Stefan Sagmeister auf der Terrasse seines Studios
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Stefan Sagmeister auf der Terrasse seines Studios
78 Stefan Sagmeister auf der Terrasse seines Studios Fotografiert von Birgit Schaller „Die Schönheit, selbst etwas zu schaffen“ Stefan Sagmeister, Star der internationalen Designszene, möchte vor allem eines: Menschen berühren Interview von Birgit Schaller C helsea, Manhattan. Hier trifft sich New Yorks Visual Arts Community in 250 Galerien und Studios. Eines davon, Sagmeister Inc., gehört dem Bregenzer Stefan Sagmeister, dem Designer von CD-Covers für Aerosmith und die Rolling Stones, 2009 ausgezeichnet mit dem Lucky Strike Design Award; ein Designer, der Texte in seinen Oberkörper ritzten lässt und kürzlich seine ganz persönliche Lebenserfahrung, als Design-Kunstwerk gestaltet, in Buchform veröffentlichte. Die Agentur liegt gleich neben dem berühmten Chelsea Hotel, in dem sich Schriftsteller wie Arthur Miller und Musiker wie Jimi Hendrix ein Stelldichein gaben. Am Studio-Eingang hängt ein Schild: „third world office, first world awards“. Das Studio ist wirklich bescheiden: ein Raum, eine Küche, eine kleine Terrasse. Die Tür wird geöffnet. Vor mir steht ein sehr großer, schlanker Mann mit wachen Augen: „Hallo, ich bin Stefan“, begrüßt er mich. Wir gehen auf die Terrasse, setzen uns auf zwei wackelige Holzstühle an einem zerbrechlichen Tisch. Neben uns dröhnt einer der in New Yorks Hinterhöfen überall präsenten Ventilatoren. Stefan zündet sich einen Zigarillo an; bis das absolute Maximum. Das Thema Besteller Bereits dein Großvater war zum Ende des Gesprächs ist die Grafiker … Musikindustrie hat lange viel Spaß Packung leer und eine zweite geStefan Sagmeister Mein Großvater gemacht, wir gestalteten CD-Covers öffnet – ein Kettenraucher. Es hat war Schildermaler, also Grafiker. für Bands wie Aerosmith, die Rolling 40 Grad Hitze, wir essen Kirschen Die ersten „Grafiker“ übten einen Stones oder die Talking Heads. und trinken Wasser. Sein Deutsch sehr vielseitigen Beruf aus: Toulouseist nach 30 Jahren im Ausland ein Wie bist du an diese Aufträge Lautrec oder Schiele war es egal, ob Vorarlbergerisch, durchsetzt von gekommen? sie Wände, Gemälde oder ein Poster englischer Grammatik und engliSagmeister Ich ging zu allen und nutzgestalteten. Mein Ziel war es immer, schen Ausdrücken. Rasch taute die Referenz von M&Co. Es hat ein Studio zu führen, in dem so eine chen wir in seine Welt ein, spreeinige Zeit gedauert, bis wir ein Cover große Bandbreite möglich ist. chen darüber, wie alles begonnen für Hans Platzkummer gestalteten, Doch begonnen hast du mit der hat, warum New York und einen Österreicher, der mit einer Gestaltung von CD-Covers. Bregenz besondere Städte sind, amerikanischen Band im Untergrund Sagmeister Als Musiker spielte ich in dass Design Menschen berühren sehr erfolgreich war. Dieses Cover miserablen Bands. Also widmete ich muss, was für die Mick Jaggers wurde für den Grammy nominiert. mich der Cover-Gestaltung (lacht). dieser Welt von Bedeutung ist, Du hast zwei Grammys gewonnen – Nach einem Master am Pratt-Institut welche Auswirkungen ein Sabba2004 für ein Cover der Talking Heads in Brooklyn ging ich nach Hongkong, tical hat und warum ein wenig und 2009 für das Cover für David um unter der Schirmherrschaft von Stardom gut fürs Ego ist. Leo Burnett ein Grafikstudio zu grün- Byrne & Brian Eno. Wie wird man für den Grammy nominiert? den. Die Arbeit war sehr kommerziSagmeister Das funktioniert wie die ell, aber ich lernte, wie man ein StuOskarnominierung. Es gibt eine dio leitet. Dann hat mir mein Hero, Academy von 5.000 Leuten aus der Tibor Kalman, Leiter von M&Co, ErMusikindustrie. Bei Fachkategorien finder des Benetton Colors Magazine, gibt es kleinere Kommissionen, die die ein Angebot gemacht, und ich bin fünf Besten auswählen. Die Academy nach New York zurückgekehrt. Kurz wählt den Sieger. Wer am Ende gedarauf gründete ich mein eigenes Studio. Ich wollte klein bleiben, denn winnt, ist Glückssache, es hängt auch von der Bekanntheit des Künstlers ab. meine Erfahrung aus Hongkong war, Das Relevante und Schwierige ist es, dass mich große Studios nicht anmachen. Wir sind sechs Leute, das ist die Nomination zu bekommen. Bestseller 9|10 2010 79 Wie ging es weiter? Sagmeister Es ist alles super gelaufen, bis wir gemerkt haben, dass das fünzigs te Cover nicht mehr so viel Spaß machte wie das erste. Es ist langweilig ge worden. Also führten wir ein, dass das Studio jedes siebente Jahr zusperrt. Was bringt ein freies Jahr? Sagmeister Im ersten kundenfreien Jahr sind wir in New York geblieben, haben nachgedacht, Konzepte erstellt, diese dann aber überhaupt nicht ausgeführt. Das zweite Mal, 2009, waren wir in Indonesien. Dort machten wir Experimente. Wir designten Möbel, und ich habe mit einem Dokumentarfilm begonnen. Stefan Sagmeister wurde 1962 in Bregenz geboren und machte in Amerika als Grafik designer Karriere. Nach der Angewandten absolvierte er ein Master studium am Pratt-Institut in Brooklyn. Sagmeister eröffnete ein Gra fikstudio in Hongkong und kehrte nach New York zurück, um bei M&Co unter Tibor Kalman zu arbeiten. 1992 eröffnete er sein eige nes Studio. Er wurde als Designer von CD-Covers für Bands wie die Rolling Stones, Lou Reed oder Aerosmith bekannt. Humor, Radikales und Neues zeichnen seine Arbeit aus, sei es, dass sich Sagmeister einen Einladungstext in die Brust gravieren, oder seine persönlichen Lebensweisheiten in Kundenaufträge einfließen lässt. Er hat zwei Grammys gewonnen und wurde 2009 mit dem Lucky Strike Award ausgezeichnet. Sagmeister lebt in New York, hält weltweit Vorträge und unterrichtet an der School of Visual Arts, New York. Wovon handelt der Film? Sagmeister Es ist ein Film über das Glück. Ich gebe mir noch drei Jahre dafür. Und die Möbel? Sagmeister Damals wurde unser Studio umgebaut, wir brauchten Möbel. Diese haben wir selbst gestaltet. In Holland gibt es die High-End-Möbelfirma Droog. Sie werden einen Stuhl von uns heraus bringen, der auf der Art Basel vorgestellt wurde. Der Stuhl besteht aus 200 Lagen perforierten Papiers, das man abziehen kann. So wechselt er sein Gesicht. Ist dieser Stuhl bequem? Sagmeister Im Design kann man in ver schiedene Richtungen gehen. Ein Stuhl dient dem Sitzen, aber er hat auch andere Funktionen – er könnte über das Leben heute erzählen. Ich glaube nicht, dass ein unbequemer Stuhl automa tisch auch ein schlechter Stuhl ist, denn dann könnte er immer noch eine Skulptur sein, Aspekte wie Schönheit würden in den Vordergrund treten. Du hast einen philosophischen Zugang zum Design … Sagmeister Einen ganzheitlichen. Ich bin überhaupt nicht gegen rein funktio nale Sachen, was aber meiner Meinung nach langweilig geworden ist, ist die Dominanz des Modernismus in allen Sparten der Gestaltung. Die Idee des objektiven Designs, laut der die Form der Funktion folgt – das hatten wir jetzt 100 Jahre lang. Obwohl ich ausgezeichnet verstehe, warum es den BauhausStil gebraucht hat, als das Maschinenzeitalter angebrochen ist. Damals musste man all den Firlefanz aus dem 19. Jahrhundert und dem Jugendstil radikal wegsägen. Inzwischen ist das in allen Bereichen, im Produkt- und Grafikdesign und in der Architektur, Status quo, und das maschinenhafte Design, das 1920 neu, anrüchig und revolutionär war, holt niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Das liegt auch daran, dass es so unmenschlich daherkommt. Weil alles so ähnlich aussieht … Sagmeister Ich glaube, dass es in vielen Sparten des Designs besondere Mög lichkeiten gibt – jene des Subjektiven, des Geschichtenerzählens, des ganz Menschlichen. Es muss nicht die ganze Designwelt auf dieser Schiene fahren. Aber unser kleines Studio kann das gerne machen. Sagmeister Inc. bietet inzwischen also eine breite Palette an Arbeiten? Sagmeister Wir versuchen, die Grafik dorthin zu lotsen, wieder ein unglaublich breit gefächerter Beruf zu sein. In den 80er-Jahren gab es nur noch Spezialisten. Das führt zu einer großen Fadesse im Studio. Wir nehmen nur Arbeiten an, die „New York ist meine Heimat, aber ich habe sehr starke Wurzeln in Bregenz.“ Stefan Sagmeister 80 Spaß machen. Die wichtigste Entscheidung war, klein zu bleiben. Wir wollten unsere Fix kosten gering halten, um finanziell nicht von Kunden abhängig zu sein. So haben wir den unglaublichen Luxus, dauernd nein zu sagen. Von zehn Jobs nehmen wir einen an. Wie finanziert sich das? Sagmeister Das Studio braucht im Monat in etwa 50.000 Dollar für Gehälter, Miete und so weiter. Die sind mit unseren Einnahmen gut zu erwirtschaften. Inzwischen sind wir auch nicht mehr von der Wirtschaftsentwick lung abhängig. Wir haben weltweit Kunden: 30 Prozent sind in Westeuropa, 30 Prozent in Asien, die restlichen 40 Prozent in den USA. Was ist dein kreativer Ansatz? Sagmeister Mein Ansatz ist das Persönliche. Mein Ziel ist es, zu berühren. Etwas Emotio nales zu gestalten, gelingt selten, ist aber als Richtung, glaube ich, ausgezeichnet. Ich bin immer neidisch auf andere künstlerische Be rufe. Mit einem Buch oder einem Film ver bringen Menschen viel mehr Zeit, während vieles von dem, was wir machen, in drei Se kunden funktionieren muss. Die Entwick lung von etwas, das unter die Haut geht, dauert länger. Wir arbeiten langsam und ohne Zeitdruck. Bei den meisten Jobs neh men wir uns drei Monate Entwicklungszeit, und dann präsentieren wir eine Sache. Fünf Vorschläge zu bringen, ist im Prinzip eine Ausrede. Zeigst du nur eine Sache, dann sollte sie gut sein. Das Einfachste ist es, 20 mittelmäßige Logos zu gestalten. Du lehrst an der School of Visual Arts in NYC. Was gibst du deinen Studenten mit? Sagmeister Der Hauptkurs, den ich anbiete, heißt „How to touch somebody‘s heart with design“. Die Studenten beweisen jedes Se mester, dass das möglich ist. Ich stelle drei Aufgaben: Zunächst müssen sie jemanden, der ihnen nahe steht, mit ihren Designs berühren, dann eine Gruppe von Menschen, die sie nicht kennen, beispielsweise ein Un ternehmen. Ihren Erfolg müssen mir die Stu denten beweisen. Manche filmen die Person, wenn diese die Arbeit zum ersten Mal sieht. Die letzte Arbeit sollte die Menschheit berüh ren und wird als Konzept abgegeben. Bestseller 9|10 2010 bluetango Eine Stadt m m a r g o r P macht Immer mittendrin! os ins Fernsehen und Internet: W24 bringt die neuesten Wien-Inf Wetter und den aktuellen Verkehr Event-Tipps, Nachrichten, Beiträge, via Life-Kameras. .at – W24 auf Kabel TV oder www.w24 und du bist immer mit dabei. Ein Mitglied der Wien Holding. Mich berührte dein Buch „Things I have learned in my life“. Erzähl ein bisschen: Was hast du in deinem Leben gelernt? Sagmeister Das Buch ist eine gewachsene Serie und nahm seinen Lauf nach dem ersten freien Jahr, 2001. Damals hatten wir Kunden, die uns sehr große Freiheiten ließen. Ein Magazin gab uns zwölf Seiten mit den Worten: „Macht irgendetwas.“ Ich bin dann auf eine Liste in meinem Tagebuch gestoßen, unter dem Titel „Things I have learned in my life“. Wir nahmen einen Satz davon, „everything I do always comes back to me“, und gestalteten so die Seiten. Der Widerhall war unglaublich. Daraufhin überredeten wir bestehende Kunden, diese Sätze im Rahmen ihrer Projekte entstehen zu lassen. Eine japanische Firma überzeugte ich frecherweise, „assuming is stifling“ auf ihren Geschäftsbericht zu drucken. So entstand eine Vortragsserie und das Buch. Gibt es einen Satz, der dir besonders wichtig ist? Sagmeister Es gibt jene Sätze, die ich verstanden habe und automatisch anwende, und jene Sätze, von deren Wahrheit ich mich täglich neu überzeugen muss. Ein typischer Satz der ersten Kategorie ist „Worrying solves nothing“: Ich beschwere mich nie, sondern denke über Lösungen nach. Kein typischer Österreicher … Sagmeister … kein Wiener. Ein Satz der anderen Kategorie wäre „Having guts always works out for me“. Ich verstehe, dass Mutigsein funktioniert, muss mich dazu aber immer wieder neu überwinden. Ich glaube aber, dass Gedanken mittels Training erlernbar sind. „Kommunikation und Vertrieb – das grenzt oft schon an Feindschaft“ (Peter Wippermann, Trendbüro in Hamburg) Was 26 weitere ExpertInnen (u.a. Martin Bredl, Manfred Bruhn, Peter Drobil, Klaus Merten, Lothar Rolke, Wolfgang Rosam, Ulrike Röttger, Fritz Scheuch oder Ansgar Zerfaß) über das Verhältnis von Marketing & Sales und PR sagen, lesen Sie in: Peter Dietrich, Sieglinde Martin (Hg.) Kommunikationsmanagement 27 Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis LIT-Verlag, 2010 200 Seiten, broschiert EUR 19,90 ISBN 978-3643501271 ab sofort im Buchhandel www.kommunikationsmanagement.at „In Amerika gibt es eine Grundfreundlichkeit, die bei uns oft als Oberflächlichkeit missverstanden wird, die aber im täglichen Leben unglaublich angenehm ist.“ Stefan Sagmeister Das zeugt von hohen Ansprüchen an dich selbst? Sagmeister Es geht mir miserabel, wenn ich mich gehen lasse. Es wäre einfach, immer noch CD-Covers zu machen, aber ich wollte mit dem Alten brechen. Du lebst in New York, führst ein bekanntes Studio, hast zwei Grammys gewonnen. Wie wichtig ist Erfolg für dich? Sagmeister Einer meiner Freunde sagt immer: „Ein berühmter Grafiker ist wie ein berühmter Elektriker.“ Die Bekanntheit, die man als Grafiker erlangen kann, ist eine extrem angenehme. Viele unserer Kunden sind richtige Stars, und ich weiß, dass das zweischneidig ist. Wenn ich zu einem Designfestival gehe, bin ich ein Star. Das ist gut fürs Ego. Und wenn ich die Veranstaltung verlasse, bin ich ein Unbekannter. Autogramme bekommt man von mir nur auf Designkonferenzen. Worauf basiert dein Erfolg? Sagmeister Da gibt es praktische Gründe: Wir haben Sagmeister Inc. 1992 gestartet, und 1993 setzte der Internetboom ein. Neue Studios konnten echt Geld machen, aber nur wenige Studios setzten auf Qualität – wir waren eines davon. Ein weiterer Punkt ist, dass ich gern Vorträge halte. Das gefällt mir auch als Reise-Vehikel. Ich war letztes Jahr in Tromsø, der nördlichsten Stadt Schwedens. Dort war ich das Samstagabend-Programm, neben den fünf Grafikern versammelte sich die ganze Stadt. Darüber hinaus haben wir mit berühmten Menschen gearbeitet, dieser Ruhm hat ein wenig auf uns abgefärbt. Eine beliebte Interviewfrage ist heute noch „Erzähl‘ uns von Mick Jagger!“, obwohl unsere Zusammenarbeit zehn Jahre her ist. Erzähl uns von Mick Jagger! Sagmeister Es gibt verschiedene Levels des Startums. Mick Jagger ist nicht einfach greifbar, mit ihm bin ich auch nicht befreundet. Aber er war damals sehr verwachsen mit unserem Cover, weil das für ihn finanziell unglaublich wichtig war. Das Cover beeinflusste das gesamte Merchandising. Sie haben damals zwei Millionen Platten verkauft, das waren rund vier Millionen Dollar. Dann sind da noch weitere hundert Artikel – Lederjacken, Buttons, Bleistiftspitzer mit dem Design der CD. Zum Beispiel gab es eine limitierte Kunstauflage, geprägt, in Vier-Farben-Druck mit Unterschriften der Stones. Davon wurden 5.000 Stück zu je 1.999 Dollar verkauft. Das brachte ihnen 10 Millionen Dollar ein. Die Kosten der Items waren fünf Dollar pro Stück. Das sind gewaltige Gewinnspannen. Kunstdruck-Käufer sind Die-HardFans. Aber bei den T-Shirts ist das Design für den Kauf ausschlaggebend. Die Stones sind eine Marketing-Maschinerie, und Mick Jagger ist ein Geschäftsmann, er besuchte die London Business School. Er liebt Geld. Für ihn ging es darum, eine verkäufliche Ikone zu erschaffen. Eine echte Freundschaft verbindet mich mit David Byrne, dem Sänger der Talking Heads. Er ist anders, kulturell unglaublich versiert, mit ihm kann man wirklich gute Sachen machen. Aber ich bin kein Linker, der sagt, die Geschäftswelt sei böse. Ich bin selbst in beiden Welten zuhause. Bestseller 9|10 2010 Das heißt, du magst die Mischung? Sagmeister Mischung ermöglicht Veränderung. Jeder Beruf, der Veränderung erlaubt, ist ein ausgezeichneter Beruf – irgendwann wird alles ein wenig fad. Wenn ein Kind zum ersten Mal „Mama“ sagt, ist es was Besonderes. Für das Poster der AIGA Detroit ließ sich Stefan Sagmeister die Haut ritzen – er wollte zeigen, wie schmerzhaft die Entwicklung von guten Design-Umsetzungen sein kann. „Ja, das tat wirklich weh“, meint er schmunzelnd. Hast du das Gefühl, dass du in New York in einem Zentrum für Design sitzt? Sagmeister New York ist nicht die beste Designstadt der Welt: Zu dieser Kategorie gehören auch London, Tokio oder Amsterdam. Aber in Sachen zeitgenössische Kunst und ihre Vermarktung ist New York die Nummer eins. Aber ich bin hierher gezogen, weil mir die Stadt viel besser gefallen hat als alle anderen. Wo ist für dich Heimat? Sagmeister Meine Heimat ist New York, aber ich habe starke Wurzeln in Bregenz. Heute hatte ich den Direktor des Vorarlberger Landesmuseums hier. Das Museum wird 2013 neu eröffnet, und wir werden die Corporate Identity gestalten. Bregenz ist ein sehr angenehmer Gegensatz zu New York und eine perfekte Kleinstadt. Es gibt in ganz Amerika kein Pendant zu Bregenz. Das Kulturprogramm ist hochkarätig, das Kunsthaus Bregenz ist ein Welthaus. Warum hat es dich in die weite Welt gezogen? Sagmeister New York hat mich geöffnet. Wien ist ein Klüngelverein. Ein Punk konnte in kein G‘spritzt‘n-Lokal gehen, als Fotograf lernt man zum Beispiel keine Architekten kennen. In New York ist das anders. Ich hatte damals auf einer Seite lange Haare und konnte ohne weiteres in ein Oberschicht-Lokal gehen. In Amerika gibt es eine Grundfreundlichkeit, die im täglichen Leben unglaublich angenehm ist. Man kommt mit den Leuten ins Gespräch. Was sind deine Zukunftspläne? Sagmeister Ich arbeite am Dokumentarfilm. Ich habe kürzlich den ersten Auftrag für einen Werbefilm angenommen, um dafür zu lernen, und sei es nur, Mut zu fassen. Was ich gerne machen würde, sind Identities für große Unternehmen. Früher wollte ich für Coke gestalten, nicht nur, weil ich das Produkt cool finde, sondern weil ich weiß, dass eine Marke wie Coca-Cola einen riesengroßen Einfluss auf das visuelle und kulturelle Leben der Welt hat. Wenn ich auf die winzigste Insel Malaysiens fahre, die nur einen Bootssteg hat, dann weiß ich, dass dort ein Coke-Schild hängt. In den 60er- und 70er-Jahren wurden CIs von kleinen Qualitätsfirmen gestaltet. Nike, IBM oder M ercedes sind noch heute Beispiele dafür. Das Apple-Logo wurde von Paul Rand kreiert, dem berühmtesten Grafiker Amerikas. Marken, die funktionieren, kommen von den Kleinen. Und es sieht so aus, als würden wir in den nächsten Wochen mit einer internationalen Firma einen Vertrag unterschreiben. Ein Satz aus dem Buch „Things I have learned in my life“ von Stefan Sagmeister lautet: „Having guts always works out for me“. Er gehört zu jenen Sätzen, von deren Wahrheit sich der Wahl-New Yorker täglich neu über zeugen muss: „Mutig zu sein, kostet mich Überwindung.“ Grammy 2009 für „Best Recording Package“: Ausgezeichnet wurde die CD-Box für das Album „Everything that happens will happen today“ von David Byrne & Brian Eno – De Luxe-Edition von volkstümlicher Musik – nicht ohne einen dunklen Aspekt, der visualiert wurde. 84 Der einprägsame Löwe des C overs „Bridges to Babylon“ sollte die Merchandising-Maschinerie der Rolling Stones ankurbeln. Folgst du deinem eigenen Stil? Sagmeister Wir haben das lange vermieden. Ich hatte im Studio den Satz „Style equals fart“ hängen, also „Ein Stil ist ein Furz“. Das musste ich zurücknehmen. Von 1993 bis 2000 habe ich gedacht, wir könnten den Stil ständig ändern. Aber wir liefen Gefahr, Stile zu stehlen. Wir wurden im Vergleich zu anderen Grafikern selten nachgeahmt, weil unsere Kraft im Konzept lag. Was meinst du damit? Sagmeister Wenn ich ein Glas nehme, dann kann ich eine neue Idee für das Design haben, also, dass es unten rund ist und sich verhält wie ein Stehaufmännchen. Das ist ein Konzept. Nun kann ich dem Konzept eine Form geben, im Lobmeyr-Stil oder als Gebrauchsglas. Würde man die Idee, also das Stehaufmännchen-Glas, abkupfern, dann wäre das zu offensichtlich. Seit 2000 wurde mehr von uns kopiert, weil wir verstärkt eigene Stilelemente entwickelt haben. Was inspiriert dich? Sagmeister Reisen. Ich sammle neue Eindrücke, bin weit weg und gehe freier an die Arbeit heran. Ich glaube, Abwechslung ist für alle Berufe, in denen das Denken eine Rolle spielt, wichtig, deshalb ist unser Sabbatical eine so geniale Sache. In meiner Freizeit sehe ich mir vieles an, bin in Jurys, beobachte, was läuft, aber es ist unergiebig, sich von Menschen aus dem eigenen Metier inspirieren zu lassen. Wenn man etwas nachahmt, kommt nie etwas Besseres heraus, weil man nicht die Kraft hat, viel zu investieren. Wenn etwas meine Idee ist, dann behüte ich sie, betrachte sie mit viel Liebe, suche nach der richtigen Form, dem passenden Stil. Es ist wie der Unterschied zwischen Muttersein und Babysitten. Es geht um die Schönheit, selbst etwas zu schaffen. Die Freude, an einer guten Idee zu arbeiten, ist einer der wertvollsten Aspekte unseres Berufs. Bestseller 9|10 2010