WORT FUR WORT WORD FOR WORD 2013
Transcription
WORT FUR WORT WORD FOR WORD 2013
WORD FOR WORDWORT FUR WORT : D e u t s c h e s L i t e r a t u r i n s t i t u t L e i p z i g (DL L) C o l u m b i a Un i ve r s i t y S c h o o l o f t h e A r t s / Wr i t i n g II : RD O W T R R O O F UR W WORD F T R O W 2013 Literary work in collaborative translations by students from Columbia University’s School of the Arts Writing Program and the Deutsches Literaturinstitut Leipzig Literarische Texte von Studenten des School of the Arts Writing Program der Columbia University und des Deutschen Literaturinstituts Leipzig gemeinschaftlich übersetzt 013 2 t r o w ort für w / d r o rw word fo D e u t s c he s L it e r a t u r i n s t it u t L e ip z i g (DL L) C o l u m bi a Un i ve r s i t y S c ho o l of t he A r t s / Wr i t i n g Columbia University and the University of Leipzig gratefully acknowledge the support provided by the U.S. Consulate General Leipzig for translation workshops held in Leipzig in October 2012, and additional support from the Austrian Cultural Forum. Die Columbia University und die Universität Leipzig danken dem Amerikanischen Generalkonsulat Leipzig für die Unterstützung von Übersetzungsworkshops in Leipzig im Oktober 2012, mit zusätzlicher Unterstützung vom Austrian Cultural Forum. Cop yright 2013 by the authors and translators Columbia University School of the Arts / Writing Deutsches Literaturinstitut Leipzig (DLL) Design by Mat vei Yankelevich / Don’t Look Now! Covers printed letterpress at Ugly Duckling Presse Books printed and bound at Thomson-Shore mayer Magruder n e h c r i K Kevin Ursula a nn m l e d uick a t Q S n e a n y a r i B Jul üller Sur m e s e Ellen W Rachel wski auf o h k ü a r F M l d Davi Michae Foreword Vorwort Word for Word—the Columbia University / University of Leipzig Literary Translation exchange program—was conceived in 2011 in the belief that when writers engage in the art of literary translation and collaborate on the translations of each other’s work, the experience will broaden and enrich their linguistic imaginations. The program, which now concludes its second year with the publication of Word for Word / Wort für Wort 2013, has met, and surpassed, its intent to encourage fresh and exciting approaches to literary styles and forms. Cultural horizons and worldviews have been expanded, friendships and artistic partnerships have been forged, and a new model for cross-cultural engagement between Germany and the United States has been successfully established. For the students fortunate enough to participate, this program has provided a significant artistic and humanistic experience. And for German and American readers, this book offers an introduction to the work of eight exceptionally talented writers who have transcended the borders of language and culture at the very outset of their literary careers. Wort für Wort, das Austauschprogramm für Literarische Übersetzungen der Columbia University und der Universität Leipzig, wurde in der Überzeugung ins Leben gerufen, dass sich die sprachliche Vorstellungswelt junger Autoren erweitert, wenn sie Gelegenheit haben, sich beim gemeinsamen Übersetzen ihrer Lyrik und Prosa in der Kunst des Literarischen Übersetzens auszuprobieren. Das Programm, welches nun mit der Veröffentlichung von Word for Word / Wort für Wort 2013 sein zweites Bestehensjahr feiert, hat seine ursprünglichen Erwartungen, neue und spannende Stile und Formen zu fördern nicht nur erfüllt, sondern bei weitem übertroffen. Das Programm hat kulturelle Horizonte und Weltsichten erweitert, Freundschaften und künstlerische Kooperationen befördert und erfolgreich ein neues Modell interkultureller Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den USA begründet. Für die Studenten, die das Glück hatten, an diesem Programm teilnehmen zu dürfen, war es eine wichtige künstlerische und menschliche Erfahrung. Deutschen und amerikanischen Lesern bietet dieses Buch einen ersten Blick in das Werk acht außergewöhnlich talentierter Autoren, die die Grenzen von Sprache und Kultur schon zu Beginn ihrer literarischen Karrieren überschreiten konnten. Binnie Kirshenbaum Chair, Columbia University School of the Arts Writing Program Josef Haslinger Professor, Deutsches Literaturinstitut Leipzig Binnie Kirshenbaum Chair des School of the Arts Writing Program der Columbia University Josef Haslinger Professor für Literarische Ästhetik, Deutsches Literaturinstitut Leipzig 2 01 3 word r o f d wor r wor t ü f t r wo may n e h c r i K U rsu l a Machay n u t a H Machay n u t a H er io n b y t ra n s la t d e r agru K e v in M H atun Machay, says Yanto, do you know what that means. In Quechua it means the great cave. We’re on the ground, the cliffs are the walls, the fog is the roof. And here, in this great cave, he says, is where the ancestors live. Manchmal, sagt Yanto, wenn die Ahnen ihren vorzeitlichen Atem in den Wind hauchen und man sein Fenster nicht richtig geschlossen hat, kann man ihn in den Knochen spüren, diesen Nebelatem, der sich in den Dachrinnen und Häusernischen verfängt, in den Vorhängen hinter den Fenstern. Aber dieser Atem macht dich krank. Das ist es, Astrid, nicht die Höhe, nicht der Druck, der auf deinen Schläfen sitzt. Du bist krank, weil du den Mund nicht geschlossen hast bei deiner Ankunft, und so konnten die Ahnen ihren Knochenstaub in deinen Körper pusten. Du wirst dünner und dünner werden, sagt Yanto, bis du irgendwann stirbst. Sometimes, says Yanto, the ancestors release their ancient breath into the wind and if your windows aren’t fully shut, this exhaled mist will drift along the rain gutters and then creep in from behind the curtains, into every niche of your house. You can feel it in your bones. This breath is what’s making you sick, Astrid. It’s not the altitude creating that pressure in your temples. You’re sick because your mouth wasn’t closed when you arrived, and now the ancestors have puffed their bonedust into your body. You will get thinner and thinner, says Yanto, until eventually you die. Yanto hält die Augen geschlossen, während er spricht. Als er sie öffnet, liegt ein blasser Schimmer darin, als hätte die Iris, sonst fast so dunkel wie nasses Holz, sich ins Grünliche verfärbt. Du zitterst ja, sagt Diego. Er wickelt die Wolldecke um meine Schultern. Vladimir wirft Holz in den Kamin. Flammen stieben auf, das Feuer 12 H atun Machay, sagt Yanto, weißt du, was das heißt. Es heißt die große Höhle auf Quechua. Wir liegen auf dem Boden, die Felsen sind die Wände, der Nebel das Dach. Und hier, in der großen Höhle, sagt er, sind die Ahnen zuhause. Yanto speaks with his eyes closed. When he opens them there is a pale glimmer and the irises, normally almost as dark as wet wood, now smolder with a greenish hue. You’re trembling, says Diego. He wraps a wool blanket around my shoulders. Vladimir tosses some wood into the fireplace. The flames rise and crackle. It’s too hot, I say and lay my head in Diego’s lap. I 13 knistert. Es ist zu heiß, sage ich und lege meinen Kopf in Diegos Schoß, ich will nicht sterben. Du hast nur Fieber, sagt Diego, Yanto macht doch nur Spaß. Yanto bleibt ernst. Er sagt: Ich erzähle nur, was man mir erzählt hat. Hier oben, sagt er, in den Bergen, weiß man noch, was ihr da unten schon vergessen habt. Ich schließe die Augen. Ich spüre Diegos Haar auf meiner Wange, es kitzelt und riecht nach Seife und ganz leicht nach Schweiß. A *** ls wir Hatun Machay zum ersten Mal aus dem Taxifenster sehen, ist es früher Nachmittag. Der Himmel ist nur von wenigen Wölkchen getrübt. Am Horizont jedoch türmt sich eine breite Nebelfront. Wie ein Mantel wird sie sich in ein paar Stunden auf die Felsspitzen legen, sie erst in ein sanftes Wasserfarbenweiß tauchen, dann sich allmählich grauer färben. Und am Ende wird sie sich das ganze Tal einverleiben. Das ist immer so, sagt Vladimir. Er war schon oft in Hatun Machay. Er war es auch, der Diego davon erzählt hatte, nur wenige Stunden, nachdem wir in Huaraz angekommen waren. Am Morgen hatte uns 14 don’t want to die. You just have a fever, says Diego, Yanto’s only kidding. Yanto remains serious. He says: I’m only telling you what they told me. Up here, he says, in the mountains, you remember what you have forgotten down there. I close my eyes. I feel Diego’s hair on my cheek. It tickles and smells of soap tinged with sweat. W *** hen we first see Hatun Machay out of the taxi window, it’s early afternoon. The sky is sparsely patched with clouds. On the horizon, though, a huge wall of fog is piling up. In a few hours it will drape itself over the peaks like a cloak, descending at first in soft white watercolors, gradually turning to gray. In the end it will inundate the entire valley. It’s always like this, says Vladimir. He has spent a lot of time in Hatun Machay. He was the one who had told Diego about it just a few hours after we arrived in Huaraz. That morning Diego’s mother had been waiting for us in front of the house. She looked thinner and smaller than she had three years before. Diego gave her a kiss on the cheek. She patted him on the head and then buried her face in 15 Diegos Mutter vor dem Haus erwartet. Sie wirkte dünner und kleiner als vor drei Jahren. Diego drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Die Mutter tätschelte ihm über den Kopf, dann weinte sie und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust. Junge, sagte sie und schaute mich an, wer passt jetzt auf dich auf. Diego ging ins Haus. Er griff nach dem Telefon. Vladimir, sagte er eine Spur zu laut in den Hörer, ich bin wieder da, gehen wir klettern. Später dann, als wir wieder von den Felsen zurückwaren und im chinesischen Restaurant hinter der Plaza saßen, fragte Vladimir, ob Diego schon von Hatun Machay gehört habe. Hinter uns wendeten die peruanischen Chinesen in riesigen, gusseisernen Pfannen Glasnudeln über dem Feuer. Diego schüttelte den Kopf. Hatun wie, fragte er. Das musst du sehen, sagte Vladimir, ein Steinwald auf 4200 Metern Höhe, ein Kletterparadies. So was habt ihr in eurem Deutschland nicht. Diego schwieg und zog eine Zigarettenschachtel aus seiner Hosentasche. Yanto hat eine Hütte da gebaut, sagte Vladimir, wir haben schon über sechzig Routen montiert. Diego sah aus dem Fenster. Auf der Straße beschnüffelten sich ein großer und ein kleiner Hund. Ein Mann ging mit einem Stock dazwischen und trieb sie auseinander. Das ist nicht mein Deutschland, sagte Diego. Vielen hat der Nebel schon den Kopf verdreht, 16 his chest and wept. My boy, she said, glancing over at me, who is looking after you now. Diego went into the house and picked up the phone. Vladimir, he said a little too loudly into the receiver, I’m back. Let’s go climbing. Later that day, after we got back from the cliffs, we were sitting in a Chinese restaurant behind the plaza and Vladimir asked Diego if he had ever heard of Hatun Machay. Behind us, the ChinesePeruvians were using huge, cast-iron pans to cook glass noodles over the fire. Diego shook his head. Hatun what, he said. You have to see it, said Vladimir, a stone forest forty-two hundred meters high, a climbing paradise. Something you don’t have in that Germany of yours. Diego kept silent and removed a pack of cigarettes from one of his pants pockets. Yanto built a cabin there, said Vladimir, we’ve already installed over sixty routes. Diego looked out the window. On the street two dogs were sniffing each other, one much larger than the other. A man got between them with a cane and drove them apart. It’s not my Germany, said Diego. A lot of people have already gone crazy from the fog, Vladimir says now as we ride toward the rocky landscape. Just like altitude sickness, says Diego—a fever in the head, heaviness in the arms and legs. Vladimir nods. You can even start hallucinating, he says. 17 sagt Vladimir jetzt, während wir der Felslandschaft entgegenfahren. Genau wie die Höhenkrankheit, sagt Diego, dieses Fieber im Kopf, die Schwere in den Gliedern. Vladimir nickt. Davon kann man sogar Halluzinationen kriegen, sagt er. Der Weg schlängelt sich abwärts ins Tal, auf die Felsen zu. Vor einer großen Holzhütte, dem ersten Gebäude seit einer halben Stunde Fahrt, kommt das Auto zum Stehen. Diego drückt dem Taxifahrer das Geld für die Hin- und Rückfahrt in die Hand. Sonst werden wir nicht abgeholt, sagt er, sonst bleiben wir hier für immer. Vladimir kennt den Fahrer noch vom letzten Mal, die Rückfahrt wird per Handschlag besiegelt, man zwinkert sich zu: Diego und Vladimir grinsend, der Taxifahrer ohne die Miene zu verziehen. Mich beachtet er nicht. Mit einem Knall zieht er die Fahrertür hinter sich zu. Wir sehen dem Taxi nach, wie es sich langsam den Hügel hinaufarbeitet und schließlich dahinter verschwindet, bis nichts zurückbleibt als eine unbestimmte Wolke wirr durcheinander tanzender Staubpartikel über dem Weg. Als ich mich zur Hütte umwende, steht ein brauner Hund vor mir. Ich greife nach Diegos Arm. Der macht nichts, sagt Vladimir und lacht. Diego verdreht die Augen. Das passiert, sagt er, wenn man Mädchen mit in die Berge nimmt. 18 The road meanders down into the valley toward the rocks and the car comes to a stop in front of a large wooden cabin, the first building we’ve seen in half an hour. Diego puts enough money for a round-trip into the cabdriver’s hand. Otherwise he won’t pick us up, he says, otherwise we’ll be stuck here forever. Vladimir knows the driver from a previous trip and finalizes the deal with a handshake and a wink. Diego and Vladimir are now grinning but the taxi driver’s face remains expressionless. He completely ignores me. He slams the car door shut behind him and we watch as the taxi slowly makes its way up the hill and then finally disappears behind it, leaving nothing but a hazy cloud of dancing dust particles above the road. I turn to the cabin and there is a brown dog standing in front of me. I grab Diego’s arm. He’s harmless, says Vladimir, laughing. Diego rolls his eyes. This is what happens, he says, when you take girls into the mountains. The dog whines and it sounds as if someone might have just promised it a feast of chicken bones dripping with gristle. It fixes its gaze on me and unfurls its long sloppy tongue. There is a whistle from inside the cabin. The dog turns around and bolts. A robust man with a wide face and narrow eyes appears in the doorway. 19 Der Hund winselt, es klingt, als hätte man ihm gerade ein Freudenmahl versprochen, Hühnerschenkel, knorpelige Knochen, triefend vor Fett. Er heftet seinen Blick auf mich und entfaltet seine lange Schlabberzunge. Aus dem Inneren der Hütte ertönt ein Pfiff. Der Hund fährt herum und schießt davon. Im Türrahmen erscheint ein robuster Mann, sein Gesicht ist breit, die Augen schmal. Vladimir begrüßt ihn mit einer Umarmung. Sie klopfen sich gegenseitig auf den Rücken wie alte Kumpels. Yanto, sagt Vladimir, passt auf die Hütte auf. Yanto deutet auf den Hund hinter sich: Und das ist Huayra, der Wachhund. Ich lächele. Huayra ist Quechua, sagt Vladimir, und bedeutet Wind. Wind, frage ich, ist Huayra ein Windhund? Yanto lacht. Ein Mischling, sagt er, wie alle Köter, die ich kenne, aber Huayra ist schnell wie der Wind und manchmal unsichtbar. Die Hütte besteht aus einem großen Wohnraum mit einer Küche und drei Tischen im vorderen Teil und zwei Sofas und einem Kamin weiter hinten. Eine steile Treppe führt auf einen Dachboden. Hier liegen Matratzen aufgereiht, mindestens zwanzig, eine direkt neben der anderen. Das Toilettenhaus, wenige Meter von der Hütte entfernt, ist nie fertig gestellt worden: Drei Wände aus Beton ohne Dach, die fehlende vierte Wand ersetzt die fehlende Tür. Ihr habt die Hütte ganz für euch, sagt Yanto, ein 20 Vladimir greets him with a hug and they pat each other on the back like old friends. Yanto, says Vladimir, is the caretaker of this cabin. Yanto points to the dog behind him: and this is Huayra, the watchdog. I smile. Huayra is Quechua, says Vladimir, meaning wind. Wind, I say. Is Huayra a greyhound? Yanto laughs. A mutt, he says, like all the dogs I know—but Huayra is fast like the wind, and sometimes invisible. Inside, the cabin is divided into two parts: a large living room with a kitchen and three tables in the front, and two sofas and a fireplace in the back. A steep staircase leads to a loft where mattresses are lined up, at least twenty, one right next to the other. The outhouse, a few meters away from the cabin, was never completed: three concrete walls without a roof, the missing fourth wall accentuating the missing door. You have the cabin all to yourselves, says Yanto. A Canadian couple is still here but they’re leaving tonight. I’m alone with the kids, he says. My wife is down in Caraz for a few days. A child clings to his leg. Its body is strangely disproportionate—the head looks too large on the squat neck and torso; the arms and legs are short and beefy. Judging by size, the child must be about four. He has shaggy black hair and the skin on his face is rough, dry and ruddy, making him look more 21 kanadisches Ehepaar ist noch da, aber die reisen heute Abend ab. Ich bin allein mit den Kindern hier, sagt er, meine Frau ist für ein paar Tage unten in Caraz. Ein Kind klammert sich an sein Hosenbein. Der Körper des Kindes ist seltsam unproportioniert— der Kopf wirkt zu groß über dem gedrungenen Hals und Oberkörper, die Arme und Beine sind fleischig und kurz. Das Kind muss seiner Größe nach etwa vier sein. Es hat struppiges, schwarzes Haar, die Haut im Gesicht ist aufgeraut, trocken und dunkelrot. Als wäre das Kind gar nicht vier, als wäre es eigentlich vierzehn. Das macht die Höhe, denke ich: die starke Sonne am Tag, die Kälte in der Nacht. Yanto sagt etwas auf Quechua. Das Kind löst sich von seinen Beinen und läuft aus der Hütte hinaus. Diego lehnt die Rucksäcke an die Wand neben die Tische. Wir sollten gehen, sagt er, bevor der Nebel kommt. D as Atmen und Laufen fällt schwer. Der Himmel ist bedeckt, eine dicke Wolkenschicht hat sich vor die Sonne geschoben. Ein kalter Wind fegt mir das Haar ins Gesicht. Das Gras ist gelblich und welk. Links und rechts des Weges türmen sich Gesteinsbrocken. 22 like fourteen. The altitude does this, I think: the strong sun during the day, the cold at night. Yanto says something in Quechua. The child lets go of his leg and runs out of the cabin. Diego leans the backpacks against the wall next to the tables. We should go, he says, before the fog comes. I t’s difficult to walk, hard to breathe. The sky is overcast; thick clouds have moved in front of the sun. A cold wind blows my hair into my face. The grass is yellow and withered. Boulders are piled up on both sides of the trail. Diego is moving very fast. He calls the boulders by their English name. Every once in a while he approaches one and lets his gaze slide over the stone, feeling out its unevenness with an air of professionalism. Occasionally he jumps up onto an overhang, makes a few climbing movements and then jumps off again. He laughs and moves on. Huayra chases after him, wagging her tail. Sometimes she runs so far out in front of us that she’s just a little brown spot between the rocks and the cliff. Then she stops, stands and waits. There is a purple spot hanging on the first big wall, about twenty meters up. Below, on the ground, its orange-colored counterpart is moving about. It must be the Canadian couple that Yanto 23 Diego läuft sehr schnell voran. Er nennt die Gesteinsbrocken Boulder. Manchmal nähert er sich einem der Brocken, lässt seinen Blick über den Stein gleiten und tastet seine Unebenheiten mit professionellen Handgriffen ab. Manchmal hängt er sich auch an einen der Brocken, macht ein paar Kletterbewegungen, springt wieder ab. Er lacht und läuft weiter. Huayra rennt ihm hinterher und wedelt mit dem Schwanz. Manchmal läuft sie weit vor, bis sie nur noch ein kleiner, brauner Punkt zwischen den Felsen und Gesteinsbrocken ist. Dann bleibt sie stehen und wartet. An der ersten großen Wand hängt auf etwa zwanzig Meter Höhe ein violetter Fleck. Darunter, auf dem Boden, bewegt sich sein orangefarbenes Pendant. Das muss das kanadische Ehepaar sein, von dem Yanto gesprochen hat. Als wir näher kommen, sehe ich, dass es die Frau ist, die klettert, und der Mann, der sichert. Der Mann begrüßt uns mit einem kurzen Nicken. Vladimir und Diego heben die Köpfe. Die Frau klettert im Vorstieg, professionell und geschickt, Angst scheint sie keine zu haben. Ich beobachte, wie die Kanadierin sich mit der linken Hand an einer winzigen Unebenheit im Fels festhält, während sie mit der rechten Hand mehr Seil aufnimmt. Wie sie das Seil dann mit einer sicheren Bewegung in die Exe einklinkt. Ich wende 24 mentioned. As we get closer I can see that it’s the woman who’s doing the lead climbing and the man who belays. The man greets us with a curt nod. Vladimir and Diego look up. The woman is climbing like a professional. She seems to have no fear. I watch her as she holds on to a tiny bump in the rock with her left hand while taking up the rope with the right—how she takes the rope with a firm motion and fastens it into the eye. I turn to Diego and Vladimir. They are both spellbound, tracking her every move. How high is the wall, I ask. I’m cold. Diego’s eyes are fixed on the woman’s butt. Thirty meters, he says. Now it’s your turn. I don’t want to, I say. Don’t be silly, says Diego. If she can do it, so can you. Three years ago, Diego was still the Peruvian climbing champion. He was even featured on Peruvian TV, on Canal 7 and Frecuencia Latina. But since Diego has been living with me in Berlin, Vladimir has replaced him. Vladimir is four years younger. Diego taught him to climb years ago, taking him to the rocks and showing him everything he knew. Now Diego has a hard time keeping up with him. Diego says it’s Berlin’s fault: no mountains or rocks in the area, expensive indoor climbing gyms, his job as a waiter. But secretly, I think he blames me. 25 mich um, zu Diego und Vladimir. Die beiden verfolgen gebannt jede ihrer Bewegungen. Wie hoch ist die Wand, frage ich. Mir ist kalt. Dreißig Meter, sagt Diego, ohne den Blick vom Po der Kanadierin zu lösen, gleich bist du dran. Ich will nicht, sage ich. Stell dich nicht so an, sagt Diego, wenn sie das kann, dann kannst du das auch. Bis vor drei Jahren war Diego noch der peruanische Meister im Klettern. Manchmal ist er sogar im peruanischen Fernsehen gezeigt worden, auf Canal 7 und Frecuencia Latina. Seit Diego mit mir in Berlin lebt, hat ihn Vladimir abgelöst. Vladimir ist vier Jahre jünger als Diego. Diego hat ihm das Klettern beigebracht, vor Jahren, er hat ihn mit zu den Felsen genommen und ihm alle Techniken gezeigt, die er kannte. Inzwischen fällt es Diego schwer, sich mit Vladimir zu messen. Diego sagt, Berlin sei schuld: keine Berge oder Felsen in der Umgebung, teure Indoor-Kletterhallen, der Job als Kellner. Aber insgeheim glaube ich, er sieht die Schuld bei mir. Der Kanadier seilt seine Frau ab. Sie wirkt sportlich und etwas burschikos, ist Anfang vierzig und hat das graue Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie begrüßt mich und die Jungs, ohne zu lächeln, und wendet sich gleich wieder ab. 26 The Canadian lets out the rope, allowing his wife to rappel. She looks athletic and a little tomboyish, probably in her early forties, with gray hair tied back into a ponytail. She greets me and the boys without smiling, then immediately turns back around. I study her technique: how she collects the rope from the rock and folds it up quickly, how she slaps the chalk from her palms and then runs her left hand through her hair, the way she consults with her husband about which routes to attempt next. Meanwhile, Diego has geared up and slowly begins to ascend. All of his movements are deliberate and assured. He carefully shifts his weight from one foot to the other, occasionally planting a heel and hanging for a brief moment in the air: the right toe on a small ledge, the left heel wedged into a gap, the right hand gripping the rock and the left arm swinging down like a pendulum. Thirty meters above the ground Diego fastens the rope into the last support. Vladimir lets him back down. All set, Diego says to me, your turn. I hook into the rope. The rock is rough and extremely cold. Every grip I take digs into my skin. The wind whips my hair into my face. Below, I can barely hear Diego. Vamos, he shouts. Very nice, Astrid. Good. Vamos, vamos! 27 Ich beobachte die geschulten Bewegungen der Kanadierin: wie sie das Seil vom Felsen zieht und es rasch zusammenlegt. Wie sie sich das Magnesia von den Händen klopft und sich dann mit der Linken durchs Haar fährt. Wie sie mit ihrem Mann beratschlagt, welche Wand jetzt an der Reihe ist. Inzwischen hat Diego sich angeseilt. Langsam beginnt er, in die Höhe zu steigen. Alle seine Bewegungen sind bewusst und sicher. Bedacht verlagert er sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, manchmal setzt er die Ferse ein und hängt dann für einen kurzen Moment so in der Luft, die rechte Fußspitze auf einem kleinen Felsvorsprung, die linke Ferse in einen Spalt gekeilt, die rechte Hand am Fels und der linke Arm wie ein Pendel nach unten gerichtet. Dreißig Meter über dem Boden hängt Diego das Seil in die letzte Sicherung. Vladimir lässt ihn ab. Den Nachstieg, sagt Diego, als er wieder unten ist, machst du. Ich knote mich ins Seil. Der Fels ist rau und sehr kalt. Mit jedem Handgriff bohrt er sich in meine Haut. Der Wind peitscht mir das Haar ins Gesicht. Unten höre ich Diego nur noch leise. Vamos, ruft er, sehr schön, Astrid, gut, vamos, vamos! Die Griffe werden immer kleiner. Ich taste suchend über den Fels. Ich spüre meine Hände 28 The grips are getting smaller. I grope my way along the rockface. It’s so cold I can’t feel my hands anymore. They are like numb tools—their sole purpose is to hold me up. The wall bulges outward now. My left leg trembles, the step is too tiny. It feels like I’m definitely going to fall. And then what if the backup doesn’t hold. What if the rock is too brittle or if the hooks are rusted. What if Diego didn’t fasten the rope correctly. My bones would shatter like glass on the ground. Diego, I cry, let me down! But Diego doesn’t hear. I know what he would say anyway: Don’t be silly. Don’t be such a girl. If she can do it, so can you. A bird flies diagonally over my head. It flies into a cave to my left, a little above. I can hear its wings flapping, very close. I can hear the wind howling in the mouth of the rockface. I look up but I can’t see the bird. Instead, I discover a large hollow about a foot above my right hand. I grab the edges with both hands and pull myself up. I am then able to reach a ledge with my left foot. I stand up straight and am almost comfortable. I lean my body against the rock. The wind drives into me from behind, through my hair and my clothes; but I’m not cold anymore. To my left I can see the cave. The bird is blink- 29 nicht mehr, so kalt ist er. Meine Hände fühlen sich an wie klamme Werkzeuge; ihr einziger Zweck: meinen Körper nach oben zu stemmen. Der Fels wölbt sich jetzt leicht nach außen. Mein linkes Bein zittert, der Tritt ist winzig. Gleich werde ich fallen, bestimmt. Und was, wenn die Sicherung nicht hält. Wenn der Fels brüchig ist, oder der Haken verrostet. Wenn Diego das Seil nicht richtig eingehängt hat. Ich könnte zwanzig Meter nach unten stürzen. Am Boden würden meine Knochen splittern wie Glas. Diego, rufe ich, lass mich ab! Aber Diego hört mich nicht. Ich weiß sowieso schon, was er sagen würde: Stell dich nicht so an. Sei kein Mädchen. Wenn sie das kann, dann kannst du das auch. Ein Vogel fliegt schräg über meinen Kopf. Er fliegt in eine Höhle, die es oben links in der Wand geben muss. Ich höre ihn sehr nah neben mir mit den Flügeln schlagen. Ich höre, wie der Wind in der Felswand heult. Ich blicke nach oben, den Vogel sehe ich nicht. Stattdessen entdecke ich eine große Mulde, dreißig Zentimeter über meiner rechten Hand. Ich greife mit beiden Händen hinein und ziehe mich daran hoch. So erreiche ich einen Felsvorsprung mit dem linken Fuß. Ich richte mich auf und stehe beinahe bequem. Ich lehne meinen Körper an den Fels. Der 30 ing. It’s huge, almost three feet tall, its feathers an iridescent gray. Beads of water slip from its wings. The beak arcs itself to a point. The tiny eyes are two impenetrable buttons, jet-black and glossy. An American Black Vulture? The bird squawks and flaps its wings and the wind moans in the cave. My hands are dead, I say when I’m back down again. I have no hands. Diego takes my hands and massages them for a long time. With the heat comes the pain. It hurts so much that tears are welling in my eyes. Diego takes me in his arms. You were great, he whispers. I’m shivering. My head feels feverish. Every move I make causes the blood to pound in my temples. I sit down on the ground, leaning back against one of the boulders. I try to read a book that I bought a few days ago at a kiosk—something about pre-Columbian societies in America: the world of yesterday becomes the world of today becomes the world of tomorrow becomes the world of yesterday, I read, the same way the night turns to day and then back again to night. The letters swim before my eyes. The fog has already descended far over the cliffs when Diego and Vladimir decide it’s time to return to the cabin. The Canadians have long since disappeared. Vladimir has attempted seven different routes and conquered them all. Diego 31 Wind fährt mir von hinten durchs Haar und unter die Kleidung, aber ich friere nicht mehr. Links neben mir sehe ich die Höhle. Der Vogel blinzelt. Er ist riesig, fast einen Meter groß, und sein Gefieder schillert mattgrau. Wasser perlt von seinen Flügeln. Der Schnabel wölbt sich spitz. Die winzigen Augen sind zwei undurchdringliche Knöpfe, pechschwarz und glänzend. Ein Rabengeier? Der Vogel krächzt und schlägt mit den Flügeln, und in der Höhle heult der Wind. Meine Hände sind tot, sage ich, als ich wieder unten bin, ich habe keine Hände mehr. Diego greift nach meinen Händen und massiert sie sehr lange. Mit der Wärme kommt der Schmerz. Es tut so weh, dass mir die Tränen in die Augen schießen. Diego nimmt mich in den Arm. Du warst toll, flüstert er. Mir fröstelt, mein Kopf ist fieberschwer, bei jeder Bewegung pocht das Blut in den Schläfen. Ich setze mich auf den Boden, mit dem Rücken gegen einen der Boulder gelehnt. Ich versuche zu lesen, ein Buch, das ich vor ein paar Tagen an einem Kiosk gekauft habe, irgendwas über die präkolumbischen Gesellschaften in Amerika. Die Welt von gestern wird zur Welt von heute wird zur Welt von morgen wird zur Welt von gestern, lese ich, so wie die Nacht zum Tag wird und dann wieder zur Nacht. Die Buchstaben verschwimmen vor meinen Augen. 32 tried to equal him but on three of the seven routes he failed at the crux. Now Diego walks alone ahead of us. His hands are buried in his pockets. His head is lowered. The fog has dipped the stonescape into a nightshade of gray. Visibility is less than ten meters. Huayra runs ahead, disappearing sometimes, and then slowly re-emerges out of the mist. For a moment, her head can be seen clearly but her body remains shrouded in a blurry veil. Then she is back with us, whole. She sweeps by the legs of the boys, approaches me, tail wagging, panting, only to disappear again. Sometimes, when Huayra is moving at the same speed out ahead of us, it’s as if she’s following a smokescreen—her tail is visible and the front of her body leads the shadowy existence. Huayra is a messenger between two realities, I think. She wanders silently in the shadow world of caves and underground waters and when she returns to the here and now, her coat is glazed with dew. Who knows, I think, what Huayra sees or hears when she has vanished. Who knows, I think, what Huayra sees now, when she is back with us. Then I don’t see Vladimir anymore. Huayra is also gone. Now matter where I look, there is only yellowish grass and scattered rubble. Beyond that, the wall of fog looms, towers. I no longer know which direction to go. I call out for Diego, for 33 Der Nebel hat sich schon tief über die Felsen gesenkt, als Diego und Vladimir beschließen, zurück zur Hütte zu gehen. Die Kanadier sind längst verschwunden. Vladimir hat sieben Routen ausprobiert und alle geschafft. Diego hat es ihm gleichtun wollen, aber auf drei der sieben Routen ist er an der Crux gescheitert. Jetzt läuft Diego alleine voraus. Die Hände hat er in den Hosentaschen vergraben, den Kopf hält er gesenkt. Der Nebel hat die Steinlandschaft in ein mattes Nachtgrau getaucht. Wir haben nicht mehr als zehn Meter Sicht. Huayra, die voran läuft, verschwindet manchmal, und wenn sie wieder auftaucht, gibt der Nebel sie nur langsam frei: Während der Kopf schon ganz klar zu sehen ist, bleibt der Körper noch einen Moment in einen unscharfen Schleier gehüllt. Dann ist sie wieder ganz bei uns. Sie streicht um die Beine der Jungs, nähert sich auch mir, schwanzwedelnd, hechelnd, um dann wieder zu verschwinden. Wenn Huayra in gleicher Geschwindigkeit vor uns herläuft, ist es, als verfolge sie den Nebelschleier, dann ist ihr nebelfeuchter Schweif ganz klar zu erkennen, während der Vorderkörper schon ein Schattendasein führt. Huayra ist der Bote zwischen zwei Welten, denke ich. Lautlos wandelt sie in der Schattenwelt der Höhlen und unterirdischen Gewässer, und wenn sie zurückkommt in die Welt von hier und 34 Vladimir, even for Huayra. Someone answers. Someone calls my name. But I’m not sure from where. I recall the book I tried to read earlier, leaning against the boulder. In Andean mythology, it is said that time moves in cycles that continuously repeat themselves. The ancestors exist both yesterday and tomorrow. They are the night, forever returning. They live in an inversion. I think for a moment in the fog and then suddenly get the feeling I have been walking backwards. The Pishtaco, Yanto had said, roams the high plains of the Andes at night. The Pishtaco wears a long, black coat. But his hair is blond, as blond as yours, he said, and his skin glows white under his black hood. The Pishtaco is a gringo. A white man, I think now, a rogue Canadian tourist—or perhaps the owner of a multinational mining corporation. I’m dizzy. I want to sit down but I shouldn’t. I need to keep walking. I hear someone whistling. Diego is whistling for Huayra but I can’t tell from where. There is only grass and gravel—and Huayra’s wet nose in my hand. Huayra trots off to the right and I follow after her, to the right, until she disappears again. The Pishtaco, Yanto said, roams the high plains of the Andes in search of human flesh. If you meet 35 jetzt, glänzt ihr Fell feucht vom Wasserdampf. Wer weiß, denke ich, was Huayra gesehen hat oder gehört, während sie unsichtbar war. Wer weiß, denke ich, was Huayra jetzt sieht, wenn sie wieder da ist, bei uns. Dann sehe ich Vladimir nicht mehr. Auch Huayra ist weg. Egal, wohin ich blicke, überall erstreckt sich nur gelbliches Gras, dazwischen hin und wieder ein bisschen Geröll. Dahinter türmt sich die Nebelfront. Ich weiß nicht mehr, in welche Richtung ich laufen muss. Ich rufe nach Diego, nach Vladimir, sogar nach Huayra. Jemand antwortet, jemand ruft meinen Namen, aber ich bin mir nicht sicher, von wo. Ich erinnere mich an das Buch, das ich zu lesen versucht habe, gegen den Boulder gelehnt. In der andinen Mythologie, stand da, schreitet die Zeit in sich umkehrenden Zyklen voran. Gestern und morgen leben die Ahnen. Sie sind die Nacht, die wiederkehren wird. Sie leben verkehrt herum. Im Nebel denke ich einen Moment, ich laufe rückwärts und merke es nicht. Der Pishtaco, hat Yanto erzählt, streift nachts über die Hochebenen der Anden. Der Pishtaco trägt einen langen, schwarzen Mantel, aber sein Haar ist blond, so blond wie deins, und seine Hautfarbe leuchtet weiß unter der schwarzen Kapuze. Der Pishtaco ist ein Gringo. 36 him, you can’t look him in the eye. He’ll pull out a knife and carry you off into his cave. There, he will hang you upside down and let your fat drip into a pot. When the pot is full he’ll sell the lard abroad: to North America, to Europe, even in Lima. He’ll sell it to his white cronies. To your family, perhaps—to people like you. People like me, I now realize, are the ones who currently dominate Peru. And it is the Incan ancestors who will return in the world of tomorrow, when people like me are not here anymore. Astrid, says Diego grabbing my left arm, there you are. We were worried, says Vladimir grabbing my right arm. Diego and Vladimir exchange a glance. Diego laughs, then Vladimir does too. Huayra brushes past Vladimir’s feet, her eyes flashing as black as night. Are you ok, asks Diego, running his hand along my cheek. You’re burning up. T *** he fire is dwindling. It smokes and smolders. Soon it will go out. I am very tired. When I was alone in the fog this afternoon, I say, I believed in the Pishtaco for a moment. I thought he was coming to get me. 37 Ein Weißer, denke ich, ein kanadischer Independent-Tourist, Inhaber multinationaler Bergwerke in der Region? Mir ist schwindlig, ich will mich setzen, aber ich darf nicht, ich muss weiterlaufen. Ich höre jemanden pfeifen. Diego pfeift nach Huayra. Aber wo ist Diego. Da ist nur Gras und Geröll. Und Huayras feuchte Schnauze an meiner Hand. Huayra trottet nach rechts. Ich laufe ihr hinterher, nach rechts, bis sie wieder verschwunden ist. Der Pishtaco, hat Yanto erzählt, durchstreift die Hochebenen der Anden auf der Suche nach Menschenfett. Wenn er dir begegnet, darfst du ihm nicht in die Augen schauen. Er wird ein Messer zücken und dich in seine Höhle entführen. Dort wird er dich kopfüber aufhängen und dein Fett in einen Topf tropfen lassen. Wenn der Topf ganz gefüllt ist, wird er dein Fett ans Ausland verkaufen: an Nordamerika, an Europa, sogar an Lima. An seine weißen Verbündeten. An deine Familie vielleicht, an Leute wie dich. Leute wie ich, denke ich plötzlich, sind die Gegenwart Perus. Und die Ahnen, das sind die Inkas, die wiederkehren werden in der Welt von morgen, wenn Leute wie ich nicht mehr hier sein werden. Astrid, sagt Diego und greift nach meinem linken Arm, da bist du ja. Wir haben uns Sorgen gemacht, sagt Vladimir und greift nach meinem rechten Arm. Diego und Vladimir wechseln einen Blick, 38 Once, says Yanto, three of them came knocking—three Pishtacos. I saw them from above through a crack in the roof. They had long, black coats and their faces were buried so deep in their hoods that I couldn’t make them out. One of them had a cudgel. I didn’t move. I was so quiet I was barely breathing. After a while they left. Three days later they came back but I wasn’t here. I was down in Caraz. They ransacked the entire cabin looking for me. They didn’t take anything. And once, says Yanto—but I don’t really hear him anymore, I’m half-asleep—once I saw the Ichiq Ollcu. He lives up in the caves or under the lakes. He has mines full of gold. He tries to lure you there. Anyone who sees the goldmines of the Ichiq Ollcu is never seen again. But if you can find a way to capture him, then he will buy his freedom. Then all his gold will belong to you. I am walking through the fog again. I can hear the drum. It is the drum of the Ichiq Ollcu. He now stands in front of me with his red hair, laughing. His head is huge. He has rough hands and thick legs, all out of proportion. Somehow he seems familiar to me; somewhere I have seen him before but I can’t quite remember. The Ichiq Ollcu beats his marching drum. Come on, he says, I will show you all the gold I have stashed away under the lake. And I follow his beating drum. It’s a very steady 39 Diego lacht, dann lacht auch Vladimir. Huayra streicht um Vladimirs Füße, ihre Augen glänzen schwarz wie die Nacht. Alles in Ordnung, fragt Diego und fährt mit der Hand über meine Wange, du glühst ja, hast du Fieber? D *** as Feuer ist kleiner geworden. Noch schwelt es und raucht. Bald wird es ausgehen. Ich bin sehr müde. Als ich heute Nachmittag alleine im Nebel war, sage ich, da habe ich für einen Moment an den Pishtaco geglaubt. Da habe ich kurz gedacht, jetzt kommt er und holt mich. beat—an ancient, alien rhythm. I follow the Ichiq Ollcu down under the lake. Below, the walls are polished diamonds, the ceiling is the silver of water in a mirror, the ground is pure granulated gold. Everything is upside down. The people are tiny, their hair the color of fire. Their arms and hands are inverted, the thumbs on the outside and the pinky fingers on the inside. They walk and talk backwards and the language they make sounds as if it’s coming from inside bubbles. Now, I too am small and firehaired like the Ichiq Ollcus under the lake. Their drums beat loud. Very loud. Coming closer. Tmm-tmm. Tmm-tmm. Bei mir, sagt Yanto, haben einmal drei von denen geklopft. Drei Pishtacos. Ich habe sie von oben gesehen, durch einen Spalt im Dach. Sie hatten lange, schwarze Mäntel an und die Kapuzen so tief im Gesicht, dass ich nichts erkennen konnte. Einer hatte einen Knüppel dabei. Ich habe mich nicht bewegt, ich habe kaum geatmet, so leise war ich. Nach einer Weile sind sie gegangen. Drei Tage später sind sie wieder gekommen. Ich war nicht hier, ich war unten in Caraz. Sie haben die ganze Hütte durchwühlt, auf der Suche nach mir. Geklaut haben sie nichts. 40 41 Und einmal, sagt Yanto—aber das höre ich fast nicht mehr, da schlafe ich schon halb—einmal habe ich den Ichiq Ollcu gesehen. Er lebt oben in den Höhlen oder unter den Seen. Dort hat er Bergwerke voller Gold. Er wird versuchen, dich dorthin zu locken. Wer einmal die Bergwerke des Ichiq Ollcu gesehen hat, der kommt nie mehr von dort zurück. Aber wenn du es schaffst ihn einzufangen, dann wird er sich freikaufen, dann gehört sein Gold dir. Ich laufe wieder durch den Nebel, als ich die Trommel höre. Es ist die Trommel des Ichiq Ollcu. Rothaarig steht er neben mir und lacht. Sein Kopf ist groß, die Hände und Beine grob und dick. Seltsam unproportioniert. Irgendwie kommt er mir bekannt vor, irgendwo habe ich ihn schon einmal gesehen, aber ich erinnere mich nicht. Der Ichiq Ollcu schlägt seine Marschmusik, komm mit, sagt er, ich zeig dir das Gold, das ich gehortet habe, unter dem See. Und ich folge den Schlägen seiner Trommel, es ist ein sehr gleichmäßiges Schlagen in einem fremden, uralten Rhythmus, und ich folge dem Ichiq Ollcu unter den See. Unten sind die Wände geschliffene Diamanten, die Decken silbern wie das Wasser im Spiegel, und der Boden ist ganz aus goldenem Sand. Alles ist verkehrt herum. Die Menschen sind klein und rothaarig, ihre Hände und Arme sind spiegelverkehrt, die Daumen sitzen außen an ihren Händen, die kleinen Finger innen. 42 Sie laufen und sprechen rückwärts, es klingt, als stießen sie Wasserblasen aus. Auch ich bin jetzt so klein und rothaarig wie die Ichiq Ollcus unter dem See. Die Trommeln schlagen sehr laut. Sehr laut. Ganz nah schlagen sie. Tam tam. Tam tam. 44 írez ud er r m g a a R M n Kevi n f Acto o n o i t i efin The Ind rpt) (an exce cton A s e d lichung t i e z t n Die E z Ramíre vo n : zt u b erset y er ch enma ir K la u rs U T his is to just give you a taste of what was beginning to happen on the grand scale. This particular lecture series was trying to lay down some basic ethos behind the whole thing as it pertained to children, a seemingly minor consideration juxtaposed against the greater whole. Diane, my fiancée, was explaining to a member of the press who had asked a rather off-topic question that of course this new technology wasn’t a cure for death per se, or any particular disease for that matter. She pointed out that it was true some maladies might respond to this therapy but that many years of research would be needed to find out which ones, and to what extent. To another obviously uninformed question, and in her casually charming manner, she acknowledged that we were probably only talking about the possibility of prolonging life here on earth for a few decades, maybe a century for healthy, and lucky, individuals. Diseases that had little to do with aging on the cellular level, and of course trauma could still kill you; and so it just became a question of when the dice were going to come up snake-eyes, she said. “Ah, but!” another member of the press said, “…wouldn’t these diseases you’re referring to be far less likely to occur in a person frozen at the age of, say, sixteen?” Blunt trauma 48 D as hier soll nur andeuten, was gerade auf großer Ebene zu passieren begann. Diese Vortragsreihe sollte eine Art Grundethos hinter der ganzen Sache festlegen, speziell was Kinder betraf—eine scheinbar unbedeutende Überlegung, wenn man sie dem größeren Ganzen gegenüberstellte. Diane, meine Verlobte, erklärte gerade einem Pressevertreter, der eine eher nebensächliche Frage gestellt hatte, dass diese neue Technologie natürlich kein Heilmittel gegen den Tod per se, ja um ehrlich zu sein gegen überhaupt keine Krankheit im Besonderen sei. Sicher, manche Leiden würden auf diese Therapie anschlagen. Aber es seien noch sehr viele Jahre tiefgehender Forschung nötig, um herauszufinden, welche genau und bis zu welchem Grad. Aller Wahrscheinlichkeit nach, räumte sie in ihrer beiläufig charmanten Art auf eine offensichtlich schlecht informierte Frage hin ein, ginge es bloß darum, das Leben hier auf der Erde um ein paar Jahrzehnte, mit etwas Glück und bei gesunden Individuen maximal um ein Jahrhundert zu verlängern. Krankheiten und Traumata, die wenig mit dem Altern auf Zellebene zu tun hätten, könnten einen immer noch töten; und am Ende ginge es sowieso nur darum, wann man den schwarzen Peter ziehen würde, sagte sie. 49 notwithstanding, yes, Diane ceded. But it was her contention that you didn’t want to stop the body, or the brain, from fully developing before it reached maturity. Basically, she was saying that immortality was not for children. The hall filled with contented laughter. She had them all enchanted. Doors open easier for beautiful people; I don’t think this is debatable. Diane seemed to sense this and once a friend of mine (a medical student who had worked with me in the Narrative Medicine lab) good-naturedly told me that all the students thought Dr. Ramírez was hot, even the females. This of course did not surprise me but when I relayed this information to Diane she got upset. It almost gave me the impression that she would rather not be beautiful, since she seemed to think this hindered her efforts at being taken seriously as a doctor. So sad. What a gift, and to not be grateful seemed like such a waste. Plus, I don’t have to tell you that this sort of naïve vanity can invite resentment—not from me but from other female professionals struggling with their looks in a male-dominated field. From my perspective at the time, there was nobody more powerful in this world than a gorgeous, young American doctor. She had been dealt a royal flush. Add to this the fact that she had been an Ivy-Leaguer, her parents had been Ivy-Leaguers and were now major players at 50 „Moment mal“, sagte ein anderer Pressevertreter, „treten diese Krankheiten, von denen Sie sprechen, nicht viel eher bei einer Person auf, die, sagen wir, mit sechzehn eingefroren wurde?“ Das stumpfe Trauma nicht eingerechnet, ja, lenkte Diane ein. Aber ihrer Überzeugung nach solle man den Körper, oder das Gehirn, nicht daran hindern, sich komplett zu entwickeln, ehe er zur Reife gelange. Unsterblichkeit, sagte sie, sei also nichts für Kinder. Im Saal breitete sich zufriedenes Gelächter aus. Sie hatte sie alle verzaubert. Schönen Menschen öffnen sich die Türen leichter; ich glaube nicht, dass das zur Debatte steht. Diane schien das zu spüren und einmal hat mir ein Freund (ein Medizinstudent, der damals mit mir im Narrativen Medizinlabor arbeitete) unbedacht verraten, dass alle Studenten, sogar die weiblichen, Dr. Ramírez heiß fanden. Das hat mich natürlich nicht überrascht, aber als ich die Info an Diane weitergab, wurde sie wütend. Ich hatte fast den Eindruck, sie würde es vorziehen nicht schön zu sein, weil sie anscheinend glaubte, deshalb als Ärztin nicht ernst genommen zu werden. Traurig, oder? Eine solche Gabe, und keine Dankbarkeit, das schien mir eine echte Verschwendung. Außerdem ist ja wohl glasklar, dass eine so naive Eitelkeit Neid anlockt—nicht meinen natürlich, aber den anderer berufstätiger Frauen, die in einer Män- 51 Stanford, and you were looking at the very pinnacle of the Ameritocracy standing up there. And so what did she see in me, again? This is a question that I might have done well to ask myself (and maybe her) a few more times. Why did she not want to be with one of these other doctors ogling her? She told me once that her ex-husband, a surgeon, had constantly asked her questions over dinner: “Why didn’t you intubate?” “When are you going to publish the results of that asthma case?” It didn’t take long for Diane to get sick of this line of questioning, especially if it was ever implied that she was at all incompetent. Like in the conference hall now, the questions were becoming more emotionally charged: What did this discovery mean for terminally-diseased children, parents demanded to know. Would it buy them more time to wait for a cure? This part was not going quite as well. I found her after her talk to congratulate her. She looked tired. We had planned to lie on the beach for the rest of the day but I had to phone in sick to work first. “Can you do that?” she said. The conference hall was draining of its members: complimentary binders, complimentary pens, complimentary food and coffee, promotional electronic devices were left scattered about the tables. 52 nerdomäne um ihr Aussehen kämpften. Meiner damaligen Meinung nach war niemand mächtiger als eine bildhübsche, junge, amerikanische Ärztin. Sie hatte das große Los gezogen. Nicht zu vergessen, dass sie an einer Elite-Uni studiert hatte, genau wie schon ihre Eltern, die jetzt zu den ganz Großen in Stanford gehörten. Hier hatte man die Spitze der amerikanischen Leistungsgesellschaft direkt vor der Nase. Was also sah sie nochmal genau in mir? Diese Frage hätte ich mir selbst mal öfter stellen sollen (oder vielleicht ihr). Warum wollte sie nicht mit einem dieser glotzenden Ärzte zusammen sein? Ihr Exmann, erzählte sie einmal, ein Chirurg, habe sie dauernd beim Abendessen ausgefragt: „Warum hast du nicht intubiert?“, „Wann wirst du die Ergebnisse des Asthmafalls veröffentlichen?“. Nicht lange, und Diane war die ständige Fragerei satt, besonders wenn sie auf eine mögliche Inkompetenz ihrerseits abzielte. So wie jetzt, im Konferenzsaal, als die Fragen immer emotionsgeladener wurden: Was die Entdeckung für todkranke Kinder bedeute, wollten Eltern wissen. Ob sie so Zeit gewinnen würden, bis es ein Heilmittel gebe? Jetzt wurde es unbequem. Nach ihrem Gespräch suchte ich sie, um ihr zu gratulieren. Sie sah müde aus. Wir hatten vorgehabt, uns den restlichen Tag an den Strand zu legen, aber ich musste mich erst auf der Arbeit krankmelden. 53 “It’s three hours earlier there,” I said. “Plenty of time to call in a sub.” “They don’t know you’re here?” “I only need a note from a doctor if it’s over three business days.” She shook her head. “Wait, what?” I knew where she was going with this. “Once you ask, you’re screwed,” I said. “They wouldn’t have agreed to it. This way, I can come.” I made the call to the automated system (pressed a few keys on my iBall and even left a patheticsounding voice message after the beep). We gathered our things back at the room and went down to the beach. She was disappointed with her performance. “You got the information across,” I said, cracking a can of Imperiale. “You’re sick. What else could you have done?” I should have just held her hand. “This isn’t a vacation for me. They invited me to speak because I’m supposed to be one of the better lecturers in the country. All of us here are. I let them down.” “Do they know you’re sick?” “That doesn’t matter.” She got up and said she was going to go lie down in the room. I stayed and, turning over onto my 54 „Kannst du das machen?“, sagte sie. Die Mitglieder verließen nach und nach den Konferenzsaal: Werbehefter, Werbestifte, Snacks, Kaffee und zu Werbezwecken verteilte elektronische Geräte lagen verstreut auf den Tischen herum. „Dort ist es drei Stunden früher“, sagte ich. „Genug Zeit, um eine Vertretung zu finden.“ „Die wissen gar nicht, dass du hier bist?“ „Ich brauche doch bloß ein ärztliches Attest, wenn ich mehr als drei Arbeitstage fehle.“ Sie schüttelte den Kopf. „Moment mal, was bitte?“ Ich wusste, worauf sie hinauswollte. „Wenn du fragst, kannst du’s gleich vergessen“, sagte ich. „Die wären nie einverstanden gewesen. Aber so kann ich hier sein.“ Ich rief das vollautomatisierte System an (drückte ein paar Tasten auf meinem iBall und hinterließ sogar eine erbärmlich klingende Nachricht nach dem Signalton). Wir brachten unsere Sachen aufs Zimmer und gingen runter zum Strand. Sie war nicht zufrieden mit ihrer Leistung. „Du hast doch die Infos rübergebracht“, sagte ich und öffnete eine Dose Imperiale. „Du bist krank. Was hättest du denn noch tun sollen?“ Ich hätte besser nur ihre Hand gehalten. 55 belly, drew lines in the sand through the slats in the lounge chair. She must have been feeling awful. The horrible thought of her snooping through my travel bag and discovering the Viagra I occasionally used when she was particularly insatiable popped into my head. I started walking down the beach away from the resort. T *** his was where I was supposed to buy her something nice, I guess. But as you might have gathered, I really had no money of my own. Adjunct teaching at East Palo Alto Community College didn’t pay much. I could have bought her something and charged it to the room but that’s just crass. Besides, even though she seemed to love to shop, Diane was always complaining about having too many things. I could never give her a nonperishable gift, as it were, without receiving in return that exasperated little half-smile. The only thing she ever really liked that I gave her was a pair of yellow and red Sugar Babies underpants with the words ‘Be My Baby’ written across the back. She had put them on and leapt and bounded around the house for a full five minutes before taking them off and putting them in her chonies drawer. I used to like to burn music I thought she’d appreciate onto old 56 „Das hier ist kein Urlaub für mich. Die haben mich eingeladen, weil ich eine von den besseren Rednern im Land sein soll. Wie alle hier. Ich hab sie enttäuscht.“ „Wissen die denn, dass du krank bist?“ „Das ist doch egal.“ Sie stand auf und sagte, sie würde aufs Zimmer gehen und sich ein bisschen hinlegen. Ich blieb, drehte mich auf den Bauch und zeichnete durch die Ritzen des Klubsessels Linien in den Sand. Sie muss sich furchtbar gefühlt haben. Plötzlich kam mir der erschreckende Gedanke, sie könne meine Reisetasche durchwühlen und dabei auf das Viagra stoßen, das ich gelegentlich benutzte, wenn sie besonders unersättlich war. Ich begann den Strand runterzulaufen, weg vom Resort. I *** ch schätze, das war der Punkt, an dem ich ihr etwas Schönes hätte kaufen sollen. Aber wie vielleicht schon deutlich wurde, hatte ich wirklich überhaupt kein eigenes Geld. Die Stelle als Hilfslehrer am East Palo Alto Community College brachte fast nichts ein. Ich hätte ihr etwas kaufen und es dann auf die Zimmerrechnung stellen können, aber das wäre grob gewesen. 57 polycarbonate CD’s; and so in return she bought me a digital label maker. I loved that. Then she bought me my iBall. You can bounce it! That little commercial song about how if it doesn’t bounce back, you go lonely… But it always bounces back! Boww-bow-bow…! So, write her a poem? Ok, one: as if that were an easy thing to do and, two: I’d already tried it. It didn’t go over very well and then I felt like an idiot. I had to write a parody of it just to balance the whole thing out. It was when I was wading in the surf, up to my calves in the lukewarm froth, humming that iBall jingle to myself that I spied a starfish, greenish and floating a few inches above the seafloor a little further out. I high-stepped a couple of foamy little breakers and then dove down and managed to grab it in between the inhaling and exhaling of the surge. It must have been dead. At least that’s what I thought when I managed to capture it. There were no rocks, no coral, no seaweed, nothing that you would picture a live starfish enjoying in the normal course of his daily affairs. The waves bore me easily back to the shore and I appraised my little trophy in the waxing sunlight, water dripping off my eyelashes. It was even more brilliant in the air: a near turquoise (or aquamarine, I never know which is which) with little brown specks scattered over its dorsal surface. It wasn’t moving, but neither was it 58 Außerdem beschwerte sich Diane dauernd darüber, zu viel Zeug zu haben, obwohl sie eigentlich gern shoppen ging. Ich konnte ihr nie ein, sagen wir, haltbares Geschenk machen, ohne im Gegenzug mit ihrem verärgerten kleinen Halblächeln bedacht zu werden. Das einzige Zeug, das ihr von meinen Geschenken wirklich gefiel, war ein gelb-roter Slip von SugarBabies, auf dem hinten die Worte „Be My Baby“ standen. Sie hatte ihn angezogen und war fünf Minuten lang darin durchs Haus gehüpft, ehe sie ihn wieder auszog und in den Schrank zu den anderen Schlüpfern legte. Früher habe ich ihr Musik, die sie, wie ich dachte, mögen würde, auf alte Polycarbonat-CDs gebrannt; also kaufte sie mir im Gegenzug einen digitalen Etikettendrucker. Das fand ich großartig. Dann besorgte sie mir meinen iBall. You can bounce it! Dieses kleine Werbelied, springt er nicht zurück, bleibst du allein… But it always bounces back! Boww-bow-bow…! Ihr vielleicht ein Gedicht schreiben? Also, erstens: als ob das so leicht wäre, und zweitens: Ich hab’s ja schon versucht. Ist aber nicht so gut angekommen, und danach hab‘ ich mich wie ein Idiot gefühlt. Ich musste eine Parodie darüber schreiben, um die Sache wieder geradezurücken. Und dann, als ich gerade im Wasser watete, knietief im lauwarmen Schaum der Brandung, und leise den iBall-Werbesong vor mich hin summte, 59 stiff. I gave it a sniff and then got an idea: this would be my gift to her. I carried my prize back to the hotel’s cabana bar, ordered a forty-two dollar piña colada and charged it to the room. I set the starfish on the barstool next to me and gave myself a spin, surveying all threehundred and sixty degrees, from the bottle-green desert of the sea to the hotel and back again. The pineapple and coconut on my salted tongue, the warm breeze gently evaporating the drops on my skin, and of course the rum all caused me to inspire deeply through my nose; I let it out with little shivers. After all, it is amazing how wonderful life can be when you have money, isn’t it? And here we were outside Old Havana under the Gemini sun (no, no longer officially called the Tropic of Cancer due to the precession of the equinoxes but yes, the new nomenclature was somewhat serendipitous, no? As a matter of fact, I had moved to the cusp of Ophiuchus but was still considered a Sagittarius by most zodiac calendars. Diane, on the other hand, was no longer a Virgo; she had become something else entirely. She…) A shirtless, hairy chunk of an older man with a Bud Light tallboy sat down on the stool next to me. “You enjoying that?” he said, nodding at my piña colada. I was—but I knew that wasn’t what he really 60 erspähte ich plötzlich einen Seestern, grünlich schimmernd trieb er ein paar Zentimeter über dem Meeresboden tiefer ins Wasser hinaus. Ich überwand ein paar kleine, schäumende Wellen, tauchte dann ab und erwischte ihn gerade zwischen dem Auf- und Abwallen der Brandung. Wahrscheinlich war er tot. Zumindest dachte ich das, nachdem ich ihn zu fassen kriegte. Hier gab es keine Felsen, keine Korallen, keinen Seetang, nichts was einen lebendigen Seestern im normalen Ablauf seines Tagesgeschäfts hätte erfreuen können. Die Wellen trieben mich zurück ans Ufer, und ich bewunderte meine kleine Trophäe im flimmernden Sonnenlicht, während von meinen Wimpern noch Wasser tropfte. An der Luft leuchtete er sogar noch stärker: fast türkis (oder aquamarin, ich kann die Farbtöne nie auseinanderhalten) mit ein paar kleinen Spritzern Braun auf der Rückenfläche. Er bewegte sich nicht, aber ganz steif war er auch nicht. Ich roch daran, und dann kam mir eine Idee: den würde ich ihr schenken. Ich trug meine Beute zurück zur Cabana Bar des Hotels, bestellte für 42 Dollar einen Piña Colada und ließ ihn auf Zimmerrechnung stellen. Ich legte den Seestern auf den Barhocker neben mich, stieß mich ab und ließ mich drehen, wobei ich die ganzen 360 Grad an mir vorübergleiten ließ, von der weinflaschengrünen Meereswüste zum Hotel 61 wanted to know. “Looks like you need a man’s drink. Shots on me,” he said. I stared at him for a second. “What’s the occasion?” He gestured grandly toward the hotel. His scalp, nose and lips were peeling badly. “And one for you too,” he said to the bartender, who was pouring out a bottle of some kind of cane liquor or Mesoamerican guaro. We all lifted our glasses. “Salud!” the old man said. His body odor was oppressive. “Salud,” we said. He slammed his glass down. “No, look. I know what you’re thinking. These scientists, doctors, they’re just being prudent. It’s their job.” He must have been referring to Diane’s talk. But he didn’t strike me as a doctor, or even a journalist. “I guess,” I said. “No guessing. We’re all going to be living for two, maybe three hundred years before we suffer some freak aneurysm… or die in a car wreck.” He turned his stool so that he was directly facing me. I sipped my cocktail. “I’m seventy-eight,” he said, poking himself in the chest. “So they better hurry and get this thing done and in the trucks.” I frowned into my drink. 62 und wieder zurück. Der Geschmack von Ananas und Kokosnuss auf meiner salzigen Zunge, die warme Brise, die sanft die Tropfen auf meiner Haut verdampfen ließ, und natürlich der Rum ließen mich einmal tief durch die Nase einatmen; mit einem kleinen Schaudern atmete ich aus. Mal ehrlich, ist es nicht unglaublich, wie wahnsinnig schön das Leben sein kann, wenn man Geld hat? Und hier sitze ich, nicht weit vom historischen Stadtkern Havannas, unter der Sonne im Zeichen der Zwillinge (nein, wegen des Voranschreitens der Tagundnachtgleiche offiziell nicht mehr „Wendekreis des Krebses“ genannt, aber ja, der neue Begriff traf irgendwie ins Schwarze, oder? Tatsächlich war ich jetzt in das Sternbild des Schlangenträgers gerückt, obwohl die meisten Sternzeichenkalender mich immer noch als Schütze listeten. Diane wiederum war keine Jungfrau mehr; sie war jetzt was ganz anderes. Sie war…) Der nackte, stark behaarte Oberkörper eines älteren Mannes schob sich in mein Blickfeld. Der Mann ließ sich auf den Hocker neben mich plumpsen, ein Glas Bud Light in der Hand. „Schmeckt’s?“, fragte er und machte eine nickende Kopfbewegung zu meinem Piña Colada. Ja, es schmeckte—aber ich wusste, dass er sich in Wirklichkeit für etwas anderes interessierte. „Sieht so aus, als bräuchtest du was Härteres. Die Shots gehen auf mich“, sagte er. 63 “Seventy-eight and I can still read, play golf, swim, travel, think… reason.” He knocked on the wooden counter. “I probably won’t risk swimming in the ocean now, though. Ha! And I might even consider taking the slow boat back to FLA rather than flying, but…” he waved his hand at me. “Bah! It doesn’t matter at all!” He laughed out loud again. “In two or three decades they’ll probably figure out how to reverse the aging process.” He slapped me on the arm. I smirked, still looking at the yellowy foam of my drink. I could feel his scrutiny. “Ah, you can’t appreciate it because you’re young. You think you’re going to live forever anyway, don’t you?” I couldn’t help it; I really didn’t want to know what he thought but I asked him about the overpopulation issue. You know, the main thing? “People will just have to get sterilized.” He said it would just be one of the costs inherent in getting this thing done. We’d simply be giving up one form of immortality for another. “You have kids?” I shook my head. “Good.” But wouldn’t having to get sterilized simply encourage people to have children beforehand? I 64 Ich starrte ihn kurz an. „Was gibt es zu feiern?“ Er zeigte prahlerisch in Richtung Hotel. Seine Kopfhaut, Nase und Lippen schälten sich übel. „Und dir geb‘ ich auch einen aus“, sagte er zum Bartender, der gerade irgendeinen Zuckerrohrschnaps oder mittelamerikanischen Guaro einschenkte. Wir hoben unsere Gläser. „Salud!“, sagte der Alte. Sein Körpergeruch war bestialisch. „Salud“, sagten wir. Er knallte das Glas auf den Tisch. „Nee du, hör mal zu. Ich weiß schon, was du denkst. Diese Wissenschaftler, diese Herren Doktoren, die sind bloß vorsichtig. Ist ja ihre Arbeit.“ Er muss sich auf Dianes Rede bezogen haben. Aber er sah nicht aus wie ein Arzt, nicht mal wie ein Journalist. „Klar, vielleicht“, sagte ich. „Kein vielleicht. Wir werden alle zwei- oder vielleicht dreihundert Jahre lang leben, bevor wir irgendein abgedrehtes Aneurysma bekommen… oder in einem Autounfall sterben.“ Er drehte sich auf dem Hocker, sodass er mir jetzt gerade ins Gesicht schaute. Ich nippte an meinem Cocktail. „Ich bin achtundsiebzig“, sagte er und klopfte sich auf die Brust. „Die sollen sich also besser beeilen und das Ding startklar machen.“ Ich sah skeptisch in mein Glas. 65 said. And as many as possible, at as young an age as possible? The drug was bound to be expensive too. What insurance was going to cover it? And even if you found a way to pay for the drug, you still had to feed, clothe and house yourself indefinitely, didn’t you? So you could never really retire. Or could you? Would you want to? I realized then (as I was not really believing what I was saying) that if the drug ever did somehow become available to the public, Diane would most likely be my only hope of accessing it. The man threw a Sitting Bull on the counter, got up and left. I signed Diane’s name to the bill, tipped the guy ten bucks and asked him for a plastic to-go container like the one that I had seen a fat couple walk away with. I separated the transparent lid, an octagonal piece about three inches deep and ten inches in diameter, and threw the black bottom away. I walked back down to the surf and filled the thing with an inch of whitish sand and placed the starfish on top of it. I added some colorful shells, a sand dollar, a few little rocks and corals—pink, maroon, baby blue. *** „Achtundsiebzig, und ich kann immer noch lesen, Golf spielen, schwimmen, reisen, denken… schlussfolgern.“ Er klopfte auf den Holztresen. „Allerdings würde ich es jetzt wohl nicht mehr riskieren, im Ozean zu schwimmen. Ha! Und ich würde wohl eher gemütlich mit dem Boot zurück nach Florida schippern statt zu fliegen, aber…“, er machte eine Handbewegung in meine Richtung. „Pfff, ist ja sowieso egal.“ Er lachte laut. „In zwei oder drei Jahrzehnten finden die bestimmt raus, wie man den Alterungsprozess umkehrt.“ Er schlug mir auf den Arm. Ich grinste, ohne die Augen vom gelblichen Schaum meines Drinks zu lösen. Ich spürte seinen Blick von der Seite. „Ach, du kannst das nicht wertschätzen, du bist noch jung. Du glaubst, du lebst ewig, stimmt’s?“ Ich konnte nicht anders; ich interessierte mich überhaupt nicht für seine Meinung, aber ich sprach ihn auf die Sache mit der Überbevölkerung an. Das große Thema eben. „Die Leute müssen sich sterilisieren lassen.“ Das, sagte er, sei nun mal der Preis, den man für diese Sache zahlen müsse. Wir würden einfach eine Form der Unsterblichkeit für eine andere aufgeben. „Haben Sie Kinder?“ Ich schüttelte den Kopf. 66 67 B lue is the color of royalty—but so is purple. What is the color of the gods? Gold? White? Diane asked me if the starfish was dead when I found it. I said I wasn’t sure. But a day later the starfish really started stinking and so it may have been that it was alive when I captured it. I may have killed the starfish. This was very upsetting to Diane who was a little fanatic about the policy of taking only photographs and leaving only footprints. I believed in that maxim too; and even though I had been told I had a subtle wa that could move like young Grasshopper over unbroken rice paper, I seemed to always end up snuffing some delicate organism by accident—some fickle houseplant or flowery fish. And it seemed to only happen when I was around her. I eventually got upset myself and told her that the gesture was worth the life of the damn starfish; she was sick and unable to come to the beach and here I was bringing the beach to her. Didn’t she see that maybe the starfish would have gladly sacrificed its life for such a thing as love? She never fell for that kind of stuff. Looking back, maybe I told her lots things I thought she wanted to hear. Was that so bad? The next day, when she was physically feeling better we took the little aquarium I had made for her down to the ocean. She captured an eMoment of it on her iBall and then tossed the contents 68 „Gut.“ Aber würde die Einführung einer Sterilisierungspflicht, sagte ich, die Leute nicht ermutigen, vorher schnell noch Kinder zu kriegen? Und so viele wie möglich, im frühestmöglichen Alter? Abgesehen davon würde die Droge sicher teuer sein. Welche Versicherung würde sie übernehmen? Und selbst wer die Droge irgendwie bezahlen könne, der müsse sich immer noch auf unbegrenzte Zeit ernähren, einkleiden und irgendwo wohnen, oder etwa nicht? Man würde also nie wirklich in den Ruhestand treten können. Oder doch? Würde man das wollen? Mir wurde schlagartig bewusst (nachdem ich nicht wirklich glaubte, was ich sagte), dass Diane—sollte die Droge jemals öffentlich zugänglich gemacht werden—mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit meine einzige Hoffnung sein würde, jemals an sie ranzukommen. Der Mann warf eine Sitting-Bull-Münze auf den Tresen, stand auf und ging. Ich unterzeichnete die Rechnung mit Dianes Namen, gab dem Typen zehn Dollar Trinkgeld und fragte nach einem von diesen Plastikbehältern zum Mitnehmen, womit ein fettes Pärchen eben weggegangen war. Ich nahm den durchsichtigen Deckel ab—das Teil war achteckig, ungefähr acht Zentimeter tief und hatte einen Durchmesser von vielleicht fünfundzwanzig Zentimetern—und warf 69 back into the waves. Then we played a game of giant chess near the tennis courts, using life-sized sculptures as pieces, pushing them around with our hands and feet. “The way you treat jobs is how I am with relationships,” she said after seizing one of my bishops and carrying him off into the grass. “It makes me nervous.” den schwarzen Boden weg. Ich lief zurück zum Strand und füllte das Ding mit ein paar Zentimetern weißlichem Sand und legte den Seestern oben drauf. Ich fügte ein paar bunte Muscheln bei, einen Sanddollar, ein paar kleine Steinchen und Korallen—pink, kastanienbraun, babyblau. “That makes you nervous?” I said. Later, in the hot tub, I said let’s talk about the wedding. We had not yet set a date. “I don’t think I’m ready for that,” she said. “Which, the date or the wedding in general?” “There are just a lot of things going on at the moment.” “You mean with work?” I gestured back toward the hotel. “Yeah.” I nodded. “How about if I just moved in, then. For now.” “I don’t think I’m ready for that either, Acton.” It’s amazing how fast things can develop when people make up their minds. The rest of the trip consisted of long walks along the beach; we went on hikes out to jungle waterfalls. On one of the nights I met some of her colleagues at a formal 70 B *** lau ist die Farbe des Adels—genau wie Purpur. Was ist die Farbe der Götter? Gold? Weiß? Diane fragte mich, ob der Seestern tot war, als ich ihn fand. Ich sagte, ich sei mir nicht sicher. Aber einen Tag später fing der Seestern wirklich zu stinken an, also kann es schon sein, dass er noch am Leben war, als ich ihn fing. Vielleicht habe ich den Seestern getötet. Das ärgerte Diane sehr, die sich streng an den Grundsatz hielt, nur Fotos zu machen und nie mehr als Fußstapfen zu hinterlassen. Ich glaubte auch an die Maxime; und obwohl mir mal jemand gesagt hat, dass ich ein sehr subtiles wa habe, das sich wie ein junger Grashüpfer auf einem heilen Bogen Reispapier bewegen könne, zerstörte ich am Ende doch immer aus Versehen irgendeinen sensiblen Organismus—eine launische Pflanze oder einen schillernden Fisch. Und es sah so aus, als passierte das immer nur dann, wenn sie in der Nähe war. Irgendwann wurde ich selber 71 charity dinner function and made a fool of myself by gladly accepting and using up everyone’s free drink tokens (turns out the bar tab wasn’t prepaid and all that liquid gold I was sucking down could have gone to the Havana Children’s Hospital—but nobody had said anything). On our last full day, we sailed out to a snorkeling reef on board the sloop Santa Buenaventura. The deck hands had prepared a lunch of sizzling carnitas, saffron rice, hearts of palm and little fried bananas and then produced jugs full of rum and juice ready for the mixing. I got drunk again. We anchored and I swallowed some of the concentrated oxygen pills that had been made available and flung myself off the boat’s waterslide into the sea. I still have an image of Diane following me, holding her nose with one hand and throwing her other hand up like a child. I let myself sink about twenty feet to the ocean floor and sat there cross-legged for a while, still as a stone Buddha. It was only about ten minutes before the brilliant little fish began noiselessly pecking at the tiny bubbles on my arms and I remember thinking that I had already begun to serve a purpose down here. I looked up through the sapphire and into the waxen sun, past Diane frolicking on the surface. Despite everything, and Diane’s attitude and our relationship at the time, that was one of the most peaceful, light and carefree feelings I have ever experienced. I stayed until the pressure in my abdomen caused me 72 wütend und sagte, dass die Geste das Leben dieses verdammten Seesterns wert war; sie war krank und nicht in der Lage, runter zum Strand zu kommen, und ich, ich bringe den Strand zu ihr. Sah sie denn nicht, dass der Seestern vielleicht mit Freude sein Leben geopfert hätte, für so was wie die Liebe? Sie fiel nie auf so was rein. Wenn ich jetzt zurückschaue, denke ich, dass ich ihr vielleicht viel Mist erzählt habe, weil ich dachte, sie wollte ihn hören. War das so schlimm? Am nächsten Tag, als sie sich körperlich besser fühlte, brachten wir das kleine Aquarium, das ich ihr gebastelt hatte, runter zum Meer. Sie hielt einen eMoment davon auf ihrem iBall fest und schüttete den Inhalt zurück ins Wasser. Dann spielten wir eine Partie Riesenschach in der Nähe der Tennisplätze, verwendeten lebensgroße Skulpturen als Figuren, indem wir sie mit unseren Händen und Füßen hin- und herschoben. „So wie du mit deinen Jobs umgehst, so bin ich in Beziehungen“, sagte sie, nachdem sie einen meiner Läufer gepackt und raus ins Gras getragen hatte. „Sie machen mich nervös.“ „Das macht dich nervös?“, sagte ich. Später, im Whirlpool, sagte ich, lass uns über die Hochzeit reden. Wir hatten immer noch kein Datum festgelegt. 73 to begin levitating like an enlightened yogi. When I emerged, I released a terrific belch. „Ich glaub‘ nicht, dass ich schon so weit bin“, sagte sie. That night back at the room, as my hangover was kicking in and we were packing for our early morning departure, I picked up a packet full of bright purplish-red capsules lying on the bed near Diane’s suitcase. “Amaran?” I said. „Wofür, für ein Datum oder für die Hochzeit allgemein?“ She was busy in the bathroom. “I don’t know how they come up with the names,” she said, emerging with a mouth full of toothpaste. “The Amaranth,” I said. She paused her brushing. “The mythical flower. Blooms indefinitely.” She smiled and resumed her brushing. I took one of the immortality capsules out and held it up to my mouth as if I were about to eat it. Her smile widened. “Go ahead,” she said, slobbering a little toothpaste foam onto her chin. I moved it closer to my mouth, opening wider. “Ahh?” I said. She went to go spit, her voice echoing out of the sink: “You know they’re promotional, right? Placebos?” I tossed the packet back onto the bed. When she came back out she told me that since her disease could potentially be treated with the Amaran, she was considering it. As it stood now, only terminal patients were being enrolled in the 74 „Es ist einfach gerade so wahnsinnig viel los.“ „Du meinst, auf der Arbeit?“ Ich machte eine Geste in Richtung Hotel. „Ja.“ Ich nickte. „Wie wär’s, wenn ich bloß bei dir einziehen würde. Fürs Erste.“ „Ich glaub‘, so weit bin ich auch noch nicht, Acton.“ Es ist unglaublich, wie schnell die Dinge ihren Lauf nehmen können, sobald jemand eine Entscheidung getroffen hat. Die restliche Reise bestand aus langen Strandspaziergängen; wir machten Wanderungen raus zu den Urwaldwasserfällen. An einem der Abende traf ich ein paar ihrer Kollegen bei einem formellen Abendessen im Rahmen einer Wohltätigkeitsveranstaltung und machte mich zum Affen, indem ich von allen dankbar die GetränkGutscheine annahm und einlöste (es stellte sich heraus, dass die Barrechnung nicht vorbezahlt war und dass das ganze flüssige Gold, das ich runterschlürfte, zugunsten des Kinderkrankenhauses Havannas hätte gehen können—aber das hatte mir 75 initial human studies but that would change if the research went as expected. After adjusting to the initial shock that I had pretty much known was coming, I asked what that might mean for us. “You mean you and me?” “Who else would I be talking about?” I said. 76 niemand gesagt). An unserem letzten ganzen Tag segelten wir an Board der Slup Santa Buenaventura raus zu einem Schnorchel-Riff. Das Deckpersonal hatte zum Mittagessen Carnitas, Safranreis, Palmherzen und gebratene Bananen vorbereitet und dann Krüge voller Rum und Saft hervorgezaubert, für die Cocktails. Ich wurde wieder betrunken. Wir ankerten, und ich schluckte eine der Sauerstoffpillen, die uns zur Verfügung gestellt worden waren, und schwang mich über die Wasserrutschbahn des Boots runter ins Meer. Ich sehe Diane noch vor mir, wie sie mir folgte, wie sie sich die Nase mit einer Hand zuhielt und die andere Hand in die Höhe riss wie ein Kind. Ich ließ mich ungefähr sechs Meter bis zum Meeresboden sinken und saß dort eine Weile im Schneidersitz, reglos wie ein Buddha. Nach nicht mehr als zehn Minuten begann ein schillernder kleiner Fisch lautlos an den winzigen Bläschen auf meinen Armen zu picken, und ich erinnere mich, wie ich dachte, dass ich hier unten bereits einen Zweck erfüllte. Ich sah hinauf durch das Saphirblau und direkt in die flimmernde Sonne, vorbei an Diane, die an der Wasseroberfläche herumtollte. Trotz allem, trotz Dianes Einstellung und unserer Beziehung damals, war dieses Gefühl vielleicht das friedlichste, froheste und sorgloseste, das ich je verspürt habe. Ich blieb, bis der Druck in meinem Bauch mich schweben ließ wie einen erleuchteten Yogi. Als ich auftauchte, entfuhr mir 77 ein mächtiger Rülpser. Am Abend, zurück auf dem Zimmer, als mein Kater einsetzte und wir für unsere frühmorgendliche Abreise packten, griff ich nach einer Schachtel voller leuchtend violett-roter Kapseln, die auf dem Bett in der Nähe von Dianes Koffer lag. „Amaran?“, sagte ich. Sie war im Badezimmer beschäftigt. „Keine Ahnung, wie die auf die Namen kommen“, sagte sie und erschien mit Zahnpasta im Mund. „Der Amarant“, sagte ich. Sie hielt inne. „Die mythische Blume. Blüht ewig.“ Sie lächelte und putzte sich weiter die Zähne. Ich nahm eine der Unsterblichkeitskapseln aus der Schachtel und hielt sie an meinen Mund, so als ob ich sie schlucken wolle. Ihr Lächeln wurde breiter. „Na los“, sagte sie und Schaum kleckerte auf ihr Kinn. Ich näherte die Kapsel meinem Mund, öffnete ihn noch mehr. „Ahh?“, sagte ich. Sie spuckte aus, ich hörte ihre Stimme im Waschbecken widerhallen: „Du weißt schon, dass die nur zum Werbezweck sind. Placebos?“ Ich warf die Schachtel zurück aufs Bett. Als sie zurückkam, sagte sie, dass sie darüber nachdenke, Amaran zu nehmen, weil ihre 78 79 Krankheit womöglich damit geheilt werden könne. So wie es derzeit aussah, wurden nur tödlich erkrankte Patienten in den ersten menschlichen Studien aufgenommen, aber das würde sich ändern, wenn die Forschung sich so entwickelte wie erwartet. Nachdem ich den anfänglichen Schock überwunden hatte, von dem mir klar gewesen war, dass er kommen würde, fragte ich, was das für uns bedeutete. „Du meinst, dich und mich?“ „Wen sollte ich sonst meinen“, sagte ich. 81 lmann e d a t S Juliane d tot n i s r e d Die Kin ead D e r A s n The Kid a n s la t io tr by u ic k Bryan Q Es spielen: Kommissar UDO TOM HANS Dramatic Persons: Police Inspector UDO TOM HANS Ein sogenanntes Tumbleweed TW TUMBLEWEED TW 1 1 Das Erdgeschoss eines Plattenbaus. Ausgebaut zu einer Kneipe. Es riecht nach angebratenen Zwiebeln und süß-sauer eingelegten Gurken. Der Junge Tom sitzt mit Hut an der Bar. Einen Gehstock an seinen Hocker gelehnt. Vor ihm ein Whiskey-Glas. Der Kommissar betritt den Raum durch eine Schwingtür. Ein Tumbleweed wirbelt herein. TW How do you move in a world of fog That’s always changing things Makes me wish that I could be a dog The ground floor of an Eastern Bloc housing development, turned into a pub. It smells of burned onion and bread-and-butter pickles. A boy, TOM, sits at the bar with his hat on. A walking stick leans against his stool. In front of him is a whiskey glass. The Police Inspector, UDO, enters the room through a swinging door. TUMBLEWEED swirls in. TW When I see the price that you pay I don’t wanna grow up I don’t ever wanna be that way I don’t wanna grow up 84 How do you move in a world of fog That’s always changing things Makes me wish that I could be a dog When I see the price that you pay I don’t wanna grow up I don’t ever wanna be that way I don’t wanna grow up UDO Hi! UDO Hi. TOM Hi ho! TOM Hi ho. 85 UDO Günther`s Eck hier? UDO This Gunther’s Corner here? TOM Günther`s Eck hier, Mister. TOM Gunther’s Corner, mister. UDO Das hab ich gesucht. UDO That’s what I wanted. TOM Und gefunden. Schätz ich. TOM And found, I guess. UDO Und wer bist du? UDO And who are you? TOM Ich bin Tom. TOM I’m Tom. UDO Hi Tom. UDO Hi Tom. TOM Hi… TOM Hi… UDO Udo! UDO Udo! TOM Hi Udo. TOM Hi Udo. UDO Wie alt bist du denn, Tom? UDO Say, how old are you, Tom? TOM Wie alt sind sie denn, Mister Udo? TOM Say, how old are you, Mister Udo? Ich meine, bist du alt genug für das da? UDO TOM Ich weiß nicht. Wie alt muss man denn sein für Beckers Besten? TOM I don’t know. How old ya gotta be for an apple juice? UDO Nicht so alt. UDO Not so old. TOM Dachte ich mir. TOM Thought so. UDO 86 (Zeigt auf Toms Glas.) I mean, are you old enough for that? (Points to TOM’s glass.) 87 88 UDO Ein Bier bitte. UDO A beer, please. TOM Hans, mach dem Mister hier mal ein Krösti klar! TOM Hans, get the gentleman a beer. UDO Udo. Call me Udo. UDO Udo. Nenn mich Udo. TOM So get Udo a beer. TOM Mach mal Udo ein Krösti klar. UDO UDO Ist das immer so leer hier am Nachmittag? Is it always this empty in the afternoon? TOM TOM Ich weiß nicht, Udo. Ich bin normalerweise abends hier. I don’t know Udo. I usually come here in the evening. UDO Gotcha. UDO Achso. TOM TOM Und sie? Sind neu in der Gegend schätze ich? And you? You’re new around here, I guess. UDO I’m a Police Inspector. TOM I wasn’t asking that. UDO I’m investigating. Because of a crime. UDO Ich bin Kommissar. TOM Das ist nicht die passende Antwort. UDO Ich ermittle. Wegen eines Verbrechens. TOM Gotcha. A sheriff. (The beer is served.) TOM Achso. Ein Sheriff. (Bier kommt.) UDO Thanks, Hans. No, an Inspector. UDO Danke, Hans. Nein, Kommissar. TOM What happened, Sheriff? TOM Was ist denn passiert, Sheriff? UDO A crime. 89 UDO Ein Verbrechen. TOM Hört, hört! Hansi, hast du das gehört? HANS Hab ich gehört kleiner Tom! TOM Eine Schande. (Trinkt Beckers Besten.) UDO Ja. Schweinerei. TOM Nein. Ich meine, dass wir nur Besuch kriegen, wenn was passiert. UDO Willst du mir erzählen, was du weißt? TOM Ich weiß von nichts. UDO Erzähl es mir ruhig. TOM Macht doch keinen Sinn. Außerdem hab ich keine Zeit. Ich muss zum Stickertauschen an den Süd-Sandkasten. Ya hear! Ya hear! Hansi, did you hear that? HANS I heard, little man! TOM A shame. (Drinks his apple juice.) UDO Yeah. A filthy mess. TOM No. I mean, that we only get visitors if something happens. UDO Want to tell me what you know? TOM I don’t know anything. UDO You can tell me. TOM It wouldn’t change anything. Besides, I don’t have time. I’ve gotta go trade some cards at the south playground. UDO Tom, your name’s Tom, right? UDO Tom, du heißt doch Tom, oder? TOM Yup. TOM Jepp. UDO UDO Ich glaube, du könntest mir eine große Hilfe sein. Ich brauche jede Hilfe. I think you could be a big help to me. I need all the help I can get. TOM So I’m out of here. TOM 90 TOM Also ich muss dann los. Silence. The swinging door swings, but no one enters. TUMBLEWEED blows through the room. 91 Stille. Die Klapptür klappt, aber niemand kommt rein. Das Tumbleweed weht durch den Raum. UDO 92 Also gut. Ich will dich nicht aufhalten. Hat mich gefreut, Tom. Wenn dir noch was einfällt…ich bin in der Gegend. UDO Alright. I don’t want to keep you. A pleasure, Tom. When you think of something you want to tell me, I’m around. TOM Thought so. (TOM Goes.) TW There are always winds That one can barely feel, Carrying dust, Blowing faintly, Leaving dirt all down your heel. HANS Udo…Mister…. What’s your name? UDO Udo. HANS Udo. I just wanted to say, we don’t talk about that around here. UDO What that’s? HANS I‘m sayin’ around here we don’t talk about that. TOM Hab ich mir gedacht. (Tom geht.) TW Da sind immer Winde, die man kaum spüren kann, tragen Staub es wehet leise, und kommt als Dreck dann an. HANS Udo…Mister…so heißen sie doch? UDO Udo. HANS Udo. Wollte bloß gesagt haben, dass das hier kein Thema ist. UDO Wie meinen? HANS Das ist hier kein Thema, sag ich. UDO Sie wissen, dass hier ein schreckliches Verbrechen passiert ist? UDO You know a terrible crime was committed. HANS Jeder weiß es. HANS Everyone knows it. 93 UDO Und ich bin hier, um herauszufinden wer schuld ist. UDO And I’m here to find out who’s to blame. HANS Hier drinnen ist niemand schuld. Noch ein Pils? HANS Around here, no one is to blame. Another beer? UDO Danke, Hans. Nein. (Udo erhebt sich und UDO Thanks, Hans. No. (UDO rises and goes to geht zur Tür.) HANS the door.) Schuld. Das ist ein weites Feld. Da draußen. HANS 2 2 Vor der Kneipe. Udo setzt sich auf die Treppe, steckt sich eine Zigarette an und guckt prüfend in die Luft. Das Ende der Hochhäuser und den Anfang vom Himmel kann man nicht unterscheiden. Grau in grau. Zwei Jungen setzen sich zu ihm auf die Treppe. Starren ihn an. Sie sind etwa in Toms Alter. UDO Na, ihr zwei? JUNGE 1 Na, Arschloch? JUNGE 2 Arschloch Arschloch! UDO Was ist denn mit euch los? JUNGE 1 Hast du was zu fressen Arschloch? 94 Blame. That’s a sea of troubles out there. Before the pub. UDO sits down on the steps, lights a cigarette and looks around pensively. The grey sky is converging on the grey high-rise buildings. Two BOYS sit down beside him on the steps. They stare at him. They are about Tom’s age. UDO Well, you two? BOY 1 Well, asshole? BOY 2 Asshole! Asshole! UDO What’s wrong with you guys? BOY 1 Do you have something for us to eat, asshole? 95 JUNGE 2 Arschloch Arschloch! BOY 2 Asshole! Asshole! UDO UDO Don’t they feed you at home? BOY 1 Fuck you! BOY 2 Fuck you, asshole! UDO If you want something from me, you should at least try to be nice. BOY 2 We’ll stab you! JUNGE 2 Wir stechen dich ab! UDO Careful now! UDO BOY 1 YOU be careful! JUNGE 1 Sei DU vorsichtig! UDO That’s enough guys! UDO Hey, es reicht Jungs! BOY 1 (Pulls out a knife.) I say when it’s enough! JUNGE 1 (Zieht ein Messer.) ICH sag wann es reicht! UDO (Pushes one side of his jacket open, so that they can see his service weapon.) I don’t think so, Bekommt ihr zu Hause nichts zu essen, oder was? JUNGE 1 Fick dich! JUNGE 2 Fick dich, Arschloch! UDO UDO 96 Also wenn ihr was von mir wollt, müsst ihr wenigstens versuchen, nett zu sein. Vorsichtig! (Schiebt eine Seite seines Sakkos zur Seite, so dass man seine Dienstwaffe sieht.) Ich denke little fart knocker! BOY 2 Asshole has a gun! nicht, Furzknoten. BOY 1 (Hits the other boy in the face.) Shut up! JUNGE 2 Das Arschloch hat ne Knarre! UDO JUNGE 1 (Schlägt dem anderen Jungen ins Gesicht.) Halt`s Maul! Now calm down! And bring me to your parents. BOY 2 I’ll rip open your chest and shit on your heart! 97 UDO Jetzt beruhigt euch mal! Und bringt mich zu euren Eltern. The BOYS run away. UDO stays, sits smoking in front of the pub. Much time passes. JUNGE 2 Ich reiß dir die Brust auf und scheiß dir ins Herz! 3 Die Jungen laufen weg. Udo bleibt rauchend vor der Kneipe sitzen. Viel Zeit vergeht. TOM is on a swing. He brings momentum to the swing by ramming his walking stick into the earth again and again. UDO approaches him. He sits down on the empty swing next to TOM. All around the buildings stare at them. The glass slabs of curtain-less windows form rows of haunting eyes. 3 Tom schaukelt. Er holt Schwung, indem er seinen Gehstock immer wieder vor sich in die Erde rammt. Udo kommt auf ihn zu. Setzt sich auf die leere Schaukel neben Tom. Um sie herum starren die Platten aus gardinenlosen Fenstern. Das Tumbleweed fegt über den Spielplatz. TW 98 Ein trauriger Indianer sitzt da und ißt sein Eis Straciatella und Banana Das ist alles, was er weiß. UDO Hast du keine Angst vor der Zukunft, Tom? TOM Ich habe keine Angst davor, eines Tages mit Aluminiumunterwäsche in einer Raumstation zu sitzen, wenn sie das meinen, Mister. TUMBLEWEED sweeps about the playground. TW A gloomy Indian Sits and eats his ice cream cone Straciatella and banana That is all he’s ever known. UDO Are you afraid of the future, Tom? TOM I’m not afraid I’m going to end up on a space station in aluminum-foil underwear—if that’s what you mean, Mister. UDO Not exactly. TOM Then I don’t know. UDO I see. 99 100 UDO Not exactly. TOM Any progress with your investigation? TOM Dann weiß ich es nicht. UDO No. UDO Ich verstehe. TOM What seems to be the problem? TOM Sind sie weiter gekommen mit ihren Ermittlungen? UDO No one wants to talk. TOM Now, Mister Udo. I talk a lot. UDO Nein. UDO Yeah, that’s true. TOM Was ist denn das Problem? TOM Then ask me something. UDO Dass keiner redet. UDO Where do you live? TOM Nun. Mister, Udo. Ich rede doch sehr viel. TOM I live in 7b. Just above Gunther’s Corner. UDO Ja, das stimmt. UDO With your family? TOM Dann fragen sie mich doch mal was. TOM Not exactly. UDO Wo ist denn dein zu Hause? UDO Your mother? TOM Ich wohne in der 7b. Gleich über Günther`s Eck. TOM Nope. UDO Mit deiner Familie? UDO Your father? TOM Not exactly. TOM Nope. UDO Deiner Mutter? UDO Your brothers and sisters? TOM Only child, Mister. TOM Nope. UDO Who do you live with? UDO Deinem Vater? TOM Well, alone, Udo. TOM Nope. UDO What? UDO Deinen Geschwistern? TOM Is there a problem with that? TOM Only child, Mister. UDO You’re jerking my chain, son… UDO Mit wem denn bloß? TOM You got something against chains? TOM Na alleine, Udo. UDO UDO Was? No, I don’t. But I got something against crime. TOM Ist daran was auszusetzen? TOM That makes two of us. UDO Du erzählst mir Märchen Junge… UDO Did you know those two boys, Tom? TOM Haben sie was gegen Märchen? TOM We weren’t exactly buddies… but yes. I’d seen them around, I guess. UDO Nein, habe ich nicht. Aber ich habe etwas gegen Verbrechen. UDO And didn’t you notice that you stopped seeing them around? TOM Da sind wir ja schon zwei. TOM Yes. UDO Kanntest du die beiden Jungen, Tom? UDO TOM Wir waren nicht gerade Buddies… aber ja. Ich kannte sie vom Sehen. And didn’t you wonder what might have happened to them? TOM Yes. UDO And what did you think happened to them? UDO 102 Und ist dir nicht aufgefallen, dass sie immer seltener zu sehen waren? 103 104 TOM Ja. UDO Und hast du dir da nicht Gedanken gemacht, was mit ihnen sein könnte? TOM Ja. UDO Und was hast du gedacht, was mit ihnen ist? TOM Ich habe gedacht, vielleicht sind sie einfach gestorben. Und so war es ja auch. Manche schaffen es eben. Und manche nicht. TW I look like hell but I`m going to see where it gets me. TOM I thought maybe they just died. And that’s what it was. Some people make it, and some don’t. TW I look like hell but I’m going to see where it gets me. I don’t wanna grow up I don’t wanna have to shout it out I don’t want my hair to fall out I don’t wanna be filled with doubt I don’t wanna be a good boy scout I don’t wanna have to learn to count I don’t wanna have the biggest amount I don’t wanna grow up I don`t wanna grow up UDO Why do you wear a hat, Tom? I don’t wanna have to shout it out I don’t want my hair to fall out I don’t wanna be filled with doubt I don’t wanna be a good boy scout I don’t wanna have to learn to count I don’t wanna have the biggest amount I don’t wanna grow up TOM For the sun, I guess. UDO And the walking stick? TOM It holds me up. UDO Tom, how old are you? TOM Pretty-old-almost-dead. UDO That isn’t an age. UDO Wozu hast du einen Hut, Tom? TOM Na gegen die Sonne. 105 106 UDO Und der Spazierstock? TOM Yeah it is. Only not in numbers. TOM Stützt mich. UDO Where is your father? UDO Tom, wie alt bist du? TOM Left the house and never came back. TOM Ziemlich-alt-fast-tot. UDO Tom, come with me! I can help you. UDO Das ist kein Alter. TOM TOM Doch. Nur nicht in Zahlen. So you’re saying you can throw a piano out of the 12th floor? I’d really like to hear how that sounds. UDO Wo ist dein Vater? UDO No. I can’t do that. TOM Ging aus der Wohnung und kam nie wieder zurück. TOM Then you can’t help me, Mister. UDO Mensch, Tom, komm mit mir! Ich kann dir helfen. TW I look like hell but I’m going to see where it gets me. TOM Sie meinen, sie können ein Klavier aus dem 12. Stock werfen, damit ich endlich höre, wie das klingt? UDO Nein. Das kann ich nicht. TOM Dann sind sie mir keine Hilfe, Mister. TW I look like hell but I`m going to see where it gets me. 4 Kiosk in the housing development. A tattered advertisement banner hangs askew from a barred window. In front of that, on a camping chair, sits HANS the barkeep. He reads a sports magazine. HANS Damn guinea-wop-bastards, those bastards… those— UDO Hello Hans. No pub today? 107 4 Kiosk in der Siedlung. Eine zerfledderte BILD-Fahne hängt windschief vor einem vergitterten Fenster. Davor auf einem Campingstuhl sitzt Hans, der Barkeeper, und ließt den Kicker. 108 HANS Yeah. Day off. UDO Fair enough… HANS Is there a problem, Sheriff? UDO Yes. There is. Actually. HANS Itacker, die Hurenböcke…die! HANS Maybe you should just let it rest. UDO Hallo Hans, Kneipe zu? UDO It’s not my job to let things rest. HANS Ja. Ruhetag. HANS What about the dead? UDO Muss auch mal sein… UDO HANS Gibt`s ein Problem, Sheriff? Hans, what do you know about those kids? UDO Ja. Gibt es. Tatsächlich. HANS I already told you, we don’t talk about that around here. HANS Vielleicht sollten sie das Ganze einfach ruhen lassen. UDO Did you know the two? UDO Es ist mein Job, die Dinge nicht ruhen zu lassen. HANS I’d seen them around. UDO And didn’t you notice that at some point you stopped seeing them around? HANS What do I know… What do I care about other people’s kids? There are too many of them anyway. (Mumbles.) How many kids can the world bear… HANS Und die Toten? UDO Hans, was wissen sie über die Kinder? HANS Ich hab ihnen schon gesagt, das ist hier kein Thema… UDO Haben sie die beiden gekannt? 109 HANS Vom Sehen vielleicht. UDO What? UDO Und ist ihnen nicht aufgefallen, dass sie irgendwann nicht mehr zu sehen waren? HANS Leave me alone with this shit… in peace! We live in peace here! UDO And what about Tom? Do you provide for him? HANS (Laughs.) Provide!! You think because I HANS UDO Was? HANS Lassen sie mich mit ihrem Kram zu Frieden. Wir leben hier in Frieden! UDO HANS UDO 110 Was weiß ich denn…Was gehen mich fremde Kinder an? Gibt sowieso zu viele von denen hier. (Nuschelt.) Wieviele Kinder verträgt die Welt… give him a few glasses of apple juice I buy his diapers or something? UDO Who provides for the boy? HANS Well, his parents! Und was ist mit Tom? Versorgen sie ihn? UDO He has no PARENTS! He said he lives alone… (Lacht.) Versorgen!! Denken sie, nur HANS weil ich ihm 3 Gläser Apfelsaft am Tag vor die Nase stelle, kauf ich ihm Windeln, oder was? No idea. Never talked with him about it. UDO Who sends him to school? Who feeds him? Who’s watching him? Wer versorgt den Jungen? HANS HANS Na seine Alten! UDO Er hat keine ALTEN. Er sagt, er wohnt alleine… (Looks into his paper.) Get off my ass and go to hell. UDO What? HANS Tonight’s Lazio against Hertha. 111 HANS Keine Ahnung. Nie mit ihm geredet. Hab nichts gehört. UDO Wer schickt ihn zur Schule? Wer macht ihm essen? Wer passt auf ihn auf? HANS (Guckt in seinen Kicker.) Rutsch mir den Buckel runter und geh sterben. UDO Was? HANS Heute Abend ist Lazio gegen Hertha. TW Das Kindel Brust der Mutter Der Wind weht Fläschchen, Zucker Little child Wants mother’s teat The wind blows A bottle, sweet When I’m lyin’ in my bed at night I don’t wanna grow up I really don’t wanna grow up 5 When I’m lyin’ in my bed at night I don’t wanna grow up I really don`t wanna grow up 5 Wieder in Günther`s Eck. Tom sitzt an der Bar. Hans poliert ein paar Gläser. Die Schwingtür geht auf und zu. Knarrt. Das Tumbleweed raschelt über den dreckigen Boden. 112 TW Back in Gunther’s Corner. TOM sits at the bar. HANS polishes a few glasses. The swinging-door goes to and fro. Creaks. TUMBLEWEED rustles on the dirty floor. UDO Hi Tom. TOM Hi, Mister Udo. UDO I thought I’d find you here. TOM Good thinking, I guess. HANS The paper says the investigation is over. UDO Yes, it is. TOM That’s good. Congratulations. 113 UDO Hi Tom. TOM Hi Udo, Mister. UDO Ich hab mir gedacht, dass ich dich hier finde. Tom, I think you should get out of here. TOM Why? UDO It’s a bad place. TOM Gut gedacht. TOM It’s my home. HANS In der Zeitung stand die Ermittlungen sind abgeschlossen! UDO We should try to find your father. TOM UDO Ja, sind sie. There’s more than one way to live in this world, Udo. TOM Das ist gut. Gratuliere. UDO What do you mean? UDO Tom, ich finde, du solltest von hier verschwinden. TOM I mean I’m happy. UDO TOM Warum? But you don’t know how life is anywhere else. UDO Das ist ein böser Ort. TOM What’s it like? TOM Das ist meine Heimat. UDO UDO Wir sollten versuchen, deinen Vater zu finden. A beautiful home. A good education. Nice friends… TOM You know what’s strange? UDO What? No. TOM That you spend half your time trying to get people to listen to you and the rest of the time trying to get them to leave you the fuck alone. TOM UDO 114 UDO Es gibt auf der Welt nicht nur eine Art zu leben, Udo. Wie meinst du das? 115 116 TOM Ich meine, dass ich glücklich bin. UDO Tom, how old you are? UDO Du weißt nicht, wie es anderswo ist. TOM I mean I’m happy. TOM Erzählens sie es mir. UDO UDO Ein schönes Zuhause. Eine gute Ausbildung. Nette Freunde… Tom, you know something about the crime. Don’t you? TOM Because I’ve already seen the worst. Already put it behind me. UDO What did you see? TOM I mean I’m happy. UDO What happened here? TOM I’ll tell you all my secrets but I’ll lie about my past… TW I’d rather stay here in my room Nothin’ out there but sad and gloom I don’t wanna live in a big old Tomb… TOM Weißt du, was seltsam ist? UDO Was? Nein. TOM Dass man die Hälfte seines Lebens damit zubringt, die Leute dazu zu bringen, einem zuzuhören, und den Rest der Zeit verwendet man dann darauf, dass sie einen verdammt nochmal in Ruhe lassen. UDO Tom, sag wie alt bist du? TOM Ich meine, dass ich glücklich bin. UDO Tom, du weißt doch was über das Verbrechen, oder? TOM Weil ich das Schlimmste schon gesehen habe. Hab`s schon hinter mir. UDO Was hast du gesehen? Tom quickly pulls the service weapon from UDO’s open jacket and shoots several times at the TUMBLEWEED. TOM What’s wrong, Udo? Why ya sweating? END 117 TOM Ich meine, dass ich glücklich bin. UDO Was ist hier passiert? TOM I`ll tell you all my secrets but I`ll lie about my past. TW I’d rather stay here in my room Nothin’ out there but sad and gloom I don’t wanna live in a big old Tomb… Translator’s Note: The text quotes lyrics from Tom Waits. It also quotes passages from an interview with Tom Waits by Tim Adams (The Observer). Tom zieht blitzschnell die Dienstwaffe aus Udos geöffnetem Sakko und ballert mehrmals auf das Tumbleweed. TOM Was ist los, Udo? Fängst du an zu schwitzen? ENDE Unter freier Verwendung von Zitaten aus „I don`t wanna grow up“ von Tom Waits und einem Interview von Tim Adams (Observer) mit Tom Waits (Übersetzung erschienen im Blog von „der Freitag“ 16.12.2011) 118 119 u i ck Q n a y r B t) n excerp a ( n o o Blue M hatten Theaterstück) c s d n o M m aus eine z t vo n u b erset an n S ta d e lm J u li a n e : g (Auszu MAN WOMAN THE BLUE MOON {also, THE VIOLINIST} OLD MAN (Together, THE OLD COUPLE) OLD WOMAN SINGLE MAN HIS SMALL DAUGHTER FATHER TIME (and, THE PHOTOGRAPHER) MOTHER SPACE (and, THE CAFÉ WAITRESS) MANN FRAU DER VOLLMOND (ist auch der GEIGENSPIELER) ALTER MANN (Zusammen sind sie DAS ALTE PAAR) ALTE FRAU ALLEINSTEHENDER MANN Seine kleine TOCHTER GEVATTER ZEIT (ist auch der FOTOGRAF) MUTTER RAUM (ist auch die KELLNERIN) Time has stopped. Die Zeit ruht. Space is endless. Der Raum ist endlos. There is silence. Schweigen. There is stillness. Stille. } ACT I SCENE I AN OUTDOOR CAFÉ ON A SUMMER EVENING. THE BLUE MOON SHINES. HIS VIOLIN REMEDIES THE DEAF WORLD BELOW. MAN AND WOMAN SHARE AN INTIMATE CONVERSATION AMOUNGST THE BUSTLE OF PEOPLE. MAN LOVES WOMAN, BUT SHE MAY NOT LOVE HIM BACK. The image of a large and full blue moon becomes visible. Spots of its deep sapphire are engulfed by the streams of a surrounding night sky. Glimmers of white 122 } AKT 1 SZENE 1 EIN STRAßENCAFÉ AN EINEM SOMMERABEND. DER VOLLMOND SCHEINT. SEIN GEIGENSPIEL HEILT DIE VIELEN TAUBEN OHREN UNTER IHM. MITTEN IM GEWIMMEL UNTERHALTEN SICH MANN UND FRAU VERTRAUT MITEINANDER. MANN LIEBT FRAU. ABER ES KÖNNTE DURCHAUS SEIN, DASS FRAU IHN NICHT ZURÜCK LIEBT. Der große, volle Mond wird sichtbar. Saphirblau gebettet auf Wolken. Das Schimmern weißer Lichtflecken (Sterne). 123 specks of light (stars) come and go. A distant violin melody is heard. A man, the VIOLINIST, is revealed: He is bathed in a tint of blue that embodies him wherever he goes. The sound of laughter and gallivanting are heard coming from another part of the space. The blue moon shines brighter and the rest of the environment below is drawn out of darkness: 124 Geigenklänge aus der Ferne. Ein Mann, der GEIGENSPIELER, erscheint. Wohin er auch geht, scheint er immer von einer blauen Aura umgeben. Lachen und Flirten aus einer anderen Ecke des Raumes. Der Vollmond scheint heller und der Rest der Umgebung unter ihm zeichnet sich nun klar auf dem dunklen Hintergrund ab: Four black restaurant-style patio tables are staggered equidistant from one another—an outdoor café on a cool summer night. Each table has four attached chairs and an umbrella blooming from its center. The blue moon’s light leaves long black shadows throughout the environment. The rest of the space is bare, filled only with the people who occupy a fraction of its vastness. Together, they create a stylized masque of pedestrian interactions. Their jovial dance is not verbally articulated. Vier schwarze Terrassentischchen, wie in Restaurants üblich, sind in gleichem Abstand, versetzt voneinander aufgestellt— ein Straßencafé in einer kühlen Sommernacht. Jeder Tisch ist mit vier Stühlen bestückt und einem Sonnenschirm, der aus seiner Mitte sprießt. Das Licht des Vollmondes hinterlässt lange, dunkle Schatten in der Umgebung. Der Rest des Raumes ist leer, ist nur bestückt mit den Menschen, die einen Bruchteil seiner Weite besetzen. Zusammen vollführen sie ein stilisiertes Maskenspiel: Fußgänger in Fußgängerzone. Ihr heiterer Tanz bleibt stumm. (At the center-most table sit MAN and WOMAN, who are both very young. They speak to each other uneasily in a whisper for the duration of the opening scene. The VIOLINIST (later revealed as the BLUE MOON) stands playing near the patio tables. He is a busker, his violin case at his feet, responsible for the melody in the air. The PHOTOGRAPHER (later FATHER TIME) rises from one of the tables and attempts to take MAN and WOMAN’S picture. The tension of their conversation halts so they can decline his proposition. Another man (SINGLE MAN) sits with his SMALL DAUGHTER next to him. He flirts with and tries to touch the CAFÉ WAITRESS (later MOTHER SPACE). The CAFÉ WAITRESS enjoys the rush she gets from teasing him. As they flirt, the PHOTOGRAPHER approaches and acquaints himself with the SMALL DAUGHTER. The PHO- (Am mittigen Tisch sitzen MANN und FRAU. Beide sehr jung. Ihr unruhiges Geflüster ist während der ganzen Eröffnung der Szene zu hören. Der GEIGENSPIELER (später tatsächlich der VOLLMOND) steht Geige spielend neben ihrem Terrassentischchen. Als Straßenmusiker, den Geigenkoffer zu Füßen, sorgt er für den Klang im Raum. Der FOTOGRAF (später GEVATTER ZEIT) steht von einem Tisch auf mit der Absicht, von MANN und FRAU Fotos zu schießen. Sie unterbrechen ihr intimes Gespräch, um das Angebot abzulehnen. Ein anderer Mann (ALLEINSTEHENDER MANN) sitzt mit seiner kleinen TOCHTER daneben. Er flirtet mit der KELLNERIN (später MUTTER RAUM), versucht sie auch zu berühren. Die KELLNERIN genießt das Vergnügen, das es ihr bereitet, ihn zu necken. Während sie flirten, nähert sich der FOTOGRAF und macht sich mit der kleinen TOCHTER bekannt. Der FOTOGRAF gestikuliert in 125 TOGRAPHER gestures to the SINGLE MAN to see if he can take a picture of his daughter and himself. SINGLE MAN agrees. As they pose for the photo, the CAFÉ WAITRESS continues on. She approaches MAN and WOMAN to see if they would like a beverage. Again, they graciously decline despite their uneasiness. Throughout all of this the OLD COUPLE enters at an impossibly slow pace. They stop and listen to the VIOLINIST before the OLD WOMAN helps the OLD MAN to a seat at the remaining table. They sit next to each other in blissful harmony. Having left MAN and WOMAN, the CAFÉ WAITRESS approaches them.) The sound of a clock striking on the hour rings through the outdoor café. The bustle stops and a tableau is created. Stillness. Its presence is highlighted further by the absence of the violin melody. The clock continues to strike, then: Silence. Time and space no longer exist. Bodies are frozen in a void surrounded by an eternity of nothing. At the center of the tableau are MAN and WOMAN. MAN is leaning forward, towards WOMAN, who is sitting erect and avoiding his starryeyed gaze. After forever: Richtung des ALLEINSTEHENDEN MANNES. Er will herausfinden, ob dieser von der TOCHTER und ihm selbst ein Foto schießen kann. Der ALLEINSTEHENDE MANN willigt ein. Während sie für das Foto posieren, geht die KELLNERIN wieder ihrer Arbeit nach. Sie nähert sich MANN und FRAU, um sie nach einem Getränk zu fragen. Trotz ihrer Anspannung, lehnen sie wieder höflich ab. Während all dies passiert, kommt, unglaublich langsam, DAS ALTE PAAR herein. Sie halten kurz an, um dem GEIGENSPIELER zuzuhören, bevor die ALTE FRAU dem ALTEN MANN dabei hilft, sich an den verbleibenden Tisch zu setzen. Sie sitzen in seliger Harmonie nebeneinander. Die KELLNERIN kommt zu den beiden, nachdem sie MANN und FRAU verlassen hat.) Das Geräusch einer zur vollen Stunde schlagenden Uhr tönt durch das Straßencafé. Das Gewimmel hält inne und eine Art Gemälde entsteht. Stille. Sie wird noch verstärkt durch die Abwesenheit der Geigenklänge. Die Uhr schlägt weiter. Dann: Endgültige Ruhe. Zeit und Raum hören auf zu existieren. Die Körper sind in Leere festgefroren, umgeben von endlosem Nichts. In der Mitte des Gemäldes sind MANN und FRAU. MANN lehnt sich nach vorne, hin zur FRAU, die aufrecht sitzt und seinem starren Blick ausweicht. Nach einer Ewigkeit: MAN I love you. The tableau is broken. The blue moon shines above. After a beat, the violinist again begins playing his melody. (Everyone except MAN and WOMAN, who remain frozen, and the VIOLINIST, who continues playing for the rest of the scene, exits. The three patio tables not occupied by the two young lovers are removed.) 126 MANN Ich liebe dich. Das Gemälde ist zerstört. Der blaue Mond scheint. Einen Moment später fängt der GEIGENSPIELER wieder an, seine Melodie zu spielen. (Alle verlassen den Raum. Außer MANN und FRAU, die wie festgefroren scheinen und der GEIGENSPIELER, der 127 MAN Do you love me? WOMAN (pause) I don’t know. MANN Liebst du mich? MAN FRAU (Pause) Ich weiß nicht. WOMAN But I’m not sure. MANN Entweder du tust es oder nicht. MAN FRAU Aber ich bin mir nicht sicher. WOMAN I don’t know… (pause) MANN Warum nicht? MAN FRAU Ich weiß nicht… (Pause) MANN Es ist wirklich relativ einfach—entweder du liebst mich oder eben nicht… FRAU Ich glaube, ich bin mir nicht richtig sicher, was Liebe ist… MANN Und wenn du dir sicher wärest, würdest du mir dann sagen können, ob du mich liebtest? WOMAN Love is pure? FRAU Ja. (Pause) Ich glaube schon. MAN MANN Na gut! Also. (Pause) Liebe ist… (Pause) Liebe ist rein. FRAU Liebe ist rein? MANN (Pause) Ja. You either do or you don’t. Why not? It’s really quite simple—you love me or you do not… WOMAN I guess I’m not sure exactly what love is. MAN And if you were, then would you be able to tell me if you love me? WOMAN Yes. (pause) I suppose. MAN Alright. (pause) Love is… (pause) love is pure. (pause) Yes. WOMAN (She does not respond) MAN 128 bis zum Ende der Szene durchspielt. Die drei unbesetzten Terrassentischchen werden entfernt.) Let me try and explain again. 129 WOMAN Please. Do. FRAU (Sie antwortet nicht) MAN MANN Ich will versuchen, es noch einmal zu erklären. WOMAN (pause) I’m still not sure— FRAU Bitte. Tu das. MAN MANN Liebe ist rein, weil (Pause) sie grenzenlos ist. FRAU (Pause) Ich bin mir immer noch nicht sicher— MANN Sie wird durch nichts begrenzt. Du würdest für jemanden, den du liebst, alles tun. FRAU Für immer und ewig? Egal, was die Stunde geschlagen hat? MANN (Pause) Ja, aber nicht nur das. WOMAN So it’s bound by nothing. FRAU Was denn noch? MAN MANN Zeit, Raum, Entfernung, Hindernisse jeglicher Form und Größe. Wenn du jemanden liebst, würdest du alles tun. FRAU Also ist sie grenzenlos. MANN Genau. FRAU Und würde SIE dasselbe für dich tun? Love is pure because (pause) it holds no boundaries. It’s bound by nothing. You would do anything for someone you love. WOMAN Regardless of the time? MAN (pause) Yes, but not only that. WOMAN What else? MAN Time, space, distance, obstacles of all shapes and sizes, when you love someone, you would do anything for them—nothing can stand in your way. Exactly. WOMAN And would the other person do the same for you? MAN If they love you too. WOMAN What if they don’t? MAN 130 (pause, nervously) What if they don’t 131 what? MANN Wenn SIE mich auch liebte. WOMAN What if they don’t love you too? FRAU Was ist, wenn SIE das nicht tut? MAN MANN (Pause, nervös) Wie, wenn SIE das nicht tut? WOMAN How come? FRAU Was ist, wenn SIE dich nicht zurückliebt? MAN MANN Das tut nichts zur Sache. FRAU Wieso das denn? MANN Na, weil Liebe an nichts gebunden ist. FRAU Also, wenn du mich liebst, aber ich dich nicht liebe, tut das nichts zur Sache? MANN (Pause) Nein. FRAU (Pause) Das klingt nicht so richtig fair, für die Person, die verliebt ist. MANN Ist es auch nicht. FRAU Warum würde diese Person dann immer noch das Gefühl haben, verliebt zu sein? MANN Weil Liebe an Nichts gebunden ist. (Pause) Man gibt sich auf, egal in welcher Form. FRAU (Pause) Also das klingt wirklich schmerzhaft. MANN Hast du diese Geschichte gehört? (Pause) It doesn’t matter. Because love is bound by nothing. WOMAN So if you loved me, but I didn’t love you, it wouldn’t matter? MAN (pause) No. WOMAN (pause) That hardly seems fair, for the person in love. MAN It’s not. WOMAN Then why would they still feel love? MAN Because, love is bound by nothing. (pause) It’s self-sacrifice, no matter what. WOMAN (pause) That sounds really painful. MAN Have you heard the story? (pause) Of the man who lost his heart? WOMAN Will you tell it to me? 132 133 MAN 134 Of course. (pause) There once was a man in a small village. He wasn’t wealthy, but he had everything in the world he needed. Yet something was missing. The man wasn’t sure what it was, but he knew he needed to find out. So he told the other villagers that he was leaving, but none of them understood why. His family threatened to disown him, and his friends told him that he could never come back. But he knew he needed to go. (pause) So for years the man traveled. He met many people and made new friends. At times he missed his family, but he knew it was too late to go home. Then one day he met a woman. He continued to travel, but wherever he went she would be there. It turned out she was searching too, but neither of them was sure for what. Slowly a deep bond formed between them. They became lovers, and it seemed to the man that his search was over. He felt more fulfilled than he ever had. He hardly missed his village, although sometimes he wished he could bring the woman there. Von dem Mann, der sein Herz verlor? FRAU Erzählst du mir die? MANN Na klar. (Pause) Es war einmal ein Mann in einem kleinen Dorf. Er war nicht gerade vermögend, hatte aber alles, was er brauchte. Doch eine Sache fehlte. Der Mann war sich nicht sicher, was es war, aber er wusste, er musste es herausfinden. Also erzählte er den anderen Dorfbewohnern, dass er gehen würde, aber keiner von ihnen verstand warum. Seine Familie drohte damit, ihn zu enteignen und seine Freunde sagten ihm, er könnte nie wieder zurückkommen. Aber er wusste, er musste gehen. (Pause) Also reiste der Mann jahrelang umher. Er traf viele Menschen und schloss neue Freundschaften. Manchmal vermisste er seine Familie, aber er wusste, es war zu spät, um nach Hause zurückzukehren. Dann eines Tages traf er eine Frau. Er reiste weiter, aber wohin er auch ging, sie kam mit. Es stellte sich heraus, dass auch sie etwas suchte, aber keiner der beiden wusste, nach was genau. Langsam entstand eine enge Bindung zwischen den beiden. Aus ihnen wurden Liebende und dem Mann schien es so, als wäre seine Suche 135 WOMAN Did the woman come from a small village too? MAN She did, a different village, far away from the man’s own. And as they lived tranquilly together the woman began to miss her home. Her parents were surely back there, all alone in the woods, praying she would come back. The man was content with his new life, but she could not overcome the uneasiness of remembering her home. This led to violent arguments between the lovers. Man resented that he could never go home, and that he was not the only thing the woman dreamed of at night. One day the woman finally left. “I need to continue my search,” she told him, “and there won’t be enough room in my life for you now.” He tried to stop her, but she went anyways. The man knew she had gone back home, but he could not understand why. He did not know what to do. He couldn’t go home, and the woman had made it clear that she did not want him to chase after her. WOMAN (pause) What did he do? 136 vorüber. Er fühlte sich zufriedener als jemals zuvor. Sein Dorf vermisste er kaum, obwohl er sich manchmal wünschte, er könnte die Frau dorthin bringen. FRAU Kam die Frau denn auch aus einem kleinen Dorf? MANN Ja, aus einem anderen Dorf, weit weg von dem des Mannes. Und als sie so friedlich nebeneinander her lebten, begann die Frau ihr Zuhause zu vermissen. Ganz allein in den Wäldern, beteten ihre Eltern sicherlich dafür, dass sie zurückkommen würde. Der Mann war zufrieden mit seinem neuen Leben, aber sie konnte die nagende Erinnerung an ihr Zuhause nicht überwinden. Dies führte zu bösen Auseinandersetzungen zwischen den Liebenden. Der Mann ärgerte sich darüber, dass er selbst niemals zurück nach Hause gehen konnte und dass ER nicht all das war, wovon die Frau nachts träumte. Eines Tages ging die Frau schließlich fort. „Ich muss meine Suche fortsetzen“, sagte sie ihm, „in meinem Leben ist jetzt einfach nicht genug Platz für dich“. Er versuchte sie aufzuhalten, aber sie ging dennoch. Der Mann wusste, dass sie zurück in ihre 137 MAN The man spent many years of his life waiting for the woman to come back. When they were together she had taken his heart, and she had not returned it when she left. He often contemplated what she had done with his heart, if she still had it, or if it was lost along the way. Even if she never returned, he knew that nothing could ever replace her. He would do anything for her, even after all the time that had gone by since she left. It was then that he realized what he had been searching for all along: He had been searching for true love. He was happy to know that he had lost his heart for something greater than himself. WOMAN (pause) That sounds quite painful. MAN It’s been said before: pain is love. WOMAN (pause) I still don’t get it. MAN What? WOMAN Why would you do anything for someone even if they wouldn’t do the same for you? Even if they left you and never came back? 138 Heimat gehen würde, aber konnte nicht verstehen warum. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er selbst konnte nicht nach Hause und die Frau hatte ihm ganz klar gesagt, dass er ihr nicht folgen sollte. FRAU (Pause) Was hat er gemacht? MANN Der Mann verbrachte viele Jahre damit, auf die Frau zu warten. Während sie zusammen waren, hatte sie sein Herz in Besitz genommen und ihm nicht wieder freigegeben, als sie ihn verließ. Er dachte oft darüber nach, was sie wohl mit seinem Herzen angestellt hatte, ob es immer noch in ihrem Besitz oder ob es auf dem Weg verloren gegangen war. Auch wenn sie niemals zurückkam, wusste er, dass nichts sie jemals ersetzen konnte. Er würde immer noch alles für sie tun. Auch nach der langen Zeit, die vergangen war, seit sie ihn verlassen hatte. Da verstand er, wonach er so lange gesucht hatte: nach wahrer Liebe. Er war glücklich, dass er sein Herz an etwas verloren hatte, das größer war als er selbst. 139 MAN You just have no choice. There is a long pause. The blue moon dims its light in sadness. The music continues. MAN Does the explanation still not make sense? WOMAN No, it does. MAN Would you do anything for me? Without hesitation? WOMAN Yes. MANN Darum heißt es auch: Schmerz ist Liebe. FRAU (Pause) Das verstehe ich aber immer noch nicht. MANN Was? FRAU Warum sollte er alles für sie tun, wenn sie nicht dasselbe für ihn tun würde? Sogar wenn sie ihn verlässt und niemals zurückkommt? MANN Er hat einfach keine Wahl. Lange Pause. Der Vollmond dämmt sein Licht. Die Musik geht weiter. MANN Macht die Erklärung immer noch keinen Sinn? FRAU Doch, das tut sie schon. WOMAN Yes! MANN Warum bist du dann unsicher? MAN FRAU (Pause) Weiß ich nicht. MANN Würdest du für mich alles tun? Ohne zu zögern? FRAU Ja. MAN Would you stop me (pause) if I tried to leave? Would you wait for me (pause) if I went away? WOMAN Of course. Yes, of course I would. MAN 140 (Pause) Das klingt ziemlich schmerzhaft. Then why are you unsure? WOMAN (pause) I don’t know. MAN FRAU Is that not love? 141 There is a long pause. MAN sits in stillness facing the audience. WOMAN slowly turns her head towards him. After a moment she gently turns his head towards hers and kisses him, creating a new tableau. The blue moon is waning. The music continues. WOMAN I just (pause) don’t want you to expect anything. MAN So you don’t love me? WOMAN That’s not what I said. MAN Would you do anything for me? MANN Würdest du mich aufhalten, wenn (Pause) wenn ich versuchen würde, zu gehen? FRAU Ja! MANN Und würdest du auf mich warten, wenn (Pause) wenn ich fort ginge? FRAU Natürlich. Natürlich würde ich das. MANN Und ist das nicht Liebe? Lange Pause. MANN sitzt bewegungslos da, mit dem Gesicht zum Publikum. FRAU dreht langsam ihren Kopf zu ihm hin. Nach einer Weile zieht sie seinen Kopf sanft zu ihrem und küsst ihn. Ein neues Gemälde entsteht. Der Vollmond nimmt ab. Die Musik geht weiter. WOMAN Yes. In an instant. MAN Then what is not to expect? WOMAN (pause) That we will be together. FRAU Ich will nur nicht (Pause), dass du etwas von mir erwartest. MANN Also liebst du mich nicht? FRAU Das habe ich nicht gesagt. WOMAN (pause) You shouldn’t be. MANN Würdest du alles für mich tun? MAN FRAU Ja. Jederzeit. MANN Also was ist es dann, was ich nicht von dir erwarten kann? MAN Why wouldn’t we be? There is a long pause. The blue moon is engulfed by a purple cloud. The music continues. MAN I’m hurt. I would do anything for you. WOMAN I know that you would. MAN 142 Regardless of time or space. 143 WOMAN And if I tried to leave— MAN There is a long pause. The blue moon is nearly invisible. The VIOLINIST stops playing. He watches the young couple. What am I to do? WOMAN I don’t know… MAN You don’t love me… WOMAN It’s not that simple… MAN MANN Warum sollten wir nicht zusammen sein? I’d wait for you. WOMAN (She does not respond) MAN (Pause) Dass wir zusammen sein werden. I’d stop you! WOMAN And if I went away— MAN FRAU I love you. WOMAN (pause) I know. The final hints of light disappear along with the blue moon. The couple is frozen in time. The clouds in the night sky disappear. Lange Pause. Der Vollmond wird durch eine dunkelrote Wolke verdeckt. Die Musik geht weiter. MANN Ich bin verletzt. FRAU (Pause) Das musst du nicht sein. MANN Ich würde alles für dich tun. FRAU Ich weiß. MANN Egal, was die Stunde geschlagen hat. FRAU Und wenn ich versuchen würde, fortzugehen… MANN Würde ich dich davon abhalten! FRAU Und wenn ich wirklich fortginge… MANN Würde ich auf dich warten. FRAU (antwortet nicht) Lange Pause. Der Vollmond ist fast unsichtbar. Der GEIGENSPIELER hört auf zu spielen. Er schaut das junge Paar an. MANN 144 Was soll ich jetzt machen? 145 FRAU Weiß ich nicht… MANN Du liebst mich nicht. FRAU So einfach ist das nicht… MANN Ich liebe dich. FRAU (Pause) Ich weiß. Mit abnehmendem Mondschein verschwindet auch das Schimmern der Lichtflecken. Das Paar ist in der Zeit festgefroren. Am Nachthimmel verschwinden die Wolken. 147 : müller e ichte s d e e W G n e e n l El ter mei n Arbeiter? i e b r A Können oder bin ich ei n verstehe tand s r e d n rkers U o ker? r W o e h W t a n Ca r Am I o , y r t e io n b y My Po t ra n s la t ur Ra c h e l S I. Im Hasenzüchterverein S eitdem ich schreibe, literarisch schreibe, und das von mir Geschriebene in LiteraturWerkstätten zur Disposition stelle, sagen andere über meine Texte, sie seien „pädagogisch“. Ich müsse aufpassen, dass mein Roman nicht zum „Bildungsroman verkomme“, sagt man mir in diesen Seminaren, manchmal bemüht jemand das Fremdwort „didaktisch“. Nicht selten wird auch in die Schatztruhe der weniger wissenschaftlichen Worte gegriffen und das nach DDR oder linoleumverklebten Heimfluren riechende „erzieherisch“ herausgezogen. Meine Geschichten seien „zu intellektuell“, „zu thesenhaft“ „zu reflektierend“, ich sei „programmatisch zu verplant“ und „ideologisch“, ich versuchte, den Leser zu „überreden“, sei „suggestiv“ und gegenüber meinen Figuren „denunziatorisch“. Wenn es jemand einmal gut mit mir meint, nennt er meine Texte, den Essay Sartres „Qu’est-ce que la littérature?“ zitierend: „engagiert“. Ich fühle mich dadurch nicht erleichtert, sondern jedes Mal so, als schriebe ich mit der gleichen Motivation, mit der man einem Hasenzüchterverein vorsitzt, für Ökostrom wirbt oder Neuköllner Unterschichts- 150 I. In the Rabbit Breeders Club F or as long as I’ve been writing—literature, that is—and handing in my work to writing workshops, my pieces have been called “pedantic.” I have to be careful that my novel doesn’t “devolve into a Bildungsroman,” say my peers, and sometimes they’ll invoke the academic word “pedagogical.” Occasionally a less scholarly word is dragged down from the attic, and “educational” trots out, with its East German smell or linoleum-crusted institutional hallway stink. My stories, apparently, are “too intellectual,” “too reflective,” “too claim-heavy.” I am “agenda-laden” and “ideological.” I am guilty, it seems, of being “suggestive,” of trying to “persuade” the reader, of “denouncing” my characters. If someone ever means to say something kind, then he’ll call my work “engaged,” as in Sartre’s essay “Qu’est-ce que la littérature?” This word brings no relief, and always makes me feel that I must be writing for the same reason that someone presides over a rabbit breeders club, or promotes green energy, or tutors the disadvantaged children of Neukölln in fifth grade Ethics. No pride sets in, only shame, and I realize that what dwells inside the word “engaged”—unlike in Sartre’s time—is 151 kindern Nachhilfe im Fach „Ethik“ gibt. Es stellt sich kein Stolz ein, sondern Scham und ich merke, dass dem Wort „engagiert“ anders als zu Sartres Zeiten nicht der emanzipatorische Kampf, sondern der gutmenschelnde Krampf, meinen Texten doch noch etwas Positives abzugewinnen, innewohnt. Ich kann mich nicht des Gedankens erwehren, dass dieses Ringen um ein paar aufmunternde Worte einer Art repressiven Toleranz gleicht, die milde lächelnd Anerkennung heuchelt, um sich dann unauffällig abzuwenden und die Schublade mit mir und meinem Text darin sanft schubsend zuzustoßen. Diese Adjektive, die ich jeweils in die obere rechte Ecke meiner Notizbuchseiten schreibe, unter die imaginierte Rubrik „Kritik, die ich nicht verstehe“, beschäftigen mich, sie lassen mich nicht in Ruhe. Ich kann die Ablehnung, die in ihnen zum Ausdruck kommt, nicht einordnen, nicht verarbeiten, ich kann meine Texte nicht umarbeiten—nicht, weil ich nicht wüsste, was ideologische Literatur ist, sondern weil ich nicht weiß, was nicht-ideologische Literatur ist. Wenn ich schreibe, dann, um etwas auszusagen über Menschen in sozialen Beziehungen, die sie zurichten oder die sie retten, über ihre Alltage, in die sie verstrickt sind. Ich beobachte, ich schreibe auf, nicht, um meine Zeit totzuschlagen, sondern 152 not the liberator’s fight, but some do-gooder’s plight of desperately trying to extract something positive from my text. I can’t help but think that this wrestling to find a few words of encouragement is a repressive sort of tolerance, the kind that feigns recognition with a benign smile, only to quietly turn away and gently slam the drawer shut, with me and my text inside. These adjectives, which I jot down in the upper right corner of my notebook pages under the imaginary heading “Criticism That I Don’t Understand,” preoccupy me; they don’t leave me in peace. I can’t seem to process or make sense of the rejection they cast off. I can’t transform my work—not because I don’t know what ideological literature is, but because I don’t know what non-ideological literature is. When I write, it’s because I want to reveal something about people and the social relationships that save or destroy them, something about the everyday lives in which they are entangled. I observe, write down, not to kill time, but so that others—indeed, as many as possible—will read what I have to say, sniff at it, feel something, think it over after, think about the world in which they live. I shape, in this way, how things make sense to me, and formulate assertions that, for the time being, I assume are right. I hope, by sinking my characters 153 damit andere Leute das, was ich zu sagen habe, lesen, und zwar möglichst viele von ihnen, daran riechen, etwas fühlen, danach denken, nachdenken über die Welt, in der sie leben. So forme ich, wie die Dinge für mich zusammenhängen, formuliere darüber Thesen, von denen ich erst einmal annehme, dass sie richtig sind. Ich hoffe so—in der Einsenkung der Verhältnisse in Figuren—etwas beitragen zu können zu Welterkennungsmethoden, Wahrheitsfindungsstrategien, zu Glücksfang und Unglücksbekämpfung, etwas auszusagen über gesellschaftliche Wahrscheinlichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten, über Widerstand und die Lücken im System. Nicht zuletzt zu meiner eigenen Erkenntnis beizutragen, über die Revision meiner Gedanken durch die Leser, durch den Austausch mit anderen, durch gelebtes Leben zu neuen Erkenntnissen zu kommen, die dann im nächsten Text münden. Wäre das keine Literatur, ich sähe keinen Sinn darin, zu schreiben. II. Eine Lehr-Stelle A uch der Essay, so heißt es manchmal, sei ein Textwerk „ohne Belehrung“. In Übereinstimmung mit meiner oben beschriebenen Erfahrung und eingeordnet in das Bewertungs- 154 in circumstance, to be able to contribute something to insight-harvesting methods, truth-sniffing strategies, to how to fetch happiness and fend off unhappiness; to expose something about societal probabilities and improbabilities, about resistance and the gaps in the system; and, not least, to further my own insight by re-imagining my ideas by way of the reader, by exchanging ideas with others, by lived experience and the new insight it brings—all of which will lead me, then, to my next text. If this were not literature, I would see no point in writing. II. A Teaching Vacancy S ome say that even essays should not be “instructive.” I can report, based on my experiences above, that instructing, even for the sake of disabusing, is—to borrow the rating system of fashion magazines—out. The prefix “in-“ sounds spoon-fed, patronizing, passive; the root “struct” sounds insular, conformist, dogmatic. The other side of the rating chart, in turn, documents what is in: processing the world through literature for the purpose of active, emotional participation in the internal life of others, which can carry you, move you—and yes, even disturb you—but it shouldn’t bring you down, because you wouldn’t want that. 155 system diverser Glamour-Magazine stelle ich fest: Belehren lassen, auch eines Besseren, ist out. Die Vorsilbe „Be-“ klingt nach Bevormundung, Gängelung und Passivität, das Suffix „-ung“ klingt nach Vereinheitlichung, Engstirnigkeit und Dogma. Im Umkehrschluss lässt sich in der anderen Spalte des Bewertungssystems verzeichnen, was in ist: die literarische Verarbeitung von Welt zum Zweck der aktiven, emotionalen Teilhabe am Gefühlsleben anderer, die mitnehmen, bewegen, ja: erschüttern kann, aber schlechte Laune möchte man davon nicht bekommen. Keine Thesen, sondern Lust. Keine Erkenntnis, sondern Identifikation. Keine Aufklärung, sondern Einfühlung. Und zwischen „Be-“ und „-ung“: die „-lehr-“-Stelle, die sich als Leerstelle heraus stellt. Denn dass die Abwertung über das Wortfeld „Lehre“ von den Institutionen des Bildungsbürgertums selbst kommt—von Literaturinstituten, Textwerkstätten, Feuilletons und Literaturzeitschriften—, Akteuren eines sozialen Feldes also, das die Bildung im Namen trägt, dem die Lehre von der Lehre inhärent ist, bleibt ungesagt. Pleasure instead of premise. Identification instead of insight. Empathy instead of enlightenment. And though “learning” and “education” come with an implied teaching position, it turns out to be an empty space. It usually goes unsaid that the downgrading of instruction comes from the very institutions of the educated classes—the literary institutes, writing workshops, journals, feuilletons—actors in social fields dedicated to teaching in name, in which the doctrine of education is inherent. “So who’s the one being instructive here?” one could shout back at them. “Isn’t the constant instruction that one should not instruct the most instructive thing of all?” But because no one shouts this, a paradox develops. On the one hand, “education” is stored in the collective memory as “a good thing,” though the underlying questions of who is teaching whom, teaching what and for what purpose, get ignored. On the other hand, an artificial wall is erected— perhaps precisely to distract us from the classist nature of education, the pseudo-freedom of the mind—that devalues instruction and separates it from education: Education, yes. Instruction, no. „Wer ist denn hier belehrend?“, könnte man also zurückrufen. „Ist nicht das ständige Belehren, nicht belehrend zu sein, überhaupt das Belehrendste von allem?“ 156 157 Weil das aber niemand ruft, bildet sich ein Paradox. Bildung wird einerseits im kollektiven Gedächtnis als „gut“ gespeichert. Außer Acht bleibt dabei die Frage: Wer bildet wen, worüber und zu welchem Zweck? Andererseits wird eine künstliche Wand eingezogen—vielleicht gerade, um nicht an den Klassencharakter der Bildung, an die Scheinfreiheit des Geistes erinnert zu werden -, die die „Belehrung“ von der Lehre trennt und abwertet: Bildung ja, Belehrung nein. III. Auf dem Beifahrersitz des Baggers N och nie hat jemand schwer einatmend, augenbrauenhochziehend und leicht kopfschüttelnd gesagt: Dein Text ist zu politisch. Vielleicht sind meine Texte auch gar nicht politisch. Vielleicht aber, so denke ich, kommt dieses Adjektiv auch nicht über die Lippen, weil sich niemand zutraut zu sagen, was politische Literatur eigentlich sein soll. Das ist umso erstaunlicher, als dass in Zeiten der Krise eines finanzmarktdominierten Kapitalismus gleichzeitig eine Sehnsucht nach und Hoffnung auf politische Texte bekundet wird, die sich nicht zuletzt an Schriftsteller heftet. Man könnte nun auf die in krisenhafter Regelmäßigkeit wiederkehrende Frage, wie ein politischer Text zu schreiben sei, antworten: „Geht 158 III. Riding Shotgun in the Front-End Loader N o one has ever raised an eyebrow, inhaled deeply, and then, shaking his head, said to me: your writing is too political. Maybe my writing is not political at all. But maybe, I argue, this adjective doesn’t pass anyone’s lips because no one claims to know what political literature is truly supposed to be. This is all the more surprising considering that the crisis of our age—of financial marketdominated capitalism—has been accompanied by an expressed longing for political texts, a craving that clings, especially, to writers. As for how to create a political text, a question that recurs with crisis-like regularity, one might respond: “Go to an unemployment office in this country, get in line, talk to the people in front of you and behind you, and write about it!” That sounds about right. But apparently it’s not so simple. Why not? Is it hard to make contact with people who live a different reality? Does it seem too “ journalistic” to do research? Or has this approach already been proven futile? One of the principal assertions of 20th-century Marxist literary theory was to understand literature as political whenever it captured and dealt with the so-called “worker’s reality.” It is here, in this reality, that the subject of exploitation is found—so 159 in die Jobcenter dieses Landes, stellt euch an der Schlange an, befragt den Menschen vor und den Menschen hinter euch und schreibt darüber!“ Das hört sich gut an. Aber anscheinend ist das nicht so einfach. Warum nicht? Fällt es schwer, Kontakt zu Menschen mit anderen Lebensrealitäten aufzunehmen? Gilt es als „journalistisch“, zu recherchieren? Oder erscheint diese Herangehensweise sogar als „historisch widerlegt“? Literarische Texte als politisch zu begreifen, wenn sie die sogenannte Arbeiterrealität aufgreifen und verarbeiten, war eine der prominentesten Thesen der marxistischen Literaturtheorie des 20. Jahrhunderts. Hier ist das Subjekt der Ausbeutung zu finden, so die Überlegung, hier formiert sich der Widerstand gegen dieselbige, darüber zu schreiben bedeutet, politisch zu schreiben. So einfach und plausibel das klang, so wenig war klar, welche Praxis daraus zu folgen hatte. Schon in der Weimarer Republik stritten sich links-intellektuelle Bildungsbürger mit Arbeitern im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller darüber, ob Erstere über Letztere authentisch schreiben könnten und ob andererseits Letztere, die, die über sich selbst schrieben, die Arbeiter, überhaupt zum ästhetischen Schreiben in der Lage wären. In der DDR wurden die Arbeiter konsequenter Weise nicht mehr als Subjekte der Ausbeutung 160 the argument goes—and here that the resistance against it is deployed. Writing about these things meant writing politically. As reasonable and straightforward as this sounds, it was not at all clear what practical steps should come from this. In the Weimar Republic, the left-leaning bourgeoisie intellectuals and working class writers in the Association of ProletarianRevolutionary Authors were already arguing about whether the former could write authentically about the latter and, in turn, whether the latter—the workers, who were writing about themselves— could write aesthetically at all. In the GDR, workers were no longer viewed as subjects of exploitation, in keeping with the doctrine, but conventional wisdom still held that writers should observe workers. And so, for example, every student at the Johannes R. Becher Institute in Leipzig had to intern at a workplace. Institute alumnus Ronald M. Schernikau recounts what is at once the most touching and most tragic example of the failure of reflection theory in his book, Die Tage in L., in which he ponders the impact of his extravagant shoes on his comrades, while feeling infinitely useless in the passenger seat of a front-end loader in an open-pit coal mine. There is no better example of anthropological zoology, of literary class-struggle tourism, or of the lack of oneness among the diverse 161 angesehen, dennoch zählte die Arbeiterbeobachtung durch Schriftsteller zum guten Ton. So musste etwa jeder Student des Johannes-R.-BecherInstituts in Leipzig ein Praktikum in einem Betrieb absolvieren. Am rührendsten und zugleich tragischsten ist das Scheitern der WiderspiegelungsTheorie nachzulesen beim Absolventen Ronald M. Schernikau, der sich in „Tage in L.“ Gedanken über die Wirkung seiner extravaganten Schuhe auf die Genossen macht, während er sich auf dem Beifahrersitz des Baggers im Braunkohletagebau unendlich nutzlos vorkommt. Ein besseres Beispiel für anthropologische Zoologie, für literarischen Klassen-Tourismus, für das Nicht-Eins-Sein der unterschiedlichen Milieus im Arbeiter- und Bauernstaat gibt es nicht. milieus of the “workers’ and peasants’ state.” Aus dieser notwendigen historischen Erfahrung ist nur niemand schlau geworden. Die einzige Konsequenz scheint heute der Umkehrschluss zu sein, partout nicht mehr auf die Straße, in die Fabrik, auf die Ämter gehen zu müssen, sondern die Frage nach politischer Literatur ausschließlich auf Podien zu heben und in Zeitschriften zu behandeln. Elsewhere, however, is not here. While the Occupiers in New York and Tel Aviv are enthusiastically received in this country, including their essayistic treatment, somehow the Occupy movement in Germany ends up as cute. Das ist umso absurder, als dass sich jene politischen Ereignisse zu überschlagen scheinen, die man versuchen könnte, zu beschreiben, einzufangen und weiterzutreiben: den arabischen Frühling, die Anti-Atom-Bewegung in Japan, die 162 No one, as of yet, has managed to make sense of this essential historical experience. Today it would appear that the only consequence is the inverse: no more taking to the streets, factories, or government bureaus whatsoever. Instead the question of political literature is elevated at podiums and dealt with in journals, exclusively. This is all the more absurd given what appears to be the dramatic turnover of recent political incidents, all of which can be described, captured, pushed farther: the Arab Spring, the anti-nuclear movement in Japan, the Occupy movement, the general strikes in Spain and Greece, the riots and looting in England. This certainly has something to do with those who come together under the Occupy label in this country. It has something to do with the lethargy and lack of ideas of all those who don’t come together. But most of all, it has to do with the fact that no one can imagine that for once something downright new could happen here. And so, the 163 Occupy-Bewegung, die Generalstreiks in Spanien und Griechenland, die Riots und Plünderungen in England. Anderswo ist jedoch nicht hier. Denn während die Occupisten aus New York und Tel Aviv hierzulande begeistert rezipiert werden, inklusive ihrer essayistischen Verarbeitung, findet die Occupy-Bewegung in Deutschland irgendwie jeder niedlich. Das hat sicherlich etwas mit denjenigen zu tun, die sich hierzulande unter dem Label Occupy versammeln. Das hat zu tun mit der Lethargie und Ideenlosigkeit aller, die sich nicht versammeln. Vor allem aber hat es damit zu tun, dass sich keiner vorstellen kann, dass hier wirklich einmal etwas völlig Neues passieren könnte. So werden sich umgekehrt proportional so viele Gedanken über politische Literatur gemacht, wie sich andererseits nichts tut. Getreu dem Motto: Sagen kann man alles, nur machen kann man nichts. Dass es politische Literatur trotzdem geben kann, ist dabei richtig und falsch zugleich. Jeder Text beschreibt Gesellschaft und macht damit einen mehr oder minder offensiven Vorschlag, welcher Natur gesellschaftliche Konflikte sind, ob und wie man sie lösen kann. Da unterscheidet 164 amount of thinking about political literature becomes inversely proportional to the amount of actually doing something. As if the motto were: Say everything and do nothing. The claim that political literature can nonetheless exist is both true and false simultaneously. Every text describes society and, in doing so, suggests something more or less obvious about the nature of social conflict, and about whether and how it can be solved. In this sense, there is no difference between Judith Herman’s a-couple-eating-Chinese-takeouton-the-floor and Dietmar Dath’s cybervisions of three lovers who live in each other’s bodies. Both social portraits are political—one romanticconservative, the other futuristic-communist. It’s true that research does not automatically make a text political. Writing about “others” who are, at best, socially discriminated against, does not automatically make for political literature. Getting the critics to cheer that novelist so-and-so has now finally written her “social novel” could simply be a sign of successful marketing. Writing that is voyeuristic is not political. The author should instead ask herself how to draw connections between what she has seen and heard and her own life: do I feel that my writing also speaks for me? 165 sich Judith Hermanns Zu-zweit-auf-dem-BodenMitgebrachtes-vom-Chinesen-essen nicht von Dietmar Daths Cyborg-Visionen, in denen drei Verliebte im Körper der jeweils anderen leben. Beide Gesellschaftsporträts sind politisch, das eine romantisch-konservativ, das andere zukunftsweisend-kommunistisch. Richtig ist, dass ein Text nicht gleich politisch ist, nur weil man recherchiert hat. Es ist nicht gleich politische Literatur, wenn man „über andere“ schreibt, die sich am besten noch in einer gesellschaftlich diskriminierten Position befinden. Es kann auch Zeichen einer erfolgreichen Marktplatzierung sein, wenn die Feuilletons jubeln, dass die Romanautorin XY jetzt endlich „ihren Gesellschaftsroman“ geschrieben hat. Ein Text ist dann nicht politisch, wenn er voyeuristisch ist. Stattdessen sollte der Autor sich fragen, wie er das Gesehene und Gehörte mit seinem eigenen Leben in Verbindung setzen kann: Fühle ich mich von meinem eigenen Text mitgemeint? IV. Können Arbeiter meine Gedichte verstehen oder bin ich ein Arbeiter? D em Diskurs über „politische Literatur“ liegen dabei zwei falsche, da nicht-dialektisch gedachte Dichotomien zu Grunde: zwischen Leben 166 IV. Can the Workers Understand My Poetry, or Am I a Worker? U nderlying the discourse about political literature are two false dichotomies, false because they are conceived as non-dialectic: between living and writing, between production process and product. The product (the writing) may be thought of as political without any examination of the writer’s involvement in the production and reproduction processes, the conditions under which the product comes into being, the social and economic relationships that situate and entangle the writer, and the writer’s own reflections about all this. So went the headline in the literary supplement of Die Zeit: “How do writers live? Do they live at all, or do they only write?” Writers were asked: “Does your life get in the way of writing?” As a writer who came to literature from politics, reading such headlines makes me want to ask these journalists whether they don’t know, or whether they deliberately withhold the knowledge, that the most important (and not just German) writers of the past century not only raised children and had to work for wages, but were also politically active—for example, in the Communist Party; they fought against National Socialism in Germany, against Fascism in Spain, against colonialism, and every 167 und Schreiben, zwischen Produktionsprozess und Produkt. Das Produkt (der Text) wird dabei als politisch imaginiert, ohne die Einbindung des Autors in Produktions- und Reproduktionsprozesse zu beleuchten, die Arbeitsbedingungen, unter denen das Produkt entstanden ist, die Stellung und Verwicklung des Autors in soziale und ökonomische Zusammenhänge sowie dessen eigene Reflexion darüber. So titelte DIE ZEIT in einer Literaturausgabe: „Wie leben die Schriftsteller? Leben sie überhaupt oder schreiben sie nur?“ Und fragte die Schreibenden: „Stört das Leben Sie beim Schreiben?“ Bei solchen Titeln möchte ich, als eine, die von der Politik zum literarischen Schreiben gekommen ist, zurückfragen, ob die Journalisten nicht wissen oder absichtlich verschweigen, dass die wichtigsten (nicht nur deutschen) Literaten des vergangenen Jahrhunderts nicht nur Kinder erziehen und lohnarbeiten mussten, sondern politisch aktiv waren, zum Beispiel in der Kommunistischen Partei, gegen den Nationalsozialismus in Deutschland kämpften, gegen den Faschismus in Spanien, gegen den Kolonialismus, zwischendurch im Gefängnis saßen und manchmal sogar im Konzentrationslager. Doch auch manche Schriftsteller leisten dem Klischee des schreibenden anstatt lebenden 168 now and then sat in prison, some even in concentration camps. But some writers, too, nurture clichés about the writer as a writing, and not a living, creature. In her essay “Writing,” Marguerite Duras reports that she can only write when isolated, that she can’t carry out any long-term romantic relationships while composing her literary texts—only flings, at the most—and that she never divulges her unpublished manuscripts for the sake of discussion with anyone. But are there no circumstances that require writers to do something other than write a novel, like, say, maintaining a relationship? Maybe. Having children? Sure. Living with others? It happens. But to organize politically in order to advance the revolution? This, to most of us, seems really a bit too much. The truth is, sadly, that we can understand Marguerite Duras. It is a lot to take on. And it may not be possible in each and every phase of life. Perhaps then the question is not: writing OR living? Not even: writing OR revolution? But rather: How can I contribute to political upheaval using my capabilities—that is, by writing? Though the separation of life from writing is false, it does fill a true need, which arises from the crisis-laden reality that everyone escapes and wants 169 Menschen Vorschub. So erzählt Marguerite Duras in ihrem poetologischen Essay „Schreiben“, dass sie nur isoliert literarische Texte verfassen könne, währenddessen keine Liebesbeziehungen sondern allerhöchstens Affären zu führen in der Lage wäre und niemals ihre unveröffentlichten Manuskripte herzeige, um sie mit jemandem zu besprechen. Doch gibt es nicht Umstände, die auch von Schriftstellern erfordern, etwas anderes zu tun, als einen Roman zu schreiben? Eine Beziehung zu erhalten? Vielleicht. Ein Kind zu bekommen? Sicher. Ein Haus mit anderen bewohnen? Kommt vor. Aber sich politisch organisieren, um die Revolution voranzutreiben? Das erscheint den meisten dann doch ein bisschen zu aufwendig. Die Wahrheit ist leider: Man kann Marguerite Duras verstehen. Das ist alles sehr aufwendig. Und es ist vielleicht nicht jedem und in jeder Phase des Lebens möglich, all das zu tun. Vielleicht lautet die Frage deshalb nicht: Schreiben ODER Leben?, auch nicht: Schreiben ODER Revolution?, sondern: Wie können Sie mit Ihren Möglichkeiten zur politischen Umwälzung beitragen, INDEM Sie schreiben? Die Trennung von Leben und Schreiben ist zwar „falsch“, entspricht aber einem „wahren“ Bedürfnis, das wiederum der krisenhaften Realität entspringt, der man entfliehen, von der man kein 170 no part of. I, too, began to write because I falsely assumed that writing is not work. But writing a novel is Work, and not, as I hoped, Not Work. Not only is it not Not Work, but sometimes I even think that artists train themselves in how to self-govern, a practice that can later be implemented in other arenas. We practice how to describe our work as pleasure and not as work, and if we don’t have fun, it’s our own fault. We practice how to not get paid for what we do for publications, readings and lectures—and we barely get paid for our published books. We practice how to constantly mobilize ourselves, how to be our own harshest critics, how to set the alarm willingly even on Saturdays and Sundays, how to establish timelines and develop objectives, how to network and apply for stipends, competitions, prizes and residencies, and, if that weren’t enough, how to create a financial basis for ourselves. We practice this not by choice—we are left with little choice. And when this doesn’t work out for everyone, which anyway it doesn’t for most—because it always seems that there are too many of us here, because it’s not in the plan that all who want to express themselves artistically and make a living from it will be able to do so, because the market shapes demand, because there is no basic income guarantee—then this we, which was never really one, splits apart. Some get a contract with a big publishing house, some go 171 Teil sein möchte. Auch ich habe mit dem Schreiben angefangen, weil ich fälschlicher Weise annahm, es sei keine Arbeit. Doch das Romanschreiben ist Arbeit und nicht, wie gehofft, Nichtarbeit. Es ist nicht nur nicht Nichtarbeit, manchmal denke ich sogar, dass Künstler Selbstregierungspraktiken einüben, die später in anderen Bereichen genutzt werden können: Wir üben, unsere Arbeit nicht als Arbeit zu bezeichnen, sondern als Lust, und wenn sie uns einmal keinen Spaß macht, sind wir selbst schuld. Wir üben, nicht bezahlt zu werden für das, was wir tun, nicht für unsere Textveröffentlichungen, Lesungen oder Vorträge, kaum bezahlt zu werden für unsere Buch-Publikationen. Wir üben, uns ständig selbst zu aktivieren, unsere stärksten Kritikerinnen zu sein, uns den Wecker freiwillig zu stellen, ihn auch an Samstagen und Sonntagen nicht auszuschalten, Timelines aufzuhängen, Zielvorgaben zu erarbeiten, zu netzwerken, uns um Stipendien, Wettbewerbe, Preise und Aufenthalte zu bewerben und uns so nebenbei unsere eigene Finanzierungsgrundlage zu schaffen. Wir üben das nicht freiwillig, uns bleibt nicht viel anderes übrig. Und wenn das alles nicht klappt, jedenfalls nicht für die meisten, weil wir hier immer zu viele zu sein scheinen, weil es nicht so gedacht ist, dass sich alle, die wollen, künstlerisch ausdrücken und davon leben können, weil der Markt die Bedürfnisse formt, weil es kein bedingungsloses 172 back to regular paid work or, as they say, get a “real” job, while others get money from their parents or grandparents. All this is an instruction manual for the start-ups of tomorrow. Or, better yet, we are the start-ups of tomorrow. And tomorrow is today. And though I’m doing what I want to be doing and it actually shouldn’t feel like a job, I feel empty and angry and confused with this constant selfevaluation, with grading myself up and down along with the others, most of whom mean well, who lead and take part in this critique, all so that I, in the meanwhile, can practice and prime myself for the criticism that will one day show up in the book reviews. Sometimes I’d like a punch card and cafeteria, like my father once had. Then I would greet the cafeteria lady every day by name, and she would greet me back, and my train would always head there and back, and, really sorry, but I’d never be able to pick up the kids. But I have no punch card and no cafeteria. I never even had an office. I have no children and no one else lives at home, and when I’m not there, it bothers no one. And the truth is, sadly, that in circumstances like these, negation doesn’t help much. So what to do? In the discourse about political 173 Grundeinkommen gibt: dann splittert dieses Wir, das nie eines war, und die einen gewinnen einen Vertrag bei einem großen Verlag, die anderen gehen lohnarbeiten, oder „richtig“ arbeiten, wie sie sagen, die dritten bekommen wieder Geld von Eltern oder Großeltern. All das sind Gebrauchsanleitungen für die Betriebe von morgen, oder besser: Wir sind die Betriebe von morgen. Und morgen ist heute. Und obwohl ich mache, was ich will und es sich eigentlich nicht nach Arbeit anfühlen sollte, fühle ich mich leer und durcheinander und aufgebraucht, werte mich ständig selbst aus und auf und ab und die anderen mit ihrer Kritik machen mit, machen vor, und die meisten meinen es gut mit mir, damit ich schonmal üben kann, damit ich vorbereitet bin, weil die Kritik spätestens in den FeuilletonRezensionen steht. Manchmal hätte ich dann gerne eine Lochkarte und eine Kantine, wie mein Vater sie gehabt hat, dann würde ich jeden Tag die Kantinenfrau mit Namen begrüßen und sie mich, und mein Zug führe immer dann und dann nach Hause und um die Kinder könnte ich mich so leider gar nicht kümmern. Aber ich habe keine Lochkarte und keine Kantine, ich habe noch nicht einmal ein Büro. Ich 174 literature, there is the notion that one can write “politically” without having to work and live politically. This is of course absurd, since one would never insinuate that a cashier practices “political cash collection”; a mason, “political wall building”; a bank employee, “political account opening”; unless they operated politically in their respective places of work—in other words, unless they understood their fate as something other than fate, and recognized and fought for their interests in the workplace, and joined forces with others to promote these interests. Yet this is precisely what “political writing” never means. It refers to the content, to the language, maybe even to how writers talk about their language, but not to collective cooperation in the work process. But so far my attempts to compose a piece of writing with others have come to nothing. If I ask around, people just smile back politely, then gracefully change the subject, and by the time I notice it’s always too late. This is not the artists’ fault. It’s a reaction to the reward system of the literary industry, which only rewards individuals. Authorship must remain discernable, dividable, discretely appraisable. By no means does “political literature” in this discourse mean collective action against one’s working conditions. With regard to this, the musician and transgender activist Terre Thaemlitz said: “The 175 habe auch keine Kinder und an dem Ort, an dem ich wohne, ist niemand und wenn ich nicht dort bin, stört es nicht weiter. Und die Wahrheit ist leider: Bei solchen Verhältnissen hilft Negation auch nicht viel weiter. iconic struggling artist who volunteers her work is a scab, but does not know it. If demanding payment for our labor means culture industries would collapse, then so be it.” Was also tun? In dem Diskurs von „politischer Literatur“ gibt es die Vorstellung eines „politischen“ Schreibens, ohne dass es ein „politisches“ Arbeiten, ein „politisches“ Leben geben müsste. Das ist absurd, würde man doch einer Kassiererin kein „politisches Kassieren“, einem Maurer kein „politisches Mauern“ und einem Postbankangestellten kein „politisches Kontoeröffnen“ unterstellen, würde er nicht an seinem Arbeitsplatz selbst politisch agieren, das heißt, sein Schicksal als kein Schicksal zu begreifen, seine Interessen am Arbeitsplatz erkennen und erkämpfen, sich zu diesem Zweck mit anderen zusammenschließen. This would all be very devastating if it weren’t, by deduction, telling us exactly what to do: to collaborate, to question our production conditions, to stop being complacent. Walter Benjamin said that “true literary activity cannot aspire to take place in a literary framework.” For that it might be necessary to write things other than the requisite and championed novel. Pamphlets, for example. Posters or postcards. For that it might be necessary to explore other means of production—self-publication, Ebooks, blogs—beyond the publishing world and its hierarchical paths that not everyone can climb. For that, ultimately, it might be necessary to interact and ally with others. Genau das ist jedoch mit „politischem Schreiben“ nie gemeint. Gemeint ist der Text, die Sprache, vielleicht noch die Kommunikation über die Sprache, jedoch nicht eine gemeinschaftliche Kooperation im Arbeitsprozess. In order to establish what is political literature today, in order to say whether someone writes politically, the question can’t be: Can I understand the workers? Or: Can the workers understand my poetry? But rather: Am I a worker? Bisher jedoch liefen jedenfalls meine Versuche, einmal einen Text zusammen mit anderen zu verfassen, ins Leere. Frage ich in die Runde, lächeln die Menschen milde, dann wechseln sie elegant das 176 177 Thema und ich merke es zu spät. Das ist den Künstlern nicht anzulasten. Es ist eine Reaktion auf die Anerkennungsmechanismen des Literaturbetriebs, der Würdigungen nur an Individuen vergibt. Die Autorenschaft muss dafür klar erkennbar, trennbar und einzeln bewertbar bleiben. Keinesfalls ist im Diskurs mit „politischer Literatur“ das gemeinschaftliche Handeln gegen die eigenen Arbeitsbedingungen gemeint. Der Musiker und transgender Aktivist Terre Thaemlitz sagt dazu: „Der ikonische, am Hungertuch nagende Künstler, der sich freiwillig ohne Lohn selbst verwirklicht, ist ein Streikbrecher, ohne dass er es weiß. Wenn Kulturindustrien zusammenbrechen, sobald wir angemessene Bezahlung für unsere Arbeit fordern, dann sei es eben so.“ Das wäre alles sehr niederschmetternd, ließe sich nicht daraus ableiten, was zu tun ist: Kollaborieren, die eigenen Produktionsbedingungen hinterfragen, nicht mehr hinnehmen. „Unter diesen Umständen kann wahre literarische Aktivität nicht beanspruchen, in literarischem Rahmen sich abzuspielen“, sagt Walter Benjamin. Dafür wäre es vielleicht nötig, anderes zu schreiben als den geforderten und geförderten Roman, Flugblätter zum Beispiel, Plakate oder Postkarten. Dafür könnte es nötig werden, andere Produktionswege 178 zu erforschen, Eigendruck, E-Books, Blogs, jenseits der hierarchischen Wege der Verlagswelt, auf die nicht jeder herauf zu kraxeln im Stande ist. Dafür wäre es, schlussendlich, nötig, sich mit anderen auszutauschen und zu verbünden. Um festzustellen, was politische Literatur heute ist, um zu sagen, ob jemand politisch schreibt, kann die Frage heute nicht mehr lauten: Kann ich die Arbeiter verstehen? Noch: Können die Arbeiter meine Gedichte verstehen? Sondern: Bin ich ein Arbeiter? 180 Sur 011 2 Ra c h e l , d l i h Rothsc y p u c c O : rd, 2 a v e l u o ild B h c s h t o R z t vo n Occupy u b erset ll e r : esem ü Ell e n W 011 I t began with one tent. A twenty-something film student claimed Rothschild Boulevard as her home after the latest hike in her Tel Aviv rent sent her packing. The boulevard is lined with Bauhaus buildings and trees, bars and banks, restaurants and apartments; its wide center strip has bike paths and benches, café kiosks and a few mini-dog parks. She plopped her nylon shelter down, there among the trees and bikes and many pedestrians. She put up a sign: “If I were a Rothschild…,” referring to the famous French baron and banker whose name was now her new address. Her name was Daphne Leef. Her cause: the rising cost of housing in Israel, which is eroding middle-class life. Soon she was joined by several friends. They, in turn, brought more friends. The media thought it cute and curious, and spotlighted them in a short segment, after covering serious matters like politics and defense and the weather. It was the summer of 2011, the summer after the Spring. That Spring, when tyrants in the Arab world started toppling from their high, sturdy perches. One after the other they came tumbling down, by the sheer fury of their subjects. The young were in the streets, in city squares not far from Tel Aviv, and they were setting the entire Middle East 184 E s begann mit einem einzigen Zelt. Eine Filmstudentin Mitte zwanzig erklärte den Rothschild Boulevard zu ihrem zu Hause, nachdem die jüngste Mieterhöhung sie aus ihrer Tel Aviver Wohnung gejagt hatte. Den Boulevard säumen Bäume und Bauhaus-Architektur, Bars und Banken, Restaurants und Mietshäuser; sein breiter Mittelstreifen beherbergt Fahrradwege und Bänke, Straßencafés und ein paar winzige Hundespielplätze. Dort ließ sie ihr Notdach aus Nylon fallen, zwischen den Bäumen und Fahrrädern und vielen Fußgängern. Sie stellte ein Schild auf: „Wenn ich ein Rothschild wäre…“, und spielte damit auf den berühmten französischen Baron und Bänker an, dessen Name nun ihre neue Adresse war. Ihr Name war Daphne Leef. Ihr Anliegen: Die steigenden Mieten in Israel, die das Leben der bürgerlichen Mittelschicht untergruben. Bald schlossen sich ihr ein paar Freunde an. Diese brachten weitere Freunde mit. Die Medien fanden das niedlich und kurios und porträtierten sie alle in einem kurzen Beitrag, nachdem sie über ernste Angelegenheiten berichtet hatten, wie Politik und Verteidigung und das Wetter. Es war im Sommer 2011, dem Sommer nach dem Frühling. Jenem Frühling, in dem die Tyrannen in 185 on fire. We Israelis watched them on our screens, with eyes wide and mouths open. The Arabs were angry, and for a change it wasn’t at us. They scared us. Mostly because we dreaded the aftermath. We had learned over the years that in this part of the world the bad can always be outdone by something much, much worse, especially when it comes to our neighbors’ governing regimes. Yet we felt them, those men and women setting themselves alight, standing together in defiance against their own governments, against their own armies—some of the most brutal in the world. Despite our worry and well-earned cynicism, they moved us. Shocked and impressed us. They had done something to the air in the Middle East that year. That thing. That mysterious, misshapen thing that academics will spend the next century trying to decipher and fit neatly into theory. Their stubborn, naïve, nationtransforming will, spreading east to west, invisible and contagious. And though as Israelis we excel at mentally detaching ourselves from the region we inhabit, it penetrated us. Punched a tiny hole in our chronic comatose state. There are limits—it seems—even to our geographic denial. Still it is our air. Still it is our neighborhood. Our fucking Middle East. And then, something radical happened. We also started shouting in the street. Within days hun- 186 der arabischen Welt begannen, von ihren hohen, robusten Thronen zu stürzen. Sie wurden gestürzt, einer nach dem anderen, durch die schiere Wut ihrer Untertanen. Die jungen Menschen gingen auf die Straße, versammelten sich auf öffentlichen Plätzen, unweit von Tel Aviv, und entzündeten einen Funken, der auf den ganzen Mittleren Osten übersprang. Wir Israelis sahen ihnen mit großen Augen und offenen Mündern vor unseren Bildschirmen zu. Die Araber waren wütend—und zur Abwechslung einmal nicht auf uns. Sie machten uns Angst. Vor allem, weil wir die Folgen fürchteten. Wir hatten über die Jahre gelernt, dass in diesem Teil der Welt das Schlechte immer von etwas viel, viel Schlechterem überboten werden konnte, besonders, wenn es um die Herrschaftssysteme unserer Nachbarn ging. Trotzdem konnten wir mit diesen Männern und Frauen mitfühlen, die sich anzündeten, die zusammenstanden im Ungehorsam gegenüber ihren Regierungen, gegenüber ihren Armeen, die zu den brutalsten der Welt gehörten. Trotz unserer Sorgen und unseres wohlverdienten Zynismus bewegten sie uns. Schockierten und beeindruckten uns. Sie hatten in diesem Jahr etwas in der Luft über dem Mittleren Osten verändert. Dieses Etwas. Dieses mysteriöse, unförmige Etwas, das Wissenschaftler noch hundert Jahre versuchen werden, zu dechif- 187 dreds of people joined Daphne on Rothschild. Soon thousands of tents sprouted throughout the city. In a country where yelling often replaces speaking, where speaking is more common than listening, and where reality television had recently drowned out both—a giant conversation erupted. And, for a change, it was not about war. It was not about peace. It was about the crushing cost of housing, the rising cost of food, the lack of affordable daycare, the widening income gap, the slow strangulation of our country’s middle class. The little student protest against housing prices ignited a national debate about dozens of issues, wide-ranging but all related somehow. It seemed that over the past few decades, while we were busy defending borders and fretting over terror, we forgot to notice that our social democracy had been privatized and sold. This wasn’t supposed to be our story—our grandmothers and grandfathers were commune-dwelling idealists. But their children and grandchildren acquired an American affliction, that religious fervor for consumption, so we traded our collective way of life for cheaper imported goods. In our longing to become America, we widened our once narrow gaps between rich and poor so that our income inequality is now one of the highest among developed nations. We were blinded by all the excitement about our robust economic growth, which gave us 188 frieren und feinsäuberlich in Theorie einzupassen. Dieser unbeugsame, naive Wille, der ganze Staaten verwandelte und sich von Ost nach West ausbreitete, unsichtbar und ansteckend. Und obwohl wir Israelis Experten darin sind, uns innerlich von der Region, in der wir leben, zu distanzieren, drang dieses Etwas in uns ein. Stanzte ein kleines Loch in unseren chronisch komatösen Zustand. Es schien, dass auch unsere geografische Verleugnung Grenzen hatte. Denn dies war noch immer unsere Luft. Noch immer unsere Nachbarschaft. Unser verdammter Mittlerer Osten. Und dann passierte etwas Einschneidendes. Auch wir fingen an, auf der Straße zu rufen. Innerhalb weniger Tage schlossen sich Daphne auf dem Rothschild Boulevard hunderte von Menschen an. Bald sprossen in der ganzen Stadt tausende von Zelten aus dem Boden. In einem Land, in dem Schreien oft Reden ersetzt, in dem Reden verbreiteter ist als Zuhören und in dem Reality-TV zuletzt beides übertönt hatte—fing plötzlich eine riesige Unterhaltung an. Und zur Abwechslung ging es einmal nicht um Krieg. Es ging nicht um Frieden. Es ging um die erdrückenden Mietpreise, die steigenden Lebensmittelpreise, das Fehlen bezahlbarer Kinderbetreuung, die sich weiter öffnende Einkommensschere, das allmähliche Abwürgen der bürgerlichen Mittelschicht unseres Landes. Der 189 some solace for our endless tribal wars. Growth and security rose to the top of national priorities while the idealism that built the nation was deemed not practical enough for survival mode living. We kept silent and swallowed the consequences—the price of progress, we were told. Silent until a bunch of kids in tents managed to wake us from our stupor. They held up a nation-size mirror and made us stare in fidgety discomfort at who we had become. And so, we began to pry ourselves from our flat-screen sedatives and airconditioned comfort and gathered outdoors. We remembered faintly that once we had done this more often, before hi-tech made us rich, before terror made us numb, before we became defined by an ugly occupation. We had read somewhere that once we were proud to be idealists. Suddenly talking about matters other than national security was not just legitimate—it was urgent. Suddenly looking inside became a national obsession, dominating every headline in this media-saturated little state. The news outlets in the country largely sympathized with the movement and made it their mission to make sense of the issues now on everyone’s mind. The movement’s growing list of grievances would have to transcend slogans and signs, or all claims would be dismissed as class warfare clichés, relics from another time. 190 kleine Studentenprotest gegen Mietpreise entfachte eine landesweite Debatte über dutzende Themen, die alle irgendwie zusammenhingen. Es sah so aus, als ob wir über die vergangenen paar Jahrzehnte, während wir damit beschäftigt waren, Grenzen zu verteidigen und uns über den Terror aufzuregen, vergessen hatten zu bemerken, dass unsere soziale Demokratie privatisiert und verkauft worden war. Unsere Geschichte aber hatte anders aussehen sollen—unsere Großmütter und Großväter waren Idealisten gewesen, die in Kommunen lebten. Ihre Kinder und Enkel aber hatten sich mit einer amerikanischen Krankheit angesteckt, mit dem religiösen Eifer nach Konsum, und so hatten wir unseren kollektiven Lebensstil gegen Billigimporte eingetauscht. In unserer Sehnsucht danach, Amerika zu werden, hatten wir den einst schmalen Spalt zwischen arm und reich so ausgeweitet, dass der Einkommensunterschied nun einer der größten unter den Industrieländern war. Wir wurden von der Begeisterung über unser robustes Wirtschaftswachstum geblendet, das uns ein wenig über unsere endlosen Stammeskriege hinweg tröstete. Wachstum und Sicherheit standen nun ganz oben auf der nationalen Prioritätenliste, während der Idealismus, der unseren Staat geschaffen hatte, als zu unpraktisch für den Überlebensmodus galt. Wir blieben stumm und schluckten die Konsequen- 191 Our journalists helped rescue the language of the movement from the bog of angry rants and empty tag-lines. They believed that information was crucial in this fight, that we would have to wrap our heads around the mechanisms forging our new way of life and to call them by name. They launched investigations, translated policy jargon, reduced comparative studies to bite-size news pieces. In a matter of weeks, the debate on Rothschild went from sensational to professional. Talk of war and celebrities were pushed to the back pages, while social and economic policy–those dry, numberheavy matters usually left to the academics—found their way to the spotlight. In reading and watching and listening to the news, we learned that our cost of living is one of the highest in the world and that our public housing per capita is one of the lowest in the world. We learned that as our government privatizes parts of our healthcare system, the poorer among us are becoming much sicker than the rich. We learned that our government gets kickbacks from real estate contractors instead of solving the housing shortage; that our mobile phone service rates are among the highest in the world and set by a price-colluding cartel; that our most respected economists for years have been railing about the cronyism in our system that is stifling competition and raising 192 zen— solches ist der Preis des Fortschritts, wurde uns gesagt. Stumm, bis eine Handvoll Kinder in Zelten es schaffte, uns aus unserer Benommenheit aufzuwecken. Sie hielten einen Spiegel hoch, in dem sich das ganze Land sehen konnte, und zwangen uns, mit Unbehagen auf das zu starren, was aus uns geworden war. Und so rissen wir uns langsam von unseren betäubenden Flachbildschirmen und unserer klimatisierten Behaglichkeit los und versammelten uns draußen. Wir erinnerten uns vage daran, dass wir das früher öfter getan hatten, ehe wir durch Hightech reich und durch Terror taub geworden waren, ehe uns eine hässliche Besetzung definierte. Wir hatten irgendwo gelesen, dass wir einst stolze Idealisten gewesen waren. Plötzlich war es nicht nur legitim, über andere Dinge als die nationale Sicherheit zu reden—es war dringend notwendig. Plötzlich wurde der Blick nach innen zu einer landesweiten Obsession, die jede Schlagzeile in diesem kleinen, mediengesättigten Staat dominierte. Die Nachrichtenkanäle des Landes sympathisierten weitgehend mit der Bewegung und machten es sich zur Aufgabe, die Fragen, die nun in aller Munde waren, auszubuchstabieren. Die wachsende Mängelliste, die die Bewegung erstellte, musste schon über Schlagworte und Symbole hinausweisen—sonst hätte man alle 193 prices—benefitting the very few at the expense of so many—to a largely silent room. We learned that while our incomes have increased over the past few decades, it has become much harder to own a home and support a family; that while we own more stuff than ever before, we have plunged a large part of our population into a type of poverty that we never knew before—and we had facts and figures to back all of this up. There is something fundamentally unacceptable to Israelis about the glaring inequality that American-style capitalism inevitably brings. Maybe it’s the remnants of the old socialist ideals of the generations before us. Maybe it’s that when you live in a state that demands so much of you, that asks you to devote the best years of your life to military service, you also need a state that gives something back. The neoliberal enterprise—and the extreme disparities that it nurtures—is corrosive to the unity essential in a country that demands so much collective sacrifice. There is something enraging about gross inequality in a country where almost every home has been hit by tragedy, where death and war scar the rich and poor equally. None of this was new—but we’d been distracted for so long with all our shopping and wars. That thing on Rothschild soon had a name: Social Justice, also known as J14—for July 14th, 194 Forderungen als Klassenkampf-Klischees abgetan, als Relikte aus einer anderen Zeit. Unsere Journalisten halfen, die Sprache der Bewegung aus einem Meer wütender Tiraden und leerer Slogans zu retten. Sie glaubten, dass Informationen in diesem Kampf ausschlaggebend wären, dass wir die Mechanismen, die unseren neuen Lebensstil formten, durchschauen und beim Namen nennen müssten. Sie recherchierten, übersetzten Politiker-Jargon, bereiteten Studien in mundgerechten Nachrichten-Häppchen auf. Innerhalb weniger Wochen wurde die sensationslustige Debatte über den Rothschild Boulevard sachlich. Krieg und Promis wurden auf die hinteren Seiten verbannt, während soziale und wirtschaftspolitische Fragen—diese trockenen Themen voller Zahlen, die gewöhnlich Akademikern überlassen werden—ins Scheinwerferlicht rückten. Wir lasen, sahen und hörten die Nachrichten und erfuhren so, dass unsere Lebenshaltungskosten zu den höchsten der Welt zählten, und dass die Zahlen für unseren sozialen Wohnungsbau pro Kopf die niedrigsten der Welt waren. Wir erfuhren, dass die Tarife unserer Mobilfunkanbieter von einem Preiskartell festgelegt werden, und dass, weil die Regierung Teile unseres Gesundheitswesens privatisiert, die Ärmeren unter uns kränker werden als die Reichen. Wir entdeckten, dass sich unsere 195 Daphne’s first night in the tent. It had a slogan: “The People Demand Social Justice,” chanted to the melody made popular by the protestors in Cairo’s Tahrir Square, an homage to our brave neighbors in the east, the ones who had brought a dictator down just months before. Within weeks it had the support of more than two thirds of the population. It had become way too big for Daphne and friends to manage alone. So they asked for help, for volunteers of every kind, and the public responded. Internet professionals took over the website, fundraisers sought donations, advertisers and PR people managed the movement’s promotion. Production professionals handled the logistics of the large-scale rallies. Lawyers fought for demonstration permits; consultants crafted strategies. Many brought furniture and food, or toolboxes from home to build tent-city infrastructure. Academics and policy experts typed away at their computers, helping movement leaders create a list of demands, proposals for reforms in education and housing, healthcare and daycare. They devised real goals from the mass anger on the street, specific and achievable. In the unforgiving Middle East heat, thousands from around the country flocked to see the spectacle at Rothschild—part rally, part Woodstock, part Indian mela. They came from Haifa and Jerusalem, 196 Regierung den Immobilienunternehmen andient, statt die Wohnungsnot zu lösen; dass unsere Wirtschaftsexperten jahrelang über Korruption und Wettbewerbsverzerrungen geschimpft hatten—größtenteils ins Leere hinein. Wir erfuhren, dass es viel schwerer geworden war, ein Haus zu besitzen und eine Familie zu ernähren, obwohl unsere Einkommen über die vergangenen paar Jahrzehnte gestiegen waren; dass wir, obwohl wir mehr besaßen als jemals zuvor, einen Großteil unserer Bevölkerung in eine Armut gestürzt hatten, die wir noch nicht kannten—und wir hatten Zahlen und Fakten, um all dies zu belegen. Für Isrealis ist die schreiende Ungerechtigkeit, die der Kapitalismus amerikanischen Stils zwangsläufig mit sich bringt, grundsätzlich nicht zu akzeptieren. Vielleicht liegt das an den Überresten der alten sozialistischen Ideale früherer Generationen. Vielleicht braucht man—wenn man in einem Staat lebt, der einem so viel abverlangt, der von einem erwartet, die besten Jahre seines Lebens der Armee hinzugeben—einen Staat, der auch etwas zurückgibt. Das neoliberale System—und die extremen ökonomischen Unterschiede, das es nährt—zerrüttet die unentbehrliche Einheit eines Landes, das so viele gemeinschaftliche Opfer verlangt. In einem Land, in dem fast jede Familie von einer Tragödie heimgesucht wurde, in dem Tod 197 from the suburbs and the desert. They were young and old, conservative and liberal, educated and not. They brought their friends, their children, their parents, their pets and sometimes their tents. There was food and coffee and port-a-potties and hookahs. There were drumming circles and folk singers with acoustic guitars. Generators powered open mics and amplifiers. Battery-powered laptops projected documentary films about the crisis of capitalism for spectators of all ages. Some watched in rapture on dirt floors while others walked by, pausing for a few moments before heading to the next station down the street. Each block had a lounge area with old mattresses, sofas, lounge chairs and straw mats. The schedule for all events was updated daily on the protest website via Google calendar. Flyers and posters were tacked to trees and tents. One poster displayed photos of the oligarchs that control most of the nation’s wealth next to a list of the companies owned by each of them. They were the names on all our bills—food, communications, transportation, utilities, insurance—showing passers-by that the bulk of our paychecks are funneled into the pockets of a handful of families. Soon there were tents in every major city and in several towns. Saturday nights were set aside for the rallies, each one drawing thousands, sometimes tens and hundreds of thousands. On August 6, 2011, just three 198 und Krieg bei Armen und Reichen gleichermaßen Narben hinterlassen haben, machte diese massive Ungleichheit wütend. Nichts von alledem war neu—wir waren nur so lange abgelenkt gewesen mit unserem ganzen Shopping, unseren Kriegen. Die Sache auf dem Rothschild Boulevard hatte schnell einen Namen: „Soziale Gerechtigkeit“ oder auch „J14“, für den 14. Juli, Daphnes erst Nacht im Zelt. Sie hatte eine Parole: „Die Bevölkerung verlangt soziale Gerechtigkeit“, gerufen mit der Melodie, die von den Demonstranten auf dem Tahir-Platz in Kairo verbreitet worden war, eine Hommage an unsere mutigen Nachbarn im Osten, die nur einige Monate zuvor einen Diktatoren gestürzt hatten. Innerhalb weniger Wochen hatte die Bewegung die Unterstützung von mehr als zwei Dritteln der Bevölkerung. Sie war viel zu groß geworden, als dass Daphne und ihre Freunde sie allein bewältigen konnten. Also baten sie um Hilfe, um Freiwillige jeder Art, und die Öffentlichkeit reagierte. Computerprofis übernahmen die Webseite, Fundraiser sammelten Spenden, Werber sowie Presse- und Öffentlichkeitsarbeiter promoteten die Bewegung. Organisatoren kümmerten sich um die Logistik der groß angelegten Demos, Anwälte kämpften um Demonstrationsgenehmigungen, Berater entwickelten Strategien. Viele Menschen brachten Möbel und Essen oder Werkzeugkästen 199 weeks after the first tent on Rothschild, almost 8% of the population of Israel took to the streets of Tel Aviv and other cities. This was the largest number of Israelis that had ever left their homes on one night to protest anything—about 430,000 people— surpassing the monumental demonstrations of the 1990s, when the Oslo peace process bitterly divided the nation. This was greater than the massive demonstrations sweeping over Spain—a country with six times our population. Protests smaller in size had just managed to overthrow several autocrats nearby. It was one of the most impressive feats of nonviolent dissent of our time, way too big for any government to ignore. Under mounting pressure, Prime Minister Netanyahu appointed an independent committee to appease the protestors. The committee chair was Manuel Trajtenberg, former chief economic advisor to the prime minister and a Harvard-trained professor of economics. Its mission was to evaluate the Israeli economy and to recommend reforms that would mitigate both income inequality and the rising cost of living—and to do so quickly. In an attempt to include the protest movement in this process, the committee invited twenty activists to appear before it. But while Trajtenberg and his colleagues worked speedily behind closed government doors, the movement outside continued to grow. 200 von zu Hause, um eine Infrastruktur für die Zeltstadt zu bauen. Akademiker und Politikexperten schrieben so schnell sie konnten, um den Führern der Bewegung zu helfen, eine Liste von Forderungen zu erstellen, Reformvorschläge für Bildung und Wohnen, Gesundheitswesen und Kinderbetreuung. Aus dem Volkszorn der Straße entwickelten sie realistische Ziele, konkret und erreichbar. Unter der erbarmungslosen Hitze des Mittleren Ostens strömten Tausende aus dem ganzen Land auf den Rothschild Boulevard, um das Spektakel zu sehen—eine Mischung aus Demo, Woodstook und indischer Mela. Sie kamen aus Haifa und Jerusalem, aus den Vororten und der Wüste. Alt und jung, konservativ und liberal, mit und ohne Ausbildung. Sie brachten ihre Freunde mit, ihre Kinder, ihre Eltern, ihre Haustiere und manchmal auch ihre Zelte. Es gab Essen und Kaffee und Dixiklos und Schischas. Es gab Trommelgruppen und Folksänger mit Gitarren. Generatoren lieferten den Strom für Verstärker und Open Mikes, batteriebetriebene Laptops zeigten Dokumentarfilme über die Krise des Kapitalismus für Zuschauer jeden Alters. Manche schauten begeistert auf dreckigen Böden sitzend zu, andere gingen nach wenigen Augenblicken weiter, eilten die Straße hinunter zum nächsten Stand. Jede Querstraße hatte einen Loungebereich mit alten Matratzen, 201 W e read the papers and argued with friends. We listened to talk radio during our daily commutes. We went to rallies on the weekends. We kept coming to Rothschild, still the beating heart of the movement, thousands each week, usually in the evenings, still hot and humid despite the setting sun. We sat on sidewalks as sweat dripped down our skin and listened to speakers use words like social justice and distribution of wealth. Words that our grandparents believed in but that our parents had brushed aside. Words that our generation—until last summer, anyway—had barely said out loud. There were lectures and meetings almost every night on Rothschild. One night leading academics from the U.S. and Europe spoke via Skype about models for mixed-income urban housing, their faces projected onto a makeshift white screen. Another night, Yarom Ariav, the former director general of the Ministry of Finance, sat before us in a dusty black leather armchair. He gave a detailed lecture about which exact changes in the national budget were truly possible, given Israel’s high defense and public sector spending, because the money for social justice has to come from somewhere. We sat crosslegged on the ground, stood underneath the trees, listened, asked questions, raised hands and took turns. We challenged him about the 90s reforms that exacerbated income inequality. He defended 202 Sofas, Polstersesseln und Strohmatten. Der Stundenplan für Veranstaltungen auf der Webseite der Bewegung wurde täglich mit Google-Kalender aktualisiert. Flugblätter und Poster wurden an Bäume und Zelte geheftet. Auf einem der Poster waren Fotos der Oligarchen zu sehen, die die Mehrheit des Reichtums im Land kontrollieren, daneben eine Liste mit den Firmen, die ihnen gehören. Die Firmennamen standen auf all unseren Rechnungen—für Lebensmittel, Kommunikation, Transport, Nebenkosten, Versicherungen—und bewiesen den Passanten, dass der Großteil unseres Lohns in die Taschen einiger weniger Familien floss. Bald gab es Zelte in jeder Großstadt und in mehreren Kleinstädten. Die Samstagabende waren Kundgebungen vorbehalten, die jedes Mal Tausende, manchmal Zehn- und Hunderttausende anzogen. Am 6. August 2011, nur drei Wochen, nachdem das erste Zelt auf dem Rothschild Boulevard aufgeschlagen worden war, gingen fast acht Prozent der israelischen Bevölkerung auf die Straßen in Tel Aviv und anderen Städten. So viele Israelis waren noch nie an einem einzigen Abend auf die Straße gegangen, um gegen irgendetwas zu protestieren—es waren etwa 430.000 Menschen, mehr als auf den Großdemonstrationen der 90er, als der Osloer Friedensprozess das Land bitterlich spaltete. Größer als die Mas- 203 the changes but admitted where, in hindsight, things had gone wrong. Moderators supervised the charged audiences and intervened when angry outbursts threatened to morph the discussion into something destructive—and all too familiar. The movement organizers had developed a vocabulary of hand symbols, a sort of sign language, to teach us how to communicate without shouting. We swallowed our cynicism and awkwardly attempted to speak a new regional dialect. Summer started waning and soon October came. The Trajtenberg committee had completed their work, having handed over its final report to parliament during the last week of September. Its recommendations impressed even the harshest of critics; the prime minister swore that change would soon come. Professor Trajtenberg addressed the protesters with the following promise: “There is no chance that the government will bury the report— the protest movement is too strong.” Prodded by the police, we packed our tents and went home. Winter was on its way. Then another spring and summer, less hopeful than before. The Arabs awoke to the revolution Morning After. Their to-do list was long—there were leaders to elect, institutions to build, order to restore. We in Israel had reports and promises, and the same leaders as before. Soon there was terror in the Negev, a bombing in Bul- 204 sendemonstrationen, die Spanien erfassten—einem Land mit sechsmal so vielen Einwohnern. Zahlenmäßig kleinere Proteste hatten nebenan gerade mehrere Autokraten gestürzt. Dies war eine der eindrucksvollsten Bekundungen von gewaltfreiem Widerstand unserer Zeit, keine Regierung konnte sich erlauben, sie zu ignorieren. Unter steigendem Druck ernannte Premierminister Netanyahu eine unabhängige Kommission, um die Demonstranten zu beschwichtigen. Der Vorsitzende der Kommission war Manuel Trajtenberg, ehemaliger Wirtschaftsberater des Premierministers und Professor für Wirtschaftswissenschaft, der in Harvard promoviert hatte. Die Aufgabe der Kommission war es, die israelische Wirtschaft zu evaluieren und Reformen zu empfehlen, die beides entschärfen würden: die Einkommensungleichheit und die steigenden Lebenshaltungskosten—und zwar schnell. Um die Protestbewegung in diesen Prozess einzubeziehen, lud die Kommission zwanzig Aktivisten zur Aussprache ein. Doch während Trajtenberg und seine Kollegen zügig hinter geschlossenen Regierungstüren arbeiteten, wuchs die Bewegung draußen immer weiter an. W ir lasen die Zeitung und diskutierten mit Freunden. Auf dem Weg zur Arbeit hörten wir die Nachrichtensender im Radio. An 205 garia, the Muslim Brotherhood takeover in Egypt next door, across the street an Iran with nuclear ambitions—enough fear all around to retreat and stay indoors. As the Arabs started fighting to fill the new power vacuums, we began bracing for the next round of war. den Wochenenden gingen wir auf Kundgebungen. Wir kehrten immer wieder auf den Rothschild Boulevard zurück, das pochende Herz der Bewegung, Tausende kamen jede Woche, meist abends, wenn es noch heiß und schwül war, obwohl die Sonne schon untergegangen war. Wir saßen auf den Bürgersteigen, während uns der Schweiß hinunterlief und hörten Rednern zu, die Worte wie „soziale Gerechtigkeit“ und „Umverteilung des Vermögens“ gebrauchten. Worte, an die unsere Großeltern geglaubt, die unsere Eltern aber beiseite geschoben hatten. Worte, die unsere Generation—bis zu diesem Sommer, jedenfalls—kaum laut ausgesprochen hatte. Auf dem Rothschild Boulevard gab es fast jeden Abend Vorträge und Treffen. Einmal sprachen führende Akademiker aus den USA und Europa per Skype über städtische Wohnungsbauprogramme für unterschiedliche Einkommen. Ihre Gesichter wurden auf eine provisorische, weiße Leinwand projiziert. Ein anderes Mal saß der ehemalige Generaldirektor des Finanzministeriums in einem staubigen, schwarzen Ledersessel vor uns. Er hielt einen detaillierten Vortrag über die spezifischen Änderungen, die angesichts der hohen Ausgaben für Verteidigung und öffentlichen Dienst in Israels Staatshaushalt möglich seien—irgendwo muss das Geld für soziale Gerechtigkeit schließlich herkom- 206 207 men. Wir saßen im Schneidersitz auf dem Boden, standen unter den Bäumen, hörten zu, stellten Fragen, meldeten uns und ließen uns gegenseitig zu Wort kommen. Wir kritisierten die Reformen der 90er, die die Einkommensunterschiede verschärft hatten. Er verteidigte die Veränderungen, gab aber rückblickend Punkte zu, an denen Dinge schiefgelaufen waren. Moderatoren begleiteten das emotionsgeladene Publikum und schritten ein, wenn wütende Ausbrüche drohten, die Diskussion ins Destruktive zu kippen—etwas, das wir nur all zu gut kannten. Die Organisatoren der Bewegung hatten ein Vokabular aus Handzeichen entwickelt, eine Art Zeichensprache, mit der wir uns ohne Schreien verständigen konnten. Wir schluckten unseren Zynismus und versuchten ungelenk, diesen neuen Dialekt der Region zu sprechen. Der Sommer neigte sich dem Ende zu, bald kam der Oktober. Die Trajtenberg-Kommission hatte ihre Arbeit beendet und dem Parlament in der letzten September-Woche einen Abschlussbericht überreicht. Ihre Empfehlungen beeindruckten selbst die schärfsten Kritiker; der Premierminister schwor, dass es baldige Veränderungen geben würde. Professor Trajtenberg wandte sich mit folgendem Versprechen an die Demonstranten: „Die Regierung kann diesen Bericht nicht vergraben— die Protestbewegung ist zu stark.“ Angeschubst von 209 der Polizei packten wir unsere Zelte und gingen nach Hause. Der Winter nahte. Dann ein neuer Frühling und Sommer, weniger hoffnungsvoll als im Jahr zuvor. Die Araber erlebten den Katzenjammer der Revolution. Ihre Aufgabenliste war lang—Regierungen mussten gewählt, Institutionen gegründet, Ordnung wiederhergestellt werden. Wir in Israel hatten Berichte und Versprechen und die gleiche Regierung wie zuvor. Bald folgten Terror in der Negev-Wüste, ein Bombenanschlag in Bulgarien, die Machtübernahme der Muslimbruderschaft im benachbarten Ägypten, gegenüber ein Iran mit atomaren Ambitionen—überall genug Angst, um sich zurückzuziehen und zu Hause zu bleiben. Als die Araber anfingen, um die neuen Machtvakuen zu kämpfen, machten wir uns langsam für die nächste Kriegsrunde bereit. 211 : rüh auf F d i v a rspiel) D e d n i K n. (Ein e b e l t r o f Child ’s ( . e f i l after Play) io n b y t ra n s la t wsk i M ako M ic h a e l 214 Bühne ist Raum, d.h. jeglicher, auch Körper, Gestik, Mimik und Sprache; ist also Text (folgender, der doch nur Anlass und Reizwörter bildet, demnach auch verworfen, gestrichen oder umgeschrieben werden kann), den es zu füllen gilt, zu erfüllen, in jeglicher Hinsicht (in Eurer, in keiner), von wem oder was oder wie vielen auch immer, während sich die Zeit auf die Dauer von etwa Jetzt bist Jetzt beläuft. Mehr sei dazu nicht gesagt. Stage is space, meaning every space, even the body, gestures, facial expressions and language—it is text (The following, which is only an occasion for emotive words that can be rejected, stricken or rewritten) a text that needs to be filled, fulfilled in every respect (in yours, in none) by whom or what or however many, while time lasts from about Now till Now. Nothing more shall be said. Hänschn / Gretchn: Ich bin neun Jahre alt, etwa 1,40 Meter groß, habe blondes, langes Haar und als ich zuletzt gesehen wurde, trug ich eine graue Jogginghose und ein gemustertes T-Shirt. Meine Augenfarbe ist braun, und die Zeit ist mir stehengeblieben. Ich habe eine Vergangenheit und ein unbestimmtes Jetzt. Jetzt, früher, später, ja, ganz bestimmt, irgendwie, irgendwann. Reihum dann, im Kreis, so spielt’s sich, so spielt es sich von selbst. Die Abläufe, sie spielen auch mit. Oder spielen mich und verlaufen nebenher. Also verlaufen sich, und ich: Ich habe vieles vergessen und wenig erfahren. Dabei bleibt es, nicht nur Jetzt. Wenn Sie mich sehen, melden Sie sich umgehend. Ihr Umgang selbst kann gut oder schlecht sein, ist jedoch von größter Bedeutung. Umgehen Sie es daher Hans’l/Gret’l: I’m nine years old, about four and half feet tall, have long blond hair and when I was last seen, I was wearing gray sweatpants and a checkered shirt. My eye color is brown, and my time has run out. I have a past and an indefinite now. Now, earlier, later… Yes, definitely, somehow, in sometime. In turn then, in a circle, so as to play, so it plays itself, the order, playing with it too, or play me, yes, and run alongside. Till they go astray. And me? I have experienced little and forgotten much. That’s how it is, not just Now. If you see me, notify the authorities. Your actions may be fortified or compromised, but it is the highest priority in a surfeit of priorities. So please don’t forfeit. Every second counts. Every clue, the smallest indication of my whereabouts grows more critical by the minute. An hour. A Morning. At some point it will be written in my face and nothing will be lacking anymore, neither 215 nicht, denn jeder Hinweis kann Sekunden bedeuten, jede Angabe meines Aufenthalts vielleicht sogar mehr. Eine Stunde. Ein Morgen. Irgendwann wird es in mein Gesicht geschrieben sein und es wird an nichts mehr fehlen, weder Richtung noch Weg, weder vorwärts noch ruckwärts, doch das sagt sich so leicht. Leichter wird es wohl nie. Nie mehr. Oder war es das jemals. Gab es das früher. Ein einfaches Sprechen. Ein Verlauten der Dinge. Ein Bewusstsein, in dem ich verlässlich die Routen erkannte, denen zu folgen war. Als gäbe es das, gäbe es das wirklich, denn wem wäre zu folgen. Und wem noch zu weisen. Ihnen nicht, mir nicht, ene, mene, muh, und kein Wort sagt mehr bleiben, keines zeigt heimwärts. Die Sehnsucht, dass es doch nicht so sei, sondern anders. Wohin also, und wie lange ist das noch möglich. Seit Tagen kein Licht mehr gesehen, und die beständige Frage, ob es noch länger andauern kann. Ich habe versucht, mich Punkten zu nähern, ein wenig zumindest, im Taumeln, in Sprüngen, ganz schwerelos. Sehen Sie, mal hierhin, mal dorthin, richtungs- und ziellos, wie nahezu träumend, fliehend und fliegend, ein Müller am Wandern—bis ich dann schwankte, stolperte, fiel. Wie lange das alles her ist. Wie lange das alles bereits her sein muss. Als ich wieder auf die Beine kam, Boden unter meinen Füßen hätte, 216 direction nor path, neither forward nor backwards, but that’s easy to say. It won’t get any easier. Never again. Or was it ever. Was it? Did it exist before? A simple speech. An announcement of how things stood. Has there ever been an awareness, in which I consistently recognized the safe path I was to follow? As if there really were such a thing as a safe path… Yet whom should one follow? And point the way for whom? Not for you, not for me, eeny, meeny, miney moe, and not a word says to remain, and none point homeward. There is a longing for it to be, not like this, but different. So where to go, and how much longer is this possible? No light for days, and the question, how long can this continue, lingered. I tried to approach certain points, a little at least, in the tumbling and jumping, completely weightless. You see, now here, now there, without direction and no goal—almost like dreaming, flying, fleeing, a wandering miller—I drifted until I swayed, stumbled and fell. How long ago it is. How long ago it must be already. When I come to, my feet come to the ground, ungrounded. It was evening, forever, in the outskirts on the fringe of forest. My feet ran over sticks and stones, yes, they ran and ran and they took me away, as if of their own accord, all on their own. Covering up scrapes with moss as if I still had something to hide. You ask whether I miss that (if you were to ask me) or just imagined it. I put myself in a false light, the image not quite. Once more arriving and back once again, look around, illude me, yet once again, just make it once, me, 217 sicheren oder auch nicht, war es Abend, für immer, am Stadtrand, am Waldrand, und sie liefen über Stock und über Stein, ja, liefen und liefen und brachten mich fort, ganz wie von selbst, wie von allein. Schurfwünden mit Moos bedecken, als hätte ich noch etwas zu verbergen. Ob ich das vermisse, fragen Sie (wenn Sie mich denn fragen würden), oder mir doch nur einbildete. Mich ins falsche Bild setzte, ins falsche Licht rückte. Noch einmal zurück- und ankommen, noch einmal umsehen, mich noch ein einziges Mal täuschen lassen. Ein einziges Mal nur mich enttäuschen, dafür jedoch ganz und gar. Vollkommen. Absolut. Etwas muss schließlich unternommen werden, irgendetwas muss doch getan werden, irgendwas muss doch getan werden können. Ich trug Ohrringe und einen schwarzen Rucksack, den man Tage danach in der Nähe eines Flusses fand. Weitere Spuren verliefen sich oder brachen bereits nach wenigen Metern wieder ab, trotzdem will man die Hoffnung nicht aufgeben. Man hebt sie besser noch auf, in Kisten, in Schränken, verwahrt sie, für härtere Zeiten, um sie aufs Neue zu sichten und verklären zu können. Dabei an Glücklicheres denken, um die Zeit zu überbrücken, und die wiederholte Frage, ob es so etwas je gab. Damals vielleicht, doch ich weiß nichts davon, weiß nichts mehr darüber, denn was heißt 218 disillusioned, and evermore. Complete. Absolute. Something must finally be taken under… something must be done. Anything that can be done must be done. I wore earrings and a black rucksack, which was found days later near the river. Other traces ebbed away, or were abandoned after a few meters; nevertheless, one does not want to give up hope. Understand that it’s best to keep it in the boxes and cupboards and save it for darker days so you can sift through again and romanticize. Here, to pass the time, think of happiness and the repeated question, was there ever such a thing? Back then, perhaps, but I know nothing about it, do not remember anything about it, because what’s “back then”? What’s this word from a language that is foreign to me, supposed to mean? Once upon a time. Time upon. What from then, remains still. I never learned to talk about it, spoke only soap, bubble, mother, said stone, smash, father, and I heard no other words to schlep-herd me with the comforts of their flocking sounds. Call, clang, resound; signals resonating with something mundane, familiar, some thing like nothing. None of it will remain forever. None of this has to persist. Take with you what needs to be kept. Tell us what was heard. Every clue can be significant. It will be examined carefully. There is little to lose, and it is small and fading, hardly worth mentioning: the belief in something that might have the ability to endure. Other days, one wishes for certainty, even though one always thought one knew. I had eyes that poked along the 219 das, damals, dieses Wort einer Sprache, die mir fremd geblieben ist. Bleibendes Damals. Damalige Bleibe. Was von damals übrigblieb. Ich habe nie darüber sprechen gelernt, sagte nur Seife, Blase, Mutter, sagte Stein, Schlag, Vater, und keine anderen Worter ließen von mir hören, hüteten mich wohler in ihrem Klang. Schall, Ton, Klang; Signale, in denen etwas anklingt, etwas Zeitliches, Vertrautes, etwas wie nichts. Nichts davon muss ewig halten. Nichts davon wird ewig währen. Nehmen Sie mit, was zu behalten ist. Teilen Sie mit, was sich vernehmen lässt. Alles kann bedeutend werden, jeder Hinweis wird sorgsam geprüft, denn zu verlieren gibt es wenig, schwindend gering, beinahe kaum Rede wert. Der Glaube an etwas, das noch Bestand haben konnte. An anderen Tagen wünscht man sich Gewissheit, auch wenn man immer schon zu wissen meinte. Ich hätte Augen, die am Boden entlang tasteten und kam doch nur Schritt für Schritt voran. Zwang mich dazu, ohne zu vertrauen, dass es so noch weitergehen könnte. Um nicht mehr daran zu denken, um nicht noch mehr sehen zu müssen, streute ich mir schließlich Sand in die Augen, und verrieb ihn darin, bis wirklich nichts mehr zu entdecken war. Kein Boden, kein Grund, kein Ziel und dennoch das Wissen von einem Ende der Nacht. Ich erinnere mich nicht, je 220 ground, and even so, only made progress by poke and grope, with no other choice, into the darkness. In order not to think about it, to not have to see more, I sprinkled sand in my eyes, rubbing it in until there was really nothing more to discover. No ground, no reason, no goal, and yet a knowledge that the other end of the night was waiting. I do not remember having ever felt a longing for this kind of excitement. Why did they not let me sleep in peace till all was quiet again? Only differently, without tears without disappointment, it would never have come this far, and my beloved parents could have had a hundred better children, but so it was, and I was, and was one of many; we were father, mother, children, a pack of wolves, but it’s a very hard winter, when a wolf, a wolf, a wolf that eats another is a wolf, a wolf, a wolf, that eats another. How hard it is not to cry when I sing, when I pray for God to protect me while I sleep, and call me eternally: child. Ever, ever, this continuous condition: a snapshot runs its course, losing its way and in time, really just rushing to its conclusion. In a knick of time, to the exact Oh! Clock, and always at that stroke ticking me off, like a surging snap of a sail, time overtakes me. What would it mean to be a child when childhood is concluded, and nonetheless is, still excluded? How many slices must one make to begin to cut through the threads and finally be set free? I could fall into a precarious place, you say, but I already know what it means to fall from grace. They gave me arms to use as a shovel, legs for wandering, and a head to run 221 eine Sehnsucht nach dieser Art von Aufregung verspürt zu haben. Warum hat man mich nicht ruhig schlafen lassen, bis alles wieder still gewesen wäre. Es wäre nie so weit gekommen, nur anders, ohne Tränen, ohne Enttäuschung, und meine lieben Eltern hätten hundert bessere Kinder haben konnen; doch so wurde und war ich, und war eines unter vielen; wir waren Vater, Mutter, Kinder, ein Rudel wilder Wölfe, doch ein sehr harter Winter ist, wenn ein Wolf, ein Wolf, ein Wolf, den andren frisst, ein Wolf, ein Wolf, ein Wolf, den andren frisst. Wie schwer es ist, nicht zu weinen, wenn ich singe, wenn ich bete, dass Gott mich behüten möge, während ich schlafe, und mich ewig Kind nenne. Ewig, ewig, ein fortlaufender Zustand. Eine Momentaufnahme, die sich verläuft, und mit der Zeit doch nur einem Abschluss entgegen hetzt. Pünktlich, auf die Minute genau und immer in der Zeit, denn sie läuft, sie drängt, sie vergeht, vergeht sich an mir. Was ein Kind sein hieße, wenn die Kindheit abgeschlossen und doch außen vor gelassen wurde. Wie viele Schnitte man ansetzen müsste, um die Fäden durchzuschneiden und endlich loszulassen. Ich könnte in eine unsichere Lebenssituation fallen, meinen Sie, doch weiß ich bereits, was es bedeutet, am Boden zu sein. Man gab mir Arme, um sie als Schaufel zu benützen, 222 into walls. I have dug myself a hole and there sought a reason. I remain there and have taken off my shoes and made a pillow of sand where I lie. It took me years to find my way back to the light. I would have liked there, right there, to put a period to it, and then because of the silence, this bye and bye, called farewell. Dot, dot, dash, dash, first a final stroke is drawn, done, but what crosses it, what keeps crossing it out? I would gladly have reinforced the notion that a story could not begin until it had a place to end: It used to be, once upon a time—it was and is perhaps still not yet ready. It was and still is—what may lie between these words. And what after them? What was before? I started again and again to tell the tale and yes, I am already failing. How many more times will this occur? How many more times is it possible, and how many tenses will I require before this will have been over? An act of violence cannot be ruled out, a large-scale manhunt has been launched. People said I was a happy child and that I lacked for nothing, was given lots of attention, and that I was very much loved, unconditionally. Bit by bit, day-by-day, blow for blow, a life of hand to mouth, and in each ear a burst of good advice. Assistance is still urgently requested. I can yell for help, get help, run away. I should stick close with people I know, and be aware of my surroundings. I must be well behaved. Fear is my friend. Don’t talk to strangers. Strangers are all the people that do not know my parents. Strangers are all the people who only know the names of my parents. If I notice something, or if 223 Beine, um zu wandern und einen Kopf, um damit gegen Wände zu laufen. Ich, ich habe mir ein Loch gegraben und einen Grund darin gesucht. Bin darin liegen geblieben, habe die Schuhe ausgezogen und mir ein Kissen aus Sand geformt. Es brauchte Jahre, um mir den Weg ans Licht zurück zu zeigen. Gerne hätte ich dort, genau dort, einen Punkt gesetzt, danach, der Stille wegen, und dies dann Abschied und Leb wohl genannt. Punkt, Punkt, Strich, Strich, ist erst einmal ein Schlussstrich gezogen, fertig, doch was kreuzt ihn, was streicht ihn immer noch aus. Gern hätte ich den Eindruck verstärkt, dass eine Erzählung erst dort beginnen kann, wo etwas endet: Es war einmal, es war einmal—es war und ist vielleicht dann doch noch nicht soweit. Es war und ist—was mag noch zwischen diesen Wörtern liegen. Und was danach. Was davor. Ich setzte wieder und wieder zum Sprechen an und bin ja doch bereits daran gescheitert. Wie viele Male das noch vorkommen wird. Wie viele Male das noch möglich ist und wie viele Zeitformen ich gebraucht haben werde, ehe dies vorbei gewesen sein wird. Eine Gewalttat kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, eine großräumige Fahndung wurde eingeleitet. Man sagte, ich sei ein glückliches Kind gewesen, und dass es an nichts fehlte, dass es mir an nichts fehlte, dass mir die nötige Liebe und 224 someone talks to me I can talk about it. I have to be quiet. I decide for myself. I may accept no gifts. I have to go my way firmly and learn to finally make my own decisions. I know where to meet my friends. I can enter any approved place of my choice, then leave it or remain. I am allowed to roam freely, but must be back home in time. No excuses or distractions, no more games. No swearing, no whining. I must go to bed right away. I have the right to remain inviolate. I have every reason to, every reason for, while every reason against. I have my reasons. In me there is no property. I can arbitrarily dispose over or of myself, transfer myself in part or in whole to others or definitely forgo doing so. I have to rely on myself, give myself respect, and learn a word like yes, no, maybe, or stop, take off and never take them into my mouth again. I must not lie or steal. Do not show weakness. My freedom is inalienable. In all suspicious cases contact the appropriate authorities. I shall not give myself hope. Everything is in perfect order. Boys don’t cry. Unless the investigation proves otherwise, it is prudent to assume that there is a danger to the life and health of the child. But please tread warily, there are lots of cracks and shards of rock and no one wishes to break something and nonetheless, still no luck. I score my forearms with a splinter of wood, one cut per day, and already after a few weeks, or what I took for a few weeks, for time stopped when there was no place left to scratch another morning. There were only other signs, time and time again, until eventually, 225 Zuwendung gegeben, geschenkt wurde, in höchstem Maße, aus freien Stücken. Stück für Stück, Tag für Tag, Schlag um Schlag, ein Leben von der Hand im Mund, und in jedem Ohr ein Dutzend guter Ratschläge. Um Mithilfe wird weiterhin dringend gebeten. Ich kann Hilfe schreien, Hilfe holen, weglaufen. Ich soll mich immer in Gesellschaft befinden und über meine Umgebung wachen. Ich muss artig sein. Meine Angst kann Leben retten. Ich soll nicht mit Fremden sprechen. Fremd sind alle Menschen, die meine Eltern nicht kennen. Fremd sind alle Menschen, die nur den Namen meiner Eltern kennen. Ich kann erzählen, wenn mir etwas auffällt, ich etwas erlebe oder mich jemand anspricht. Ich muss still sein. Ich bestimme über mich. Ich darf keine Geschenke annehmen. Ich muss meine Wege bestimmt gehen und endlich lernen, eigene Entscheidungen zu treffen. Ich weiß, wo ich meine Freunde treffe. Ich kann jeden zulässigen Ort meiner Wahl betreten, wieder verlassen oder dort verbleiben. Ich darf mich frei entfalten, muss aber rechtzeitig wieder zuhause sein. Keine Ausflüchte oder Ablenkungen, keine Spielereien mehr. Ich soll nicht fluchen. Ich darf nicht quengeln. Ich muss ins Bett, und zwar sofort. Ich habe das Recht auf Unversehrtheit. Ich habe allen Grund dazu, dafür, darauf, dagegen. Ich habe 226 the place one thought one was finally arriving at, proved to be a false conclusion. How many false trails I tried to follow. How many branches I, and others, threw between my steps. Please do not try to stop me. I see no point and no other way, furthermore I have become blind, by and by, yes, blind and deaf and dumb. This might have been noticed earlier. One might have started taking preventive measures, might have wanted to, had to, before any disruptions occurred, so that from a passing crisis there would be no lasting malfeasance. Any failing, any conspicuous anything, anything that did not fit the expected norm should have been recognized and grasped early on. I, I clutch behind me, ahead into solid material, into emptiness. As intended long before, I wanted to make my own decisions, wanted to break lines, cracks and no more borders, no, and not my own. I wanted to open all borders, open, to blow up and fly in the face of myself. I wanted to exploit to the fullest the unusual situation, I wanted to determine something; something in particular wanted my voice heard. I wanted to hear my voice when it is breaking or distant, fading from the field around expected values where mostly everything comes to a standstill. I wanted, yes, however want wants, but I just want my arms, to stretch my legs, spread my fingers to see a little more, not just through them. I just want to bend stretch, turn around four times, clap, stomp and stand. Only that. Nothing else. No more nose tips, no more tunnel vision. There were moments in which what was said or 227 meine Gründe. An mir besteht kein Eigentum. Ich kann mich willkürlich verfügen, benützen, vertilgen, ganz oder zum Teil auf andere übertragen, oder unbedingt mich derselben begeben, das heißt, mich verlassen. Ich muss mich auf mich selbst verlassen, auf mich acht geben, und ein Wort wie Ja, Nein, Vielleicht, Halt, Aus und Stop lernen oder nie wieder in den Mund nehmen. Ich darf nicht lügen, nicht stehlen, keine Schwäche zeigen. Meine Freiheit ist unverletzlich. In etwaigen Verdachtsfällen kontaktieren Sie die zuständigen Behörden. Ich soll mir keine Hoffnungen machen. Es ist alles in bester Ordnung. Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Solange die Ermittlungen nichts anderes ergeben, wird vorsichtshalber von einer Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit ausgegangen. Aber bitte, seien Sie vorsichtig, niemand möchte, dass etwas zu Bruch geht, in die Brüche geht, Scherben gibt es genug und trotzdem noch kein Glück. Mit einem der Splitter ritzte ich in meine Unterarme, einen Schnitt pro Tag, und bereits nach wenigen Wochen, oder was dafür zu halten war, gab es keine Stelle mehr, die auf ein Morgen schließen ließ. Es ließ sich nur auf anderes schließen, immer und immer wieder, bis das, wohin man schlussendlich zu kommen glaubte, sich als Trugschluss zu erkennen gab. Wie vielen falschen 228 thought could be believed. There were hours, in which everything would have to be tossed aside, the young cast from the nest, with each other; themselves rejected, thrown far away arcing high over the houses, mountains, valleys, wandering from one hand to the next. Days and nights were converging to resemble each other, changing places at irregular but steady intervals and touching in their polarity. I recognized the contradictions and their shortcomings, recognized the connections of opposites, their points of contact, circumstantial nearness and the approximation of distant moments. I want to have, per contra, and wanted to recognize the contrasts as part of the way out. I wanted to recognize myself in it. The open window in my room consisted of an inside and an outside, into which I climbed and also fit, felt fitting, where I found my way in and found my way, or else just started trying to find myself, or else I attempted to find it. It was as if I maintain one nature outside myself while sensing myself between and distinct from the things and places about me where I am reified, reborn to mind, and sallying forth quite naturally with just a few personal items, out into the open, out of bounds. I exposed myself unconditionally to the given norms and laws, all sorts of factors. I was a typical case, the conditions preexisting in certain geographical and regional climates. The land lay before me and stretched out, sprawling and expanding, yes, pasturing, it became bigger and wider, a stretch, a tug of planes and surfaces. I stitched the sky to the stretch of road in front of the house. 229 Fährten ich dabei zu folgen versuchte. Wie viele Äste ich und andere zwischen meine Schritte warfen. Versuchen Sie bitte nicht einzugreifen, mich aufzuhalten, ich sehe keinen Sinn und keinen anderen Weg mehr, bin blind für weiteres geworden, nach und nach, ja, blind und taub und stumm. Man hätte es früher bemerken können. Man hätte praventive Maßnahmen ergreifen und ansetzen sollen, wollen, können, müssen, noch vor Auftreten einer Storung, so dass aus einer zeitweiligen Krise kein dauerhaftes Fehlverhalten entstünde. Man hätte jegliches Fehlen, jegliche Auffälligkeit, jegliches nicht in die erwartete Messreihe passende, frühzeitig erkennen und begreifen mussen. Ich, ich griff zurück, voraus, ins Volle, ins Leere; von langer Hand geplant wollte ich eigene Entscheidungen treffen, wollte Bruchlinien, Risse und keine Grenzen mehr, nicht meine und nicht eigene. Ich wollte alle Grenzen offen, öffnen, sprengen, mich darüber hinwegsetzen. Ich wollte die Unregelmäßigkeit in vollen Zugen ausschöpfen, wollte etwas bestimmen, etwas bestimmtes, wollte meiner Stimme Gehör verschaffen. Ich wollte meine Stimme hören, wenn sie sich absetzt oder entfernt von den Streuungsbereichen um Erwartungswerte, in denen meist alles zum erliegen kommt. Ich wollte, ja, will aber, will aber, will doch nur meine Arme, meine Beine 230 Everything seemed accessible. Everything seemed to be taken, appropriated, misused, taken under a wing, or deleted from memory. At some point, you had to have learned to forget, at some point you had to deploy oblivion because soon it would be too late for that. Soon it would have been too late. So far, 125 witnesses concur and 247 pieces of information from the community have been processed. Somehow even the past will go, bequeathed and filed away. Somehow, too, this will be over, survived somehow, somewhere between fact and fiction, everything else is just decoration, anecdote, a makeshift fix. In this in-between, this gray-zone, set your foot-trap and hold the doors open. Nothing has been said yet, no final statement made, but it is still not finally decided, not before every opinion has been heard, every perspective separately considered. First each statement should be considered. Each position must be evaluated, yes each note must be included in the evaluation, because every vote counts, counts off, eeny, meeny, miney moe, and out goes y, o, me, get out. I am still far from being able to get out of here. I must first say what happened. An event and quite something. An incident and an adventure. Games and fun and excitement. All one. Almost everything at once. Everything of interest, promises to be so fascinating. Everything, the outcome of which is still incapable of surprising and shocking one. All that and so much more. All start off without passing by way of fortune. Everything to an end, then, about which you would like to know nothing better. 231 strecken, meine Finger spreizen, um etwas mehr zu sehen, nicht nur durch sie hindurch. Ich will mich bloß bücken strecken, rundum drehn, viermal klatschen, stampfen, stehn. Nur das. Nicht sonst. Keine Tellerränder mehr und noch lange kein Blick in den Tunnel. Es gab Momente, in denen geglaubt werden konnte, was gesagt oder gedacht wurde. Es gab Stunden, in denen alles überworfen werden musste, man sich selbst überwarf, mit sich; sich selbst verwarf, weit weg, in hohen Bögen, über die Häuser, Berge, Täler; zu werfen und zu wandern, von der einen Hand zur andern. Tage und Nächte näherten sich, glichen sich an, wechselten die Plätze in unregelmäßigen, doch stetigen Abständen und beruhrten sich in ihrer Gegensätzlichkeit. Ich erkannte die Gegensätze und ihre Verbindlichkeiten, erkannte die Verbindungen der Gegensätze, ihre Berührungspunkte, Näheverhältnisse und Distanzierungsmomente. Ich wollte mich im Gegensatz haben, und wollte den Gegensatz als Teil des Auswegs erkennen. Ich wollte mich darin erkennen. Im Öffnen meines Zimmerfensters verband sich ein Innen und Außen, in das ich stieg und auch passte; mich passend empfand, in dem ich mich ein- und zurechtfand, oder aber mich eigentlich erst zu finden versuchte. Es war, als erführe ich eine Natur außerhalb von mir, als spürte ich 232 Oh, how good that nobody knows. Oh, how good that no one knew of the few blank spaces that perhaps still remain. But I. I know. I spy with my little eye—dark, darker, very, very black. Vacancies that still remain. Holes to fill still. Secrets that must remain. At the very least for now. One last secret that finally must be kept; must be kept secret for all time. At the very least forever. One last secret that wants to be secreted eons beyond all intentions to mystify, lie or deny. At least forever. I have nothing more to say. No comment. The right to a secret must be preserved, though I burn with curiosity, as much as I burn with a grave need to lay bare and archive the things that must be buried evermore. My silence will never be broken on this; I will never break it. Any concerns you have, dial 911 at any time. It’s free. In case of any other concerns they will serve you in every way with information and help. In the meantime, I’ll invent my excuses, my will already articulated; I’ll make an illustration that gives me room to maneuver. I’ll get me some air. I’m going to do it or at least have taken the test. Inhale. Exhale. Measure out and weigh up. Load up the scale. A few breaths and still many more. As many as necessary. Inhale. As many as possible. Exhale. I will do my utmost. Up until now, they say, no results have been achieved, but meanwhile one is clutching at every straw to make out a sign that can be interpreted. Hasty conclusions shall not be drawn and you should shun mentioning the worst by name, because its designation is not a question 233 mich zwischen und im Unterschied zu den Dingen, zu den Orten, als würde ich mich vergegenständlichen, vergegenwärtigen, mich ganz selbstverständlich mit nur wenigen persönlichen Gegenständen aufmachen, hinaus, ins Freie, ins Aus. Ich setzte mich bedingungslos den gegebenen Normen und Gesetzen, den verschiedensten Faktoren aus. Ich wurde den charakteristischen Vorkommnissen und Bedingungen in bestimmten geographischen und klimatischen Regionen aus- und vorgesetzt. Das Land vor mir präsentierte und erstreckte sich; es streckte und weitete, ja, weidete sich aus, wurde größer und weiter, ein Strecken, ein Zerren der Ebenen und Flächen. Ich vernähte den Himmel mit dem Straßenstück vor dem Haus. Alles schien erreichbar. Alles schien ergriffen, vereinnahmt, zweckentfremdet, unter die Fittiche genommen, oder aber aus dem Gedächtnis gestrichen. Irgendwann musste man das Vergessen schließlich auch gelernt haben, irgendwann musste auch das Vergessen eingesetzt haben, denn ein andermal würde es zu spät dafür sein. Ein andermal würde es zu spät dafür gewesen sein. Bisher wurden 125 Zeugen einvernommen und 247 Hinweise aus der Bevölkerung bearbeitet. Ein Ende ist derzeit nicht in Sicht, auch wenn man vermeintlich darauf zusteuert, tastend näher zu kommen scheint, oder 234 of the past, because the question of the naming is not a matter of the past. It is the question of the future, the question of the future itself, the question of a response, of a promise and of confidence for tomorrow, which will be clarified. One morning, to clarify this, this will clear up. Another time perhaps. Only in the future will it be possible to know what will be the meaning of my name. Only in times to come will everyone be able to know how my name will have been acclaimed. Not tomorrow, but someday, once upon a time, once or never. Surely somehow, somewhere, sometime. Another time. Yes, surely then, because there is a great promise in this future. Unfortunately, a great future cannot be promised or even predicted with certainty. Under any circumstances, never. Not by any means. Previous testimony does not provide a single clue. At the moment there is no identifiable crime, but that does not mean anything. It should not be suggested that any previous efforts were in vain nor that it was all forgotten or forgiven. Not really, but one should be curious for sure. One should be prepared for every possible scenario. First, you want to be on the safe side and remove any reasonable doubt. The first hours are always critical. First of all, one should, however, concentrate on the essentials. In the presence of certain evidence, including other circumstances said to exist. Any suggestion leads to more conjecture and this should be investigated even without strong suspicion. Act first, then wait. Wait, even if there is no waiting period for 235 den Standpunkt wechselt. Irgendwie wird auch das Vorbei gehen, weitergereicht und zu den Akten gelegt werden. Irgendwie wird auch das überstanden werden können, irgendwie, irgendwo zwischen Fakt und Fiktion, alles andere ist nur Ornament, Anekdote, Lückenfüller. In dieses Dazwischen, diesen Graübereich einen Fuß stellen und Türen offenhalten. Es ist noch nichts gesagt, keine endgültige Aussage getroffen; es ist schließlich noch nichts entschieden, bevor nicht jede Meinung gehört, jede Perspektive für sich betrachtet wurde. Jede Aussage soll zuerst gewertet werden. Jede einzelne Position muss zuerst ausgewertet werden, ja, jeder einzelne Hinweis muss in die Bewertung mit einfließen, denn jede Stimme zählt, zählt sich aus, ene, mene, muh, und raus bin ich, raus bin ich noch lange nicht, muss erst sagen, was geschehen ist. Ein Geschehen und Erlebnis. Ein Ereignis und Abenteuer. Spiel und Spaß und Spannung. Alles in Einem. Fast alles auf einmal. Alles was interessiert, ja, faszinierend zu sein verspricht. Alles, bei dem der Ausgang noch zu überraschen, zu schockieren vermag. Alles, und noch so vieles mehr. Alles auf Anfang ohne Gang über Los. Alles zu Ende, worüber man dann besser doch nichts wissen möchte. Ach, wie gut dass niemand weiß. Ach, wie gut dass niemand wusste, von den paar Leerstellen, 236 the acceptance and filing of the complaint. A complaint must be filed, even if there is no guarantee of justice. Act first, then hope. Let us help you, even if the most bitter and the most obvious truth can only be nurtured with secret doubts. Speak openly about things. Talk about things as they are and give them their proper name at last. Tree. House. Garden. Fence. Gap. Blood and track. Then there is nothing more to lose. No, not anymore. No more than that. I will perhaps finally be traceable, will at least get to where I am entirely lost. At some point I will have achieved my goal. Finally. So far I’ve only ever lost to someone or other—even if taking part is all that matters, commiseration crucial, and the journey the goal. Before this there was really no deciding about winners and losers. Up to this point I have unfortunately been incapable of losing, attaining or catching up with this and myself. Now or yet, I cannot. Not yet. No more, no less. Possibly it would only lead me astray from the essentials—far from initiating the necessary steps at the critical moment, to say loudly, No and to run home. Head for a safe haven. To return home. Approach a place and no longer believe in it, or no longer have to remember it. When a word like home still existed, sometimes I hid under my bed, in the hope that the gathering clouds would clear even without my help. Mostly hope failed and even the roof over my head did not stop the downpour from soaking me. Thunder, wind, it was so gloomy, frost and lightning too, and so 237 die vielleicht noch bleiben werden. Nur ich, ich weiß etwas. Ich weiß etwas, was ihr nicht wisst und das ist—dunkel, dunkler, ganz, ganz schwarz. Leerstellen, die noch übrigbleiben. Löcher, die noch zu stopfen sind. Geheimnisse, die noch übrigbleiben müssen. Zumindest jetzt. Ein letztes Geheimnis, das schlussendlich doch gewahrt werden muss, für alle Zeit verheimlicht. Zumindest für immer. Ein letztes Geheimnis, das noch über die Absicht zu verheimlichen, zu lügen oder zu verleugnen verheimlicht werden will, auch wenn das Land und Grab weit offen steht. Zumindest auf ewig. Ich habe nichts weiter dazu zu sagen. Kein Kommentar. Das Recht auf ein Geheimnis muss bewahrt werden, wiewohl ich vor Wissbegierde brenne, wiewohl ich vor Begierde darauf brenne, wissen zu lassen und das zu archivieren, was für alle Zeit verschwiegen werden muss. Mein Schweigen darüber aber wird trotzdem niemals gebrochen, werde ich niemals brechen. Bei womöglich auftretenden Fragen steht Ihnen die Notrufnummer Eins Eins Null ohnehin jederzeit kostenlos zur Verfügung. Bei etwaigen anderen Belangen wird man Ihnen sowieso mit Rat und Tat zur Seite stehen. In der Zwischenzeit werde ich meine Ausflüchte bereits erfunden, meinen Willen artikuliert und eine Erklärung abgeben haben, die mir Freiräume 238 bitterly cold. And then finally, upon my soul, storm and rain, drop by drop, until even someone like me at last understood what it means to be wet. Until even I would have learned at last to be still, to keep my wits and wait for the storm to fade and withdraw. Wherever. However distant. How far it must be already. How distant already that is from me. All that happened then and then and then. Everything that happens then and then and then had to happen. Inevitably. In a succession of tenses. Recently, in the course of a continuous narrative, and in several fragments of a chronology of events, I just do not know when something is said to have occurred. I do not know when I will have most recently experienced something. An experience among others. A life among others. I was born, I was laughing and crying, I woke up and I dreamed I went to sleep and died. Something like that maybe, even though I still am not sure in which order they will appear in reality. It is like that, you will learn the secret that entwines about it. It will become at last tangible. At the end everything will have to be tangible. From empirical studies we knew that time was actually the biggest enemy. Despite this factor, it is often cited as a potential indicator for the wellbeing of a case, and not some reoccurring dip. While some cases resolve themselves within the first week, statistics show, that it can come to a final submerging, when it repeats itself. There are no official figures, but if a body enters the water, breathing will become completely impossible at a specific depth. That’s proven. Therefore, under no 239 schafft. Ich werde mir ein bisschen Luft verschaffen. Ich werde es schaffen oder zumindest den Versuch gewagt haben. Einatmen. Ausatmen. Dosieren und abwägen. Auf die Waagschale legen. Ein paar Atemzüge oder doch noch viele mehr. So viele wie nötig. Einatmen. So viele wie möglich. Ausatmen. Ich werde alles daran setzen. Bisher sei man noch zu keinem Ergebnis gekommen, doch greift man mittlerweile nach jedem Strohhalm, um ein Zeichen auszumachen, das zu deuten wäre. Voreilige Schlüsse sollen dabei nicht gezogen werden, und man schrecke davor zurück, das Schlimmste beim Namen zu nennen, denn die Frage der Benennung ist keine Frage der Vergangenheit. Es ist die Frage von Zukunft, die Frage der Zukunft selbst, die Frage einer Antwort, eines Versprechens und des Vertrauens auf ein Morgen, das zu klären sein wird. Ein Morgen, das aufklären, das aufzuklären sein wird. Ein andermal vielleicht. Erst künftig wird man wissen können, was mein Name bedeutet haben wird. Erst in zukunftigen Zeiten wird jeder wissen können, wie mein Name gelautet haben wird. Nicht morgen, sondern irgendwann einmal, vor langer, langer Zeit, sogleich oder vielleicht doch niemals. Ganz bestimmt, irgendwie, irgendwo, irgendwann. Ein Andermal. Ja, sicherlich dann, denn es ist ein großes Ver- 240 circumstances leave your children unattended. Be interested in what they are doing, where they are, how they’re doing. Feel responsible. Make them familiar with the surroundings. Learn to trust. Confine your confidence to a minimum. Be clear, draw the boundaries and explain the difference between good and evil. Draw clean lines. Orient them. Dress the children in non-colors. Further, everything at your own risk. Prepare them for the cruel yet banal reality, with actual atrocities, if necessary. Reinforce your words always with action. Tell them to be quiet. With a raised backhand. Let the deeds follow up more deeds. Tell them to be good. So avoid procrastinating, call, if possible. Every action produces an equal reaction. Call it muzzle-child. Everything else without guarantee. Every action must trigger a sequence of actions, appear to be necessary to itself and fisticuffs. Everything that follows will later have to be of yourself and discovering. To go hence, please take no unnecessary risks, even if something blatant or unexpected reveals itself to you. The avoidance of possible harm is the priority. It is the ultimate aim to refrain from deviating from the stated objectives of an event. Furthermore, to refrain in any situation with a clear course of events that cannot be influenced by a state or behavior with reasonable certainty, leads to an expected loss. So do not play the hero. Do not go over lots. Keep your children with you at all times; do not run the risk of forgetting them, or leaving them somewhere. During risky and unwanted 241 sprechen an eben diese Zukunft. Eine große Zukunft kann nur leider nicht mit Sicherheit versprochen oder gar vorausgesagt werden. Niemals, nie. Auf keinen und in jedem Fall. Bisherige Zeugenaussagen erbrachten indes noch nicht den entscheidenden Hinweis. Ein eindeutiger Tatbestand ist momentan noch nicht gegeben, aber das soll nichts heißen. Es soll vor allem nicht heißen, dass alle vorherigen Bemühungen vergebens waren, und auch nicht, das alles vergessen oder vergeben sei. Wirklich nicht, doch sollte man auf jeden Fall gespannt sein. Man sollte auf jeden möglichen Fall gefasst sein. Zuerst muss und möchte man auf alle Fälle auf Nummer sicher gehen, um jedweden Zweifeln auszuräumen. Dabei sind die ersten Stunden stets entscheidend. Zu aller erst sollte man sich jedoch auf das Wesentliche konzentrieren. Bei Vorliegen bestimmter Gegebenheiten ist schließlich auch immer vom Vorliegen weiterer Gegebenheiten auszugehen. Jede Vermutung führt zu mehr Vermutungen und diesen ist auch ohne dringenden Verdacht nachzugehen. Zuerst Handeln und erst dann Warten. Abwarten, auch wenn es für die Aufnahme der Anzeige keine Wartezeit gibt. Eine Anzeige muss erstattet werden, auch wenn die Rückerstattung nicht gewährleistet werden kann. Zuerst Taten und dann 242 side effects, please leave a message after the beep. Lean out, but not too far. Anticipate, but not too much. If there is no news yet as to what actually happened, just convey mere conjecture. Put all your eggs in one basket. Put all possible forces in motion. The attempt is worth it. Always go whole hog. No half measures. Your statement about what may happen could drastically alter the course of history, even if nothing changes. Your statement currently beyond what may have happened, with its tendency toward deliverance and self-reliance could actually attest. Become a witness. Testify with your eyes and ears and decide today if you’re for or against, life and body. Take advantage of this unique opportunity. A single drop could push the most long-smoldering conflict over the edge. The threshold of inhibition to make a decision, and the ensuing internal conflict can be overcome. Prepare yourself. Make the leap! I will not be able to help myself or prepare for it. I’ll be ready and at the end, take my chances. I will have made my time dependent on, and an image of that. I will have had to. First I want, however, to be able to have counted every drop in order to paste it into a larger whole. Once it is over, I shall necessarily also be forced to acquiesce to the directive. Under threat and coercion, I will acknowledge it. Otherwise, I forbid any outside influence as well as coincidence or any further intervention by fate. This is none of your business. Don’t reveal too much. Several witnesses claim they heard a scream in the field, which 243 Hoffen. Lassen Sie sich helfen, auch wenn bereits zu diesem Zeitpunkt die bitterste Wahrheit eingestanden und das Offensichtlichste nur mit insgeheimen Zweifeln genährt werden kann. Sprechen Sie offen über die Dinge. Sprechen Sie über die Dinge wie sie sind und nennen Sie sie endlich bei ihrem eigentlichen Namen. Baum. Haus. Garten. Zaun. Lücke. Blut und Spur. Dann gibt es nichts mehr zu verlieren. Zumindest nicht mehr. Nicht mehr als das. Ich werde dann vielleicht auch endlich auffindbar, oder zumindest dorthin kommen, gänzlich verloren zu sein. Irgendwann werde auch ich mein Ziel erreicht haben. Endgültig. Bisher habe ich immer nur gegen irgendjemand anderen verlieren können, auch wenn dabeisein alles, die Teilnahme entscheidend und der Weg das Ziel ist. Bisher ließ sich doch nie wirklich über Gewinner und Verlierer entscheiden. Bis hierher konnte ich dies und mich selbst leider noch immer nicht verlieren, erreichen oder einholen. Nun oder noch kann ich es nicht. Noch nicht. Nicht jetzt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Womöglich würde es mich ja doch nur am Eigentlichen vorbeiführen, weit davon entfernt im entscheidenden Augenblick die nötigen Schritte eingeleitet zu haben, laut Nein zu sagen und nach Hause zu laufen. Einen sicheren Hafen anzusteuern. Heim- 244 then intensified the manhunt. The area was searched with a large contingency. Whom may this help for all that? Bloodhounds, helicopters with infrared cameras and additional technical equipment were already used during the night. I hardly think that this will achieve anything. The urge to communicate by psychics and so-called watch-holding hypnotists holds, meanwhile it continues unabated, and a group of officials to follow psychic clues are spellbound to chance. Who is ever, ever going to be able to help? Previously, neither relief, nor naïve certainty or blind trust, have set in. Once, on a happier day I too had blindly trusted my instincts. In milder hours or other times I had told myself with eyes closed, always follow your nose until even that was be taken with a grain of salt. I know that one has to take precautions, that you have to have precautions being taken, so as not reach the limits: its own as well as other’s. In order not to run into walls completely, one needs to one, two, three, in the blink of an eye. Always all, all borders are respected. Both the predetermined and the fixed, as well as the required and the temporary. The necessary local information was said to be in poorly accessible terrain, but still by no means obsolete. Too few details and the lack of a precise positional reportage would make distinctions between light and dark fields particularly difficult. The ratio between the number of statistically recorded acts and the actual acts would only further increase the inaccuracies. Based on the collection of empirical data by representative surveys, one 245 zukehren. Mich einem Ort zu nähern, an den nicht mehr zu glauben, oder der längst nicht mehr zu erinnern sein wird. Als es ein Wort wie zuhause noch gab, versteckte ich mich manchmal unter meinem Bett, in der Hoffnung, die aufziehenden Wolken würden sich auch ohne mein Zutun lichten. Meist schlug die Hoffnung fehl und selbst das Dach über meinem Kopf hielt den Wolkenbruch nicht ab, sich über mir zu entladen. Donner, Wind, es war so finster, Frost und Blitz, und auch so bitter kalt. Und dann schließlich, Potzblitz, Sturm und Regen, Tropfen um Tropfen, bis selbst jemand wie ich begriffen haben musste, was es heißt, nass zu werden. Bis auch ich endlich gelernt haben würde, still zu sein, den Kopf einzuziehen und darauf zu warten, dass sich das Unwetter legte oder verzog. Wohin auch immer. Wie fern auch immer. Wie fern das nun schon bereits sein muss. Wie fern mir das schon alles ist. Alles, was dann und dann und dann geschah. Alles, was dann und dann und dann geschieht, geschehen musste. Zwangsläufig. In Abfolge der Zeitformen. In kontinuierlichem Verlauf einer Erzählung und in etlichen Fragmenten einer Chronologie der Ereignisse. Ich weiß nur nicht, wann sich zuletzt etwas ereignet haben soll. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt etwas erlebt haben werde. Ein Erleben unter 246 deems oneself, for the time being, only capable, to a certain extent, of surreptitiously estimating the certain variable relations of light and dark. For this reason, one says that one hardly dares to step out of the dark figure, let alone, talk about something like light. I’d much rather stick to my instincts there. Much rather, you stick to intuitive answers or estimations of things that are quantifiable. Exact enumeration, declaration and clarification are thus not possible. The current opportunities you could probably count on one hand, and in the meantime we wanted to reflect better and appeal to the good in people. As long as there is no end in sight, it will call to reason and the watchful eye of society. Otherwise you want to fetch from memory, previous successes, even if you cannot for that matter build upon them. Connecting points and reference points would indeed receive, on one hand, attention, but one must first of all, maintain the medial memory, yes, the collective memory must be kept awake as long as possible with force. One needs to be roused. One must be wrested from one’s resting, and in the long run, back and forth, swing. Back and forth. Without ceasing. This is the ultimate maxim. 247 anderem. Ein Leben unter anderen. Ich wurde geboren, ich lachte und weinte, ich wachte und träumte, ich ging, schlief und starb. So in etwa vielleicht, auch wenn ich mir noch nicht sicher bin, in welcher Reihenfolge diese Erfahrungen in der Wirklichkeit erscheinen werden. So oder so ähnlich vielleicht, auch wenn das Ende so nicht zu erfahren sein wird. Es ist anzunehmen, dass man das Geheimnis, das sich darum rankt, doch erfahren werden wird. Es wird schlussendlich doch erfahrbar sein werden. Schlussendlich wird es doch erfahrbar sein müssen. Aus empirischen Studien wusste man, dass die Zeit der eigentlich größte Feind sei. Trotzdem dieser Faktor in vielen Fällen als potenzieller Indikator für das Wohlergehen angeführt wird, tauchen manche dennoch nicht wieder auf. Während sich einige Fälle bereits innerhalb der ersten Woche erledigen, belegen Statistiken den Verdacht, dass es bei mehrmaliger Wiederholung zum endgültigen Untertauchen kommen kann. Offizielle Zahlen gibt es dafür nicht, doch geht man davon aus, dass eine Rückkehr bereits ab einer bestimmten Tiefe immer schwieriger wird. Soviel steht fest. Ab einer gewissen Tiefe wird beim statuierenden Eintreten des Körpers in diesen Zustand Luftholen bereits vollkommen unmöglich. Das ist bewiesen. Lassen Sie Ihre Kinder deshalb 248 unter keinen Umständen unbeaufsichtigt. Interessieren Sie sich dafür, was diese tun, wo sie sind, wie es ihnen geht. Fühlen Sie sich zuständig. Machen Sie sie mit der Umgebung vertraut. Lernen Sie zu vertrauen. Grenzen Sie Ihr Vertrauen jedoch auf ein Mindestmaß ein. Zeigen Sie die Grenzen klar auf und erklären Sie den Unterschied zwischen Gut und Böse. Ziehen Sie klare Linien. Geben Sie Orientierung. Lassen Sie ihre Kinder nur mit Nichtfarben malen. Alles weitere auf eigene Gefahr. Bereiten Sie sie auf die grausame doch banale Realität vor, wenn nötig auch mit tatsächlichen Grausamkeiten. Untermauern Sie ihre Worte stets mit handhabbaren Taten. Zögern Sie nicht. Heißen Sie es still. Lassen Sie den Taten weitere Taten folgen. Heißen Sie es artig sein. Um nicht zum Stillstand zu gelangen, rufen Sie, wenn möglich, durch jede Aktion eine aktive Folge hervor. Heißen Sie es Maul-Korb-Kind. Alles Andere ohne Gewähr. Jede Handlung muss eine Folgehandlung auslösen, bis selbst Handgreiflichkeiten notwendig erscheinen. Alles Folgende wird sich später dann von selbst weisen und zu entdecken sein. Es kann aber nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob wirklich etwas zu entdecken sein wird. Gehen Sie daher bitte kein unnötiges Risiko ein, auch wenn sich wirklich etwas aufdeckt oder Ungewöhnliches zu 250 sehen sein wird. Die Vermeidung eines Ereignisses mit der Möglichkeit negativer Auswirkung ist stets vorrangig. Das höchste Ziel ist es, von der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses und dessen Konsequenz, bezogen auf die Abweichung von gesteckten Zielen, abzusehen. Des weiteren ist jedwede Situation, in der bei ungehindertem, nicht beeinflussbarem Ablauf des Geschehens ein Zustand oder ein Verhalten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem erwarteten Schaden führt, zu unterlassen. Spielen Sie also nicht den Helden. Gehen Sie nicht über Los. Bewahren Sie Ihre Kinder stets bei sich, um nicht das Risiko zu laufen, sie zu vergessen oder irgendwo liegenzulassen. Bei Risiken und unerwünschten Nebenwirkungen hinterlassen Sie bitte eine Nachricht am Ausgang. Lehnen Sie sich dabei jedoch nicht zu weit raus. Greifen Sie noch nicht zu weit vor. Sofern bisher keine Nachrichten darüber vorliegen, was eigentlich geschehen ist, können auch bloße Vermutungen geäußert werden. Setzen Sie dabei stets alles auf eine Karte. Setzen Sie alle möglichen Kräfte in Bewegung. Den Versuch ist es wert. Gehen Sie immer aufs Ganze. Keine halben Sachen. Ihre Äußerung über das, was möglicherweise geschehen ist, könnte den Verlauf der Geschichte drastisch beeinflussen, wenn nicht gar verändern. Ihre 252 Äußerung über das, was möglicherweise passiert ist, könnte die Tendenz zur Emanzipierung und Verselbstständigung eventuell sogar bezeugen. Werden Sie Zeuge. Bezeugen Sie mit Auge und Ohr und entscheiden Sie sich noch heute für oder wider Leben und Leib. Nützen Sie diese einmalige Gelegenheit. Ein einzelner Tropfen kann den meist schon lange schwelenden Konflikt zum Überlaufen bringen. Die Hemmschwelle, eine Entscheidung zu treffen, und der damit einhergehende innere Konflikt werden dann auch überwunden werden können. Machen Sie sich gefasst. Überwinden Sie sich. Ich werde nicht anders können, als mich ebenso darauf vorzübereiten. Ich werde bereit sein und es am Ende darauf ankommen lassen. Ich werde meine Zeit davon abhängig und mir ein eigenes Bild gemacht haben. Haben müssen. Zuerst will ich jedoch noch jeden Tropfen gezählt haben, um es dann zu einem großen Ganzen fügen zu können. Wenn es überstanden sein wird, werde ich mich zwangsweise auch den Anordnungen fügen. Unter Drohung und Zwang werde ich mich dazu bekennen. Ansonsten verbiete ich mir jedoch jedwede fremdbestimmte, wie auch auch jede Fügung und jeden weiteren Eingriff seitens des Schicksals. Halten Sie sich erst einmal raus. Geben Sie noch nicht zu viel preis. Mehrere Zeugen gaben 254 an, in dem Gebiet einen Schrei gehört zu haben, woraufhin die Fahndung intensiviert und das Gelände mit einem Großaufgebot durchsucht wurde. Wem das noch wirklich nützen mag. Spürhunde, Hubschrauber mit Wärmebildkameras und weiterem technischem Gerät kamen während der Nacht bereits zum Einsatz. Ich glaube kaum, dass das noch etwas bringen soll. Der Mitteilungsdrang von Hellsehern und sogenannten Pendlern hält unterdessen unvermindert an, und eine Beamtengruppe erklärte sich bereit, parapsychologischen Spuren zu folgen und an den Zufall zu glauben. Wem das überhaupt jemals helfen können wird. Bisher setzte weder eine Erleichterung ein, noch naive Gewissheit oder blindes Vertrauen. Einst, an einem fröhlicheren Tag hätte auch ich mich blind meinen Instinkten anvertraut. In leichteren Stunden oder ein andermal hätte ich mich mit geschlossenen Augen stets der Nase nach geheißen, bis selbst das mit Nachsicht zu genießen war. Seitdem weiß ich, dass Vorsicht gewaltet lassen werden muss, um nicht an Grenzen zu stoßen. Sowohl an die eigenen als auch an fremde. Um nicht vollends gegen Mauern zu laufen, müssen eins, zwei, drei im Sauseschritt, stets alle, alle Schranken eingehalten werden. Sowohl die vorgegebenen und starren, als auch die erforderten 256 und zeitlich begrenzten. Die erforderlichen Ortskenntnisse, so hieß es, seien bei schlecht zugänglichem Terrain jedoch weiterhin keineswegs verzichtbar. Mangelnde Details und das Fehlen einer genauen Lageberichterstattung würden die Unterscheidung zwischen Hell- und Dunkelfeld zusätzlich erschweren. Das Verhältnis zwischen der Zahl der statistisch ausgewiesenen und der wirklichen Handlungen würde die Ungenauigkeiten einzig weiterhin vermehren. Basierend auf der Erhebung empirischer Daten durch repräsentative Befragungen sieht man sich deshalb zum gegebenen Zeitpunkt nur in der Lage, in gewissem Rahmen die variable Relation von Hell zu Dunkel unter der Hand abzuschätzen. Aus diesem Grund wage man sich kaum aus der Dunkelziffer zu treten, geschweige denn über so etwas wie Licht zu sprechen. Viel eher halte ich mich da noch an meine Instinkte. Viele eher hält man sich dann an intuitive Angaben oder Bewertungen von messbaren und zahlbären Größen. Eine exakte Aufzählung, -klärung und Erhellung ist somit leider nicht möglich. Derzeitige Chancen könne man sich aber wohl ohnehin bereits an fünf Fingern abzählen, und unterdessen wolle man sich lieber besinnen und an das Gute im Menschen appellieren. Solange kein Ende abzusehen ist, ruft man dann lieber nach- 258 drücklich die Vernunft und das wachsame Auge der Bevölkerung an. Ansonsten will man bisherige Erfolge in Erinnerung rufen, wenn schon nicht daran angeknüpft werden kann. Anknüpfungs- und Bezugspunkte würden einerseits zwar das Interesse erhalten, aber man müsse zuallererst das mediale Gedächtnis aufrechterhalten, ja, die kollektive Erinnerung muss möglichst lange und mit Nachdruck wach gehalten werden. Man müsse wachgerüttelt werden. Man muss aus der eigenen Ruhelage gelenkt werden und auf Dauer hin und her schwingen. Vor und zurück. Ohne Unterlass. Das ist die oberste Maxime. 260 sk i w o k a M M i ch ael e Is… m a N y M z t vo n u b erset auf rüh D a v id F : : ist… e m a N Mein M y name is (insert name) any name, I was born here, a city that defines me as such, or not; for Michael is a city like any other, with private roads and public avenues, and who is kind of like… (But not to be worshiped with biblical intimations in dimly lit cul-de-sacs or empty courtyards— though we see no danger of that) unknowable, because had you lunched in the Boulevard de Thoracic you would have seen only moss-covered statues and old buildings made of hand-carved stone. And as you ate your ceviche and sipped your Montrachet, you would have said, “Now this is a city for lovers,” having never understood that along l’Avenue des Femurs young men were being castrated, their screams funneled into marching bands. This is a city at war with itself, the city of Michael. If I were, say the city of Lye, Alabama, might I not have been a better person. Or worser perhaps, were you from its rival town, and my name Cardamom and not Michael. C ardamom likes to talk just above whisperlike; he’s in a church of sorts. These quiet conversations of ours—threnodies more-like—on botany and entomology take place on a Galleon 264 M ein Name ist (Name einsetzen) ein beliebiger Name—ich wurde hier geboren, in einer Stadt, die mich als solche definiert, oder eben nicht; denn Michael ist eine Stadt wie jede andere, mit Privatwegen und öffentlichen Straßen, und in gewisser Weise ist sie… (Sollte jedoch nicht in schwach beleuchteten Sackgassen und leeren Hinterhöfen mit biblischen Andeutungen verehrt werden—auch wenn wir nicht die Gefahr sehen, dass es je dazu kommt) unerkennbar, denn hättest du auf dem Boulevard de Thorax zu Mittag gegessen, hättest du nur moosbedeckte Statuen und alte Gebäude aus handgemeißeltem Stein gesehen. Und während du dein Ceviche gegessen und deinen Montrachet genippt hättest, würdest du gesagt haben: „Also, das ist eine Stadt für Verliebte“, vollkommen vergessend, dass entlang der l’Avenue des Femurs junge Männer kastriert wurden, deren Schreie sich in Marschkapellen kanalisierten. Dies ist eine Stadt im Krieg mit sich selbst, die Stadt von Michael. Wäre ich, sagen wir, die Stadt Lye, Alabama, wäre ich dann nicht ein besserer Mensch gewesen? Oder ein schlechterer vielleicht, kämst du aus deren rivalisierender Stadt, und mein Name wäre Kardamom und nicht Michael. 265 moored or less where the Hudson turns brackish, but farther south at dusk. We are drinking black coffee beneath the crossbeam where the lantern sways. Cardamom enters, to what amounts to as his church, a tone of voice. A sound reserved for the Jewish girl he is always talking about. This is where he spends most of his time. It doesn’t matter what the subject is; he could be discussing the chemical composition of aphid shit, or the psi possibilities on various exoskeletons; when he slips into the tone, it is always about her. Here she is practically deified, his self crucified, two gods at war. “For instance,” says he with his fragrant breath, “did you know that the female silk moth, Bombyx Mori,” Insert Abigail, “secretes a pheromone so potent, but the thousandth part of a gram can be detected by the male,” Insert Cardamom—insertion sad—“over the distance of a half mile. And—Get this,” whispers he with reverence, “after decapitation, the antennae of the male moth,” insert speaker again, “will continue to twitch to a mere molecule of Bombykol,”—Abigail’s pheromone. “G_d is sick,” I say. S ometimes I get the impression that Cardamom communicates in pilfered metaphor only. I like him but he needs to die; all this malar- 266 K ardamom findet Gefallen daran, in gerade noch hörbarem Tonfall zu sprechen; er ist in einer Art Kirche. Diese leisen Gespräche unsererseits—Threnödien allenfalls—über Botanik und Etymologie finden auf einer vertäut und zugenähten Galeone statt, wo der Hudson brackig wird, jedoch etwas weiter südlich in der Abenddämmerung. Wir trinken schwarzen Kaffee unter dem Querbalken, an dem eine Laterne schwingt. Kardamom fällt in die Tonlage, die seiner Kirche entspricht. Ein Klang, der jenem jüdischen Mädchen vorbehalten ist, über das er ständig spricht. Dort verbringt er auch die meiste Zeit. Ganz egal, was Sache ist—er könnte die chemische Zusammensetzung von Blattlausscheiße erörtern, oder die psi-Möglichkeiten verschiedener Hautpanzer—, sobald er in den Tonfall rutscht, dreht sich alles nur noch um sie. Hier wird sie praktisch vergöttert, sein Ich gekreuzigt, zwei Götter im Krieg. „Wusstest du etwa,“ sagt er mit seinem duftendem Atem, „dass die weibliche Seidenspinnerin, Bombyx mori“—setz Abigail ein—„ein dermaßen potentes Pheromon absondert, dass allein ein Tausendstel Gramm genügt, damit das Männchen“—setz Kardamom ein—Einschub betrübt—„es über die Entfernung einer halben Meile wahrnehmen kann?“ „Und halt dich fest“, flüstert er andachtsvoll, „selbst nach der Enthauptung 267 key of love is getting us nowhere. What he needs, I think, is a proper herb, something asymptomatic and insidious, vile yet aromatic and toothsome, (insert into the batter, berries of the Belladonna.) T here were conflicting factions. They approached the ship. Their main purpose was to the purpose—set the drama: people disappearing into people, an et cetera so tedious it ended as an ellipsis of memory—in the heart, an empty space. C ardamom was the first to admit that when he loved someone, he loved him or her to death. I thought this counterproductive. A long the black shore-shapes of shadows, movement ran, rose, then dipped like buoys. I n the city of Michael, there is a courtyard just outside of Cardamom that resembles the plaza in Lye, Alabama where people actually do go to die. Lye, Alabama is a retirement community where Cardamom, Theo and I, once lived, or lived once, cities within a city, but no more. We’ve known each other for years. The city knows them and they nose the city like their own farts, with a mixture 268 zuckt die Antenne des männlichen Falters“—setz erneut den Redner ein—„ aufgrund eines bloßen Bombykolmoleküls weiter“, Abigails Pheromon. „G_tt ist krank“, sage ich. M anchmal habe ich das Gefühl, Kardamom kommuniziert einzig in gemauserten Metaphern. Ich mag ihn, aber er muss sterben; dieser ganze Liebesquatsch führt ja schließlich doch zu nichts. Was er, glaube ich, braucht, ist ein anständiges Kraut, irgendwas asymptomatisches und schleichendes, das widerlich, gleichzeitig aber auch aromatisch und schmackhaft ist (setz in den Teig ein: die Beeren der Belladonna.). E s gab gegensätzliche Lager. Sie näherten sich dem Schiff. Ihr Hauptanliegen war dem Zweck—Vorhang auf: Menschen verschwinden in Menschen, ein et cetera so öde, dass es als Auslassung des Gedächtnisses endete—im Herzen dienlich, ein leerer Raum. K ardamom würde nie abstreiten, dass, wenn er jemanden liebte, er ihn oder sie zu Tode liebte. Ich fand, dies sei kontraproduktiv. 269 of subversive glee and shame, the bewitching scent that pulls from one darkened hedge-row to the next, an abandoned car, a stray cat, a long stretch of road here, a dive bar there, but mostly blackened streets narrowed by the brick of buildings and rotting stoops. In this part of town—which resembles Lye, Alabama so much so, they named it Lye Square— we haven’t seen the sun in six years. Here, the war seems far away from every direction as if we were living in a sealed jar falling off the counter in slow motion. Old people wait here by their windows and watch birds peck weather. Most days our world is a still-life painted by the terminally ill; any color or composition even distantly related to hope is systematically polluted, drained of color, gray filled. It’s the little things, like toast with strawberry jam that get you through the day. Though the color of the jam, not as vibrant, the taste not as sweet, the dry grit of toast feels good against the tongue. So good, we could almost remember what those colors were like before the coup, and the bullet-pocked post office; before we knew the courting rituals of moths and how to travel by night undetected. We send our love by carrier pigeon. The courtyard just outside of Cardamom is cobbled and empty but for one wooden bench where he has carved her name thirty seven times 270 E ntlang der schwarzen Schattenstrandgestalten lief, stieg und tauchte die Strömung wie eine Boje. I n der Stadt von Michael gibt es einen Hinterhof etwas außerhalb von Kardamom, der dem Platz in Lye, Alabama, wo Menschen tatsächlich zum Sterben hingehen, bis aufs Haar gleicht. Lye, Alabama ist eine Rentnersiedlung, in der Kardamom, Theo und ich einst lebten, oder ein Mal lebten, Städte innerhalb einer Stadt, aber nicht mehr. Wir kennen uns seit Jahren. Die Stadt weiß um sie und sie wittern die Stadt wie ihre eigenen Fürze, aufgrund eines Gemischs aus subversiver Heiterkeit und Scham, des betörenden Dufts, der von einer verdunkelten Heckenreihe zur anderen zieht, eines verlassenen Autos, einer streunenden Katze, einer langen Fahrbahnstrecke hier, einer Spelunke dort, aber vorrangig wegen der abgedunkelten, durch Mauerziegel und verfallenden Treppen verengten Straßen. In diesem Teil der Stadt—der Lye, Alabama so dermaßen ähnelt, dass sie ihn Lye Platz tauften—haben wir die Sonne seit sechs Jahre nicht gesehen. Hier erscheint der Krieg fern jeglicher Führung, als ob wir in einem versiegelten Einweckglas leben würden, das in Zeitlupe vom Tresen fällt. 271 and his own only once. It can be seen from the kitchen window, where we are eating breakfast. He treats it as a personal shrine to her, shooting pellets at anyone who loiters within a gesture of it. A tree grows there too, bench-side, spawning leaves the shape and size of elephant ears. If the sun existed in places like this, Place de Here, if you could only see the way he points to his chest, it would be the only source of shade, these elephant ears. The ship creaks a bit on nights like this, but we don’t much notice. The coffee is strong and hot, and I remember that elephants never forget. What kind of a gift is that. The temperature has dropped and I stoke the potbellied stove. Cardamom wears a light green cardigan and pulls it tight. His eyes are large and the way he squats, gives him a bird-like totem quality, what Theo refers to as, the Bird That Cries With Grief, which is the name of an actual bird that sounds like a cat mewling. Cardamom’s voice has that quality sometimes. He is taller than I… and me… Or would be if he stood up straight, but better looking with a full shock of dark hair. I wish I were like him. He rolls his own cigarettes. Cardamom is a paragon of men, as I imagine men, and it’s easy to see how Theo fell in love with him. Cardamom offers me a cigarette. Lights it, but I cough, suck it up, burn inside. If you follow the Rue du Du you can see City 272 Alte Menschen warten dort an ihren Fenstern und beobachten die Vögel beim Picken des Wetters. Meistens ist unsere Welt ein Stillleben, von Todkranken gemalt; jede noch so entfernt hoffnungsfrohe Farbe oder Komposition wird systematisch verschmutzt, farbentleert, vergraut. Es sind die kleinen Dinge, wie Toast mit Erdbeermarmelade, die einen den Tag überstehen lassen. Auch wenn die Farbe der Marmelade nicht so kräftig, der Geschmack nicht so süß ist, tut es gut, den trockenen Toastgrieß auf der Zunge zu spüren. So gut, beinahe gelingt es uns, uns daran zu erinnern, wie diese Farben vor dem Putsch und den kugelübersäten Postfilialen aussahen; bevor wir über die umwerbenden Rituale der Motten wussten und wie man in der Nacht unentdeckt reist. Wir senden unsere Liebe mittels Brieftauben. Der Hinterhof etwas außerhalb von Kardamom ist gepflastert und bis auf eine Holzbank, in die er ihren Namen siebenundvierzig Mal und seinen eigenen nur ein einziges Mal eingeritzt hat, leer. Man kann sie vom Küchenfenster aus, wo wir gerade frühstücken, sehen. Er betrachtet die Bank als persönlichen Schrein für sie, schießt Kügelchen auf jeden, der sich auch nur in deren Nähe wagt. Ein Baum wächst dort auch, bankseitig, seine Blätter sprießen in Form und Größe von Elefantenohren. Wenn die Sonne an Plätzen wie diesen, 273 Hall whe policy was passed. Flames flicker out the top floors. A limp flag on the roof hangs in smoke. We hear the breaking of glass. Someone is flicking a white hanky out the window. Gun shots in the distance. Cardamom sighs; with him, it is always that Jewish girl. There are c tain plants that lend themselves best to star-fucked lovers and the legions of unrequited. Cerbera Odollam, for instance, named after the guardian of Hades, and culled from the dank mangrove swamps of India—where that faggot Theo lways imagined he mi t find the entrance. This doozey of a pit, by the weight, has enough cardiac glycosides to sto a heart in minutes, turning heart ache i to arrest… Ache at rest… L ooking at Cardamom, you’d never know he is himself, thus poisoned by self. A board this ship, there is a that lives. It is a letter thief—the mailman hangs from a rope—When it s uck aboard, I cannot tell. It s eals our language, eats it. I find the tiny bones scattered about the bow-boats, sometimes like little piles of eyelash. At it fucks his mouth while he sleeps. I’ve watched it. His mouth open, filled with darkness, his head til ba in silent ga . In 274 Place de Hier, existieren würde, wenn du nur sehen könntest, wie er auf seine Brust zeigt—die einzige Quelle der Schatten wären diese Elefantenohren. Das Schiff ächzt ein wenig in Nächten wie dieser, aber es stört uns nicht weiter. Der Kaffee ist stark und heiß, und mir fällt ein, dass Elefanten niemals vergessen. Was für eine Gabe soll das sein? Die Temperatur ist gesunken und ich heize den dickbäuchigen Kanonenofen an. Kardamom trägt eine hellgrüne Strickjacke und zieht sie straff. Seine Augen sind groß und seine Art zu kauern verleiht ihm eine vogelartige Totemqualität, die Theo als Vogel Der Vor Kummer Weint bezeichnet, was wiederum der Name eines realen Vogels ist, dessen Ruf wie das Miauen einer Katze klingt. Manchmal besitzt Kardamoms Stimme diese Eigenschaft. Er ist größer als ich… und als mein… oder würde es sein, wenn er aufrecht stünde, aber mit seinem vollen, dunklen Haarschopf sieht er besser aus. Ich wäre gern wie er. Er dreht seine eigenen Zigaretten. Kardamom ist der Inbegriff von Männlichkeit, zumindest wie ich mir Männer vorstelle, und es ist leicht nachzuvollziehen, wie sich Theo in ihn verlieben konnte. Er bietet mir eine Zigarette an. Entzündet sie, aber ich muss husten, sauge sie auf, brenne im Innern. Folgst man der Rue du Du, sieht man das Rathaus, in ein Gesetz verabschiedet wurde. 275 the morning, his name is for en and the power of spee diminished. I am responsible for reminding him, to ca his name. Cardamom, I say, would you pass the sugar. Nothing could have prepared him for the confluence of this moment. The creature is . Shush, he says, shhh… It is A gail… wind beyond compare, a sucking skin peeling wind… her body s the demesne (dots gone) crotch, the ev slime sli he will enter. Sleeping, he whimpers. Help, I heard once. She tied him to a post. Flicked his flapdoodle. He told me in the morning… ass the sugar, I re eated. There was no oubt an in ervention was eeded. She had controlled him with breath and the positioning of her lips. On account of his unusually easy tone-producing properties, very often overblown and a cause of hardness and shrill, she needs only gentle air. His waves meet with resistance from air contained in the lower part of the crea ure. To compensate for his weakness, she blocks the tone-gaps closest to the mouth-hole. The column of air t irls, closed within him, h ms. It is comparable to a stretched viola string you might hear in the Boulevard de Thoracic where rogue vibrations are pilfered and bullets pop against the concrete post office. These longitudinal vibrations in the air column resist and moan d ache for the edges of the mouth-hole where they can never cross, never leave, 276 Flammen züngeln aus dem obersten Geschoss. Auf dem Dach hängt eine Fahne schlaff im Rauch. Wir vernehmen das Brechen von Glas. Jemand schnippt ein weißes Taschentuch aus dem Fenster. Schüsse in der Ferne. Kardamom seufzt; bei ihm dreht sich immer alles einzig um das jüdische Mädchen. Es gibt b timmte Pflanzen, die sich am besten für die arschkriechenden Liebhaber und Legionen von Verschmähten eignen. Zerberusbau zum Beispiel, benannt nach dem Torhüter des Hades und geerntet in den feuchten Mangrovensümpfen Indiens—wo sich diese Tunte Theo tändig einbildete, er k nne den Eingang zur Unterwelt finden. Dessen stattlicher Kern besitzt—für sein Gewicht—genug Herzglykoside, um ein Herz in Minuten zu sto , den Herzschmerz i Stillstand zu verwandeln… Schmerzgestillt… B etrachtet man Kardamom, wüsste man nie, ist er es selbst, sprich, durch sich selbst vergiftet. A n Bord des Schiffs, da gibt es ein , das lebt. Es ist ein Letterndieb—der Postbote hängt an einem Strick—Wann es an Bord s ich, weiß ich nicht. Es s iehlt unsere Sprache, isst sie. Ich finde 277 where no light c enter. Depending upon the weather, the creature may attempt to break him into octaves. Her music can only be heard inside of him where her name ricochets from rib to ib to ri like a rapped fly, his mout , reathless. But no he is “free.” The stealer of names has been hermetically sealed in an old fruit jar. His ords come back like rotting fruit, a compote of regret. At dawn, I crept past Cardamom sprawled on his cot, his head tilting right, mouth open and hanging off the cot. A puddle of drool. He’d stayed up late slurring incantations into a wine bottle. I placed a bowl beside him to catch the vomit and absconded, my satchel filled with letters and a jar full of her. C ontrary to popular belief, the bush was, indeed, consumed. Abigail married last July. That is, she married within the tribe. She once asked me if I were Jewish. It’s complicated, I said, said Cardamom. C ardamom shuffled into the kitchen in a pair of socks and nothing else. His penis did not dangle but looked like something made of wax. He went straight for the coffee and poured himself 278 die winzigen Knochen am Schiffsrumpf verstreut, zuweilen wie kleine Wimpernhäufchen. In der während er schläft, fickt es seinen Mund. Ich habe es gesehen. Sein offener Mund, mit Dunkelheit gefüllt, sein Kopf kipp nach hint in einen stummen Wit . Am Morgen ist sein Name ver sen und die Macht seiner Spra vermindert. Ich muss ihn daran erinnern, seinen Namen zu sa . Kardamom, sage ich, reichst du mir den Zucker. Nichts hätte ihn auf die Vereinigung dieses Moments vorbereiten können. Die Kreatur ist . Pst, sagt ie, pssst… Es ist A gail, ein Starkwind… Wind ohnegleichen, ein aussaugender, hautpellender Wind… ihr Körper st die Domäne (Punkte fehlen) Schrittes, der bö Schleim , schlitt wird er eindringen. Schlafen, winselt er. Hilfe, hörte ich einst. Sie band ihn an einen Pfosten. Schnalzte seinen Schwanz. Er erzählte es mir in der Früh… eich mir den Zucker, wie holte ich. Es bestand kein eifel, eine In ervention war ötig. Sie hatte ihn mit ihrem Atem und der Positionierung ihrer Lippen kontrolliert. Aufgrund seiner außergewöhnlich simplen Tonerzeugungseigenschaften, die meist übersteuert und Ursache der Härte und Schrille sind, benötigt sie dazu nur sanfte Luft. Seine Wellen treffen auf den Widerstand der im Unterteil der Krea ur enthaltenen Luft. Zum Ausgleich seiner Schwäche blockiert 279 a cup. Theo, was making blueberry pancakes and started talking—to whom, I had no idea. “Today,” he said, “I woke up thinking about Apollo and Daphne. I was thinking about their chase.” Theo’s the one who likes to view everything through greek mythology. He poured more batter onto the griddle. “What was the message of that tale?” He asked, rhetorically. “If you love someone too hard you’ll change their chemical constitution. Alchemy at it’s most horrific. Yes,” he said, “I think that’s it. The mutating powers of desire always sour the purity of its object. That’s what I think.” Then Theo looked over at Cardamom. “Do you think this is true, C?” Cardamom said nothing. He was back on the Galleon, swaying. “Why do you ask?” I said. “Because I woke up thinking of the Greeks.” He flipped two pancakes. “What do you think, C?” Cardamom slurped his coffee. “Fuck the Greeks.” “How perceptive. Such an acute insight. Your mind is like a laser.” “You should see my cock,” he said. Theo’s face flushed and I could tell he was trying 280 sie die Klanglücken, die seiner Mundhöhle am nächsten sind. Die Luftsäule w rbelt, schlossen in ihm, s mmt. Es ist vergleichbar mit einer gedehnten Violinensaite, wie man sie im Boulevard de Thorax hören kann, wo zerstörerische Schwingungen gemausert werden und Kugeln gegen die betonierte Postfiliale knallen. Die Longitudinalschwingungen in der Luftsäule halten stand und ächzen d Schmerz der Mundhöhlenränder, die sie niemals überqueren, niemals verlassen, in die kein Licht eindringen k . Je nach Wetter versucht die Kreatur, ihn in Oktaven zu brechen. Ihre Musik lässt sich nur in ihm hören, wo ihr Name von Rippe zu ippe zu Ri querschlägt, wie eine ingeschlossene Fliege, sein Mun dabei ganz temlos. Doch je ist er „frei.“ Der Dieb der Namen sitzt, hermetisch versiegelt, in einem alten Einweckglas. Seine orte kehren wieder wie faulende Früchte, ein Kompott des Bedauerns. In der Dämmerung schlich ich heimlich an Kardamom vorbei, der ausgespreizt auf seiner Pritsche lag, sein Kopf nach rechts geneigt, der Mund offen und von der Pritsche hängend. Eine Sabberlache. Er war lange wach geblieben und hatte Beschwörungen in eine Weinflasche gelallt. Ich platzierte eine Schüssel neben ihn, die Kotze darin sammelnd, und stahl mich—meinen Ranzen am Rücken, voller Lettern und einem Einweckglas voll von ihr—davon. 281 very hard not to look at it. “Well, maybe someday you’ll have the decency to show us,” he said, and started twirling his spatula. Then he began to scrape around the pancake. “Pancake anyone?” “Sure.” Theo handed me a plate. “Thanks,” I said. “You’re welcome.” Theo turned to Cardamom. “Oh my God! Cardamom! There’s a hole in your pants!” I choked on some pancake. “Fuck you, Theo. It’s just as much my apartment as yours.” “That’s a good one, mind if I jerk off in your bed room?” “As long as you clean up, be my guest.” “You’re sick,” he said. “No, you’re sick.” “We’re all sick,” I said. Then as an afterthought, he held out a plate with both hands, like an offering of offal, a better version of himself: “Pancake?” “Thanks,” Cardamom said, and took the plate with one pancake, shuffled to the table, and sat down next to his window. 282 E ntgegen der vorherrschenden Meinung war der Busch dann doch verbrannt. Abigail heiratete letzten Juli. Das heißt, sie heiratete innerhalb des Stamms. Ein Mal fragte sie mich, ob ich jüdisch sei. Es ist kompliziert, sagte ich, sagte Kardamom. K ardamom schlurfte in einem Paar Socken und sonst nichts in die Küche. Sein Penis baumelte nicht, wirkte jedoch wie etwas aus Wachs. Er ging schnurstracks zum Kaffee und schenkte sich eine Tasse ein. Theo machte Blaubeerpfannkuchen und fing an zu reden—mit wem, wusste ich nicht. „Heute“, sagte er, „wachte ich mit einem Gedanken an Apollo und Daphne auf. Ich dachte an ihre Jagd.“ Theo deutet gerne alles anhand griechischer Mythologie. Er schüttete mehr Teig auf das Backbleck. „Was war die Botschaft dieser Geschichte?“ fragte er rhetorisch. „Wenn man jemanden zu sehr liebt, verändert man deren chemische Zusammensetzung? Alchemie vom Grausamsten? Ja,“ sagte er, „ich denke, genau so ist es. Die mutierenden Kräfte der Begierde säuern immer die Reinheit ihres Gegenstands. Das glaube ich.“ Anschließend sah Theo rüber zu Kardamom. „Denkst du, das es wahr ist, K?“ 283 Theo flipped two more pancakes. “Are they good?” “Mmmm. Excellent,” I said. “I love blueberries. They remind me of my true love.” “Who’s that?” “She’s married now.” “I see. You still love her.” “I want to kill her.” “I know,” Theo said. “ Love is poison.” He sat down with his plate of pancakes and began eating in silence and I could tell, for him the world disappeared when he ate, for not once did he glance at Cardamom. I watched him. When he was finished he placed his fork on the plate and looked up at me and licked his lips. The morning was sticky and sluggish and felt more like an afternoon. I had maple syrup on my fingertips and in the corners of my mouth. “Sometimes,” he said, “I think that desire cracks the cup from which it came, leaving one dry inside, hard and gritty. This has been my experience?” “Blueberries,” I said, “remind me of a woman I’ve been trying to forget. That’s all I know.” With that I stared out the window and began waiting. I began waiting for the morning to change. 284 Kardamom sagte nichts. Er war zurück auf der Galeone, taumelnd. „Warum fragst du?“, sagte ich. „Weil ich, als ich aufwachte, an die Griechen dachte.“ Er wendete zwei Pfannkuchen. „Was denkst du, K?“ Kardamom schlürfte seinen Kaffee. „Scheiß auf die Griechen.“ „Wie scharfsinnig. So eine präzise Erkenntnis. Dein Verstand ist wie ein Laser.“ „Du solltest mal meinen Schwanz sehen“, sagte er. Theos Gesicht errötete und ich könnte schwören, er versuchte ernsthaft, nicht darauf zu starren. „Naja, vielleicht besitzt du eines Tages den Anstand, das zu beweisen“, sagte er und fing an, seinen Pfannenheber zu wirbeln. Dann begann er, um den Pfannkuchen herum zu kratzen. „Möchte jemand Pfannkuchen?“ „Sicher.“ Theo reichte mir einen Teller. „Danke“, sagte ich. „Gern geschehen.“ Theo wandte sich Kardamom zu. „Oh mein Gott! Kardamom! Da ist ein Loch in deiner Hose!“ Ich verschluckte mich am Pfannkuchen. 285 I began waiting for the afternoon, and for the evening to change too. I wanted it to change into the evening, and the evening into night, and for the night into a better night. I began waiting for an end. I lingered there until I withered away into a dry ball of dust that would disperse from the faintest of breath. At least that’s how I thought of it. Thinking back, I think Cardamom was staring out the window too, but I can’t be sure. But I imagine him. And I imagine myself, the two of us (as we were) poisoned by the berries that I made us eat. I had to bring an end to it. They weren’t blueberries that I gave Theo… oh no! No! I handed Theo the good batch, the final batch. They were the berries of the Belladonna. And as we lay there dying in the gray City of Michael, just outside of Cardamom or Lye Alabama, Theo too. I began to wonder and think about this creature that lay along l’Avenue des Femurs, Cardamom, who I so wanted to be, this critter so in love with Abigail, oh Abigail, he moaned, lying on the pavement with his head severed. Abigail so far away, his heart twitching as the marching bands played, Bring in the Clowns. I saw lovers laughing as we lay bleeding out in front of the post office— the lot of us, Theo, Cardamom, and me—We lived in our thoughts, barely living. It is as if we are a Russian Doll. Cardamom opens 286 „Fick dich, Theo. Es ist genauso meine Wohnung, wie deine auch.“ „Dass ich nicht lache—dann stört es dich ja nicht, wenn ich mir in deinem Schlafzimmer einen runterhole?“ „So lange du hinterher aufräumst, kannst du machen was du willst.“ „Du bist krank“, sagte er. „Nein, du bist krank.“ „Wir sind alle krank“, sagte ich. Daraufhin streckte er, als nachträglichen Einfall, mit beiden Händen einen Teller hin, wie ein Angebot an Abfall, eine bessere Version seiner selbst: „Pfannkuchen?“ „Danke“, sagte Kardamom und nahm den Teller mit dem Pfannkuchen, schlurfte zum Tisch und setzte sich neben sein Fenster. Theo wendete zwei weitere Pfannkuchen. „Schmecken sie?“ „Mmmm. Exzellent“, sagte ich. „Ich liebe Blaubeeren. Sie erinnern mich an meine wahre Liebe.“ „Wer soll das sein?“ „Sie ist mittlerweile verheiratet.“ 287 up the outer shell and extracts a more wounded form of himself, something I could never bear. Something squishy, that he thinks of as a truer version. He holds it up, disgusted, as if it were a dead animal. He addresses it, forgetting that it is himself to whom he speaks. He says, for instance, “Why do you lust for her, the alligator girl, the one with the wide mouth and thick lips?” When he’s not being a dead animal, he is a doll, a raggedy one culled from the shelly Russian core, ill-treated, spineless and flopped. He talks about himself in the third person like something on the horizon, so much so, in front of himself… How rude. “So much so has passed since he first met her,” he says to himself of himself. “I hate to state the obvious, but she is out of his league.” Someone hands someone a Schlitz. “You lack discipline!” he says, jabbing his finger at him. “This is why you are unfit for girls like her. You are too old, too, also,” he continues, slurping an anchovy into his mouth. “You have bad habits, fatty. Bad grammar and an overdue electric bill.” He takes a gulp of strawberry milk. The dead animal wants to be a doll again, something he can hold onto, something others can hold, something cuddled and drooled upon. He 288 „Achso. Du liebst sie immer noch.“ „Ich möchte sie töten.“ „Ich weiß“, sagte Theo. „Liebe ist Gift.“ Er setzte sich mit seinem Pfannkuchenteller nieder und begann schweigend zu essen, und ich könnte schwören, dass, während er aß, die Welt für ihn verschwand, denn nicht ein Mal fiel sein Blick auf Kardamom. Ich beobachtete ihn. Als er fertig war, legte er seine Gabel auf den Teller und sah zu mir hoch und leckte seine Lippen. Der Morgen war stickig und träge und fühlte sich eher wie ein Nachmittag an. Ich hatte Ahornsirup auf meinen Fingerspitzen und in den Ecken meines Mundes. „Manchmal“, sagte er, „habe ich das Gefühl, dass Begierde die Schale knackt, aus der sie kam, und einen ernüchtert zurücklässt, hart und kiesig. Das ist meine Erfahrung?“ „Blaubeeren“, sagte ich, „erinnern mich an eine Frau, die ich zu vergessen suchte. Das ist alles, was ich weiß.“ Daraufhin starrte ich aus dem Fenster und begann zu warten. Ich begann, auf die Veränderung des Morgens zu warten. Ich begann, auf den Nachmittag zu warten, auf den Abend und dessen Veränderung. Ich wollte, dass es Abend würde, 289 wants Abigail to call him with her alligator-mouth, a bark and hiss—called out of the blue sky like a peregrine falcon—her name cawed over the lea. Yes, he says, he said yes. “Would you like to get some tea, sometime?” “I’m so glad you asked.” In this cave that resembles the inside of a skull, the cities of Lye, Cardamom and Michael are a lifetime away. Their voices echo. There is a pool of water too, with the bell-like shimmer of a mirror. A flower grows there. This is where they Greek under the clock of midnight where time does not exist. It is snowing outsided in the past where he used to be no longer as it now existed in his brain case, too thick for hammers, too jaded for the oils of insouciance. “We’re no longer together,” she says of her husband. “I poisoned him.” Her fingers slip into his third person and their arms swing forward and back, and the dead animal that became a doll that became a man, could not feel the ground. He is struck by an overwhelming need to count the freckles on her nose; she smiles at his focused gaze. It is like a drain that sucks him in. She is the kind of girl who speaks three languages fluently and stops after the first beer. But he is a dead animal. He speaks one language poorly. There 290 und der Abend zur Nacht und die Nacht zu einer besseren Nacht. Ich begann, auf das Ende zu warten. Ich lungerte dort, bis ich zu einer trockenen Kugel aus Staub verkümmerte, die vom leisesten Hauch aufgelöst werden würde. Zumindest dachte ich damals so darüber. Rückblickend meine ich, dass Kardamom auch aus dem Fenster starrte, aber sicher bin ich mir nicht. Doch so stelle ich ihn mir vor. Und ich stelle mir uns beide vor (wie wir dort saßen), vergiftet durch die Beeren, die ich uns essen ließ. Ich hatte es zu einem Ende bringen müssen. Es waren keine Blaubeeren, die ich Theo gegeben hatte… oh nein! Nein! Ich hatte Theo den guten Stoff gegeben, den finalen Stoff. Es waren die Beeren der Belladonna. Und als wir dort lagen, sterbend in der grauen Stadt von Michael, etwas außerhalb von Kardamom oder Lye, Alabama, Theo auch, begann ich mich über diese Kreatur, die entlang der l’Avenue des Femurs lag, zu wundern und über sie nachzudenken: Kardamom, der ich so gern sein wollte, dieses dermaßen in Abigail verliebte Viech, oh Abigail, stöhnte er mit seinem abgetrennten Kopf am Asphalt liegend. Abigail, so weit entfernt, sein Herz zuckte noch als die Marschkapelle Bring in the Clowns spielte. Ich sah Liebende lachen, als wir vor der Postfiliale in unserem eigenen Blut lagen—die vielen Wir, Theo, Kardamom und ich—wir lebten in unseren 291 is something rotting and garbled about his sound, like it is trying to invent itself. He slurs into bottles until white turns black. But when he is a doll, anything can happen, like for instance, the holding of hands, or watching her towel off after a shower in France, or better yet, the poisoning of her husband—so finely crafted—so that she could abscond, former doll-man in hand… Her, a pale nakedness trapped in a Degas—a madness he knows—it would take more than just his penis to impregnate her. It would take a time machine. He could go back in time and fix himself. Make better decisions. Self imposed pedigree. Avoid the city of Michael all together. There would be a conversion to Judaism. Classes in Elf Is Steam: a whistling puff of magic, how to turn the intangible touchable—the piping black kettle burns. Like dipping his hands into a cold stream, he would enter her and end the burning. She would accept his polyglot tongue, native and otherwise. Beneath the cupola, he would offer himself as the glass. Smash me, he would say. Break me into discernibles. Fuck me, she says, fuck me. We learn, quickly; discernibles shrink, grow buzz, useless things. The marching band is passing, a conglomerate of objects placed parceled onto a conveyor of broken figured-out. Make sense out of this hole-form from where I speak, the speak 292 Gedanken, kaum lebend. Es ist, als seien wir eine russische Puppe. Kardamom öffnet die äußere Hülle und offenbart eine schwerer verwundete Form von sich, etwas, was ich nie ertragen könnte. Etwas Matschiges, das er für eine wahrere Version hält. Er hält es angewidert hoch, als wäre es ein totes Tier; spricht es an, vergessend, dass er es selbst ist, den er anspricht. Er sagt zum Beispiel: „Warum begehrst du sie, dieses Alligatorenmädchen, mit dem ausladenden Mund und den dicken Lippen?“ Wenn er kein totes Tier ist, ist er eine Puppe, eine zerlumpte, aus dem schaligen russischen Kern ausgestoßen, schlecht behandelt, rückgratlos und versagend. Er spricht über sich in der dritten Person, wie etwas am Horizont, so sehr, vor ihm… Wie unhöflich. „So viel ist also vergangen, seit er sie zum ersten Mal gesehen hat“, sagt er zu sich selbst über sich selbst. „Ich hasse es, das Offensichtliche anzumerken, aber sie ist eine Nummer zu groß für ihn.“ Jemand reicht jemandem einen Schraubenzieher. „Dir mangelt es an Disziplin!“, sagt er, mit seinem Finger auf sich einstechend. „Deshalb bist du für Mädchen wie sie ungeeignet. Und außerdem bist du ebenso zu alt“, fährt er, eine Sardelle in den Mund 293 bouncing off bone like ricochet, bullets, through the boulevard turning doll-men into dead animals. Cart the lot of us away in your slowest train. The first person plural, like a shotgun, a flock of birds, shattered into the winter… Where we can—if I had known then, what I know now—count the snow falling lucky. To be alive in the whiteout of my loneliness and what will never be, not existed. Mistress Abigail you reign supreme thrown before me, my dizzy dreidel; consume me with your dreary afternoon tea, your whirling skirt, your delicate hands… Hold my cock, mold long hours divorced in memory, moored to this fantasy. I have a coin for Charon, a reflection, an echo… an echo. stopfend, fort. „Du hast schlechte Angewohnheiten, Dicker. Eine fehlerhafte Grammatik und eine überfällige Stromrechnung.“ Er nimmt einen Schluck Erdbeermilch. Das tote Tier möchte wieder eine Puppe sein, etwas, an dem er sich festhalten kann, etwas, was andere halten können, etwas Gehätscheltes und Besabbertes. Er möchte, dass Abigail ihn mit ihrem Alligatorenmund ruft, ein Bellen und Fauchen— wie ein Wanderfalke aus heiterem Himmel gerufen—, ihr Name über den Flur gekrächzt. Ja, sagt er, er sagte ja. Möchtest du irgendwann einmal Tee trinken gehen?“ „Ich bin so froh, dass du fragst.“ In dieser Höhle, die dem Inneren eines Schädels ähnelt, sind die Städte Lye, Kardamom und Michael ein Leben entfernt. Ihre Stimmen hallen nach. Auch eine Wasserpfütze gibt es hier, mit dem glockenförmigen Schimmer eines Spiegels. Darin wächst eine Blume. Hier griechen sie unter dem Mitternachtsmantel, wo die Zeit nicht existiert. In der Vergangenheit schneit es äußerst, wo er einst nicht mehr, dafür jetzt, in seinem Gehirnbehälter existierte, für Hämmer zu dick, für den Balsam der Sorglosigkeit viel zu erschöpft. 294 295 „Wir haben uns getrennt“, sagt sie über ihren Ehemann. „Ich habe ihn vergiftet.“ Ihre Finger schieben sich in seine dritte Person und ihre Arme schwingen vor und zurück, und das tote Tier, das eine Puppe wurde, die ein Mensch wurde, verliert den Boden unter sich. Er ist von dem Bedürfnis überwältigt, die Sommersprossen auf ihrer Nase zu zählen; und sie belächelt seinen fokussierten Blick. Es ist wie ein Abfluss, der ihn einsaugt. Sie ist die Art Mädchen, die drei Sprachen fließend spricht und nach dem ersten Bier aufhört. Er hingegen ist ein totes Tier. Er spricht eine Sprache dürftig. Seine Stimme hat etwas Verrottendes und Entstelltes, so als ob sie sich selbst zu erfinden versuche. In Flaschen lallt er, bis Weiß Schwarz wird. Aber wenn er eine Puppe ist, kann alles passieren, wie zum Beispiel das Halten von Händen, oder, dass er ihr, nach einer Dusche in Frankreich, beim Abtrocknen zusieht, oder besser noch, die Vergiftung ihres Ehemanns—so fein gestaltet—so dass sie fliehen könnte, den früheren Puppen-Mann in den Händen… Sie, eine blasse Nacktheit, eingeschlossen in einem Degas—eine Frechheit, wie er weiß—es bräuchte mehr als nur seinen Penis, um sie zu schwängern. Es bräuchte eine Zeitmaschine. Er könnte in der Zeit zurückgehen und sich selbst richten. Bessere Entscheidungen treffen. Den 297 Stammbaum selbst erstellen. Die Stadt von Michael allseits meiden. Es gäbe eine Konvertierung zum Judentum. Dem Selbstwertgefühl ordentlich Dampf unterm Hintern machen: ein pfeifender Hauch Magie, wie man das Immaterielle fassbar macht—der glühend heiße, schwarze Wasserkessel brennt. Als tauche er seine Hände in einen kalten Strom, dränge in sie ein und beende das Brennen. Sie würde seine polyglotte Zunge akzeptieren, muttersprachlich oder sonstwie. Unter der Kuppel würde er sich selbst als das Glas anbieten. Zerschmettere mich, würde er sagen. Brich mich in Wahrnehmbares. Fick mich, sagt sie, fick mich. Wir lernen flugs; Wahrnehmbares schrumpft— wächst die Begeisterung—die unwesentlichen Dinge. Die Marschkapelle zieht vorbei an einem Konglomerat aus Objekten, die—eingeteilt—auf ein Förderband zerbrochener Gründe gelegt wurden. Mach dir einen Reim aus dieser Loch-Form, von der aus ich spreche, und wo die Rede—wie Querschläger, Kugeln am Boulevard—von den Knochen abprallt und Puppen-Männer in tote Tiere verwandelt. Karr die vielen von uns weg, in deinen langsamsten Zügen. Die erste Person Plural, wie eine Schrotflinte, ein Vogelschwarm, zersplittert im Winter… Dort können wir—wenn ich damals gewusst hätte, was ich jetzt weiß—den fallenden Schnee glücklich schätzen. Wir könnten 299 in der Auslassung meiner Einsamkeit leben und was niemals sein wird, hätte nie existiert. Geliebte Abigail, du herrscht uneingeschränkt, mein mir zu Füßen geworfener, schwindeliger Dreidel; verbrauch mich mit deinem öden Nachmittagstee, deinem wirbelnden Rock, deinen zierlichen Händen… Halt meinen Schwanz, form lange Stunden losgelöst in der Erinnerung, vertäut an diese Einbildung. Ich habe eine Münze für Charon, ein Spiegelbild, ein Echo… ein Echo. 301 The authors represented in Word for Word 2013 would like to thank Columbia University’s School of the Arts (SoA) and the Deutsches Literaturinstitut Leipzig (DLL) for creating the collaborative exchange that made these translations of their work possible, and for supporting the publication of this book. They would also like to thank in particular: Carol Becker and Jana Wright, Deans of the School of the Arts; Binnie Kirshenbaum, Chair of the SoA Writing Program; Michael Lentz, Academic Director of the DLL; William Wadsworth, SoA Director of Academic Administration, Writing; Claudius Niessen, Managing Director of the DLL; Josef Haslinger, Professor at DLL; Uljana Wolf; Susan Bernofsky, Professor and Director of Literary Translation at Columbia (LTAC); Alicia Stevens, SoA Director of Global Programs; Ian Felstead, SoA Manager of Global Programs; Pamela Casey, SoA Project Coordinator; Christian Parker, Chair of the SoA Theatre Arts Program; Julie Rossi, Director of Academic Administration, Theatre Arts; Charles L. Mee, Head of the Playwriting Concentration, Theatre Arts; Matvei Yankelevich and Ugly Duckling Presse; Professor Andreas Huyssen, Director of Columbia University’s Deutsches Haus; Professor Mark Anderson, Department of Germanic Languages, Columbia; Alexandra Scherbl; Austrian Cultural Forum; and Teta M. Moehs of the American Consulate in Leipzig. Die Autoren danken der School of Arts (SoA) der Columbia University und dem Deutschen Literaturinstitut Leipzig (DLL) der Universität Leipzig dafür, dass sie dieses Austauschprogramm ins Leben gerufen haben. Wort für Wort 2013 hat ihnen die Übersetzungen ihrer Texte ermöglicht und sie bei der Publikation dieses Buches unterstützt. Ihr Dank gilt im Besonderen: Carol Becker und Jana Wright, Dekane der School of the Arts; Binnie Kirshenbaum, Chair des SoA Writing Program; Michael Lentz, Professor und Direktor des DLL; William Wadsworth, Verwaltungsdirektor des SoA Writing Program; Claudius Nießen, Geschäftsführer des DLL; Josef Haslinger, Professor für Literarische Ästhetik des DLL; Uljana Wolf; Susan Bernofsky, Professorin und Direktorin, Literarische Übersetzung an der SoA; Alicia Stevens, Direktorin für Internationale Programme an der SoA; Ian Felstead, zuständig für Globale Programme an der SoA; Pamela Casey, Projektkoordinatorin der SoA; Christian Parker, Chair des SoA Theatre Arts Program; Julie Rossi, akademische Verwaltungsdirektorin des Theatre Arts Program; Charles L. Mee, Leiter des Schwerpunkts Dramaturgie, Theatre Arts; Matvei Yankelevich, Verleger Ugly Duckling Press; Professor Andreas Huyssen, Direktor Deutsches Haus an der Columbia University, Professor Mark Anderson, Germanic Languages, Columbia University; Alexandra Scherbl; Austrian Cultural Forum; sowie Teta M. Moehs vom Amerikanischen Generalkonsulat in Leipzig. Prose/Fiction: Kevin Magruder Prosa: Kevin Magruder Kevin Magruder was raised in San Diego, California and studied creative writing in San Francisco for five years before moving to New York City in 2010. Since coming to New York he has worked as an editorial intern in the fiction department at The New Yorker and was the recipient of a Hertog literary research fellowship in the spring of 2012. He was also awarded a teaching fellowship at Columbia for the spring of 2013. He recently finished a rough draft of a novel. Kevin Magruder ist in San Diego, Kalifornien aufgewachsen und hat 5 Jahre lang Literarisches Schreiben in San Francisco studiert bevor er 2010 nach New York City zog. Seitdem hat er als Redaktionspraktikant der Prosaabteilung des New Yorkers gearbeitet, außerdem wurde er im Frühjahr 2012 mit einem Hertog Litertaturstipendium ausgezeichnet. Im Frühjahr 2013 erhielt er ein Lehrstipendium an der Columbia University. Vor kurzem hat er seinen ersten Entwurf für einen Roman fertiggestellt. Prose/Fiction: Michael Makowski Prosa: Michael Makowski Michael Makowski writes about himself in the third person through the thick bars of the first person singular while all along yearning for the first person plural. He currently works in a word factory repairing words that begin with L, and all those that should, but the press is broken. He is a graduate of Salem State University, has been published in the Heat City Review and Soundings East. Currently he is an MFA candidate at Columbia University and is grateful to those who guided him. Michael Makowski lebt in New York City, wo er auch als Multimedia-Künstler tätig ist, und hat bereits zahlreiche Ausstellungen und Performances absolviert. Er hat in den Zeitschriften Heat City Review und Soundings East veröffentlicht und ist derzeit MFA-Anwärter an der Columbia University. Er ist all denjenigen dankbar, die ihm ihre Unterstützung und Führung geboten haben. Playwriting: Bryan Quick Szenisches Schreiben: Bryan Quick Bryan Quick is a New York-based playwright and director. Most recently Blue Moon was performed at Columbia University. Other works include: King Sisyphus (Reading; The Flea Theater), The Man Who Wasn’t There (Dixon Place; Edmonton International Fringe Festival), Hotel Valhala (Norwegian Theatre Academy; Robert Wilson’s Watermill Center), Apology for Survivors (Schapiro Theater), A Dream… (Dixon Place), The True Story of the Boogeyman (La Mama etc), Battle of the Bowery (Peculiar Works Project), and Vengeance! (Goodwin Theater). He is an MFA playwrighting candidate at Columbia University, and holds a BA in Theater & Dance from Trinity College. Bryan Quick ist Dramaturg und Regisseur und lebt in New York. Vor kurzem wurde sein Stück Blue Moon an der Columbia University uraufgeführt. Zu seinen weiteren Aufführungen zählen King Sisyphus (Reading; The Flea Theater), The Man Who Wasn’t There (Dixon Place; Edmonton International Fringe Festival), Hotel Valhalla (Norwegische Theaterakademie; Robert Wilsons Watermill Center), Apology for Survivors (Schapiro Theater), A Dream… (Dixon Place), The True Story of the Boogeyman (La Mama etc), Battle of the Bowery (Peculiar Works Project), and Vengeance! (Goodwin Theater). Er ist Anwärter auf einen MFA in Dramaturgie an der Columbia University, und hat einen Bachelor in Theater und Tanz vom Trinity College. Nonfiction: Rachel Sur Nonfiction: Rachel Sur Rachel Sur is a writer based in New York and Tel Aviv, and is pursuing an MFA in nonfiction writing at Columbia University. She is interested in the relationship between art and politics; in how the shifting global balance of power is shaping culture, ideologies and aesthetics; and in the recent political transitions in the Middle East and South Asia. She has taught calculus at Tel Aviv University and edited the academic manuscripts of its most acclaimed sociologists. She was a recipient of the Hertog research fellowship in 2012. She thinks German sentences are mystical. Rachel Sur ist Autorin und lebt in New York und Tel Aviv. Sie absolviert derzeit Ihren MFA in Nonfiction an der Columbia University. Ihr Interesse gilt der Beziehung zwischen Kunst und Politik; insbesondere der Verschiebung von globalen Machtverhältnissen und wie diese Kultur, Ästhetik und Ideologie beeinflussen, sowie den jüngsten politischen Umwälzungen im Mittleren Osten und Südasien. Sie hat an der Universität Tel Aviv mathematische Analysis unterrichtet sowie Manuskripte von dortigen namhaften Soziologen editiert. 2012 erhielt sie das Hertog Forschungsstipendium. Ihrer Meinung nach haben deutsche Sätze etwas Mystisches an sich. 310 Prose/Fiction: David Frühauf Prosa: David Frühauf David Frühauf, born 1987 in Braunau/Inn, Austria. German Studies and Creative Writing in Vienna and Leipzig. Coeditor of the anthology Tippgemeinschaft 2012 of the Deutsche Literaturinstitut Leipzig and since 2011 editorial assistant of the literary magazine Edit. Reviews on fixpoetry.com. David Frühauf, geboren 1987, studierte Germanistik & Sprachkunst in Wien, seit 2010 Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Redaktionsassistent bei Edit, Mitherausgeber der Anthologie Tippgemeinschaft 2012, Rezensionen auf fixpoetry.de. Prose/Fiction: Ursula Kirchenmayer Prosa: Ursula Kirchenmayer Ursula Kirchenmayer was born in 1984 in Lugoj (Romania) and grew up in Nuremberg. Currently she lives in Berlin. She pursued a master’s degree in German and Hispanic Literature at Potsdam University and studied two semesters abroad at San Marcos University in Lima (Peru). In 2010, she joined the Creative Writing Program in Leipzig. In 2012, she received the second prize in the 17th MDR literary competition for one of her short stories. Her fiction was published in numerous magazines and anthologies, such as BELLA triste, Tippgemeinschaft and poet. Ursula Kirchenmayer wurde 1984 in Lugosch (Rumänien) geboren und lebt in Berlin. Sie studierte Literaturwissenschaft und Spanische Philologie an der Universität Potsdam sowie an der Universidad Nacional Mayor de San Marcos in Lima. Nach weiteren Aufenthalten in Lateinamerika ist sie seit 2010 Studentin am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 2012 gewann sie den zweiten Preis des 17. MDRLiteraturwettbewerbs sowie das Wettschreiben „You want to read in Frankfurt“ der Jungen Verlagsmenschen: Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien, u.a. Tippgemeinschaft, poet und BELLA triste. 311 312 Playwriting: Juliane Stadelmann Szenisches Schreiben: Juliane Stadelmann Juliane Stadelmann is 27 years old. Born and raised in Salzwedel, in the “wild wild east” of Germany, she was an exchange student at „Colégio Objetivo“ in Santa Maria/Brazil in 2002/2003, a surf teacher in France and Hawaii, then in 2007, came back to Germany. From 2008-2011, she was in drama school in Berlin. Shortly after graduating drama school, she applied at the Deutsches Literaturinstitut Leipzig where she studies since fall 2011. This year she is coeditor of „Tippgemeinschaft 2013“ the annual anthology of the Deutsches Literaturinstitut Leipzig. Juliane Stadelmann ist 27 Jahre alt und wurde in Salzwedel, im “wilden Osten” Deutschlands geboren. 2002/2003 war sie Austauschschülerin am “Colégio Objetivo” in Santa Maria/Brasilien. Außerdem arbeitete sie als Surflehrerin in Frankreich und Hawaii, um 2007 schließlich zurück nach Deutschland zu kommen. Von 2008 bis 2011 besuchte sie die Schauspielschule in Berlin. Nach ihrem Abschluss dort, bewarb sie sich am Deutschen Literaturinstitut Leipzig, wo sie seit Herbst 2011 studiert. In diesem Jahr ist sie Mitherausgeberin der “Tippgemeinschaft 2013”, die Jahresanthologie der Studierenden des Deutsche Literaturinstituts. Nonfiction: Ellen Wesemüller Nonfiction: Ellen Wesemüller Ellen Wesemüller was born 1980 in Hanover. She studied Political Studies, History and Social Psychology in Hanover and Cape Town (Master of Arts). She was an associate lecturer in Sociology and History at the University of Hanover. She was educated at the Berlin School of Journalism, including an internship with the ZDF - German Television in NYC. She works as a freelance journalist for daily and weekly newspapers, including DIE ZEIT. Since 2010 she studies Literary Writing (Master of Arts) in Leipzig and is writing her first novel. Her poems and short stories were published in „Tippgemeinschaft“ and „Edit“. She participated in the workshop for literary writing in Klagenfurt 2012 and won the scholarship „Alfred Döblin“ of the Academy of Arts, Berlin. Ellen Wesemüller wurde 1980 in Hannover geboren. Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Sozialpsychologie in Hannover und Kapstadt. Lehrbeauftragte am Institut für Soziologie und am Historischen Seminar der Universität Hannover. Ausbildung an der Berliner Journalisten-Schule, Praktikum beim ZDF in New York. Freie Arbeit als Journalistin, u.a. für die Berliner Zeitung und DIE ZEIT. Seit Oktober 2010 am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, wo sie im Masterstudiengang ihren ersten Roman schreibt. Lyrik von ihr ist in der Tippgemeinschaft erschienen, Kurzprosa in der Edit. 2012 nahm sie am Klagenfurter Literaturkurs teil und erhielt das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste Berlin. 313 The Master of Fine Arts Writing Program of Columbia University’s School of the Arts was founded in 1967, and is one of the foremost creative writing programs in the United States. Students in the Program pursue degrees in fiction, poetry, or creative nonfiction, with the option also to pursue a joint course of study in literary translation. The Program is distinguished by the intellectual rigor of its curriculum, the eminence of many of the writers on faculty, and the significant number of its alumni who have gone on to become eminent authors in their own right. Der Masterstudiengang für Literarisches Schreiben an der School of Arts der Columbia University wurde 1967 gegründet. Er ist einer der führenden und bedeutendsten Creative Writing Studiengänge in den USA. Studierende können Abschlüsse in Prosa, Lyrik und Sachliteratur erlangen und haben gleichzeitig die Möglichkeit, einen Kurs in literarischer Übersetzung zu belegen. Der Studiengang zeichnet sich durch seinen überaus anspruchsvollen Lehrplan ebenso aus, wie durch die bedeutenden Autoren die hier unterrichten und nicht zuletzt auch durch die hohe Anzahl an Absolventen, die inzwischen selbst zu bekannten Autoren wurden. Das Deutsche Literaturinstitut Leipzig (DLL) ist eine zentrale Einrichtung der Universität Leipzig. Seit 1995 bietet es einen Studiengang zur Ausbildung angehender Schriftsteller. Neben dem dreijährigen Bachelor-Studiengang „Literarisches Schreiben“ mit den Schwerpunkten Lyrik, Prosa und Szenisches Schreiben wird seit dem Wintersemester 2009 auch ein MasterStudiengang „Literarisches Schreiben“ angeboten. Dieser dauert zwei Jahre und ist als Romanwerkstatt angelegt. Ziel des Studiums ist es, den Studierenden in den beiden angebotenen Studiengängen sowohl eine möglichst professionelle Schreibkompetenz und literarische Gestaltungsfähigkeit als auch literarhistorische und literaturtheoretische Kenntnisse zu vermitteln. The German Creative Writing Program Leipzig (Deutsches Literaturinstitut Leipzig / DLL) is a central institution at Universität Leipzig, providing the only degree course for writers in the making in Germany since 1995. Alongside the three-year BA in Creative Writing, focusing on poetry, prose and drama, an MA in Creative Writing has also been on offer from the winter semester of 2009. This is a two-year degree designed as a novel workshop. The aim of the program is to provide students with highly professional writing skills and creative competence, along with knowledge of literary history and theory.