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PARKTHEATER: Das Darmstädter Kikeriki-Theater präsentierte die Inszenierung „Himmel, Arsch und Zwirn“ / Zweimal ausverkauftes Haus Finanzbeamter schmort in der Vorhölle Ein Finanzbeamter zwischen Himmel und Hölle: Das KikerikiTheater brachte am Freitag und Samstag seine neue Inszenierung im Parktheater auf die Bühne. © Neu BENSHEIM. Beamte haben es schwer, vor allem Finanzbeamte. Wasser auf die Mühlen des Klischees kippt das Darmstädter Kikeriki-Theater aus der Comedy-Hall. In der diesjährigen Inszenierung "Himmel, Arsch und Zwirn" lassen die Macher den Steuereintreiber namens Zwirn in der Vorhölle schmoren. Dort ziehen drei makabre Gestalten wortgewaltig die Fäden mit dem Charme der Dialekte: der eine im rasanten Südhessisch, der andere im gemütlichen, vokalgedehnten Wienerisch und der dritte in einem Deutsch, das in seiner abenteuerlichen Grammatik und dem harten rollendem R die Migration aus der südasiatischen Welt vermuten lässt. Das Publikum im Parktheater füllte am Freitag wie auch am Samstag alle Ränge und genoss den Ausflug ins Absurde. Aktentasche unterm Arm Das Kikeriki-Theater kreierte ein Figurenkabinett, das geradezu vom Kontrast lebte und sich als sprudelnde Quelle für skurrilen Humor anbot. Auf der einen Seite der Finanzbeamte Raimund Zwirn (Detlef Kühner), ein kühler Westfale aus Bad Salzuflen, nüchtern und gradlinig, zugeknöpft im feinen Anzug, aber mit Hochwasserhosen und der legendären Aktentasche unter dem Arm. Auf der anderen Seite die drei gesichtslosen Figuren mit nur noch sehr dünnem Zottelfell, mit langen Armen und sehr großen Händen. Sie stifteten Chaos und Willkür im Reich der Wolken, das sich auf der gesamten Bühne dreidimensional ausbreitete. Das Trio, allen voran der Hesse, zerrte wie kindliche Banausen an den Nerven des Beamten, dessen Halt wie ein Kartenhaus zusammenfiel. Der heißblütige Hesse klaute ihm Brille und Hut und ließ ein einziges Sprachgewitter mit Schimpftiraden und Anklagen auf ihn niederprasseln. Es sei denn, er vergnügte sich nicht gerade damit, den Neuankömmling mit Täuschungsmanövern zu verwirren und in die Irre zu führen. Er plapperte, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Roland Hotz unterlegte die Handpuppe mit einem Sprachmarathon und in einer enormen Sprechgeschwindigkeit. Selbst bei Ausflügen ins Derbe blitzte der Charme, von der sonoren Melodie des Südhessischen durch. Zum Beispiel als er sich zu Weihnachten ein "Laptöpsche" wünschte. Der Inder mit dem Hindu-Turban auf dem Kopf und roter Sonnenbrille auf der Nase gab sich äußerst zuvorkommend, bot Kaffee und Torte an, was jedoch nie ankam. Der Wiener mit dem Napoleon-Hut führte die Regie im Reiche und strahlte im breiten, vokalbetonenden Dialekt Langsamkeit und Übersicht aus. Erst allmählich erschlossen sich Zwirn im Dialektkonglomerat die WFragen: Die makabren Typen zwischen Himmel und Hölle erklärten, dass er bei dem Versuch, eine gemeine Stubenfliege zu fangen, aus seinem im dritten Stock gelegenen Büro gestürzt sei. Jetzt müsse er sich einem sogenannten Relegationsausschuss mit Sitz in den Wolken stellen. In dieser Zwischenstation entschieden die drei abstrusen Gestalten, ob die Reise in den Himmel oder zurück zur Erde führt. Nur kurz erhielt Zwirn in den Wolken menschliche Gesellschaft: ein Penner, der sich die Flasche mit Hochprozentigem an den Hals hielt und seine Publikumsbeschimpfungen einstreute. Die Juroren winkten ihn schnell durch und schickten ihn zur Erde zurück. Bei Zwirn lief das Prozedere nicht so reibungslos ab. Wie StasiAkten füllten seine Verfehlungen von der Geburt bis zur Bahre die dicken Ordner. Das Trio lüftete den Schleier der Vergangenheit. Als Säugling brachte sein Urinstrahl die Hebamme zum Sturz, die eine Stubenfliege tötete - das Geschehen konnte das Publikum auch optisch nachvollziehen über eingeblendete Cartoons. Absurdes Spiel Später als Rotzlöffel machte sich Zwirn an Nachbars Apfelbaum zu schaffen. Diesmal spielten playmobilgroße Figuren das Geschehen nach. Zum Schluss bediente man sich des Schattentheaters, um dem Finanzbeamten die fatale Geschichte mit den getöteten Hühnern und dem geflohenen Hahn vorzuhalten. Die Truppe genoss das absurde Spiel, vor allem mit der Sprache. Sie kokettierte mit Alliterationen, Metaphern und Doppeldeutungen. Mal streute Roland Hotz als Penner im Zungenschlag eines Heinz Erhardt ein Gedicht über Martin Luther und das Hier und Jetzt ein und setzte den Reim, der fast in jedem Wort stand, im Überfluss in Szene. Im nächsten Atemzug behauptete er dann: "Jeder Klempner ist ein Dichter." Es spielten: Detlef Kühner (als Zwirn) und "Kikeriki"-Chef Roland Hotz, der auch dem Hessen seine Stimme gab. Als Puppenspieler wirkten zudem Bernd Körner und Lukas Hotz mit. Die Regie führte Lidija Zambelli, die mit Roland Hotz die Texte geschrieben hatte. moni © Bergsträßer Anzeiger, Montag, 08.12.2014