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14 formalhaut builds structures since 25 years. The instant cow project 1985 cemented their reputation. Their passionate house living room in the medieval town Gelnhausen has been part of “Deutschlandschaft“ at the Biennale 2004 and Finalist of the Mies van der Rohe Prize 2005. In formalhaut gabriela seifert and goetz stoeckmann “destill” space boundary from space. They set out from architecture, elimiminate function and research space itself. They cross borders between thought and image, trying to locate the emanation of beauty in space. € 10,00 [D] ISSN 1867-1187 ISBN 978-3-940677-41-9 c a l l i d u s . Ve r l a g w i s se n sc h a f t l i c h e r P u b l i k at io n e n f o r m a l h a u t n e w Gedanke und Bild, immer auf der Suche, was eigentlich die Schönheit von Raum ausmacht. ∙ Architektur die Funktion, um Raum zu finden. Sie bewegen sich auf einem schmalen Grat zwischen v e s s e l s In formalhaut destillieren seifert und stoeckmann Raum von Raumgrenze. Sie nehmen der formalhaut ® „Deutschlandschaft“ auf der Biennale 2004 und Finalist des Mies van der Rohe Preises 2005. c a l l i d u s . Ihr leidenschaftliches Haus „Living Room” im mittelalterlichen Gelnhausen war Teil von w o r k s formalhaut baut Artefakte seit 25 Jahren. Das Kuhprojekt von 1985 gründete ihren Ruf. formalhaut v e s s e l s ∙ n e w f o r m a l h a u t ® w o r k s formalhaut® Satz 1: Je mehr Gegenwart eine Grenze im Verhältnis zu der von ihr umschlossenen Leere hat, umso mehr wird diese Grenze Ursache für die Schönheit der Leere sein. Sentence 1: The more presence a boundary has relative to its captured void, the more the boundary will be the agent for the beauty of its void. Satz 2: Je mehr Weite der Raum im Verhältnis zu seiner Grenze hat, umso mehr kann diese Weite Ursache für die Schönheit des Raums sein. Sentence 2: The more vast a space relative to its boundary, the greater will be its agency for the beauty of space. vessels • new formalhaut works 4 all-round • Wolfe Creek Crater, Australia 2007 5 Räume sind Gefäße der Erwartung. Wenn sie nicht mit Dingen voll sind, füllen sie sich mit menschlicher Vorstellung. Durch Aneignungen und Handlungen füllen sie sich sogar mit Geschichten, mit Aura. Raum suggeriert Größe, als Universum Unendliches. Schauen wir in den Himmel, glauben wir fast, den Raum zu sehen – von wegen! Raum wird Objekt, wenn gewisse Merkmale auftreten: formale Geschlossenheit, prägnante Gestaltform und eine erkennbare Idee, ein Konzept. Ist das Objekt sehr groß, wird es monumental. In der Erfahrung des Monumentalen entwickeln Objekte starke eigene Präsenz, werden leibhaftig, zum physischen Gegenüber, ihre Aura strahlt aus, man kann in sie eintreten. 6 Gefäße Vessels Ein zum Becher gefügtes Händepaar könnte das erste menschengemachte Gefäß gewesen sein, um Wasser zu schöpfen, Nahrung zum Mund-Raum zu führen. Kommt die Idee fürs Gefäß vom Durst? Verdinglicht sich hier der Gedanke? Erfinden Lebewesen Behälter intuitiv? Cupped hands may have formed the first man-made vessel, to catch water, to transport food to the cave mouth. Does the idea for vessel stem from a thirst? Does the vessel solidify a train of thought? Do creatures create containers intuitively? Gefäße gab es, bevor unsere Vorfahren aufrecht gingen: Blütenstände, Nussschalen, Nester, Höhlen, Krater, Seen und Meere. Unerreichbar und magisch: der Horizont, das All. Und wer weiß – der Urknall? “Vessel” existed before man straightened up; calyxes, nutshells, nests; caves, craters, lakes and the seas. Untouchable and magic, the horizon, the cosmos and, who knows, the Big Bang? Menschen haben Gefäße als Utensilien, Artefakte, Kultobjekte und Symbole: primitive Schalen, Pokale, Platos Schierlingsbecher, Ming Vasen, das Pantheon, Ozeandampfer, Raumfahrzeuge, das Beijing Olympia Stadion, Nest genannt, der CERN Protonenbeschleuniger … Man creates vessels as utensils, artefacts, cult objects and symbols. Aboriginal bowls, goblets, Plato’s cup of hemlock, Ming vases, the Pantheon, ocean liners, space shuttles, the Olympic Beijing nest, the CERN proton accelerator … Und ist nicht aber umgekehrt auch das Innere des Gefäß-Raums ein Ort, an dem sich etwas oder jemand aufhalten kann und dort seinen Platz findet? Ein Möglichkeitsraum, auch wenn er leer ist oder erst recht, wenn er leer ist. Nach Laotse soll die Mitte frei bleiben und auch ein altes orientalisches Sprichwort besagt: „Masse ist der Diener der Leere.“ Rooms are vessels of anticipation. Unless full of things, they fill up with human imagination. Accommodating our cognitive creativity they facilitate stories, aura. Space suggests bigness; the universe implies the infinite. If we look into the skies, we think we see space, as if! Space becomes Object when certain events occur: prescribed enclosure, defined form and a recognisable idea, a concept. When the space/object is very large it can become monumental, developing charisma, becoming manifest. Its aura invites entry. And isn’t vice-versa the inner volume of the vessel also a place where someone or something can settle? A place of possibilities and options even when it’s empty – or only when it’s empty. Lao-Tse considers the middle should remain empty or as an ancient oriental saying puts it: “Mass is the servant of the void“. Vessel has purpose and function if we eliminate its voids, if we fill it with substance. Yet the unused and empty vessel is more absorbing. Its hollow form is spiritual, an anticipate vacancy. Being empty, the hollow form elicits invention. Gefäße sind zweckmäßig, wenn man ihre Leere verdrängt, sie mit Substanzen füllt. Unbenutzt und leer sind sie aber viel interessanter, dann wird ihre hohle Form spirituell, verbildlicht Erwartung, stimuliert unsere Fantasie. Space as emptiness seeks to be conquered. Boundaries add to its identity: lines that describe, planes that mask, smaller spaces that settle within, larger spaces that encase. Raum als Leere will erobert werden, er erhält er erst durch seine Grenzen eine Identität. Linien, Flächen, andere Räume, die kleiner oder größer sind als er selbst, Körper, die in ihm siedeln oder Körper, die ihn einhüllen. The vessel is an itinerant space looking for a place to rest and serve us – temporarily or permanently. The vessel is a container of a visible substance or an invisible idea, creating Place around and inside its volume. 7 Das Gefäß ist ein mobiler Raum, der einen Ort sucht, an dem er temporär oder dauerhaft lagern und uns dienen kann. Das Gefäß als Behälter einer sichtbaren Substanz oder einer unsichtbaren Idee schafft einen Ort um sich herum und in seinem Innern. Für Aristoteles ist der Ort die unsichtbare Hülle eines Körpers, den er unmittelbar und dicht umfasst, wie ein unsichtbarer Handschuh sozusagen. Er bildet eine mehr oder weniger große Aura und bleibt dabei aber unbeweglich – nämlich an Ort und Stelle. Der Körper aber wechselt den Ort, bewegt sich im Raum er sucht sich und/oder schafft einen neuen Ort. Der Raum, das Gefäß kann durch alle Dimensionen hindurch an einen anderen Ort transportiert werden, hinaus in den Kosmos oder hinein in das Innere anderer Körper. For Aristotle, Place is the invisible hull of a body/volume that envelops it like an unseen glove. It creates an auratic field of inexact dimension that nevertheless remains fixed – “in place”. The body/volume can change position, move in space, seek a new place. The space – the vessel – can be transported through all dimensions to a different place, out into the cosmos or into other volumes. Small vessels stimulate a paradox: can void and boundary be distilled to an indistinguishable dimension, such that we recognise both as being a single entity? Does the vessel make space tangible? What makes the smallest, even inaccessible vessel space enjoyable? Is it the character and constitution of its boundary? What makes a large space enjoyable? Is it the Sehr kleine Gefäße stimulieren auch zum paradoxen Denken: Könnten der Raum und die Dinglichkeit des Gefäßes so verdichtet werden, dass man beides als eine Einheit sieht? Machen Gefäße Raum begreifbarer? Was macht einen unbetretbar kleinen Raum schön? Ist es der Aufbau und die Eigenschaften seiner Raumgrenzen? Was macht einen großen Raum schön? Ist es unser Bewusstsein für seine Ausdehnung und seine schöne Raumgrenze? Was macht riesigen und kosmischen Raum erregend? Sind es seine unsichtbaren Grenzen, die Faszination des Unendlichen? Man weiß, für die Wahrnehmung von Raum reichen die Sinne allein nicht aus. Verschwindet die Raumgrenze, wird Raum reine Vorstellung. Vor vielen Jahren stellten wir sieben Kühe in Vitrinen auf eine Weide. Vor Frankfurts Skyline bauten wir ein Schach aus Silos: Häuser für Singles. Das Gebäude „Living Room“ ist extremer. Wir perforieren die Raumhülle und negieren die übliche Trennung von öffentlichem und privatem Raum: Das Außen transzendiert nach innen und das Innen wird zum Außen … notion of expansion, or the perception of the beauty of its boundary? What makes a very large or cosmic space enjoyable? It is the notion of the invisible boundary, the fascination with infinity. We know the senses alone are not enough to understand space. If the boundary becomes invisible, space becomes pure imagination. Many years ago, we put seven cows in display cases in a paddock. In front of Frankfurt’s skyline we built a chess set of 27 tall silos, houses for singles? The building Living Room is more extreme; we perforate the building’s hull, negating the usual distinction between public and private. The outside transcends to the inside and the inside can become the outside. The new works extend the esoteric manipulation of space. The framed tents confound ‘inside’ by folding; the spatial boundary of the Big Vessels has a fleeting presence, the light works … Mit den neuen Arbeiten manipulieren wir die Esoterik des Raums. Bei den Zeltbildern bringen wir das Innen/ Außen durch das Falten durcheinander, bei den großen Gefäßen machen wir die Raumgrenze durchlässig, bei unseren Lichtarbeiten spekulieren wir mit Raum ohne Masse … 8 vessels • Pforzheim 1996 9 crazy • Kay Farm, Victoria, Australia 2007 11 12 Raum ohne Funktion Space without function Wir spüren den Raum als etwas Luftiges, Transparentes. Vibriert Raum wird er auratisch und wir freuen uns über seine ästhetischen Versprechen. Wenn wir uns fragen, wie wir Raum professionell schön machen, fehlen uns präzise Antworten: Kreieren wir Räume oder entwerfen wir deren Raumgrenzen? We sense space as something airy and transparent. When space becomes vibrant and auratic, we enjoy the aesthetic promise of beauty. If we ask ourselves how professionally we make space beautiful, we fail to come up with the clear answer. We wonder, do we create space or do we simply create its boundaries? Es ist natürlich beides, aber: Wo entsteht das Schöne im Raum? Können allein die physischen Raumgrenzen schön sein, oder kommt die Schönheit des Raums aus der Weite seiner Leere? Die haarspalterische Frage treibt uns zum Experimentieren. Wir versuchen, Raum aus Raumgrenzen zu destillieren. Naturally, it is a little of both, but from where exactly does the beauty in space emanate? Could the physical boundaries be the agent of the beautiful, or does the beauty of space come from the vastness of its void? This hair-splitting question directs us to experiment. We seek to distill space from its boundary. Gerriet Rietveld schreibt 1954: „We separate, limit and bring into a human scale a part of unlimited space.“ “We separate, limit and bring into a human scale a part of unlimited space.” (Gerriet Rietveld, 1954) Wir nehmen den Räumen die Funktion und machen den Raum selbst zum Programm. Wir versuchen, Raumgrenze und Raum voneinander zu isolieren, den Raum im Bild zu verdrängen oder Raum ohne physische Grenzen sichtbar zu machen. We take function from space and call space the program itself. We seek to separate space from its boundary, try to eliminate space from the visible image, try to make visible the space without boundary. Durch das Raum-Destillieren wollen wir uns Raum nähern. Wir arbeiten in Dunkelheit. Wir arbeiten zu groß und arbeiten zu klein. Wir ändern die Arbeitstechnik. Wir stellen das Planerische zurück, lassen Maßstab und Modell soweit wie möglich weg. Wir wollen unmittelbar im Raum stehen, den wir 1:1 bearbeiten, nicht planen, sondern machen. Es entstehen Arbeiten über die rätselhafte Koexistenz von Raum und Raumgrenze. Wir verfolgen drei Arbeitsgruppen: Zeltbilder, Gefäße und nächtliche Lichtzeichnungen. Unsere neue Tour unterlegen wir in diesem Katalog mit Textfragmenten architektonischen Ursprungs. Die Abschnitte über die Entstehung schöner Räume verhalten sich wie Grenzgängern zwischen unseren Gedanken und neuen Bildern. Sie helfen uns, nichts zu konservieren, nie Richtigkeit zu beanspruchen, vielmehr: weiterzumachen. Through distillation, we try to get closer to space. We work in darkness. We work too small and we work too big. We change our work techniques. We remove ourselves from planning; whenever possible we avoid scale and model. We seek to operate wholly within the space in which we work, 1:1, full size, Making rather than Planning. Three work groups evolve tent pictures, repositories, nocturnal light drawings. In this catalogue, we accompany our new journeys with a salmagundi of speculations on the emergence of beauty. The texts start from architecture, cross borders between image and thought, provide warnings against persevering. We never claim rightness; we merely explore how to move on. 13 14 Glossar Glossary … wie alle, nutzen wir die Nacht zum Ausruhen und Pausieren, manchmal für Tagträume. Mithilfe der Fotografie projizieren wir Traumlinien in die Dunkelheit des Australischen Buschs. Der Busch ist riesig, verlassen, leer. Die Landschaft scheint zu ruhen, grübelnd, ahnend. Unsere Lampen hinterlassen Spuren auf unseren Wegen durch ihre Nacht. Die Kamera registriert, was wir unters Sternenlicht zeichnen. Unser Licht vereint sich mit ihrem Licht in der Ebene des Fotos. Zeitgleich, nebeneinander, ohne Gebietsansprüche … … as we all do, we use the night to pause – sometimes for a daydream. We employ photography to project the lines we dream into the obscurity of the bush. Our Australian photographs show the bush: vast, deserted and empty. The landscape seems at rest, brooding and anticipating. As we roam the night, our torches leave traces. The camera registers what is drawn on the earth with the cosmic light above. In the photographs, natural and artificial are two light systems in parallel – timely, co-located, yet in which territorial desire … … unsere Nachtbilder besuchen den Raum und die Zeit. Unser Geschreibsel aus Licht leuchtet zur kosmischen Strahlung, die Buchstabenlinien werden die kleinen Partner der großen Sternenbahnen. Während wir schreiben, vergehen Minuten. Die lange Belichtungszeit der Kamera registriert die Erdbewegung und unsere Handlungen. Das entstandene Bild zeigt Lichtlinien im unmittelbaren und entfernten Raum. Unsere Arbeit übersetzt Zeit maßstäblich in Raum. Maßstab ist das Werkzeug für das Begreifen des kleinen und des großen Raums, also unseres Raums auf Erden – des Universalen darüber … … our nocturnal photography addresses space and time. We write words with light, participating in the cosmic irradiation. Our light-trails are a microscopic partner of the star-trails. As we produce our artefacts, time moves on. The camera’s long shutter speed registers the earth moving and us performing. The result depicts near and distant spaces and time. Our works scales time into space. Scale seems an appropriate way to understand the varied aspects of space – be it space on earth or ‘above’ … 15 … das Dunkle Tagebuch ist ein Traum-Reisebericht von Down Under. Die Idee entstand auf Reisen durch den Australischen Busch. Die weite Landschaft beherbergte uns komfortabel, fast zärtlich, gab uns Schutz durch die überwältigende Abwesenheit von Menschen, ihre Einsamkeit. Wir fühlten uns so sicher, ganz besonders im Schutze der Nacht. Ein Paradox? Eine Reise wie in einem ewigen Traum, wo Landschaft, Himmel, Entfernung, Zeit und ein jeder selbst in dieser endlosen Wildnis, im universalen Transit, in ein großes Ganzes zusammenfallen. Das Dunkle Tagebuch erkundet diesen unheimlichen Rhythmus von sehr, sehr langsamem Puls. Eine Parabel über Tag und Nacht, Hell und Dunkel, Schwarz und Weiß. Allein gemacht mit unseren Mitteln dort draußen, dem Land Cruiser, Taschenlampen und den Handlungen unserer Körper. Ein Halo aus dunkler Materie, nichts verbleibt im Busch … … the dim diary is an Australian dream travelogue. The idea emerged during journeys through the bush. The consistent environment accommodated us with comfort, care and shelter, within a solitude that comes with a vast absence of people. We felt contented, most uniquely during the night. A paradox? A journey through a deathless dream in which landscape, sky, distance, time and self all merge into a whole. An environment of infinity and cosmic transition, the dim diary exploits a unique rhythm – a very, very slow pulse. A parable of night and day, darkness and light, black and white, transcribed with what we have out there – Land Cruisers, torches, the performance of our bodies. A dark halo of matter, no trace left in the bush … … Chatwin’s „The Songlines“ ist eine Verherrlichung der Reise. Eine exaltierte Ermutigung für den Start ins Neue, ins Ungewisse, für das Reisen und das Umherstreifen, um zu lernen. Chatwin macht sich oder gar seine Landsleute nie lächerlich mit Bemerkungen über die australische Dichotomie – ursprünglich nomadisch, heute sesshaft. Niemals spricht er von richtig oder falsch, oder von dem Vorteil des Einen über das Andere. Er kann beides bewundern, das Nomadentum und das Sich-Niederlassen. Seine Poesie ist wundersam wissend, sehr klug, visionär … … Chatwin’s “The Songlines” is an apotheosis of the journey. It is an exaltation of the move, the unexpected, the sojourn, setting out to roam and to learn. Chatwin never ridicules himself or his country by admitting to the Australian dichotomy – once nomadic, suddenly settled. He never takes the position of right or wrong, or of the superiority of the individual. He appreciates nomadism and settlement in parallel – so wonderfully knowing, very prudent, visionary … „… they lived und loved ant laughed end left …” zitiert von Joyces „Finnegan’s Wake“, seinem Buch über eine Nacht. Der Satz beschreibt paradigmatisch den Auf- und Untergang einer jeden Kultur. In die Tanami Wüste geschrieben sei der Satz ein Denkmal für die abwesenden Nomaden; die Kamera blickt nach Osten, Süden, Westen, Norden. “… they lived und loved ant laughed end left …” quotes from Joyce’s “Finnegan’s Wake”, the book about one night – a paradigm of a culture captured in one phrase. The sentence positioned in the Australian Tanami Desert as a monument to the absent nomads, and the camera points east, south, west and north … Joyce’s innocent • Tanami Desert, Australia 2007 with permission of The Barringer Crater Company 18 Delta Barringer Flagstaff, USA 2007 19 … wenn unsere Raumwahrnehmung nachts schwindet, schauen wir zum Himmel. Dann scheint der Raum greifbar. Beim Anblick der Sterne denken wir ans Grenzenlose, das Absolute. Immanuel Kant argumentierte für die Anwesenheit einer irrationalen kognitiven Auffassungsgabe neben der rationalen kognitiven unseres Gehirns. Nur die irrationale Auffassung erlaubt uns dieses höchst Abstrakte zu verstehen: den totalen Raum, das Universum. Unendlichkeit ist eine provokative, irre, ganz und gar aufregende Vorstellung von Raum. Diese Vorstellung fördert das Großzügige und die Transzendenz in unserem Denken … … while at night our perception of space is diminished, space seems more tangible when we look heavenward. We wonder about infinity as we regard the celestial, the absolute. Immanuel Kant argued about the presence of an irrational perception function across people’s rational perception functions. Only this irrational capacity, said Kant, enables us to conceive this very abstract thing – total space, the universe. Infinity as the representation of space is a provocative, exciting thought. It calls for generosity and transcendence in one’s thinking … … Landschaft, der organische Raum, ist die Genesis unseres Planeten. Kunst und Architektur sind fremde Eingriffe in ihren Kontext. Vielleicht sind sie ja – qua Definition – sogar Teil der Landschaft. Wie auch immer: Wenn wir gestalten, müssen wir uns wirklich Sorgen um die Landschaft machen? Von wegen Moral: Landschaft unterscheidet nicht zwischen Gut und Böse, Landschaft ist Evolution … … landscape, the organic space reflects the genesis of our planet. Art and Architecture are alien interventions in this context. Let’s say Art and Architecture are – by definition, vital parts of it. Either way, as soon as we create, do we really need to care about landscape? Not for any moral reason. Landscape does not define good or bad, nature is described by evolution … ground speed • Tanami Desert, Australia 2007 22 … Architektur, also der geometrische Raum, bietet Schutz, erlaubt das Lagern von Vorräten, bildet das Urbane und unsere öffentlichen Räume. Architektur ist niemals eine Einrichtung wie etwa ein Werkzeug oder eine monofunktionale Notwendigkeit. Architektur ist immer eine Schichtung von Sehen, Tasten, Riechen, Erfühlen, Erleben, Leben, Lieben, Kontemplieren, Arbeiten und vielem mehr. Architektur ist immer ein Vielfaches und in der Vereinigung des Vielfachen ein hochgradig komplexes Artefakt. Architektur ist Kunst – natürlich nicht immer, aber ein um das andere Mal wird Gebautes zur Baukunst, zu großer Architektur – ähnlich wie Gemaltes sich vereinzelt zu großer Malerei, zu Kunst erhebt … … das www hat sich als ein Dritter etabliert, dem virtuellen Raum. Dieses Virtuelle veranlasst uns, unsere Beobachtungen des Realen in anderen Zeitabschnitten zu begreifen. Die Möglichkeit von Omnipräsenz im Virtuellen erlöst uns aus der langwierigen Zeit-/WegAbhängigkeit. Ist es nicht so, dass die visuelle Eroberung weit entfernter oder gar sehr gefährlicher biologischer Räume unseren Respekt vor der Natur zwar fördert und dabei jedoch leichte und einfache Erreichbarkeit, sprich Vereinnahmung, suggeriert? Wo übrigens war Armstrong, auf dem Mond oder in unseren Wohnzimmern? … … als wir „Living Room“ planten, bemerkten wir, wie sich die innere künstliche Landschaft als Moralinstanz für das gesamte Gebäudeenvironment gerierte. Sie verweigert den Wettbewerb mit der Architektur oder der Kunst. Es schien unmöglich, mit dem quasi Natürlichen zu konkurrieren. Unsere ursprüngliche Idee war, Landschaft zu umhausen. Irgendwann erkannten wir aber, dass wir Natürliches, also Landschaft, in ein Ar- … architecture as the geometric space offers protection, facilitates the storage of stock, forms urban life and our public spaces. Architecture is never just a tool or a mere function. Architecture is always a layering of seeing, touching, smelling, feeling, loving, working and so much more. Architecture is multiplicity, and at its best, an artefact. Once in a while building becomes an art of building, great Architecture – similar to the way in which a painting is occasionally elevated to the status of great painting, to art … … the www has introduced itself: the virtual space. This virtual environment urges us to relate our understanding of the natural to our concept of time and realness. In its omnipresence, www redefines the relation of distance and time. The visual presence of the most distant, the most removed, the most dangerous biological environment dilutes our sometimes respectful attitude towards landscape. And where has Armstrong been? On the moon or in our living rooms? … … when we built Living Room, the internal artificial landscape provided a moral focus to the building’s environment. It made every other part of the architectural and artistic work uncompetitive. It was impossible to compete with the quasi-natural. The original idea was to bring landscape indoors. Eventually we realised that we wanted to turn the natural into an artefact. But the dominance of the green, the small location and the built form made all of our structured design attempts look picturesque. We wanted to do away with the distinction between the natural (and illustrative) and the abstract. We like to exclude nature as the focus of morality … 23 tefakt verwandeln wollen. Aber das dominante Grün, die Kleinheit des Ortes, die Gebäudeform ließen alle unsere strukturellen Ansätze einfach nur pittoresk erscheinen. Wir wollten aber den Unterschied zwischen dem Natürlichen (Illustrativen) und dem Abstrakten aufheben. Wir wollen die Natur als Moralinstanz abschaffen … … wir sehen die Schönheit in unserer natürlichen Umwelt, wir sehen die Schöpfung und wir erfreuen uns daran. So werden wir auch nach der Schönheit in der Kreation des Künstlichen suchen und sie wahrnehmen. In dem Begriff Schönheit kulminieren alle Versuche ein Artefakt als Kunst zu qualifizieren. Als Schönheit in der … we see beauty in our natural environment, we see beauty in creation, and we find joy in it. We will search for and perceive beauty in the creation of the artificial. The concept of beauty is the culmination of all attempts to express an artefact as art. Beauty is in the appearance of the form itself, or concealed in the process of the perception of art. Beauty then, is the distinguishing criterion that helps us to recognise Architecture. According to Kant, beauty is “usefulness without use” … Plato’s walking patterns Dodekaeder, Ikosaeder Plato’s • Breitenborn 2007 25 reinen Erscheinungsform der Kunst selbst oder Schönheit verborgen in dem Prozess der Wahrnehmung der Kunst. So ist die Schönheit das distinguierteste Kriterium, das uns hilft, Architektur als solche zu erkennen. Kant sagt: Schönheit ist „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ … … wir sehen eine Verbindung zwischen der Abstraktion der architektonischen Erscheinung an sich und der Anwesenheit von Kunst auf den Oberflächen und innerhalb der Räume von klassischer Architektur. Kunst war hier nicht nur eine Verschönerung der Architektur. Auch mehr als die Aneignung von Ort im Sinne der Höhlenmalerei. Wir glauben, die Malerei und die Plastik fungierten darüber hinaus auch als darstellerische Mittel, die befremdliche Abstraktheit der Architektur mit der Überlagerung von Realität für die menschliche Anschauung zurückzugewinnen. Die Künste als die anschaulichsten bildhaften zweiund dreidimensionalen Kommunikatoren von irdischer und mystischer Realität wurden in die Architektur integriert. Architektur wurde der Wirklichkeit zurück- … we see an interrelation between the abstraction of architectonic appearance and the presence of art on the surfaces of classical architecture. In this context, art is not merely an ornamentation of architecture. Unlike cave painting, it is also more than the appropriation of place. We believe the painting and sculpture act to salve the extreme abstraction of the architecture by overlaying another reality, embellishing the raw form to appeal to the broader values of human perception. The visual arts, as the most graphic two- and threedimensional communicators of earthly and mystical reality, were integrated into architecture. Architecture was returned to reality. Concrete and figurative works of art in the flesh of architecture fulfilled this task with great success. Furthermore, they extended architectonic space by means of perspectival and illusionary paintings that lead skywards into the cosmic realm … … buildings, which replaced rock niches, hollow tree trunks and earth/rock caves, do not resemble natural phenomena in their tectonic structure, nor in their appearance. They don‘t resemble nests (Abbe Laugier’s grey • house of tomorrow gallery, Tokyo 2008 gegeben. Gegenständliche und figurative Kunstwerke im Fleisch der Architektur erfüllten diese Aufgabe mit großem Erfolg, mehr noch, erweiterten den architektonischen Raum beispielsweise mit perspektivischen und illusionären Malereien himmelwärts ins Kosmische … 26 Vessel prototype • Gelnhausen 2007 primitive hut). Not a tree or a forest (Joseph Rykwert’s picture of the Egyptian temple). They don‘t resemble people, except the column. They are something invented by people. The desire for protection was transformed into something entirely new, something previously unknown: into Architecture. The desire for a geometric space is a great intellectual effort … 27 … neben dem Repräsentativen wird Architektur aufgrund von ökonomischen, sozialen oder technischen Programmen errichtet. Ein Gebäude kann sich einer Funktion annehmen und so Funktion ermöglichen. Funktion allein aber kann ein Gebäude architektonisch nicht aufrichten. Ein Gebäude ist körperhaft, Masse, Material, Hohlraum und Öffnung. Gebäude ist Gravität. Gebäude ist Licht und Dunkel. Gebäude ist Ortsbestimmung und Setzung. Gebäude ist Raumgrenze und Raum … … es gibt genug Freiräume der Gestaltung innerhalb des geometrischen Raums, wo es neben der Funktion, die sowieso nicht die große Rolle für das architektonische Glück des Hauses spielt, ganz und gar Architektonisches gestaltet werden kann, lustvoll. Alois Riegl sagt anfangs des letzten Jahrhunderts, dass das Wesen der Architektur vor allem anderen, also a priori darin liegt, zu erschaffen, Raum zu schaffen. Das heißt, der Wunsch nach Raum, als Ausdruck eines kultivierten Artefakts ist eine Willensleistung, ein Kunstwollen. So wird ein Bauanlass ein Übriges, Untergeordnetes, Nachfolgendes. Lediglich ein Kontrakt. Vessel prototype • Gelnhausen 2009, structural engineering: Eugen Schuler gbd 28 … Gebäude, welche Felsnischen, hohle Baumstämme oder Erdhöhlen ersetzen, ahmen diese natürlichen Phänomene weder in ihren tektonischen Strukturen noch in ihrer Gestaltform nach. Gebäude sind weder Nest (Abbe Laugier: die primitive Hütte) noch eine Ansammlung von Bäumen wie der Wald (Joseph Rykwert: der ägyptische Tempel). Sie stellen auch nicht die menschliche Figur nach, ausgenommen Säulen. Gebäude sind eine Erfindung des Menschen. Der Wunsch nach Schutz wurde in völlig Neues transformiert, das nicht bekannt war, Architektur. Geometrischer Raum ist eine enorme intellektuelle Leistung … … beyond the representational, architecture is triggered by economic, social or technical function/program. Architecture can also adopt function/program. However, function/program alone cannot form architecture. A building is corporal, mass, fabrics, voids and openings. A building is gravity. A building is light and dark. A building is locality and setting. A building is space boundary and space … „… Ist es aber nicht nach dem frühesten Kulturerwachen der Menschheit die Absicht aller und jeder Baukunst, die über die Schaffung des bloßen Males hinausging, auf Raumbildung gerichtet gewesen? Die Architektur ist doch eine gebrauchszweckliche Kunst, und ihr Gebrauchszweck lautet in der Tat allzeit auf die Bildung begrenzter Räume, innerhalb denen dem Menschen die Möglichkeit freier Bewegung offenstehen soll. Wie aber schon diese Definition lehrt, zerfällt die Aufgabe der Baukunst in zwei Teile, die einander notwendigerweise ergänzen und bedingen, aber gerade darum in einem bestimmten Gegensatz zueinander stehen: die Schaffung des (geschlossenen) Raums Function does not play the crucial role for the architectonic success of a house. There is enough freedom of design within the geometric space for something completely architectonic to be created, joyfully. Alois Riegl said that the nature of architecture is primarily – a priori – about creation: the creation of space. The wish for space, as an expression of a cultivated artefact, is an achievement of the will, the will to art. In this context, the reasons for building something becomes spare, subordinate, an afterthought. It is merely a contract. “… since the earliest cultural awakening of humanity, has it not been the intention of each and every type of building that went beyond one single creation to aim for the creation of space? Architecture is an art intended for practical use, and this use always consists in the creation of finite spaces, within which the individual can move freely. As this definition already tells us, the task of building is divided into two parts which necessarily complement and influence each other, but exist in a type of opposition precisely for this reason: the creation of the finite space as such, and the creation of spatial borders. Right from the beginning, human creativity had the opportunity of engaging in one of these tasks at the expense of the other. One could let the spatial borders dominate to such a degree that that the building would become a sculptural structure. Equally, one could expand the spatial borders to such an extent that it would invoke in the visitor the thought of infinity and immeasurability of space …” (“Late Roman Art Industry” 1927, Alois Riegl) In Riegl‘s grandiose description of distinguishing features it becomes apparent that autonomous possibilities can be found in architectonic material, specifically, in spa- 29 still life • St.Petri, Lübeck 2009 structural engineering: Eugen Schuler gbd 31 vessel models 33 als solchen und die Schaffung der Raumgrenzen. Damit war dem menschlichen Kunstwollen seit Anbeginn die Möglichkeit geöffnet, den einen Teil der Aufgabe auf Kosten des anderen zu betreiben. Man konnte die Raumgrenzen derart überwuchern lassen, dass das Bauwerk in ein plastisches Bildwerk überging. Man konnte andererseits die Raumgrenze in solche Fernen hinausschicken, dass im Besucher dadurch der Gedanke an die Unendlichkeit und Unmessbarkeit des freien Raums erweckt wurde …“ (Alois Riegl in „Spätrömische Kunstindustrie“, 1927) tial boundaries. It doesn‘t matter which programmes architecture abandons, it still has the power of space and materiality through which it can develop freely and undisturbed. Architecture is autonomous. … formalhaut takes the liberty to say: vessel is the “genus“ of an open system, regardless whether artificial or natural. The halved nutshell can be experienced as a repository, just as the intangible sky canopy. The clay bowl is no different to the blouse, tent, building, and so still life • St.Petri, Lübeck 2009, structural engineering: Eugen Schuler gbd Vessel project • Johanniterkirche, Feldkirch (Photo: courtesy Eva Jakob) In Riegls grandioser Beschreibung der architektonischen Wesensmerkmale zeichnet sich ab, welch autonome Möglichkeiten im architektonischen Material, den Raumgrenzen und im Raum selbst liegen. Es ist gleichgültig welcher Programme sich die Architektur entledigt, hat sie doch die Kraft ihrer Materialität, ihrer Räume und Raumgrenzen, in der sie sich ungestört frei entfalten kann. Hier ist Architektur autonom. 34 forth. The metaphoric catalysts are scale and abstraction. Vessels solely represent a correlation of mass, and its partner, void. The mass is solidity, the void, transparency. The perception of mass happens by sight, the perception of void by uncovering. 35 … formalhaut nimmt sich die Freiheit zu behaupten, Gefäß sei Oberbegriff für ein offenes System, egal ob als natürliches oder als künstliches Ding. Die halbe Nussschale kann ebenso als Behälter empfunden werden wie das unbegreifliche Firmament, die Tonschale ebenso wie die Bluse, das Zelt, ein Gebäude und so fort. Der metaphorische Katalysator ist Maßstab und Abstraktion. Gefäße sind die Korrelation von Masse und ihrem Partner, der Leere. Masse ist Dichtigkeit, die Leere ist Durchsichtigkeit. Die Wahrnehmung von Masse geschieht durch Sehen, die Wahrnehmung von Leere durch Erkenntnis. Wir sind an dieser Dichotomie von Sehen und Imagination interessiert, besonders das Kipp-Bild von Leere und Raum. Angenommen es gäbe den schönen Raum – und Raum ist durchsichtig – wo kommt seine Schönheit her? Kann Raum selbst Aura oder Erhabenes ausstrahlen, egal ob eine schöne Raumgrenze anwesend ist oder nicht? Uns reizt das Ringen mit diesem Rätsel. Raum führt uns zu der delikaten Frage: Wie eigentlich machen Architekten oder Künstler Raum? Ist seine Größe durch seine Raumgrenzen bestimmt? Apropos Gefäß: Gibt es hier Raum nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb? Der Gefäßrand ist eine flüchtige Raumgrenze, die doch ein Innen von einem Außen trennt. Bei einer ephemeren Raumgrenze, etwa in der Dunkelheit, unter Wasser, innerhalb des Horizonts auf einer planen Ebene oder unter dem Firmament: Was macht Raum erregend? Hat die Wahrnehmung von Raum mit seiner Größe zu tun? Braucht die Leere eine Mindestaus- 36 back up • project for St. Georgen, Wismar formalhaut is interested in this dichotomy of sight and imagination – we are fascinated by the picture puzzle of void and space. Given there is a beautiful space – and space is transparent – where does beauty stem from? Can space by itself emit aura and the sublime – regardless of whether a beautiful visible boundary exists? We enjoy wrestling with this hair-splitting question – space directs us to a delicate question. How do architects or artists form space? Is it sized by defining boundaries? Take the vessel – does space exist in- and outside a boundary? The vessel’s rim is a strange and ephemeral boundary that separates an inside from an outside. At the ephemeral boundary: in darkness, under water, in the forest, within the peripheral horizon of a planar environment, under the bare canopy. What excites about space? Is the sensation of space to do with size? Does void need a certain dimension to become space? Does smallness of void require the surplus of the beautiful boundary for aura and the sublime to be enjoyed? dehnung, um als Raum empfunden zu werden? Braucht eine kleine Leere die Zugabe einer schönen Raumgrenze, um Aura und Erhabenes auszustrahlen? Wir schlagen zwei Sätze vor, die das ästhetische Verhältnis von Raum und Raumgrenze beschreiben könnten: Satz 1: Je mehr Gegenwart die Raumgrenzen im Verhältnis zur umschlossenen Leere haben, umso eher können die Raumgrenzen Ursache für die Schönheit des Raums sein. Satz 2: Je mehr Gegenwart die Leere des Raums im Verhältnis zu seinen Raumgrenzen hat, umso eher kann die Leere Ursache für die Schönheit des Raums sein. … maßstäbliche Arbeit ist ein mathematischer Verkleinerungs- bzw. Vergrößerungsprozess. Er abstrahiert das Größenverhältnis zwischen der Realität und ihrer modellierten Darstellung. Sobald wir unserem Bewusstsein die maßstäbliche Übersetzung von Form zutrauen, können wir uns Kleines für Großes und Großes für Kleines vormachen. We wonder, is there is a reciprocal function between beautiful boundary and beautiful space therefor we propose the following: Sentence 1: The more presence a boundary has relative to its captured void, the more the boundary will be the agent for the beauty of its void. Sentence 2: The more vast a space relative to its boundary, the greater will be its agency for the beauty of space. … working to scale is a mathematical up- or downsizing process to give a relationship between the visualised and the real. Once we trust our cognitive capacity for proportional scaling of form we can imagine small for big – or big for small. Drawings and maquettes employ scale for planning. A creator sketches ideas to model a reality. Scale bluffs, charms and suggests integrity. Maquettes and drawings can emit their own aura, even beauty. This is wonderfully promising. Zeichnung und physisches Modell brauchen den Maßstab zu ihrer Erschaffung. Der Erfinder skizziert seine Idee als Modell der Realität, doch der Maßstab ist charmant, suggeriert Integrität, täuscht. Physische Modelle und Zeichnungen können eine ganz eigene Aura ausstrahlen, sogar Schönheit. So sind sie wundervolle Versprechen. back up • project for St. Georgen, Wismar 37 back up • project for St. Georgen, Wismar 39 40 out back • Kay Farm, Victoria 2007 (Photo: Mathanraj Ratinam) 41 Die Konstruktion eines Modells oder einer Zeichnung kann nicht den vollkommenen Umfang und Charakter einer Idee reflektieren. Des Erfinders Visionen vom Fühlen, Berühren, Hören oder Riechen wird kein maßstäbliches Modell vermitteln. Das Modell hat seine eigene Komplexität. Das Endprodukt ist vollkommen durchgeplant, bevor es gebaut wird. Gerade deshalb verdient die Anmut von Zeichnung und Modell unsere Besinnung. Maßstäbliches Modellieren fordert und fördert die Idee, gleichzeitig beschäftigt man sich mit den Ausdrucksmitteln: Bleistift und Papier, Computer und Programm, Karton und Cutter, Lehm und Hand. Zeichnung/Modell sind ambivalent: Einerseits sind sie ein Portrait der Planung und andererseits kreieren sie das Schöne in der Zeichnung oder im physischen Model an sich selbst. 42 Die künstlerische Integrität von Zeichnung und Modell sind verwand mit dem eigentlichen Konstrukt, welches sie darstellen. Diese Verwandtschaft benimmt sich wie zweieiige Zwillinge: Eine stellt das Konzept des eigentlichen Konstrukts dar, die andere stellt das Konzept von Zeichnung/Modell dar. Vom gleichen Erzeuger stammend, haben beide doch unterschiedliche Charaktere und Eigenschaften. So begehrlich ihr intimer Austausch zu wünschen wäre, so wenig können sie den Inzest haben, ziemlich trickreich … The construct of the drawing/maquette does not reflect the entire character of the idea. The scale model will not suggest the creator’s understanding of feel, touch, sound or smell proposed for the finally product. The model’s complexity is of a different nature. Nevertheless, the ultimate product is completely designed to scale before it is built. The grace of a scale drawing and the prettiness of a scale maquette therefore deserve our contemplation. Scale modelling encourages, captures the idea and engages with the sources of expression: paper and pencil, computer and programme, card and cutter, clay and hands. Drawing/modelling is a double-edged weapon – the portrayal of the concept and the creation of beauty in the drawing or maquette. The artistic integrity of the drawing/maquette is akin to the artistic integrity of the construct it represents. These kindred integrities behave like binovular twins, one representing the concept of the construct and one representing the concept of the drawing/maquette. Stemming from the same origin, they have different characters and dependencies. While intimate engagement is desirable – they can rarely perform such incest; tricky … … im „als ob“ eines Modells vermittelt gerade das Maßstäbliche dem kreativen Schöpfer die erste proportionale Illustration seiner Idee. Er genießt die Illusion, die miniaturisierte Illustration entspreche potenziell seiner Idee. Eher gleicht das Vage seiner Idee den groben Vereinfachungen des Modells durch die Maßstäblichkeit. … in the “as if” of a modell, particularely scale delights the creator with the idea’s first proportional illustration. The joy is provided by the creator’s illusion: the miniatured illustration to embody the potential. Scale’s approximation rather corresponds to the creator’s vagueness of vision … In dieser Gleichung aus noch Unbekannten haben Illustration und Idee eine – wenn auch flüchtige – Stimmigkeit: die Balance von mathematischer Funktion und kreativer Form. Schon im nächsten Augenblick entwickeln Idee und Illustration veränderte Werte: Jetzt trennt das Maßstäbliche das Ätherische vom Berührbaren. In this relationship of uncertainties, idea and illustration experience a sudden yet fleeting coherence: the balanced juxtaposition of mathematical function and creative form. An eyeblink later – illustration and idea develop their own idiosyncrasies – parted by scale, ethereal and tangible in turn. Gleichwohl erstreben Idee und Illustration das gemeinsame Ziel ihrer Entwicklung, das Objekt/Gebäude. Trotz vielfältigster Verknüpfungen von Gedanken, Modell und schließlich Produkt entwickeln sich Idee, Illustration und Produkt in drei unterschiedlichen Aggregatzuständen. Bemerkenswerterweise streben alle künstlerisch nach Schönheit. Schönheit allerdings erfordert die Integrität der Einzelteile wie des Ganzen. Eine Idee ist ein Gedankenmuster, das im Bewusstsein des Kreativen eingeschlossen ist. Eine maßstäbliche Illustration ist eine gezeichnete oder modellierte Miniatur des Objektes/Gebäudes, ohne Grundstück und figurativ abstrakt. Das Objekt/Gebäude schließlich ist Masse und Öffnung, Schwerkraft und bivouac • Akademie der Künste Berlin 2002 43 Konstruktion und befindet sich in urbaner oder natürlicher Umgebung. Mentales Verstehen, Illustration und Objekt/Gebäude haben artspezifische Erscheinungsformen. Ihre jeweiligen Schönheiten können nicht auf gleicher Grundlage beurteilt werden … In tandem they focus on the cause of their evolution – the object/building. While richly intertwined, the creator’s imagination, illustration and product develop separately within their distinct mediums. Artistically, all three aspire to beauty. … die geometrische Teilung einer Strecke 1:1 provoziert den paradoxen Gedanken von Individualität zweier gleicher Teile und Symmetrie. Geometrische Streckenteilungen in immer ungleicher werdende Abschnitte erfordern Beurteilungen auf mögliche ästhetische Beziehung ungleicher Teile; jedoch erschöpft sich der Anteil, der als angenehm empfundenen Wahrnehmung vom Verhältnis ungleicher Streckenteile zueinander, schnell, lange bevor die ungleicheste Teilung erreicht ist, A:A-1. Ultimately beauty requires integrity of each part of the whole. An idea is a thought pattern encapsulated in the creator’s understanding. A scale illustration is a drawn or moulded miniature of the object/building, site-less, and figuratively abstract. The object/building is mass and void, gravity and construct, urban or natural. Understanding, illustration and object/building exist within different contexts. Their beauty and integrity cannot be judged by equal tenets … Die Länge zu Breite Beziehung einer rechtwinkeligen Fläche kann auch proportional sein, wenn Länge und Breite einer proportionalen Zweiteilung einer Strecke entsprechen. Einige proportionale Geometrien lassen sich auch in andere Medien transportieren, zum Beispiel in die Musik. Es sei auch bemerkt, dass die Proportion nur eine von vielen ästhetischen Gestaltungskodexen ist … Proportionalität ist der geometrische Ausdruck einer Zahlenkombination. Bestimmte Geometrien mit Proportionen wie der Goldene Schnitt, 2:1, 3:1, 4:1 usw. scheinen ästhetisch erfolgreicher als andere. 44 Proportionen sind strittig und schlicht unbeweisbar. Sind sie etwa ästhetische Vereinbarungen auf der Grundlage von Empirik und Sehgewohnheiten? Adoptiert als ästhetisches Establishment und intellektuell äußerst attraktiv, faszinieren sie jeden kreativen Geist. … the 1:1 division of a distance expresses the paradox thought of individuality of two equal parts and symmetry. Creating uneven divisions by unequal separation requires aesthetic judgement to confirm pleasing visual relationships. The visual satisfaction of increasingly uneven parts is fading soon, long before the most uneven division occurs, A:A-1. In the width-to-height ratio a vertical rectangular plane can be proportional, if width and height relate to a proportional division of a distance. Some proportional geometries are also successful in other mediums, like sound. It should be noted, proportion is just one of many aesthetic design codes … Effective proportionality is the geometric substitution of number combinations. Particular geometries, with proportions like the golden section (1:1,618), 2:1, 3:2, 4:3 etc., seem to succeed aesthetically more than others. Proportionen in Artefakten beflügeln die Neugierde des Betrachters für die Entwicklung und den Sinn schöpferischen Tuns; vermutet der Betrachter in Proportionen doch eine Art höherer Ordnung. Als Grundlage für Dinge wie Komparabilität, Rhythmus, Reproduktion, Repetition und Serialität stimuliert das Erkennen von Proportionen das geistige Auge. Proportionen helfen, ein Artefakt in seine Teile, Unterteile, Unter-Unterteile usw. zu zerlegen. Proportionen ordnen, suggerieren dem Betrachter Erkenntnis über Teile des Aufbaus eines Artefakts, verstärken seine Beziehung zum Werk, ziehen ihn hinein. Beim Gestalten auf Proportionen zu verzichten, provoziert das Kunstwerk – und macht es autonomer … … Architekten kennen durch ihre professionelle Arbeit mit großen Bauformen die verflixte Zeitspanne, die sich zwischen ihre Idee und deren einstweilige Realisierung legt. Jahre der Planung vergehen, bevor sie ihr imaginiertes Gebäude betreten. Während der Planung großer Formen wird die wirkliche Gebäudeform mit verkleinerten und kodifizierten Abstraktionen simuliert, in Zeichnung oder Modell destilliert und miniaturisiert. Um sich deren Realität zu nähern, trimmen die Architekten ihre Sinne auf diese Verkleinerung. Jedoch entsteht das tatsächliche Gebäude nicht als Vergrößerung seiner Miniatur. Das Planen von Architektur ist weitgehend eine mentale Leistung. Der Architekt arbeitet mit Schichten von Form: Masse, Öffnung, Himmelsrichtung und Pseudo-Form: Funktion, Ressourcen, Baugesetz, Genius Loci usw. Um diese Vielfalt zu organisieren, überlagert Proportions are contested, artless, un-provable; codified aesthetic agreements on levels of empiricism and visual custom. Adopted as the aesthetic establishment and intellectually attractive, proportions excite creativity. Proportions encourage curiosity about the evolution of design and the process of artistic creation, suppose the observer understands proportion as an order of higher degrees. As a basis to employ comparison, rhythm, reproduction, repetition and series, proportion stimulates the mind’s eye to distill an artefact into its parts, sub-parts, sub-sub parts – ad infinitum. By assisting this more detailed understanding, proportions enhance the relation with the artefact, drawing the viewer in. Abandoning proportions during creation provokes the artefact, increases its autonomy … … Architects, involved in the creation of large forms, know the gulf of time that lies between their concepts and their erstwhile construct. It takes many years of planning before architects encounter their building. In this gulf, codified abstractions act in place of the aspired form. To appreciate the scale, Architects turn and trim their senses to interpret reduction. The large form is distilled into maquettes and drawings, and yet the building does not originate as an enlargement of a miniature. The planning of architecture is a mental accomplishment. The Architect deals with layers of form – mass, void, direction – and pseudo-form – genius loci, function, law, resources. To manage the multiplicity the Architect must absorb and subsume the layers and so create a hypothetical context from the varied realities. 45 weekend • 2007 und fasst der Architekt alle Formschichten zusammen und kreiert so einen hypothetischen Kontext variabler Realitäten. Von diesem Urkontext extrahiert der Architekt sein Konzept. Konzept ist eine synthetische Planungsphase, essenziell für die Homogenisierung von Masse und Öffnung mit Ort, Funktion usw. Das Konzept ist ein Prozess, der zwischen kognitiven architektonischen Einheiten und denen daraus geborenen Modellen und Zeichnungen oszilliert. 46 Allmählich wechselt die gesamte Planung in den individuellen Jargon (Talent) des Architekten. Die Idee wird durch ein Urbild des Gebäudes ersetzt, die PseudoFormen lösen sich in Masse und Öffnung. Masse und Öffnung zeigen sich allerdings zweigestaltig: illustrativ in Zeichnung und Modell, vergeistigt im kognitiven Bild des pathfinder • 2007 From the primal context the Architect extracts the Concept. The Concept is a synthetic planning phase, essential for the homogenisation of mass and void with locus, function etc. The Concept oscillates between the design of cognitive architectural units and their native representation in maquette and drawing. All planning converts to the individual jargon (talent) of the Architect. The idea is compensated with the antitype of the building. The pseudo-forms merge into a new whole of mass and void. Mass and void exhibit dimorphism: illustratively – as drawing or marquette; spiritually – as the Architect’s cognitive expression of reality. The Architect’s cognition approaches the anticipated construct … Architekten. Es ist das Bild im Bewusstsein des Architekten, das dem Gebäude stets näher ist als jedes Modell … … Zelte versinnbildlichen Entwurzelung, Reise, Migration, Schutz. Als triviale Massenprodukte oder HightechBiwaks für den Abenteurer bedienen Zelte moderne Trends von Müßiggang bis zum Extremsport. Als seriöses Heim (gegenüber seriöser Reise) erinnern Zelte ans Nomadentum. Als rückbezügliche Referenz sehen wir in ihnen Muster der modernen Nomaden: vor einer Mattscheibe sitzend, im www surfend. Ort und Information kommen zu ihr/ihm … … kleine Zelte sind federleichte Häuser. Ihre genähte Konstruktion ähnelt Kleidern, ihr räumliches Volumen Häusern. Zelte sind leichter als Häuser, aber größer als Kleider … … tents represent dislodgement, journey, migration, shelter. Trivial mass products for wanderlust or hightech bivouacs for adventure, tents serve modern trends from idle to extreme. As serious homes (as opposed to serious travel), tents call to mind the traditional nomadism. As a reciprocal reference, we consider the patterns of the modern nomad, surfing the www while sitting still, location and information coming to them. … small tents are feather light homes. Their sown construction compares to clothes, whereas their spatial volume compares to buildings. Tents are more lightweight than buildings but bigger than clothes … 47 Die Rahmen entfremden die Zelte von ihren konstruktiven Eigenschaften. Wir falten, nehmen das Zeug auseinander, schneiden, pinnen. Es wird nichts illustriert und übertragen. Wir arbeiten schlicht mit dem, was wir vor uns sehen, also Materialeigenschaften, Struktur, Linie, Form und Farbe. Wir mögen Diptyche, vielleicht um ein gewisses konstruktives Element innerhalb des Bildes zu halten. Wir halbieren das Zelt, jeder von uns macht ein Bild. The frame alienates the tent from its constructive properties. We fold, untack, dismantle, cut, we pin up. The process is immediate, intuitively about form. We bypass scale, drawing, model. We do not illustrate, we do not transcribe. We get what we see at one to one. We deal with material property, structure, form, line and colour. We like diptychs, to maintain the idea of tent construct within the picture. We half the tent, Gabi composes one frame, me the other. oztrail – 2dome • diptych 2007 twin peaks • diptych 2008 48 Wir schmunzeln über die Gebäudegröße von Zelten, ihre Weichheit, Harmlosigkeit, Billigkeit und Transportierbarkeit. Ihr Aggregatzustand erträgt Ausdehnung und Verdichtung. Zelte sind unser Rohmaterial für 1:1 Arbeiten, so ähnlich wie Farbe für den Maler. We smile benignly about their manageable building size, softness, inoffensiveness, cheapness, transportability. Their aggregate condition provides expansion and compacting properties. We resource tents as raw material for 1:1 works – almost like paint. Wir bekommen sie überall, bevorzugen einfache Farbmuster und simple Geometrien. Wir legen sie auf Tische, breiten den Stoff aus und raffen ihn zusammen. Wir testen Weichheit, Rutschigkeit und Sprödigkeit fürs Falten. Wir schauen nach Größe und Rapport, machen uns mit der Stoffmenge vertaut, checken Reißverschlüsse und Säume als potenzielle Linien. Sowie die Buntheit akzeptiert ist, behandeln wir sie wie Rohmaterial. Wir picken die Zelte in flache Kästen aus Softbord, nennen das ganze Rahmen. Eventuell bauen wir Glas davor, um alles haltbar zu machen. We get them easily, good colours and simple geometries are favoured. We lay them up on tables, spread and gather. We test the fabric’s smoothness, slippage and resistance to folding. We study size and rapport, get familiar with the amount of material; we check seams, zips and cords for their line potential. Colours, once obtained are approached as the primal resource. We build flat frames from soft-board, add glass fronts – the nomadic tents are to become permanent. 49 Unser geschätzter Ludger Gerdes(†) sagte: „… anstatt bestimmten Zwecken zu dienen, ist schöne Kunst demnach eine zweckmäßige Handlung, deren Ende offen ist. Sie initiiert Handlung, deren Ende sie nicht durch einen von Anfang an mitgegebenen oder überhaupt durch einen angebbaren Begriff eines Zwecks vorherbestimmt. Das Schöne, also neben dem Kunstschönen auch das Naturschöne, ist nicht zweckdienlich, sondern zweckmäßig. Und seine Zweckmäßigkeit besteht darin, dass es, um Kants Ausdrucksweise zu verwenden, öffnet. Es 50 Our esteemed Ludger Gerdes† said: “… beautiful art, instead of serving a particular use, is a purposive action which is open – ended. It initiates action, whose end is not determined by any notion of purpose that might be given or even just implied in the beginning. The beautiful – that is the naturally beautiful as well as the artificially beautiful – is not a means to an end, but an end in itself. Its end consists in the act of opening. Rather than merely serving a particular use, it opens up an inconceivably wide field of experiences and actions. This use of the beautiful eröffnet ein unabsehbar weites Feld von Erfahrungen und Handlungen, als bloß bestimmten Zwecken dienlich zu sein. Und diese Zweckmäßigkeit des Schönen für Erfahrung und Handlung, ohne dass ein angegebener Zweck dabei verfolgt werden müsste, ist eine Offenheit für verschiedene und verschiedenste sinnliche und „geistige“ Re-Aktionen, d. h. für Anschauung und überlegende Denkhandlung. Für ein Nachdenken, in dem erst ein Zweck imaginiert wird, für den das Schöne sich in seiner Erfahrung durch den Beobachter als zweckvoll erweist …“. for experience and action, without having to follow a given end, is an openness to diverse and fundamentally different sensuous and ‚intellectual‘ re-actions, that is, to perception and contemplative thinking. To a thoughtful reflection, where a purpose is imagined, by means of which the beautiful shows itself to be purposive in the experience of the spectator …” the beauty of the bush • Moore’s Gallery, Fremantle 2007 51 52 zelt • Werkstatt Galerie 20, 8 x 2 m, Wismar 2009 53 Nachwort Valentin Rothmaler Epilogue Valentin Rothmaler 1997 wurde ich zum „steirischen herbst“ – ein jährlich wiederkehrendes Kunstfestival in Österreichs Bundesstaat Steiermark mit seiner Hauptstadt Graz – eingeladen. Ich habe eine Installation in der Landschaft gemacht: „Venushügel“ – ein 200 qm großes Dreieck aus weißem Sand auf dem Grund als Zeichen in seiner Doppelbedeutung von See- und Sehzeichen (ich komme von der Ostseeküste Deutschlands). Nach dem ich die Arbeit beendet hatte, besuchte ich die große Kunstausstellung sowohl im Museum als auch draußen in der Stadt. In 1997 I was invited to participate in the „steirischer herbst“ (styrian autumn) – the annual art event of Austria’s state of Steiermark. I did a site specific installation in the countryside: “Mount of Venus” – a 200 square meter triangle of white sand reflecting the ambiguity of see and sea (I come from Germany’s Baltic coast). After finishing my work I visited Graz and its major art show in the fine art museum and throughout the city. Ich erinnere noch immer besonders eine Arbeit: eine Kollektion von Igluzelten, wie man sie in jedem gewöhnlichen Kaufhaus erwerben kann. Draußen an einer Böschung konnte man etwa 30 bis 40 Zelte sehen, aufgebaut in strenger, geometrischer Struktur, wie ein skulpturales bzw. architektonisches Muster. Im Museum dann konnte man einige Zelte ausgebreitet an der Wand finden und in einem anderen Raum war eine 54 I still remember one art piece: a collection of igloo tents that can be bought in every department store. Outside on an embankment one could see some 30 to 40 tents in a strong geometrical grid like a sculptural and architectural pattern. Inside the museum you could see some tents stretched on the wall and in another room a wall was occupied by some dozen rolled tents with a flashlight in each (which clearly referenced Joseph Beuys’ “Rudel” (pride)). I remember it so well because cow project • Vogelsberg 1985 (Photo: Alexander Beck) Wand mit einigen Dutzend gerollter Zelte bestückt, die jeweils mit einer Taschenlampe versehen waren (was offensichtlich Joseph Beuys’ „Rudel“ zitierte). Ich erinnere mich deshalb so gut an diese Arbeit, weil sie so tief meine Wahrnehmung besetzte. Ich habe immer noch einige Dias von dieser Arbeit, die ich in jenen Tagen fotografiert habe. Es war eine Arbeit von formalhaut, einer Künstlergruppe, seinerzeit aus Ottmar Hörl, Gabriela Seifert und Götz Stöckmann bestehend. Die Zelte erinnerten mich stark an das Werk von Franz Erhard Walther, das ich seit Jahrzehnten verehre. Er hat Handlung, Zeit und Ort in die Gegenwartskunst mit seinem „1. Werksatz“, den er erstmals in den späten 60ern im MoMA in New York gezeigt hat, eingeführt. Man kann die Kunst in unterschiedlichen Stadien haben: in Form eines Lagers, „Lagerform“ wie die gerollten Zelte bei formalhaut, in „Schauform“ (an der Wand ausgestellt) wie die ausgebreiteten Zelte an der Wand des Grazer Museums oder als Werkzeug zur Handlung („Handlungsform“) wie die draußen in Graz aufgebauten Zelte. it occupied my perception so deeply, and I still keep photographs of the work. The tents were a piece by formalhaut, an artist group that at that time comprised Ottmar Hörl, Gabriela Seifert and Götz Stöckmann. The piece reminded me very much of the work of Franz Erhard Walther who I have admired for decades. He invented action, time and real site in contemporary art with his “1. Werksatz” (first set of work), first shown in the late 60’s at the MoMA in New York. You could have the art pieces in different forms: in a form of a storage: “Lagerform” (storage status) like the rolled tents of formalhaut, in “Schauform” (displayed on a wall) like the stretched tents on the walls of the museum in Graz, or as a tool for action (“Handlung”) like the tents displayed outside in the city of Graz. And the tents in the city were really used by the public. As Gabriela and Götz were to tell me much later, in the last night of the event each tent was stolen and just the imprints of its squared ground remained as a yellowish square in the lawn, like a geometrical pattern of something Double knight game • Art Frankfurt 1989 (Photo: Alexander Beck) 55 Gästehaus • Steirischer Herbst Graz 1997 Übrigens sind diese Zelte wirklich benutzt worden von der Öffentlichkeit: In der letzten Nacht der Veranstaltung wurden alle Zelte gestohlen und nur der Abdruck der quadratischen Grundfläche blieb gelblich im Rasen zurück wie ein geometrisches Muster zeigend, dass dort etwas gewesen sei. Die Grazer Bewohner haben wirklich dieses archaische Bild des Wohnens benutzt, in dem sie die Zelte weggenommen haben und nur noch den quadratischen Abdruck im Rasen übrig ließen. Diese Geschichte haben mir Gabriela und Götz später erzählt. 56 Einige Jahre später berichtete mir ein neuer Kollege in meiner Hochschule in Wismar, Matthias Ludwig, von formalhaut. Sie studierten gemeinsam am Städelschen Institut in Frankfurt am Main, einer der feinsten deutschen Kunsthochschulen. Dank seiner Hilfe traf ich Gabriela und Götz und unser erstes Treffen begründete eine große und tiefe Freundschaft bis heute. Sie haben als Lehrer für Kunst und Architektur in meiner Sommerakademie gewirkt, sie hielten Vorträge für unsere Studenten und nun zeigen sie Einiges aus ihrem Werk – zwischen Kunst und Architektur stehend – in that happened before. The people of Graz fully engaged with the image of an archaic dwelling by taking it away and leaving only the imprint of its ground square shape in the lawn. Some years after that event a colleague of mine in the University of Wismar, Matthias Ludwig, told me of formalhaut. They met as school friends at the Städel Institute in Frankfurt am Main, one of the finest art schools in Germany. With his help I got in touch with Gabriela and Götz, made an appointment, and ever since have enjoyed a great and deep friendship. They joined my summer school in Wismar as art and architecture teachers, they gave lectures to our students, and now they are displaying their work – between architecture and art – in Wismar and Lübeck’s St. Petri church. In Lübeck there are three of their enormous vessels – out of the body of their fascinating new work, made from wood and playing with the huge columns of that gothic church. On campus in Wismar, there are two large tent pieces like a collage facing each other, questioning inside and outside, the essence of architecture and art. And Wismar und in Lübecks St. Petri Kirche: in Lübeck drei ihrer enormen Gefäße – aus ihrer faszinierenden neuen Werkgruppe „vessels“, aus Holz gemacht spielen sie mit den riesigen Pfeilern der gotischen Kirche – und auf dem Campus in Wismar zwei große Zeltarbeiten, sich gegenüberliegend wie eine Collage im Sinne von Innen und Außen, den wesentlichen Elementen von Architektur und Kunst. Und der vorliegende Katalog zeigt einige ihrer jüngsten Fotoarbeiten, sehr nah an Land Art in bester Weise. Immer noch formalhaut, ohne Ottmar Hörl, der inzwischen in Nürnberg Professor und Rektor der Kunstakademie geworden ist, der Name ist Programm: Form ist grundlegend für Kunst und Architektur und Haut ist einerseits die Oberfläche, die man berühren kann und andererseits die Membrane zwischen Innen und Außen. Ich bin sehr froh einige Arbeiten aus dem weitgespannten Werk von formalhaut hier in Wismar und in Lübecks St. Petri Kirche zeigen zu können. Living Room • Gelnhausen 2004 (Photo: Arwed Messmer) the catalogue shows some of their recent photographic work, which is close to “Land Art” in its best manifestation. Still known as formalhaut – but without Ottmar Hörl who is now art professor and president at Nuremberg’s art academy – the name reflects the program: form is essential in art and architecture, and skin (Haut) is the touchable surface on one side and the membrane between inside and outside on the other. I am really glad to display some of the extensive body of work by formalhaut here in Wismar and in St. Petri in Lübeck. 57 selected exhibitions 2009 vessels, St. Petri zu Lübeck und Kellergalerie Wismar* 2008 grey, house of tomorrow gallery, Tokyo* 2007 geometric environments, Moore’s Gallery Fremantle* 2005 Mies van der Rohe Preis Finalist exhibition, Barcelona 2004 Architekturbiennale, Venedig 2003 outback, Kay Farm, Victoria* 2002 bivouac, Akademie der Künste, Berlin* 2000 bye bye, Gelnhausen* 1999 living room, AA school of architecture gallery, London* 1997 guest houses, Steirischer Herbst, Graz** 1994 schwarz-rot-gold, translokation, Graz** 1991 cinema bleu, sites choisis, Niort ** 1990 robots, storefront for art and architecture, NY* ** 1989 double knight game, Art Frankfurt* ** 1988 Berlin - Denkmal oder Denkmodell, aedes Galerie Berlin** 1987 caravan, Galerie Haffner, München* ** 1986 hylster, Galerie ROM, Oslo* ** 1985 cow project, Vogelsberg* ** * solo exhibition, ** with Ottmar Hörl selected buildings and projects: Gabriela Seifert and Goetz Stoeckmann at Living Room 2007 (Photo: Arwed Messmer) 2007 elkamet production halls, Myslinka 2005 elkamet company czech head office, Myslinka 2004 living room, Gelnhausen 2001 office refurbishments, Munich 1999 plus-energy-house Wienold, Freiburg 1998 reconstruction and development elkamet plant, Biedenkopf 1997 elkamet production halls, Wilhelmshütte 1996 Kapfbrücke Feldkirch 1995 Am Lindenbaum train station, Frankfurt, competition 1st prize 1992 Kindergarten Sossenheim, Frankfurt, competition 1st prize 1991 Flammer residence, Biedenkopf 1988 sports arena, Frankfurt *with Z. Turkali for AGB, ** with Martin Häusle CubeForm Beiträge aus der Fakultät Gestaltung der Hochschule Wismar in Zusammenarbeit mit dem Kunstverein Wismar e. V. Herausgegeben von Valentin Rothmaler. Zu beziehen über callidus. Verlag wissenschaftlicher Publikationen, Wismar Der Andachtsraum im Reichstagsgebäude 9 Zeichnen Zwischen Zeit und Zero Rothmaler + Studenten Kunst wächst manchen über den Kopf Robert Janz Günther Uecker 13 5 Zwei Spaziergänge zu „7000 Eichen“ von Joseph Beuys 1 Installationen im öffentlichen Raum 21 x 20 cm, 44 Seiten mit 10 Farb- und 20 Schwarz/Weiß-Abbil- 21 x 20 cm, 36 Seiten mit 6 Farb- und 24 Schwarz/Weiß-Abbildun- 12 x 21 cm, 112 Seiten mit 32 Schwarz/Weiß-Abbildungen und 2 21 x 20 cm, 60 Seiten mit 10 Farbabbildungen, dungen, mit Texten von Valentin Rothmaler, Norbert Lammert und gen, mit Texten von Betty Klausner und Valentin Rothmaler, Karten, mit Texten von Maria Elena Granda Alonso, Karl Heinrich 24 Schwarz/Weiß-Abbildungen, mit Texten von Wolfgang Herzer, Thomas Baltrock, deutsch/englisch deutsch/englisch, Hülbusch, Georges Moes, Käthe Protze, Valentin Rothmaler u.a. Giwi Margwelaschwili und Jürgen Schweinebraden, deutsch/eng- ISBN 978-3-940677-40-2, August 2008, Preis 12,00 Euro ISBN 978-3-940677-37-2, Juli 2002, Preis 7,50 Euro ISBN 978-3-940677-33-4, November 1997, Preis 6,00 Euro lisch, vergriffen Plakate Franz Erhard Walther Raffael Rheinsberg Klaus Staeck 12 8 AIDA 4 Architektonik 21 x 20 cm, 60 Seiten mit 28 Farbabbildungen, 21 x 20 cm, 36 Seiten mit 10 Farb- und 9 Schwarz/Weiß-Abbildun- 21 x 20 cm, 66 Seiten mit 11 Farb- und 23 Schwarz/Weiß-Abbildun- mit Texten von Valentin Rothmaler, deutsch/englisch gen, mit einem Text von Valentin Rothmaler, gen, mit Texten von Valentin Rothmaler und Statements von Franz ISBN 978-3-940677-39-6, Dezember 2006, Preis 12,00 Euro deutsch/englisch Erhard Walther, deutsch/englisch vergriffen ISBN 978-3-940677-36-5, Dezember 2000, Preis 7,50 Euro ISBN 978-3-940677-32-7, November 1996, Preis 12,00 Euro Eine Retrospektive Harald Naegeli Günther Uecker 12 Jahre Sommerakademie 11 7 Garten 3 in Wismar 1995 21 x 20 cm, 48 Seiten mit 94 Farbabbildungen, 21 x 20 cm, 42 Seiten mit 6 Farb- und 14 Schwarz/Weiß-Abbildun- 21 x 20 cm, 62 Seiten mit 20 Farb- und 58 Schwarz/Weiß-Abbil- 20 Schwarz/Weiß-Abbildungen, gen, mit einem Text von Valentin Rothmaler, deutsch/englisch dungen, mit Texten von Henner Hannig, Harald Naegli und Valentin mit Texten von Valentin Rothmaler, deutsch/englisch, ISBN 978-3-940677-35-8, Rothmaler, deutsch/englisch vergriffen November 1998, Preis 9,00 Euro ISBN 978-3-940677-31-0, November 1995, Preis 12,00 Euro Twins G. Roy Levin Michael Dörner Zwillinge 10 6 Zwischen Risiko und Einrichtung 2 Holocaust Paintings 21 x 11,5 cm, 42 Seiten mit 30 Farbabbildungen, 21 x 20 cm, 36 Seiten mit 6 Farb- und 14 Schwarz/Weiß-Abbildun- 21 x 20 cm, 52 Seiten mit 6 Farb- und 12 Schwarz/Weiß-Abbil- mit Texten von Uwe Gutzmann und Valentin Rothmaler, gen, mit Texten von Gunnar F. Gerlach und Valentin Rothmaler, dungen, mit Texten von G. Roy Levin, David Mamet und Valentin deutsch/englisch deutsch/englisch Rothmaler, deutsch/englisch ISBN 978-3-940677-38-9, März 2006, Preis 5,00 Euro ISBN 978-3-940677-34-1, April 1998, Preis 7,50 Euro ISBN 978-3-940677-30-3, Januar 1996, Preis 7,50 Euro Katalog anlässlich der Ausstellungen formalhaut ® twilight • Werkstatt Galerie 20, Hochschule Wismar still life • St. Petri, Lübeck Impressum Herausgegeben von Gedruckt und Verarbeitet von Valentin Rothmaler IDENTevent – Dr. Bernd Frank, Nuthetal Professor für Elementares Gestalten Hochschule Wismar, Fakultät Gestaltung Umschlagfoto www.fg.hs-wismar.de, [email protected] detail of the beauty of the bush • Moore’s Gallery, Fremantle 2007 in Zusammenarbeit mit dem Kunstverein Wismar e. V. Unseren herzlichen Dank an Verlegt von Alfred und Friedhelm Jakob, Jan Kavan, Iris Löhlein, callidus. Verlag wissenschaftlicher Publikationen Anthony Meadows und Eugen Schuler Technologie- und Forschungszentrum das St. Petri Kuratorium Lübeck Alter Holzhafen 19, D-23966 Wismar und den Förderkreis der Hochschule Wismar e. V. www.callidusverlag.de, [email protected] glossary with reference to texts of Gestaltet von Aristoteles, Immanuel Kant, Lao Tse, Plato, Alois Riegl, callidus. Verlag wissenschaftlicher Publikationen Joseph Rykwert, Heinrich Wölfflin formalhaut ® Moerfelder Landstrasse 72 Printed in Germany D-60598 Frankfurt am Main © 2009 callidus. Verlag wissenschaftlicher Publikationen www.formalhaut.de, [email protected] Alle Rechte vorbehalten Übersetzt von ISSN 1867-1187 Anthony Meadows, London ISBN 978-3-940677-41-9 stop making sense • Breitenborn 2006