Wir schreien uns ab und zu auch an

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Wir schreien uns ab und zu auch an
12 | Gespräch
«Wir schreien uns ab
und zu auch an»
Pierre Brunschwig Der Chef der traditionsreichen Luxus-Modehäuser Grieder und Bongénie über
das Klima unter den Familienaktionären, die Bedeutung von Marken und zu hohe Schweizer Preise.
Aber als Chef einer Modegruppe müssen
Sie doch eine Ahnung haben!
Brunschwig: Was sicher anhalten wird, ist
der Trend zum Casual Chic.
Welches modische Kleidungsstück kauften
Sie sich zuletzt?
Brunschwig: Für die kommende Saison
kaufte ich mir ehrlich gesagt noch gar
nichts. Ich bin kein guter Konsument.
Aber Sie kaufen schon selbst ein?
Brunschwig: Ja, aber das passiert immer
sehr spontan. Ich bin – typisch Mann – ein
Impuls-Käufer.
Wo kaufen Sie ein?
Brunschwig: Immer bei Bongénie-Grieder.
Wirklich? Ist das nicht ein bisschen langweilig?
Brunschwig: Nein, überhaupt nicht. Ich
habe Schuldgefühle, wenn ich es einmal
nicht tue.
Haben Sie einen Lieblingsdesigner?
Brunschwig: Ich kaufe nicht nach Designern ein. Wenn wir neue Marken einführen, probiere ich die aus. Aber ich bin im
Grunde kein Marken-Typ, ich kaufe Produkte, die mir gefallen.
Dann sind Sie eine Ausnahme. Die meisten Leute lieben doch Marken.
Brunschwig: Nein, ich glaube, der Trend
geht in eine andere Richtung. Informierte
Konsumenten legen weniger Gewicht auf
Marken als auf die Produkte selbst.
Ihre Aussage erstaunt. Überall öffnen die
Mode-Marken ihre eigenen Geschäfte.
Marken waren noch nie so stark wie heute.
Brunschwig: Der Konsument, der sich
sehr gut auskennt, wird nicht des Namens
wegen Louis Vuitton kaufen, sondern weil
ihm das Produkt gefällt. Ich glaube, in
­Zukunft werden die Leute besser über
Marken zu urteilen wissen.
Davon spürt man heute aber noch nichts.
An der Bahnhofstrasse in Zürich öffnet
eine Marke nach der anderen ihren
­eigenen Laden. Sie selbst haben ja beste
Ladenfläche an Louis Vuitton abgetreten.
Brunschwig: Wir haben einen Teil des Erdgeschosses unseres Hauses in Zürich an
Louis Vuitton vermietet, weil uns das
Unternehmen ein wirtschaftlich und
­
­kommerziell sehr interessantes Angebot
machte. Wir glauben zudem, dass der
Vuitton-Shop neue Kunden bringt. Solche
Marken werden immer weiter in eigene
Geschäfte investieren, weil sie eine extreme
Macht haben, was Positionierung und
Distribution anbelangt. Und es gibt Kundschaft, zum Beispiel aus dem Fernen Osten und Osteuropa, die weiterhin Marken
nachfragt. Für Sie sind Marken ein Orientierungsmerkmal. Aber das Image einer
Marke ist sehr fragil.
Wenn Marken leiden, leidet auch Bongénie. Sie verkaufen einen Mix von Marken.
Deren Stärke ist quasi Ihr Lebenselixier.
Brunschwig: Wir arbeiten ja nicht nur mit
einer Marke. Bei uns kommt es auf den
richtigen Mix an. Unsere Stärke liegt darin,
das richtige Sortiment zusammenzustel-
Was macht Sie da so sicher?
Brunschwig: Es passiert immer stärker
eine Duopolisierung. Die Leute wollen
entweder sehr teure oder sehr billige
Ware. In der Uhrenindustrie ist das sehr
frappant, da gibt es gar keine Mitte mehr.
Sogar in der Gastronomie sieht man diesen Trend. Es gab noch nie so viele Restaurants mit einer hohen Anzahl Sterne und
daneben auch nie so viele Take-aways.
Das heisst, Bongénie/Grieder wird künftig
Zara und Hermès zugleich verkaufen.
Brunschwig: Wir müssen uns dieser Entwicklung sicher anpassen. Aber der Trend
billig-teuer führt dazu, dass jede Innenstadt gleich aussieht. Es gibt überall die
gleichen Geschäfte – Vuitton, Gucci, Ralph
Lauren, Zara, H&M. Das ist langweilig.
Der Konsument will überrascht werden.
Das ist unsere Chance. Wir haben alles
­unter einem Dach. Bei uns gibt es viel
mehr Abwechslung.
Was es bei Ihnen zu kaufen gibt, kann
man sich überall besorgen, im Internet,
bei Globus oder Jelmoli.
Brunschwig: Es ist klar, dass wir Konkurrenz haben. Wir können die Branche nicht
monopolisieren.
Vor einigen Jahren war das noch etwas
anders – damals hatten Sie eher noch ein
Alleinstellungsmerkmal.
Brunschwig: In den letzten Jahren positionierten sich Globus und andere höher
und setzten immer stärker auf das Luxussegment. Dies geschah mit immensen
Inves­
­
titionen, die sich zum Teil noch
nicht auszahlen. Globus investierte alleine in die Filiale Genf 60 Millionen Franken. Sie sind auf unseren Spuren und kaufen bei den gleichen Markenhäusern ein
wie wir.
Sie verlieren also weiter Exklusivität.
Brunschwig: Wir haben immer noch Vorteile. Ich glaube, Chanel und Gucci werden nie zu Globus wechseln. Wir haben
ständig viele Anfragen von Marken, die bei
uns Shop-in-Shops eröffnen wollen. Aber
wir wollen das beschränken. Wir wollen
nur einige haben. Die besten.
Was machen Sie mit Marken, die abtrünnig
werden und zur Konkurrenz gehen?
Brunschwig: Wir schrecken nicht davor
zurück, Marken zu bestrafen, wenn sie
überallhin gehen. Wir streichen das Budget zusammen und kaufen weniger ein.
Eines Tages haben sie dann vielleicht eine
der mensch
Sondern?
Brunschwig: Die Markenhäuser senken
nicht unbedingt die Preise in der Schweiz,
sondern sie erhöhen die im Ausland. Das
sahen unsere Einkäufer bei den aktuellen
Frühlings- und Sommerkollektionen.
Name: Pierre Brunschwig
Funktion: Geschäftsführung
Brunschwig-Gruppe
Alter: 56
Familie: Verheiratet, einen Sohn und
eine Tochter
Ausbildung: Studium der
Betriebswirtschaften, Uni Genf
Karriere:
Seit 1981: Verschiedene Positionen
innerhalb der Gruppe. Sein erster
Job war der des Verantwortlichen für
die Filialen in der Romandie
Heisst das, die Schweizer Kunden werden
nicht mehr geschröpft?
Brunschwig: Die Preisunterschiede reduzierten sich auf 5 bis 10 Prozent.
Für Sie muss es sehr schmerzhaft sein,
Marken zu verlieren. Da verlieren Sie doch
sicher auch Kunden.
Brunschwig: Wir bedauern es schon, Marken zu verlieren. Aber wir versuchen un­
sere Kunden stärker an Bongénie und
Grieder zu binden als an die Marken. Wir
haben eine sehr treue Kundschaft. 28 Prozent des Umsatzes machen wir mit unseren eigenen Kreditkarten.
Das Unternehmen Die 1891 gegründete Brunschwig-Gruppe betreibt in
der Schweiz 17 Luxuswarenhäuser
und Geschäfte unter den Namen
Grieder und Bongénie. Sie betreibt
daneben Filialen der Marken Weekend, Max Mara und Buzzano. Zudem
gehört ihr auch das Gartenmobiliarund Werkzeuggeschäft Eugène Baud
sowie das Sportgeschäft Hofstetter
Sports in Genf. Zur Gruppe gehören
zudem die Kommunikationsagentur
Transphère und das Architekturbüro
Version B. Die Familie Brunschwig ist
bis heute Alleinaktionärin der Gruppe mit rund 217 Millionen Franken
Umsatz und 750 Mitarbeitenden.
Wie bringen Sie das fertig?
Brunschwig: Mit den besten Verkäufern.
Gute Verkäufer zu haben, ist wichtiger
als eine gute Marke. Sie können Kunden
überzeugen, auf andere Designer umzusteigen. Zudem müssen wir natürlich ein
einmaliges Einkaufserlebnis bieten. Wir
richteten in der Filiale in Genf eine Raucher-Lounge ein, die grossen Erfolg hat.
Wir haben dort auch einen Chocolatier im
Laden und bieten Spezialitäten der französischen Confiserie Ladurée an. Jährlich
investieren wir sechs bis zehn Millionen
Franken in die Filialen, um uns abzuheben und den Fortbestand unseres Unternehmens zu sichern.
zvg
Was muss man diese Saison unbedingt
im Schrank haben?
Pierre Brunschwig: Ach wissen Sie, ich bin
ziemlich weit weg von den Produkten. Wir
haben über zehn Einkäufer, die sich um
die modischen Trends kümmern.
len. Deshalb sehe ich in dieser Entwicklung eher eine Chance für uns. Die Konsumenten werden zu den Multi-Marken-­
Geschäften zurückkehren.
dermassen kleine Bedeutung, dass wir sie
ganz aufgeben. Aber dies nicht nur, weil
sie zur Konkurrenz gingen.
Weshalb sonst nahmen Sie denn schon
Marken aus dem Sortiment?
Brunschwig: Wegen des Wechselkurses.
Der Euro ist für uns nach wie vor das
grösste Problem. Wir als Schweizer bekamen von den Marken immer eine spezielle,
teurere Preisliste. Es gab Markenhäuser,
welche die hohen Schweizer Preise nicht
senken wollten. Diese bestraften wir auch
und reduzierten teilweise unsere Bestellungen.
Nützte die Drohung?
Brunschwig: Es gibt eine Normalisierung
der Preise. Aber nicht unbedingt in die
Richtung, wie wir das erwarten.
In den 1930er-Jahren erfand sich Ihr
Grossvater ganz neu, um das Wachstum
zu sichern. Ist das jetzt angesichts der
­vielen Krisen bald auch wieder nötig?
Brunschwig: Wir erfinden uns jeden Tag
neu. Wenn Sie unsere Geschäfte von vor
zehn Jahren mit heute vergleichen, sehen
Sie riesige Unterschiede. Den grossen
Strategiewechsel haben wir aber nicht
vor.
Und wie sichern Sie sich künftig das
Wachstum?
Brunschwig: Wachstum ist kein Ziel an
sich. Klar ist es nötig, aber es bringt nichts,
einfach zehn Filialen zu eröffnen und ins
Ausland zu gehen. Das wäre nicht nachhaltig. Wir entwickeln uns, indem wir Gelegenheiten wahrnehmen. In den letzten
Jahren kauften wir traditionelle Geschäfte
in Bern oder Basel. Das war kein Teil einer
geplanten Strategie, sondern das waren
einfach gute Chancen.
Das heisst, Sie sehen gar keine Wachstumschancen derzeit?
«Informierte
Konsumenten legen
weniger Wert auf
Marken als auf das
Produkt selbst.»
Zvonimir Pisonic
Interview: benita vogel
Und Zvonimir pisonic (fotos)
Brunschwig-Holding-Chef Brunschwig und «Handelszeitungs»-Redaktorin Vogel:
«Wir schrecken nicht davor zurück, Marken zu bestrafen, wenn sie überall hingehen.»
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handelszeitung | Nr. 6 | 7. Februar 2013
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«Wir schrieben in unserer 120-jährigen
Geschichte noch nie rote Zahlen.»
Brunschwig: Doch. Unser neues Konzept
G-Point bietet Möglichkeiten. Damit
sprechen wir die junge Kundschaft an.
Wenn es funktioniert, können wir uns
vorstellen, eigene Filialen damit zu eröffnen, in kleinen Städten oder Einkaufszentren.
Letztes Jahr starteten Sie den Online-Shop.
Trägt dieser zum Wachstum bei?
Brunschwig: Ich denke nicht. Für den Luxusbereich ist das Internet nicht geeignet. Wie langweilig ist es, etwas ab einer
Photographie zu kaufen, zwei Tage zu
warten, bis der Pöstler es in einer Kartonschachtel bringt, und es zu Hause alleine
auszupacken. Da fehlt jeglicher Glamour.
Internet funktioniert für Discount und
Zweckmässiges, aber nicht für ein schönes Kleid.
Der Online-Shop läuft also nicht wie
­gewünscht?
Brunschwig. Doch, doch. Wir verzeichnen
zweistellige Wachstumsraten. Aber der
Anteil beträgt 0,5 Prozent unseres Umsatzes. Und das ist nicht nur bei uns so.
Das sehen Online-Anbieter wie Zalando
oder die Richemont-Beteiligung
Net-à-porter anders.
Brunschwig: Alle sagen, das Internet sei
phantastisch. Aber niemand will zugeben,
dass alle kolossale Summen damit verlieren. Das Geschäftsmodell Internet wird
bei Kleidern und Accessoires nicht gewinnbringend sein.
Wie viel Geld verlieren Sie im Internet?
Brunschwig: Nicht zu viel, 300 000 bis
600 000 Franken pro Jahr. Das planten wir
auch so. Auch wenn ich sehr pessimistisch
bin, die jüngere Generation bei uns ist es
nicht. Zudem müssen wir durch das Internet in den Bereichen Informatik und
­Logistik fortschrittlich bleiben, was dem
ganzen Unternehmen hilft, produktiver
und effizienter zu sein.
Die Beteiligung an der Plattform Fashion­
friends half Ihnen da nicht?
Brunschwig: Nein, die erhofften Synergien
in den Bereichen Marketing, Einkauf, Sortiment und Lager sind ausgeblieben. Fashionfriends hat viel höhere Mengen nötig
als wir. Deshalb stiegen wir im letzten
Herbst wieder aus.
Und fuhren Sie da einen Verlust ein?
Brunschwig: Nein.
Und insgesamt? Fielen Sie angesichts des
schwierigen Umfelds in die roten Zahlen?
Brunschwig: Nein, unser Unternehmen ist
sehr gesund. Wir schrieben in unserer
120-jährigen Geschichte noch nie rote
Zahlen. Das soll so bleiben. Es ist unser
Ziel, nie Geld zu verlieren. Diese Vorsicht
wirkt sich vielleicht negativ auf das Wachstum aus. Wir hatten immer eine sehr
­vorsichtige Art, unser Geschäft zu führen.
Einige Leute werfen uns das vor.
Gibt es in der Familie Stimmen, welche
fordern, etwas risikoreicher zu handeln?
Brunschwig: Nein, innerhalb der Familie
sind wir uns einig. Unser oberstes Ziel ist
der Fortbestand unseres Unternehmens.
Mit Ihnen und Ihren drei Kollegen ist die
vierte Generation am Ruder. Bleibt das
Unternehmen weiter in Familienhand?
Brunschwig: Unbedingt. Wir haben keine
Pläne, das Unternehmen zu verkaufen,
auch wenn wir schon von mehreren Seiten angefragt wurden, sogar von grossen
Gruppen. Im letzten September stieg der
Sohn meiner Cousine, und damit die fünfte
Generation, ins Unternehmen ein. Er ist
für das Internet zuständig.
Ihre Familie ist weitverzweigt. Wie ­bringen
Sie alle diese Leute auf eine ­­Linie?
Brunschwig: Ja, wir sind sehr zahlreich.
Mein Vater hatte zwei Brüder. Wir haben
sechs Cousins ersten Grades. Die Verteilung der Aktien ist aber sehr ausgeglichen. Wir haben einen Familienvertrag,
welcher ­vieles regelt. Er sieht vor, wie die
Aktien weitergegeben werden, wer die
Führung übernimmt, welche Kompetenzen man besitzen muss, um in eine Führungsposition zu kommen, und vieles
mehr. Der Vertrag sieht auch vor, dass die
Aktiven, die im Unternehmen arbeiten,
immer die Aktienmehrheit haben. Wenn
wir eine wichtige Entscheidung zu treffen
haben, müssen immer alle Partner uni­
sono einverstanden sein, die Mehrheit
reicht nicht.
Was kürzlich beim Modelabel Lacoste
­passiert ist, wäre bei Bongénie/Grieder
also nicht möglich? Dort verkauften
­Familienmitglieder in Eigenregie Aktien
an die Schweizer Maus Frères.
Brunschwig: In unserer Generation könnte
das nicht passieren. Wir sind vier Partner,
arbeiten seit 30 Jahren zusammen. Wir
kennen uns sehr gut. Wir haben unsere
Streitigkeiten und schreien uns auch ab
und zu an. Aber wir haben immer einen
Weg gefunden, um den Fortbestand des
Unternehmens zu gewährleisten. Wir lieben, was wir machen. Es ist nicht nur
­Arbeit, sondern auch ein Lebensstil.
Unternehmer Brunschwig:
«Wir haben keine Pläne, das
Unternehmen zu verkaufen.»
Zvonimir Pisonic
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