Jommelli versus Gluck

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Jommelli versus Gluck
Jommelli versus Gluck?
Vortrag von Sabine Henze-Döhring, gehalten im Rahmen des Gluck-Wochenendes vom 25. bis 27.
Juli 2014 an der Oper Stuttgart
Jommelli und Gluck gegenüberzustellen: auf diese Idee wäre zu Lebzeiten der Komponisten wohl
niemand gekommen. Niccolò Jommelli war längst berühmt, als Herzog Karl Eugen ihn 1753 zum
Oberkapellmeister und bald darauf Musikdirektor der Stuttgarter Hofoper berief. 1 Nach einer
erfolgreichen Karriere als Kirchen- und Opernkomponist in Italien wirkte er für zehn Monate in
Wien (1749/50), wo er den Hofpoeten Pietro Metastasio kennenlernte, den geistigen Vater der
europaweit etablierten Opera seria. Dieser verlieh Jommelli sogleich den Ritterschlag und feierte
ihn als „besten Meister“ seines Metiers.2 Unmittelbar vor seiner Übersiedelung nach Stuttgart hatte
Jommelli als Vizekapellmeister an St. Peter sowie als Opernkomponist in Rom Sensation erregt
(1750–1753). Er gilt als Erfinder des Orchester-Crescendos und entwickelte sich als
Opernkomponist schon in Italien zum Veränderer, da er den orchesterbegleiteten Rezitativen mehr
Raum bot, ungewöhnlich flexibel in die Dramaturgie und kompositorische Struktur der
traditionellen Opera seria eingriff und in den Arien das Orchester zur Verstärkung des
Gefühlsausdrucks einsetzte: „Er sprach“ – so der Komponist und Musiktheoretiker Georg Joseph
Vogler – „auch ohne Wörter“.3 Dass Herzog Karl Eugen Jommelli in dieser künstlerisch glanzvollen
Zeit, anlässlich seiner großen Italienreise zwischen Februar und Juni 1753 kontaktiert, ihn gar
persönlich getroffen haben soll, dafür gibt es keinen einzigen Beleg. 4 Jommellis herausragende
Stellung als Komponist und Kapellmeister war in Stuttgart, aber auch andernorts längst bekannt, so
dass Karl Eugen zum Beispiel dem als Mekka der Musik gerühmten Mannheimer Hof knapp
zuvorkam. Kurfürst Carl Theodor hatte seinen Konzertmeister Christian Cannabich von Jommelli in
Rom ausbilden lassen und wollte den Italiener ebenfalls 1753 als Kapellmeister gewinnen, kam
jedoch nicht zum Zuge.5 Jommelli fand in Stuttgart Arbeitsbedingungen vor, die in Europa
ihresgleichen suchten. Er schöpfte – bei bester Honorierung seiner Kunst – gleichsam aus dem
„Vollen“. – Auch Christoph Willibald Gluck konnte schon in jungen Jahren Opernerfolge in Italien
vorweisen, hatte sich 1747 – nach zwischenzeitlichem Wirken in London – jedoch reisenden
Opernunternehmen angeschlossen. Im Dezember 1752 ließ er sich in Wien nieder, wo er als
Kapellmeister und Komponist Mitglied der Hauskapelle des Prinzen Joseph Friedrich von SachsenHildburghausen wurde.6 1755 fand er in Giacomo Graf Durazzo, dem frisch berufenen
Generalintendanten der Wiener Theater, einen Förderer (bis 1764). Im Auftrag des Grafen
komponierte er eine Reihe französischer Opéras comiques, verschiedene andere Werke für das
Burgtheater beziehungsweise – anlässlich von Festlichkeiten – für den kaiserlichen Hof. 1761 kam
1
der Librettist Ranieri de' Calzabigi nach Wien. Zusammen mit Gluck schuf er eine Reihe von
Bühnenwerken, die er im Falle der 1767 uraufgeführten Tragedia per musica Alceste als „neues
Schauspiel“ („spettacolo nuovo“; Brief an Fürst Kaunitz vom 6. März 1767) und als ersten Schritt
einer „Reform des Schauspiels“ bezeichnete (so in seinem unter dem Namen Glucks verfassten
Vorwort zur 1769 erschienenen Partitur).7
Gluck und Jommelli, deren 200. Geburtstage wir heute einträchtig feiern, sind sich – wie es scheint
– niemals begegnet und haben offenbar nicht miteinander korrespondiert. Aus erster Hand ist auch
nicht bekannt, was der eine über den anderen beziehungsweise über dessen Opern dachte. 8 Dem
ungeachtet ist es seit über 100 Jahren üblich, Jommelli als „'italienischen' Gluck“ zu bezeichnen
oder als Vorläufer der – wie es heißt – epochemachenden Reform Glucks. 9 Der aus Stuttgart
stammende Hermann Abert (1871–1927), 1908 Jommellis erster deutscher Biograph, spekulierte ins
„Blaue“, um frühe Einflüsse Glucks auf Jommelli ins Spiel zu bringen, „die“ – so Aberts Fantasie –
„allerdings erst später in Stuttgart Früchte zeitigen sollten“. 10 Unbeschadet also der Tatsache, dass
weder Gluck Jommelli noch Jommelli Gluck als Opernreformer beeinflusst haben kann, scheint es
gleichwohl aufschlussreich und interessant, die Frage nach der Beziehung zwischen unseren
Jubilaren zu stellen. Was verbindet Jommelli und Gluck, was trennt sie?
Um auf diese Frage sinnvoll antworten zu können, bedarf es eines Dritten im Bunde: Gemeint ist
Francesco Graf Algarotti, Verfasser eines erstmals 1755 in Venedig erschienenen Traktats Saggio
sopra l'opera in musica (Abhandlung über die Oper), der binnen weniger Jahre zahlreiche
Wiederauflagen erlebte, zeitnah zur Erstpublikation in mehrere Sprachen übersetzt wurde und mit
den um 1750 allenthalben einsetzenden Veränderungen der etablierten Opera seria tatsächlich in
Verbindung steht. Die bis in Einzelheiten der Formulierung gehende Abhängigkeit des
programmatischen Vorworts zu Glucks Alceste-Partitur von Algarottis berühmtem Traktat ist längst
erkannt und beschrieben worden.11 Was hat jedoch Jommelli damit zu tun?
Gehen wir zurück nach Stuttgart ins Jahr 1752, unmittelbar vor Jommellis Ankunft und
spektakulärem Wirken. Anlässlich des Geburtstags seiner Gattin Elisabeth Friederike Sophie am 30.
August hatte Herzog Karl Eugen die Opera seria L’Alessandro nell’Indie des renommierten
Komponisten Baldassare Galuppi aufführen lassen,12 und zwar mit kolossalem Aufwand im Blick
auf Kostüme und Dekorationen. Zugegen war Karl Eugens Schwiegermutter Markgräfin
Wilhelmine aus Bayreuth. Als Leiterin einer eigenen Oper, in der Karl Eugen mehrfach zu Gast war,
bemängelte sie eine Unsitte, die sie in Bayreuth längst abgeschafft hatte: dass alle Da capo-Arien
2
ungekürzt, das heißt mit vielfachen Wiederholungen einzelner Abschnitte aufgeführt wurden, so
dass sie sich unendlich langweilte. Adressat ihrer Klage war ihr Bruder, der preußische König
Friedrich II.13 Friedrich und Algarotti waren einander zutiefst verbunden und arbeiteten in dieser
Zeit in Potsdam an einer Reihe von Opernprojekten – Coriolano, Fetonte, Il giudizio di Paride,
Silla, Semiramide und auch noch Montezuma – engstens zusammen. Der König skizzierte die
Entwürfe, Algarotti wirkte als Berater, Bearbeiter, Dramaturg, schließlich als Leiter der Proben. 14
Seit Jahrzehnten waren beide mit Voltaire befreundet, der sich von 1750 bis 1753 ebenfalls in Berlin
und Potsdam aufhielt. Mit Voltaire tauschte sich der König über dramaturgische Finessen der
französischen Tragödie aus. In den Berliner Opern wurde seit 1749 vieles verändert, was von den
Prinzipien des bis dahin nicht in Frage gestellten Pietro Metastasio und den Vertonungen seiner
Dramen durch Johann Adolf Hasse oder Carl Heinrich Graun abwich. Die Opernstoffe entstammten
zum Beispiel französischen Tragödien Corneilles oder Racines, pathetische Monologe wurden im
Rezitativ vom Orchester tonmalend oder musikalisch-gestisch begleitet, die Arien waren kürzer und
oft ohne Da capo, Ensembles und Chöre spielten eine gewichtige Rolle, die Szenen waren
miteinander verbunden und das Ballett wurde zuweilen in die Handlung integriert. Die Einzelkünste
– Drama, Musik, Szenerie und Tanz – wirkten miteinander verknüpft. Dem König war es wichtig,
dass sich seine Oper – im konkreten Fall Coriolano für den Karneval 1749/50 – „einigermaßen dem
französischen Trauerspiele nähert“.15 Wie sich dem Briefwechsel zwischen König Friedrich und
seiner Bayreuther Schwester Markgräfin Wilhelmine, aber auch der Korrespondenz zwischen ihm
und Algarotti entnehmen lässt, war diese Entwicklung Programm. Die Oper sollte nicht nur die
Ohren kitzeln – zum Beispiel mit den Trillern der Primadonna Giovanna Astrua –, sondern – so
wiederum der preußische König – die Sitten verbessern und den Aberglauben vernichten. 16 1753
kehrte Algarotti seiner angeschlagenen Gesundheit wegen nach Italien zurück und verfasste eine
Reihe von Traktaten, darunter die „Reformschrift“ über die Oper. Er widmete sie – datiert
Mirabello, 6. Oktober 1754 – dem Berliner Direktor der Königlichen Schauspiele Ernst Maximilian
Sweerts Freiherrn von Reist (1710–1757). In Berlin habe er – so Algarotti – all das modellhaft
realisiert erlebt, was er im Folgenden als Maßnahmen zur Beseitigung der Opernmissbräuche
vorschlage.17
Algarottis Kritik an der zeitgenössischen Oper (außerhalb Berlins) richtet sich nicht gegen einen
bestimmten Autor oder Komponisten – Metastasio oder Johann Adolf Hasse –, sondern greift
allgemeine „Missbräuche“ auf. Die Einheit von Poesie und Musik, Ballett, Handlung und Szenerie
sei vielfach zerstört. Demzufolge sei aus dem von Natur aus vergnüglichsten Schauspiel eines der
langweiligsten geworden. Algarotti lässt mythologische Stoffe ebenso zu wie historische, allerdings
3
müsse die Handlung interessant, nicht nur mit Arien und Duetten, sondern auch mit „Terzetten,
Quartetten, Chören, Tänzen, verschiedenen Schauplätzen und Bühnenereignissen“ verwoben sein.18
In diesem Zusammenhang lobt er explizit den von König Friedrich entworfenen Montezuma, der
mit der Gegenüberstellung von Spaniern und Mexikanern einen interessanten Stoff biete, sodann
erlaube, die beiden Völker mit jeweils charakteristischer, neuartiger Musik voneinander abzusetzen,
sie zugleich mit unterschiedlichen Kostümen, exotischen Riten und Tänzen zu kontrastieren.
Algarottis generelle Kritikpunkte sind hinlänglich bekannt. Die Musik habe die aus Handlung und
Poesie hervorgehenden Gefühle auszudrücken und zu vertiefen. Lange Orchesterritornelle, während
derer der Sänger auf seinen Einsatz warte, ein Übermaß an Trillern und anderen belcantistischen
Ornamentierungen könnten die gewünschte Einheit von Poesie und Musik zerstören. Die
belcantistischen Ornamentierungen – Triller und Koloraturen zur Intensivierung des dramatischen
Ausdrucks – seien generell heikel, da sich der Gesang vom Drama abzulösen und zu
verselbständigen drohe. Das orchesterbegleitete Rezitativ solle häufiger verwendet werden, da es
nicht nur Gefühle wiedergebe, sondern solche beim Zuhörer auch wecke. Insgesamt solle das
Orchester eine größere Rolle spielen, um die Klangfarben zu bereichern und Gefühlssteigerungen
zu vertiefen. In den Arien solle auf das Da capo verzichtet werden, da die übliche Wiederholung des
ersten Teils (1. Strophe) dem natürlichen Verlauf von Rede und Gefühlsbewegung widerspreche.
Schließlich fordert er, dass die Opernsinfonia (Ouvertüre) die Handlung vorbereite. Gleiches gelte
für die Tänze. Die Opernballette müssten ebenfalls mit der Handlung verwoben sein. Aufgabe der
Tänze sei es, vermittelst musikalischer Bewegungen des Körpers die Natur nachzuahmen sowie die
Affekte der Seele. Sie müssten zum Auge sprechen und eine Handlung wiedergeben. Algarotti
ergreift weder für französische Tragödien mit mythologischen noch für die in der italienischen Oper
favorisierten historischen Stoffe Partei. Diese Offenheit konnte Mitte der 1750er Jahre niemanden
überraschen.
König Friedrich II. – sein Dienstherr 19 und Freund – führte in Berlin Opern mit französischen
Tragödienstoffen auf und solche auf Texte Metastasios (Didone abbandonata, Cleofide). In Paris,
wohin sich in dieser Zeit die Blicke aller Opernenthusiasten richteten, hatten Metastasios Dramen
Konjunktur: 1755 gab Glucks Librettist Raniero de' Calzabigi dort eine Gesamtausgabe seiner
Dichtungen – Poesie del signor abate Pietro Metastasio – heraus mit einem langen
programmatischen Vorwort („Dissertazione“), das für Metastasio warb. Man plädierte nun auch in
Paris für historische Opernstoffe mit „echter“ Liebe und der Herausstellung vaterländischer
Tugenden zur Hebung der Sitten und Moral. Die italienische Oper hatte eine publizistisch
schlagkräftige Anhängerschaft, die sich zum Beispiel für eine Vermischung der Tragédie lyrique mit
4
Elementen der italienischen Oper einsetzte. Wie aktuelle Forschungen gezeigt haben, bildeten sich
derartige Tendenzen schon längst in neuen Werken beziehungsweise aktuellen Wiederaufführungen
älterer Tragédies lyriques ab.20 Als Algarottis Traktat im Mai 1757 im vielgelesenen Mercure de
France erschien,21 löste er – was Wunder – Echo aus.
Legt man diesen Traktat und Calzabigis Vorwort aus Glucks 12 Jahre später erschienener AlcestePartitur nebeneinander,22 so sind die Übereinstimmungen verblüffend: Musik als Dienerin des
Ausdrucks der Poesie und der Gegebenheiten des Stoffes, Wegfall des Da capo, der langen
Orchesterritornelle, der isolierten Triller und Koloraturen usf. Der Autor ergeht sich in Selbstlob
über die Alceste: in seinem Libretto habe er „eine neue Idee des Dramatischen konzipiert(e), die
blumenreichen Beschreibungen, die überflüssigen Gleichnisse und die sentenziösen und kühlen
Moralitäten durch die Sprache des Herzens, starke Leidenschaften, fesselnde Situationen und ein
stets abwechslungsreiches Schauspiel ersetzt“.23 Die alles entscheidende Frage nun lautet, ob
das,was Calzabigi theoretisch beabsichtigt hat, mit dem konkreten Werk in Einklang zu bringen ist.
Es geht um die Originalität seines Entwurfs und darum, was Gluck als Komponist aus diesem
Libretto gemacht hat. Die Handlung der Alceste kommt völlig ohne Nebenhandlung aus, ist statt
dessen – wie in mythologischen Feste teatrali, zum Beispiel Orfeo ed Euridice, üblich –
ungewöhnlich stringent. Die Hauptfiguren als Träger der Handlung sind lediglich abhängig vom
Votum der Götter. Es wird bekannt, dass König Admeto im Sterben liegt und – so der Orakelspruch
– nur dann gerettet werden kann, wenn ein anderer für ihn zu sterben bereit ist. Daraufhin fasst
seine Gattin Alceste den Entschluss und setzt bei den Göttern durch, sich für Admeto zu opfern, um
ein Zeugnis der Gattenliebe abzulegen. Stationen der Handlung sind: Alcestes kurzes Schwanken,
als sie Todesangst befällt, Admetos verzweifelter, vergeblicher Versuch, Alcestes Selbstopfer
abzuwenden, der Abschied der Gatten, Abholung Alcestes durch die Höllengötter, Klage über
Alcestes Tod, Todessehnsucht des Gatten, Rückgabe Alcestes durch Apoll in Würdigung ihrer
Gattenliebe.
Beschäftigen wir uns exemplarisch mit dem Schluss der 2. Szene aus dem 2. Akt, der bei den
Zeitgenossen auf ungeteilten Beifall stieß. 24 Nachdem Alceste ihren Anflug von Todesangst
überwunden hat, ruft sie die Höllengötter, um das Gelübde des Selbstopfers abzugeben. Die
Höllengötter erscheinen, angekündigt durch ein dreimaliges Unisono der Posaunen, und wollen
Alceste sogleich mit sich in die Unterwelt führen. Alceste gebietet Einhalt und fleht, Abschied von
ihren Kindern und ihrem Gatten nehmen zu dürfen. Diese Bitte wird ihr gewährt. Die gesamte 2.
Szene gliedert sich in ein orchesterbegleitetes Rezitativ Alcestes mit Arie – Wahrnehmung des
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Schwankens und Entschluss, die Höllengötter anzurufen. Die Höllengötter bewegen sich während
einer kurzen Arie Alcestes im pantomimischen Spiel auf Alceste zu, versetzen sie in Angst und
Schrecken. Der Chor der noch unsichtbaren Höllengötter warnt Alceste vor dem folgenschweren
Entschluss – auf einem einzigen Ton deklamierend, lediglich das Orchester mit Posaunen als Boten
der Hölle „moduliert“; kaum hat Alceste ihr Selbstopfer bestätigt (orchesterbegleitetes Rezitativ),
folgt ein kurzes Arioso eines nun sichtbaren Höllengotts, sodann – hier setzen wir ein – Alcestes
Arie „Non vi turbate, nò!“ („Zürnt mir, o Götter, nicht“). Den Abschluss bildet eine Pantomine der
Höllengötter, die mit ihren „Gesten Erstaunen über“ Alcestes „Großherzigkeit“ ausdrücken. Die zu
einem Gesamtkomplex durchgestaltete Szene verknüpft die entscheidende Gefühlsbewegung –
Todesangst, Überwindung derselben und endgültiger Entschluss zum Selbstopfer – mit der äußeren
Handlung: Konfrontation zwischen Alceste und den erst unsichtbaren, dann sichtbaren
Höllengöttern, die ihr nach eindringlichem Flehen noch eine Gnadenfrist einräumen, um sich von
Kindern und Gatten zu verabschieden. Die Dramaturgie dieser Szene – Verknüpfung von Rezitativ,
Arien, in die Handlung integrierten Chören und pantomimischen Tänzen – orientiert sich an der
französischen Tragédie lyrique. Doch was hat es mit der beliebten Arie der Alceste „Non vi turbate,
nò!“ auf sich?
Musikbeispiel 1
„Non vi turbate, nò“, Alceste: Anna Caterina Antonacci (Produktion Parma 2004)
http://www.youtube.com/watch?v=-phJqO-5AbA (Beginn Minute 12.46)
Arientext:
Non vi turbate no
pietosi dèi,
se a voi m'involerò
qualche momento.
Anche senza il rigor
de' voti miei,
io morirò d'amor,
e di contento.
(Sorgt Euch nicht, mitleidige Götter, wenn ich mich von Euch einige Augenblicke entferne.
Auch ohne die Strenge meines Gelübdes würde ich aus Liebe und in Zufriedenheit sterben.)
Melodisch ist die vierteilig nach dem gängigen Modell a-a-b-b angelegte Arie in einen einzigen,
unverändert beibehaltenen Duktus im Andantino gefasst. Der üblicherweise kontrastierende
Abschnitt b ist in dieser Arie eine Variante von a, was daher rühren mag, dass Gluck den aus zwei
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Vierzeilern (quartinen) bestehenden Text in den beiden Abschnitten b unverändert wiederholte. Die
Melodie ist weitestgehend deklamatorisch, gewinnt kaum Eigenleben; lediglich die ins langsamere
Tempo „Adagio“ gefassten kurzen Abschnitte jeweils am Ende von Formabschnitt a, in denen der 3.
und 4. beziehungsweise der 7. und 8. Vers wiederholt werden, setzen mit ihren dezenten
Ornamentierungen neue Akzente. Die Melodie ist gesucht einfach, auch in der Begleitung mit
gedämpften Streichern, Englischhorn und Fagott; sie fließt „natürlich“ dahin und entspricht
offenbar Glucks Absicht, der Opera seria einen anderen Arienstil einzuverleiben. Von einer
„Reform“ der Opera seria, der Sorge um Abschaffung der im Vorwort der Partitur benannten
„Missbräuche“, kann im Blick auf diese liedhaft anmutende Arie und auf andere Sologesänge der
Alceste nicht die Rede sein. Gluck hat sich bei der Vertonung der Alceste-Arien auch nicht an
anderen Gattungen orientiert – an der Tragédie lyrique oder gar an der Opera buffa.
Wiederverwendungen von Melodien aus seinen Wiener Opéras comiques, wie sie sich in Orfeo ed
Euridice nachweisen lassen, zum Beispiel für das berühmte „Che farò senza Euridice“ („Avec nous
il prit naissance“ aus L'Ivrogne corrigé; uraufgeführt Ende 1760 im Wiener Burgtheater),25 sind für
Alceste bislang ebenfalls nicht belegt. Und so scheint es, als habe Gluck auf der Suche nach einem
der Handlung gemäßen Pathos und damit neuem dramatischen Ausdruck mit ihm eigenen Mitteln
für die Opera seria Originelles und vor allem Individuelles hervorgebracht. Die generelle
Orientierung an der französischen Tragédie beziehungsweise die Verknüpfung von Rezitativ,
Sologesang, Chor und Tanz ging hingegen – wie er selbst bekundete 26 – auf Calzabigi zurück. Für
die szenische Realisierung der Alceste günstig wirkte sich ohne Zweifel aus, dass im Juli 1767 der
Choreograph Jean-Georges Noverre ans Wiener Burgtheater gekommen war. Die Chöre nämlich
waren von Calzabigi als „Bewegunsgchöre“ gedacht; doch als es Gluck, wie Noverre berichtet,
nicht gelang, die Choristen zu pantomimischem Spiel zu bewegen, kam Noverre auf die glückliche
Idee, die Sänger hinter der Bühne zu platzieren und die Balletttänzer alle Gesten ausführen und
stumm „singen“ zu lassen. Gluck umarmte Noverre für diesen Einfall, 27 mit dem es gelang,
Noverres Tanz-„reform“, das heißt „natürliches“, an der Handlung orientiertes Gebärdenspiel
einzuführen, so wie er dies zwischen 1760 und 1766 schon in Stuttgart realisiert hatte.28
Legt man Algarottis Traktat und Calzabigis Alceste-Vorwort nochmals nebeneinander, so erstaunt,
dass Algarottis Reformschläge in einem entscheidenden Punkt verkürzt wiedergegeben werden.
Forderte Algarotti die Einfügung nicht nur der in der Opera seria üblichen Arien und Duette,
sondern darüber hinaus auch Terzette, Quartette, Chöre, Tänze, abwechslungsreiche Dekorationen
und Bühnenereignisse,29 so beschränkt sich Calzabigi auf „fesselnde Situationen und ein stets
abwechslungsreiches Schauspiel“ („situazioni interessanti e uno spettacolo sempre variato“). Ferner
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ist von „Einfachheit“, Wahrheit, Natürlichkeit, von „Sprache des Herzens“ und „starken
Leidenschaften“ („passioni forti“) die Rede. 30 Wie kann das sein? Die Antwort ist schnell gegeben.
Algarottis Traktat wurde – wie erwähnt – noch 1757 im Mercure de France in der Version von 1755
auf Französisch weit verbreitet. 1763 allerdings – und diese Version hat Calzabigi ohne Zweifel
ebenfalls gekannt (verlegt wurde der Text von Glucks Librettist Marco Coltellini) – formulierte
Algarotti den Text an entscheidender Stelle um! Nun heißt es: Der Librettist solle „Tänze und
Chöre“ und – so später in Calzabigis Vorwort – „abwechslungsreiche Dekorationen“ einfügen. Die
Handlung solle einfach sein, der Librettist gleich zur Sache kommen, denn die Meisterschaft
bestehe im „Zusammenspiel der Leidenschaften“ („giocare le passioni“), das sei die Seele des
Theaters.31 Für diese Bearbeitung gibt es plausible Gründe. 1759 – vier Jahre nach
Erstveröffentlichung seines Traktats – teilt Algarotti dem preußischen König stolz mit: „Während
Ew. Majestät das größte Kriegstheater eröffnen, denkt man in diesem Theile Italiens an nichts
weiter, als an das Theater der Comödie und Oper. In Parma ist man Willens, das Beste aus der
Französischen Oper auszuwählen, es mit Italienischem Gesang zu vermischen und Schauspiele in
jener Art, welche aus [recte: auf] dem Berliner Theater so großen Beifall fanden, zu geben.“ 32 Als
Algarotti diese Zeilen niederlegte, stand Parma über zehn Jahre unter bourbonischer Herrschaft und
war über den aus Frankreich stammenden, für die Hoffeste verantwortlichen Minister Léon
Guillaume Du Tillot auf dem Gebiet der Oper kulturell französisch ausgerichtet. Als Komponist
wirkte Tommaso Traetta als Mitautor einer Reihe von Opern des französisch/italienischen
Mischtyps (Ippolito ed Aricia, 1759). Diese Art Werke – italienische Opern auf französische
Tragödien, verwoben mit Chören und Tänzen – hatten auch andernorts Konjunktur, seit 1761 – am
Vorabend von Glucks Orfeo ed Euridice – unter anderem auch in Wien. Dort komponierte Traetta
für den Wiener Kaiserhof im Sinne der propagierten „Reform“ Ifigenia in Tauride (1763).33 Nun
laufen alle Fäden zusammen: Algarotti war stolz und glücklich – wie er Voltaire aus Parma mitteilte
–, dass seine Gedanken über die Oper keine Luftschlösser blieben, seine Stimme nicht wie die eines
Rufers in der Wüste verhallt war.34 Der Verleger dieser neuen Version seines Traktats, Marco
Coltellini, freute sich, für Traettas Wiener „Reformwerk“ Ifigenia in Tauride (1763) und später
Glucks Temistocle (1765) die Libretti verfassen zu dürfen, und Calzabigi wäre dumm gewesen,
wenn er die Gelegenheit, mit Gedanken und Formulierungen aus Algarottis Traktat für Glucks
Alceste werben zu können, nicht genutzt hätte. Glucks Musik zur Alceste hat mit einer Reform der
italienischen Opera seria und vor allem der Da capo-Arie wenig bis nichts zu tun, da die
Arienvertonungen in diesem Werk grundlegend anders sind. Allerdings schrieb er mit der Wiener
Alceste eine Oper, die als Experiment für den sogenannten französisch/italienischen Mischtyp
originell und neuartig war und ihm den Weg nach Paris wies. Für die zukünftige Entwicklung der
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italienischen Oper mit ernsten Stoffen blieb das Werk folgenlos.
Auch Jommelli schloss sich in Stuttgart dieser Entwicklung einer dramaturgischen Vermischung
von französischer Tragédie lyrique und Opera seria an, nahm sie 1755 mit Pelope und Enea del
Lazio sogar voraus. Bekanntestes Beispiel ist der 1768 uraufgeführte Fetonte, sein letztes
Stuttgarter Bühnenwerk aus Anlass des Geburtstags Herzog Karl Eugens (11. Februar). Für
Jommellis Wirken in Stuttgart weitaus typischer sind jedoch seine Opern auf Dramen Metastasios.
Dessen Klassiker – die von Algarotti als Muster hochgelobte Didone abbandonata zum Beispiel –
vertonte er zum Teil mehrfach (1747 für Rom, 1749 für Wien und 1763 für Stuttgart). Sein
bevorzugtes Werk war allerdings sein ebenfalls aus Anlass des Geburtstags Herzog Karl Eugens
1766 uraufgeführter Vologeso. Er stellte diese Oper noch über den Fetonte, und zwar des
historischen Stoffes wegen: „Ein historisches Ereignis“ – so argumentierte er ganz im Sinne der
eingangs erwähnten Pariser Bewunderer Metastasios – sei „einem mythologischen Stoff an Tragik
stets überlegen“, da dort die „Gefühle und Leidenschaften besser beleuchtet, kraftvoller, natürlicher
und wahrscheinlicher seien“. Vologeso müsse den Hörer emotional berühren sowie das Stück ihn –
den Komponisten – berührt habe, um zum entsprechenden Musikausdruck („musica espressiva“) zu
finden.35 Drama als „Spiel der Leidenschaften“ – so hieß das Zauberwort in Algarottis
Reformtraktat. Überaus konsequent setzte Jommelli in Stuttgart eine Tendenz fort, die für ihn zwar
nicht vollkommen neu war, für die er jedoch dort seit 1762 einen engagierten Mitstreiter hatte: den
Stuttgarter Hofpoeten, hoch gerühmten Dichter und Übersetzer Giovan Pietro [auch Giampietro]
Tagliazucchi (1716–1768). Tagliazucchi hatte von 1752 bis 1756 als Hofpoet am Preußenhof König
Friedrichs II. gewirkt und für dessen Hofopern in dieser Zeit aufs engste mit Algarotti
zusammengearbeitet, der mit ihm die Musikdramaturgie und Versifikation der Librettoentwürfe
König Friedrichs ins Italienische besprach. 36 Und wieder – wie schon bei Gluck in Wien – laufen
nun auch bei Jommelli in Stuttgart alle Fäden zusammen. Algarotti – so ist in Erinnerung zu rufen –
forderte in seinem erstmals 1755 erschienenen Traktat als eine der wichtigsten Maßnahmen zur
Beseitigung der „Opernmissbräuche“, dass nicht nur nur Arien und Duette, sondern auch Terzette,
Quartette, Chöre, Tänze, verschiedene Schauplätze und spektakuläre Bühnenereignisse vorkämen.
Genau das nun war die Besonderheit von Jommellis historischen Opern für Stuttgart. Betrachten wir
nun exemplarisch eine Schlüsselszene aus Vologeso, der im kommenden Jahr in Stuttgart aufgeführt
werden wird. Der Oper liegt ein uraltes Libretto von 1700 zugrunde, das sich in Italien allerdings
dauerhafter Beliebtheit erfreute und zeitgemäß umgearbeitet wurde.37 Wie ich erst vor wenigen
Tagen herausgefunden habe – alle älteren Darstellungen sind damit in Frage gestellt, wenn nicht
überholt38 –, liegt Jommellis Oper der anonym bearbeitete Vologeso in der Vertonung Giuseppe
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Sartis zugrunde, der im Karneval 1765 als zweite Oper der Saison am Teatro San Benedetto in
Venedig uraufgeführt worden war.39 Legt man die beiden Libretti nebeneinander, so werden die auf
weiten Strecken wörtlichen Übernahmen der Rezitative und auch einzelner Arien sofort ersichtlich.
Wer der Bearbeiter der Stuttgarter Version war, lässt sich nicht eindeutig belegen, doch da
Tagliazucchi in dieser Zeit als Hofpoet am württembergischen Hof engagiert war – die Autorschaft
für Jommellis Azione pastorale Il trionfo d'amore und für La pastorella illustre (beide in
Ludwigsburg beziehungsweise in Stuttgart 1763 uraufgeführt) ist in den Libretti dokumentiert –,
kommt Verazi kaum in Betracht, zumal er in dieser Zeit Hofdichter und Privatsekretär Kurfürst Carl
Theodors am Kurpfälzischen Hof zu Mannheim war.40
Doch zunächst zur Handlung der Oper (ich beschränke mich auf den I. Akt): Am Hofe zu Ephesus
lebt der römische Patrizier Lucio Vero, nachdem er Vologeso, den König der Parther, besiegt und –
wie er fälschlich glaubt – getötet hat. Er hat sich in dessen Braut Berenice, nun seine Sklavin,
verliebt und will sie um jeden Preis heiraten. Während eines Banketts erscheint inkognito Vologeso
in der Absicht, mit einem vergifteten Getränk Lucio Vero zu töten. Seine Braut hält er für untreu.
Als diese jedoch aus dem Becher trinken will, entreißt ihr Vologeso das Gefäß. Berenice erkennt ihn
glücklich als ihren Bräutigam. Lucio Vero wirft ihn sogleich in den Kerker. Der römische Tyrann
wird unangenehm überrascht, als eine Delegation aus Rom eintrifft, darunter seine Braut Lucilla,
Tochter Marc Aurels. In Rom wunderte man sich, dass der Bräutigam und Held nicht nach Rom
zurückgekehrt war, um sich ehren zu lassen. Seine Verschlossenheit löst beim Abgesandten des
Senats Irritation aus. Lucio Vero hat einen Schaukampf im Amphitheater angeordnet, wo er
Vologeso unbewaffnet wilden Tieren aussetzen wird. Gegen Ende des I. Akts nun krempelten der
ungenannte Bearbeiter – wohl Taglizucchi –, aber auch Jommelli das Vorlagestück kräftig um,
kürzten zunächst retardierende Momente. Das spektakuläre Geschehen im Amphitheater behielten
sie allerdings entsprechend der venezianischen Vorlage bei. Wie in Stuttgart üblich, wurde an nichts
gespart, um die Oper auch für die Augen spektakulär zu gestalten. Im Amphitheater sollen älterer
Forschung zufolge 250 Personen als Zuschauer platziert gewesen sein. 41 Kaum hat Berenice
erfahren, dass die Gefangenen nach römischem Brauch mit Tigern und Löwen den Kampf um
Leben und Tod aufnehmen müssen, künden Trompeten aus der Ferne den Beginn des Spektakels an.
Der Gefangene erscheint und gewahrt, welcher Schmach er als König ausgesetzt ist; bitter argwöhnt
er, dass seine Braut seinem Elend gegenüber teilnahmslos sei. Da stürzt auch schon Berenice in die
Arena, um ihm Treue bis in den Tod zu beweisen. Als ein Löwe hereinkommt und die Trompeten
erschallen, wirft Lucio Vero Vologeso sein Schwert entgegen, damit er Berenice rette. Vologeso
gelingt es tatsächlich, den Löwen zu töten. Nun steht Lucio Vero vor einer ausweglosen Situation.
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Er entzieht sich jeglicher Erklärung und geht fort. Berenice bleibt zurück, einerseits erfreut über
Vologesos Rettung, andererseits in tiefer Sorge. In Jommellis Oper nun lässt Lucio Vero Vologeso
zu aller Erstaunen wieder in Ketten legen, wagt hingegen nicht, Lucilla zu gestehen, dass er
Berenice liebt; Verwirrung und Ratlosigkeit sind allenthalben groß. Diesem angespannten
Augenblick verleiht nun ein Quartett („Quel silenzio“) Gewicht und Dauer. Das Quartett ist
viersätzig angelegt mit der Tempofolge Allegro moderato – Adagio (Recitativo) – Larghetto –
Allegro smanioso.42 Zu Anfang – in Art eines Dialogs – wundern sich die Damen über Lucio Veros
Schweigen und Seufzen, Vologeso freut sich über Berenice, Lucio Vero irritiert Lucillas Leid. Dass
Unsicherheit und Qual kein Ende haben: das allerdings eint die vier Personen, und genau das führt
ihre Stimmen im Ensemble zusammen. Lucio Vero und Lucilla gehen ratlos ab. Zurück bleiben
Berenice und Vologeso in tiefer Kontemplation (Larghetto); sodann – die unerträgliche Lage nicht
mehr beherrschend – gerät das Paar zunehmend in inneren Aufruhr, wobei das Tempo schnell wird.
Musikbeispiel 2
Vologeso (Einspielung unter der musikalischen Leitung von Frieder Bernius), Label Orfeo (CD 1,
Track 20)
Die Grundstruktur dieses Quartetts – erster Satz, der in die Situation einführt, kurzer Zwischensatz,
langsamer Satz zur Vergegenwärtigung einer dramatischen Schockstarre, schneller Schlusssatz, in
dem sich die Spannung löst – machte in Opera seria-Vetonungen seit dem späteren 18. Jahrhundert
Schule, etwa in Opere serie Domenico Cimarosas oder – um ein bekanntes Beispiel zu nennen – in
Mozarts Idomeneo („Andrò ramingo e solo“). Überaus modern an diesen Ensembles war, dass sie
äußere wie innere dramatische Handlungen in sich aufnahmen und abbildeten. Als Bühnenereignis
sehen wir vier Personen – ratlos vor der Zuschauermenge im Amphitheater –, die verhalten
miteinander kommunizieren. Verwirrt entfernen sich der neue Herrscher, der römische Usurpator,
und eine Frau, die niemand kennt. Zurück bleibt ein seltsames Paar: Der Gefangene, dem der
Herrscher verblüffenderweise eine Waffe zuwarf, damit er in höchster Tod den Löwen töte, dem er
eben noch zur Strafe ausgesetzt war, und die edle Frau, eben noch an der Seite des Römers, nun in
trauter Zweisamkeit mit dem Gefangenen. Als innere Handlung erlebt der Zuhörer zerrissene
Phrasen als Ausdruck allgemeiner Ratlosigkeit, dann Einigkeit über die Unbarmherzigkeit und
Grausamkeit des Schicksals im vollstimmigen Satz. Der Ausdruck des Entsetzens wird im Falle des
geretteten Paars extrem gedehnt, schließlich bis zur Verzweiflung gesteigert. Von Mozart stammt für
Opernensembles dieser Zeit die glückliche Formulierung, in „terzetten und Quartetten“ müsse man
„dem Compositeur seinen freyen Willen lassen“, denn: in einem Quartett solle man „viel mehr
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reden als singen.“43 Das war ebenfalls unglaublich modern gedacht in einer Zeit, in der man darum
rang, mit Musik „natürliche“ Gefühle und Gefühlsverläufe auszudrücken, wie sie das Leben zeitigt.
Wir erinnern uns: Jommelli gab Vologeso gegenüber dem mythologischen Fetonte den Vorzug, da
die Gefühle und Leidenschaften in dieser Oper stärker, lebensnäher und vor allem „natürlicher“
seien.
Jommelli versus Gluck? – ein kurzes Resümee. Nachdem man in der Welt der italienischen Oper
rund 30 Jahre in der Vorstellung lebte, der von Apostolo Zeno und vor allem Pietro Metastasio
durchgesetzte Typ sei nicht tot zu kriegen, wurde seit Mitte des 18. Jahrhunderts eifrig darüber
diskutiert, vor allem eifrig daran geändert, wobei in der Anfangszeit der Preußenhof Friedrichs des
Großen wichtige Impulse gab. Eine Schlüsselrolle nahm der in ganz Europa gut „vernetzte“
Francesco Algarotti ein, der König Friedrich eng verbunden, Zeuge und Mitgestalter dieser
Entwicklungen war. Er ist der Verfasser des wichtigsten, zum Thema Opernkrise seit 1755 in ganz
Europa verbreiteten Traktats. Sein Konzept war zunächst offen: die Verselbständigung des Gesangs
vom Drama war ihm ein Dorn im Auge, ebenso die länglichen Wiederholungen in den Da capoArien. Um Drama und Musik besser miteinander zu verknüpfen, schlug er vor, die Arien
entsprechend abzuändern und zu kürzen, vor allem aber Terzette, Quartette, Chöre und Tänze
einzufügen, die Handlungen zu straffen, Bühnenereignisse und Schauplätze interessant und
abwechslungsreich zu gestalten. Ob die Opern historische Stoffe hatten oder mythologische, wie in
Frankreich, war ihm egal. Als man ihn im kulturell an Frankreich ausgerichteten Herzogtum Parma
um Mithilfe bei der Erneuerung der italienischen Opera seria bat, die man sich als Vermischung
vorstellte: Stoffe, Chöre und Tänze nach französischer, Musik und Gesang nach italienischer
Fasson, änderte er seinen Traktat leicht ab, sodass Erneuerungsvorschläge in Richtung Terzett und
Quartett unter den Tisch fielen. Davon fühlte sich Glucks Librettist Ranieri de' Calzabigi
angesprochen, der auf die geniale Idee kam, unter Glucks Namen Algarottis Vorschläge als
Leitüberlegungen für sein eigenes Projekt „Opernreform“ auszugeben. Auf den ersten Blick gibt es
tatsächlich Verbindungen zu Glucks Opern: Chöre, Tänze, mythologische Stoffe, Wegfall der
ausufernden Koloraturen usf.; Gluck war allerdings in erster Linie Komponist, ein origineller und
guter Komponist, und vertonte die Texte in einer Weise, die mit ihren gesucht schlichten,
deklamatorischen Melodien und dem ungewöhnlich farbigen Orchesterklang Interesse erregten. Die
Besonderheit und Qualität seiner Musik lässt sich aus dem berühmten Vorwort der Alceste jedenfalls
nicht schlüssig erklären. – Algarotti arbeitete in Berlin seit 1752 mit einem sehr angesehenen
Hofpoeten für die Oper zusammen: Giovan Pietro Tagliazucchi. Dieser begabte Mann wechselte
1761/62 nach Stuttgart. Es ist nicht zu übersehen, dass von nun an im Stuttgarter oder
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Ludwigsburger Opernhaus, das Experten als das in dieser Zeit prächtigste und bedeutendste
Europas priesen, Jommellis Opern auf Dramen des vermeintlich ad acta gelegten Metastasio
Konjunktur hatten. Die Bewunderung, die Jommellis Stuttgarter Opern allenthalben erregten, lässt
sich auch heute noch nachvollziehen, wenn man in die Partituren schaut oder die Opern – so wie
diejenigen Glucks – mit künstlerischer Sorgfalt wieder aufführt. Dann nämlich erweist sich, dass sie
auf ganz andere Weise als diejenigen Glucks originell, ästhetisch und kompositorisch modern
waren. Weder Tagliazucchi noch Jommelli gaben Algarottis Vorschläge programmatisch als ihre
eigenen aus; allerdings lässt sich nicht übersehen, dass die „modernen“ Arienformen sowie die
signifikant häufige Verwendung von Chören, Terzetten und Quartetten, schließlich das besondere
Augenmerk auf spektakuläre Bühnenereignisse, modernen Tanz und prachtvolle Dekorationen
ebenfalls mit Algarottis Traktat in Verbindung stehen. Daher ergibt sich der glückliche Zufall, dass
sich unsere Jubilare Gluck und Jommelli mit ihren Librettisten und Beratern als Koproduzenten im
Hintergrund tatsächlich gegenüberstehen, dass das, was sie verbindet – Anregungen aus Algarottis
berühmtem Traktat –, letztlich doch trennt. Als Komponisten – beide hoch angesehen – gingen sie
ureigene Wege, auf denen sie kein Traktat begleiten konnte.
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.Seinen Dienst aufgenommen haben soll Jommelli am 1. Januar 1754 (vgl. Rudolf Krauß, Das Stuttgarter
Hoftheater von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Stuttgart: J. B. Metzler 1908, S. 495; dort auch die mit den
Angaben Schauers übereinstimmenden Hinweise auf das Dekret).
„Il Jommelli è il miglior maestro ch’io conosca per le parole. […] Troverete in lui congiunte l’eccessiva abilità e la
docilità senza eguale“, Metastasio an Carlo Broschi genannt Farinello vom 8. Januar 1750, in: Pietro Metastasio.
Lettere (Pietro Metastasio, Tutte le opere, hrsg. v. Bruno Brunelli, Bde. 3, 4 und 5, Mailand: A. Mondadori 1954,
Bd. 3, S. 231f.: 232. Jommelli wurde mit Dekret vom 21. November 1753 ab 1. September 1753 engagiert (vgl.
Eberhard Schauer, Das Personal des Württembergischen Hoftheaters 1750–1800. Ein Lexikon, in: Musik und
Musiker am Stuttgarter Hoftheater (1750–1918). Quellen und Studien, hrsg. v. Reiner Nägele, Stuttgart:
Württembergische Landesbibliothek 2000, S. 11–83: 34.
„Er sprach ohne Wörter, und ließ die Instrumenten fort declamiren, wenn der Dichter schwieg“, in: Georg Joseph
Vogler, Betrachtungen der Mannheimer Tonschule, 1. Jg., 3 Bde. und Notenanhang, Nachdruck der Ausgabe
Mannheim 1778, Hildesheim: Olms 1974, Bd. 1, S. 160. Zur frühen Bearbeitungspraxis und Kompositionsweise
Jommellis – dargestellt am Beispiel des 1753 in Rom uraufgeführten Attilio-Regolo – vgl. Sabine HenzeDöhring,
Die Attilio Regolo-Vertonungen Hasses und Jommellis – ein Vergleich, in: Colloquium »Johann Adolf Hasse und
die Musik seiner Zeit« (Siena 1983). Bericht, hrsg. v. Friedrich Lippmann, Laaber: Laaber-Verlag 1987 (Analecta
musicologica, Bd. 25), S. 131–158.
Die Reiseberichte geben darüber keinerlei Auskunft (vgl. Die großen Italienreisen Herzog Carl Eugens von
Württemberg, hrsg. und kommentiert von Wolfgang Uhlig und Johannes Zahlten, Stuttgart: Kohlhammer 2005). In
Turin und Genua besuchte der Herzog Opere buffe. Als Opera seria, die er am 5. Juni 1753 in Reggio Emilia sah
(ebd., S. 97), lässt sich Metastasios Alessandro nell'Indie in der Vertonung Giuseppe Scarlattis nachweisen (vgl.
Paolo Fabbri und Roberto Verti, Due secoli di teatro per musica a Reggio Emilia. Repertorio cronologico delle
opere e balli 1645–1857, Reggio Emilia: Teatro Municipale Valli di Reggio Emilia 1987, S. 68). Siehe dagegen Ute
Christine Berger, Die Feste des Herzogs Carl Eugen von Württemberg, Tübingen: Silberburg-Verlag 1997, S. 27f.:
„Aus dem Reisetagebuch geht hervor, daß er während der Karnevalszeit fast jeden Abend eines der zahlreichen
Opernhäuser besuchte. Auf dieser Reise verpflichtete der Herzog auch den damals hochberühmten
Opernkomponisten Niccolo Jommelli von Rom nach Stuttgart.“ (Nachweise werden nicht gegeben, so dass als
Referenztext die sorgfältig kommentierte Edition von Uhlig und Zahlten zu gelten hat).
Alle Angaben und Nachweise in: Sabine Henze-Döhring, Orchester und Orchestersatz in Christian Cannabichs
Mannheimer Sinfonien, in: Mozart und Mannheim. Kongreßbericht Mannheim 1991, hrsg. v. Ludwig Finscher,
Bärbel Pelker und Jochen Reutter, Frankfurt/Main [etc.]: Lang 1994 (Quellen und Studien zur Geschichte der
Mannheimer Hofkapelle, Bd. 2), S. 257–271: 257f.
Angaben nach Elisabeth Grossegger, Gluck und d'Afflisio. Ein Beitrag zur Geschichte des Burgtheaters (1765/67–
1770). Festgabe der Kommission für Theatergeschichte zum 75. Geburtstag von Margret Dietrich, Wien: Verlag der
Akademie der Wissenschaften 1995, S. 10.
Beide Dokumente sind im Original sowie in neuer Übersetzung von Renate Croll wiedergegeben in: Christoph
Willibald Gluck, Alceste (Wiener Fassung von 1767), hrsg. v. Gerhard Croll in Zusammenarbeit mit Renate Croll,
Kassel etc: Bärenreiter 2005 (Christoph Willibald Gluck, Sämtliche Werke, I/3, Teilbd. b), S. Xff. (das Vorwort zur
Partitur im Faksimile ebd., S. LVII). – Zur Autorschaft Calzabigis als Verfasser des im Namen Glucks
veröffentlichten Vorworts vgl. Marieangela Donà, Dagli Archivi Milanesi. Lettere di Ranieri di Calzabigi e di
Antonia Bernasconi, in: Studien zur italienisch-deutschen Musikgeschichte IX, hrsg. von Friedrich Lippmann, Köln:
Volk 1974 (Analecta musicologica 14), S. 268–300: 280f.
Francesco Florimo zufolge (vgl. Ders., La scuola musicale di Napoli e i suoi conservatorii. Con uno sguardo sulla
storia della musica in Italia, 4 Bde., Bd. 2, Neapel 1881, Nachdruck Bologna: Forni 1991, S. 240f.) soll Jommelli
Glucks „filosofia economica“ gelobt haben. Es lässt sich nicht nachweisen, dass Jommelli jemals eine Oper Glucks
gehört hat.
Die Formulierung „italienischer“ Gluck bei Hermann Abert, Niccolò Jommelli als Opernkomponist. Mit einer
Biographie, Halle: Max Niemeyer 1908, S. 106; zur Sicht auf Jommelli als Vorläufer Glucks vgl. auch The Art of
Music. A Comprehensive Library of Information for Music Lovers and Musicians, hrsg. v. Daniel Gregory Mason
u.a., 14 Bde., Bd. 2, hrsg. v. Leland Hall u.a., New York: The National Society of Music 1915 S. 10 („in the works
of … Jommelli and Piccini [!] we see foreshadowed the epoch-making reform of Gluck“).
Abert, Niccolò Jommelli, S. 106.
Algarottis Traktat liegt als Nachdruck in den Fassungen von 1755 (Erstfassung) und 1763 mit einer gründlichen
Einleitung vor: Francesco Algarotti, Saggio sopra l'opera in musica. L'edizione di Venezia (1755) e di Livorno
(1763), hrsg. von Annalisa Bini, Pisa: Libreria Musicale Italiana Editrice 1989 (Musurgiana 6). Hinweise auf
Calzabigis Adaption des Textes S. XXIIIf. und XXIX.
Vgl. Reinhard Wiesend, Studien zur Opera seria von Baldassare Galuppi. Werksituation und Überlieferung – Form
und Satztechnik – Inhaltsdarstellung. Mit einer Biographie und einem Quellenverzeichnis der Opern, Tutzing:
Schneider 1984 (Würzburger musikhistorische Beiträge, Bd. 8), 2 Bde., Bd. 1, S. 26 und 87ff.
Vgl. Sabine Henze-Döhring, Markgräfin Wilhelmine und die Bayreuther Hofmusik, Bamberg: Heinrichs-Verlag /
Bayerische Verlagsanstalt 2009, S. 102f. (Der Brief der Markgräfin von Bayreuth an König Friedrich II. von
Preußen ist auf den 25. Oktober 1752 datiert).
Vgl. Sabine Henze-Döhring, Friedrich der Große. Musiker und Monarch, München: C.H. Beck 2012, S. 73–94.
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Francesco Algarotti, Briefwechsel mit Friedrich II., hrsg. von Wieland Giebel, Berlin: Berlin Story Verlag 2008, S.
80f.: 80 (Der Brief ist auf den 6. September 1749 datiert).
Ebd., S. 112 (der Brief ist undatiert).
„In fatti ella vedrà che buona parte di quanto io dico doversi fare, è pur quello che si fa nel Teatro di Berlino“,
Saggio sopra l'opera in musica, hrsg. v. Bini, S. 3.
Ebd., Saggio sopra l'opera in musica in der Version Venedig 1755, S. 11.
Algarotti hatte im strengen Sinn keine Dienststellung, sondern lebte am Hof als Kunstagent, Schriftsteller und
Kammerherr. Er erhielt eine monatliche Pension von 50 Rtl (Reichstalern) aus des Königs Schatulle (Juni 1747 bis
Januar 1753; vgl. die Schatullrechnungen König Friedrichs II.; http://quellen.perspectivia.net/bestaende/spsgschatullrechnungen/personen/p990; Stand: 18. Juli 2014).
David Charlton, Opera in the Age of Rousseau. Music, Confrontation, Realism, Cambridge: Cambridge University
Press 2012, S.77ff. und passim. Zur publizistischen Anhängerschaft vgl. ebd., S. 209ff. und passim.
Vgl. ebd., S. 366 (der Saggio erschien allerdings nicht „abridged“, sondern vollständig in der Version von 1755);
der Hinweis auf diese frühe französische Übersetzung der Originalversion fehlt in der Aufstellung von Bini (vgl.
Saggio sopra l'opera in musica, hrsg. v. Bini, S. XLII–XLV).
Der originale Text in neuer Übersetzung von Renate Croll in: Christoph Willibald Gluck, Alceste (Wiener Fassung
von 1767), hrsg. von Gerhard Croll, Renate Croll, I/3. Teilbd. b, S. X (der originale Text im Faksimile ebd., S.
LVII).
Ebd., S. X.
Tagebuch des Grafen Karl Zinzendorf, Österreichisches Staatsarchiv – Haus-, Hof- und Staatsarchiv (HHStA), TZ
1770, fol. 155 (Eintrag vom 4. Dezember 1770): „Au theátre allemand Alceste. La musique est bien belle. Il y a des
morceaux uniques. Tel est l’air d’Alceste Io non chiedo, eterni Dei, tutto il Ciel per me sereno. […] Tel est Ombre,
Larve, compagnes di morte, non vi chiedo, non voglio pieta. Tel est la musique pour les Dieux infernaux. Et ce bel
air d’Alceste Non vi turbate, no, pietosi dei Tel l’air d’Alceste Ah per questo gia stanco mio core La Weigelin y mit
une expression particulière”.
Hinweis aus: Bruce Alan Brown, Gluck and The French Theatre in Vienna, Oxford: Clarendon Press 1991, S. 365.
„C'est à M. de Calzabigi qu'en appartient le principal mérite“, vgl. LETTRE de M. le Chevalier Gluck, sur la
Musique, in: Mercure de France, Février 1778, S. 182ff.: 182. – Die Partituranalyse nach der Ausgabe von Gerhard
Croll: Christoph Willibald Gluck, Alceste (Wiener Fassung von 1767), hrsg. von Gerhard Croll, Kassel etc:
Bärenreiter 1988 (Christoph Willibald Gluck, Sämtliche Werke, I/3, Teilbd. a).
Sibylle Dahms, Der konservative Revolutionär: Jean Georges Noverre und die Ballettreform, München: epodium
2010, S. 202, und Charlton, Opera in the Age of Rousseau, S. 54 (Quellennachweis ohne Hinweis auf Dahms'
Publikation in der Fußnote 101).
Zu Noverres Stuttgarter Wirken siehe Dahms, Der konservative Revolutionär, S. 196–200.
„L'argomento insomma, oltre all'essere interessante, ha da essere intrecciato e quasi spezzato non solamente da arie
e da duetti, ma da terzetti, quartetti, da cori, da balli, da varietè di scene, e da spettacoli“, zitiert nach Saggio sopra
l'opera in musica, hrsg. von Bini, Ausgabe Venedig 1755, S. 11.
Zitiert nach der Übersetzung von Renate Croll, in: Christoph Willibald Gluck, Alceste, I/3, Teilbd. b, S. X und – im
Original – ebd., S. LVII.
„Il maraviglioso di essa darà campo al Poeta d'intrecciarla di balli e di cori, d'introdurvi varie sorte di decorazione“,
zitiert nach Saggio sopra l'opera in musica, hrsg. von Bini, Ausgabe Livorno 1763, S. 20. Es handelt sich jeweils
um die Passage unmittelbar vor dem Hinweis auf Metastasios Achille in Sciro und Didone abbandonata, Ausgabe
Venedig 1755 S. 11, Ausgabe Livorno 1763, S. 20).
Francesco Algarotti, Briefwechsel mit Friedrich II., hrsg. von Giebel, S. 143 (Der Brief ist Bologna, 20. Februar
1757, datiert).
Zu Einzelheiten vgl. Marco Russo, Tommaso Traetta maestro di cappella napoletano (1727–1779), Genua, Edizioni
San Marco di Giustiniani 2006 (Quaderni di musica), S. 87–103, besonders S. 95ff.
Brief an Voltaire vom 14. November 1759, zitiert nach ebd., S. 83.
Vgl. Sabine Henze-Döhring, Ein Stuttgarter 'Experiment': Verazis und Jommellis Vologeso, in: Festschrift Klaus
Hortschansky zum 60. Geburtstag, hrsg. von Axel Beer und Laurenz Lütteken, Tutzing: Schneider 1995, S. 139–
151; siehe auch Marita Petzoldt McClymonds, Jommelli, Verazi und »Vologeso«. Das hochdramatische Ergebnis
einer schöpferischen Zusammenarbeit, in: Musik in Baden-Württemberg, Jahrbuch 1996, Bd. 3, Stuttgart, Weimar:
Metzler [1996], S. 213–222: 213; der originale Brief ist ediert in Marita P. McClymonds, Niccolò Jommelli, The
Last Years, 1769–1774, Ann Arbor, Mi: umi Research Press 1980 (Studies in Musicology 23), S. 472–478.
Zu Tagliazucchi vgl. Lettere Prussiane di Francesco Algarotti (1712–1764). Mediatore di culture, hrsg. von Rita
Unfer Lukoschik und Ivana Miatto, Sottomarina di Chioggia: Il Leggio Libreria Editrice 2011, S. 275f. (dort
weitere Literaturhinweise). Im Falle der Lebensdaten stimmen die Angaben für Stuttgart allerdings nicht
(Tagliazucchi war nicht seit 1759, sondern mit Dekret vom 14. April 1762 seit 11. November 1761 als Hofpoet in
Diensten des Württembergischen Hofes; vgl. Schauer, Das Personal des Württembergischen Hoftheaters 1750–
1800, S. 81).
Vgl. Henze-Döhring, Ein Stuttgarter Experiment, S. 141–149.
Marita P. McClymonds hat erstmals in einer Publikation von 1980 Mattia Verazi als Textbearbeiter von Jommellis
Vologeso bezeichnet (vgl. Niccolò Jommelli, The Last Years, 1769–1774, S. 211; siehe auch dies., Mattia Verazi and
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the Opera at Mannheim, Stuttgart, and Ludwigsburg, in: Studies in Music from the University of Western Ontario
7/2 (1982), S. 99–136: 109f.). Diese Angabe habe ich bedauerlicherweise ungeprüft übernommen (Henze-Döhring,
Ein Stuttgarter Experiment, S. 141). McClymonds gibt keine Belege oder Argumente für Verazis Autorschaft an, hat
sie in ihren späteren Publikationen weder in Zweifel gezogen noch korrigiert. Das Libretto zu Jommellis Vologeso
befindet sich im Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestand: A 21 Bü 639, sowie in
der Württembergischen Landesbibliothek. Im Libretto gibt es keinen Hinweis auf Verazis Autorschaft („La Musica
è nuovamente composta dal ... Nicolò Jommelli, [...] I Balli sono inventati dal [...] Giovanni Giorgio Noverre, [...]
Lo Scenario [...] del [...] Innocente Colomba“).
Vologeso, Dramma per musica da rappresentarsi nel Teatro di S. Benedetto il Carnevale dell'Anno MDCCLXV,
Venedig: Giorgio Fossati [1765]. Als Komponist ist Giuseppe Sarti genannt; der Textautor bleibt – ebenso wie im
Libretto zu Jommellis Vologeso – anonym. – Die Beziehungen zwischen Herzog Karl Eugen und Venedig waren
denkbar eng. Karl Eugen unternahm dorthin mehrere Reisen, zum Beispiel 1762 („Lustreise“), sodann im
Dezember 1766 für sechs Monate in Begleitung „von 125 Personen inklusive seiner Hofmusik“ (Berger, Die Feste
Herzogs Carl Eugen von Württemberg, S. 30 bzw. 38).
Mit Ausnahme des Enea nel Lazio (Karneval 1766) und des Fetonte (Karneval 1768) tritt Verazi nach seinem
Weggang nach Mannheim bzw. nach Tagliazucchis Engagement als Hofpoet für Stuttgart bzw. Ludwigsburg
während dessen Lebzeiten nicht mehr in Erscheinung. Die Autorschaft im Falle des Enea nel Lazio (belegt im
Libretto [Stuttgart]: Cotta 1766) ist wohl darauf zurückzuführen, dass Verazi der Librettist für den Stuttgarter Enea
nel Lazio von 1755 gewesen war. Für den Karneval 1766 verfasste Verazi ein Dramma per musica Oreste für das
Teatro Regio in Turin (Turin: Stamperia Reale 1766; Musik von Carlo Monza). 1768, im Jahr der Uraufführung des
Fetonte, verstarb Tagliazucchi in seiner Heimatstadt Modena.
Krauß, Das Stuttgarter Hoftheater, S. 503.
Analyse aufgrund der handschriftlichen Partituren in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart (Signatur:
HB XVII 253a-c) beziehungsweise der Bibliothèque nationale de France (Signatur: D.6262). Auch in den Partituren
wird nicht Verazi als Textbearbeiter genannt. In der Pariser Partiturabschrift wird auf Apostolo Zenso, Verfasser des
„Urlibrettos“ von 1700, verwiesen: „Il Vologeso Opera seria in tre Atti. Di Niccolo Jomelli [...] Livret de Apostolo
Zeno. Représenté pour la première fois à Ludwigsburg le 11 Février 1766.“
Brief an seinen Vater Leopold vom 27. Dezember 1780, Mozart Briefe und Dokumente – Online-Edition
(http://dme.mozarteum.at/DME/briefe/letter.php?mid=1136&cat=3; Stand: 18.Juli 2014).