Ein Dialogangebot, für das es knapp wird
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Ein Dialogangebot, für das es knapp wird
Sport 12. Oktober 2012 Sport 12. Oktober 2012 Ein Dialogangebot, für das es knapp wird So kostümierte man sich als FCB-Fan 1967 für den Cupfinal in Bern. oder geschmacklichen Grenze, dass sich nur wenige davon eignen, um den Nachwuchs in den Schlaf zu singen. «Stanic, Stanic, Stanic! Bitte, bitte! Fahr den Mannschaftsbus!» Es gibt Situationen, da passen diese Lumpenlieder einfach besser als jeder Stadionschlager. Dreizehn wilde Jungs singen «Frère Jacques» in einem Lissaboner Café – im Kanon. Aus der Gepäckablage des Nachtzuges nach Cluj meldet sich Adi mit der neuen Strophe eines Discohits, den seit 1986 keiner mehr gesungen hat. In der arroganten Westlerrolle wird in Bukarest oder Sofia ein alter deutscher Hauer-Slogan abgebrochen und damit eben aufs Korn genommen: «Wir! Wollen! Alles! Kaputt … oh, scho z spot.» Foto: RBA/StAAG Gut ist, was provoziert Im Verständnis einiger Fussballfans ist grundsätzlich gut, was provoziert. Das können einzelne Worte sein, historisch aufgeladen, politisch aktuell oder von exotischem Wortlaut. Beschämend oft gebrüllt ohne dazu gehöriges Wissen oder Verständnis. So (ent-)kleidet man sich heute in der Muttenzerkurve und singt die Lieder der FCB-Ultras. TagesWoche 41 Erschreckend häufig als traditioneller Schlachtruf verteidigt. Neger, Juden, Nazis, Weltkriegsverlierer, Schwule, Vergasen, Splitterbomben, Heckenschützen, Aschewolke, Aarauer. Chauvinismus scheint Teil der Kultur zu sein. Nicht wenige sagen: «Weil das schon immer so war.» Ihre Stimmen werden weniger. Aber: Ein gegnerischer Spieler an der Seitenlinie beim Cupmatch in der Provinz ist ein «Schwullé». Und auf den FC Servette könnte man verzichten: «Schenkt sie den Franzosen!» Dem dunkelhäutigen Kameruner wird in Erinnerung gerufen: «Hervé Tum, du hast den längsten Schwanz.» Und auf Jacques Zoua reimt sich die intellektuelle Silbenfolge «oua-ouaoua». Wen wundert es? Beni Huggel macht an der Meisterfeier Witze über die fremdländischen Namen seiner Mitspieler. Die machoide Textgestaltung hat – nicht nur in Basel – Tradition. Frauen sind Randfiguren. Dr Babbe nimmt den Sohn mit ins Stadion, d Mamme bleibt an der Türe stehen. Oder eben Lustobjekte: «Basler Frauen, Basler Bier, FCB wir steh’n zu dir!» Das konnte 1995 noch als liebenswürdig «kuttig» durchgehen. «Lueg die Schnitte, die Schnitte. Het riese Titte, die Schnitte. Ych will sie figge, die Schnitte. Super FCB!» Durch die Ergänzung am Schluss knapp noch als Fussballlied zu erkennen, haben den Chant wohl nie mehr als fünf, sechs Schnapsnasen gleichzeitig gegrölt. Eine Frau im FCB-Vorstand sorgte ab 1999 für einen Klassiker: «Gigi, Oeri, läng mr an d Banane, schalalalalala!» Hunderte Männerkehlen wünschten sich, was dann tatsächlich geschah. Die finanzielle Unter stützung der Mäzenin machte aus einem schlaffen FCB wieder eine stramme Nummer eins. «Die Nummer eins der Schweiz sind wir.» tageswoche.ch/+barjs Thilo Mangold ist Mitarbeiter des Schweizer Sportmuseums in Basel. Sein Text erscheint im Fussballheft «Zwölf», einer begleitenden Ausgabe zum Thema Fankultur, dessen sich das FCZ-Museum mit einer Ausstellung und Veranstaltungsreihe annimmt. «Die Securitas-Wächter wurden geschlagen, gestossen und angespuckt. Der Pöbel scheint sich nur noch hinter Gittern wohl zu fühlen.» Mit der Ausstellung «Fankultur – Szenen aus dem Stadion» und einer Veranstaltungsreihe bis in den März kommenden Jahres hinein nimmt sich das Museum des FC Zürich eines brisanten Themas an. Dazu ist quasi als Ausstellungskatalog eine Sonderpublikation des Fussballheftes «Zwölf» erschienen. FCZ-Präsident Ancillo Canepa nennt die Anstrengungen den Versuch eines Brückenschlags zwischen Fussball und Öffentlichkeit und hofft, dass sich etwa Medien, Behörden und Polizei «ohne Vorurteile und billige Effekthascherei» auf einen Dialog einlassen. Dafür könnte es – das ist der Eindruck vor dem aktuellen Hintergrund einer Verschärfung der Gesetze – allerdings schon zu spät sein. Auf welchem Terrain man sich mit der Diskussion über (Fussball-)Fans und jegliche Begleiterscheinungen derzeit in der Schweiz bewegt, wird im Katalog zur Ausstellung deutlich: eine Gesprächsrunde mit SP-Nationalrat Daniel Jositsch, einem Fanarbeiter aus Bern, Jörg Häfeli, dem Präventionsbeauftragten der Liga, sowie FCB-Präsident Bernhard Heusler. Was da vom Zürcher Strafrechtsprofessor Jositsch auf den Tisch kommt, ist – um es vorsichtig auszudrücken – abenteuerlich, und der Politiker verlässt die Gesprächsrunde abrupt. Ansonsten bietet «Zwölf» eine pralle 120-seitige Sonderausgabe, die textlastig und mit selten veröffentlichten Bildern aus dem Ringierarchiv hält, was versprochen wird: ein vertiefender Einblick in das, was Fankultur in der Schweiz ausmacht. Und man erfährt nebenbei, warum es 1983 zum Bruch der vormals verbundenen Fans von FCB und FCZ kam. Christoph Kieslich tageswoche.ch/+baswa www.zwoelf.ch/fankultur www.fcz.ch/museum «Wieder einmal musste auf dem Zürcher Letzigrund ein Schiedsrichter durch die Hintertür abziehen und zum Bahnhof gefahren werden. Er hatte die Fans und Spieler beider Mannschaften gleichermassen verärgert, weil er sich dem Niveau des Spiels ‹perfekt› anpasste.» «Der Basler und der Winterthurer Platzspeaker hoben mit ihren Ansagen die Stimmung im Publikum. Mangelhafte Platzorganisation auf dem Letzigrund (wie fast immer): Fans aus Winterthur und Basel eilten zur Pokalübergabe und zertrampelten den ohnehin arg strapazierten Rasen – anschliessend trotteten sie nochmals über das Spielfeld.» «Zwei Spiele Platzsperre gegen Schaffhausen. Schiedsrichtertrio von Zuschauern beschimpft und mit Schirmen geschlagen.» «Sport», 13. 11. 1972, FCB –Winterthur, Final Ligacup «Sport», 28. 7. 1975, Schaffhausen–Locarno «Ein Securitas im Spital mit Verdacht auf Rippenbruch, einer von einer ins Stadion geschmuggelten Glasflasche schwer am Kopf getroffen, andere mit Schnittwunden, ein biergetränkter und plastikflaschenübersähter Wankdorfrasen. «Flaschenwürfe schwedischer und schweize rischer Fanatiker. Nach dem Spiel wartete eine erhitzte biertrinkende Gemeinde unzufriedener Zuschauer auf den unseligen Pfeifenmann.» «Die nächsten Gitter kommen bestimmt!» «Sport», 11. 10. 1976, Schweiz–Schweden «Sport», 31. 8. 1979 «Sport», 19. 4. 1974, Cupfinal Sion–Xamax «Sport», 3. 4. 1978, FCZ –Servette «Da flog eine Rauchpetarde aufs Feld und wurde von GC-Spieler Bauer ins Publikum zurückgeschmissen!» «Sport», 22. 5. 1978, GC–FCZ Foto: freshfocus/Andreas Meier 40 TagesWoche 41 41