Eine neue Einfachheit - Gottlieb Duttweiler Institute

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Eine neue Einfachheit - Gottlieb Duttweiler Institute
GDI GOTTLIEB DUTTWEILER INSTITUTE: TRENDRADAR 1.10
Eine neue Einfachheit
Zu viele Informationen, zu viele Angebote, zu viel Interaktion, zu viel Reporting, zu viele
Möglichkeiten… Die Komplexität explodiert, und wir verstehen immer weniger, was um
uns herum passiert. Längst ist erwiesen, dass Menschen ein Übermass an Wahlfreiheit
als Belastung empfinden. Es wächst der Wunsch nach Einfachheit. Das Gottlieb
Duttweiler Institut (GDI), das im Herbst seine Handelstagung zu diesem Thema
ausrichtet, hat ein paar besonders schlagende Beispiele für den Trend
zusammengetragen.
Ratgeber mit Titeln wie «An Idiot’s Guide to…», «…for Dummies», «Simplify…» boomen.
Barry Schwarz’ Buch «The Paradox of Choice: Why more is less» (2003) zählt bereits zu
den Klassikern der Managementliteratur. Und Stelios Haji-Ioannou hat seit der Gründung
von easyJet 1995 eine ganze Serie von Unternehmen aufgebaut, die Optionen reduzieren
und einfache Lösungen anbieten: easyHotel, easyCar, easyMoney, easyJobs, easyMusic,
easyMobile und easyOffice.
Heute geht die Entwicklung weiter. Durch die immer dichtere Vernetzung von Menschen,
Dingen und Orten erreicht die Komplexität eine neue Stufe. Mit wachsender Vielfalt und
immer mehr Nischen steigt die Qual der Wahl. Darum müssen Unternehmen jetzt mehr
denn je mit Gegen- und Vereinfachungsstrategien reagieren. So überrascht nicht, dass
derzeit allenthalben neue Konzepte und Angebote zur Vereinfachung auftauchen.
¡Menos es más!
Zahlreiche Nahrungsmittelhersteller kommunizieren immer lauter, was in ihren
Produkten alles nicht drin ist. Zu Recht, wie die Marktforscherin Lynn Dornblaser meint:
«Wenn Konsumenten den Namen einer Zutat nicht aussprechen können, wollen sie sie
auch nicht.» Der Ernährungspapst Michael Pollan rät in seinem Bestseller «In Defense of
Food: An Eater’s Manifesto» denn auch, keine Produkte mit mehr als fünf Zutaten zu
kaufen. Die Botschaft ist bei Häagen-Dazs angekommen, das neue Eis « Five» mit nur fünf
Ingredienzen verkauft sich sehr erfolgreich. Aber auch bei andern Anbietern wird
Reduktion zum Programm: Campbell bietet seine beliebteste Suppe neu mit weniger
Zusätzen an, Starbucks braucht für sein Bananebrot nur noch zehn statt 15 Zutaten, eine
neue Bisquit-Linie von Midor wirbt mit «ohne» (Farbstoffe, Konservierungsmittel,
künstliche Aromen), und Coca-Cola Spanien hat einen Fruchtsaft mit dem Namen «menos
es más» lanciert. Der soll nicht schöner, besser oder gesünder machen, sondern schlicht:
den Durst stillen.
GDI-Trendradar 1.10
17.05.10
Komplexität killt Diät
Je komplizierter eine Diät, um so schneller wird sie abgebrochen. Zu diesem an sich wenig
überraschenden Ergebnis kam jüngst eine wissenschaftliche Untersuchung. Das Max
Planck Institut für Ernährungsforschung und die Indiana-Universität in Bloomington
beobachteten knapp 400 Frauen, die entweder eine «Brigitte»- oder eine WeightWatchers-Diät machten. Ergebnis: Die «Brigitte»-Diät mit ihren einfachen Regeln schnitt
deutlich besser ab als das kompliziertere Weight-Watchers-Punktesystem. Denn
komplexe Diäten sind zwar flexibler, verlangen von den Teilnehmern aber, dass sie sich
Daten der konsumierten Lebensmittel merken und sie verknüpfen. Das schaffen nur
wenige Diätwillige, selbst Menschen mit grossem Ehrgeiz und Disziplin halten ein
anspruchsvolles Diätkonzept oft nicht durch. – Auf Unternehmen übertragen, müsste
demnach jedes Mitarbeiter-, Kunden- oder Change-Management-Programm zum
Scheitern verurteilt sein, wenn es komplexer ist als eine «Brigitte»-Diät.
Die «gut genug»-Revolution
Computer, TV, Backofen oder Mobiltelefon – für Technisches galt bislang stur «mehr ist
besser». Jede neue Gerätegeneration trumpfte mit zusätzlichen Features auf. Doch nun
zeichnet sich eine Trendwende ab, «Wired» als Zentralorgan der Technik- und GadgetLovers verkündet die «Good Enough Revolution»: Eine steigende Zahl von Kunden zögen
einfachere und billigere Low-end-Produkte den perfektionierten, polierten und
komplizierten High-end-Versionen vor. So kauften immer mehr Menschen eine einfache,
günstige «Flip Ultra» statt einer hochauflösenden Marken-Videokamera, hörten MP3 statt
Vinyl, schauten Videos auf dem Computer statt auf HDTV, telefonierten mit Skype und
tauschten Microsoft-Office und Outlook gegen Gmail oder Google-Text ein. Zwar bleibe
Qualität wichtig, doch wird sie neu verstanden als das Unkomplizierte und leicht
Zugängliche. Die Basic-Versionen von Webtools wie Flickr oder Doodle werden zum Ideal,
die kostenpflichtigen Upgrades zur unnötigen Spielerei.
Zuvielfalt
Im Einzelhandel sind Sortimentsreduktionen angesagt, Grund: Überauswahl in den
Regalen führt zu markanten Wertverlusten. Der Marktforscher A.T. Kearny macht für die
vergangenen zehn Jahre einen Artikel-Zuwachs in deutschen Warenhäusern von 20
Prozent und mehr aus: 500 statt 400 verschiedene Kaffee-, Tee- und Kakao-Packungen,
750 statt 580 Hygiene- und Säuglingspflegeartikel und 3400 statt 2600 Produkte für die
Haar-, Haut-, Mund- und Körperpflege. Kunden fühlen sich indes überfordert und kaufen
weniger; Produktion, Logistik und Lagerhaltung werden im Gegenzug teurer. Jetzt lässt
Wal-Mart (USA) daher in Testläden 20 bis 30 Prozent der Produktevarianten weg, Asda
(Grossbritannien), Carrefour (Frankreich) und Mercadona (Spanien) wollen folgen. Andere
Anbieter konzentrieren sich auf ganz wenige Produkte. Die chinesische Backwarenkette 21
Cake etwa bietet genau 21 Kuchen-Typen an, und das Sortiment des schwedischen
Textilanbieters The White Briefs besteht ausschliesslich aus weisser Baumwollwäsche.
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Easy oder Rosy
Einfachheit im Handel beschränkt sich nicht auf eine Verknappung des Sortiments.
Vielmehr soll das Einkaufserlebnis vereinfacht werden – z.B. indem man die Produkte im
Laden besser organisiert. Der Amsterdamer Weinhändler Grapedistrict etwa erleichtert
Weinliebhabern mit beschränktem önologischen Fachwissen die Auswahl: Im Unterscheid
zu klassischen Weinhandlungen sind die Weine hier nicht nach Regionen sortiert, sondern
je nach Geschmacksrichtung mit Farben codiert. Die Kategorien reichen von hellgelb
gekennzeichnetem «Easy» für leichte, weisse Weine bis zu purpurfarbenem «Deep» für
volle Rotweine. Zusätzlich sind den einzelnen Farbschattierungen Stimmungen
zugeordnet: Sommerabend und Picknick im Park? «Easy» oder «Rosy». Lammbraten zum
Dinner? «Smooth». – Eine derart verbesserte Organisation des Angebots kann dem
Kunden die Auswahl nicht nur beim Wein erleichtern, sondern auch bei anderen
Produkten, deren Auswahl Vorkenntnisse erfordern, etwa Mobiltelefone oder Reisen.
Gott im Rucksack
Egal, ob es darum geht, einen Autoreifen zu wechseln, eine Krawatte zu binden, richtig zu
küssen oder ein Kind auf die Welt zu bringen – ein «how to»-Video gibt es zu fast allen
kleinen und grossen Problemen des Alltags. Eine Suchanfrage mit den Worten «how to»
ergibt bei Google über 700 Millionen Treffer, Tendenz klar steigend. Neben Youtube hat
sich eine Reihe weiterer Seiten auf Video-Anleitungen spezialisiert, darunter 5min.com,
wonderhowto.com, lifehacker.com oder auf deutsch spotn.de. Mit Apps für Mobiltelefone
wird diese einfache Soforthilfe jetzt immer und überall verfügbar – so wie auf jenem Gerät
in Douglas Adams’ «Hitchhiker’s-Guide to the Galaxy», das Sofortinformation über den
aktuellen Standort, das Leben oder das Universum bietet, als hätte man Gott persönlich
im Rucksack. Weil unsere Erfahrungen in der virtuellen Welt aber zunehmend die
Erwartungen in der physischen Welt bestimmen, wird die Hilfe-Taste, die Lösung per
Knopfdruck, bald immer und überall erwartet.
The Uniform Project
Vereinfachen bedeutet weglassen, verzichten, neu ordnen – oder die Spielregeln ändern,
wie beim Ersatz von Verkehrsampeln durch –Kreisel; wo man gar nichts mehr wegnehmen
kann, muss man die Komplexität eben transformieren. Das Uniform Project der Inderin
Sheena Matheiken trifft hier den Nerv der Zeit und wirkt zugleich stilbildend für die neue
Einfachheit in der Mode. Ein einziges Kleid für 365 Tage soll Frauen vom Was-soll-ichheute-anziehen-Stress erlösen. Matheiken zeigt auf ihrer Website, wie man mit diesem
Kleid und viel Fantasie 365 verschiedene Looks herstellt. Die Inderin bezeichnet ihr Projekt
als eine Übung in Sachen nachhaltiger Mode: Wer jeden Tag das Gleiche trage, brauche
keinen riesigen Kleiderschrank. Die Designerin des Kleids, Eliza Starbuck, legte denn auch
besonderen Wert auf Haltbarkeit, Strapazierfähigkeit und Wandelbarkeit des Stücks. Ziel
des Projekts ist übrigens, Aufmerksamkeit und Spendengelder für die Non-ProfitOrganisation Akanksha zu sammeln.
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Die Bezahlrevolution
Heute verläuft die Rechnungsstellung zwischen Firmen umständlich und altertümlich. Das
dänische Startup-Unternehmen Tradeshift will nun ab Mitte Mai 2010 die Branche
revolutionieren. Deren vollständig webbasierte Lösung verkürzt die Abwicklung,
«e-invoicing» findet zwischen den beteiligten Unternehmen ohne manuelle
Zwischenschritte statt. So fallen keine Gebühren für Kreditkartenfirmen oder Banken an,
die Dienstleistung ist für Nutzer kostenlos. Überdies geschieht die Rechnungsstellung
dynamisch: Tradeshift-Konten «beobachten» Wechselkurse und bezahlen Rechnungen,
wenn der Preis am tiefsten ist. Und das ist erst der Anfang: Der deutsche MicropaymentAnbieter Allopass möchte Zahlungsprozesse auch zwischen Unternehmen und Kunden
vereinfachen. Ins zugehörige «e-Wallet» passen unendlich viele Währungen, selbst
Loyality- und Bonuspunkte. – Die radikalsten Vereinfachungen finden unsichtbar statt.
Tweet Dating
Radaroo vereinfacht den Online-Partnermarkt. Wer nicht auf Partnersuchssites lange
Fragebögen ausfüllen mag, erstellt in 20 Sekunden ein Dating-Profil mit dem eigenen
Geschlecht, dem gesuchten Geschlecht, der Postleitzahl des Wohnorts und Vorschlägen
fürs erste Date. Die maximal 140 Zeichen schickt man als Tweet ab. Das kann so
aussehen: @radaroo !FM "92010" sushi, beach, movie, star wars convention – im Volltext:
Frau aus Carlsbad, Kalifornien, sucht Mann und will beim ersten Treffen Sushi essen, an
den Strand gehen, ins Kino und zum Star-Wars-Kongress. Wer mal keine Lust auf neue
Kontakte hat oder wenn sich eine Beziehung anbahnt, kann seinen Status jederzeit auf
«privat» stellen. Der Charme der Idee liegt natürlich in der Einfachheit. Zudem lässt sie
sich sehr gut auf andere Bedürfnisse übertragen wie die Suche nach einem Tennis- oder
Golfpartner, nach Mitfahrgelegenheiten oder nach Experten und neuen Mitarbeitern.
Steinzeit und Med-Tech
In vielen Hochrisikobereichen – etwa der Fliegerei – sind Checklisten seit langem Usanz.
Nicht so in der Medizin. Behandlungsfehler in Spitälern fordern jährlich viele
Menschenleben. Dabei könnte der Einsatz von simplen Kontrollbögen unmittelbar vor und
nach jedem Eingriff die Zahl operationsbezogener Todesfälle und dauernder Invaliditäten
massiv reduzieren. Die Weltgesundheitsorganisation WHO erfasste Daten von 7700
operierten Patienten in acht Staaten. Bei rund der Hälfte davon wurden bei der Operation
Checklisten eingesetzt, bei der anderen Hälfte nicht. Die Tests dauerten jeweils nur
wenige Minuten und beinhalteten unter anderem die abermalige Identifikation des
Patienten, eine kurze Besprechung des Arbeitsablaufes sowie das Zählen von Tupfern und
Nadeln, damit nichts im Körper vergessen werde. Gemäss WHO verringerte diese einfache
Qualitätskontrolle die Zahl schwerwiegender Komplikationen um rund ein Drittel, die von
Todesfällen sogar um 40 Prozent – in Entwicklungs- ebenso wie in Industrieländern.
 Dieser Text darf unter Quellenangabe frei verwendet werden, ganz oder in Auszügen.
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Hinweis
Die 60. Internationale Handelstagung des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI) unter dem
Titel «Simplicity – How to make more with less» findet am 9. und 10. September 2010 in
Rüschlikon/Zürich statt. Weitere Informationen unter www.gdi.ch/iht2010.
Kontakt
Alain Egli
PR & Communications
GDI Gottlieb Duttweiler Institute
Langhaldenstrasse 21
8803 Rüschlikon/Zürich
Telefon +41 44 724 61 11
Direkt +41 44 724 62 78
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