Bad Gastein war mal Österreichs Antwort auf St. Moritz. Dann wurde
Transcription
Bad Gastein war mal Österreichs Antwort auf St. Moritz. Dann wurde
FE_0113_046_Bad Gastein_Musterseite 07.05.13 10:50 Seite 46 AUFSCHWUNG IM GASTEINER TAL TEXT: ACHIM BECKER Bad Gastein war mal Österreichs Antwort auf St. Moritz. Dann wurde es still um die Kurstadt. Jetzt beginnt ihr Comeback. Dafür sorgen junge Künstler, kreative Hoteliers und naturbewusste Köche – und im Winter die schneesicheren Pisten, versteht sich für den er erste Eindruck ist gewaltig. Zunächst sind wir durch ein Tal wie viele Alpentäler gefahren. Aufgeräumt und adrett mit bewaldeten Bergen, gesprenkelt mit schindelgedeckten Bauernhäusern und Hütten, grünen Weiden, auf denen Kühe kauen, Supermarkt-Einheitsbauten mit großen Parkplätzen. Schließlich, es dämmert schon, erheben sich an steilen Felswänden hohe Häuser, bis zu zehn Stockwerke, dicht gedrängt, ein Gewebe aus kleinen Lichtern scheint über Bad Gastein ausgebreitet. Das Monte Carlo der Alpen? So falsch ist das Etikett nicht, eins von vielen, die dem Kurstädtchen in den Tauern in seiner langen Geschichte aufgeklebt wurden. Die war illuster. War. Wir stehen in der Mitte des Ortes auf einem kleinen Platz, zwischen einem lichtlosen Betonbau der 1970er-Jahre und weiteren lichtlosen Häusern von der vorletzten Jahrhundertwende. Viele Verhandlungen und Pläne gab es für neue Nutzungen. Bislang ohne Ergebnis. Die Fassaden bröckeln, die Gasteiner sind frustriert. D Es donnert. Ein tiefes Grollen, das fast drohend klingt. Wir nähern uns ihm, immer den Ohren nach, die schmale Gasse entlang, vorbei am Laden für Blumen und Souvenirs. Ein kalter Wind lässt uns frösteln, als wir eine Brücke betreten. Gischtweißes Wasser fällt von steilem Felshang, es tost, dass die Trommelfelle vibrieren: der berühmte Wasserfall von Bad Gastein. Über ihm leuchtet ein fahler Mond, Wolkenschleier bedecken ihn sekundenweise. Ein Bild wie von Caspar David Friedrich. Wo wärmen wir uns auf? Sieben Uhr abends, und kaum ein Mensch auf der Straße. Wir gehen zurück, vorbei an der gelben Fassade mit der verblassten Aufschrift „Hotel Europe“, und sehen eine Villa in warmem Gelb. „Solitude“ steht an der Stirnseite, „Einsamkeit“. 1838 wurde sie erbaut; als sie der preußischen Gräfin Lehndorff gehörte, war sie ein Treffpunkt besserer Berliner Kreise. Nun gehört sie Josef Laggner, Multigastronom in Berlin („Lutter & Wegner“) und gebürtiger Gasteiner. Neun Suiten mit Stilmöbeln und Antiquitäten wurden eingerichtet und im Souterrain des Anbaus eine rustikale Weinstube mit dunklen Holzregalen, die auch „Lutter & Weg- ner“ heißt. Hier kocht Wolfgang Nagler, für uns ein guter Bekannter seit seinen Engagements in Berlin („Die Quadriga“ im Hotel „Brandenburger Hof“) und München („Bistro Terrine“). Er serviert Ur-Österreichisches wie Schnitzel und Backhendl oder mediterrane Klassiker wie Rindertatar mit Rucola nach dem Rezept aus „Harry’s Bar“ in Venedig und ossobuco – die beste Küche in der Gasteiner Ortsmitte. Auch bei Sonnenschein am nächsten Morgen macht der Wasserfall einen gewaltigen Eindruck. Zum alten Kraftwerk an seinem Fuß führt ein schmaler Weg steil hinab; teilweise musste er neu angelegt werden, im Sommer war eine Mure abgegangen. Das Industriedenkmal wurde 1914 gebaut, um Strom zu gewinnen. Heute dient es im Sommer als Atelierhaus für Künstler: mit Kultur gegen den Stillstand im Ort. In der Turbinenhalle des Kraftwerks hängen Werbeplakate für Bad Gastein aus vergangener Zeit – in den 1950er- und 60er-Jahren warb man mal mit dem Slogan „radioaktivstes Bad Europas“. Der spielte auf den Radongehalt der Quellen an, deren Heilkraft bei diversen Gebrechen auch heute Q wissenschaftlich belegt ist. F O T O S : C AT H R I N E S T U C K H A R D T ( 2 ) Muße hat im Hotel „Haus Hirt“ immer Saison, ob auf der Terrasse (linke Seite) oder drinnen (u. r.). In der „Villa Solitude“ von 1838 (u. l.) gibt es schöne Suiten und eine gemütliche Weinstube. Fast am Ende des Tals liegt Bad Gastein (u. M.) 46 D ER F EINSCHMECKER 1/2013 1/2013 D ER F EINSCHMECKER 47 FE_0113_046_Bad Gastein_Musterseite 07.05.13 10:50 Seite 48 Die kulturelle Belebung Gasteins wird von Hoteliers gefördert, allen voran das Ehepaar Ike und Eveline Ikrath, Besitzer des „Hauses Hirt“. Im Hotel am Rand des historischen Ortskerns sorgen sie für die entspannende Atmosphäre eines „Alles kann, nichts muss“. Sitzgelegenheiten überall in den öffentlichen Bereichen, Zeitschriften, Bücher, verspielte Accessoires beflügeln die Kommunikation zwischen den Gästen, von denen viele ebenso gern reden wie zuhören mögen – eine Art Salon, aber mit allen Annehmlichkeiten eines Wellnesshotels (Pool, Sauna, Bäder, Anwendungen). benso kommunikativ und kunstsinnig ist die Atmosphäre im Schwesterhotel „Miramonte“. Türen und Treppengeländer zeugen von den 50er-Jahren, die Räumlichkeiten auf den vier Etagen wurden im Retrodesign gestaltet, die unterschiedlich großen Zimmer sind wohltuend reduziert möbliert, viele blicken über den Ort und das Tal. Die Spa-Abteilung lädt zu Thermalbädern. Richtig hip ist die Bar im Hotel „Das Regina“: Retro- und Shabby-Chic, eine kongeniale Mischung an einem Ort wie Gastein. Olaf Krohne, einst Macher der „Bar Hamburg“ und anderer Großstadt-hang-outs, hat dem abgetakelten Hotel vor drei Jahren urbanen Zeitgeist eingehaucht. Außerhalb Bad Gasteins breitet sich eine alpenländische Bilderbuchlandschaft aus. Rund zehn Minuten laufen wir vom Skizentrum Angertal zum „Waldgasthof“ mit „Hirschenhütte“, im Winter Ort zünftiger E Après-Ski-Partys – aber mit Geschmack! Der Pistenverbund „Amadé“ hat eine Kooperation mit österreichischen Spitzenköchen angeregt, jeweils einer entwickelt zwei Gerichte für eine Hütte. Für den „Waldgasthof“ hat sich Jörg Wörther vorige Saison Schwarzbrottoast mit Räucherlachs und Hüttenkäse sowie Schwammerlkroketten mit Schinken in Kräutersauce ausgedacht. Derweil setzen einfache Wirtshäuser im Tal auf Bioprodukte. Der urige „Schmaranzbräu“ bei Hofgastein etwa versorgt sich aus der eigenen Landwirtschaft. Die Gäste rücken zusammen an den langen Tischen zwischen Holzwänden, die Späße und das Gelächter sind so deftig wie die Würstlpfanne mit hausgemachten Käsekrainern, Brat- und Siedwürsten oder der Rostbraten mit Semmelknödel. Hofgastein im Tal ist ein aufgeräumter Ort mit vorherrschend alpenländischer Architektur in seiner Mitte. Das „Grand Park Hotel“ aber zeigt sich nobel im englischen Stil, Purismus und Minimaldesign haben Hausverbot. „Wir sind klassisch und stehen dazu“, sagt die Direktorin Claudia Wachter. Beim „Unterbergerwirt“ erwartet uns Patron Hans-Peter Berti mit einer „Küche der fünf Elemente“ und meint damit FengShui-Prinzipien, die einleuchtend klingen: Lebensmittel, die in der heimischen Klimazone gedeihen, vertrage der Mensch am besten. Die Verträglichkeit verbindet sich bei Berti mit Genuss. Die Kürbissuppe begleitet ein fein-knuspriger Blaukrautstrudel, die schmelzende Wildpastete würzen Aroniabeeren, der gebratene Saibling trägt eine wunderbar krosse Haut. Wir erinnern uns an eine Empfehlung des Gasteiners Eckart Witzigmann: „Kosten Sie die luftige Cremeschnitte beim Auer Bertl. Ein Traum!“ Das Restaurant-Café „Gamskar“ liegt am Höhenweg hoch über dem Tal. Die Cremeschnitte ist in der Tat ein Traum, mit knusprigem Deckel und flaumiger Füllung, die leicht im Mund liegt, aber schnell den Magen füllt. „Happy Birthday!“, schallt es durch den Frühstückssaal im Hoteldorf „Grüner Baum“. Seniorchef Hannes Blumschein intoniert ein Geburtstagsständchen für den Gast am Nebentisch. Das Hotel, verteilt auf fünf Chalets in splendider Lage im Seitental der Kötschach über Bad Gastein, ist bekannt für die herzliche Betreuung seiner Gäste. Ein Hauch vergangener Sommerfrischezeit weht durch das Anwesen, dabei ist es up to date, was die Ausstattung der gemütlichen Zimmer, der Wellnessabteilung und der Gastronomie angeht. „Hotelier in beratender & unterhaltender Funktion“ steht auf Hannes Blumscheins Visitenkarte. Ein klein bisschen Wehmut schwingt in seinen Erzählungen über die Vergangenheit mit, als die Damen im Urlaub Häkelkurse belegten und die Männer nachts an der Bar knobelten und soffen. Nur das Feinste, versteht sich. Von heute aus betrachtet, war es wohl eine ahnungslose Zeit, ohne Political Correctness, Work-outs und body shaping. Stattdessen leistete man sich das Menschenrecht auf Unvernunft. Ist schon klar: Sie macht das Leben nicht länger. Aber unterhaltsamer. Vielleicht kommt so was mal wieder in Mode. Gastein wäre ein guter Ort dafür. r FOTOS: G. ROSKE, G. WOLKERSDORFER Eins der originellen Zimmer im Szenehotel „Das Regina“ (l.). Die Küche des „Grand Park Hotel“ in Bad Hofgastein überzeugt auch mit luftig-leichten Terrinen (M.). Im stillen Kötschachtal über Bad Gastein steht das Hoteldorf „Grüner Baum“ (r.) 48 D ER F EINSCHMECKER 1/2013 Adressen und Bewertungen finden Sie im Info-Guide auf Seite 131