ein land in stichworten - Brandenburgische Landeszentrale für
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DAS BRANDENBUCH. EIN LAND IN STICHWORTEN Herausgegeben von der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung INHALT Von A bis Z 10 31 47 Vorwort Blaues Blut Doppelleben Der märkische Adel Provinz und Metropole A 35 Brandenburch 14 Grausame Wahrheiten Aar zur Regionalsprache E 51 Wappentier Engagement und Landeshymne Freiwilligenarbeit und Ehrenamt C 17 55 Adern 38 Enquete Flusslandschaften Cartuffel Die kleine »größte DDR« Vom Kartoffelbefehl aller Zeiten und Wasserstraßen zum Grundnahrungsmittel 22 F Auf Sendung 41 Film, Funk Charakterköpfe und Fernsehen Bedeutende Landeskinder 59 im Portrait Façon B Aufklärung und Zuwanderung D 26 in Preußen 64 Bekenntnis 43 Forschergeist Eine kurze Geschichte Domownja Eine Reise durch des märkischen Glaubens Sorbisch /wendisch / brandenburgisch die Wissenschaftslandschaft Inhalt 67 89 Fragezeichen Homo brandenburgensis Drei Hauptschwierigkeiten Menschen beim Verstehen Brandenburgs in Brandenburg L 115 Labor Der Grenzraum als Chance 70 Fritz I Der streitbare König Landluft 96 G 119 Tourismus und Gastwirtschaft Inszenierungen Theater und Bühne 122 Lange Leitungen 74 Gesundschrumpfen Von der Kohle K zu Wind und Sonne 100 125 Die Kunst des Stadtumbaus 77 Klangkörper Lichtspiele Gewinn Brandenburgische Ausflüge ins Filmland Zuwanderung gestern und heute Konzerte 130 103 H Lost Places Kontamination Der Reiz vergessener Orte 81 des Nationalsozialismus Hinterlassenschaften Hausmannskost M Zwischen Jägerschnitzel 107 und Teltower Rübchen Körperkultur Der Aufstieg zum Marchia Anekdote Land des Leistungssports Mittelalterliche Wurzeln Das kulinarische Wunder von Wittenberge 133 111 Kulturscheunen 137 86 Die Kunst Mark Herrschaftszeiten im Dorf lassen Zur Bedeutung der Grenze Eine ganz kurze Geschichte Preußens 141 P S 163 189 På gjennomreise Schall und Rauch Der Blick von außen Orts- und Märkerinnen Die starken Töchter Brandenburgs 145 Familiennamen Mies 166 Die Urvilla Pampa 193 Brandenburg Schlossherrin in den Hauptstadtmedien Der Landtag moderner Architektur 148 und seine Präsidentin Modern Art 170 Die Sammlungen Profilbildung 200 Bildender Kunst Der Aufbau Selbstbedienung? einer Hochschullandschaft Die offene Grenze N und ihre Gegner R 151 203 Souverän Nagelprobe 174 Besonderheiten der Schöner leben ohne Nazis Raumpioniere Landesverfassung Neuentdeckung O ländlicher Regionen T 177 156 Regionalexpress 207 Oasen Von Pendlern Theodor Von Alleen und Stoßzeiten Und immer wieder Fontane und Aussteigern 181 159 Reviergänge Ocker Das Jagdgebiet Schorfheide 210 Geschundene und bewegte Landschaften U 186 Übergesamtkunstwerk Rosskur Die Welt Landwirtschaft im Wandel der Zeit der Landschaftsgärten Inhalt 216 239 Überlebenskünstler Wandlungen Management für Vögel, Naturschutzgebiete und Biber und Wölfe ihre militärische Vorgeschichte 219 243 Über Väter Wilde Ehe Brandenburger Die besondere Ministerpräsidenten Nachbarschaft zu Berlin 222 248 Utopie Wortkunst Das Erbe sozialistischen Brandenburgische Literatur Städtebaus V Z 251 225 Zapraszamy Verwallung Die neuen Polen der Uckermark Märkische Landschaft zwischen 254 Mensch und Natur Ziemlich beste Freunde Wie Deutsche und Polen W zueinander finden 257 229 Zweitausenddreißig Wachstumskerne Demografischer Wandel Industrie und als Chance Wirtschaft 236 Wachstumsschmerzen Die Zukunft des Speckgürtels Zahlen & Fakten Wussten Sie schon …? 12 24 Geografie Weihnachtsmannfiliale Brandenburg ist in Himmelpfort »Waldmopszentrum« 29 228 Mutter aller Luxus märkischen Kirchen aus Brandenburg 44 240 217 20 Gewässer 62 Wissenschaft & Innovation 92 Serbski – Sorben oder Wenden? Naturschutz Slawen in der Lausitz made in Brandenburg Geschichte 50 128 Kernkraftwerk Wald in Rheinsberg Anhang 154 98 Historische Orte Allee Allee 184 110 Landwirtschaft Turbinen 196 114 Politik Giraffe im Storchennest 214 169 Naturschutz Sonne satt 232 188 Demografie Obst und Wein aus Werder 246 204 Kultur und Sport Besonderheiten der Verfassung 262 Autorenverzeichnis 267 Stichwortregister 270 Bild- & Quellenverzeichnis 272 Impressum VORWORT Gebrauchsanleitung für das Brandenbuch Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser, zusammen mit der Staatskanzlei hat die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung an der Entwicklung einer neuen Landeskunde gearbeitet. Zwei Jahre der intensiven Planung und Vorbereitung gingen diesem Projekt voraus. Das Format stand schnell fest: Ein Buch sollte es sein, ein »Brandenbuch« eben. Das war ein Ergebnis der Umfrage unter den Menschen im Land, die mitentscheiden sollten, was sie von einer modernen Landeskunde erwarten. Die Geschichte des Landes und die Identität seiner Bewohnerinnen und Bewohner sollten frei von Klischees, aber nicht frei von Humor abgebildet werden. Das Buch sollte verständlich geschrieben sein, dabei unterhaltsam wirken, thematisch abwechslungsreich mit Ausflügen in die Kunst, Kultur und Medien bestückt sein, Beziehungen zu den Nachbarn des Landes und den demographischen Wandel behandeln. Ein Lesebuch sollte es werden, das fundierte Informationen enthält, die abwechslungsreich präsentiert werden. Das waren berechtigte, aber auch hohe Ansprüche an eine einzelne Publikation. Die Auswahl der Autorinnen und Autoren wurde umso wichtiger. Wir haben uns für eine Mischung aus Journalisten, Wissenschaftlern, Mitarbeitern der Landesregierung und Privatpersonen entschieden, die jeweils eine Facette von Brandenburg unter die Lupe genommen haben. Wir danken recht herzlich allen, die mit viel Ideenreichtum und Enthusiasmus zum Gelingen des Projekts beigetragen haben. Herausgekommen ist ein kurzweiliges, abwechslungsreiches Buch mit einer Mischung aus über 60 Texten von 45 Autorinnen und Autoren, die fast alle Bereiche des Landes abdecken. Häufig mit Augenzwinkern, aber immer mit Kenntnis und Liebe zum Land. Aufgebaut im Lexikonstil weckt ein Schlagwort das Interesse für einen Artikel. Wo die Schlagwörter noch zum Teil um die Ecke gedacht sind, wird durch die Überschrift schnell klar, welches Thema Gegenstand des Textes ist. So kann das Buch am Stück, aber eben auch leicht kreuz und quer gelesen werden. Von Aar bis Zweitausenddreißig entsteht so ein Bild von Brandenburg – wie es lebt, wie es spricht, wie es wächst und sich verändert. Unter jedem Artikel finden sich Verweise zu thematisch verwandten Artikeln, die auf dem eben Gelesenen aufbauen. Zusammen mit den Infokästen zu Besonderheiten in der Mark und Grafiken sowie Illustrationen ergibt sich das Bild eines außerordentlich vielfältigen Landes. Auch wenn man meint, das Land zu kennen, verblüffen doch immer wieder neue Fakten und machen Brandenburg umso liebenswerter. Oder wussten Sie auf Anhieb, dass Brandenburg offizielles Waldmopszentrum ist? Dass der Erfinder von Ohropax seinen Firmensitz in Potsdam hatte? Dass auf jeden Einwohner und jede Einwohnerin statistisch gesehen 4.500 Quadratmeter Waldfläche kommen? Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen und Entdecken! Ihre Landeszentrale Ihre Staatskanzlei 11 Geografie Pr i g er Uc k n i tz R up pi ne r L an d S ch or f hei ma rk de Od im er Bar n ru b H a ve llan d ch M är k. Sc hwei z Land Lebus Potsdam Te l t o w F lä mi n g Spr Wismar (Uckermark) N 244 km Besandten W O Jerischke 234 km S max. Ausdehnung Brandenburgs Ortrand ee w al d er N ied lau s i tz Zahlen & Fakten Brandenburg ist das Größte der neuen Bundesländer … Brandenburg hat eine Landesfläche von 29.654 km². … und das fünftgrößte Bundesland Deutschlands. Staatsgrenze zur Republik Polen 279 km Landesgrenze gesamt 1.366 km Höhe in m 200 150 Ku ts ch en be H rg ag 20 el be 1m rg 20 H oh 0, er 2 m Be rg G 18 ol 3, m 7 be m rg 17 Br 8 an m db er g W 17 ac 5 m he -B er ge H ut 17 be 2 rg m 16 Ke 2 m ss el be rg Se 16 m 1m m el be rg Ra 15 ue 7, ns 6 ch m e Be rg e 15 3 m Höchste Erhebungen 100 50 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Stand 2014 13 A AAR Wappentier und Landeshymne Marika Bent D er ein Meter achtzig große Stahlvogel hatte kaum seine Plenarsaals abheben. »Weißer Adler auf weißem Grund? War Schwingen ausgebreitet, da blies ihn ein kräftiger Ge- das nicht die ostfriesische Landesfahne?«, witzelte manch genwind auch schon nieder. Im Sommer 2013 präsentierte Märker und vermutete einen Scherz des sächsischen Archi- der Architekt des neuen Landtags in Potsdam, Peter Kulka, tekten auf Kosten der Brandenburger. Viele aber kamen ins seinen Entwurf für das Wappentier. Kulka hatte sich etwas Grübeln. Ließen nicht Heimatchöre im ganzen Land stets ei- Besonderes einfallen lassen: Brandenburgs Adler war weiß! nen roten Adler über Sumpf, Sand und dunkle Kiefernwäl- Nach dem Willen des Architekten sollte er sich wie ein blasser der hochsteigen? Und war der Aar hierzulande nicht schon Schatten von den ebenfalls weißen Wänden des modernen immer rot? 14 Aar Ja, der Brandenburgische Adler ist ein roter. Nicht aus po- tender Wirkung. Ändert man seine Farbe, ändert man auch litischer Gesinnung, sondern weil es einst die Askanier im seine Bedeutung. Mittelalter so wollten und auch die späteren Herrscherhäu- Das wussten bereits die Markgrafen im Mittelalter. Die ser bis hin zu den Hohenzollern der Farbe die Treue hielten Wappenkunde vermutet, dass der Brandenburger Adler schon – schwarzer Adler für Preußen, roter Adler für die Provinz einmal einen Farbwechsel erlebt hat – von schwarz nach rot. Mark Brandenburg. In seinem Hoheitszeichengesetz vom 30. Um 1170 zeigte sich das Tier, das für Mut, Kraft und Weitblick Januar 1991 besann sich das frischgebackene Bundesland auf steht, erstmals nachweislich im Siegel des Askaniers Otto I . dieses Erbe und legte fest: »Das Landeswappen zeigt auf ei- Das aus dem Ostharz stammende Adelsgeschlecht regierte die nem Schild in Weiß (Silber) einen nach rechts blickenden, Mark seit 1157. Die Forschung nimmt an, dass die Markgrafen mit goldenen Kleestengeln auf den Flügeln gezierten und als königliche beziehungsweise kaiserliche Amtsträger den gold bewehrten roten Adler.« Reichsadler von ihrem Lehnsherrn übernommen hatten. Die- Das Dresdener Kriegskind Kulka allerdings fremdelte ser war schwarz. Darüber, ob und wie sich der Wechsel zum mit dem Wappentier und dessen Traditionen. Im roten Ad- Rot des Märkischen Adlers vollzog, sind sich die Heraldiker ler sah er wahlweise einen Blutfleck oder bezeichnete ihn als jedoch uneins. Verbreitet ist die These, dass der Federwechsel dünne rote Henne. Im Januar 2014 bekannte Kulka auf der die Unabhängigkeit vom Lehnsherrn demonstrieren sollte. ersten feierlichen Sitzung des neuen Landtags noch einmal Unverkennbar rot prangt schließlich das Wappentier auf seine Abneigung gegenüber dem für ihn kriegerischen Sym- einer der 138 Miniaturen der berühmten Manessischen Lie- bol. »Ich hätte auch lieber die weiße Taube von Picasso dahin derhandschrift. Das Bild aus dem 14. Jahrhundert zeigt Mark- gehängt als euren weißen Adler«, sagte er mit Blick auf die graf Otto I V. mit seiner Gemahlin beim Schachspiel sitzend. gefiederte Supraporte an der Stirnseite des Plenarsaals. Zu Es ist eine friedliche Szene. Der rote Miniatur-Adler wird dem Zeitpunkt war der Widerstand gegen den Weißen aller- Zeuge eines Kampfes, der hier nur auf dem Spielbrett aus- dings schon mächtig angewachsen. Der Streit um die richtige getragen wird. Noch ist das Tier frei von allen späteren Insig- Färbung wurde längst in aller Öffentlichkeit ausgetragen und nien. Kurhut, Schwert, Zepter und Brustschild mit Kämme- war für Spötter ein gefundenes Fressen. rerstab fügten die nachfolgenden Wittelsbacher, böhmischen Luxemburger und Hohenzollern hinzu. Mit all jenem Zierrat Auf der einen Seite der politische Ästhet Kulka, der seinen Entwurf mit Klauen und Zähnen verteidigte, sich auf versehen, behielt der Adler bis 1945 seine gültige Gestalt. sein künstlerisches Urheberrecht berief und Abgeordnete Im Laufe der Jahrhunderte horstete das Tier zudem in aus den Reihen der Linken und Grünen sowie jüngere Bran- den Wappen vieler Städte und Gemeinden. Potsdam, Frank- denburger hinter sich wusste. Auf der anderen Seite tradi- furt (Oder), Templin, Wittenberge, Beelitz oder Schwedt tra- tionsbewusste Märker in- und außerhalb des Landtags, die gen das Tier ergänzt um lokale Attribute wie Stadtmauer, mit Emails, Anrufen, Briefen, Online-Petitionen und par- Schwert, Bootshaken, Jäger oder Hahn im Wappen. Auch in lamentarischen Anträgen dem neuen Vogel zu Leibe rückten. Landstrichen, die einstmals zur Mark Brandenburg gehör- Der Weiße sollte weg! Das Fernsehen sendete Aprilscherze ten, findet sich der rote Adler bis heute. Stendal und Tanger- über den Streit. Im Radio verglich man ihn mit dem Zoff, münde in der Altmark oder Gorzów (Landsberg an der War- den frisch Vermählte beim Einrichten ihrer neuen Wohnung the) und Kostrzyn (Küstrin) in der Neumark haben ihn als haben. Doch jenseits aller Scherze offenbarte die Auseinan- Wappentier behalten. dersetzung, wie es um die Beziehung der Brandenburger Wie allerdings der rote Adler nach Tirol kam, ist bis heute zu ihrem Wappentier stand: Piepegal war ihnen der Vogel ein beliebtes Streitthema zwischen patriotischen Heraldikern nämlich nicht. Im Gegenteil. Ein Symbol, das es aus den Tie- beider Länder. Auch das Bundesland Tirol schmückt sich mit fen der Zeit bis ins Heute geschafft hat, ließ sich nicht ein- einem ganz ähnlichen Vogel. Die Tiroler halten jedoch die fach umdeuten. Der Adler im Landtag war eben gerade kein Vermutung, dass ihr Tier Brandenburgischen Ursprungs sei, Dekostück, sondern ein Hoheitszeichen mit identitätsstif- für völlig »unhaltbar«. Ex-Ministerpräsident Manfred Stolpe 15 A diskutierte einst sogar mit dem Tiroler Landeshauptmann »Die rechte Begeisterung beim Volksmusik-Konzert im Frei- darüber. Von der These, dass der Adler dank Heirat einer as- zeitzentrum von Bernsdorf, Bezirk Cottbus, kam erst auf, als kanischen Prinzessin in die Alpen gelangte, konnte aber auch die ›Oderländer Musikanten‹ das brandenburgische Wappen- Stolpe sein Tiroler Pendant nicht überzeugen. tier besangen: ›Steige hoch, du roter Adler.‹ Die rund 600 Be- Auf musikalischem Gebiet hinterließ der rote Adler eben- sucher hielt es nicht länger auf den Sitzen, lauthals schmet- falls seine Spur. So verlieh er der Komposition des passionier- terten sie das Heimatlied mit. Solche regionalen Hymnen ten Wandervogels Gustav Büchsenschütz Flügel. Unter wel- und landsmannschaftlichen Embleme gewinnen überall in chen Umständen Büchsenschütz sein Lied »Märkische Heide, der DDR an Bedeutung. Nach dem Zerfall der sozialistischen märkischer Sand« schrieb, ist nicht eindeutig zu belegen. Mal Identität – wenn es denn je eine gab – sehen sich viele DDR- soll der damals 21-Jährige in der Nacht vor Himmelfahrt 1923 Bürger vor allem als Brandenburger, Sachsen, Thüringer, An- in der Jugendherberge Vehlefanz zur Feder gegriffen und die haltiner oder Mecklenburger.« Dass der Adler und auch das Zeilen »Steige hoch, du roter Adler, hoch über Sumpf und Märkerlied mehr sein könnten als »landsmannschaftliche« Sand …« zu Papier und anschließend seiner Wandergruppe Erinnerungen, sorgte ebenso für Erstaunen wie die Tatsache, zu Gehör gebracht haben. In einer anderen Version soll Büch- dass die Identitätsstiftung rasant voranschritt. Ab August senschütz lediglich die Melodie beigesteuert haben. Das Lied 1990 bereitete eine Arbeitsgruppe einen Gesetzentwurf über gewann schnell an Popularität, auch unter den Nationalso- Wappen, Flagge und Siegel des zu gründenden Landes vor zialisten, die es um eine sogenannte Hakenkreuz-Strophe und griff dabei auf den schlichten askanischen Adler zurück. erweitern ließen und damit sein Schicksal für die Zeit nach Der Verzicht auf die alten Machtinsignien sollte ein Zeichen Kriegsende besiegelten: In der DDR war »Märkische Heide« der Friedfertigkeit sein. verpönt und unerwünscht. Nach der Wende machte der dama- Der Schlüssel zum Kompromiss im jüngsten Adlerstreit lige Ministerpräsident Manfred Stolpe das Stück wieder sa- lag ebenfalls im Vereinfachen, Stilisieren und Verkleinern. lonfähig. Es sei identitätsstiftend, so Stolpe seinerzeit. In den Von einem Meter achtzig schrumpfte das neue Tier auf Rang einer offiziellen Landeshymne hat es das Lied jedoch A4‑Größe und passt nun genau auf das Rednerpult. Dafür ist nie geschafft. Zu groß war die Last seiner musikalischen Ver- es völlig rot, auch an Klauen, Schnabel und Kleestängeln. Der gangenheit. 1994 scheiterte ein entsprechender Antrag der Platz über der Tür, wo Kulkas Adler hing, ist verwaist. Wer SPD im Landtag. So bleibt ein Schatten über der beliebten den Weißen sucht, findet ihn im Keller des Landtagsschlos- und vielgesungenen »Märkischen Heide«. ses. So wollte es der Architekt. Lieber einen weißen Adler im Nicht viel besser erging es nach Kriegsende dem roten Schrank als einen roten an der Wand. Mit der Version am Adler, gleichwohl er viel älter war und auf anderer Tradition Rednerpult war Kulka jedoch einverstanden. Er könne mit fußte. Ihm wurde die enge Beziehung zur preußischen Ge- diesem demokratischen Kompromiss leben, ließ er wissen. schichte zum Verhängnis. An seiner statt zierte nach Kriegs- Manch Besucher hat zwar Mühe, den neuen Wappenvogel ende zunächst ein Eichenbaum vor aufgehender Sonne das zu entdecken, bekommt dafür aber die große Geschichte vom Wappen des Landes Brandenburg, in das zusätzlich die Zahl kleinen roten Adler erzählt. 1945 als Beginn einer neuen Ära eingetragen war. Tiefe Wurzeln konnte die junge Eiche jedoch nicht schlagen. Als 1952 das Land Brandenburg aufgelöst und die Bezirke Potsdam, Frankfurt /Oder und Cottbus gegründet wurden, war auch das — Lesetipp — neue Wappen hinfällig. Nach der Wende wurden Eiche und aufgehende Sonne von niemandem vermisst. ↗↗ Schlossherrin S. 193 Der rote Adler dagegen war nicht vergessen. Augenrei- ↗↗ Marchia S. 133 bend registrierte ein SPIEGEL -Reporter im Juli 1990 die wachsende Begeisterung der Noch-DDR-Bürger für alte Symbole: 16 Adern ADERN Flusslandschaften und Wasserstraßen Uwe Rada » W er dem Motto folgt und sich von Dom zu Dom auf den die Rede ist – neben dem von Brandenburg – ist der in Havel- Weg macht, wer das blaue Band als Einladung ver- berg, das bekanntlich in Sachsen-Anhalt liegt. Weil aber beide steht, Land und Leute kennenzulernen, der wird feststellen, Städte an der Havel liegen und Havelberg bis 1952 zu Bran- wie unvergleichlich schön die Havelregion ist – und wie an- denburg gehörte, verbindet dieser vielleicht schönste Fluss ziehend.« Der das stolz und feierlich verkündete, war nicht der Mark die Wiege des Landes mit der Altmark. Theodor Fontane, der Wanderer durch das Havelland, son- Brandenburg ist ein Land der Flüsse. Dabei spielen Elbe dern Joachim Gauck. Am 18. April 2015 eröffnete der deut- und Oder alleine schon geografisch eine eher untergeordnete sche Bundespräsident die Bundesgartenschau, die diesmal Rolle. Die Elbe markiert auf einer Strecke von insgesamt 84,3 in keiner Stadt zu Hause ist, sondern in einer ganzen Fluss- Kilometern die Grenze zwischen Brandenburg und Sachsen, region – dem Havelland. »Von Dom zu Dom. Das blaue Band beziehungsweise zwischen Brandenburg und Sachsen-Anhalt der Havel«, lautete das Motto, und das zeigte einmal mehr, und zu Niedersachsen. Auch die Oder ist ein brandenburgi- dass das 21. Jahrhundert das Zeug hat, zum Jahrhundert der scher Grenzfluss, der auf einer Länge von 179 Kilometern die Flüsse zu werden. Und warum sollte man da in Brandenburg, Grenze zu Polen bildet. Weit mehr Gewicht hat da schon die dem Land der Flüsse, nicht besonders stolz darauf sein. Havel. 285 ihrer 334 Flusskilometer verbringt sie in Bran- Die Havel als Band, das ist eine sympathische Metapher denburg. Bereits Fontane dichtete in seinen Wanderungen für das, was Flüsse können: verbinden. In der Vergangenheit über das Havelland: »Grüß Gott dich Tag, du Preußenwiege, / hatte man sich nämlich angewöhnt, die andere Eigenschaft Geburtstag und Ahnherr unsrer Siege, Und Gruß dir, wo die der Flüsse, die des Trennens, in den Vordergrund zu stel- Wiege stand, / Geliebte Heimat, Havelland!« Der Dichter len. Auch der Leitgedanke von Brandenburg als dem Land schrieb diese Verse unmittelbar nach dem Sieg gegen Frank- zwischen Elbe und Oder folgt noch diesem Gedanken an die reich und der Gründung des Deutschen Reiches 1871. Die Flüsse als »natürliche Grenzen«. Warum nicht also nach der Havel lässt also nicht nur die Herzen der Naturfreunde hö- Bundesgartenschau künftig von einem Land rechts und links her schlagen, sie bringt mitunter auch das patriotische Blut der Havel sprechen? Das wäre eine hübsche Hinterlassen- in Wallung. schaft eines solchen Ereignisses – und es würde der Havel Brandenburgs zweiter Binnenfluss ist die Spree. Wie lang gerecht. Denn der zweite Dom, von dem im Motto der Buga sie ist, hängt davon ab, welche Quelle man ihr zugesteht. Da 17 A die aber auf jeden Fall in Sachsen liegt, ist der Brandenburger der nach einem Fluss benannt ist, der in Brandenburg Ucker Lauf eine eindeutige Sache. Auf einer Länge von 218 Kilo- heißt, und die gleichnamige Mark begründet hat. Buga, Fon- metern durchmisst sie die Mark, wie das Landesamt für Um- tane, Landkreise: Deutlicher kann die Rolle der Flüsse für welt, Gesundheit und Verbraucherschutz weiß. Vielgestaltig die Hervorbringung der Kulturlandschaften und auch der re- ist er, dieser Fluss, der Brandenburg mit Sachsen und mit gionalen Identitäten nicht hervortreten. Mehr noch als ein Berlin verbindet und – als Zufluss der Havel, die wiederum Land der Seen und Wälder ist die Mark ein Land der Flüsse. in die Elbe entwässert, als größter Fluss dritter Ordnung in Natürlich hat auch der Mensch seinen Teil dazu beige- Deutschland gilt. Auf Brandenburger Gebiet fließt sie zu- tragen. Schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde mit dem nächst durch die Tagebaugebiete der Lausitz, erreicht unter- Bau des Finowkanals begonnen. Kurfürst Joachim Friedrich halb von Cottbus den Spreewald, macht dann einen großen hatte 1603 die Order erteilt, und so wurde zwischen 1605 Bogen, um Beeskow mitzunehmen und mäandert als Müg- und 1620 die erste künstliche Wasserstraße der Mark gegra- gelspree schließlich Richtung Berlin. Natürlich gibt es noch ben, die zugleich die zweite in Deutschland war. Namentlich weitere Flüsse, die Dahme zum Beispiel, der Rhin, die Ran- Eberswalde galt damals, wegen des Kupferhammers, des Ei- dow. Alle haben sie sich in den Kulturlandschaften der Mark senhammers und des Messingwerks, als Wiege der Industrie verewigt. Und alle tragen sie zu einem Superlativ bei. 32.000 in Brandenburg und als ein »märkisches Wuppertal«. Zwar Kilometer Fließgewässer kann das Land Brandenburg auf- wurde der Kanal in Folge des Dreißigjährigen Krieges zer- weisen, so viel wie kein anderes Bundesland in Deutschland. stört, doch 1743 gab Friedrich II . den Startschuss für den Fontanes Loblied auf die Havel ist eine Ausnahme, denn Neubau des Finowkanals zwischen Oder und Havel. Nicht normalerweise bringen Brandenburgs Ströme weniger na- nur mit Breslau sollte Berlin nun verbunden sein, sondern tionale Identitäten als regionale hervor. Auch dafür ist der auch mit Stettin, das schon seit 1720 zu Preußen gehörte. märkische und Berliner Dichter Zeuge. In seinen Wanderun- Mit einer Schleusenbreite von zwölf Metern und einer Länge gen durch die Mark Brandenburg hat Fontane das Land vorwie- von 41 Metern war zugleich die Entscheidung für ein neues gend nach seinen Wasserläufen gegliedert: Oderland, Havel- Oderschiff gefallen, den Finowmaß- oder Finowkahn. land, Spreeland. Namentlich das Letztere geht sogar auf seine Eine erste Berliner Verbindung zur Oder, der Oder-Spree- eigene Feder zurück. Um dem drittgrößten der brandenburgi- Kanal, war bereits nach dem Dreißigjährigen Krieg fertig- schen Flüsse zu seinem Recht zu verhelfen (lässt man die Elbe gestellt worden. 1662 hatte der Große Kurfürst Friedrich einmal links liegen), erfand ihm der Dichter kurzerhand eine Wilhelm mit dem Bau eines Kanals zwischen dem Müllroser Kultur- und Geschichtslandschaft – eben jenes »Spreeland«. See an der Spree und der Oder bei Fürstenberg begonnen. Neben den drei Flüssen darf sich in den »Wanderungen« al- Bis 1668 waren 14 Schleusen aus Eichenholz gebaut, der In- lenfalls die Grafschaft Ruppin behaupten. Sie ist zwar keinem betriebnahme des »Friedrich-Wilhelm-Kanals« stand nichts Fluss zuzuordnen, aber immerhin: In Neuruppin wurde der mehr im Weg. Dieser Kanal, für den die Wasserbauer 4.200 Dichter 1819 geboren. Und Gewässer gibt es dort auch – den Eichen fällen mussten, war aber bald zu klein. Zwischen Ruppiner und vor allem den Stechlinsee, dem Fontane seinen 1696 und 1716 ließ Kurfürst Friedrich III., seit seiner Krö- letzten Roman widmete. nung in Königsberg 1701 Preußens erster König, den Kanal Diese Gliederung der Brandenburger Landschaften nach zwischen Oder und Spree deshalb ausbauen. Die Schleusen- Flüssen hat eine Tradition gebildet, die bis heute gilt. Von den kammern wurden gemauert, die Zahl der Schleusen verrin- 14 Landkreisen tragen im Jahr 2015 neun einen oder mehrere gerte sich auf elf. Flüsse im Namen: Elbe-Elster, Oberspreewald-Lausitz, Spree- Der Bau dieses »Großen Grabens« war ein Riesenerfolg. Neiße, Oder-Spree, Dahme-Spreewald, Märkisch-Oderland, Nicht nur für Berlin, sondern auch für den Breslauer Oder- Uckermark, Oberhavel, Havelland. Sachsen hat dagegen kei- handel. Bereits 1714 spricht der schlesische Kaufmann P. J. nen einzigen Landkreis nach einem Fluss benannt, und Meck- Marperger vom »unaussprechlichen Nutzen des Grabens lenburg-Vorpommern nur einen, den Kreis Uecker-Randow, für die Breslauer Kaufmannschaft«. Der neue Kanal, so Mar- 18 Adern perger, habe nicht nur den schlesischen Handel mit Berlin tenfluss. Immer häufiger sind auf ihr Hausboote unterwegs, belebt, sondern auch einen neuen Wasserweg für den Han- und ihre Hobbykapitäne, die nur einen »Charterschein« benö- del mit Hamburg, Holland, England, Spanien und Portugal tigen, entdecken die Schönheit einer Flusslandschaft, die bei geschaffen: »Aus Hamburg empfing Schlesien vor allem Speze- der Verfilmung von Tom Sawyer von Hermine Huntgeburth reien, Zucker, Hering, Stockfisch, brasilischen und virginischen 2011 sogar kurzerhand den Amazonas ersetzen musste. Bran- Tabak, Seiden-, Wollen- und Baumwollen-, Farb- und Drogerie- denburg und Amazonas. Eigentlich ein tolles Thema für die waren, Fischbein, Thran, spanische Früchte und Weine etc. Es Tourismuswerbung. Aber Brandenburgs Flüsse kommen, in exportierte auf diesem Wege besonders Garn, rohe und gebleichte diesem Jahrhundert der Flüsse, auch ohne PR aus. Leinwand. Das erstere ging meist nach Holland, wo es weiter verarbeitet wurde.« Die märkischen Flüsse und Kanäle waren also zu Wasserstraßen geworden. Die vorerst leistungsstärkste entstand mit dem Bau des Hohenzollernkanals, der nach dem Ersten Weltkrieg begonnen wurde und parallel zum Finowkanal verlief. Ihm folgte 1934 das Schiffshebewerk in Niederfinow, mit dem der Höhenunterschied von 36 Metern zwischen der Havel und der Oder schneller überwunden werden konnte als zuvor mit vier Schleusen. Mit dem Bau des Hohenzol- — Lesetipp — lernkanals geriet der Finowkanal ein zweites Mal in seiner Geschichte in Vergessenheit. Doch 2002 wurde er zu neuem ↗↗ Landluft S. 119 Leben erweckt. »Blumenträume am Finowkanal« hieß die ↗↗ Schall und Rauch S. 189 Landesgartenschau, die in diesem Jahr in Eberswalde aus- ↗↗ Verwallung S. 225 getragen wurde, doch in Wirklichkeit war es viel mehr. Für 15 Millionen Euro wurden entlang des Finowkanals Rastplätze angelegt und zahlreiche Schleusen instandgesetzt, so dass der Kanal zum Paradies von Freizeitsportlern wurde. Aus dem Besucherzentrum auf dem Gelände des Alten Walzwerkes ist der Familiengarten Eberswalde geworden. Damit das »märkische Wuppertal« tatsächlich zukunftsfähig wird, sind allerdings weitere kostenintensive Maßnahmen nötig. Weil die Binnenschifffahrt schwächelt, heißt Tourismus auch die Devise an den anderen Gewässern im Flüsseland Brandenburg. Die Oder, lange Zeit nur als Grenzfluss zu Polen im Bewusstsein vieler Deutscher, ist nach dem Wegfall der Grenzkontrollen offen für Sportboote und Paddler. Auf dem Oder-Neiße-Radweg kann man die Schönheit ihrer Auen genießen. Damit das so bleibt, ist es aber nötig die Oder als frei fließenden Strom zu erhalten. Der Spreewald ist seit Jahren Brandenburgs beliebtestes Touristengebiet. Kahnfahrten, Radfahren, Wellness. Alles ist möglich zwischen Burg im Oberspreewald und Schlepzig im Unterspreewald. Auch die Havel, das blaue Band der Bundesgartenschau, ist ein Touris- 19 Gewässer 3 4 5 2 1 13% der Wasserfläche in Deutschland entfallen auf Brandenburg. Zahlen & Fakten Hauptflüsse (davon in Brandenburg) Havel 325 km 258 km Spree 382 km 218 km Oder 860 km 179 km Neiße 252 km 74,6 km Elbe 1.091 km 71 km Wasserstraßen 32.000 km Tiefster & klarster See entspricht der Entfernung von Berlin nach Sidney (hin und zurück) 70 m Stechlinsee Größte natürliche Seen Schwielochsee 13,3 km² Scharmützelsee 12,1 km² Unteruckersee 10,3 km² Parsteiner See 10,1 km² Ruppiner See 8,1 km² 1 2 3 4 5 Seen über 3.000 • 1 See ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••• Stand 2014 21 A AUF SENDUNG Film, Funk und Fernsehen Marika Bent R otlackiertes Holz gehört nicht zu den bevorzugten Ma- zeichnet wurde, knallten beim hiesigen Art Department die terialien des Architekten Shin Takamatsu. Der Japaner Sektkorken. Die »Grand-Budapest«-Rezeption im fx.Center baut lieber mit Stahl, Glas und Beton. Seine Gebäude sind ist so etwas wie der Triumphbogen der Tischlerei. futuristisch. Zwischen einem kantig-luftigen Atrium des Zugleich ist die Existenz des liebevoll geschreinerten Stararchitekten und einer holzig-verspielten Empfangshalle Retrostücks in dem modernen Gebäude ein treffendes Sym- aus der Gründerzeit liegt also ein Graben so abgründig wie bol für das Wesen der heutigen »Medienstadt Babelsberg«. die Tiefseerinne vor Japan. Dennoch trifft im Babelsberger Sie ist sowohl die Wiege des deutschen Films als auch ein fx.Center derzeit mitteleuropäischer Kurbad-Stil auf asiati- Fenster in die digitale Zukunft. Etwa 120 Firmen mit rund schen Minimalismus. Im Foyer des 1999 von Takamatsu in 3.500 Mitarbeitern sind auf dem 46 Hektar großen Gelände Potsdam-Babelsberg errichteten Medienzentrums steht eine unweit des Griebnitzsees beheimatet. Neben dem Studio feuerrote Hotelrezeption, antike Messinglampen und plü- Babelsberg finden sich hier der öffentlich-rechtliche Rund- schiger Teppichläufer inklusive. Fehlt nur noch der Concierge funk Berlin-Brandenburg (rbb), das Medienboard, die Film- mit Menjou-Bärtchen. universität »Konrad Wolf«, das Erich-Pommer-Institut für Statt seiner liefert eine mannshohe Oscar-Statue in un- Medienrecht, Medienwirtschaft und Medienforschung, das mittelbarer Nachbarschaft die Erklärung für den seltsamen Deutsche Filmorchester, der Filmpark Babelsberg, das Deut- Stilbruch: Im Februar 2015 erhielt Wes Andersons »Grand sche Rundfunkarchiv, die Ufa Film- und TV-Produktion, die Budapest Hotel« vier Oscars. Die Tragikomödie über einen Electronic-Media-School (ems), der Mediencampus mit dem parfum- und hormongeschwängerten Concierge, der in der Filmgymnasium und der Medienschule sowie die privaten Zwischenkriegszeit seinen Dienst in einem berühmten euro- Hörfunkstationen des BB-Radios und von Radio Teddy. Nur päischen Hotel versieht, wurde von Studio Babelsberg kopro- einen Katzensprung vom eigentlichen Studiogelände entfernt duziert. Viele Innenaufnahmen mit Stars wie Ralph Fiennes, befindet sich zudem das Hasso-Plattner-Institut für Software- Tilda Swinton, Adrien Brody oder Bill Murray drehte die Crew systemtechnik. Eine beeindruckende Fülle von Unternehmen, auf dem Studiogelände. Als der Film schließlich für bestes Lehr- und Forschungseinrichtungen ist hier in den vergan- Kostümdesign und bestes Szenenbild in Hollywood ausge genen Jahren entstanden. Samenkorn für diese Entwicklung 22 Auf Sendung waren die ältesten und größten Filmstudios Europas. Seit duktion, Dramaturgie und Schauspiel ausgebildet werden. mehr als 100 Jahren liefert Babelsberg den Stoff für Träume, Hinzugekommen ist eine ganze Reihe von Studiengängen, sei er nun aus Pixeln oder aus rotlackiertem Sperrholz. die sich mit digitaler Medienkultur, Animationstechniken, Begonnen hat alles im Jahr 1911 mit einer schnöden aber auch dem Filmkulturerbe befassen. Brandschutzverordnung. Weil der Berliner Polizei Filmauf Bis zur Wende waren die Wege für Absolventen klar vor- nahmen mit glühenden Scheinwerfern und leicht entflamm- gegeben. Sie führten entweder zur DEFA oder zum Fernsehen barem Zelluloid mitten in der Großstadt zu »heiß« wurden, der DDR . Mit der Abwicklung beider Institutionen und dem musste sich die Firma Bioscop nach einem neuen Atelier Verkauf des damals 40 Hektar großen Studiogeländes durch umsehen. In einem Glashaus in Nowawes (1938 mit Neuba- die Treuhand an den französischen Mischkonzern Compa- belsberg zu Babelsberg zusammengelegt) fiel 1912 die erste gnie Générale des Eaux (Vivendi) begann in Babelsberg aber- Klappe für »Totentanz« mit Stummfilmstar Asta Nielsen. mals eine Zeit der Metamorphosen. Sie ging zusätzlich ein- Nach der Fusion der Bioscop und der Universum Film AG, her mit dem digitalen Umbruch. Bis zu seinem Rückzug 2003 kurz UFA , begann Anfang der 1920er Jahre die Blütezeit des investierte Vivendi rund 300 Millionen Euro in die Medien- deutschen Stummfilms. Unter dem Produzenten Erich Pom- stadt. Zu deren ersten Bewohnern gehörte der Ostdeutsche mer entstanden Klassiker wie »Metropolis«, »Die Nibelun- Rundfunk Brandenburg (ORB). Am 1. Januar 1992 nahm die gen« oder »Faust«. 1930 brach mit dem »Blauen Engel« die öffentlich-rechtliche Anstalt ihren Sendebetrieb unter recht Tonfilmära an. Die Filmstudios waren die modernsten der provisorischen Bedingungen auf. Die TV-Sendungen für das Welt und eine direkte Konkurrenz für Hollywood. Einst hos- neue dritte Programm der ARD wurden bis zur Fertigstellung pitierte hier der junge Alfred Hitchcock und schwärmte spä- des Sendezentrums noch in Baracken produziert. Der ORB ter: »Alles, was ich über das Filmemachen wissen musste, übernahm auch den in der Aufbruchsstimmung 1990 neu ge- habe ich in Babelsberg gelernt.« Währen der NS -Zeit pro- gründeten Radiosender »Antenne Brandenburg«, der es auf duzierte die nunmehr staatliche UFA bis zum bitteren Ende dem hart umkämpften Radiomarkt Berlin-Brandenburg zum kriegswichtiges Gut: Unterhaltungsfilme, Propaganda und Marktführer gebracht hat. Seit Jahren verteidigt »Antenne« Durchhaltestreifen. Das Kriegsende bedeutete auch für den die Spitzenposition als meistgehörter Sender. Dicht gefolgt Filmstandort eine Zäsur. vom privaten »BB Radio«, welches 1993 in einer Babelsberger 1946 wurde in der sowjetischen Besatzungszone die Deut- Kellerwohnung startete und heute ein eigenes Funkhaus am sche Film-AG (DEFA) gegründet. 1.240 Kino- und Fernsehpro- Mediencampus betreibt. Vor dem Eingang der ARD -Anstalt an duktionen entstanden bis zum Ende der DDR , darunter ost- der Marlene-Dietrich-Allee wehen inzwischen die rot-weißen deutsche Klassiker wie »Die Geschichte vom kleinen Muck«, Fahnen mit dem rbb-Logo. Im Mai 2003 fusionierten ORB »Jakob, der Lügner«, »Die Legende von Paul und Paula«, und der Sender Freies Berlin (SFB) zum gemeinsamen Rund- »Spur der Steine« oder »Solo Sunny«. Mit der DEFA untrenn- funk Berlin-Brandenburg. An der Spitze steht seitdem Inten- bar verbunden ist die 1954 gegründete Hochschule für Film dantin Dagmar Reim. In Babelsberg produziert der Sender und Fernsehen »Konrad Wolf« (HFF). Mehr als 5.000 Absol- die Programme von »Radioeins«, der Jugendwelle »Fritz«, venten hat die angesehene Einrichtung in sechs Jahrzehnten »Antenne Brandenburg«, die TV-Sendungen »zibb« und hervorgebracht. Regisseurinnen und Regisseure wie Helke »Brandenburg aktuell«. Zudem werden im »Play-Out-Center« Misselwitz, Rainer Simon, Herrmann Zschoche, Thomas sämtliche Digitalprogramme für die ARD koordiniert. Regio- Heise, Winfried Junge oder Andreas Dresen waren prägend nalstudios und -büros unterhält der rbb in Frankfurt (Oder), für die ostdeutsche Kinolandschaft, die vor allem auf dem Ge- Cottbus, Prenzlau und Perleberg. biet des Dokumentar- und Kinderfilms vielgestaltig war. 2014 »Zwei Länder, ein Sender«, heißt es in der Selbstbeschrei- wurde die HFF in den Rang einer Universität erhoben. Heute bung des rbb. Zwei Länder, eine Medienlandschaft könnte zählt die »Filmuni« mehr als 600 Studierende, die nicht mehr man für die gesamte Region formulieren. »Berlin-Branden- nur in den klassischen Fächern Regie, Kamera, Schnitt, Pro- burg ist vielleicht die einzige Region in Deutschland, in der 23 A Wussten Sie schon … ? die Wiedervereinigung tatsächlich stattgefunden hat«, sagt Weihnachtsmannfiliale der Potsdamer Regisseur Andreas Dresen in Hinblick auf die in Himmelpfort kulturelle Verflechtung beider Länder. Babelsberg, wo ohnehin gern bis nach Hollywood geschaut wird, versteht sich als Teil eines Medienstandortes, bei dem die Ländergrenzen ins Hintertreffen geraten. Kleinstaaterei wäre hier fehl am Platze. Gegen die inländische Konkurrenz in Köln, München oder Hamburg kann sich die Region nur gemeinsam behaupten. Noch stärkerer Druck kommt aus dem Ausland, wo weltweit Himmelpfort ist nicht nur ein staatlich anerkannter Erholungsort viele neue Studios entstanden sind, die von nationalen För- im Norden von Brandenburg. Das kleine Örtchen in der Ucker derprogrammen profitieren. Den größten Anteil am Erfolg mark hat auch ein eigenes Weihnachtspostamt – eins von neun Babelsbergs haben drei Institutionen, die eng miteinander in Deutschland und das einzige in den neuen Bundesländern. Im kooperieren: die Filmstudios, das Medienboard Berlin-Bran- Jahr 1984 trafen in Himmelpfort erstmals zwei Briefe von Kin denburg und nicht zuletzt der Filmpark, dessen investitions- dern aus Berlin und Sachsen an den Weihnachtsmann ein. Eine freudiger Chef Friedhelm Schatz mit immer neuen Projekten Mitarbeiterin wollte sie nicht einfach wieder zurück schicken dafür sorgt, dass aus der Medienstadt kein Dorf wird. und beantwortete sie. Der direkte Draht zum Weihnachtsmann Der einstige Bavaria-Manager war 1993 vom damaligen sprach sich rum. Seither nimmt die Zahl der Briefe stetig zu. Studiochef Volker Schlöndorff nach Brandenburg geholt worden. Schatz kümmerte sich zunächst erfolgreich um die Studiotour, die 1999 eine Rekordzahl von einer halben Million Besucher verbuchen konnte. Die Menschen kamen, um berühmte Kulissen, Stunt-Shows in einem Vulkankrater, eben einen Hauch Hollywood an der Havel zu erleben. Zur gleichen Zeit stoppte jedoch Vivendi sämtliche Investitionen in Babelsberg. 2003 schließlich kaufte Schatz zusammen mit dem Berliner Hotelier Ekkehard Streletzki (Estrel) den Fran- 1995 stellte die Deutsche Post AG sogar Mitarbeiterinnen zosen den Filmpark sowie mehr als die Hälfte des ehemaligen und Mitarbeiter speziell für die Beantwortung dieser Briefe ein. DEFA-Geländes ab. Die verlustreichen Filmstudios gingen Seit 2005 wird die Weihnachtspost in der »Schreibstube des 2004 für einen symbolischen Euro an die Filmbetriebe Berlin- Weihnachtsmanns« beantwortet, die jedes Jahr im November Brandenburg (FBB) mit Carl L. Woebcken und Christoph Fis- eröffnet wird und in der rund 20 Helferinnen und Helfer des ser als Gesellschafter. Dank des 2007 geschaffenen Deutschen Weihnachtsmanns arbeiten. 2014 kamen über 312.000 Wunsch Filmförderfonds konnte das Studio-Duo einige große Holly- zettel aus 69 Ländern in Himmelpfort an. Alle Briefe, die bis wood-Produktionen in die Region holen, darunter Quentin spätestens zehn Tage vor Heiligabend eingehen, werden garan Tarantinos »Inglourious Basterds«, »Operation Walküre« mit tiert beantwortet – in Deutsch wie auch in 17 anderen Sprachen. Tom Cruise, die Schlink-Verfilmung »Der Vorleser«, George Der Weihnachtsmann arbeitet schließlich weltweit. Clooneys »Monuments Men« und »Grand Budapest Hotel«. Für Cineasten schnell identifizierbar tauchte in vielen dieser Filme eine Kulisse immer wieder auf. 15 Jahre lang war die »Berliner Straße« ein Markenzeichen von Studio Babelsberg. 1998 wurde sie als Sonnenallee für Leander Haußmanns gleichnamigen Film errichtet. Roman Polanski verwandelte sie für »Der Pianist« in einen Straßenzug im Warschauer 24 Auf Sendung Ghetto. Bei Tarantino war sie Paris und in »Beyond the Orten wie etwa dem Boitzenburger Land, wo mit Blick auf Sea« mit Kevin Spacey Manhattan. Insgesamt 350 Spiel-, seerosenbewachsene Weiher gearbeitet wird. So haben ein Dokumentar- und Werbefilme wurden in der »Mutter aller Komponist und ein DJ in der beschaulichen Uckermark ein Kulissen« gedreht. 2013 musste das Studio sie abreißen, weil neues Musikspiel hervorgebracht, bei dem Tanzbewegungen auf dem zum Filmpark gehörigen Areal ein neues Viertel mit Rhythmus und Klänge erzeugen. Ihren »Nagual Dance« ent- Wohnungen, Geschäften und Gastronomie entstehen soll. wickeln die beiden Tüftler nun für die Microsoft-Spielkonsole Doch das Studio wird eine neue »Berliner Straße« errichten. »Xbox« weiter. Die Liste der Auszeichnungen und Förderer Der Grundstein für die moderne Hybridkulisse, in der Green- des audiovisuellen Projekts ist lang, auch das Medienboard und Bluescreen-Aufnahmen besser integriert werden können, gab Geld dazu. Mit Fleiß und Können, den richtigen Kon- ist schon gelegt. Nun müssen die Eigenmittel für den Weiter- takten und ein bisschen Glück erarbeitet sich die junge Firma bau erwirtschaftet werden. 2014 war ein schwieriges Jahr für einen Platz in der globalisierten Kreativwirtschaft – und das das Studio. Weil zwei wichtige Produktionen kurzfristig ab- an einem stillen Fleckchen in Brandenburg. sprangen, machte es 2,5 Millionen Euro Verlust. 2015 haben die Babelsberger jedoch wieder einen großen Coup landen können. Die fünfte Staffel der erfolgreichen US-Fernsehserie »Homeland« wird komplett in den Studios und in Berlin gedreht. Mitbewerber Zagreb wurde in letzter Minute aus dem Feld geschlagen. — Lesetipp — Weltweit fließen millionenschwere Subventionen in große Blockbuster-Produktionen. Ohne staatliche Unterstützung ↗↗ Pampa S. 166 wie etwa dem Deutschen Filmförderfonds (DFFF) wäre auch ↗↗ Lichtspiele S. 125 Deutschland aus dem Rennen. Das Beispiel »Homeland« il- ↗↗ Wilde Ehe S. 243 lustriert deutlich, wie hart der Kampf zwischen den Produktionsstätten geworden ist. Förderinstanzen wie das Medienboard Berlin-Brandenburg werben nicht nur intensiv um Film- und Fernsehmacher, sondern auch um die Ansiedlung junger Unternehmen oder neue Festivals und Branchentreffen. Das Zauberwort lautet dabei »Regionaleffekt«. Es bezeichnet die Vervielfachung von investiertem Geld in der Region. 2014 betrug der Regionaleffekt laut Medienboard 463 Prozent bei der Filmförderung, das heißt die knapp 26 Millionen Euro Fördergeld lösten ihrerseits 120 Millionen Euro Ausgaben in der Region aus. Insgesamt gab das Medienboard 2014 30,5 Millionen Euro für die Förderung internationaler sowie nationaler Film- und Fernsehproduktionen, von Nachwuchsprojekten, Verleihen und Vertrieben, Festivals, der K inodigitalisierung und von neuen Unternehmen in der Digitalbranche aus. Junge, hoffnungsvolle Startup-Firmen entstehen mittlerweile nicht mehr zwangsläufig in den herkömmlichen digitalen Ballungsräumen. Sofern die Netzabdeckung es zulässt, gedeiht der Mediennachwuchs auch an einsam gelegenen 25