Stabil - ver.di
Transcription
Stabil - ver.di
STABIL Multimillionär: Stark bildend für Stabilität Ausgabe 2 September 2012 Soziale Unruhen wie die in England 2011 (großes Foto) befürchtet Peter Krämer. Angst vor Stacheldraht Der Hamburger Reeder Peter Krämer (vom Managermagazin auf 600 Mio. Euro geschätzt) war in Südafrika. Und fordert für sich und seinesgleichen Steuererhöhungen ähnlich wie die Gewerkschaft ver.di. Denn in Johannesburg hat er gesehen, wie sich Reiche in einer gespaltenen Gesellschaft verbarrikadieren müssen, mit hohen Mauern und einem Stacheldraht, der unter Spannung gesetzt wird. Krämer: „Es macht nicht so arg viel Spaß, dort spazieren zu gehen. Solche Verhältnisse möchte ich in Deutschland nicht erleiden.“ Umverteilen ALLE Fotos: Facundo Arrizabalaga / epa; Elke Wetzig ist gut für Wie bitte - für alle? Ja, denn der Staat braucht mehr Einnahmen. Ein armer Staat nützt niemandem. Er muss dafür sorgen können, dass die Menschen gesichert aufwachsen, sich bilden, arbeiten, leben, wirtschaften und Gewinn für alle erzielen können. Der Staat muss auch seine Schulden zurückzahlen können. Trotz Schuldentilgung darf er nicht kaputt gespart werden. Denn er muss kräftig investieren - in seine Infrastruktur, in Krankenhäuser, in Kindertagesstätten, in Bildung etc. Das ist ein Gewinn für alle - und mit solchen Staatsausgaben kommt die Wirtschaft in Schwung, werden Arbeitsplätze geschaffen und gesichert. Mit einer Umverteilung von oben nach unten haben die Nicht-so-Reichen mehr Geld in der Tasche. Weil sie im Verhältnis mehr konsumieren als die Reichen, steigt insgesamt die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen. Das kurbelt die Wirtschaft an. Das erhöht die Importe aus anderen Ländern - was uns und ihnen hilft. Mitmachen! Samstag, 29. September Der ver.di Bezirk Düsseldorf beteiligt sich an der Zentralkundgebung des Aktionsbündnisses um-fair-teilen in Köln. 10 Uhr: Treffen auf dem Düsseldorfer Bahnhofsvorplatz (Konrad-AdenauerPlatz) um gemeinsam mit dem Zug nach Köln zu fahren Ablauf in Köln: 12 Uhr: Auftaktkundgebung auf dem Roncalliplatz neben dem Dom 13 Uhr: Demonstrationszug durch die Innenstadt 14 Uhr: Hauptkundgebung auf dem Heumarkt mit Ulrich Schneider (Paritätischer Gesamtverband), Gabriele Schmidt (ver.di NRW), Özlem Alev Demirel (DIDF), Ulrich Thöne (GEW) Musik: La Papa Verde, Wolf Maahn Kabarett: HG. Butzko, Wilfried Schmickler Aktionen gibt es in vielen weiteren Städten, zum Beispiel in Bochum. Infos: http://umfairteilen.de/start/staedte/ Reichtum besteuern Wie Reiche begünstigt werden schen der Normalverdiener stammen. Denn beispielsweise werden nur bis zu einem Monatseinkommen von 3.825 Euro Anteile für die gesetzliche Krankenversicherung eingezahlt. Reiche können sich darüber hinaus oft komplett aus der solidarischen Versicherung verabschieden, als Selbstständige oder als sehr gut Die YACHTEN dürfen sie behalten Krass weit weg Tragen wir mal die Vermögensverteilung auf einem Lineal ein. Wenn wir annehmen, dass 1 Zentimeter einem Vermögen von 50.000 Euro entspricht, passen die allermeisten Deutschen, 99 Prozent, mit ihrem Vermögen auf dieses Blatt Papier. Ganz oben am Rand wären die Menschen, die über rund eineinhalb Millionen Euro Vermögen verfügen. Doch dann geht es los. Wie weit ist wohl der reichste Deutsche von diesen 99 Prozent entfernt? 10 Meter? 100 Meter? Das Eigentum von Karl Albrecht, dem Eigentümer von Aldi-Süd, wird auf 19,5 Milliarden Euro geschätzt. Das Lineal müsste 3,9 km lang sein, damit sein Vermögen darauf noch eingetragen werden kann. Ein Fußgänger braucht dafür eine knappe Stunde. 99 Prozent haben weniger als 1,45 Mio Euro Vermögen (entsprechend 29 cm) verdienende Angestellte. Dann sorgen sie nur noch für sich selbst – von ihren Immobilienanlagen aber haben die Rentner nichts. Niemand will Reichen ihre Yachten nehmen, mit denen sie über die Meere vagabundieren. Oder fast niemand. Aber Umverteilen hat eine andere schöne Wirkung: Wenn die besonders Reichen genügend Steuern bezahlen, dann vagabundiert nicht mehr so viel Kapital über den Globus. Dann ist weniger Geld übrig zum Spekulieren, für undurchschaubare Finanzpapiere und Immobilien. Der Überschuss an diesem Geld ist eine Ursache für die Finanzkrise gewesen, die sich zur Wirtschafts- und Eurokrise ausgewachsen hat. Reicher Mann und armer Mann, standen da und sahn sich an. Und der Arme sagte bleich: „Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“ Bertolt Brecht Arme Kommunen – Düsseldorf spart 100 Millionen Euro weniger Gewerbesteuer als sonst hat die Stadt Düsseldorf in der Kasse – eine Folge der Finanzkrise. Schon geht es ans Kürzen, obwohl Düsseldorf verglichen mit anderen Kommunen immer noch recht gut da steht. Elf Jugendzentren sollen komplett geschlossen werden. Bis zu 20 Kindertagesstätten sollen an neue Trä- ger gehen, also privatisiert werden. Damit werden wieder Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst abgeschafft. Daraus werden Arbeitsplätze, die schlechter abgesichert und schlechter bezahlt sind. Wenn hingegen auch die Kommunen einen guten Anteil von den geforderten Reichensteuern bekommen, können sie den Rotstift auch mal zur Seite legen. 1 cm = 50.000 Euro STABIL Fotos: Photosucher / piqs.de; Jörg Kolbe / Bundesarchiv Unter Finanzminister Peer Steinbrück wurde die Steuer auf Zinseinkommen auf 25 Prozent gesenkt. Die Folge: Wer mit seinem Kapital 100.000 Euro Haben-Zinsen kassiert, zahlt nur 25.000 Euro Steuern. Dagegen muss ein Arbeitnehmer mindestens 34.000 Euro Steuern zahlen, der mit seiner Arbeit 100.000 Euro verdient. Ein Spekulationsgewinn wird also steuerlich extra belohnt – völlig zu unrecht. Außerdem: Nur auf Arbeitseinkommen werden Sozialabgaben erhoben – auf Zinseinkommen nicht. Das macht gut 20 Prozent Abgaben, die nur aus den Ta- Wie Reiche beteiligt werden Der Staat wird immer ärmer, die Reichen immer reicher. Diese Forderungen von ver.di sollen das ändern: Vermögensabgabe Die Reichen sollen einmalig 10 bis 30 Prozent von sehr großen Vermögen abgeben – zur Finanzierung des Gemeinwesens. Nur ihr Nettovermögen ist gemeint, also nach Abzug von Schulden und einer Million als Freibetrag. 10 Prozent Abgabe sind es ab einer Million Euro Nettovermögen, 20 Prozent ab zehn Millionen und 30 Prozent ab 100 Millionen. Die Zahlung wird auf zehn Jahre gestreckt – dadurch müssen sie meist weniger abgeben als das, was sie in dem Zeitraum an Zinsen für das Geld einnehmen. Die Reichen haben also nachher nicht weniger Vermögen als vorher. So kämen insgesamt weit über 200 Milliarden Euro zusammen. Die Vermögensabgabe ist verfassungskonform, das hat ver.di prüfen lassen. Und sie ist nichts Neues: Ab 1949 haben schon einmal die Reichen einen sogenannten „Lastenausgleich“ aufgebracht. Damals mussten sie mit 50 Prozent ihres Vermögens für alle einstehen, auf 30 Jahre verteilt! Finanztransaktionssteuer Billionen Euro jagen in Sekundenbruchteilen um den Globus. Finanzanlagen zu kaufen und zu verkaufen kostet so gut wie nichts – im Gegensatz zu Brot und allen anderen Waren, auf die eine Umsatzsteuer anfällt. Ein paar Promille Steuern auf große Finanzgeschäfte, auch international – das Gemeinwesen profitiert davon, und die wahnsinnige Spekulation wird verlangsamt. Höhere Spitzensteuer ver.di fordert auf Jahreseinkommen über zwei Millionen Euro einen Spitzensteuersatz von 80 Prozent. Das heißt, dass jeder über 2 Millionen ver- diente Euro mit 80 Cent zu versteuern wäre. Das ist nichts Ungewöhnliches. Bis 1981 hatten die USA einen Satz von 95 Prozent, danach senkte USPräsident Reagan die Steuern – und trieb das Land in die Verschuldung. Gegen Steuervergehen Gleichzeitig sollte konsequent gegen Steuervergehen vorgegangen, Schlupflöcher gestopft und Steueroasen ausgetrocknet werden. Das geht sofort, innerhalb der geltenden Gesetze. Dazu muss die Finanzverwaltung personell und technisch deutlich verstärkt werden. Und nicht Stellen abgebaut werden. Keinen Kuchen bunkern! Jedes Jahr ein neuer Kuchen – und es macht Ökonomen Sorgen, wie ungleich er verteilt wird. Vermögenssteuer Wenn Reiche jährlich ein Prozent Steuer auf ihr Privatvermögen zahlen, dann kommt – trotz hoher Freibeträge – Einiges zusammen, nämlich rund 20 Milliarden Euro pro Jahr. Mit den Einnahmen könnten die Bundesländer die Bildung verbessern. Fotos: Luiz Rocha / shutterstock.com; Jörg Hagendorf Erbschafts- und Schenkungssteuer 250 Mrd. Euro werden jährlich vererbt. Die Erben zahlen nur sehr geringe Steuern. Würde die Erbschaftssteuer so hoch angesetzt wie in Frankreich, dann ergäbe das jährlich 10 Milliarden Euro Einnahmen – bei hohen Freibeträgen. Und das eigene Häuschen bleibt verschont, wie bei der Vermögenssteuer. STABIL Der Anteil am Kuchen, den die bestverdienenden fünf Prozent der Haushalte erhalten, ist beständig gewachsen. Um die Jahrtausendwende bekamen sie 20 Prozent des Einkommens, 2011 hingegen schon 25 Prozent – und das von einem größeren Kuchen. Für die Geringverdiener bleibt immer weniger übrig. Die unteren 50 Prozent der Vollzeitbeschäftigten erlitten sogar real Einbußen. Das Privatvermögen hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt, auf 10.000 Milliarden Euro, davon gehören mittlerweile 53 Prozent den reichsten 10 Prozent. Tendenz steigend. Und das Einkommen aus Gewinnen ist seit 1999 dreimal so schnell gewachsen wie das Einkommen aus Löhnen. Dies alles macht Ökonomen Sorgen, weil die Bestverdiener zu viel Geld sparen statt es auszugeben. Sie frieren ihren Teil des Kuchens ein – und schmälern die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Der nächste Kuchen wird dann nicht so groß, wie er ohne das übermäßige Sparen der Reichen werden könnte. Höhere Steuern für die Reichen und höhere Löhne helfen der Wirtschaft. Sie steigern Investitionen und erhöhen Nachfrage und Konsum. Professor Hickel, wie ist das mit dem JOBWUNDER? Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Rudolf Hickel, 70, befasst sich seit 1975 kritisch mit der Wirtschaftspolitik der jeweiligen Bundesregierung. Er ist Mitbegründer der „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“. 2012 erschien sein Buch „Zerschlagt die Banken. Zivilisiert die Finanzmärkte.“ die Zumutbarkeitsregel durchgesetzt worden: Jeder, der arbeitslos ist, muss jede Arbeit annehmen. Und das kann nicht die Antwort sein. Der Staat wird durch diese Politik belastet, weil zum Beispiel aufstockendes Arbeitslosengeld auf das Gehalt bezahlt werden muss, und vieles mehr. Der richtige Satz lautet: „Vernünftige, humane und gute Arbeit ist besser als Arbeitslosigkeit.“ STABIL: Also anständig bezahlte Arbeit entlastet die Staatskasse? Ja, genau. Wir haben Berechnungen, wenn wir Mindestlöhne von zum Beispiel 8,50 Euro einführen würden, dann hätten wir erheblich mehr Einnahmen auch bei den Sozialkassen. Das heißt, dann würde das System wieder funktionieren. STABIL: Viele sagen: Dass wir so toll exportieren, liegt an den geringen Löhnen. Stimmt‘s? Eine der größten Legenden, ein völliger Unfug. Die Agenda 2010 hat maßgeblich nur im binnenwirtschaftlichen Bereich gewirkt. Die Exportwirtschaft steht deshalb so gut da, weil die Unternehmen restrukturiert haben und weil da auch gute tarifvertraglich geregelte Arbeitsverhältnisse sind. Die Elektround Metallindustrie hat kaum so etwas wie Niedriglohn. Also der Wirtschaftsbereich, der extrem exportfähig ist, ist darauf gar nicht angewiesen. Das Sonderproblem Leiharbeit in dieser Branche gehen Gesamtmetall und IG Me- tall an. Die Billiglöhne konzentrieren sich auf Dienstleistungen, Pflege, Gebäudereinigung, Friseure. Lauter Unternehmen, die mit der internationalen Konkurrenz nichts zu tun haben. STABIL: Also die OECD, die Organisation der Industriestaaten hat unrecht, wenn sie fordert, wegen des hohen Exportüberschusses müssten die deutschen Löhne erhöht werden? Die OECD hat recht, und das Argument läuft ein bisschen anders. Es geht darum, dass gemessen an der Wertschöpfung in der Gesamtwirtschaft der Anteil der Löhne zurück gegangen ist und die Lohnerhöhungen recht moderat gewesen sind. Das hat natürlich schon zu den Exportüberschüssen beigetragen. Die Stammbelegschaften sind auch zu wenig an der Wertschöpfung beteiligt worden. Das ist zutiefst eine Folge der Tarifpolitik. Das muss jetzt korrigiert werden. Das Interview führte Ulli Schauen. Impressum STABIL. Stark bildend für Stabilität Redaktion: Uwe Foullong (verantwortlich), Annette Gregor, Ulli Schauen, Dirk Sondermann c/o ver.di Bezirk Düsseldorf Sonnenstr. 10, 40227 Düsseldorf E-Mail: [email protected] www.duesseldorf.verdi.de Layout: Claudia Junker Druck: TIAMAT druck, Düsseldorf STABIL Foto: Sebastian Höhn STABIL: Die „Agenda 2010“ wird zehn Jahre alt. Es gab zum Jubiläum kürzlich Schulterklopfen für Altbundeskanzler Gerhard Schröder. Wirtschaftswissenschaftler gratulierten: So viele Jobs, so wenig Arbeitslose trotz Krise – das sei ein Erfolg von Schröders Gesetzen. Tatsächlich? Prof. Rudolf Hickel: Das Lob kommt von denen, die die Politik mit zu verantworten haben. Die Agenda 2010 war eine der schwersten ordnungspolitischen Fehlentscheidungen. Dass wir in Deutschland im Niedriglohnsektor über sieben Millionen Menschen haben, ist eine unmittelbare Folge. Wer das einen Erfolg nennt, der nimmt diejenigen nicht ernst, die in schlechten, nicht mehr existenzsichernden Arbeitsverhältnissen leben. STABIL: Was tun? Die notwendige politische Antwort sind Mindestlöhne und die Regulierung der Leiharbeit. Die Leiharbeit ist ja massiv 2003 dereguliert worden. Weil es die Spaltung am Arbeitsmarkt gibt, müssen wir reagieren. STABIL: Man könnte auch sagen, ein schlechter Job ist besser als keiner und Sozialhilfe zu beziehen. Der dümmste Satz, so ähnlich formuliert, stammt von Wolfgang Clement: „Arbeit ist besser als Arbeitslosigkeit.“ Das war der Freischein dafür, normale, tariflich gesicherte und existenzsichernde Arbeitsverhältnisse zurückzudrängen. Mit so einem Satz ist