktio­
nale Sachen, was aber meiner Meinung nach langweilig geworden ist, ist die
­Dominanz des Modernismus in allen Sparten der Gestaltung. Die Idee des
­objektiven Designs, laut der die Form der Funktion folgt – das hatten wir jetzt
100 Jahre lang. Obwohl ich ausgezeichnet verstehe, warum es den BauhausStil gebraucht hat, als das Maschinenzeitalter angebrochen ist. Damals musste
man all den Firlefanz aus dem 19. Jahrhundert und dem Jugendstil radikal
wegsägen. Inzwischen ist das in allen Bereichen, im Produkt- und Grafikdesign
und in der Architektur, Status quo, und das maschinenhafte Design, das 1920
neu, anrüchig und revolutionär war, holt niemanden mehr hinter dem Ofen
hervor. Das liegt auch daran, dass es so unmenschlich daherkommt.
Weil alles so ähnlich aussieht …
Sagmeister Ich glaube, dass es in vielen Sparten des Designs besondere Mög­
lichkeiten gibt – jene des Subjektiven, des Geschichtenerzählens, des ganz
Menschlichen. Es muss nicht die ganze Designwelt auf dieser Schiene fahren.
Aber unser kleines Studio kann das gerne machen.
Sagmeister Inc. bietet inzwischen also eine breite Palette an Arbeiten?
Sagmeister Wir versuchen, die Grafik dorthin zu lotsen, wieder ein unglaublich
breit gefächerter Beruf zu sein. In den 80er-Jahren gab es nur noch Spezialisten.
Das führt zu einer großen Fadesse im Studio. Wir nehmen nur Arbeiten an, die
„New York ist meine
Heimat, aber ich habe
sehr starke Wurzeln in
Bregenz.“ Stefan Sagmeister
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Spaß machen. Die wichtigste Entscheidung
war, klein zu bleiben. Wir wollten unsere Fix­
kosten gering halten, um finanziell nicht von
Kunden abhängig zu sein. So haben wir den
unglaublichen Luxus, dauernd nein zu sagen.
Von zehn Jobs nehmen wir einen an.
Wie finanziert sich das?
Sagmeister Das Studio braucht im Monat in
etwa 50.000 Dollar für Gehälter, Miete und
so weiter. Die sind mit unseren Einnahmen
gut zu erwirtschaften. Inzwischen sind wir
auch nicht mehr von der Wirtschaftsentwick­
lung abhängig. Wir haben weltweit Kunden:
30 Prozent sind in Westeuropa, 30 Prozent in
Asien, die restlichen 40 Prozent in den USA.
Was ist dein kreativer ­Ansatz?
Sagmeister Mein Ansatz ist das Persönliche.
Mein Ziel ist es, zu berühren. ­Etwas Emotio­
nales zu gestalten, gelingt selten, ist aber als
Richtung, glaube ich, ausgezeichnet. Ich bin
immer neidisch auf andere künstlerische Be­
rufe. Mit einem Buch oder einem Film ver­
bringen Menschen viel mehr Zeit, während
vieles von dem, was wir machen, in drei Se­
kunden funktionieren muss. Die Entwick­
lung von etwas, das unter die Haut geht,
dauert länger. Wir arbeiten langsam und
­ohne Zeitdruck. Bei den meisten Jobs neh­
men wir uns drei Monate Entwicklungszeit,
und dann präsentieren wir eine Sache.
Fünf Vorschläge zu bringen, ist im Prinzip
eine Ausrede. Zeigst du nur eine Sache,
dann sollte sie gut sein. Das Einfachste ist
es, 20 mittelmäßige Logos zu gestalten.
Du lehrst an der School of Visual Arts in
NYC. Was gibst du deinen Studenten mit?
Sagmeister Der Hauptkurs, den ich anbiete,
heißt „How to touch somebody‘s heart with
design“. Die Studenten beweisen jedes Se­
mester, dass das möglich ist. Ich stelle drei
Aufgaben: Zunächst müssen sie jemanden,
der ihnen nahe steht, mit ihren Designs
­berühren, dann eine Gruppe von Menschen,
die sie nicht kennen, beispielsweise ein Un­
ternehmen. Ihren Erfolg müssen mir die Stu­
denten beweisen. Manche filmen die Person,
wenn diese die Arbeit zum ersten Mal sieht.
Die letzte Arbeit sollte die Menschheit berüh­
ren und wird als Konzept abgegeben.
Bestseller 9|10 2010
bluetango
Eine Stadt
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macht
Immer mittendrin!
os ins Fernsehen und Internet:
W24 bringt die neuesten Wien-Inf
Wetter und den aktuellen Verkehr
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.at –
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und du bist immer mit dabei.
Ein Mitglied der Wien Holding.
Mich berührte dein Buch „Things I have learned in my life“.
Erzähl ein bisschen: Was hast du in deinem Leben gelernt?
Sagmeister Das Buch ist eine gewachsene Serie und nahm
seinen Lauf nach dem ersten freien Jahr, 2001. Damals hatten wir Kunden, die uns sehr große Freiheiten ließen. Ein
Magazin gab uns zwölf Seiten mit den Worten: „Macht irgendetwas.“ Ich bin dann auf eine Liste in meinem Tagebuch gestoßen, unter dem Titel „Things I have learned in
my life“. Wir nahmen einen Satz davon, „everything I do always comes back to me“, und gestalteten so die Seiten. Der
Widerhall war unglaublich. Daraufhin überredeten wir bestehende Kunden, diese Sätze im Rahmen ihrer Projekte entstehen zu lassen. Eine japanische Firma überzeugte ich frecherweise, „assuming is stifling“ auf ihren Geschäftsbericht
zu drucken. So entstand eine Vortragsserie und das Buch.
Gibt es einen Satz, der dir besonders wichtig ist?
Sagmeister Es gibt jene Sätze, die ich verstanden habe und
automatisch anwende, und jene Sätze, von deren Wahrheit
ich mich täglich neu überzeugen muss. Ein typischer Satz
der ersten Kategorie ist „Worrying solves nothing“: Ich
beschwere mich nie, sondern denke über Lösungen nach.
Kein typischer Österreicher …
Sagmeister … kein Wiener. Ein Satz der anderen Kategorie
wäre „Having guts always works out for me“. Ich verstehe,
dass Mutigsein funktioniert, muss mich dazu aber immer
wieder neu überwinden. Ich glaube aber, dass Gedanken
mittels Training erlernbar sind.
„Kommunikation und Vertrieb –
das grenzt oft schon an Feindschaft“
(Peter Wippermann, Trendbüro in Hamburg)
Was 26 weitere ExpertInnen (u.a. Martin Bredl,
Manfred Bruhn, Peter Drobil, Klaus Merten,
Lothar Rolke, Wolfgang Rosam, Ulrike Röttger,
Fritz Scheuch oder Ansgar Zerfaß) über das Verhältnis
von Marketing & Sales und PR sagen, lesen Sie in:
Peter Dietrich, Sieglinde Martin (Hg.)
Kommunikationsmanagement
27 Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis
LIT-Verlag, 2010
200 Seiten, broschiert
EUR 19,90
ISBN 978-3643501271
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www.kommunikationsmanagement.at
„In Amerika gibt es
eine Grundfreundlichkeit,
die bei uns oft als Oberflächlichkeit missverstanden wird, die aber im
täglichen Leben unglaublich angenehm ist.“
Stefan Sagmeister
Das zeugt von hohen Ansprüchen an dich selbst?
Sagmeister Es geht mir miserabel, wenn ich mich gehen lasse.
Es wäre einfach, immer noch
CD-Covers zu machen, aber ich
wollte mit dem Alten brechen.
Du lebst in New York, führst ein
bekanntes Studio, hast zwei
Grammys gewonnen. Wie wichtig ist Erfolg für dich?
Sagmeister Einer meiner Freunde
sagt immer: „Ein berühmter Grafiker ist wie ein berühmter Elektriker.“ Die Bekanntheit, die man
als Grafiker erlangen kann, ist eine extrem angenehme. Viele unserer Kunden sind richtige Stars,
und ich weiß, dass das zweischneidig ist. Wenn ich zu einem
Designfestival gehe, bin ich ein
Star. Das ist gut fürs Ego. Und
wenn ich die Veranstaltung verlasse, bin ich ein Unbekannter.
Autogramme bekommt man von
mir nur auf Designkonferenzen.
Worauf basiert dein Erfolg?
Sagmeister Da gibt es praktische
Gründe: Wir haben Sagmeister
Inc. 1992 gestartet, und 1993
setzte der Internetboom ein.
Neue Studios konnten echt Geld
machen, aber nur wenige Studios setzten auf Qualität – wir
waren eines davon. Ein weiterer
Punkt ist, dass ich gern Vorträge
halte. Das gefällt mir auch als
Reise-Vehikel. Ich war letztes
Jahr in Tromsø, der nördlichsten Stadt Schwedens. Dort war
ich das Samstagabend-Programm, neben den fünf Grafikern versammelte sich die ganze Stadt. Darüber hinaus haben
wir mit berühmten Menschen
gearbeitet, dieser Ruhm hat ein
wenig auf uns abgefärbt. Eine
beliebte Interviewfrage ist heute
noch „Erzähl‘ uns von Mick
Jagger!“, obwohl unsere Zusammenarbeit zehn Jahre her ist.
Erzähl uns von Mick Jagger!
Sagmeister Es gibt verschiedene
Levels des Startums. Mick Jagger
ist nicht einfach greifbar, mit
ihm bin ich auch nicht befreundet. Aber er war damals sehr
verwachsen mit unserem Cover,
weil das für ihn finanziell
unglaublich wichtig war. Das
Cover beeinflusste das gesamte
Merchandising. Sie haben damals zwei Millionen Platten
verkauft, das waren rund vier
Millionen Dollar. Dann sind da
noch weitere hundert Artikel –
Lederjacken, Buttons, Bleistiftspitzer mit dem Design der CD.
Zum Beispiel gab es eine limitierte Kunstauflage, geprägt, in
Vier-Farben-Druck mit Unterschriften der Stones. Davon
wurden 5.000 Stück zu je 1.999
Dollar verkauft. Das brachte ihnen 10 Millionen Dollar ein. Die
Kosten der Items waren fünf
Dollar pro Stück. Das sind gewaltige Gewinnspannen. Kunstdruck-Käufer sind Die-HardFans. Aber bei den T-Shirts ist
das Design für den Kauf ausschlaggebend. Die Stones sind
eine Marketing-Maschinerie,
und Mick Jagger ist ein Geschäftsmann, er besuchte die
London Business School. Er
liebt Geld. Für ihn ging es darum, eine verkäufliche Ikone zu
erschaffen. Eine echte Freundschaft verbindet mich mit David
Byrne, dem Sänger der Talking
Heads. Er ist anders, kulturell
unglaublich versiert, mit ihm
kann man wirklich gute Sachen
machen. Aber ich bin kein Linker, der sagt, die Geschäftswelt
sei böse. Ich bin selbst in
beiden Welten zuhause.
Bestseller 9|10 2010
Das heißt, du magst die Mischung?
Sagmeister Mischung ermöglicht Veränderung. Jeder Beruf, der Veränderung
erlaubt, ist ein ausgezeichneter Beruf – irgendwann wird alles ein wenig
fad. Wenn ein Kind zum ersten Mal „Mama“ sagt, ist es was Besonderes.
Für das Poster der AIGA Detroit ließ
sich Stefan Sagmeister die Haut ritzen
– er wollte zeigen, wie schmerzhaft die
Entwicklung von guten Design-Umsetzungen sein kann. „Ja, das tat wirklich weh“, meint er schmunzelnd.
Hast du das Gefühl, dass du in New York in einem Zentrum für Design sitzt?
Sagmeister New York ist nicht die beste Designstadt der Welt: Zu dieser
­Kategorie gehören auch London, Tokio oder Amsterdam. Aber in Sachen
zeitgenössische Kunst und ihre Vermarktung ist New York die Nummer
eins. Aber ich bin hierher gezogen, weil mir die Stadt viel besser gefallen
hat als alle anderen.
Wo ist für dich Heimat?
Sagmeister Meine Heimat ist New York, aber ich habe starke Wurzeln in
­Bregenz. Heute hatte ich den Direktor des Vorarlberger Landesmuseums hier.
Das Museum wird 2013 neu eröffnet, und wir werden die Corporate Identity
gestalten. Bregenz ist ein sehr angenehmer Gegensatz zu New York und eine
perfekte Kleinstadt. Es gibt in ganz Amerika kein Pendant zu Bregenz. Das
Kulturprogramm ist hochkarätig, das Kunsthaus Bregenz ist ein Welthaus.
Warum hat es dich in die weite Welt gezogen?
Sagmeister New York hat mich geöffnet. Wien ist ein Klüngelverein. Ein Punk
konnte in kein G‘spritzt‘n-Lokal gehen, als Fotograf lernt man zum Beispiel
keine Architekten kennen. In New York ist das anders. Ich hatte damals auf
einer Seite lange Haare und konnte ohne weiteres in ein Oberschicht-Lokal
gehen. In Amerika gibt es eine Grundfreundlichkeit, die im täglichen Leben
unglaublich angenehm ist. Man kommt mit den Leuten ins Gespräch.
Was sind deine Zukunftspläne?
Sagmeister Ich arbeite am Dokumentarfilm. Ich habe kürzlich den ersten Auftrag für einen Werbefilm angenommen, um dafür zu lernen, und sei es nur,
Mut zu fassen. Was ich gerne machen würde, sind Identities für große Unternehmen. Früher wollte ich für Coke gestalten, nicht nur, weil ich das Produkt
cool finde, sondern weil ich weiß, dass eine Marke wie Coca-Cola einen riesengroßen Einfluss auf das visuelle und kulturelle Leben der Welt hat. Wenn
ich auf die winzigste Insel Malaysiens fahre, die nur einen Bootssteg hat,
dann weiß ich, dass dort ein Coke-Schild hängt. In den 60er- und 70er-Jahren
wurden CIs von kleinen Qualitätsfirmen gestaltet. Nike, IBM oder M
­ ercedes
sind noch heute Beispiele dafür. Das Apple-Logo wurde von Paul Rand kreiert, dem berühmtesten Grafiker Amerikas. Marken, die funktionieren, kommen von den Kleinen. Und es sieht so aus, als würden wir in den nächsten
Wochen mit einer internationalen Firma einen Vertrag unterschreiben.
Ein Satz aus dem Buch
„Things I have learned
in my life“ von Stefan
Sagmeister lautet:
­„Having guts always
works out for me“.
Er gehört zu jenen
­Sätzen, von deren
Wahrheit sich der
Wahl-New Yorker
t­äglich neu über­
zeugen muss: „Mutig
zu sein, kostet mich
Überwindung.“
Grammy 2009 für „Best Recording Package“:
Ausgezeichnet wurde die CD-Box für das
­Album „Everything that happens will
­happen today“ von David Byrne & Brian
Eno – De Luxe-Edition von volkstümlicher
Musik – nicht ohne einen dunklen
Aspekt, der visualiert wurde.
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Der einprägsame Löwe des C
­ overs
„Bridges to Babylon“ sollte die
Merchandising-Maschinerie der
Rolling Stones ankurbeln.
Folgst du deinem eigenen Stil?
Sagmeister Wir haben das lange vermieden.
Ich hatte im Studio den Satz „Style equals
fart“ hängen, also „Ein Stil ist ein Furz“.
Das musste ich zurücknehmen. Von 1993
bis 2000 habe ich gedacht, wir könnten den
Stil ständig ändern. Aber wir liefen Gefahr,
Stile zu stehlen. Wir wurden im Vergleich
zu anderen Grafikern selten nachgeahmt,
weil unsere Kraft im Konzept lag.
Was meinst du damit?
Sagmeister Wenn ich ein Glas nehme, dann
kann ich eine neue Idee für das Design
­haben, also, dass es unten rund ist und sich
verhält wie ein Stehaufmännchen. Das ist
ein Konzept. Nun kann ich dem Konzept
eine Form geben, im Lobmeyr-Stil oder als
Gebrauchsglas. Würde man die Idee, also
das Stehaufmännchen-Glas, abkupfern,
dann wäre das zu offensichtlich. Seit 2000
wurde mehr von uns kopiert, weil wir verstärkt eigene Stilelemente entwickelt haben.
Was inspiriert dich?
Sagmeister Reisen. Ich sammle neue Eindrücke, bin weit weg und gehe freier an die Arbeit heran. Ich glaube, Abwechslung ist für
alle Berufe, in denen das Denken eine Rolle
spielt, wichtig, deshalb ist unser Sabbatical
eine so geniale Sache. In meiner Freizeit sehe ich mir vieles an, bin in Jurys, beobachte,
was läuft, aber es ist unergiebig, sich von
Menschen aus dem eigenen Metier inspirieren zu lassen. Wenn man etwas nachahmt,
kommt nie etwas Besseres heraus, weil man
nicht die Kraft hat, viel zu investieren. Wenn
etwas meine Idee ist, dann behüte ich sie,
betrachte sie mit viel Liebe, suche nach der
richtigen Form, dem passenden Stil. Es ist
wie der Unterschied zwischen Muttersein
und Babysitten. Es geht um die Schönheit,
selbst etwas zu schaffen. Die Freude, an
einer guten Idee zu arbeiten, ist einer der
wertvollsten Aspekte unseres Berufs.
Bestseller 9|10 2010