Wahlkämpfe der NSDAP am Ende der Weimarer Republik

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Wahlkämpfe der NSDAP am Ende der Weimarer Republik
Wahlkämpfe der NSDAP am Ende der Weimarer Republik
Situation zum Ende der Republik
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1923 war der Höhepunkt einer Hyperinflation, die z.B. in Dresden und anderen Ortes
zu Hungerunruhen führten, die teilweise von antisemitischen Untertönen begleitet
waren. Die Auswirkungen waren noch Jahre später zu spüren.
Die wirtschaftliche Austeritätspolitik brachte weitere wirtschaftliche Einbußen für
alle, die nicht in Sachwerte hatten investieren können. Dies führte zu weiterer
Verarmung, auch zu einem Zerfall von Teilen der Mittelschicht. Die allgemeine Not
brachte eine riesige Kriminalitätswelle mit sich.
Die Weltwirtschaftskrise ab 1928, die einen sichtbaren Höhepunkt am „Schwarzen
Donnerstag“ (24. Oktober1929) und dem darauf folgenden „Schwarzen Dienstag“
hatte, führte erneut zu Verarmung und Hoffnungslosigkeit und betraf alle
Bevölkerungsschichten, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Die langsame
Erholung war für die Mehrheit der Bevölkerung 1933 noch nicht spürbar.
Beamtentum und Militär sahen sich der Republik nicht verpflichtet, ebenso die
meisten demokratisch gewählten Parlamentarier.
Die Bevölkerung hatte kein Vertrauen in die schnell wechselnden Regierungen, weil
diese offensichtlich nicht in der Lage waren, die Situation zu verbessern, die von der
großen Mehrheit als katastrophal erlebt wurde.
Die beiden Parteien, die noch willens waren, die Verfassung des Staates zu achten, die
Sozialdemokraten und das katholische Zentrum, waren nur noch in der
Minderheitsposition. Ihre Krise begann spätestens Ende der zwanziger Jahre.
Wie wurde Wahlkampf geführt?
Bei Wahlkämpfen war fast überall in Deutschland jede freie Fläche an Hauswänden und
Litfaßsäulen mit Plakaten bedeckt, in jedem Fenster hing irgendeine Fahne, jedes Gebäude
prangte in den Farben einer Partei1.
Eine wichtige Rolle spielten die Zeitungen, aber zwischen 1925-32 sank die Auflage der
politischen Presse um ein Drittel. Die Boulevardpresse aber spielte eine zunehmend wichtige
Rolle, besonders auch mit „Enthüllungen“ über finanzielle und andere Verfehlungen von
republikfreundlichen Politikern. Zudem erweckte sie den Eindruck von immer unruhiger
werdenden Zeiten mit reißerischen Berichten über Verbrechen. Die Wahlkämpfer der NSDAP
verfassten endlose Aufrufe, die in der Presse veröffentlicht wurden.
Dies und auch die häufigen Wahlen und die Auseinandersetzung zwischen den zersplitterten
Parteien führte aber nicht zu Politikverdrossenheit, die Wahlbeteiligung lag in der Regel bei
über 80% der Stimmberechtigten.
Im direkten Wahlkampf wurden möglichst viele Handzettel eingesetzt, die bei Hausbesuchen
übergeben wurden oder die man einwarf. In der „heißen Phase“ gab es Veranstaltungen in
Sälen oder im Freien, ebenso Fahrrad- und Motorradkorsos, Kundgebungen, Märsche,
Umzüge. Die NDSAP setzte ein besonders modernes Mittel ein. Als „Führer“-bezogene Partei
sollte Hitler bei möglichst vielen Veranstaltungen persönlich auftreten. So mietete man
wiederholt Flugzeuge, die den schnellen Transport von Ort zu Ort zu gewährleisten. „Hitlers
1
Richard J. Evans, Das Dritte Reich. Aufstieg. Ffm. 2004, S. 197
Deutschlandflug“ erwies sich als bedeutendes Propagandainstrument, gerade in der Provinz.
Auch verschiedene Parteifilme wurden eingesetzt.
„Jede Propaganda hat volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau einzustellen nach der
Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter denen, an die sie sich zu richten gedenkt.
Damit wird ihre rein geistige Höhe umso tiefer zu stellen sein, je größer die zu erfassende
Masse der Menschen sein soll. … Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist nur sehr
beschränkt, das Verständnis klein, jedoch die Vergesslichkeit groß. Aus diesen Tatsachen
heraus hat sich jede wirkungsvolle Propaganda auf nur sehr wenige Punkte zu beschränken
und diese schlagwortartig so lange zu verwerten, bis auch bestimmt der Letzte unter einem
solchen Worte das Gewollte sich vorzustellen vermag.“
„Das Volk ist in seiner überwiegenden Mehrheit so feminin veranlagt und eingestellt, dass
weniger nüchterne Überlegung als vielmehr gefühlsmäßige Empfindung sein Denken und
Handeln bestimmt.“
Und schließlich müsse die Propaganda ihre Botschaft unablässig und ohne die geringste
Veränderung wiederholen. Niemals dürfe sie auch nur den Hauch eines Zweifels an der
eigenen Behauptung eingestehen oder die geringste Berechtigung in den Behauptungen der
Gegenseite einräumen.2
Die Reden besonders von Hitler und Goebbels waren demgemäß durchchoreografiert, überall
wurde dieselbe Botschaft verbreitet. Es durften auch nur eigens dafür geschulte linientreue
Redner auftreten. Die einzelnen Wahlkandidaten kamen mangels Vorzeigbarkeit als Redner
überwiegend nicht in Frage. Für die Auftritte von Hitler warb man mit roten Plakaten in der
Hoffnung, auch die politische Linke zur Teilnahme zu gewinnen. Dies führte regelmäßig zu
Auseinandersetzungen. Deshalb war auch das Vorgehen der Ordnungstruppen, insbesondere
der SA, genau festgelegt, um den Eindruck von Stärke und Ordnung vermitteln zu können.
Schon 1927 hatte der Minister des Inneren von Baden besorgt geschrieben: „Die Meldungen
über Exzesse, die durch Mitglieder der nationalsozialistischen Arbeiterpartei hervorgerufen
werden, häufen sich sehr stark. … So liebt es gen[annte] Partei auf öffentlich angeschlagenen
Plakaten, durch welche politische Gegner zu einem Besuch ihrer Versammlungen
aufgefordert werden, mit sehr aggressiven Beleidigungen zu operieren…. Eine Zensur von
Plakatanschlägen ist nicht möglich, wohl aber bleibt für die Polizei die Pflicht bestehen,
Gefahren dieser Art durch vorbeugende Maßnahmen zu begegnen und … Plakatanschläge zu
verhindern, welche beleidigende Äußerungen und Schimpfereien enthalten, durch die
absichtlich jüdische Einwohner und politisch Andersdenkende getroffen werden sollen.“3
Besonders die NSDAP legte es darauf an, gegnerische Veranstaltungen zu stören. Man
übertönte Reden mit Parolen, die mittels Flüstertüten gerufen wurden. Regelmäßig kam es zu
handgreiflichen Auseinandersetzungen, besonders mit Kommunisten und mit der „Eisernen
Front“. Diese hatte sich 1931 aus SPD, Reichsbanner4, Gewerkschaften und kleineren
Organisationen gebildet, um sich gegen den SA-Terror wehren zu können.
2
Evans S.251 f., Zitate aus Adolf Hitler: Mein Kampf
Zitiert in Manfred Bosch: Als die Freiheit unterging. Eine Dokumentation über Verweigerung, Widerstand und
Verfolgung im Dritten Reich in Südbaden, Konstanz 1985, S. 21
4
Kampforganisation der SPD
3
Auch in Gebieten, wo es kaum organisierte Anhänger der NSDAP gab, wurden für
Wahlkämpfe aus der näheren und weiteren Umgebung SA-Leute zusammen gezogen, die
immer wieder durch die Orte marschierten, um Stärke und Geschlossenheit zu demonstrieren.
Bei den Landtagswahlen 1930 hatte man noch versucht, in erster Linie Arbeiter anzusprechen.
Zu dieser Zeit gab es einen Konflikt in der Partei. Otto Strasser5 hatte mit seinem
Propagandaapparat linke Streikaktionen unterstützt. Um seinen Einfluss zu neutralisieren,
ernannte Hitler Goebbels zum Reichspropagandaleiter, nutzte das Ansehen Strassers aber
noch für die Wahlen.
1932 wurde der Präsidentschaftswahlkampf ganz auf die Person Hitler zugeschnitten. Der
Wahlkampf war besser organisiert, auch die Finanzlage hatte sich verbessert. Jetzt warb man
um die Stimmen der Bürgerlichen, die früher Splitterparteien gewählt oder auch für die
liberalen oder konservativen protestantischen Repräsentanten gestimmt hatten. Passgenau
wurden Zielgruppen angesprochen wie die Frauen, die Bauern und verschiedene andere
Berufsgruppen, für die in der NSDAP eigene Organisationen gebildet worden waren. In
protestantischen ländlichen Gebieten wie Pommern, Schleswig-Holstein oder Ost-Hannover
siegte Hitler im zweiten Wahlgang sogar gegen Hindenburg.
Die Nationalsozialisten hatten einen eigenen Stil des Auftretens und der Propaganda
entwickelt, der sie gerade auch in Wahlkämpfen unverwechselbar machte. Sie traten mit
Hakenkreuzfahnen an, uniformierten sich, nutzen besondere Parolen und grüßten mit
erhobenem Arm. Als Reichskanzler Brüning im Dezember 1930 die Uniformierung verboten
hatte, traten sie mit weißen Hemden statt mit den Braunhemden auf. Der Versuch der Parteien
der Linken, ebenfalls einen eigenen Stil zu entwickeln, scheiterte, denn sie verfügten nicht in
gleichem Maß über jugendlichen Elan und Extremismus.
Auch der Stil der Werbeplakate wurde von den Nationalsozialisten geprägt. Sie nutzen das
Bild eines hünenhaften halbnackten Arbeiters, der die „internationale Hochfinanz“
vernichtete. Nur zur Beschwichtigung der Mittelschichten wurde der Arbeiter auch – jetzt mit
Hemd – in wohltätiger Pose gezeigt, wie er seine Werkzeuge dem Heer der Arbeitslosen
aushändigt. Das Symbol des Arbeiters, der um sich greift und Ordnung schafft, wurde weithin
übernommen.
Die Allgegenwart von Uniformen, Gewalttätigkeiten und Chaos bei den Wahlveranstaltungen,
aber auch alltäglich auf den Straßen, prägte zuletzt das Bild der Weimarer Republik.
Hauptadressat des nationalsozialistischen Wahlkampfs waren die Wähler des Zentrums und
der SPD. In apokalyptischen Farben malte eine Flut von Anschlägen, Plakaten, Flugblättern
und Reden vor Massenpublikum unter freiem Himmel ein schauriges Bild von dem „roten
Bürgerkrieg um Deutschland“, der die Wähler vor eine schicksalhafte Entscheidung stelle:
entweder die alten Mächte des Verrats und der Korruption oder eine nationale Wiedergeburt
für eine ruhmreiche Zukunft. Goebbels und seine Mitstreiter zielten darauf, die Wähler mit
einem Sperrfeuer auf ihre Sinne zu überziehen. Der Sättigungsgrad sollte nicht nur durch
Massenaktionen, sondern auch durch eine gut gesteuerte Kampagne gezielter Hausbesuche
5
Otto Strasser hatte zunächst zusammen mit seinem Bruder Gregor und Goebbels 1925 als Mitglied der NSDAP
einen „linken“ Flügel der Partei aufgebaut, der sich die Kämpfe sozialdemokratischer Gewerkschaften nutzbar
machen wollte, die Verstaatlichung von Banken und der Industrie forderte und eine Annäherung an die
Sowjetunion anstrebte. Im weiteren Verlauf gaben sowohl Strasser als auch Goebbels erbittert konkurrierende
Kampfschriften heraus. 1930 kam er durch Austritt einem Ausschluss aus der NSDAP zuvor, verfocht aber
weiterhin nationalsozialistische Ideen. 1956 gründete er die Deutsche Soziale Union, die aber bedeutungslos
blieb.
und Flugblattaktionen erreicht werden. Per Mikrophon und Lautsprecher ertönten die Reden
der nationalsozialistischen Wahlkämpfer auf jedem öffentlichen Platz. Visuelle Eindrücke,
vermittelt durch Plakate und Zeitschriftenillustrationen, durch Massenkundgebungen und
Straßenumzüge, löschten den rationalen Diskurs und das Argument aus zugunsten leicht
fassbarer Stereotype, die ein breites Spektrum von Gefühlen wachriefen, das Wut und
Aggression, das Bedürfnis nach Sicherheit und Erlösung umfasste. Die Marschkolonnen der
Braunhemden, die steifen Grußformen und militärischen Posen der nationalsozialistischen
Führer bekundeten nicht nur rücksichtslose Entschlossenheit, sondern auch Ordnung und
Verlässlichkeit. Standarten und Fahnen erweckten den Eindruck von rastlosem Aktivismus
und Idealismus. Die aggressive Sprache der nationalsozialistischen Propaganda erzeugte
endlos wiederholte, stereotypisierte Bilder von ihren Gegnern – „Novemberverbrecher“6,
„rote Bonzen“, „jüdische Drahtzieher“, „rotes Mordgesindel“.7
Einzelne Beispiele von Wahlkämpfen
Der Auftritt Hitlers bei der Reichstagswahl 1928 in Karlsruhe hatte keinen Bezug zu den
Realitäten der Stadt. Er legte die nationalsozialistische Ideologie dar. Kurz darauf gab es eine
Versammlung mit den beiden Hauptrednern von Baden, einem Gauleiter und seinem
Stellvertreter. Sie betonten, die marxistische Idee sei ursprünglich anders gewesen, früher
revolutionär, heute auf dem „Boden der Verständigung und des Pazifismus“. In Russland
selbst finde man „statt Verstaatlichung der Banken, Industrieunternehmen usw.… restlose
Enteignung zu Gunsten des Judentums“. Und „die SPD-Führer, in der überwiegenden
Mehrheit Juden“, seien nur „Theaterspieler“.
Über den „jüdischen Vormarsch in Karlsruhe“ behauptete man in „Der Führer“, dem
Parteiblatt der NSDAP, hohe Prozentzahlen bei akademischen Berufen, unter den Arbeitern
jedoch gebe es keine Juden. In Karlsruhe gab es keinerlei Erhebungen, die eine solche
Statistik erlaubt hätten. Kurz darauf erschien ein neuer Artikel: „Wir haben den Strick in der
Hand – wir werden etwas damit anzufangen wissen.“
1929 wurde der badische Landtag neu gewählt. Auch hier fiel die NSDAP nicht durch
programmatische Aussagen auf, sondern durch ihr Verhalten im Wahlkampf. Für eine
Veranstaltung der KPD wurden schon im Vorfeld Maßnahmen angekündigt. „Es wundere
sich niemand, wenn die nationale Opposition selbständig zu handeln beginnt.“ Es traten auf
etwa 400 Personen, darunter Männer vom Stahlhelm8 und auswärtige SA-Leute, um die
Zulassung eines NSDAP-Redners zu erzwingen. Dies wurde letztendlich gestattet, aber der
KPD-Redner wurde mit Zwischenrufen, Pfeifen und Johlen daran gehindert, seine Rede zu
Ende zu führen. Es entstand eine Saalschlacht, bis die Polizei eingriff – drei Minuten zu früh
in den Augen der SA, sonst wäre kein Kommunist heil davongekommen.
Der NSDAP-Kandidat kündigte sein Verhalten nach den Wahlen bereits vorher an.
Wenn nicht alle Zeichen trügen, so werde auch er im Spätjahr in den badischen Landtag, d.h.
diese Quasselbude einziehen. Das eine könne er heute schon mit Bestimmtheit versprechen:
Die nationalsozialistischen Abgeordneten werden im Landtag keine positive Arbeit leisten,
sondern sie werden ihre Immunität und ihre Freikarten dazu benutzen, um ungehindert im
6
Im November 1918 wurde der Kaiser gestürzt und der Waffenstillstand unterzeichnet, der den 1. Weltkrieg
beendete.
7
Evans S. 393 f.
8
reaktionärer Veteranenverband der Frontsoldaten des 1. Weltkriegs
badischen Lande herumzureisen und für ihre Zeitung, den Führer, agitieren zu können.. Sie
kennen keinen Parlamentarismus und verwerfen ihn.9
Goebbels hatte schon vorher gesagt: „Wenn es uns gelingt, … Agitatoren unserer Partei in
die verschiedenen Parlamente hineinzustecken, so wird dieser Staat selbst in Zukunft unseren
Kampfapparat ausstatten und besolden. … Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die
Schafherde einbricht, so kommen wir.“10
Die Reichstagswahl 1930 zeichnete sich in Karlsruhe im Badener Land dadurch aus, dass die
bürgerliche Presse überaus zurückhaltend war, wenn es um Berichte über die Exzesse der
Nationalsozialisten ging. Noch ein Jahr zuvor war dies anders gewesen. Jetzt stand die
Vermutung im Raum, dass sie ihre nationalsozialistischen Leser nicht verlieren wollten. Von
denselben Ereignissen berichtete die sozialistische und NS-Presse genau gegensätzlich. Die
Nationalsozialisten stilisierten sich als die Angegriffenen, die darüber hinaus auch noch von
der Polizei belangt würden, wohingegen die Sozialdemokraten die Passivität der Polizei
beklagte, selbst wenn Straftaten vor ihren Augen stattfanden.
Beispielsweise brachen SA-Männer die Schaukästen einer sozialistischen Zeitung auf und
ersetzen die Aushänge durch eigene Flugschriften. Sie bewachten dann den Ort, sodass die
Zeitungsangestellten den Schaden nicht reparieren konnten. Polizisten standen daneben und
weigerten sich einzugreifen Aber die NS-Presse drohte: „Zeigt sich die Polizei der Lage
weiterhin nicht gewachsen, dann werden wir Nationalsozialisten Mittel und Wege finden, um
unsere Kameraden vor Weiterem zu schützen. Der Krug geht so lange zum Brunnen bis er
bricht. Man soll sich aber nicht der falschen Erwartung hingeben, dass dieser planmäßig von
allen Seiten einsetzende Terror etwa die Kampfkraft der Nationalsozialisten schwächen
würde. Im Gegenteil!! Noch nie, seit der Gau Baden steht, war die Kampfstimmung und der
Wille zum Endsieg stärker und hartnäckiger. Terror wird mit Terror gebrochen. Auch in
Karlsruhe.“11
Auch hier wurde der politische Gegner mit falschen Unterstellungen verunglimpft, so wurden
einem sozialdemokratischen Minister zweifelhafte Beziehungen zu einer Frau nachgesagt.
Der konnte eine Richtigstellung durch das Gericht erst nach den Wahlen erreichen. Hingegen
behaupteten sie von einem NS-Minister aus Thüringen, er würde zugunsten von Arbeitslosen
auf einen Großteil seines Gehaltes verzichten, was auch nicht der Wahrheit entsprach.
Für den Gemeindewahlkampf im selben Jahr legten die Nationalsozialisten ein Programm
vor, eine „Aneinanderreihung von Nichtwisserei, dummer Überheblichkeit und Heuchelei“
Da halfen auch keine Schulungsmaßnahmen für die Kandidaten, die sogar teilweise mehrmals
wöchentlich stattfanden. Ihre Zeitung aber betonte: „Wir bekämpfen den Parlamentarismus
… bei jeder sich bietenden Gelegenheit …, insbesondere bei den Wahlen. Wir wollen deshalb
auch an dieser Stelle bestätigen, dass wir selbstverständlich jedes Mittel anwenden, das uns
diese Demokratie bietet, um uns zu stärken und sie zu schwächen. … Deshalb arbeiten wir
auch bei den Gemeindewahlen darauf hin, möglichst viele Vertreter unserer Weltanschauung
in die Rathäuser zu bringen.“12
Auch im Freistaat Lippe fanden 1932 Kommunalwahlen statt, die für die NSDAP bedeutsam
waren, mussten sie doch zumindest ihren Stellenwert behaupten. Im Vorfeld hatte es
9
Aus: Klaus Eisele, Karlsruhe in den Krisenjahren der Weimarer Republik und der Aufstieg der NSDAP 19281930, Karlsruhe 2003, S.95 f.
10
Eisele S. 96
11
Eisele S. 132
12
Eisele S. 153
innerhalb der lokalen Partei Auseinandersetzungen gegeben, weil eine Gruppe die
Wahlbeteiligung des „parlamentarischen Arms“ ablehnte. Vor der Wahl wurde die lippische
SA ausgebaut und hielt Felddienstübungen ab. Feldmarschmäßig ausgerüstet machten sie
Schießübungen. Für die Wahl bekamen sie Verstärkung aus Braunschweig, aus dem
Ruhrgebiet, und aus der näheren Umgebung hauptsächlich aus Bielefeld. Die örtliche KPD
vermerkte: „Sogar der berüchtigte Mordsturm 33 von Berlin“13 rückte an. Am Wahltag
selbst besetzte die SA sogar ein Wahllokal, was Angehörige der KPD zu verhindern suchten.
Erst in den Abendstunden war die Ruhe wieder hergestellt.14
Vor Gemeindevertreterwahlen wurden außer Wahlpropaganda auch „Deutsche Tage und
Abende“ geboten. HJ und BDM15 traten mit Tänzen, Liedern und Sketchen auf und
Musikkapellen spielten Märsche. Diese Abwechslung im dörflichen Einerlei hatte die
erwünschte Wirkung, immer mehr Gemeindemitglieder wählten NSDAP.
Der 2. Wahlgang der Reichstagswahlen im selben Jahr erbrachte gute Ergebnisse für die
NSDAP, jedoch nicht in Detmold. Dort hatte die örtliche Führung die Idee, in das
Landestheater einzudringen, Stinkbomben zu werfen und das Horst-Wessel-Lied zu singen.
Dies störte sogar einige Parteigänger erheblich, die die Ablösung des Verantwortlichen
forderten, da sie sonst nicht weiter mitarbeiten könnten.16
Nach Einschätzung eines lippischen Sturmbannführers sei „unter ungeheueren Opfern an
Zeit, Geld und Blut … eine Wahlschlacht geschlagen“ worden, „wie sie selbst die ganz alten
Praktiker noch nicht erlebt hatten. Im Gegensatz zu sonst waren wir nicht Angreifer, sondern
Verteidiger. Das System hatte die Offensive ergriffen. Auf allen Fronten von ganz links bis
rechts gab es nur ein Ziel: Vernichtung der NSDAP. Und wir verteidigen mit dem Mute der
Verzweiflung. Oktober: Tag für Tag und Nacht für Nacht sind wir unterwegs. Am Tage tragen
wir Zeitungen, Propagandamaterial, Plakate von Haus zu Haus, in die Familien, debattieren
um das Ja oder Nein des Führers. Abends eilen wir in die Versammlungen, auf die
allerkleinsten Plätze und Dörfer, Saalschutz stehen, hier und dort freche Marxisten an die
Luft befördern, und hernach gehen wir in die Wirtschaften und debattieren und umstreiten
immer nur ein und dasselbe Thema: Des Führers Ja oder Nein.“17
Auch die NSBO18 im Lipper Land schaltete sich mit Werbeveranstaltungen in den Wahlkampf
ein, in diesem Fall den Landtagswahlkampf zu den Wahlen Mitte Januar 1933. Sie rief auf zu
einer Veranstaltung mit dem Thema: „Die bedrohten Gewerkschaftsinteressen des arbeitenden
Volkes“. Man rief die Arbeiter auf, sich durch den Eintritt in die NSBO gegen Lohnraub und
Ausbeutung zu wehren, „da nur eine starke Gewerkschaftsdisziplin der beste Schutz“ sei.
„Wo das Recht ist, winkt der Sieg. Für den nationalen Sozialismus. Weg mit dem
volksbetrügerischen Marxismus.“ Im Gegensatz zu sonst versprach man den Teilnehmern
freien Eintritt, um sicher zu gehen, dass die angesprochenen Sozialdemokraten und
Kommunisten auch teilnahmen.19
Im Januar war der Terror gegen die Bevölkerung so stark geworden, dass die Landesregierung
Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel bis auf weiteres verboten. Zuvor waren
13
Der Mordsturm 33 war berüchtigt durch den Überfall auf ein von Arbeitern frequentiertes Tanzlokal.
aus Jutta Ciolek-Kümper (C-K), Wahlkampf in Lippe. München 1976, S. 40.
15
Hitlerjugend und Bund Deutscher Mädel
16
C-K S. 55
17
C-K S. 58
18
Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation, als Konkurrenzorganisation zu den Gewerkschaften
gegründet
19
C-K S. 122 f.
14
immer wieder Bürger angegriffen worden, weil sie „falsche“ Abzeichen trugen. In Lemgo
standen einige Leute auf dem Bürgersteig im Gespräch, als ein SA-Trupp von 15 Mann kam
und die Forderung stellte, die Straße zu räumen. Dies wurde nicht befolgt, also rief einer:
“Schlagt die Hunde nieder“, und sie jagten die Bürger bis zur Polizeistation. Auf das Verbot
reagierte man: Angst! Angst! Drake (der Ministerpräsident) verbietet Demonstrationen und
Kundgebungen unter freiem Himmel. … Weil Moskowiter und Reichsbannerstrolche
randalierten, verbietet man anständigen, disziplinieren deutschen Menschen, geschlossen
über Lippes Straßen zu marschieren“. Es war aber schon klar, wer mit der Maßnahme
gemeint war: „Wir müssen mit allen Möglichkeiten rechnen. Wenn Drake die Durchführung
der Wahl verhindern könnte, würde er es gewiss tun. Ob seine einseitigen Maßnahmen gegen
die nationalsozialistische Bewegung die Eröffnung einer planmäßigen Aktion zur
Verhinderung der Wahl einleiten, bleibt abzuwarten.“20
Ein Redner betonte: „Wir wollen einen legalen Kampf führen. Der Führer hat seinen Eid
geleistet, das Ziel der Bewegung nur im Wege der Verfassung zu erreichen. Wir gedenken
auch, diesen Weg nicht zu verlassen. Wenn aber die Regierungen wie die des Herrn Drake
kommen und versuchen, durch verfassungswidrige Aufmarschverbote den Vormarsch der
Bewegung zu verbieten, dann wird diese Regierung illegal, und sie hat kein Recht, von uns
das Gegenteil zu verlangen.“21
Die NSDAP-Führung befleißigte sich also der Zurückhaltung, hatte jedoch offensichtlich
wenig Einfluss auf die Gefolgsleute. Der Terror ging weiter. Es gab Prügeleien in Sälen, weil
SA-Leute die Versammlungen sprengen wollten, und auch einzelne Menschen wurden
angegriffen. So wurde ein Mann aus einer Wirtschaft gezerrt: „Mit ihren schweren
Lederstiefeln trampelten sie ihm in viehischer Weise im Gesicht und auf dem Körper herum.
… Bald darauf verfiel …er in Bewusstlosigkeit, aus der er erst am anderen Tag gegen Mittag
erwachte.“22
Viele solcher Übergriffe meldete die Presse für den Anfang des Jahres 1933 auch für Leipzig,
hier wurde aber auch bürgerliche Gegenwehr verzeichnet. An der Universität fanden
Studentenratswahlen statt, der Rektor hatte eine Kundgebung nationalsozialistischer
Studenten auf dem Universitätshof untersagt. Dieses Verbot wurde allerdings unterlaufen, und
die Kundgebung fand doch statt, ohne dass der Rektor einen Versuch machte, sein Verbot
durchzusetzen. „Es dauerte nicht lange, so kam es zu weiteren Belästigungen und
Anrempelungen vor dem Universitätsgebäude. Das Publikum sah sich zunächst das Hin und
Her mit an, ohne sich einzumischen. Als dann aber einem Zettelverteiler der sozialistischen
Studentenschaft die Flugblätter entrissen wurden und etwa 20 Nationalsozialisten mit
Koppel- und Schulterriemen über den jungen Mann herfielen, brach ein Sturm der Entrüstung
gegen die Braunhemden los. Der geschlagene Student wurde von Passanten, die den
Nationalsozialisten entgegentraten, in Schutz genommen. Pfiffe und Rufe nach der Polizei
wurden laut.“ Als die Polizei kam, taten die SA-Leute so, als ob sie die Universität schützen
müssten und verließen Fahrbahn und Bürgersteig erst auf Aufforderung der Polizei. Ähnlich
Szenen wiederholten sich auch in der Mensa der Universität, wo wiederum die Polizei
eingriff.23
Kurz vor der Wahl wurde noch eine Rede von Hitler verbreitet: „Die Rettung der Nation
muss man da beginnen, wo der Verfall seinen Anfang nahm. Erst muss man wieder
20
C-K S. 159 f.
C-K S. 344 f.
22
C-K S. 161
23
aus: Mark Lehmstedt (Hg.), Leipzig wird braun. Das Jahr 1933 in Zeitungsberichten und Fotografien, Leipzig
2008, S. 46. Hier finden sich viele ähnliche Beispiele von Übergriffen.
21
gesinnungsgemäß ein Volk aufbauen, mit dem man dann politisch operieren kann. Der
Pazifismus ist ein Leichengift der Nationen. In der nationalsozialistischen Bewegung aber
marschieren bereits Millionen herrlicher Menschen, die den Begriff Demokratie nicht mehr
kennen, sondern dafür Disziplin und vor allem Autorität anerkannt haben. Es ist ein Irrsinn,
von Solidarität zu reden mit Chinesen und Japanern, aber für den eigenen Volksgenossen
keine Solidarität zu kennen.
Wir gehen in die Regierung in demselben Augenblick, in dem wir neben der Verantwortung
auch die Führung erhalten! Und wenn man uns jetzt sagt, es werde uns nicht gelingen, so
frage ich, warum ist jetzt die ganze Judenpresse so aufgeregt, als ob ein Komet
heruntergestürzt wäre, wenn ich nach Berlin komme.
Der Kampf geht weiter! Wir werden siegen!“24
Wenn man diese Ereignisse vor der Machtübergabe an Hitler im Jahr 1933 vergleicht mit
dem, was sich im heutigen neofaschistischen Lager, insbesondere der NPD, im Verhältnis zu
den Wahlen zeigt, so kann man folgendes sehen:
• Die Übergriffe der SA damals spiegeln sich im Gehabe der „freien Nationalisten“, der
Kameradschaften und anderer mehr oder weniger fester Organisationen der extremen
Rechten wieder. Auf der einen Seite versuchen sie Terror zu verbreiten, auf der
anderen Seite gerieren sie sich als „Ordnungskraft“ und versuchen, mittels
„Aufmärschen“ und betont korrektem Verhalten ihre „Disziplin“ zur Schau zu stellen.
• Die zwiespältige Haltung der Polizei der verschiedenen Bundesländer, aber auch
unterschiedliche Haltungen von Polizisten in den Gemeinden von der Teilnahme an
Bündnissen gegen Rechts bis hin zur klammheimlichen Unterstützung der Neonazis
finden sich auch schon in der Weimarer Zeit.
• Was die Einstellung zu den Wahlen betrifft, finden sich große Parallelen zwischen
NPD und NSDAP, inklusive der Unfähigkeit vieler örtlicher Kandidaten.
• Die „neuen“ Taktiken der Wortergreifungsstrategie und Argumentationen der „Neuen
Rechten“ über die „Verteidigung der Verfassung gegenüber ihren Gegnern“ – den
„Systemparteien“ sind damals angelegt.
• Trotz bestimmter Parallelen sind zurzeit die Chancen der NPD, in eine ähnliche
Position wie die NSDAP zu kommen, sehr gering. Die Krisen während der Weimarer
Republik und die heutige Situation in Deutschland sind kaum vergleichbar. Aber in
den Gegenden, in denen die Menschen ihre Situation als krisenhaft verstehen, neigen
sie nach wie vor dazu, ihre Stimme den extremen Rechten zu geben.
BAM 2008
24
C-K S. 352 f.