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Materialien zur Friedenserziehung
Beispiele
Praxis
www.volksbund.de
Pädagogische Handreichung – Arbeit für den Frieden
Deutsche und Polen
Wege zur
Versöhnung
Pädagogische Handreichung
von Dr. Christine Paschen
Landesverband Bayern
Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Karten von Polen
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Polen im Überblick
Polen heute
Polen und die Musik
Polnische Spezialitäten
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Deutsche und Polen – ein historischer Überblick
Deutsche und Polen vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit
Zeittafel 963–1466: Von der Staatswerdung bis zum Sieg über den Deutschen Orden
Ostsiedlung und mittelalterlicher Landesausbau
Privilegien für Siedler in Polen
Der Deutsche Orden und der Mythos Grunwald / Tannenberg
Zeittafel 1470–1572: Das Goldene Zeitalter
Nikolaus Kopernikus, Veit Stoß, Faust – Deutsche, Polen, Europäer?
Deutsche und Polen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert
Zeittafel 1572–1795: Die Zeit der Wahlkönige
Polen im Kalkül Friedrichs des Großen
Deutsche und Polen bis zum Ende des 1. Weltkrieges
Zeittafel 1806–1918: Volk ohne Staat
Deutsche Polenbegeisterung in den 1830er Jahren
Polen in der deutschsprachigen Literatur des 19. Jahrhunderts
Deutsche und Polen im „Völkerfrühling“ 1848
Polen und das Deutsche Kaiserreich
Die Stellung der polnischen Minderheit im Bismarckreich
Der Erste Weltkrieg
Deutsche und Polen seit dem frühen 20. Jahrhundert
Zeittafel 1919–1939: Zwischen den Kriegen
Die Abstimmungsgebiete
Zeittafel 1939–1945: Der Zweite Weltkrieg
Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges
Die nationalsozialistische Okkupationsherrrschaft in Polen
Zwangsarbeit
Zeittafel: Verfolgung und Vernichtung der Juden
Das Warschauer Ghetto
Der Warschauer Aufstand
Deutsche und Polen nach 1945
Zeittafel 1945 – 1989 – 2004
Flucht und Vertreibung
Die neue Ostpolitik der Bundesrepublik und der Warschauer Vertrag 1970
Deutsch-deutsche Reaktionen auf die Demokratiebewegung der 80er Jahre in Polen
Deutsch-polnische Beziehungen von 1989 bis zur Gegenwart
Rede von Bundeskanzler Schröder zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstandes
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Die Friedens- und Versöhnungsarbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Polen
Die deutsch-polnische Jugendarbeit des Volksbundes
Polnische Kriegsgräber in Bayern
Golm – die erste Jugendbegegnungsstätte des Volksbundes in Deutschland
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Literaturverzeichnis
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Deutsche und Polen –
Wege zur Versöhnung
In mittelalterlichen Chroniken wurde Polen gelegentlich als „terra aliena“ bezeichnet – als
fremdes und fremdartiges Land. In mancher Hinsicht ist es dies für Deutsche bis heute
geblieben, obwohl wir mit Polen eine lange gemeinsame Grenze teilen. Statt Kenntnissen
bestimmen häufig Unkenntnis oder Halbwissen unser Bild des Nachbarn.
Damit ist der Weg für vorschnelle Urteile und Vorurteile bereitet. Ohne Kenntnis der
Geschichte sind manche der polnischen Reaktionen im Umfeld des europäischen Einigungsprozesses unverständlich oder wirken übertrieben. Sie werden verständlich vor dem
Hintergrund eines Landes, das in den vergangenen Jahrhunderten zum Spielball benachbarter Großmächte wurde und wiederholt von der europäischen Landkarte verschwand.
Das Trauma des erzwungenen Verlustes der Eigenstaatlichkeit hat bis heute tiefe Spuren
hinterlassen.
Gerade von Deutschen und Polen sind „Wege der Versöhnung“ erst relativ spät beschritten
worden. Nach den Leiderfahrungen des 2. Weltkrieges erschienen sie zunächst sogar
ungangbar. Danach nahmen sie durch die deutsche Teilung einen unterschiedlichen Verlauf, um sich nach den Ereignissen der Jahre 1989 und 1990 weiter anzunähern. Die jüngsten Diskussionen um ein Zentrum gegen Vertreibungen und die Entschädigungsansprüche
von Vertriebenen zeigen jedoch, dass bestimmte Probleme selbst 60 Jahre nach Kriegsende noch kontrovers gesehen werden.
Dass diese Diskussion im offenen Dialog stattfinden kann, zeugt andererseits auch von
Fortschritt.
Die vorliegende pädagogische Handreichung soll wie das bereits erschienene Heft zum
Thema „Deutsche und Ungarn“ in erster Linie einen Beitrag zur Wissenserweiterung leisten, im steten Bewusstsein, dass man über das Verhältnis von Deutschen und Polen bis
heute viel Falsches sagen und schreiben kann.
Deswegen hat sich die deutsch-polnische Schulbuchkommission jahrelang um eine bilaterale Klärung strittiger Sichtweisen bemüht, was sich auf Grund der oft höchst unterschiedlichen Bewertungen historischer Ereignisse als äußerst schwierig erwies. Angesichts
dieser Problematik ist eine umfassende, allen Aspekten der deutsch-polnischen Geschichte gerecht werdende Darstellung kaum realisierbar. Auch liegt in der notwendigen Kürze
die zusätzliche Gefahr der Verkürzung.
So kann die Handreichung mit ihrem Literaturverzeichnis, in dem auch Hinweise zur
Kinder- und Jugendliteratur zu finden sind, lediglich eine Anregung bieten, sich vertiefter
mit der deutsch-polnischen Geschichte zu beschäftigen, um wechselseitige Empfindlichkeiten besser zu verstehen und den Weg der Versöhnung weiter auszubauen.
Dr. Christine Paschen
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Nachbarn
Nachbarn:
Deutsche und
Polen teilen sich
eine lange
gemeinsame
Grenze mitten
in Europa
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Ü BERBLICK
Polen heute
Landschaften, Städte
Polen ist zum überwiegenden Teil von der Eiszeit geformtes
Tiefland und bildet ein Übergangsgebiet zwischen dem Tiefland
Osteuropas und dem Norddeutschen Tiefland.
Name:
Republik Polen
(Rzeczpospolita Polska)
Klima:
Kontinentalklima
Hauptstadt:
Warschau mit ca. 2,4 Mio.
Einwohnern
Bevölkerung:
38.61 Mio. (2003),
123 Einwohner pro km2
Größe:
312 678 km2
Religionen:
Katholiken (35 Mio.), RussischOrthodoxe, Protestanten, Altkatholiken, Juden
Nationalfeiertage: 3. Mai: (erste polnische
Verfassung 1791)
11. November:
(Unabhängigkeit 1918)
Regierungsform:
Parlamentarische Demokratie mit
Zweikammerparlament (Sejm: 460
Abgeordnete, Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht;
Senat: 100 Senatoren, Mehrheitswahlrecht)
Staatsoberhaupt: Präsident, direkt gewählt für fünf
Jahre
Polen ist landschaftlich ähnlich wie Deutschland gegliedert:
Von der wenig gegliederten Küste im Norden aus folgen Flachland mit der Seenplatte des Baltischen Landrückens, das Mittelpolnische Urstromtal, Mittelgebirge (die Polnische Platte) und
schließlich das Hochgebirge.
Der Norden des Landes dehnt sich als weite Tiefebenen von der
westlichen zur östlichen Landesgrenze aus, deren höchste Erhebungen 200 m meistens nicht überschreiten. Im Nordwesten liegt
die Hafenstadt Stettin (Szczecin), im Norden Gdingen (Gdynia)
und Danzig (Gdańsk). Der Nordosten wird durchzogen von der
Masurischen Seenplatte mit den Städten Elbing (Elbląg) und
Allenstein (Olsztyn). Die Mitte des Landes gehört zu dieser
ersten Zone flachen Landes, in der sich die Hauptstadt Warschau
und die Industriestadt Lodz befinden. Dem Tiefland im Norden
folgt als zweite Zone Hügelland, das sich östlich der Oder von
Grünberg (Zielona Góra) über Tschenstochau (Częstochowa),
vorbei an Kattowitz (Katowice) und Krakau (Kraków) bis zu
dem Heilig-Kreuz-Gebirge (Góry Świętokrzyskie) mit der Stadt
Kielce erstreckt. Als dritte Zone schließt sich weiter im Süden
zur Grenze mit der Tschechischen Republik und der Slowakei
die Gebirgslandschaft des Riesengebirges im Westen und den
Karpaten, Beskiden und der Hohen Tatra (Tarnica) weiter östlich
an. Höchster Berg ist der Rysy (Meeraugenspitze) mit 2 499 m.
Hauptstrom Polens ist die Weichsel (Wisla) mit 1 047 km Länge,
ihr wichtigster Nebenfluss der Bug. (http://www.ewis.de/ plgeo.html;
http://de.wikipedia.org/wiki/ polen)
Die bedeutende Hafenstadt Danzig (Gdańsk) an der Ostseeküste
ist heute zusammengewachsen mit dem Hafenort Gdingen (Gdynia) und dem Kurort Sopot. Die erste urkundliche Erwähnung
stammt aus dem Jahre 999. Danzig war Hauptstadt des piastischen
Fürstentums Pomerellen und danach 1308–1454 im Besitz des
Deutschen Ordens. 1454–1772 gehörte es zu Polen und 1772–
1918 zu Preußen, ehe es 1919–1939 Freie Stadt unter Völkerbundsmandat wurde. In dieser Zeit kam es zu schweren Konflikten zwischen Deutschland und Polen um den Status der Stadt. Am
1. September 1939 begann mit der Beschießung des polnischen
Munitionsdepots auf der Halbinsel Westerplatte, die der Stadt vorgelagert ist, der 2. Weltkrieg. Seit 1945 gehört Danzig zu Polen.
Von hier ging die Solidarność-Bewegung (Lenin-Werft) aus.
Sehenswert sind u. a. der Lange Markt (mit dem Neptun-Brunnen),
das Hohe Tor, das Renaissance-Rathaus, die Marienkirche sowie
die zahlreichen Bürgerhäuser, die vom Reichtum der alten Hansestadt zeugen, und das Krantor (1444), das Wahrzeichen der Stadt.
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Kattowitz (Katowice) war bis 1919 wichtigstes Industriezen-
trum Oberschlesiens und gehört seit der Teilung der Provinz im
Jahre 1922 (abgesehen von 1939–1945) zu Polen. Heute ist die
Stadt Zentrum eines riesigen industriellen Ballungsraumes
(Kohle, Hüttenindustrie) und das ökologische Krisengebiet
Polens.
Krakau (Kraków) ist das Zentrum Kleinpolens und war 1333–
1596 polnische Hauptstadt und Residenz der Könige. In den
Napoleonischen Kriegen war Krakau österreichisch und russisch besetzt, ehe es 1815–1846 Freie Stadt wurde. 1846–1916
gehörte es zu Österreich. Krakau besitzt eine berühmte, auf das
Jahr 1384 zurückgehende Universität (Jagiellonen-Universität)
und eine bekannte Bibliothek. Der Ausbau der Stadt erfolgte
weitgehend unter den Jagiellonenkönigen. In der Zeit der Teilungen war Krakau das kulturelle und geistige Zentrum Westgaliziens. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt Sitz des „Generalgouverneurs“ Hans Frank. Im Krieg nur wenig zerstört, hat
die Stadt ihren Charakter bewahrt und gilt heute als „heimliche
Hauptstadt“. Krakau gehört seit 1978 zum UNESCO-Kulturerbe. Um der Stadt ihren konservativen Charakter zu nehmen,
errichteten die Kommunisten 1947–1954 das metallurgische
Kombinat Nowa Huta mit einer riesigen Trabantenstadt. Die
Luftverschmutzung und der Ruin der Gebäude durch die
Umweltgifte sind heute das größte Problem der alten Königsstadt.
Besonders sehenswert sind der Wawel, das Königsschloss an
der Weichsel (ein Renaissanceschloss mit prächtiger Ausstattung, zum Wawel gehört auch der Dom mit der Königsgruft und
der Sigismund-Kapelle), die Tuchhallen auf dem Marktplatz,
die Marienkirche mit dem Marienaltar (1477–1489) von Veit
Stoß, die Reste der alten Festungsmauern und die rechtwinklig
angelegten Straßen mit prächtigen Häusern. Früher eine eigene
Stadt, gehört Kazimierz heute zu Krakau; hier lebte seit dem 13.
Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg eine große jüdische
Gemeinde.
Liegnitz (Legnica) in Schlesien gehört seit 1945 zu Polen. In
der Nähe besiegten die Tataren am 9.4.1241 das Heer Herzog
Heinrichs II. (Schlacht auf der Wahlstatt). An dem Ort, an dem
man seinen Leichnam fand, befindet sich heute eine Kirche (14.
Jahrhundert). In der Nähe steht die Hedwigs-Kirche (gestaltet
von Ignaz Kilian Dientzenhofer und Cosmas Damian Asam)
zum Andenken an die Heilige Hedwig, Schutzpatronin Schlesiens. Sehenswert ist das ehemalige Piastenschloss und die
Franziskanerkirche mit der 1677/78 erbauten Piastengruft.
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Stadt polnisch. In der gotischen Peter- und Paul-Kirche befindet
sich das Mausoleum für die polnischen Könige Mieszko I. und
Bolesław I. Chrobry. Heute ist die Stadt bekannt durch ihre Universität und die Internationale Messe.
Thorn (Toruń) im Norden Polens liegt an der „Bernsteinstraße“.
Der Handel mit Bernstein zwischen der Ostsee und den Donauländern brachte der Stadt im Mittelalter Reichtum. Hier entstand
1231 die erste Ordensburg, deren Ruinen noch heute zu besichtigen sind. 1793 kam Thorn an Preußen. Der berühmteste Sohn
der Stadt ist der Astronom Nikolaus Kopernikus, an den ein
Denkmal auf dem Rathausplatz (1853) erinnert.
Warschau (Warszawa): Die 1241 erstmals urkundlich erwähn-
te Stadt an der Weichsel ist seit 1596 Hauptstadt Polens. Um die
Entstehung der Stadt ranken sich zwei Legenden: In der Weichsel lebte eine Meerjungfrau (die Sirene ziert das Warschauer
Wappen), die einem Fischer die Entstehung einer unzerstörbaren Stadt prophezeite. Eine andere Legende erklärt den
Namen der Stadt so: ein Liebespaar, Wars und Sawa, gründete
die Stadt. Warschau war bis 1529 Residenz der Herzöge von
Masowien. Die Stadt erhielt ihr heutiges Gesicht v. a. unter den
Sachsenkönigen und unter Poniatowski. Im 2. Weltkrieg war
Warschau Schauplatz zweier Aufstände (1943 und 1944) und
wurde völlig zerstört. Nach dem 2. Weltkrieg wurde das historische Zentrum rekonstruiert. Warschau hat heute 1,7 Mio. Einwohner und ist das administrative, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Polens. Sehenswert ist die historische Altstadt mit
dem Schloss (16. Jahrhundert), die Sigismundsäule, die Barbakane, der St. Johannes-Dom, die Jesuitenkirche und der klassizistische Łazieńki-Park. Der Königsweg führt vom Schloss bis
nach Wilanów, der barocken Sommerresidenz König Jan II.
Sobieskis. Die Stadt besteht aus der Altstadt und der Neustadt;
am gegenüberliegenden Ufer der Weichsel befindet sich die alte
Arbeitervorstadt Praga.
Die Stadt Breslau (Wrocław) gehörte im Mittelalter zu den
schlesischen Piasten-Fürstentümern und unterstand ab 1335
Böhmen. 1526 wurde Breslau habsburgisch, 1740 preußisch
und ist seit 1945 polnisch. Im 2. Weltkrieg wurde die Stadt stark
zerstört und dann restauriert. Mit ca. 650 000 Einwohnern ist
Breslau heute die viertgrößte Stadt Polens und ein wichtiges
industrielles Zentrum. Sehenswert sind das gotische Rathaus,
die Leopoldina (Aula der Universität von 1730/31) sowie die
Sand- und Dominsel.
Posen (Poznań) war unter den Piasten die erste Hauptstadt und
der erste Bischofssitz Polens. 1815–1918 war „Posen“ auch die
Bezeichnung für das preußische Teilgebiet „Großherzogtum
Posen“ Nach dem großpolnischen Aufstand 1919 wurde die
Volksbund Deutsche
Kriegsgräberfürsorge e.V.
(nach Schmidt-Rösler, S. 282–288, weitere Informationen bei
Urban, Von Krakau bis Danzig)
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Polen und die Musik
Polnische Musikelemente begegnen zunächst vor
allem im Tanz und nahmen von dort aus ihren Weg in
die europäische Kunstmusik. Die entscheidende Vermittlung fand statt, als sie Bestandteil der höfischen
Musik wurden, um dann von Komponisten wie Bach,
Telemann oder Beethoven aufgegriffen zu werden.
Nicht nur Deutsche, sondern auch Polen, allen voran
Frédéric Chopin, trugen zur internationalen Bekanntheit der polnischen Nationalmusik bei. Mit Ignacy
Paderewski (1860–1941) wurde ein weltberühmter Pianist 1919 polnischer Ministerpräsident.
Mazurka tanzendes Paar.
(www.fiu.edu/~kneskij/mazurka)
Polnische Tänze
Komponisten und Polen
Bei der Polonaise handelt es sich um einen meist feierlichen
Promenadentanz im 3⁄4-Takt. Vorläufer der Polonaise finden sich
bereits in Lautenbüchern um 1600. Ende des 17. Jahrhunderts
erhielt die Polonaise ihre heutige Form. Mit Johann Sebastian
Bach und Georg Friedrich Händel begann um 1700 eine Blüte
der Polonaisenkomposition in Deutschland. Abgesondert von
dieser deutschen Polonaise entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine national-polnische Form. Als Eröffnungstanz bei großen festlichen Bällen ist die Polonaise bis heute in Mode geblieben.
Der aus Magdeburg stammende Georg Philipp Telemann
(1681–1767) war 1705 in den Dienst des Grafen Erdmann von
Promnitz zu Sorau in der Lausitz getreten. Von hier aus besuchte er Pleß in Oberschlesien und Krakau, wobei er die polnische
Musik kennen lernte. In seinen „Concerti alla Polonaise“,
„Sonaten Polonese“ oder „Polacca“ lassen sich polnische Volkstänze identifizieren.
Der Krakowiak ist ein polnischer Volkstanz aus der Region von
Krakau im 2⁄4-Takt mit Galopp- und Hüpfschritten sowie
Zusammenschlagen der Stiefelabsätze mit Stampfen. Der Krakowiak wurde nicht nur zu einem polnischen Nationaltanz, sondern mit verfeinerten Figuren im 19. Jahrhundert auch zu einem
beliebten europäischen Gesellschaftstanz.
Die Mazurka, ein Paartanz im 3⁄4-Takt, ist ein Oberbegriff für eine
Reihe von polnischen Volkstänzen (Mazur/Mazurek, Obertas/
Oberek und Kujawiak) aus Masovien, der Gegend um Warschau.
In der Herrschaftszeit Augusts II. von Sachsen als König von
Polen (1697–1733) fand der Tanz Eingang in die höfische Gesellschaft. Daneben entwickelte sich vor allem im alpenländischen
Raum eine bis heute populäre volkstümliche Form der Mazurka.
Im 19. Jahrhundert wurde die Mazurka zum Modetanz in den
europäischen Salons, der Solidarität mit dem unterdrückten Polen
demonstrierte. Auch in der Melodie der polnischen Nationalhymne erscheint die Mazurka.
(Schneider, Tanzlexikon; Trochimczyk, Maja: Mazurka http://www.fiu.edu/kneskij/mazurka)
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Während E. T. A. Hoffmann (1776–1822) heute in erster Linie
als Dichter bekannt ist, schätzten ihn Zeitgenossen auch als
Komponisten, der prägende Jahre in Polen verbrachte. Er erhielt
im Jahr 1800 seine erste Stellung als preußischer Gerichtsassessor in Posen, wo er eine Polin heiratete, aber bald nach Płock
strafversetzt wurde. Hier begann Hoffmann mit dem Komponieren, was er von 1804 bis 1807 in Warschau fortsetzte, wo er
eine „Warschauer Messe“ schrieb. Er war nicht nur Komponist,
sondern durch die von ihm in Warschau gegründete „Musikalische Ressource“ auch Vermittler von Musik.
(Breyer, S. 171)
Es gibt zwei Möglichkeiten, Chopins (1810–1849) Vornamen
zu schreiben: Mit Fryderyk betont man die polnische Herkunft
des Komponisten, schreibt man Frédéric, so beruft man sich auf
dessen französische Identität. Der Pianist und Komponist, dessen Vater Franzose polnischer Abstammung war, wird oft für
einen Franzosen gehalten, da er seit 1830 in Paris lebte. Chopins
Musik hat durch die Stilisierung polnischer Nationaltänze und
eine spezifische Emotionalität eine entschieden polnische
Färbung. Chopin schrieb allein 56 Mazurken, 15 Polonaisen,
eine Phantasie über polnische Lieder sowie 17 polnische Lieder.
Nachdem die Deutschen 1939 Polen besetzt hatten, wurde seine
Musik wegen ihres nationalen Charakters verboten.
(www.klassik.de)
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Polnische Spezialitäten
Die polnische Küche enthält kulinarische Elemente der
Juden, Ukrainer, Weißrussen und Litauer. Unverkennbar sind auch die Einflüsse der russischen, deutschen,
tschechischen und österreichischen Küche sowie
Inspirationen aus der Kochkunst Italiens, Frankreichs
und des Orients.
Zum polnischen Mittagessen gehört eine Suppe. Hervorragend
schmeckt die klare Rote-Beete-Suppe, zu der es winzige Ravioli
mit Pilzfüllung oder weiße Bohnen gibt. Das älteste polnische
Gericht, das man in keiner anderen Küche der Welt findet, ist
żurek, eine Suppe aus sauer eingelegtem Roggenmehl und
trockenem Brot. Sie wird mit getrockneten Pilzen gekocht und
mit Kartoffeln, kleingehackter Wurst und hartgekochtem Ei serviert. Fleisch wird auf verschiedene Art und Weise zubereitet:
gebacken, gebraten, gedünstet, gegrillt. Es wird sowohl warm,
mit verschiedenen wohlschmeckenden Soßen als auch kalt, mit
Senf, Meerrettich, marinierten Pilzen oder sauren Gurken serviert. Zur polnischen Küche gehören inzwischen auch Piroggen
(pierogi), Teigtaschen, die mit Quark, Fleisch, Kraut und Pilzen
oder mit Obst gefüllt sind. Die in Polen erhältlichen „Russischen Piroggen“ (pierogi ruskie) haben eine Füllung aus Quark,
Kartoffeln und gebratenen Zwiebeln.
Als Nationalgericht der Polen gilt das Bigos, ein Gericht aus
Sauerkraut und Weißkohl, gedünstet mit mehreren Fleischarten,
Wurststücken und Pilzen. Ebenso gut sind gołabki, mit Fleisch,
Reis oder Graupen gefüllte, mit Tomaten- bzw. Pilzsoße servierte Kohlrouladen. Zu den populärsten Speisen zählt der
Hering, z. B. mit Zwiebeln, Äpfeln und saurer Sahne. Eine Spezialität sind Wurstwaren, besonders die traditionell zubereiteten,
mit Wachholder- oder Obstbaumrauch verfeinerten Würste.
Eine traditionelle polnische Nachspeise ist Kuchen. Am häufigsten werden Hefekuchen (Mohnrollen), Rouladen mit Rosinen,
Nüssen und anderen leckeren Zutaten, Mazurkas, Apfel-,
Quark- und Pfefferkuchen gebacken.
Eine andere polnische Spezialität ist der Wodka. Neben klaren
Wodkas gibt es Schnäpse mit Kräuterextrakten. Auch Biertrinkern hat das Land einiges zu bieten.
Żur (Saure Roggenmehlsuppe): 20 g Suppengrün, 150–200 g
geräucherter Schweinebauch oder Wurst, 1,5 l Wasser, 0,4 l
Roggenmehlsäure, 800 g Kartoffeln, 2030 g Mehl, Knoblauch
nach Geschmack.
Aus dem Schweinebauch eine Brühe kochen, durchseihen, mit
Mehl anrühren, salzen und aufkochen lassen. Geschnittenen
Schweinebauch und gepressten Knoblauch hineintun. Mit Kartoffeln und zerlassenem Speck servieren.
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Zubereitung der Roggenmehlsäure: 100 g Roggenmehl, 1 l warmes, abgekochtes Wasser, eine Scheibe trockenen Schrotbrots.
Das Mehl mit dem Wasser verrühren, in ein Glas- oder Steingutgefäß gießen und für einige Tage warm stellen.
Bigos: 400 g Sauerkraut, 400 g Weißkohl, 200 g Schweinefleisch
ohne Knochen, 200 g Kalbsfleisch, 250 g Wurst, 100 g Räucherspeck, 30 g Fett, 50 g Speck, 50 g Zwiebeln, 10 g Trockenpilze, 50 g Tomatenmark, 20 g Mehl, Pfeffer, Salz, Zucker, einige Backpflaumen, Piment, Lorbeerblatt.
Das Sauerkraut fein schneiden, mit etwas kochendem Wasser
übergießen und eine Stunde garen. Den Weißkohl in feine Streifen reiben und mit den kleingehackten Pilzen etwa 40 Minuten
kochen. Das Fleisch mit Salz einreiben, von allen Seiten braun
braten. Zusammen mit dem Räucherspeck ins Sauerkraut geben
und etwa 50 Minuten dünsten. Den frischen, gewürfelten Speck
auslassen, und die Grieben dem Bigos beifügen. Im zerlassenen
Fett die kleingeschnittenen Zwiebeln anbraten, Mehl zugeben
und eine Mehlschwitze zubereiten (das Bigos kann auch ohne
Mehlschwitze zubereitet werden). Das Fleisch und den Räucherspeck herausnehmen, in Würfel schneiden, den Weißkohl
mit dem Sauerkraut vermengen, mit Mehlschwitze binden. Die
Wurst, den Räucherspeck, das Fleisch, das Tomatenmark, die
Pflaumen (oder ein wenig Pflaumenmus) und die Gewürze zum
Kraut geben, nach Belieben mit Zucker abschmecken. Je mehr
Fleischsorten für das Bigos verwendet werden, desto besser
schmeckt es. Es können auch verschiedene Bratenreste hinzugefügt werden (Wildbraten, gebratenes Geflügel und verschiedene Wurstsorten).
Mazurek mit Nüssen und Honig: 300 g Walnüsse, 400 g Puder-
zucker, 5 Eiweiß, 2 Esslöffel Honig, 1 Waffel, Vanille, eine Tafel
Bitterschokolade.
Die geschälten Nüsse klein hacken. Die Waffel auf ein Backblech legen. Ein Gefäß mit kochendem Wasser vorbereiten, das
Eiweiß schaumig schlagen, am Schluss den Zucker zufügen und
über dem Gefäß mit dem heißen Wasser so lange schlagen bis
der Schaum dickflüssig wird, herunternehmen und so lange
schlagen, bis die Masse abgekühlt ist. Den Honig kurz aufkochen, bis er flüssig ist. Die kalte Masse mit Nüssen und
Vanille vermengen, auf der Waffel gleichmäßig verteilen. Mit
Nusshälften dekorieren, in der angewärmten Backröhre etwa
30 Minuten backen. Den fertigen Mazurek mit der zerlassenen
Schokolade dekorieren. Erst nach einigen Stunden in Stückchen schneiden.
(nach http://www.poland.gov.pl/?page= 1030802012)
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über den Deutschen Orden
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1386–1434
1410
1454–1466
Mieszko I. (um 960–992) erster schriftlich erwähnter Herrscher Polens
Taufe Mieszkos, Beginn der Christianisierung Polens
Bolesław I. Chrobry (der Tapfere), Herzog von Polen
Bischof Adalbert von Magdeburg wird auf einer Missionsfahrt von heidnischen Pruzzen getötet (999 Heiligsprechung)
Gründung des Erzbistums Gnesen, Treffen von Bolesław I. mit Kaiser Otto III., Beginn der eigenständigen Kirchenstruktur Polens
Kriege zwischen Kaiser Heinrich II. und Bolesław I.
Nach der Eroberung von Pomerellen, Schlesien, Krakau und der Oberlausitz krönt sich Bolesław I. mit dem Segen
des Papstes zum ersten polnischen König
Sein Sohn Mieszko II. muss nach Kämpfen mit Konrad II. auf die Königskrone verzichten
Bolesław II. Śmialy (der Kühne) Herzog von Polen • 1076 Königkrönung in Gnesen • Wechsel zwischen Bündnissen mit dem Kaiser und seinen Gegnern
Einführung des Senioratsprinzips: Der jeweils älteste Sohn hat die Oberherrschaft über die in Teilfürstentümern mitherrschenden jüngeren Brüder: Aufspaltung des Landes in Teilfürstentümer
Wendenkreuzzug gegen heidnische Elb- und Ostseeslawen im Rahmen des zweiten Kreuzzuges mit deutscher und
polnischer Beteiligung
Feldzug von Kaiser Friedrich I. Barbarossa gegen einen polnischen Thronusurpator • Beginn der Ablösung Schlesiens aus dem polnischen Staatsverband
Fürst Konrad von Masowien ruft den Deutschen Orden gegen die Pruzzen zu Hilfe • Kaiser Friedrich II. erteilt dem
Orden unter dem Hochmeister Hermann von Salza in der Goldenen Bulle von Rimini ein Herrschaftsprivileg • Die
Ordensritter erhalten des Kulmer Land als Lohn für ihre Hilfe • Beginn des Zuzugs von Siedlern aus dem Deutschen Reich
Katastrophale Niederlage eines polnisch-deutschen Ritterheeres unter Heinrich II. von Schlesien gegen ein Mongolenheer bei Liegnitz (Schlacht an der Wahlstatt)
Fürst Władysław I. Łokietek (Ellenlang) eint die polnischen Teilfürstentümer (1311 Krönung zum König von Polen)
Der Deutsche Orden besetzt Danzig – Beginn andauernder Konflikte des Ordens mit Polen
Rebellion deutscher Bürger Krakaus gegen Władysław
Kazimierz I. Wielki (der Große), letzter Herrscher aus dem Geschlecht der Piasten: Konsolidierung des Königreichs
• Stadtgründungen • Öffnung des Landes für in Westeuropa verfolgte Juden • Gründung der Universität Krakau
König Ludwig von Ungarn auch König von Polen
Der litauische Großfürst Jogaila lässt sich taufen, um als Władysław Jagiello die polnische Thronerbin Jadwiga heiraten zu können • Personalunion zwischen Polen und Litauen
Władysław II. Jagiello König von Polen
In der Schlacht von Grunwald/Tannenberg wird der Deutsche Orden von einem polnisch-litauischen Heer geschlagen
Die Stände Preußens mit Danzig und Thorn erheben sich gegen den Deutschen Orden, Beginn des Dreizehnjährigen
Krieges zwischen dem Orden und Polen • Im Zweiten Thorner Frieden muss der Deutsche Orden dem polnischen
König Westpreußen und das Ermland abtreten, Danzig kommt unter die Herrschaft der polnischen Krone
Die slawische, deutsche,
französische und italienische
Provinz huldigen Kaiser
Otto III.
Unter der Herrschaft der
Ottonen wird der slawische
Osten und damit auch Polen
in die imperiale Konzeption
des Reiches einbezogen.
(Evangeliar Ottos III., 10. Jh.:
Escher, S. 14 / akg images)
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Ostsiedlung und mittelalterlicher Landesausbau
In der deutsch-national orientierten Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts glaubte man eine
naturgemäße Ausbreitung deutschen Volkstums nach
Osten feststellen zu können. Dieser angebliche „Drang
nach Osten“ und der Deutsche Ritterorden als einer
seiner Träger stießen auf dementsprechend heftige
Ablehnung in Polen. Der heutige Forschungsstand
sieht den Sachverhalt der Ostsiedlung wesentlich differenzierter und entideologisierter:
1. Ostsiedlung ist, so sehen wir heute deutlicher als noch vor
wenigen Jahrzehnten, kein isoliertes Vordringen der Deutschen
in ein barbarisches, von der Natur seiner Bewohner her zu eigener Kultur nicht fähiges Land, Ostsiedlung ist keine Sache bloß
der Deutschen und ihrer östlichen Nachbarn. Ostsiedlung ist
vielmehr nur Teil eines umfassenderen Ausbauprozesses, der
sich in allen europäischen Ländern vom 12. bis zum 14. Jahrhundert vollzogen hat. [...]
2. Diese Wandlungen finden in allen europäischen Ländern
statt, auch in Osteuropa. Infolgedessen geht die Ostsiedlung
nicht einfach so vor sich, dass die einen sich und ihre höhere
Zivilisation in ein Land bringen, das daran bisher keinen Anteil
hatte. [...] Die mittelalterliche Ostsiedlung war keine Kolonisation im Sinne der Neuzeit, denn in den jetzt in Osteuropa neugegründeten oder veränderten Siedlungen wurden nicht nur die
Zuwanderer sesshaft, sondern auch Einheimische. Wenn zum
Beispiel Dörfer nach neuem Recht gegründet wurden, Dörfer
also mit Abgaben- und Wirtschaftsstrukturen, wie sie von den
Zuwanderern nach Osteuropa mitgebracht wurden, dann heißt
das nicht notwendigerweise, dass alle Bewohner dieser Dörfer
Deutsche waren. Es können auch Einheimische gewesen sein,
ebenso wie auch in den nach westlichem Vorbild neugegründeten oder veränderten Städten sich einheimische Bürger ansiedeln konnten, ungeachtet des Stadtrechts, nach dem diese Städte nun lebten und das hier in Osteuropa den Namen Deutsches
Recht erhielt.
3. Lange Zeit wurde das Bild der Ostsiedlung von der Vorstellung genährt, dass im hohen Mittelalter das deutsche Volk
gewissermaßen aus den Nähten geplatzt sei, dass sich Tausende
und Abertausende auf den Weg gemacht hätten, um sich jenen
Lebensraum zu verschaffen, den ihnen die Heimat nicht mehr
bieten konnte. Volk ohne Raum: das war um neunzehnhundert,
im Zeitalter imperialistischer Außenpolitik, eine aktuelle Vorstellung. Es ist nicht verwunderlich, dass man damals einen solchen Zustand auch für das hohe Mittelalter annahm und in ihm
auch die Ursache der Ostsiedlung bzw. der Ostkolonisation, wie
man damals sagte, sah.
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So kann es jedoch schon deshalb nicht gewesen sein, weil die
Ostsiedlung und die Erschließung bisher unbesiedelter Gebiete
in den Heimatregionen der Ostsiedler gleichzeitig vonstatten
gingen. Die Besiedlung etwa der Mittelgebirge fand gleichzeitig
mit der Ostsiedlung statt. Und gleichzeitig mit der Gründung
vieler neuer Städte im späteren Ostdeutschland wurden auch in
den Heimatgebieten der Ostsiedler Städte gegründet. Auch diese neugegründeten Städte in Süd-, West- und Mitteldeutschland
waren auf Zuzug vom Lande angewiesen. Wer im 13. Jahrhundert in Deutschland Lebensraum suchte, der konnte ihn schnell
finden: im nächsten Rodungsgebiet oder in der nächsten Stadt.
Von beidem trennten ihn nur wenige Kilometer. Es war damals
eher so, dass ein gewisser Mangel an Menschen herrschte. Nur
dieser Mangel erklärt, warum die Stadtgründer und diejenigen,
welche Rodungen veranstalteten, den Neubürgern und Neusiedlern günstige Bedingungen bieten mussten. [...]
Die Antwort heißt, kurz gesagt, es waren, jedenfalls gemessen
an Jahrzehnte alten Vorstellungen, überraschend wenige. Es
waren vor allem nicht viele, die aus dem Altsiedelland aufbrachen, um sich dann sehr weit östlich anzusiedeln. Die Ostsiedlung vollzog sich vielmehr in Etappen. Die östlicheren Gebiete,
die später besiedelten Regionen, erhielten ihre Zuwanderer
nicht aus dem Altsiedelland, sondern vielmehr schon aus jenen
Gebieten, die früher von der Ostsiedlung erfasst worden waren.
Die meisten Ostsiedler stammten ihrerseits schon von Ostsiedlern ab.
(Boockmann, Der Deutsche Orden, S. 115–119)
Idealbild einer vom Deutschen Orden gegründeten Stadt.
(Ein Jahrtausend, S. 29)
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Privilegien für Siedler in Polen
Seit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurden im
Rahmen des mittelalterlichen Landesausbaus Siedler
aus dem Westen des Deutschen Reiches gewonnen.
Dies geschah sowohl durch die polnischen Herrscher
als auch durch den Deutschen Orden. Den Neusiedlern („Gästen“) wurden weitreichende Privilegien versprochen, die sich auch auf polnische Bewohner
erstreckten. Die Kolonisation erfolgte durch Unternehmer („Lokatoren“), die planmäßig Siedler anwarben
und den Aufbau eines Ortes in die Wege leiteten.
Überall in den Neusiedelgebieten entstanden sowohl
bei Dörfern als auch bei Städten charakteristische
Siedlungsformen, deren planmäßige Anlage erkennbar
ist.
messen ist, dass die mit würdigem Lohn ausgezeichnet werden,
die sich da abmühen und besonders, die durch die Pläne der
Fürsten belastet werden, – da also die genannten Richter die
Einrichtung dieses Dorfes Golkowice und die Last des Aufbaues auf ihre Schulter genommen haben, sollen sie aus der Würde
spüren, dass ihnen die Ausführung und Übernahme der Bürde
erleichtert wird: Wir haben diesen Richtern und ihren Kindern
eine Schenke und ein Mühlrad frei von jeder Zinszahlung und
ledig der Last jeglicher Abgabe zum Besitz nach Erbrecht überlassen. [...]
(Urkunden und erzählende Quellen, Nr. 84, S. 319–321)
Herzogin Kunigunde von Krakau beauftragt 1276 zwei Unternehmer, die auf 17 Hufen gegründete Feldmark des Dorfes Golkowice bei Alt-Sandetz (Stary Sacz) in Galizien innerhalb festgelegter Grenzen zu vergrößern und nach Magdeburger Recht
neu zu besiedeln:
Zur ewigen Würde und Zierde Unserer genannten Fürstentümer
und zu ihrer festen Stütze glaubten Wir Unser Dorf namens Golkowice zu deutschem Recht aussetzen und besiedeln zu sollen.
Und daher belassen Wir Schulzenamt oder Gericht in dem Dorf
den beiden ehrenwerten Männern gleichen Namens, dem Heinrich Scik und Heinrich genannt von St. Wladislaw, und ihren
Kindern für immer zu folgenden unten aufgezeichneten Bedingungen: Wir haben nämlich beschlossen, dass alle Einwohner
und Bauern, die sich in diesem Dorf Häuser bauen und Wohnung nehmen, nach Magdeburger Recht leben sollen. Bei der
jährlichen Zahlung des Zinses an Uns und bei der Einlösung
von anderen Rechtsverpflichtungen – ganz gleich unter welchen
Namen sie laufen – sollen sie stets dies selbe Recht gebrauchen.
In diesem zuvor genannten Dorf aber sind derzeit nicht mehr als
siebzehn Hufen gerodet und bebaut, und für diese nun sind Uns
die Besitzer gehalten, ab sofort den Zins zu bestimmten und festliegenden Zeiten in Beachtung des zuvor genannten Rechts zu
zahlen. Zur Vergrößerung dieses Dorfes und zur Erweiterung
der dort urbar gemachten Äcker haben Wir diesen Besitzern und
Bauern auf dreizehn Jahre Freiheit gegeben, damit sie sich
innerhalb dieser Jahre mit aller Kraft auf die Rodung des
Nadelwaldes legen, sich abmühen und dort die Frucht tragenden
Hufen vermehren, wobei sie so vorgehen sollen, wie es das
Magdeburger Recht fordert und verlangt. Am Ende und
Abschluss dieser Jahre soll der Freiheit die Zinszahlung folgen,
die nach der Maßgabe des oben angeführten Rechtes durchzuführen ist. Auch haben Wir die Grenzen dieses Dorfes, die man
im Volk granica nennt, zur Vorsicht öffentlich festlegen lassen.
[...] Und da es dem Recht entspricht und der Billigkeit ange-
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Rodung und Aufbau eines Dorfes in einer Miniatur aus
dem Sachsenspiegel, einem Rechtsbuch des 13. Jahrhunderts: Der Grundherr übergibt dem Schulzen die
Landübertragungsurkunde und damit das Recht zur
Kolonisation.
(Oldenbourg Geschichte 7, S. 79, Universitätsbibliothek
Heidelberg)
Charakteristische Dorfformen der Neusiedlungen.
(Unsere Geschichte 7, S. 111)
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Der Deutsche Orden und der Mythos Grunwald/Tannenberg
Die Bedeutung des Deutschen Ordens beim mittelalterlichen Landesausbau wird heute allgemein anerkannt;
seine Rolle in der polnischen Geschichte war aber im
Umfeld nationalistischer Tendenzen in der deutschen
und polnischen Geschichtsschreibung des 19. und 20.
Jahrhunderts lange heftig umstritten. Während sie in
Deutschland als heldenhafte Kolonisatoren und Kulturbringer gefeiert wurden, galten sie in der polnischen
Geschichtsschreibung als tyrannische Unterdrücker.
Das Aufeinanderprallen der unterschiedlichen Sichtweisen zeigt sich nirgends stärker als bei der Bewertung
der Schlacht bei Grunwald / Tannenberg im Jahr 1410,
die jeweils zum nationalistischen Mythos stilisiert wurde. In dieser Schlacht erlitt ein Heer des Deutschen
Ordens eine entscheidende Niederlage gegen ein polnisch-litauisches Heer. Der Hochmeister des Ordens,
Konrad von Jungingen, fiel, die Banner der Ordensritter
wurden erbeutet und in Krakau zur Schau gestellt.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden der
Kampf gegen die Ordensritter und „Mythos Grunwald“
zu einem zentralen identitätsstiftenden Ereignis des polnischen Nationalbewusstseins. Mit ihrer Hilfe konnte der
Kampf gegen Fremdherrschaft im scheinbar unverfänglichen historischen Gewand thematisiert werden. Dies
zeigte sich z. B. im Roman Kryżacy („Die Kreuzritter“)
von Henryk Sienkiewicz. Einen Höhepunkt fand diese
Entwicklung bei den polnischen 500-Jahr-Feiern der
Schlacht 1910. Im Gegensatz dazu wurden die Ordensritter in der deutschen nationalistischen Geschichtsschreibung des ausgehenden 19. Jahrhunderts glorifiziert. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass im
Ersten Weltkrieg die in diesem Gebiet von Hindenburg
und Ludendorff geführte großräumige Schlacht gegen
ein russisches Heer letztlich „Schlacht bei Tannenberg“
benannt wurde. Seit 1924 erinnerte ein gigantisches
Ehrenmal an das Ereignis. Hier fand 1934 unter großem
propagandistischen Aufwand der Nationalsozialisten
Reichspräsident Paul von Hindenburg seine letzte
Ruhestätte. Im Zweiten Weltkrieg und danach diente der
Bezug auf Grunwald Polen wieder als Beispiel für erfolgreichen Widerstand und als Symbol für den Sieg über
die Deutschen. 1944 wurde ein Grunwald-Orden gestiftet. Auf diese Tradition bezogen sich sowohl kommunistische als auch andere Widerstandsgruppen. Nach der
Machtübernahme durch die Kommunisten wurde die
Tradition bruchlos fortgesetzt.
(s. a. Lemberg: Der „Drang nach Osten“ – Mythos und Realität; Mick: „Den Vorvätern zum Ruhm... “; sowie Tazbir:
„Die Kreuzritter“ )
Das „Reichsehrenmal“ in Tannenberg: 1924 eingeweiht,
seit 1934 bis 1945 Grabstätte Hindenburgs. Die Anlage
wurde beim Rückzug 1945 von der deutschen Wehrmacht
teilweise gesprengt, Hindenburg und seine Frau in der
Elisabethkapelle in Marburg erneut beigesetzt. Die endgültige Beseitigung der Trümmer erfolgte nach 1945.
Bei den Auseinandersetzungen zwischen den Nationalitäten in den östlichen Provinzen Preußens um 1900 waren
Postkarten ein beliebtes Propagandamittel beider Seiten.
So berief sich der Deutsche Ostmarkenverein, dessen
Anhänger nach den Namensanfängen seiner Gründer auch
als „Hakatisten“ bekannt waren, auf die Tradition des
Ordens.
(800 Jahre Deutscher Orden, VII.3.11, S. 374)
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Der polnische Dichter Henryk Sienkiewicz (1846–1916), der
1905 den Literaturnobelpreis erhielt, zeichnet in seinem populären Roman Kryżacy (Die Kreuzritter) 1905 ein negatives Bild
der Ordensritter, um damit indirekt die preußische Politik in
dessen polnischen Provinzen anzuprangern. 1410 wartete das
Heer das Deutschen Ordens, das sich in einer strategisch
schlechten Position befand, seit drei Stunden in Schlachtordnung. Dennoch zögerte der polnische König mit dem Angriff.
Um den Kampf aufnehmen zu können, sandte der Ordensmarschall Friedrich von Wallenrod zwei Herolde an den polnischen
König Jagiello und den litauischen Fürsten Witold, die diesen
zwei Schwerter überbrachten, eine traditionelle Aufforderung
zum Kampf. Dieses chronikalisch belegte Ereignis wurde auf
polnischer Seite als Anmaßung empfunden, der folgende Sieg
als gerechte Strafe:
Der König ritt eben von dem hohen Ufer des Sees herunter, um
sich auf den linken Flügel zu den polnischen Fahnen zu begeben, wo er die ganze dort versammelte Ritterschaft noch einmal
besichtigen und mit den Rittern den Schlachtplan beraten wollte, als man ihm plötzlich meldete, dass zwei Herolde vom Heer
der Kreuzritter nahten.
Das Herz Wladislaw schlug voll froher Hoffnung.
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„Der Großmeister Ulrich lässt euch sagen, Herr, dass er gern
mit seiner Armee ein wenig zurückweichen will, um Euch Raum
zur Aufstellung zu geben, falls Euch der Platz zu eng erscheinen
sollte, nur, damit Ihr mit Euren Soldaten in diesem Dickicht
nicht vermodert.“
Wieder verdolmetschte Jaschko Monschyk die Worte des
Herolds. Eine tiefe Stille folgte darauf, man vernahm nur das
Zähneknirschen im Gefolge des Königs über diese freche Beleidigung.
Die letzte Hoffnung Jagiellos hatte ihn getäuscht. Statt einer
Botschaft des Friedens und der Eintracht, die er erwartet, hatte
man ihm eine Botschaft des Hochmuts und der Beleidigung
gesandt. Der Monarch erhob die tränenfeuchten Augen und antwortete:
„Wir haben Schwerter genug bei uns; ich will aber diese hier
gern annehmen, sie seien mir eine Vorbedeutung des Sieges, die
Gott selbst in meine Hände legt. Das Schlachtfeld wird Gott
auch bestimmen, Gott, dessen Gerechtigkeit ich anrufe, zu dessen Throne ich meine Klagen aufsteigen lasse über euren Hochmut, eure Ungerechtigkeit und das mir zugefügte Unrecht. –
Amen.“
(Sienkiewicz, Die Kreuzritter, Bd. 1, S. 784–786)
„Wenn sie doch den gerechten Frieden verlangen wollten,“
sprach er.
„Gott gäbe das!“ versetzten die geistlichen Herren.
Der König sandte nach dem Fürsten Witold, indessen die beiden
Herolde langsam dem Lager näher ritten.
Man konnte im hellen Sonnenlicht deutlich ihre Gestalten erkennen. Sie saßen auf riesengroßen Schlachtrossen; der eine von
ihnen trug auf seinem Schilde den schwarzen Kaiseradler auf
goldenem Grunde, der andere, welcher der Herold des Fürsten
von Stettin war, einen Greifen in weißem Felde. Die Reihen der
Krieger traten auseinander, den Herolden den Weg freilassend,
die von den Pferden stiegen und zu Fuß in wenigen Minuten vor
den großen König gelangten. Sie verneigten sich steif, gerade so
tief, um der Majestät die gebührende Ehrerbietung zu erweisen,
und richteten dann ihre Botschaft aus.
„Der Großmeister Ulrich,“ so begann der erste Herold, „fordert Ew. Majestät und den Fürsten Witold samt euren Herren
zum Kampf auf Tod und Leben; damit aber euer Mut und eure
Tapferkeit, die wie es scheint, euch abhanden gekommen sind,
etwas angefeuert werden, sendet er euch diese beiden blanken
Schwerter.“
Bei diesen Worten legte er die Schwerter dem Könige vor die
Füße. Jaschko Monschyk von Dombrowa verdolmetschte diese
Worte, kaum aber hatte er geendet, so trat der zweite Herold mit
dem Greifen im Wappen vor und sprach:
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Zwei Plakate aus dem Jahr 1960 nehmen Bezug auf die
zwei Schwerter aus der Schlacht bei Grunwald und symbolisieren auch den Sieg über das nationalsozialistische
Deutschland. Auf dem linken Plakat bildet das Grunwaldkreuz, eine hohe polnische Kriegsauszeichnung, den
Vordergrund. Auf dem rechten Plakat wurde das Deutschordenskreuz zu einem Hakenkreuz umstilisiert.
(800 Jahre Deutscher Orden, VII.5.11, S. 501; VII.5.13,
S. 501–502)
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1470–1572 Das Goldene Zeitalter
1471–1476
1475
1473–1543
1505
1507–1548
1511
1520–1526
1525
1548–1572
1548
1561
1569
1570
1572
Der Nürnberger Bildhauer Veit Stoß (Wit Stwozs) arbeitet in Polen
Die polnische Königstochter Jadwiga heiratet in Landshut Georg, den Sohn Ludwigs des Reichen, des Herzogs von Bayern-Landshut: „Landshuter Hochzeit“
Nikolaus Kopernikus (Mikółaj Kopernik)
Der Adel kann seine Rechte auf Kosten des Königs erheblich ausweiten • Basis für eine Adelsdemokratie in Polen
Zygmunt I. König von Polen
Albrecht von Hohenzollern wird Hochmeister des Deutschen Ordens
König Zygmunt verbietet die Einfuhr der Schriften Martin Luthers • In Danzig macht der König die Einführung einer lutherischen Stadtregierung rückgängig, die Reformation im allgemeinen wird jedoch nicht aufgehalten
Der Deutsche Orden löst sich auf, sein Restgebiet wird als Herzogtum Preußen polnisches Lehen
Zygmunt II. August König von Polen
Der Sejm (die Versammlung der polnischen Adeligen) beschließt ein „Interim“, das dem Adel die Glaubensfreiheit zusichert
Der Deutsche Orden verliert nach der Niederlage gegen Russland große Teile des Ordenslandes
Union von Lublin: Das Königreich Polen und das Großherzogtum Litauen, bisher in Personalunion verbunden, werden zu einem Staat – der so genannten Adelsrepublik beider Nationen – vereinigt; der gemeinsame
polnisch-litauische Staat besteht bis 1795
Lutheraner, Calvinisten und Böhmische Brüder beschließen im Consens von Šandomir die gegenseitige Anerkennung
Nach dem erbenlosen Tod König Zygmunt Augusts erlischt die Dynastie der Jagiellonen • Einführung des
Wahlkönigtums
Eine Darstellung Krakaus aus der Schedelschen Weltchronik aus dem 15. Jahrhundert. Deutlich zu erkennen sind der
Wawel und die Vorstadt Kazimierz.
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Nikolaus Kopernikus, Veit Stoß, Faust –
Deutsche, Polen, Europäer?
Die nationale Zugehörigkeit des Astronomen Nikolaus
Kopernikus, des Bildhauers Veit Stoß und der Gestalt
des Dr. Faust werden seit langem in der deutschen
und polnischen Forschung diskutiert.
del treiben zu können, war die Kenntnis beider Sprachen ohne
Zweifel unerlässlich. Es ist äußerst wahrscheinlich, dass Kopernikus neben Deutsch bereits in seiner Jugend Polnisch konnte.
(Mallek, Nikolaus Kopernikus, S. 34-38)
Nikolaus Kopernikus
Veit Stoß
Die Frage nach der Zugehörigkeit von Nikolaus Kopernikus, dem
Wiederentdecker des heliozentrischen Systems und einem der
Genies der Menschheitsgeschichte, entweder zum polnischen
oder zum deutschen Volk, war und ist bis heute Gegenstand von
Kontroversen unter den Biographen, wenn auch der Streit etwas
an Schärfe verloren hat; zunehmend wird von Kopernikus als
dem Eigentum Europas und nicht ausschließlich eines Volkes
gesprochen.
Der Bildhauer Veit Stoß wird zunächst mit Franken, besonders
mit Nürnberg in Verbindung gebracht, wo der Englische Gruß in
der Lorenzkirche als eines seiner Meisterwerke gilt. Dabei vergisst man leicht, dass er lange Jahres seines Lebens – wahrscheinlich auch die glücklicheren – in Krakau verbrachte:
Die Familie Kopernikus kam aus Schlesien, genauer aus dem
Dorf Koperniki im Kreis Ottmachau (Otmuchów). Die polnischen Historiker sind der Auffassung, dass diese Region von
einer überwiegend polnischen Bevölkerung bewohnt war und der
Familienname vom Namen des Dorfes herrühre. Die deutschen
Historiker hingegen vertreten die Meinung, die Bevölkerung dort
sei mehrheitlich deutsch gewesen und der Familienname leite
sich von dem Wort „Kupfer“ her.
Der Vater des Astronomen, ebenfalls mit Vornamen Nikolaus,
kam aus einer bürgerlichen Familie, die in der damaligen Hauptstadt Polens, Krakau, seit Ende des vierzehnten Jahrhunderts –
soviel lässt sich mit Sicherheit sagen – ansässig war. Daraus
lässt sich aber nicht der Schluss ziehen, es sei zweifelsohne eine
polnische Familie gewesen, da ein gewisser Teil der Bürgerschaft
Krakaus deutscher Herkunft war und auch Deutsch sprach.
Der Vater von Kopernikus zog während des dreizehn Jahre lang
währenden Kriegs zwischen Polen und dem Deutschen Ritterorden (1454-1466) nach Thorn. Dort heiratete er Barbara Watzenrode, deren Familie ebenfalls aus Schlesien stammte.
Kopernikus' Vater und die Familie seiner Mutter nahmen aktiv
am Krieg teil. Sie kämpften auf der polnischen Seite. [...] Kopernikus wurde folglich in eine familiäre Atmosphäre hineingeboren, die dem Ritterorden nicht wohl gesonnen war. Die Trennungslinie zwischen den Konfliktparteien orientierte sich damals
allerdings nicht an ethnischen Kriterien.
Kopernikus wurde am 19. Februar 1473 in Thorn geboren, sieben Jahre, nachdem im Zweiten Thorner Frieden ein Teil Preußens als das Königliche Preußen an Polen gefallen war, was dem
Willen der Stände Preußens entsprochen hatte. Er war also
bereits in Polen geboren und folglich polnischer Staatsbürger.
Ein bedeutender Teil des Thorner Patriziats war deutscher Herkunft. Die Vororte Thorns dagegen sowie die umliegenden Ortschaften waren fast ausschließlich von Polen bewohnt. Um Han-
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Veit Stoß – vielleicht ein deutscher Pole? Oder besser Wit
Stwosz, ein polnischer Deutscher? Wer war dieser große Bildhauer, der seine eindrucksvollsten Werke in zwei Städten, in Krakau und in Nürnberg, hinterließ? Den die zeitgenössische polnische Dichtung mit einem Poem feierte? Die Vielfalt seiner Werke umfasst Holz- und Marmorskulpturen, Bronzeabgüsse,
Reliefs, Kupferstiche, Gemälde, Skizzen, Grafiken und architektonische Entwürfe. Das Rätsel um seine Herkunft, die Frage, ob
er ein Pole oder ein Deutscher war, schien fast 500 Jahre lang
unlösbar zu sein. Die Archive beider Länder führten die verbissen nach Beweisen suchenden Parteien auf trügerische Spuren:
Die Krakauer Belege beschreiben Stoß als einen Ankömmling
aus Nürnberg. In Nürnberg dagegen wird er ein Krakauer
genannt. Die Bürokraten in den städtischen Ämtern notierten
damals fleißig, Stoß habe die Bürgerschaft in beiden Städten
mal angenommen, mal abgelegt. [...]
Mit seinen exakten Nachforschungen bereitete ein unermüdlicher
Archivar, der Pfarrer Boleslaw Przybyszewski, vor fünfzig Jahren dem verbissenen Ringen endlich ein Ende. Er brachte den
unumstößlichen Beweis: Veit Stoß war ein Deutscher, ein Bayer.
Dabei war die Sache gar nicht so einfach. Denn bis heute kann
nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden, wie der Name des
Künstlers wirklich lautete. Er selbst unterschrieb, wie es ihm
passte: Vitus, Vit, Veit, Feyt, Stwoss, Stosz, Stoß, Stuosz, Stwos.
Alle seine Werke zeichnete er aber immer auf ein und dieselbe
Weise, mit einer Signatur, die jedem Historiker und Kunstforscher in der Welt bekannt ist. In Polen einigte man sich schließlich, den genialen Schöpfer des Marienaltars Wit Stwosz zu nennen. Die um Veit Stoß streitenden Städte waren zu jener Zeit
durch einen regen Austausch in Wirtschaft und Kultur verbunden
und beide lagen auf der wichtigsten Ost-West-Achse des europäischen Handels. [...]
(Elsholz, S. 91-92)
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Die Faust-Sage in Polen
Pan oder Messire Twardowski war der Sage nach ein polnischer
Edelmann aus der Zeit des Königs Zygmunt August (1548–
1572), der sich dem Teufel verschrieb. Ähnlich wie bei der deutschen Faust-Gestalt vermischt sich ein möglicher historischer
Bezug mit Sagenmotiven, und wie der Fauststoff in Deutschland wurde die Thematik des öfteren in der polnischen Dichtung
bearbeitet, so etwa 1820 durch den polnischen Nationaldichter
Adam Mickiewicz (1798–1855).
Messire Twardowski
Nicht weit von Krakau, am Ufer der Weichsel, steigt das Land
allmählich zu waldlosen Hügeln und Kalksteinfelsen auf - ein
trauriger, ein trostloser Anblick. Das Volk meidet die Gegend,
und wenn das nicht möglich ist, bekreuzigt man sich inbrünstig
und beschleunigt den Schritt, denn hier war dereinst das Gebiet
Messire Twardowskis, des berühmten Arztes und Magiers. [...]
Wer ihn jedoch in dieser Sommernacht gesehen hätte, wie er
eilig seinen gewohnten Weg hinaufstieg, dem wäre wohl bewusst
geworden, dass sich jetzt etwas Glückhaftes in diesem Leben
vorbereitete. [...] Er eilte zu seinem „Stuhl“, wie er den großen
Stein nannte, der ihm stets als Sitz diente und wo er seine
Gedanken zu sammeln versuchte, die ihm durch den Kopf
gingen.
„Bei Gott oder dem Satan!“ sprach er, während er sich auf den
Stein setzte. „Wenn ich jetzt nicht Herr der Welt werde, dann ist
es nicht die Schuld meiner Eltern, denen ich Wissen und Forschertrieb ohnegleichen verdanke! Es heißt, man müsse suchen,
um zu finden. Mein ganzes Leben lang habe ich gesucht und
gesucht, aber nirgends Antwort erhalten und nichts finden können. Heute aber triumphiere ich. Ja, ich werde triumphieren!
Ganz zufällig und dank einem alten Zauberbuch, das mir in die
Hände gefallen ist, kenne ich nun die Formel, durch deren Hilfe
ich den Fürsten der Hölle heraufbeschwören kann. [...]
Er stand auf. Mit der Degenspitze grub er eine Vertiefung in den
Boden, kniete davor nieder, und während er sich mit festgeschlossenem Munde darüber neigte, sprach er im Innern langsam Worte, die kein menschliches Ohr je erfahren sollte. Danach
erhob er sich wieder, warf ein kleines goldenes Kreuz, das er am
Hals getragen hatte und das die letzte Erinnerung an seine
fromme Kinderzeit war, weit von sich, schloss die Augen und
wartete.
Ein leises Hüsteln verriet ihm, dass er nicht mehr allein war. Er
wandte sich in die Richtung, aus der jener Ton kam, und erkannte einen Mann in den besten Jahren, der mittelalterliche Tracht
trug: Kniehose, enganliegendes Wams und erbsengrüne Weste,
einen kleinen, auf den Rücken herabhängenden Zopf und darüber einen Dreispitz. Das Wams verbarg nicht den Pferde-
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schwanz, der frech hervorstand. Die weißen Strümpfe verhüllten
nur unzureichend grässliche hörnerne Hufe wie die von Ziegenböcken. Die Enden der Ärmel konnten die langen gebogenen
Krallen nicht verbergen. Seine Augen phosphoreszierten, und
sein Mund verzog sich zu einem Lächeln, das sich von einem
beißenden Grinsen schwerlich unterscheiden ließ.
Diese grausige Erscheinung erfüllte Messire Twardowski mit
höchster Freude. Er strich mit der Hand über seinen lang herabhängenden Schnurrbart und betrachtete das seltsame Etwas.
„Was willst du von mir?“ fragte nun dieses wie aus dem Nichts
aufgetauchte Wesen. „Viele Jahre lang hat mich niemand mehr
gerufen, ich kann kaum noch sprechen. Ich bin geradezu glücklich darüber, endlich wieder mit jemandem reden zu können,
der das Wissen der Magier neuerdings aufgespürt hat.“ „lch
habe dich gerufen“, erwiderte ihm Messire Twardowski, „um
dich mir dienstbar zu machen. Denn du hast es in mir mit einem
Meister und keineswegs mit einem Knechte zu tun.“ „He, he!“
lachte der Teufel hämisch, denn dieser war es. „Da sind wir ja
schnell zu Sache gekommen. Du wirfst mir bereits das Tau zu.
Weißt du auch, was ich als Gegengabe verlange?“ „Was für eine
kindische Frage! Du scheinst mir wirklich nicht schlau genug
für einen Teufel! Wenn ich dich zu rufen wusste, konntest du da
annehmen, dass ich deine Bedingungen nicht kenne? Ich bin
bereit, dir meine Seele zu verschreiben.“ „lch weiß, was sie wert
ist, und werde sie bezahlen.“ „lch verlange von dir bedingungslosen Gehorsam.“ „Gut“, sagte der Teufel. „Aber ich werde
weder deinen Leib noch deine Seele irgendwohin bringen und
dir auch keinerlei Beweis meiner Macht zeigen, bevor du mir
nicht diesen schon bereitgehaltenen Pakt unterschreibst. Denn
so ein Dokument habe ich immer bei mir. Ein hübscher winziger
Einstich linker Hand, ein Tropfen Blut, der Siegel und Unterschrift zugleich hergibt, und du bist der Erste unter allen Menschen.“ „Das also sind deine Bedingungen, nun höre die meinen: du darfst dich meiner nicht vor dem Tage bemächtigen, an
dem ich selber, müde des Lebens, wünschen werde, die Augen
für immer zu schließen. Und außerdem musst du vorher noch
drei Proben deiner Macht, die ich von dir fördern werde, ablegen.“ „Das sind sehr harte Bedingungen“, antwortete der Böse.
„Mit den Proben bin ich einverstanden, nicht umsonst bin ich
der Teufel. Aber deine erste Bedingung! Da musst du dir doch
selber sagen, die ist für mich unannehmbar. Welcher Mensch
würde wohl freiwillig die Erde verlassen wollen, wenn alles hier
für ihn nur Glück und Freude wäre? Aber ich weiß nicht weshalb, ich habe so eine Schwäche für dich, und deswegen will ich
dir etwas entgegenkommen. Ich werde dir ständig dienen, aber
sollte ich dich, ganz gleich in welchem Augenblick deines
Lebens, je in Rom finden, dann gehörst du mir. Alle Wege führen
nach Rom, deine Sache wird's sein, sie zu vermeiden.“ [...]
(Märchen aus Polen, Ungarn und der Slowakei, S.51–55)
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1572–1795 Die Zeit der Wahlkönige
1572–1795
1573
1576–1586
1587–1632
1655–1660
1660
1674–1696
1683
1694
1697–1763
1756–1763
1764–1795
1772
1791
1793
1794
1795
Ausländische und polnische Könige wechseln sich auf dem Thron ab. Während des Interregnums nach dem
Tod eines Königs nehmen verstärkt auswärtige Mächte, insbesondere Frankreich und Österreich, auf die
Königswahl Einfluss. Die Geschicke des Landes werden von mächtigen Adelsfamilien bestimmt
Erste freie Königswahl: Der Sejm in Warschau wählt Heinrich von Valois zum König, der aber bald nach
seiner Krönung Polen verlässt um die Nachfolge seines Bruders als König von Frankreich anzutreten.
Stefan Báthory, der Herrscher von Siebenbürgen, wird zum König von Polen gewählt
Mit Zygmunt III. Wasa Beginn der Herrschaft der katholischen Linie der Wasa auf dem polnischen Thron (bis 1668)
Schwedisch-polnischer Krieg, der nach der Legende, mit Hilfe der Schwarzen Madonna von Tschenstochau
für Polen entschieden wird.
Im Frieden von Oliva muss Polen auf die baltischen Gebiete bis auf das östliche Lettland zugunsten Schwedens sowie auf Rechte über das herzogliche Preußen verzichten
Jan III. Sobieski König von Polen
Unter Führung des polnischen Königs Jan III. Sobieski besiegt ein polnisch-österreichisches Heer die Türken
vor Wien und leitet damit die Zurückdrängung des Osmanischen Reiches aus Zentraleuropa ein
Der bayerische Kurfürst Max Emanuel heiratet die polnische Königstochter Therese Kunigunde
Mit der Herrschaft von Kurfürst Friedrich August (der Starke) von Sachsen beginnt die „Sachsenzeit“: Polen
ist in Personalunion mit dem sächsischen Kurfürstentum verbunden
Siebenjähriger Krieg: Polen wird russisches Aufmarschgebiet, Sachsen von Preußen besetzt
Stanisław August Poniatowski König von Polen, innere Wirren
Bei der ersten Teilung Polens fällt ein Drittel des Landes an die drei Nachbarn Preußen, Russland und Österreich
König Stanisław August Poniatowski versucht das Land durch Reformen zu retten • Der Sejm beschließt eine
Verfassung (3. Mai), die erste geschriebene Verfassung Europas
Zweite Teilung Polens • Weitere Gebiete des Landes fallen an Preußen und Russland • Danzig wird preußisch
Ein Aufstand unter Führung des Freiheitskämpfers Tadeusz Kościuszko wird niedergeschlagen
Durch die Dritte Teilung wird das Land endgültig unter den drei Großmächten aufgeteilt und Polen verschwindet als eigenständiger Staat bis 1918 von der europäischen Landkarte
Die Polnischen Teilungen
1772–1795.
(Unsere Geschichte 8, S. 43)
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Polen im Kalkül Friedrichs des Großen
In seinen französisch geschriebenen „politischen
Testamenten“ aus den Jahren 1752 und 1768 gab der
preußische König Friedrich II. (der Große) Richtlinien
für die Innen- und Außenpolitik eines Monarchen im
Sinne des aufgeklärten Absolutismus. 1752, also noch
vor dem Siebenjährigen Krieg, in dem Preußen die
Eroberung Schlesiens gegenüber Österreich behauptete, äußerte er sich zur Rolle Polens im machtpolitischen Kalkül Preußens. Preußen war hierbei vor allem
an einer Landbrücke zwischen Ostpreußen und Brandenburg interessiert. Ab 1772 zeigten die polnischen
Teilungen (1772, 1793, 1795) zwischen Preußen, Österreich und Russland, dass Polen zum Spielball der
europäischen Kontinentalmächte geworden war. Hierzu bot die innenpolitische Schwäche der Adelsrepublik
mit ihren Parteiungen einen idealen Ansatzpunkt.
Aus dem politischen Testament Friedrichs II. (1752):
Die Republik Polen hält an der alten feudalen Regierungsform
fest, die alle anderen Mächte Europas schon abgeschafft haben.
Ihre Nachbarn, daran interessiert, die republikanische Monarchie in einem Zustand der Schwäche zu erhalten, unterstützen
die Freiheit und Unabhängigkeit der Großen gegen den Ehrgeiz
ihrer Könige. Die Republik wird nur bei Gelegenheit einer
Königswahl beunruhigt. In zwei mächtige Parteien gespalten, ist
sie für niemanden gefährlich, und die Nachbarn sind beinahe
gesichert gegen alles, was sie unternehmen würde, weil nichts
leichter ist, als ihre Reichstage zu sprengen.
über den polnischen Thron ohne die Zustimmung der Republik zu
verfügen und den Herzog von Lothringen als absoluten Herrscher einzusetzen, nachdem man ihn dort platziert hat; [...]
(Die politischen Testamente, S. 349–351)
Die Provinz, die uns nach Sachsen am besten anstünde, wäre
Polnisch-Preußen. Es trennt Preußen von Pommern und verhindert, das erstere zu behaupten durch die Schwierigkeiten, die
die Weichsel dort bildet, und durch die Besorgnis vor Einfällen
der Russen über den Danziger Hafen. [...] Ich glaube nicht, dass
der Waffengang das beste Mittel wäre, diese Provinz dem Königreich hinzuzufügen, und ich bin geneigt, Euch das zu sagen, was
Viktor Amadeus, König von Sardinien, Karl Emanuel zu sagen
pflegte: „Mein Sohn, man muss Mailand essen wie eine Artischocke, Blatt für Blatt“. Polen ist ein Wahlkönigtum; beim Tode
seiner Könige ist es durch Parteien immerwährend beunruhigt.
Dann ist es Zeit, daraus Nutzen zu ziehen und durch unsere Neutralität bald eine Stadt, bald einen anderen Bezirk zu gewinnen,
bis alles geschluckt ist. [...]
Die Eroberungen, die man mit der Feder machen kann, sind
immer denen vorzuziehen, die man mit dem Degen macht. Man
läuft weniger Zufällen nach und ruiniert weder seine Börse noch
seine Armee.
(Die politischen Testamente, S. 373–375)
(Die politischen Testamente, S. 341)
Die Russen und Österreicher müssen unentwegt von uns beobachtet werden, die Russen wegen ihrer Verbindungen nach Polen
und Schweden [par raport aux affaires de Pologne et de Suede]
und wegen der Bündnisse, die sie zwischen Polen und Schweden
anbahnen könnten. Österreich erfordert ebenfalls große Aufmerksamkeit als der wichtigste unserer Feinde, der den Plan hat,
den Herzog von Lothringen [= Ehemann von Kaiserin Maria
Theresia] auf den polnischen Thron zu setzen und im Reich
[= Hl. Röm. Reich Deutscher Nation] gern despotisch regieren
würde, alles Dinge, die wir nicht dulden können. Da entsteht die
Frage, wie soll man es verhindern? Hier sind die Mittel, die uns
der gesunde Menschenverstand eingibt. Wir verbünden uns mit
den Feinden unserer Feinde, nämlich mit Frankreich, Schweden,
einigen Fürsten des Reichs, wenn möglich mit dem König von
Sardinien und selbst den Türken; arbeiten daran, die polnischen
Reichstage zu sprengen, indem wir einige Summen aufwenden,
wie wir es schon getan haben; wir reden den Polen ein, dass die
Königin von Ungarn [= Maria Theresia] und die Kaiserin von
Russland gefährliche Nachbarn seien, deren Wunsch es wäre,
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Der „Kuchen der Könige“: Karikatur auf die Teilung Polens
1772 (zeitgenössischer Stich von F. L. Nilson). Die Herrscher
Österreichs, Preußens und Russlands zeigen auf die von
ihnen beanspruchten Gebiete Polens. Links die russische
Zarin Katharina II., ihr gegenüber Joseph II. und Friedrich
der Große (rechts), in der Mitte König Stanisław August II.
Poniatowski.
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1806–1918 Volk ohne Staat
1806
1807
1813
1815
1830–1831
1848
1863–1864
1873
1885–1886
1894
1886–1912
1901–1907
1910
1914
1916
1917
1918
Niederlage Preußens gegen die napoleonischen Truppen, Napoleon in Warschau
Gründung des Herzogtums Warschau durch Napoleon unter Friedrich August von Sachsen • Polen stellt Truppen
für die Feldzüge Napoleons
Niederlage Napoleons, Besetzung des Herzogtums Warschau durch die früheren Teilungsmächte
Wiener Kongress: Polen wird erneut unter Russland, Preußen und Österreich aufgeteilt. Das Herzogtum Warschau wird in ein Königreich Polen (= Kongresspolen) unter der Herrschaft des russischen Zaren umgewandelt,
der zugleich König von Polen wird
Der Novemberaufstand gegen die Zarenherrschaft im russischen Teilungsgebiet wird blutig niedergeschlagen •
Beginn der Großen Emigration • Zeit der liberalen deutschen Polenbegeisterung, wie sie sich beispielsweise auf
dem Hambacher Fest 1832 zeigt
Revolution in Berlin • Unruhen im preußischen Teilungsgebiet • Befreiung inhaftierter Polen • „Polendebatte“ in
der Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt
Januaraufstand im russischen Teilungsgebiet
Beginn des Kulturkampfes in Preußen, der gegen die katholische Kirche gerichtet ist, und damit insbesondere die
östlichen Provinzen Preußens mit polnischer Bevölkerungsmehrheit trifft • Stufenweise Zurückdrängung der polnischen Sprache im Verwaltungsbereich und in den Schulen
Vertreibung von Polen aus den polnischen Provinzen Preußens, die nicht die polnische Staatsangehörigkeit haben
Gründung des „Ostmarkenvereins“ als Sammelbecken für Anhänger einer militanten Germanisierungspolitik
Mit Hilfe verschiedener Ansiedlungs- und Enteignungsgesetze wird letztlich erfolglos versucht, den deutsche
Bevölkerungsanteil in den östlichen Provinzen Preußens zu erhöhen
„Schulstreiks“ in der Provinz Posen, da auch der Religionsunterricht nur noch in deutscher Sprache erteilt werden soll
500-Jahrfeier der Schlacht von Grunwald / Tannenberg, Einweihung des Grunwald-Denkmals in Krakau
Erster Weltkrieg: Alle Teilungsmächte stellen die polnische Souveränität in Aussicht • Polnische Schützenverbände kämpfen in der österreichisch-ungarischen Armee
5. November: Proklamation eines „Königreiches Polen“ durch die Mittelmächte
15. August: Gründung des „Polnischen Nationalkomitees“ in Paris
Im Januar verkündet der amerikanische Präsident Wilson in den „14 Punkten“ auch die nationale Unabhängigkeit Polens • Nach der Niederlage aller ehemaligen Teilungsmächte im Ersten Weltkrieg ist der Weg zur Wiederherstellung eines souveränen polnischen Staates frei • Der aus deutscher Haft entlassene Józef Piłsudski übernimmt ab dem 11. November die politische und militärische Führung in Polen
Das Hambacher Fest
in der Pfalz am 27. Mai
1832. Neben schwarzrot-goldenen und
französischen Fahnen
erkennt man in der
Bildmitte auch die
polnische Fahne.
(Unsere Geschichte 8,
S. 141, Bildarchiv
Preuss. Kulturbesitz)
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Deutsche Polenbegeisterung in den 1830er Jahren
Die Polen hofften auf die Französische Revolution und in
der Folge auf Napoleon, um ihre staatliche Eigenständigkeit wiederzuerlangen. Napoleon machte den Polen in
dieser Hinsicht jedoch keinerlei konkrete Zugeständnisse. Das Herzogtum Warschau, das er 1807 nach der
Niederlage Preußens aus bisher preußischen Gebieten
gründete und 1809 durch österreichische Gebiete vergrößerte, wurde ein französischer Vasallenstaat in Personalunion mit dem Rheinbundstaat Sachsen unter Herzog
Friedrich August. Schon vorher kämpften polnische Soldaten für die napoleonischen Heere. So entstand 1797
bei der polnischen Legion in Italien das Lied „Noch ist
Polen nicht verloren“, dessen Autor General Józef Wybikki ist. Seit dem Novemberaufstand 1830 wurde es zum
polnischen Nationallied schlechthin und 1926 zur offiziellen Nationalhymne. Die Titelzeile antwortet auf einen
angeblichen Ausspruch des polnischen Generals
Kościuszko (1746–1817) bei seiner Gefangennahme in
der Schlacht von Maciejowice 1794, dies sei das Ende
Polens („Finis regni Poloniae“). Der im Lied genannte
Dabrowski war Jan Dąbrowski (1755–1815), der
ursprünglich als Johann von Dombrowski sächsischer
Offizier war, und von 1798–1813 polnische Truppen im
napoleonischen Heer führte.
Noch ist Polen nicht verloren,
solange wir leben.
Das, was fremde Übermacht uns raubte,
werden wir mit dem Schwert wiedergewinnen.
Marsch, marsch, Dabrowski,
vom italienischen ins polnische Land!
Unter Deiner Führung
vereinigen wir uns mit der Nation!
Die Niederschlagung des Aufstandes von 1830/31 führte
zur „Großen Emigration“ von polnischen Freiheitskämpfern über Deutschland in die Schweiz und nach Frankreich. Man bereitete den polnischen Emigranten einen
begeisterten Empfang; zu ihrer Unterstützung wurden
überall „Polenvereine“ gegründet. Im Kampf der Polen für
einen eigenen Staat sahen die Liberalen in Deutschland
eine Parallele zu ihrem Streben nach Einheit und Freiheit.
Politische Publizistik und Lyrik machten „Polens Sache“
zu ihrem Thema, so beispielsweise in Tausenden von
deutschen „Polenliedern“, zu deren Verfassern Grillparzer, Hebbel, Herwegh, Lenau und Uhland gehörten. Im
Mai 1832 wurden beim Hambacher Fest die schwarz-rotgoldene Fahne und die polnische Fahne nebeneinander
gehisst und mehrfach die polnische Hymne „Noch ist
Polen nicht verloren“ gesungen.
Jakob Siebenpfeiffer, einer der Organisatoren des Hambacher
Festes, verfasste nach dem Vorbild von Schillers Reiterlied aus
„Wallenstein“ ein Lied für das Fest, dessen erste Zeile „Hinauf,
Patrioten zum Schloss“ lautete. Schon die zweite Strophe hatte
Polen zum Thema:
Wir sahen die Polen, sie zogen aus,
Als des Schicksals Würfel gefallen.
Sie ließen die Heimat, das Vaterhaus
In der Barbaren Räuberhänden:
Vor des Czaren finsterem Angesicht
Beugt der Freiheit liebende Pole sich nicht.
(zit. n. Herzberg, Das Hambacher Fest, S. 109)
Der schwäbische Dichter Ludwig Uhland (1787–1862) nahm
sich als Mitglied des Tübinger Polenkomitees polnischer
Flüchtlinge an. Der Plan Uhlands, ein Vorwort zu einer deutschen Ausgabe von Gedichten des polnischen Nationaldichters
Adam Mickiewicz zu schreiben, scheiterte, aber in diesem
Zusammenhang beschäftigte sich Uhland mit dem Werk des
Polen und verfasste 1833 das folgende Gedicht:
Mickiewicz
An der Weichsel fernem Strande
Tobt ein Kampf mit Donnerschall,
Weithin über deutsche Lande
Rollt er seinen Widerhall.
Schwert und Sense, scharfen Klanges,
Dringen her zu unsern Ohren,
Und der Ruf des Schlachtgesanges:
„Noch ist Polen nicht verloren !“
Und wir horchen und wir lauschen.
Stille waltet um und um,
Nur die trägen Wellen rauschen,
Und das weite Feld ist stumm;
Nur wie Sterbender Gestöhne,
Lufthauch durch gebrochne Hallen
Hört man dumpfe Trauertöne:
„Polen, Polen ist gefallen !“
Mitten in der stillen Feier
Wird ein Saitengriff getan;
Ha! wie schwillet diese Leier
Voller stets und mächt’ger an!
Leben schaffen solche Geister,
Dann wird Totes neu geboren;
Mir bürgt des Liedes Meister:
„Noch ist Polen nicht verloren“
(zit. n. Polnische Literatur, S. 61)
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Polen in der deutschsprachigen Literatur
des 19. Jahrhunderts
Heinrich Heine äußerte sich 1823 über die Situation der Polen:
Von den Weibern gehe ich über zu dem politischen Gemütszustande der Polen und muss bekennen, dass ich bei diesem exaltierten Volke es immerwährend bemerkte, wie schmerzlich es die
Brust des polnischen Edelmanns bewegt, wenn er die Begebenheiten der letzten Zeit überschaut. Auch die Brust des Nichtpolen wird von Mitgefühl durchdrungen, wenn man sich die politischen Leiden aufzählt, die in einer kleinen Zahl von Jahren die
Polen betroffen. Viele unserer Journalisten schaffen sich dieses
Gefühl gemächlich vom Halse, indem sie leichthin aussprechen:
„Die Polen haben sich durch ihre Uneinigkeit ihr Schicksal
selbst zugezogen und sind also nicht zu bedauern.“ Das ist eine
törichte Beschwichtigung. Kein Volk, als ein Ganzes gedacht,
verschuldet etwas; sein Treiben entspringt aus einer inneren
Notwendigkeit, und seine Schicksale sind stets Resultate derselben. Dem Forscher offenbart sich der erhabenere Gedanke, dass
die Geschichte (Natur, Gott, Vorsehung usw.), wie mit einzelnen
Menschen, auch mit ganzen Völkern eigene große Zwecke beabsichtigt und dass manche Völker leiden müssen, damit das Ganze erhalten werde und blühender fortschreite. Die Polen, ein slawisches Grenzvolk an der Pforte der germanischen Welt, scheinen durch ihre Lage schon ganz besonders dazu bestimmt,
gewisse Zwecke in den Weltbegebenheiten zu erfüllen. Ihr moralischer Kampf gegen den Untergang ihrer Nationalität rief stets
Erscheinungen hervor, die dem ganzen Volke einen andern
Charakter aufdrücken und auch auf den Charakter der Nachbarvölker einwirken müssen.
(Heine, Über Polen, S. 85–86)
Gottfried Keller, der als Sekretär des Züricher Provisorischen
Komitees zur Unterstützung der Polen mit der Problematik der
polnischen Emigranten vertraut war, ironisiert in den 1860er
Jahren die Polenbegeisterung seiner Landsleute in der Novelle
„Kleider machen Leute“ aus dem zweiten Novellenzyklus um
„Die Leute aus Seldwyla“: Der arme Schneidergeselle Wenzel
Strapinski, ein gebürtiger Schlesier, wird für einen polnischen
Grafen gehalten und zieht bei einer Tischgesellschaft die
Bewunderung der Gäste auf sich:
[...] Da man guter Dinge war, sangen ein paar Gäste Lieder, die
in den dreißiger Jahren Mode waren. Der Graf wurde gebeten,
ein polnisches Lied zu singen. Der Wein überwand seine
Schüchternheit endlich, obschon nicht seine Sorgen; er hatte
[...] im Polnischen gearbeitet und wusste einige polnische Worte, sogar ein Volksliedchen auswendig, ohne ihres Inhaltes
bewusst zu sein, gleich einem Papagei. Also sang er mit edlem
Wesen, mehr zaghaft als laut und mit einer Stimme, welche wie
von einem geheimen Kummer leise zitterte, auf polnisch:
Hunderttausend Schweine pferchen
Von der Desna bis zur Weichsel,
Und Kathinka, dieses Saumensch,
Geht im Schmutz bis an die Knöchel!
Hunderttausend Ochsen brüllen
Auf Wolhyniens grünen Weiden,
Und Kathinka, ja Kathinka,
Glaubt, ich sei in sie verliebt!
„Bravo! Bravo!“ riefen alle Herren, mit den Händen klatschend, und Nettchen sagte gerührt: „Ach, das Nationale ist
immer so schön!“ Glücklicherweise verlangte niemand die
Übersetzung dieses Gesanges.
(Keller, Die Leute von Seldwyla, S. 300–301)
Gustav Freytags erfolgreicher Kaufmannsroman „Soll und
Haben“ aus dem Jahr 1855 spielt teilweise während der polnischen Aufstände in Krakau 1846 und in Posen 1848. Anton
Wohlfahrt, der Held des Romans, begleitet seinen Prinzipal ins
polnische Grenzgebiet, um dort einen Warentransport zu
sichern. Die im Roman geäußerten Klischees zeigen deutlich
die Stimmungsänderung gegenüber Polen und haben das deutsche Polenbild der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nachhaltig geprägt:
„So?“ sagte der Prinzipal ernsthaft, nahm die Pistolen aus der
Tasche, rief dem Postillon zu, die Pferde anzuhalten, und schoss
kaltblütig beide Läufe ab. „Es ist besser, wir beschränken uns
auf die Waffen, die wir zu gebrauchen gewöhnt sind“, bemerkte
er gutmütig, indem er Anton die Pistolen zurückgab, „wir sind
Männer des Friedens und wollen nur unser Eigentum zurückhaben. Wenn wir es nicht dadurch erhalten, dass wir andere von
unserem Recht überzeugen, so ist keine Aussicht dazu. Es wird
dort drüben viel Pulver unnütz verschossen werden, alles Ausgaben, welche nichts einbringen, und Kosten, welche Land und
Menschen ruinieren. Es gibt keine Rasse, welche so wenig das
Zeug hat, vorwärtszukommen, und sich durch ihre Kapitalien
Menschlichkeit und Bildung zu erwerben, als die slawische. Was
die Leute dort im Müßiggang durch den Druck der stupiden
Masse zusammengebracht haben, vergeuden sie in phantastischen Spielereien. Bei uns tun so etwas doch nur einzelne bevorzugte Klassen, und die Nation kann es zur Not ertragen. Dort
drüben erheben diese Privilegierten den Anspruch, das Volk
darzustellen. Als wenn Edelleute und leibeigene Bauern einen
Staat bilden könnten! Sie haben nicht mehr Berechtigung dazu,
als dieses Volk Sperlinge auf den Bäumen. Das Schlimme ist nur,
dass wir ihre unglücklichen Versuche auch mit unserem Geld
bezahlen müssen.“ „Sie haben keinen Bürgerstand“, sagte
Anton eifrig beistimmend. „Das heißt, sie haben keine Kultur“,
fuhr der Kaufmann fort, [...].
(Freytag, Soll und Haben, S. 314)
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Deutsche und Polen im „Völkerfrühling“ 1848
Das Revolutionsjahr 1848 ließ auch in Polen die Hoffnung auf die Wiederherstellung der Eigenstaatlichkeit
aufkeimen. Gleichzeitig kämpften im Exil lebende Polen
überall in Europa für die Revolutionen. Allerdings zeigte
sich gerade in Deutschland, dass die dortige Polenbegeisterung bereits abflaute. Während noch im März 1848
die Berliner Bevölkerung die Befreiung polnischer Gefangener, die 1846 in Posen einen Aufstand geplant hatten,
begeistert begrüßte, entzündete sich an den preußischen Plänen zu einer „nationalen Reorganisation“ des
Großherzogtums Posen ein heftiger Konflikt zwischen
dort lebenden Polen und Deutschen. Teilungspläne in
einen polnischen und einen deutschen Teil führten zu
einem vergeblichen polnischen Aufstand. In der Deutschen Nationalversammlung kam es im Juli zu einer heftigen Debatte über die Stimmberechtigung der 12 Posener Abgeordneten aus dem „deutschen“ Teil der Provinz
und die Anerkennung der Teilung.
Robert Blum (1807–1848), der Führer der demokratischen
Linken, befürwortete die Berücksichtigung der polnischen
Interessen:
Denen aber, die so sehr bereit sind, heute das polnische Volk in den
möglichst tiefen Schatten zu stellen, ihm alle Tugend abzusprechen, und alle Laster ihm anzuhängen, muss ich zurufen, sie sollten nicht vergessen, dass wir einen großen Teil der Schuld davon
tragen. Das Volk ist seit achtzig Jahren zerrissen, geknebelt und
unterdrückt, und wir haben es beraubt, seiner inneren Kraft und
seines Landes und seiner Selbständigkeit und seiner Freiheit.
Wenn [...] derjenige, den wir zu unseren Füßen niedergetreten
haben in den Schmutz, schmutzig erscheint, dann wälzen Sie die
Schuld nicht auf ihn. [...]
Ich will nur fragen, wenn wir hier die Angelegenheiten der europäischen Politik, Angelegenheiten von dem gewaltigsten Gewichte
nicht bloß für unser Vaterland, sondern für das gesamte Europa
entscheiden, nach welchem Prinzip handeln Sie denn da? Ist es die
territoriale Auffassung der Dinge, die Sie bestimmt, wie das z. B.
hinsichtlich Schleswig-Holsteins, der Slawen und Triests der Fall
gewesen zu sein scheint? Warum sind Sie dann nicht von demselben Prinzip ausgegangen, wenn es sich darum handelt, ein anderes Volk zu beurteilen, dem eine Anzahl Deutscher einverleibt ist,
wie uns eine Anzahl Dänen und Slawen und Italiener, und wie sie
heißen mögen? Oder ist es der Nationalgesichtspunkt, der Sie leitet? – Nun, dann seien Sie auf der anderen Seite so gerecht, und
wenn Sie Posen durchschneiden, um die Deutschen zu reclamieren,
so schneiden sie auch Schleswig durch, geben Sie die Slawen los,
die zu Österreich gehören, und trennen sie auch Südtirol von
Deutschland. [...]
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Im Gegensatz zu Blum äußerte sich der Abgeordnete Wilhelm
Jordan (1819–1904) ablehnend gegenüber Polen und forderte
eine deutsch-national orientierte Machtpolitik:
[...] In Bezug auf das Großherzogtum Posen ist in Europa eine sehr
irrige Ansicht verbreitet. Der Umstand, dass einige Teile desselben
allerdings ihrer ganze Geschichte und ihrer Bewohnern nach, von
jeher polnisch gewesen sind und dass andere Teile desselben zeitweise unter polnischer Herrschaft gestanden haben, ist Ursache
gewesen, dass man bisher ziemlich allgemein angenommen hat,
ganz Posen sei ein schlechthin polnisches Land. Dies Annahme ist,
wie gesagt, eine durchaus irrige. [...] Kurz es steht als Tatsache fest,
dass ein großer Teil von Posen gegenwärtig überwiegend deutsch
ist, und von dieser Tatsache haben wir auszugehen. [...] Die Frage
in Betreff der Scheidungslinie reduziert sich also auf die andere
Frage: Soll eine halbe Million Deutscher unter deutscher Regierung, unter deutschen Beamten leben, und zum großen deutschen
Vaterlande gehören, oder sollen sie in der sekundären Rolle naturalisierter Ausländer in die Untertänigkeit einer anderen Nationalität, die nicht soviel humanen Inhalt hat, als das Deutschtum gegeben, und hinausgestoßen werden in die Fremde? – Wer die letztere
Frage mit Ja beantwortet, wer da sagt, wir sollen diese deutschen
Bewohner von Posen den Polen hingeben und unter polnische
Regierung stellen, den halte ich mindestens für einen unbewussten
Volksverräter. [...] Polen bloß deswegen herstellen zu wollen, weil
sein Untergang uns mit gerechter Trauer erfüllt, das nenne ich eine
schwachsinnige Sentimentalität. [...]
(Wigard, Stenographischer Bericht, S. 1141–1144, Frankfurt am
Main, 24. Juli 1848, zit. n. Quellen zu den deutsch-polnischen
Beziehungen, S. 53–56)
Eine Karikatur zur Nationalitätendiskussion 1848: Angehörige
verschiedener Nationalitäten, unter anderem ein Pole, fordern ein Stück der „deutschen Pastete“: „Aber Gevatter
Michel, was bleibt denn übrig von Eurer deutschen Pastete,
wenn ihr so fortmacht?“ – „Nu, die Philosophie werden sie
mir wohl lassen.“ (Mannheim, Reiss-Museum. Aus der Aus-
stellung Mit Zorn und Eifer, Kat. Nr. 91 – http://www.zum.de/
Faecher/G/BW/Landeskunde/rhein/geschichte)
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Polen und das Deutsche Kaiserreich
Aufgrund einer Verschlechterung der wirtschaftlichen
Lage insbesondere auf dem Lande, sahen sich viele
Polen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts dazu
gezwungen auszuwandern, bis 1914 mehr als 3,6 Millionen. Davon wanderten 2,6 Millionen in die USA aus
und ca. 400 000 in das mittlere und westliche
Deutschland, vor allem ins Ruhrgebiet. Allerdings lebten vor dem Ersten Weltkrieg auch in Berlin ca. 100 000
Polen, damals nach Warschau und noch vor Krakau,
Lemberg und auch Posen die größte städtische
Ansammlung von Polen in der Welt.
Polen im Ruhrgebiet
Das Rhein-Ruhr-Gebiet und Westfalen, wo die besten Arbeitsbedingungen bestanden, wiesen kurz vor dem Ersten Weltkrieg
über 350 000 Polen auf; in manchen Industriestädten wie Gelsenkirchen, Herne, Recklinghausen oder Bochum machten die
polnischen Arbeiter die Hälfte der Bergleute überhaupt aus,
man sprach geradezu von „Polenzechen“. Inmitten der deutschen Bevölkerung bildeten die Polen feste Kolonien und Enklaven, sie gaben durch Sprache, Gewohnheiten sowie Kleidung
ganzen Straßenzügen und Gemeinden ein anderes Gepräge.
Andererseits identifizierten sich weite Kreise der heimisch werdenden Polen schon bald mit ihrer neuen Umgebung, so dass sie
sich, ihrer Tüchtigkeit durchaus bewusst, stolz „Westfalaki“
nannten. Dabei pflegten die Zuwanderer vielfach alte heimatliche Bindungen und setzten regionale Traditionen der Herkunft
fort. Die Posener konzentrierten sich in Oberhausen, Herne
oder Wanne, die aus schlesischen Kreisen stammenden mehr in
Bottrop, die Polen und Kaschuben aus Westpreußen in Wattenscheid.
Eine eigene, zahlenmäßig bedeutende Einwanderungsgruppe
bildeten die Masuren, die – abgesehen von ihrem protestantischen Glauben, der sie von den katholischen Polen deutlich
abhob – aus konservativ obrigkeitlichen Verhältnissen herkommend, trotz ihrer Anderssprachigkeit keine politischen Barrieren
zwischen sich und den Westfalen, zwischen Ost- und Rheinpreußen zu überwinden hatten, mochten auch soziale Abstufungen
eine Rolle spielen.
Dem Bestreben der Polen, sich ihre nationale Eigenart zu erhalten, diente seit dem Beginn der neunziger Jahre ein bemerkenswert straffes Organisationswesen. Sowohl in der Presse, etwa
dem tonangebenden „Wiarus Polski“ (Der polnische Getreue)
als auch bis in die Vereine und die polnische Gewerkschaft hinein stand der Klerus an der Spitze. Seinen Nachwuchs bildete er
sich im Priester-Seminar zu Paderborn heran. Hunderte von
Geselligkeits-, Gesang- und Frauenvereine sorgten für die
Unterhaltung und Bildung, Sparkassen und Genossenschaften
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stellten die materielle Basis für private und kollektive Aktivitäten dar, im Turnverein des „Sokół“ fand das national gefärbte
Streben nach körperlicher Ertüchtigung Ausdruck; Lesezirkel,
Volksbüchereien, Wahlvereine vermittelten eine kulturpolitische
Bildung und Richtung. Allmählich stellte sich auch eine nationalpolitische Aktivität ein, zumal sich auch zwei deutsche Parteien, das Zentrum und die Sozialdemokraten, um die Gunst der
polnischen Zuwanderer bewarben. Während sich aber die deutschen Sozialdemokraten nicht zur Unterstützung einer autonomen polnischen Sozialistengruppe durchringen konnten und das
katholische Zentrum seine anfängliche Anziehungskraft für die
Polen durch die nationale Polarisierung in Preußen zu verlieren
begann, gelang es der polnischen Geistlichkeit, mit der „Polnischen Berufvereinigung“ eine katholisch-nationalpolnische
Gewerkschaft ins Leben zu rufen. Sie sollte bald als dritte
gewerkschaftliche Kraft des Ruhrgebiets mit 75 000 Mitgliedern
(1913) das politische Leben der hiesigen Polen bis zum Ersten
Weltkrieg bestimmen.
(Breyer, S. 231–232)
Die 1890 in Bochum gegründete polnisch-katholische Zeitung
„Wiarus Polski“ (Der polnische Getreue) verteidigt die Ruhrpolen gegen Stimmen aus der Posener Heimat, welche ihnen Verrat an der nationalen Solidarität vorwerfen.
Die Leute selbst sagen, dass sie auch dann in der Heimat geblieben wären, wenn sie dort weniger als in der Fremde verdient
hätten, aber diesen geringeren Lohn hätten sie dort ständig
haben müssen. Sie finden ihn nicht in der Heimat, also suchen
und finden sie ihn in der Fremde. Es ist nicht so, wie allgemein
gesagt wird, dass die Polen in der Fremde nur ein elendes Leben
führten. Wenn es so wäre, wären sie nicht dorthin gegangen.
Ganz im Gegenteil. Unsere Landsleute in Westfalen ersparen
sich viel Geld, und dieser Umstand ist auch einer der Hauptgründe der Auswanderung. Sie senden viel Geld in die Heimat
an ihre Angehörigen, besonders im Großherzogtum Posen. Das
ist unsere soziale Aufgabe, welche man durchaus nicht geringschätzen darf. [...] Der größere, überwiegende Teil der polnischen Auswanderer nach Westfalen besteht nicht aus Faulpelzen,
welche zu Hause nicht wollen; im Gegenteil, diese Leute sind
arbeitsam, beharrlich, redlich; das kann man von der Gesamtheit der Auswanderer in Westfalen sagen. [...]
(Meyer, 1772–1914, S.82)
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Die Stellung der polnischen Minderheit im Bismarckreich
1871 übernahm das neugegründete deutsche Kaiserreich die in den preußischen Provinzen Posen und
Westpreußen ansässigen Polen und das damit verbundene Nationalitätenproblem. Eine erste Konfrontation
brachte der „Kulturkampf“ zwischen Bismarck und der
katholischen Kirche ab 1871 mit sich, da die polnische
Minderheit überwiegend katholisch war. Mit verschiedenen Maßnahmen versuchte man darüber hinaus den
polnischen Einfluss zurückzudrängen. Hierzu gehörten
das Verbot der polnischen Sprache im Verwaltungsund Schulbereich ebenso wie die Ausweisung von
Polen ohne deutsche Staatsangehörigkeit und Ansiedlungsgesetze, mit denen – letztlich erfolglos – der
deutsche Bevölkerungsanteil erhöht werden sollte. Mit
dem Regierungsantritt Wilhelms II. verschärften sich
die Germanisierungstendenzen weiter, wobei der „Ostmarkenverein“ propagandistisch besonders hervortrat.
Das Verbot der polnischen Sprache auch im Religionsunterricht führte von 1901 bis 1907 zu einer Reihe von
Schulstreiks.
Angesichts der preußischen Politik, die bewusst auf den Deutschen Orden und seine Kolonisierung als Vorbild Bezug nahm,
wurden die „Kreuzritter“ zum Feindbild in Polen. Dies zeigt
sich im Gedicht „Rota“ (Der Eid) der polnischen Dichterin
Maria Konopnicka, das um 1908 entstand. Nach seiner Vertonung wurde es erstmals bei der Einweihung des GrunwaldDenkmals in Krakau 1910 gesungen, die zu einer gewaltigen
nationalistischen Kundgebung wurde. Im 1. Weltkrieg wurde es
das Kampflied der Truppen Piłsudkis.
Wir lassen nicht vom Boden, sind sein Sohn.
Wir lassen unsre Sprach’ nicht sterben.
Wir sind der Polen Volk, Nation,
der königlichen Piasten Erben.
Verdeutschen soll uns nicht der Feinde Heer.
Dazu verhelf uns Gott, der Herr!
Und bis zum letzten Atemzug
verteidigen wir des Geistes Gut,
bis sich zu Schutt und Staub zerschlug
der Kreuzesritter böse Brut.
Des Hauses Schwelle sei uns Festungswehr!
Dazu verhelf uns Gott, der Herr!
Nicht mehr wird der Deutsche uns spein ins Gesicht,
die Kinder uns nicht mehr germanisieren.
Bald kommt der Waffen ehernes Gericht,
der Geist wird uns anführen. [...]
Dazu verhelf uns Gott, der Herr!
(zit. n. Meyer, 1772–1914, S. 79–80)
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Die Schulstreiks 1901–1906
Eine Reihe von Schulstreiks zu Beginn des 20. Jahrhunderts
gegen ein Verbot des polnischsprachigen Religionsunterrichts
zeigt die angespannte Lage im deutsch-polnischen Nationalitätenkonflikt in den östlichen Provinzen Preußens. Letztlich
unterlagen die Polen bei ihrem von der katholischen Kirche
gestützten Versuch des passiven Widerstands gegen die Germanisierungspolitik, aber gegenseitiges Misstrauen und nationale
Fronten waren noch offensichtlicher geworden.
Der Wreschener Streik
In der katholischen Volksschule der Stadt Wreschen wurde auf
Grund eines Erlasses aus dem Jahre 1873 im Jahre 1901 im
Religionsunterricht die polnische durch die deutsche Sprache
ersetzt und zugleich ein deutsches Religionslehrbuch eingeführt. Am 25. Mai kam es, als 15 polnische Kinder wegen
Widerstandes gegen den deutschsprachigen körperlich gezüchtigt wurden, vor dem Schulgebäude zu einem Auflauf. Ein Teil
der Menge drang in das Gebäude ein und bedrohte die Lehrer.
25 Personen wurden daraufhin wegen Haus- und Landfriedensbruch, Aufruhr, Widerstand gegen die Staatsgewalt und anderer
Straftaten angeklagt. 21 Angeklagte wurden zu Freiheitsstrafen
von 4 Wochen bis zu 2 1⁄2 Jahren verurteilt. Der Wreschener
Schulstreik und die Schwere der Strafen riefen unter den Polen
eine ungeheure Erregung hervor.
Aus dem Plädoyer des Staatsanwalts:
Der Grundzug aller Dinge in diesem Prozess ist der Gegensatz,
der in der Provinz Posen besteht zwischen Deutschen und Polen
und die Spannung, die sich zwischen Deutschtum und Polen durch
andere Dinge nach und nach immer mehr gesteigert hat. Dieser
Kampf ist schließlich so lebhaft geworden, dass die Staatsregierung Partei nehmen musste, und zwar in der ausgesprochenen
Absicht, das Deutschtum zu schützen und das Polentum zurückzudrängen. Unter den Abwehrmaßregeln ist die Erteilung des deutschen Religionsunterrichts in der Oberstufe der Volksschulen. [...]
Die Kinder haben auf die ihnen in deutscher Sprache gestellten
Fragen nicht geantwortet und den Finger nicht aufgehoben, sie
haben sogar die deutschen Religionsbücher, die ihnen kostenlos
übergeben werden sollten, ostentativ zurückgewiesen und dabei
gesagt: Wir sind Polen und wollen diese deutsche Religion nicht
lernen! Die Regierung hatte angesichts dieser Weigerung
zunächst beschlossen, dass den Kindern bis auf weiteres die
Religion nur vorgetragen, aber nicht abgefragt werde. Später
folgten dann gütliche, weiterhin ernstliche Ermahnungen, und
schließlich wurden Strafen angedroht und diese schließlich vollzogen, und zwar durch Nachsitzen und Prügel. [...]
(Meyer, 1772–1914, S. 63–64)
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Der Erste Weltkrieg
Der Posener Streik
In Posen kam es 1906/07 zu weiteren Schulstreiks. Der folgende Streikaufruf zeigt die enge Verbindung zwischen katholischer Kirche und polnischer Identität:
Rette, wer an Gott glaubt!
Eltern! Erwachet! Weckt mit aller Gewalt auch eure Nachbarn!
Seht ihr nicht das über euren Häuptern flammende Feuer? Seht
ihr nicht, was euren Kindern droht? Wenn ihr ihnen gestattet,
weiterhin die Religion in deutscher Sprache zu lernen, so seid
ihr Abtrünnige von eurem Glauben. Der allmächtige Gott, dieser liebende Vater, aber auch gerechte Richter, wird euch Eltern
grausam bestrafen für das Abtrünnigwerden von ihm. Denn seht
ihr Blinden nicht, dass der lutherische Preuße dem katholischen
polnischen Kinde nicht nur die Sprache, sondern auch die Religion entreißen will? Leute! Überlegt! Bedenkt, was durch eure
Gleichgültigkeit mit den Kindern geschehen wird! Öffnet ihr
ihnen doch selbst die Pforten der Hölle angelweit und stoßt ihr
sie doch in das Verderben! O, wie schmerzlich werden doch ihre
armen Seelen sich beklagen über die eigenen Eltern, die Ursache ihrer Verdammnis, über diese Eltern, die Gott selbst zu
ehren und zu lieben befohlen hat. Diese Eltern wird er am Tage
des Gerichts von sich stoßen und mit furchtbarer Stimme rufen:
Ich kenne euch nicht, ich kenne euch nicht, ihr seid meine Kinder nicht!
Geehrte Eltern! Untersagt alle wie ein Mann am 17. Oktober
1906 euren Kindern streng, im Religionsunterricht deutsch zu
antworten! Möge es unter euch kein räudiges Schaf geben, das
dieser Aufforderung nicht gehorche! Ihr seht, geschätzte Eltern,
wie groß ihr seid! Ihr allein habt die große Macht, diese von
Gott verliehene Macht, dass ihr ein solches Verbot an die Kinder erlassen könnt, und die Kinder müssen ihm gehorchen! Ihr
seid in euren Elternrechten mächtiger als die Minister, als die
höchsten preußischen Beamten selbst! Angesichts eures Verbots,
das an die Kinder aller katholisch-polnischen Eltern ruhig, einmütig, Hand in Hand erlassen wird, werden sich die Feinde keinen Rat wissen. Nur auf diese Weise könnt ihr durchführen, dass
man den Katechismus und das Gebet in allen Schulen und in
allen Klassen polnisch lernen wird. Fürchtet euch nicht! Kein
Gesetz, keine Strafe wird euch für die Verteidigung des heiligen
Glaubens erreichen! [...]
(zit. n. Korth, S. 162)
Nach Ausbruch des 1. Weltkrieges begann man in
Polen erneut auf ein Wiedererstehen des polnischen
Staates zu hoffen. Alle Teilungsmächte stellten entsprechende Zugeständnisse in Aussicht. Polnische
Soldaten kämpften in den Armeen Russlands, Österreich-Ungarns und Deutschlands. Nachdem Russland
jedoch 1914 in Ostpreußen und 1915 in Westgalizien
schwere Niederlagen erlitten hatte, waren in der Folgezeit die Mittelmächte tonangebend, da Deutschland
und Österreich ganz Kongresspolen besetzten. Zwischen beiden Staaten kam es jedoch zu Unstimmigkeiten bei der Realisierung der polnischen Selbstständigkeit. Erst 1916 fand man einen Kompromiss, mit
dem man hoffte das als Königreich restituierte Polen
auf die Seite der Mittelmächte zu ziehen, nicht zuletzt
um polnische Soldaten zu gewinnen. Da der Einsetzung eines „Provisorischen Staatsrates“ keine weiteren Zugeständnisse folgten, weigerten sich 1917 zwei
Drittel der polnischen Soldaten, einen Eid auf die
„Waffenbrüderschaft mit den Mittelmächten“ zu leisten. Der militärische Führer, Józef Piłsudski (1867–
1935), wurde bis 1918 in Magdeburg inhaftiert, und ein
konservativer „Regentschaftsrat“ ersetzte den Staatsrat. Gleichzeitig knüpfte das von Exilpolen gegründete
Polnische Nationalkomitee (KNP) Beziehungen zu
Frankreich, den USA und Großbritannien, so dass diese Mächte die Schaffung eines polnischen Staates
nach Kriegsende befürworteten. Seit 1917 beteiligte
sich auch eine polnische Exilarmee an den Kämpfen in
Frankreich.
In der sog. „Zwei-Kaiser-Proklamation“ erklärten Wilhelm II.
und Franz Josef I. Polen am 5. November 1916 zum Königreich.
An die Bewohner des Generalgouvernements Warschau!
Seine Majestät der Deutsche Kaiser und Seine Majestät der
Kaiser von Österreich und Apostolischer König von Ungarn,
getragen von dem besten Vertrauen auf den endgültigen Sieg
ihrer Waffen und von dem Wunsche geleitet, die von ihren tapferen Heeren mit schweren Opfern der russischen Herrschaft entrissenen polnischen Gebiete einer glücklichen Zukunft entgegenzuführen, sind dahin übereingekommen, aus diesen Gebieten einen selbständigen Staat mit erblicher Monarchie und konstitutioneller Verfassung zu bilden. Die genauere Bestimmung
der Grenzen des Königreichs Polen bleibt vorbehalten. [...]
(Quellen zu den deutsch-polnischen Beziehungen, S. 78–79)
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1919–1939 Zwischen den Kriegen
1919–1921
1920
1921
1923–1924
1925
1926
1933
1934
1935
1938
1939
Durch den Versailler Vertrag kommen ein Großteil der Provinzen Posen und Westpreußen und das östliche
Oberschlesien (nach Abstimmung) zu Polen • Aufstände in Schlesien
Polnisch-sowjetischer Krieg • Polen besetzt Teile der Ukraine und Litauens • „Wunder an der Weichsel“ –
polnische Truppen schlagen die vor Warschau stehende russische Armee zurück
In der Volksabstimmung in Ostpreußen, die aufgrund des Versailler Vertrages durchgeführt wird, votieren
auch Polen und Masuren für Deutschland
Proklamation der Freien Stadt Danzig unter dem Schutz des Völkerbundes
Bündnisvertrag mit Frankreich
Konsolidierung der Währung: Einführung des Złoty
Beginn des Wirtschaftskrieges mit dem Deutschen Reich
Putsch durch Marschall Piłsudski: autoritäre Wende, Einschränkung der verfassungsmäßigen parlamentarischen Rechte
Piłsudski bemüht sich vergeblich um ein Bündnis mit den Siegermächten des Ersten Weltkriegs zur Intervention gegen Hitler
Vertrag über Gewaltverzicht und Verständigung mit dem Deutschen Reich (1939 von Hitler aufgekündigt),
Ende des Handelskrieges mit Deutschland
Tod Piłsudskis, Beginn des Obristen-Regimes
Polen besetzt tschechische Gebiete an der Olsa, die ihm im Münchener Abkommen zugesprochen werden
6. April: Britisch-polnischer Beistandspakt • Forderungen Hitlers nach einer extraterritorialen Verkehrsverbindung durch den polnischen Korridor
23. August: Hitler-Stalin-Pakt mit einem geheimen Zusatzprotokoll über die Teilung Polens
Ein deutsches Plakat,
auf dem gegen die
Abtrennung Ostpreußens
durch den Versailler Vertrag
protestiert wird.
(Anschläge, S. 30 )
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Die Abstimmungsgebiete
Józef Piłsudski, der einen Tag vor der deutschen Kapitulation aus der Haft entlassen worden war, konnte am 11.
November 1918 als „Vorläufiger Staatschef“ die Regierungsgewalt in dem bis dahin von deutschen Truppen
besetzten Warschau übernehmen. Polen war mit Unterstützung der Westmächte selbstständig, aber weder
Staatsform noch Grenzen waren festgelegt. Im Westen
wurden Polen durch den Versailler Vertrag fast ganz
Posen und weite Teile Westpreußens links der Weichsel
zugesprochen, um den im 13. der 14 Punkte des amerikanischen Präsidenten Wilson geforderten Zugang zum
Meer zu schaffen. Dies führte durch die Abtrennung Ostpreußens von Deutschland zur Entstehung des sog.
„Polnischen Korridors“ und bildete in der Zwischenkriegszeit einen ständigen Konfliktherd zwischen beiden
Staaten. Die Erklärung Danzigs zur „Freien Stadt“ unter
dem Protektorat des Völkerbundes trug weiter zur Belastung des deutsch-polnischen Verhältnisses bei. Im
Streit mit der Tschechoslowakei wurde das Teschener
Gebiet entlang der Olsa geteilt.
Piłsudski versuchte angesichts der militärischen Schwäche Sowjetrusslands an der Ostgrenze vollendete Tatsachen zu schaffen und löste mit einer Offensive im April
1920 den Polnisch-Sowjetischen Krieg aus. Er lehnte die
so genannte Curzon-Linie (von dem britischen Außenminister Lord George Curzon im Juli 1920 vorgeschlagene
polnisch-sowjetische Demarkations-linie), die ungefähre
Grenze geschlossener polnischer Siedlung am Bug, als
polnische Ostgrenze ab. Nachdem die sowjetische
Gegenoffensive kurz vor Warschau zum Stehen
gebracht worden war, was als „Wunder an der Weichsel“
bezeichnet wurde, legte der Frieden von Riga (März
1921) die polnisch-sowjetrussische Grenze rund
150 Kilometer östlich der Curzon-Linie fest. Das Wilnaer
Gebiet kam mit einer umstrittenen Militäraktion (1920)
gegen das ebenfalls unabhängig gewordene Litauen
unter polnische Hoheit. Polen umfasste nunmehr ein
Gebiet von rund 388 000 Quadratkilometern mit über
27 Millionen Einwohnern, darunter jedoch nur 19 Millionen polnischer Volkszugehörigkeit. (Bingen, S. 5–6)
Während Polen einige Gebiete (Posen, Westpreußen) gemäß
den Bestimmungen des Versailler Vertrages zugesprochen wurden, sollten in ethnisch strittigen Gebieten um Allenstein,
Marienwerder und in Oberschlesien Volksabstimmungen abgehalten werden. Der in den Geschichtsbüchern häufig vereinfacht
dargestellte Ablauf war äußerst komplex und problembeladen:
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Für Gebiete mit besonders stark gemischter oder ethnisch nicht
eindeutig zuzuordnender Bevölkerung legten die Alliierten im
Versailler Vertrag fest, dass über die staatliche Zugehörigkeit
durch Volksabstimmungen entschieden werden sollte. Dies
betraf Teile Westpreußens, des südlichen Ostpreußens sowie
(fast ganz) Oberschlesien. In ALLENSTEIN, dem südlichen Teil
Ostpreußens, und in MARIENWERDER, dem links der Weichsel
liegenden Teil Westpreußens, wurden am 11. Juli 1920 die im
Versailler Vertrag vereinbarten Volksabstimmungen unter alliierter Kontrolle und militärischer Präsenz durchgeführt. In Allenstein, dem Herzen der Masuren, war zwar rund die Hälfte der
Bewohner polnischsprachig; sie sprachen jedoch einen eigenen
Dialekt und waren von der langen deutschen Herrschaft beeinflusst. Zudem gehörten viele der hier lebenden Polen der evangelischen Kirche an. In Allenstein stimmten dann auch nur
2,2 %, in Marienwerder 7,9 % für Polen. Am 12. bzw. 15. August
1920 erhielt daraufhin Deutschland die beiden Gebiete zugesprochen.
OBERSCHLESIEN (mit der Stadt Oppeln) war wegen seiner
ethnischen Struktur und seiner großen wirtschaftlichen Bedeutung das konfliktreichste Gebiet. Hier bereitete eine nationale
Klassifizierung besondere Schwierigkeiten, da ein großer Teil
der Bevölkerung zweisprachig war. Dmowski beanspruchte
gemäß seinem „piastischen“ Konzept auf der Pariser Konferenz
nach wie vor Oberschlesien und berief sich zudem auf die große Zahl polnisch sprechender Oberschlesier. Die Pariser Konferenz wollte Oberschlesien zunächst Polen auch zusprechen,
doch gegen diese Entscheidung kam es im Mai 1919 zu zahlreichen Demonstrationen. Lloyd George setzte schließlich eine
Volksabstimmung durch, die im Versailler Vertrag verankert wurde. (Ein wichtiger Grund war auch die Überlegung gewesen,
dass Deutschland mit Oberschlesien besser in der Lage gewesen
wäre, Reparationsleistungen zu erbringen.) Sowohl Deutschland wie Polen versuchten nun auf die Bevölkerung Oberschlesiens durch intensive Propaganda, aber auch durch Repressalien Einfluss zu nehmen, da sich beide Parteien des Ausgangs
der Volksabstimmung nicht sicher sein konnten. Um das Plebiszit zu verhindern, wollte Polen im August 1919 durch einen Aufstand, der von Einheiten der POW ausgelöst wurde, ein Fait
accompli schaffen (sog. Erster Schlesischer Aufstand). Die Alliierten übernahmen daraufhin ab Februar 1920 die Verwaltung,
Wirtschafts-, Finanz- und Außenpolitik sowie die Militärhoheit;
lediglich die deutsche Lokalverwaltung blieb bestehen, wurde
jedoch von alliierten Kommissaren beaufsichtigt. Französische,
englische und italienische Truppen sollten Ruhe und Ordnung
garantieren und einseitigen Aktionen Polens und Deutschlands
entgegenwirken. Die Maßnahmen sollten vor allem aber auch
dazu dienen, die Abstimmung unter neutraler Aufsicht frei
durchzuführen. Diese Aufgabe wurde einer Interalliierten Plebiszitkommission unter französischem Vorsitz übertragen. Den
Ausgang der Volksabstimmung im Juli 1920 in Allenstein und
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Marienwerder sah man in Polen als negatives Vorzeichen für
Oberschlesien. Im August 1920 brach daher der „Zweite Schlesische Aufstand“ aus, der wiederum von 40000-50 000 Mann
starken POW-Einheiten (= Powstańcza Organizacja Wojskowa /
Polnische Militärorganisation) entfacht wurde. Ihm waren militante Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Polen vorausgegangen, in deren Verlauf unter anderem auch das Hauptquartier des polnischen Abstimmungskommissars Wojciech
Korfanty zerstört wurde. Der Aufstand wurde schließlich im
September nach alliierter Vermittlung durch ein polnisch-deutsches Abkommen beendet, nachdem Deutschland auf alliiertes
Drängen hin zugesichert hatte, die deutsche Polizei in Oberschlesien aufzulösen, und damit einer zentralen polnischen Forderung nachkam.
Die Vorbereitungen für die Abstimmung liefen in einer gespannten Atmosphäre ab. Es kam zu zahlreichen Gewaltaktionen. Am
20. März 1921 stimmte eine Mehrheit von 59,6% für den Verbleib bei Deutschland. Randgebiete und ländliche Gemeinden
wie die Kreise Pieß, Rybnik, Tarnowitz oder Kattowitz-Land
hatten jedoch mehrheitlich für Polen votiert. Aufgrund des
Ergebnisses forderte Deutschland ganz Oberschlesien, Polen
hingegen eine Teilung des Gebietes entlang der Linie Rosenberg-Oppeln-Ratibor.
Kurz nach der Abstimmung brach ab 2./3. Mai 1921 der „Dritte Schlesische Aufstand“ aus. Polen wollte „seinen“ Teil Oberschlesiens besetzen. Nach anfänglichen Erfolgen stellte sich den
Polen organisierter deutscher Widerstand entgegen. Es handelte sich dabei um den „Selbstschutz Oberschlesien“ sowie um
Freikorpsverbände und irreguläre Truppenteile aus dem Deutschen Reich. Die deutschen Verbände konnten die polnischen
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Insurgenten am Annaberg (Góra Świętej Anny) aufhalten. Dieser Ort ist bis heute ein Symbol für das problematische deutschpolnische Verhältnis geblieben. (Auf dem höchsten Berg Oberschlesiens stehen eine barocke Wallfahrtskirche und ein Kloster.
Die Nationalsozialisten errichteten hier ein „Reichsehrenmal“;
nach 1945 ersetzte Polen dies durch einen „Triumphbogen“.)
Um die Kampfhandlungen zu beenden, verstärkten die Alliierten
ihre Truppen und konnten so Verhandlungen erzwingen. Die
deutschen und die polnischen Verbände mussten schließlich im
Juni 1921 Teile Oberschlesiens räumen.
Nun befassten sich auch der Völkerbund und die alliierte Botschafterkonferenz, die Nachfolgeorganisation der Pariser Konferenz, mit der Grenzziehung in Oberschlesien. Im Oktober
1921 legte die Botschafterkonferenz die Grenze, die dann im
Juni 1922 in Kraft gesetzt wurde, fest. Die östlichen oberschlesischen Kreise (mit der überwiegend deutschen Stadt Kattowitz/Katowice) gingen an Polen, da hier 55 % der Bevölkerung
dafür votiert hatten. Polen erhielt damit zwei Fünftel des oberschlesischen Gebietes mit 42 % der Einwohner und dem Großteil der Industrie (so z.B. 85 % der Kohlevorkommen). Polen
gliederte sein Gebiet, die „Wojewodschaft Schlesien“, in seinen
Staat ein. Sie genoss – zumindest auf dem Papier – Autonomierechte. Am 12. Mai 1922 unterzeichneten Deutschland und
Polen unter Ägide des Völkerbundes die sog. Genfer Konvention,
die bis 1937 galt und die Folgen der Teilung mildern sollte. Sie
regelte wirtschaftliche und verkehrstechnische Fragen und stellte die jeweiligen Minderheiten unter besonderen Schutz. Vertreter des Völkerbundes kontrollierten die Einhaltung des Abkommens.
(Schmidt-Rösler, S. 148–150)
Ein deutsches und ein
polnisches Plakat, die
zur Abstimmung für die
jeweilige Nationalität
aufrufen.
(Escher, S. 128/129)
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Der Zweite Weltkrieg
23. August 1939
25.–31. August
Hitler-Stalin-Pakt mit einem geheimen Zusatzprotokoll über die Teilung Polens
Von der SS inszenierte Zwischenfälle, u.a. ein angeblicher polnischer Überfall auf den deutschen Rundfunksender Gleiwitz als von Hitler für einen Angriff auf Polen gewünschter „propagandistischer Anlass“
1. September
Mit der Beschießung des polnischen Munitionsdepots auf der Westerplatte bei Danzig beginnt der deutsche Angriff auf Polen
17. September
Die Rote Armee marschiert über die polnische Ostgrenze ein. Die polnischen Staatsorgane und das Oberkommando werden nach Rumänien verlegt. Es kommt zu einer neuerlichen Teilung Polens. Westliche
Gebiete werden an das Deutsche Reich angegliedert, die östlichen Landesteile an die Sowjetunion
27. September
Kapitulation Warschaus nach schweren Luft- und Artillerieangriffen
30. September
Organisation einer polnischen Exilregierung in Frankreich, zum neuen Präsidenten wird Władysław Raczkiewicz, zum Ministerpräsidenten und Oberbefehlshaber General Władysław Sikorski ernannt • Übersiedlung der Exilregierung nach England
6. November
„Sonderaktion Krakau“: Die Deutschen verhaften 183 Wissenschaftler bzw. Professoren der Krakauer
Hochschulen und bringen sie ins Konzentrationslager
4. Dezember
Entstehung einer der ersten Untergrundorganisationen als Keimzelle des künftigen Untergrundstaates.
Mai 1940
Im Mai nimmt die Selbständige Brigade der Podhale-Gebirgsjäger an der Schlacht um Narvik und
Ankenes (Norwegen) teil • In der Luftschlacht um England (10. 7.–27. 9.) zeichnen sich die polnischen
Flieger aus – auf der anderen Seite müssen ca. 250 000 polnische Soldaten in der deutschen Wehrmacht
kämpfen
November
Die Nationalsozialisten errichten in Warschau ein Ghetto als ein von der Außenwelt abgeriegeltes
jüdisches Viertel
Abschluss des polnisch-sowjetischen Beistandspaktes Sikorski-Majski, der die Zusammenarbeit zwischen
30. Juli 1941
der Republik Polen und der UdSSR sowie den Aufbau einer polnischen Armee in der Sowjetunion vorsieht
August –Dezember
Die Selbständige Brigade der Karpaten-Gebirgsjäger nimmt an der Schlacht um Tobruk teil • Einrichtung
von Konzentrationslagern auf polnischem Boden, die zur Massentötung konzipiert sind: Auschwitz-Birkenau, Majdanek, Treblinka, Sobibor, Belzec
14. Februar 1942
Gründung der Heimatarmee (AK Armia Krajowa), der Streitkräfte des polnischen Untergrundstaates
27. September
Gründung des Vorläufigen Rates für die Unterstützung der Juden „Żegota“. Diese Untergrundorganisation
hilft den Juden, die in Ghettos und im Versteck leben
19. April–16. Mai 1943 Während der Räumung des Warschauer Ghettos durch die deutsche Wehrmacht ruft die jüdische Kampforganisation zum Aufstand auf. In mehrtägigen Kämpfen kommen 7000 Aufständische um. 56 000
Juden werden in Vernichtungslager deportiert
26. April
Nach der Entdeckung der Massengräber bei Katyn bricht die sowjetische Regierung die diplomatischen
Kontakte zur Exilregierung von Władysław Sikorski ab
18. Mai 1944
Das 2. Polnische Korps unter der Führung von General Władysław Anders erobert das Kloster auf dem
Monte Cassino, dem Schlüsselpunkt der deutschen Gustav-Linie • Bildung des Komitees zur nationalen
Befreiung einer von Kommunisten dominierten Parallelregierung mit sowjetischer Unterstützung (Lubliner Komitee)
1. August
Ausbruch des Warschauer-Aufstands. Die Aufständischen verteidigen sich 63 Tage lang. Bei den Kämpfen kommen über 200 000 Zivilisten und Aufständische ums Leben. Nach der Kapitulation am 2. Oktober wird die Bevölkerung vertrieben und Warschau fast vollständig zerstört
7.–22. August
Die 1. Panzerdivision unter General Stanisław Maczek nimmt an der siegreichen Schlacht bei Falaise
(Normandie) teil
18.–21. Juni 1945
Sechzehn Führer des Untergrundstaates (darunter der ehemalige Heimatarmee-Kommandant General
Okulicki und der Vertreter der Exilregierung vor Ort Jankowski) werden nach der Verhaftung durch den
sowjetischen Geheimdienst, NKWD, in Moskau für ihr „Wirken im Hinterland der Roten Armee“ zu einer
Gefängnisstrafe verurteilt
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20. J AHRHUNDERT
Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges
Ab Herbst 1938 spitzte sich die internationale Lage zu.
Gleichzeitig wurde der außenpolitische Druck auf Polen
verstärkt: Im Oktober präsentierte Hitler einen „Globallösungsplan“, durch den der deutsch-polnische
Gegensatz zugunsten eines Zweckbündnisses gegen
die Sowjetunion bereinigt werden sollte. Er stellte Forderungen im Hinblick auf die Rückkehr Danzigs als
Freistaat in den Verbund des Deutschen Reiches und
eine exterritoriale Straße und Eisenbahnlinie durch den
„polnischen Korridor“ zur deutschen Verfügung. Im
Gegenzug sollte der Nichtangriffspakt um 25 Jahre verlängert und die bestehende Grenze anerkannt werden.
Nachfolgende Außenministertreffen blieben jedoch
ergebnislos. Nach der Zerschlagung des tschechoslowakischen Staates wurden die Forderungen an
Polen im März 1939 ultimativ wiederholt. Bereits im
Frühjahr des Jahres 1939 hatte Hitler geheime Instruktionen für den „Fall Weiß“, den Angriff auf Polen, gegeben. Die Bedrohung Polens führte am 6. April schließlich zu einem britisch-polnischen Beistandspakt und
am 19. Mai zur Erneuerung des polnisch-französischen
Bündnisses von 1921. Die von Hitler erhoffte außenpolitische Isolierung Polens war nicht eingetreten. In
der Folgezeit kam der Rolle der Sowjetunion entscheidende Bedeutung zu, die von Deutschland einerseits
und von Frankreich und Großbritannien andererseits
als Bündnispartner umworben wurde. Das deutsche
Angebot einer Verschiebung der sowjetischen Westgrenze nach Polen gab schließlich den Ausschlag für
einen Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion, den sog.
Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939, in dessen
geheimem Zusatzprotokoll die Aufteilung fixiert wurde.
Kriegsplanungen
Weisung Hitlers für den „Fall Weiß“, 3. April 1939 (Auszug):
I. Die gegenwärtige Haltung Polens erfordert es, über die bearbeitete Grenzsicherung Ost hinaus die militärischen Vorbereitungen zu treffen, um nötigenfalls jede Bedrohung von dieser
Seite für alle Zukunft auszuschließen.
derlich werden. Das Ziel ist dann, die polnische Wehrkraft zu
zerschlagen und eine den Bedürfnissen der Landesverteidigung
entsprechende Lage im Osten zu schaffen. Der Freistaat Danzig
wird spätestens mit Beginn des Konfliktes als deutsches Reichsgebiet erklärt. Die politische Führung sieht es als ihre Aufgabe
an, Polen in diesem Falle womöglich zu erobern, d. h. den Krieg
auf Polen zu beschränken. Eine zunehmend krisenhafte innere
Entwicklung Frankreichs und eine daraus folgernde Zurückhaltung Englands könnten eine derartige Lage in nicht zu ferner
Zeit entstehen lassen. Ein Eingreifen Russlands, soweit dieses
dazu fähig sein sollte, wird Polen aller Voraussicht nach nichts
nützen, da es seine Vernichtung durch den Bolschewismus
bedeuten müsste. Die Haltung der Randstaaten wird allein von
den militärischen Erfordernissen Deutschlands bestimmt werden. Auf deutscher Seite kann mit Ungarn als Bundesgenossen
nicht ohne weiteres gerechnet werden. Die Haltung Italiens ist
durch die Achse Berlin-Rom bestimmt.
2.) Militärische Folgerungen:
Die großen Ziele im Aufbau der deutschen Wehrmacht bleiben
weiterhin durch die Gegnerschaft der westlichen Demokratien
bestimmt. Der Fall „Weiß“ bildet lediglich eine vorsorgliche
Ergänzung der Vorbereitungen, ist aber keineswegs als die Vorbedingung einer Auseinandersetzung mit den Westgegnern anzusehen. Die Isolierung Polens wird umso eher auch über den
Kriegsausbruch erhalten bleiben, je mehr es gelingt, den Krieg
mit überraschenden, starken Schlägen zu eröffnen und zu
schnellen Erfolgen zu führen. Die Gesamtlage wird es aber in
jedem Falle erfordern, dass auch Vorkehrungen zum Schutz der
Westgrenze und der Nordseeküste des Reiches und des Luftraumes über ihnen getroffen werden. Gegen die Randstaaten, insbesondere gegen Litauen, sind Sicherungsmaßnahmen für den
Fall eines polnischen Durchmarsches zu treffen.
3.) Aufgaben der Wehrmacht:
Die Aufgabe der Wehrmacht ist es, die polnische Wehrmacht zu
vernichten. Hierzu ist ein überraschender Angriffsbeginn anzustreben und vorzubereiten. Die getarnte oder offene allgemeine
Mobilmachung wird erst Angriffsvortage zu dem spätest möglichen Termin befohlen werden.
(Hitlers Weisungen, S. 17–18, zit. n. Quellen zu den deutsch-polnischen Beziehungen, S. 147–149)
1.) Politische Voraussetzungen und Zielsetzung:
Das deutsche Verhältnis zu Polen bleibt weiterhin von dem
Grundsatz bestimmt, Störungen zu vermeiden. Sollte Polen seine bisher auf dem gleichen Grundsatz beruhende Politik gegenüber Deutschland umstellen und eine das Reich bedrohende
Haltung einnehmen, so kann eine endgültige Abrechnung erfor-
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Das geheime Zusatzprotokoll des
deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes
vom 23. August 1939:
Aus Anlass der Unterzeichnung des Nichtangriffsvertrages zwischen dem Deutschen Reich und der Union der Sozialistischen
Sowjetrepubliken haben die unterzeichneten Bevollmächtigten
der beiden Teile in streng vertraulicher Aussprache die der
Abgrenzung der beiderseitigen Interessensphären in Osteuropa
erörtert. Diese Aussprache hat zu folgendem Ergebnis geführt:
1. Für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung in
den zu den baltischen Staaten (Finnland, Estland, Lettland,
Litauen) gehörenden Gebieten bildet die nördliche Grenze
Litauens zugleich die Grenze der Interessensphären Deutschlands und der UdSSR. Hierbei wird das Interesse Litauens am
Wilnaer Gebiet beiderseits anerkannt.
2. Für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung der
zum polnischen Staate gehörenden Gebiete werden die Interessensphären Deutschlands und der UdSSR ungefähr durch die
Linie der Flüsse Narew, Weichsel und San abgegrenzt. Die Frage, ob die beiderseitigen Interessen die Erhaltung eines unabhängigen polnischen Staates erwünscht erscheinen lassen und
wie dieser Staat abzugrenzen wäre, kann endgültig erst im Laufe der weiteren politischen Entwicklung geklärt werden. In
jedem Falle werden beide Regierungen diese Frage im Wege
einer freundschaftlichen Verständigung lösen.
3. Hinsichtlich des Südostens Europas wird von sowjetischer
Seite das Interesse an Bessarabien betont. Von deutscher Seite
wird das völlige politische Desinteressement an diesem Gebiet
erklärt.
4. Dieses Protokoll wird von beiden Seiten streng geheim
behandelt werden.
(Akten zur deutschen Auswärtigen Politik 1918–1945. Aus dem
Archiv des Deutschen Auswärtigen Amtes, Serie D, Band 7,
Baden-Baden/Frankfurt/Main1961, Dokument Nr. 228/229, zit.
n. Becher, S. 146)
In einem Gespräch auf dem Obersalzberg am 22.
August äußerte Hitler, er benötige einen „propagandistischen Anlass“ für einen Angriff auf Polen, was Reinhard Heydrich zum Anlass für die Inszenierung von
entsprechenden „Zwischenfällen“ nahm. Am bekanntesten ist der fingierte polnische Überfall auf den deutschen Rundfunksender Gleiwitz. Es fanden jedoch
auch „Grenzgefechte“ statt, bei denen angeblich polnische Soldaten auf deutsches Territorium vordrangen.
Dies ermöglichte Hitler in einer Reichstagssitzung vom
1. September die Formulierung: „Seit 5 Uhr 45 wird
jetzt zurückgeschossen!“
32
Der Kriegsbeginn
Am Morgen des 1. September hatte das Schulschiff
Schleswig-Holstein das Feuer auf die Westerplatte bei
Danzig eröffnet. In den nächsten Tagen erfolgte der
rasche Vorstoß deutscher Truppen nach Polen. Die
polnische Armee leistete heftigen Widerstand, war
aber der drückenden deutschen Überlegenheit nicht
gewachsen, zumal Waffenhilfe von Großbritannien
oder Frankreich ausblieb.
Der Soldat Bruno Fichte berichtet über seine Erlebnisse beim
Einmarsch in Polen:
[...] Als wir glaubten, dass wir nun endlich entlassen werden,
begann der Polenfeldzug.
Ich wurde Unteroffizier bei den Panzergrenadieren und bekam
eine Gruppe. Wir waren die Kampftruppe, die die Panzer begleitet. Entweder sitzen die Soldaten hinten auf den Panzern und
springen ab, wenn das Feuergefecht beginnt, oder die Männer
sitzen in Schützenpanzerwagen, mit denen sie ins Gefecht gefahren werden. [...]
Wir lagen ein paar Tage vor dem 1.September 1939 in einem
kleinen Städtchen an der polnischen Grenze in Bereitschaft. Als
dann Hitler zu hören war, „Ab heute morgen 5:45 Uhr wird
zurückgeschossen!“, hat niemand in meiner Umgebung gejubelt. Die Menschen waren bedrückt. Bevor sie uns ins Gefecht
schickten, wurden wir in eine Kirche zum Gottesdienst geführt,
und auch dem Pfarrer und seiner Predigt war die Bedrückung
anzuhören. Danach erhielten wir scharfe Munition. Die erste
Welle, Infanterie und Pioniere, sie mussten die Grenzbefestigungen überwinden, waren schon über die Grenze. Am nächsten
Morgen würden wir nachstoßen. Ich hatte fürchterliche Angst
und fühlte mich als miserabler Soldat. Die Angst überspielte ich,
weil ich glaubte, die anderen hätten noch mehr Angst und als
Unteroffizier müsste ich ein bisschen Tapferkeit vorspielen. Ein
ganz trauriger Haufen saß da am nächsten Tag in unserem
Schützenpanzerwagen.
Der erste Tote, den ich sah, war ein polnischer Bauer. Er lag auf
dem Feld mit aufgeplatztem Bauch. [...] Am Abend igelten wir
uns ein und wurden in der Früh von den Polen angegriffen.
Neben mir war mein Freund, Ernst Lenz, ein lieber Kerl, zwei
Jahre jünger als ich. Er träumte davon, einmal ein Mädchen zu
haben. Nichts beschäftigte ihn mehr, er hatte noch nie eines
gehabt. Er lag rechts neben mir, ein ganz kleines Stück weiter
vorn, und wir schossen blind in die Gegend hinein. Ich hörte ein
Aufpatschen, etwas traf mein Gesicht und lief daran hinunter.
Nach einiger Zeit zogen wir uns zurück, und ich zerrte den
Freund von dem ich nur wusste, dass er getroffen war, zwischen
die Panzer. Und dann sah ich, sein Kopf war gespalten. [...] Das
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war der erste große Schock. Da begann das große Verdrängen,
ohne das keiner eine Überlebenschance gehabt hätte.
In der nächsten Nacht wurde unsere Melderstaffel im Schlaf von
einem polnischen Stoßtrupp überfallen. Die Polen haben die
Jungs an Bäumen aufgehängt. [...] Verstehen konnte man ihre
Wut, aber es war das Sinnloseste, was sie machen konnten, denn
damit begann der Hass.
Wir fuhren und fuhren und fuhren, hatten keine Vorstellung von
unserem Kampfauftrag und sahen entsetzlich viel Tote und zerfetzte Pferde auf den Straßen. In der Luft, es war sehr heiß, war
ein den Atem nehmender Verwesungsgestank. Immer an Kreuzungen hat es wahre Menschenmassaker gegeben. Die Polen
haben der eigenen Propaganda geglaubt, unsere Panzer seien
aus Pappe. Ihre Kavallerie ritt manchmal mit eingelegter Lanze
gegen die Panzer an. Sie waren ungeheuer mutig, aber sie hatten gar keine Chance. An einem Abend bat mich ein polnischer
Kavallerieoffizier, ich solle ihn erschießen. Eine Granate hatte
ihm ein Bein abgerissen, und ich hab ihn verbunden. Er sagte:
„lch weiß, ich werde sterben, nehmen Sie, ich will mich nicht
selbst töten“ und gab mir seine Pistole. [...]
(Schüddekopf, Krieg. Erzählungen aus dem Schweigen,
S. 30–31)
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Gräuel gegen die Zivilbevölkerung in den
ersten Kriegswochen
Zu Kriegsbeginn kam es zu Übergriffen zurückflutender polnischer Soldaten und Zivilisten gegen Deutsche, was von der NS-Propaganda massiv ausgenutzt
wurde, nicht zuletzt, um damit ihrerseits den folgenden
Terror gegen die polnische Zivilbevölkerung wie Geiselerschießungen, willkürliche Verhaftungen und Hinrichtungen zu rechtfertigen. Heutige Forschungen gehen
von ca. 5 000 deutschen Opfern aus, während die NSPropaganda von 58 000 Toten sprach. Traurige Berühmtheit erlangten die Ereignisse in Bromberg als
„Bromberger Sonntag“ am 3. September 1939.
Und dann gegen 10 Uhr entstand in der Stadt eine entsetzliche
Panik. Die Danziger Straße entlang nach dem Theaterplatze zu
kamen polnische Truppen in wilder Hast. Die ganze Straßenbreite war besetzt von Wagen, Reitern, Lastautos; Straßenlaternen wurden umgerissen, Wasserhydranten umgebrochen. Die
Zivilbevölkerung flüchtete in die Häuser. Rufe ,Die Deutschen
kommen’ hallten durch die Straßen. Auch in den Parallelstraßen
setzte die allgemeine Flucht ein. Die Offiziere waren nicht in der
Lage die Soldaten zum Halten zu bringen. Ihre Rufe gingen
unter in dem Gerassel der Wagen, in dem Geschrei der Menschen. Schließlich griffen sie zur Waffe, um ihren Befehlen Nachdruck zu verleihen. Schüsse fielen, aber die wilde Flucht ging
weiter. Lähmender Schrecken lag über der Stadt. Die Sonne, die
so schön aufgegangen war, sollte nun über einem furchtbaren
Blutgericht scheinen, denn nach Minuten schon, als man sich
überzeugt hatte, dass die Deutschen noch nicht einrückten,
schrie der Mob, die deutsche Bevölkerung Brombergs habe auf
die polnischen Soldaten geschossen. Und was nun einsetzte, war
„polowanie na Niemców“, die Jagd auf die Deutschen. Auf der
Straße aufgegriffen, mit Kolben bearbeitet, aus den Häusern
gezerrt, in engen Räumen zusammengepfercht, stets bedroht von
waffenstarrenden Horden – das war das Schicksal eines Teils
unserer deutschen Volksgenossen. Andere wurden auf der Stelle
erschossen, erschlagen bzw. gepeinigt und gefoltert. Über das
Schicksal einer ungeheuerlich langen Reihe von Volksgenossen
ist bis jetzt noch nichts bekannt.
(Deutsche Rundschau, Bromberg 9. 9. 1939, zit. n. Meyer
1914–1970, S. 46)
Die Deutschen gingen ihrerseits mit drastischen Strafen
gegen jede Form von Widerstand vor.
(Escher, S. 149 / Haus der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland, Bonn)
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Die nationalsozialistische Okkupationsherrschaft in Polen
Nach der Kapitulation Polens kam es zu einer erneuten
Teilung Polens: Den Ostteil, ca. 50 % des polnischen
Staatsgebietes besetzte gemäß den Abmachungen des
Hitler-Stalin-Paktes die Sowjetunion. Am 28. September
wurde die endgültige Demarkationslinie entlang der
Flüsse Narew-Bug und San festgelegt. Damit erhielt
Deutschland sogar mehr als im ursprünglichen Abkommen vorgesehen. – Der sowjetisch besetzte Teil wurde
darüber hinaus zu Beginn des Russlandfeldzuges 1941
von den Deutschen okkupiert.
Der von deutschen Truppen
eroberte Westteil wurde
zweigeteilt in die „Eingegliederten Ostgebiete“ und das
„Generalgouvernement“. Die
„Eingegliederten Ostgebiete“ umfassten vier Teile: Ostoberschlesien und das
Teschener Schlesien wurden
der Provinz Schlesien zugeschlagen. Danzig, der ehemalige „polnische Korridor“,
Marienwerder und Pommerellen wurden zum Reichsgau Danzig-Westpreußen
zusammengefasst. Die ehemalige preußische Provinz
Posen und Teile Kongresspolens bildeten das größte
Gebiet, den Reichsgau
Posen, der ab 1940 in „Reichsgau Wartheland“ umbenannt wurde. Das Wartheland sollte zum „Mustergau“
des Ditten Reiches werden, weswegen man hier die
„Germanisierung“ besonders brutal vorantrieb. Die „Eingegliederten Ostgebiete“ wurden in den Wirtschaftsund Währungsraum des Deutschen Reiches einbezogen, blieben pass- und polizeirechtlich jedoch Ausland.
SS, SD und Polizei begannen, Himmlers Rahmenbefehl
der Umsiedlung der jüdischen und polnischen Bevölkerung mit Härte und Brutalität auszuführen. Die Juden
wurden ins Generalgouvernement deportiert oder ins
Ghetto nach „Litzmannstadt“ [ehemals Lodz] gebracht.
1940 waren die „Eingegliederten 0stgebiete“ im NSJargon „judenfrei“. Allein zwischen dem 1. und dem
17. Dezember 1939 wurden aus dem Reichsgau Posen
(Wartheland) fast 90 000 Polen ins Generalgouvernement deportiert. Es kam zu Massenverhaftungen und zu
Massenexekutionen; die Zahl der Opfer für 1939/40 wird
mit einigen 10 000 angegeben. Insgesamt wurden aus
den „Eingegliederten Ostgebieten“ 750 000 Polen
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zumeist ins Generalgouvernement umgesiedelt. Viele
wurden zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich verschickt
Die „Eingegliederten 0stgebiete“ sollten innerhalb von
10 Jahren „entpolonisiert“ werden. Verfolgungen ausgesetzt waren vor allem Intellektuelle, nationale Führer und
der polnische Klerus. Ab 1941 lief die „Aktion zur Zerschlagung der polnischen Kirche im Reichsgau Wartheland“. Nachdem 1939 bereits die meisten Klöster und
bischöflichen Ordinariate geschlossen und über
1 000 Kleriker interniert worden waren, kamen nun
1 700 Geistliche ins KZ
Dachau. Am 17. September
1940 wurde jeglicher polnischer Besitz enteignet. Die
Polen wurden als „Schutzangehörige“ bezeichnet, die
kein dauerhaftes Wohnrecht
besaßen und keine Staatsbürgerschaft erhielten. Sie
bildeten die unterste, rechtlose Gruppe der Bevölkerung. Für die restlichen Einwohner, Deutsche oder
Mischbevölkerung
wie
Kaschuben oder Schlonzaken, galt nach wie vor die
Politik der Germanisierung.
Die Bevölkerung wurde
mittels der „Deutschen
Volksliste“ (sie galt zunächst
für den „Warthegau“ und ab September 1940 für alle
„Eingegliederten Ostgebiete“) in vier Klassen eingeteilt.
[In Abteilung 1 kamen diejenigen Volksdeutschen, die
unter polnischer Herrschaft in den Organisationen der
deutschen Volksgruppe aktiv gewesen waren, in Abteilung 2 die übrigen Volksdeutschen, in Abteilung 3 und 4
wurden Personen aufgenommen, die teilweise deutscher Abstammung waren oder als eindeutschungsfähig angesehen wurden.]
Im Zuge der „Germanisierung“ sollte die deportierte polnische und jüdische Bevölkerung durch deutsche
Ansiedler ersetzt werden. Es handelte sich dabei um
Volksdeutsche aus dem Baltikum, aus Wolhynien und
Galizien, aus Rumänien und aus der Ukraine. Insgesamt
wurden rund eine Million „Volksdeutsche“ in die „Eingegliederten Ostgebiete“ gebracht.
(Schmidt-Rösler, S. 185-186)
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Heinrich Himmler, Reichsführer SS, war seit 1939 auch
„Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums“.
In dieser Funktion erläuterte er im Mai 1940 in einer Denkschrift Grundlinien seiner Pläne für die eroberten Ostgebiete:
Bei der Behandlung der Fremdvölkischen im Osten müssen wir
darauf sehen, soviel wie möglich einzelne Völkerschaften anzuerkennen und zu hegen, also neben den Polen und Juden die
Ukrainer, die Weißrussen, die Goralen, die Lemken und die
Kaschuben. Wenn sonst noch irgendwo Volkssplitter zu finden
sind, auch diese.
Ich will damit sagen, dass wir nicht nur das größte Interesse
daran haben, die Bevölkerung des Ostens nicht zu einen, sondern im Gegenteil in möglichst viele Teile und Splitter zu zergliedern.
Aber auch innerhalb der Völkerschaften selbst haben wir nicht
das Interesse, diese zu Einheit und Größe zu führen, ihnen vielleicht allmählich Nationalbewusstsein und nationale Kultur beizubringen, sondern sie in unzählige kleine Splitter und Partikel
aufzulösen.
[...] Eine Zusammenfassung nach oben darf es nicht geben,
denn nur dadurch, dass wir diesen ganzen Völkerbrei des Generalgouvernements von 15 Millionen und die 8 Millionen der
Ostprovinzen auflösen, wird es uns möglich sein, die rassische
Siebung durchzuführen, die das Fundament in unseren Erwägungen sein muss, die rassisch Wertvollen aus diesem Brei herauszufischen, nach Deutschland zu tun, um sie dort zu assimilieren.
Schon in ganz wenigen Jahren - ich stelle mir vor, in 4 bis 5 Jahren - muss beispielsweise der Begriff der Kaschuben unbekannt
sein, da es dann ein kaschubisches Volk nicht mehr gibt (das
trifft besonders auch für die Westpreußen zu). Den Begriff Juden
hoffe ich, durch die Möglichkeit einer großen Auswanderung
sämtlicher Juden nach Afrika oder sonst in eine Kolonie völlig
auslöschen zu sehen. Es muss in einer etwas längeren Zeit auch
möglich sein, in unserem Gebiet die Volksbegriffe der Ukrainer,
Goralen und Lemken verschwinden zu lassen. Dasselbe, was für
diese Splittervölker gesagt ist, gilt in dem entsprechend größeren Rahmen für die Polen.
Eine grundsätzliche Frage bei der Lösung aller dieser Probleme
ist die Schulfrage und damit die Frage der Sichtung und Siebung
der Jugend. Für die nichtdeutsche Bevölkerung des Ostens darf
es keine höhere Schule geben als die vierklassige Volksschule.
Das Ziel dieser Volksschule hat lediglich zu sein:
Einfaches Rechnen bis höchstens 500, Schreiben des Namens,
eine Lehre, dass es ein göttliches Gebot ist, den Deutschen
gehorsam zu sein und ehrlich, fleißig und brav zu sein. Lesen
halte ich nicht für erforderlich. Außer dieser Schule darf es im
Osten überhaupt keine Schulen geben. Eltern, die ihren Kindern
von vorneherein eine bessere Schulbildung sowohl in der Volks-
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schule als später auch an einer höheren Schule vermitteln wollen, müssen dazu einen Antrag bei den Höheren SS- und Polizeiführern stellen. Der Antrag wird in erster Linie danach entschieden, ob das Kind rassisch tadellos und unseren Bedingungen entsprechend ist. Erkennen wir ein solches Kind als unser
Blut an, so wird den Eltern eröffnet, dass das Kind auf eine
Schule nach Deutschland kommt und für Dauer in Deutschland
bleibt.
So grausam und tragisch jeder einzelne Fall sein mag, so ist diese Methode, wenn man die bolschewistische Methode der physischen Ausrottung eines Volkes aus innerer Überzeugung als
ungermanisch und unmöglich ablehnt, doch die mildeste und
beste.
Die Eltern dieser Kinder guten Blutes werden vor die Wahl
gestellt, entweder das Kind herzugeben – sie werden dann wahrscheinlich keine weiteren Kinder mehr erzeugen, so dass die
Gefahr, dass dieses Untermenschenvolk des Ostens durch solche
Menschen guten Blutes eine für uns gefährliche, da ebenbürtige
Führerschicht erhält, erlischt - oder die Eltern verpflichten sich,
nach Deutschland zu gehen und dort loyale Staatsbürger zu
werden. [...]
Abgesehen von der Prüfung der Gesuche, die die Eltern um eine
bessere Schulbildung stellen, erfolgt jährlich insgesamt bei
allen 6-10 Jährigen eine Siebung aller Kinder des Generalgouvernements nach blutlich Wertvollen und Nichtwertvollen. Die
als wertvoll Ausgesiebten werden in der gleichen Weise behandelt wie die Kinder, die auf Grund des genehmigten Gesuches
ihrer Eltern zugelassen wurden.
Die Bevölkerung des Generalgouvernements setzt sich dann
zwangsläufig nach einer konsequenten Durchführung dieser
Maßnahmen im Laufe der nächsten zehn Jahre aus einer verbleibenden minderwertigen Bevölkerung, die noch durch abgeschobene Bevölkerung der Ostprovinzen sowie all der Teile des
deutschen Reiches, die dieselbe rassische und menschliche Art
haben (Teile zum Beispiel der Sorben und Wenden), zusammen.
Diese Bevölkerung wird als führerloses Arbeitsvolk zur Verfügung stehen und Deutschland jährlich Wanderarbeiter und
Arbeiter für besondere Arbeitsvorkommen (Straßen, Steinbrüche, Bauten) stellen; sie wird selbst dabei mehr zu essen und zu
leben haben als unter der polnischen Herrschaft und bei eigener
Kulturlosigkeit unter der strengen, konsequenten und gerechten
Leitung des deutschen Volkes berufen sein, an dessen ewigen
Kulturtaten und Bauwerken mitzuarbeiten und diese, was die
Menge der groben Arbeit anlangt, vielleicht erst ermöglichen.
(Quellen zu den deutsch-polnischen Beziehungen, S. 167–169)
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Zwangsarbeit
Der Reichsbeauftragte des Rassenpolitischen Amtes der
NSDAP, Egon Leuschner, schreibt 1943 über die Behandlung
von polnischen Fremdarbeitern:
Der überwiegende Teil des polnischen Volkes ist nicht umvolkbar. Sein Eindringen in den deutschen Blutskörper wird eine
Entnordung des deutschen Volkes und eine Verlagerung seiner
rassischen Substanz nach der ostischen und ostbaltischen Seite
zur Folge haben. Das Fernziel rassenpolitisch ausgerichteter
Fremdvolkpolitik kann nur die restlose Entfernung des größten
Teiles der Polen aus dem Reiche sein. Da aber heute noch nicht
zu übersehen ist, wann dieser Zeitpunkt gekommen erscheint,
muss energisch aller Assimilationsgefahr entgegengesteuert
werden. Aber nicht nur vom rassischen, sondern auch vom
volkspolitischen Standpunkt her ist die säuberliche Trennung
aus politischem Interesse und aus nationaler Würde notwendig.
Der Pole, der neiderfüllt aus dem dumpfen Gefühl seiner rassischen Unterlegenheit keinen anderen Menschen mehr hasst als
den deutschen, ist unser Feind, zu dem wir niemals mehr in ein
freundschaftliches Verhältnis treten werden. Die tierischen
Ermordung von nahezu 60 000 Volksdeutschen hat endgültig
den letzten Trennungsstrich gezogen. Daher ist jeder Umgang
mit Polen würde- und ehrlos. Jeder Verkehr ist Volksschande und
Volksverrat und muss unter die härtesten Strafen gestellt werden.
[...] Im Zuge der volks- und wehrwirtschaftlichen Anforderungen, die der Krieg an unsere Produktionskräfte stellt, sind im
Reiche neben den polnischen Kriegsgefangenen auch zahlreiche
sogenannte „Zivilarbeiter und -arbeiterinnen polnischen Volkstums“ zum Einsatz gekommen. Zur Kenntlichmachung tragen
sie ein auf das Kleidungsstück fest angenähtes, auf der Spitze
stehendes Quadrat, das in der Mitte mit einem ,P’ versehen ist.
[...] Die Hauptmasse der polnischen Zivilarbeiter kommt in der
Landwirtschaft zum Einsatz. [...] Der Pole hat außerhalb der
Hof- und Familiengemeinschaft zu bleiben. Deshalb soll er auch
getrennt von der Hofgemeinschaft seine Mahlzeiten einnehmen.
Gutmütigkeit und weichliche Behandlung fördern nicht die
Arbeitsfreude, sondern erwirken geradezu das Gegenteil. Die
sklavische Gesinnung des Polen verlangt, dass er jederzeit den
Herrn fühlen muss, wenn er zufriedenstellende Arbeit leisten
soll. [...] In industriellen Betrieben ist darauf zu halten, dass die
polnischen Zivilarbeiter und -arbeiterinnen getrennt in
geschlossenen Unterkünften uniergebracht werden, um die
Berührung mit den deutschen Arbeitern so weit wie nur möglich
zu vermeiden. [...]
(Leuschner, Egon: Nationalsozialistische Fremdvolkpolitik, zit.
n. Meyer, 1914–1970, S. 64–65)
Erinnerungen des ehemaligen polnischen Zwangsarbeiters
Andrzej Burzawa:
Andrzej Burzawa war noch keine 16, als er zur Zwangsarbeit
nach Deutschland verschleppt wurde. Die Gendarmen waren
gekommen, um seinen Vater zu holen, aber der hatte sich versteckt, und so nahmen sie eben den Sohn – „so wie ich da
stand“, erinnert er sich, „ich durfte mich nicht einmal anziehen“. Auf der schriftlichen „Verpflichtung“ des Arbeitsamts Tarnow wurde nur der Vorname Wladislaus durchgestrichen und
durch den des Jungen ersetzt. [...]
Andrzej Burzawa nennt seine Erinnerungen an das nationalsozialistische Deutschland, die er auf wenigen Manuskriptseiten
aufgeschrieben hat „die kurze Geschichte von den dunklen Zeiten“. Sie beginnt 1940 mit der Verschleppung aus seinem polnischen Geburtsort Jadowniki-Mokre und endet 1945 mit der
Befreiung aus Oberstdorf-Birgsau, einem Außenkommando des
Konzentrationslagers Dachau. Zwangsarbeit in der Landwirtschaft, Gefängnis, Straflager, KZ sind die Stationen dieser „kurzen Geschichte“. Nächtliche Verhöre gehören dazu, eine Typhusepidemie, die er ohne Medikamente heil übersteht, die Folterung
durch einen SS-Mann: „ausgeschlagene Zähne, eine verletzte
Nase und Blut im Urin eine Woche lang“. Und am Ende noch
eine trostlose Ankunft in der Heimat: Drei Familienmitglieder
waren erschossen worden, drei in Majdanek ermordet. Die Häuser der Burzawas waren zerstört. „Ich habe mich hingesetzt und
musste weinen.“ Am 24. April 1940 wird Andrzej Burzawa mit
seiner „Verpflichtung“ nach Tarnow zum Arbeitsamt gebracht,
von dort geht es mit etwa 500 Personen weiter nach Krakau,
dann in einem Transport über Österreich und Ulm nach Stuttgart. In einer kleinen Gruppe wird er nach Calw geschickt. [...]
Im April 1942 wird Andrzej Burzawa verhaftet, ein Grund wird
ihm nicht genannt. In Handschellen wird er nach Calw ins
Gefängnis gebracht, einige Wochen später nach Stuttgart verlegt. [...] Der Junge landet in einem Straflager in Welzheim,
muss in einer Fabrik arbeiten, in der Ersatzteile für Flugzeuge
hergestellt werden, wird wieder zurück nach Stuttgart transportiert, schließlich nach Dachau: „Das war die erste Etappe meines Aufenthalts im unfreundlichen Deutschland.“ Das Konzentrationslager Dachau ist für den jungen Mann – bei seiner Einlieferung ist er 18 Jahre alt – die schlimmste Station. Detailliert
beschreibt er die Szene, die sich ihm an jenem 14. Januar 1943
in Kälte und Dämmerung darbietet: den Ort Dachau „ein sauberes, ruhiges Städtchen mit mehreren Kirchen“, dann das
Jourhaus mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“, das Antreten
auf dem Appellplatz, das Wirtschaftsgebäude, das Registriertund Eingekleidetwerden, die Quarantäne. „Damit hört man auf,
ein Mensch mit Vor- und Zunamen zu sein.“ [...]
(Amier, „Die kurze Geschichte von den dunklen Zeiten“)
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Verfolgung und Vernichtung der Juden
28. Oktober 1938
9./10. November
September 1939
18.–27. Oktober
23. November
5.–6. Dezember
1939 / 1940
April 1940
Oktober
1. März 1941
3.– 20. März
September
8. Dezember
20. Januar 1942
15. Februar
17. März
April–Mai
4. Mai
4. Juli
19. Juli
22. Juli–12. September
19. April–16. Mai 1943
21. Juli
17. Januar 1945
Rund 17 000 Juden polnischer Herkunft werden aus Deutschland und dem angeschlossenen Österreich ausgewiesen, an der polnischen Grenze jedoch abgewiesen und müssen unter entwürdigenden
Bedingungen im Niemandsland hausen. Zu ihnen gehören auch die Eltern des 17-jährigen Herrschel
Grynszpan, der aus Protest ein tödliches Attentat auf den Legationssekretär an der deutschen Botschaft in Paris, Ernst vom Rath, verübt
„Reichspogromnacht“: SA- und NSDAP-Mitglieder setzen Synagogen in Brand und verwüsten
etwa 7000 jüdische Geschäfte und Wohnungen; etwa 30 000 Juden werden in Konzentrationslager
gebracht. Die offizielle NS-Propaganda versucht den Pogrom als spontane Antwort der Bevölkerung auf den Tod Ernst vom Raths darzustellen
Nach dem Überfall Deutschlands auf Polen beginnen deutsche Einsatzgruppen hinter der Front mit
der Massenerschießung von Juden
Deportation von Juden aus Mährisch-Ostrau, Kattowitz und Wien in das Gebiet von Lublin
Alle Juden im polnischen „Generalgouvernement“ müssen ab dem 1. Dezember den Davidsstern an
ihrer Kleidung tragen • später Übertragung dieser Bestimmung auf Deutschland und besetzte
Gebiete
Beschlagnahmung von jüdischem Eigentum in Polen durch die deutschen Behörden
Die polnischen Juden werden gezwungen ihre Wohnungen zu verlassen und in bestimmte Stadtteile zu ziehen, wo sie von der Außenwelt abgeschlossen in extremer Enge leben müssen
Das Ghetto von Lodz (errichtet am 8. Februar) wird von der Außenwelt abgeriegelt • Heinrich
Himmler, der Reichsführer der SS, befiehlt die Errichtung eines Konzentrationslagers auf einem
Kasernengelände in Auschwitz
Errichtung des Warschauer Ghettos, Mitte November wird das Ghetto von der Außenwelt abgeschlossen
Himmler besucht Auschwitz • Er befiehlt, dass in Birkenau noch ein Lager errichtet wird (Auschwitz II)
Planung, Errichtung und Abriegelung des Krakauer Ghettos
Erste Vergasungsversuche mit sowjetischen Kriegsgefangenen in Auschwitz
Erste Ermordung von Juden durch Gas im polnischen Lager Chelmno
Reinhard Heydrich, der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, führt in einer Villa am Berliner
Wannsee eine Besprechung durch, auf der die „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen wird •
Deportationen von Juden sowie Sinti und Roma aus dem Ghetto von Lodz nach Chelmno
Erster Transport von Juden nach Auschwitz, die dort mit Zyklon-B-Gas ermordet werden
Erste Massenermordung durch Gas im Vernichtungslager Belzec (Bełżec) südöstlich von Lublin
Das Tötungslager Sobibor wird in Betrieb genommen
Erstmals wird eine „Selektion“ unter den Gefangenen in Auschwitz-Birkenau durchgeführt, als
„arbeitsuntauglich“ eingestufte werden in die Gaskammern getrieben
Erste Selektion auf der Eisenbahnrampe in Auschwitz beim Eintreffen eines Zuges mit Deportierten: SS-Ärzte trennen die Eintreffenden nach ihrer „Einsatzfähigkeit“. Die einen müssen Sklavenarbeit ausführen, die anderen werden sofort getötet
Himmler ordnet die vollständige Vernichtung der Juden in Polen spätestens Ende des Jahres an
Massendeportationen aus dem Warschauer Ghetto in das Tötungslager Treblinka
Während der endgültigen Räumung des Warschauer Ghettos ruft die jüdische Kampforganisation
zum Aufstand auf. In mehrtägigen Kämpfen kommen 7 000 Aufständische um, Deportation von
56 000 überlebenden Juden in Vernichtungslager
Himmler ordnet die Auflösung aller Ghettos im Reichskommissariat Ostland an, abgesehen von den
arbeitsfähigen sollen alle Juden getötet werden
Befehl an die SS zur Räumung von Auschwitz • Todesmärsche
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Das Warschauer Ghetto
Das Warschauer Ghetto wurde im November 1940 eingerichtet und war nach Lodz das zweite auf polnischem
Boden. Der räumlichen Isolation der jüdischen Bevölkerung waren bereits verschiedene Stufen der Ausbeutung
und Entrechtung vorausgegangen, die den Gesetzen und
Maßnahmen gegen Juden im Deutschen Reich seit 1933
entsprachen. Die Einrichtung von Ghettos bedeutete
jedoch eine deutliche Verschärfung der deutschen Politik
im besetzten Polen. Maße und Anbringungsweise des
blauen Sterns auf weißer Armbinde waren genauestens
vorgeschrieben. Da jüdische Witwen, Rentner und Invaliden von der Wohlfahrtsunterstützung ausgeschlossen
wurden, konnten sie sich oft nur durch den Verkauf von
„Judensternen“ etwas zum Leben verdienen.
Im Warschauer Ghetto war wenig Platz für viele Menschen
vorhanden: 500 000 Menschen lebten auf vier Quadratkilometer zusammengedrängt und waren durch meterhohe
Ghettomauern von der Außenwelt nahezu total abgeschlossen. Die zugestandene Tagesration von Lebensmitteln betrug weniger als 200 Kalorien. Die Folgen waren
Obdachlosigkeit, Hunger, Krankheit und Tod. In allen
Ghettos zusammen starben etwa 600 000 Menschen. Die
Einwohner der Ghettos mussten für deutsche Betriebe
und die SS arbeiten. Außerhalb der Arbeitszeit war die Zeit
bestimmt von der täglichen Suche nach Lebensmitteln.
Die deutsche Ghettoverwaltung betrieb eine systematische Politik der Unterversorgung und zwang Judenräte
wie Ghettobewohner zum Schmuggel von Lebensmitteln,
auch von Medikamenten und Kleidung, zur Bestechung
der SS-Wachmänner und zur Kollaboration. Kinder unter
sechs Jahren hatten einen besonderen Status: Sie mussten noch keinen Davidstern tragen. Deshalb verließen
einige durch die Kanalisationen das Ghetto, um im freien
Teil der Stadt Nahrungsmittel zu beschaffen. Wenn sie
erwischt wurden, konnten sie von den Wachmannschaf-
Der Soldat Bruno Fichte beschreibt seinen Eindruck vom
Warschauer Ghetto im Jahr 1941:
[...] Wir kamen ans Ghetto, und ich sagte dem Fahrer, er solle
hineinfahren. Keine Schwierigkeit für uns in Uniform. Ich wusste
es gab Judenghettos, nicht nur in Warschau, es gab sie überall.
Was in ihnen passierte, wusste man nicht. Klar war nur, es
waren Lager, aus denen die Menschen nicht heraus konnten. Sie
waren Gefangene. Ich wusste auch von der Existenz der Konzentrationslager in Deutschland. Einen meiner Freunde hatten
sie dort inhaftiert, aber als er nach einigen Wochen wiederkam,
hat er nie ein Wort darüber gesprochen. Ich fuhr auch über die
Hauptstraße des Ghettos, sah die ausgemergelt Gestalten, sah
bettelnde Kinder, die ihre Hände durch die Holzzäune streckten
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ten sofort erschossen werden. Trotzdem gab es so etwas
wie Alltag im Ghetto: Mitglieder einiger politischen Organisationen errichteten medizinische Versorgungszentren,
Waisenhäuser, Aufnahmezentren für Flüchtlinge und
Volksküchen. Vereinzelt gab es Bibliotheken, und es fanden Konzerte und Theateraufführungen statt. Zwar war
das Ghetto noch kein Lager, doch der Handlungsspielraum der Bewohner war stark eingeschränkt. Von außen
wurde es von der SS und der Sicherheitspolizei streng
bewacht. Auf unerlaubtes Entfernen stand die Todesstrafe. Die innere Verwaltung übernahm ein jüdischer
Ältestenrat und Ordnungsdienst. Die Judenräte waren der
SS persönlich verantwortlich und dazu verurteilt, als verlängerter Arm der SS deren Befehle auszuführen. Leiter
des Judenrates in Warschau war Adam Czerniakow. Einen
Tag nach Beginn der ersten Deportationen der Ghettobewohner in das Vernichtungslager Treblinka 1942 nahm
er sich das Leben.
Die Räumung des Warschauer Ghettos begann am 22.
Juli 1942. In der ersten Phase deportierte die SS unter Leitung Hermann Höfles und in Zusammenarbeit mit der
deutschen Polizei und der Ghettopolizei innerhalb von
zwei Monaten etwa 250 000 Juden. Alle wurden in Treblinka getötet.
Nur 60 000 Juden, Arbeiter in den Fabriken der SS und ihre
Familien, verblieben im Ghetto. Als auch diese letzten
Bewohner des Warschauer Ghettos im April 1943 deportiert werden sollten, brach ein Aufstand aus. Trotz erbitterten Widerstandes unterwarf die SS mit Maschinengewehren, Flammenwerfern, Granatwerfern und Feldgeschützen
die Ghettobewohner. Nach der Niederschlagung des Aufstandes wurden alle Häuser abgerissen.
(nach www.dhm.de/ausstellungen/holocaust/r3.htm)
und denen die draußen vorbeikommenden Passanten Gemüseabfälle zusteckten. Ich sah auch einen sehr dicken Mann, der mit
einer hübschen Blondine in einer Fahrradrikscha saß, die von
einem kleinen dünnen Juden gezogen wurde. Es war beklemmend, trostlos, und wir haben gewendet und wollten wieder aus
dem Ghetto hinaus. Vor dem Tor stand ein Polizist mit Schlagstock, wahrscheinlich ein Mitglied der jüdischen Polizei. Er
winkte, als wir vorbeifuhren. Ich machte kehrt, und er sagte auf
jiddisch „verloren“. Jemand hatte ihm mein Soldbuch gegeben,
das mir aus der Tasche gerutscht war. Ich hatte großes Glück,
denn der Verlust des Soldbuchs wäre eine halbe Katastrophe
gewesen.
(Schüddekopf, Krieg. Erzählungen aus dem Schweigen, S. 37–38)
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In oder neben einigen Ghettos gab es einen „Umschlagplatz“,
meist ein Marktplatz oder eine größere freie Fläche. In kleineren Ghettos nutzte man den Platz für „Selektionen“, bei denen
entschieden wurde, welche Menschen zur Ermordung fortgeschafft werden sollten und welche weiterhin für Sklavenarbeit
„nutzbar“ schienen. In den größeren Ghettos lag dieser Platz oft
an Eisenbahnlinien. Um Deportationen aus Warschau zu
erleichtern, wurde sogar extra ein Eisenbahngleis zum
Umschlagplatz des Ghettos gelegt. Auf dem Umschlagplatz
mussten die Menschen mitunter mehrere Tage warten, bis leere
Güterwagen zur Verfügung standen.
(Erzählt es euren Kindern, S. 63)
Halina Birenbaum überlebte den Holocaust:
Wir wurden zum Umschlagplatz geführt. Zu diesem hundertmal
verfluchten Platz, der mit Blut und Tränen getränkt war und
erfüllt vom Kreischen der Lokomotiven, die hunderttausende
Juden von hier aus zur Endstation ihres Lebens brachten.
Die verzweifelte und bis zum Äußersten erregte Menge drängte
sich auf dem weiten Platz. Die Grenze des Platzes bildete ein
großes Gebäude, das vor dem Krieg eine Schule beherbergt hatte. Die hierher getriebenen Menschen waren zum größten Teil
Arbeiter aus den Baracken und von auswärtigen Arbeitsplätzen
auf der arischen Seite, alle Inhaber von Ausweisen, die bis vor
kurzem noch das „Lebensrecht“ garantiert hatten. Als sie heute
zur gleichen Zeit, wie immer unter SS-Bewachung, in ihre Wohnungen zurückkehrten, aus denen schon vorher ihre Angehörigen und ihr Hab und Gut verschleppt worden waren, gerieten
sie in die Falle. Eine hohe Mauer und eine lebende Sperre von
Polizisten und Nazis, die nicht einmal so zahlreich, dafür aber
bis an die Zähne bewaffnet waren, trennten uns vom Ghetto und
seinen Schlupfwinkeln.
Dort waren mein ältester Bruder und meine Tante mit ihrer
Tochter zurückgeblieben, sie hatten heute nicht mit uns hinaus
auf die Straße gehen wollen. Angespannt warteten wir, was
geschehen würde, und hielten Ausschau nach einem möglichen
Fluchtweg. Mein Vater drückte uns an sich und küsste meine
Mutter, meinen Bruder und mich. Er hielt uns krampfhaft mit der
Hand fest und ließ uns keinen Schritt von ihm weichen, vor
allem meine Mutter nicht, die sich unentwegt hin- und herwand,
weil sie versuchen wollte, uns irgendwie aus zu schmuggeln, wo
die Ambulanz und ein Posten der jüdischen Polizei untergebracht waren. Dort wollte sie uns verstecken und auf keinen Fall
zulassen, dass wir in die Wagons getrieben würden. Mein Vater
war so aufgeregt und bestürzt, dass er an Rettung nicht einmal
denken konnte. Er war nur noch dazu im Stande den Nazis seinen Passierschein vorzuweisen; bis zum letzten Moment glaub-
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te er daran, dass dieser Schein uns allen die Rettung bringen
würde. Er hatte Angst. Er meinte, dass Ungehorsam gegenüber
den SS-Leuten unseren Untergang nur beschleunigen würde.
Meine Mutter war anders. Deshalb hielt ich mich immer an sie,
fest davon überzeugt, dass sie einen Ausweg aus jeder schlimmen Situation finden würde. In der Gegenwart meines Vaters
empfand ich genau das Gegenteil. Und hier auf dem Umschlagplatz erging es mir ebenso.
Um diese Zeit standen nie Wagons bereit. Wir glaubten, die ganze
Nacht dort zubringen zu müssen, bis in der Frühe ein Zug eintreffen würde. Das bot gewisse Chancen zur Flucht, zur Rückkehr ins Ghetto, auf unseren Dachboden... Plötzlich bemerkten
wir, dass sich Maschinengewehre auf diese riesige, dicht
zusammengedrängte Menschenmenge gerichtet hielten, die mit
einem schreckerfüllten Raunen darauf reagierte. Allen war klar,
was das zu bedeuten hatte, doch keiner wagte aufzuschreien
oder in lautes Weinen auszubrechen. Wieder herrschte diese
unruhige, spannungsgeladene Stille. Wir umarmten uns; meine
Eltern, Chilek und ich sahen uns an, als sollte es das allerletzte
Mal sein; jeder wollte das Bild derer, die ihm am nächsten
waren, mit in die völlige Finsternis nehmen.
Alles andere, alles, was wir bisher erlebt und um das wir
gekämpft hatten, war nicht mehr wichtig. Während mein Vater
nur halb bei Besinnung war, wirkte meine Mutter ruhig wie
immer. Sie lächelte mich sogar an. „Hab’ keine Ängste, flüsterte sie mir zu. Man stirbt nur einmal“… und wir sterben jetzt alle
miteinander, hab keine Angst, es wird nicht so schlimm!“
(Halina Birenbaum: Die Hoffnung stirbt zuletzt, Oswiecim
1993, zit. n. Erzählt es euren Kindern, S. 67–69)
Ein halbverhungertes, in Lumpen gehülltes Kind im
Warschauer Ghetto.
(Joe J. Heydecker, 1941 – dhm.de/lemo)
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Jüdische Schicksale
Die polnischen Juden versuchten sich, wenn möglich, durch
Verstecken der Deportation zu entziehen. Viele berichten vom
selbstlosen Einsatz ihrer polnischen Mitbürger, die sie unter
Einsatz ihres Lebens schützten. Andere erlebten jedoch auch
Denunziationen und Erpressung.
Marianna Adameczek (geb. 1930)
Ein großer Schmerz bleibt zurück, wenn einem ein nahestehender Mensch stirbt, und wie erst soll man beschreiben, was ein
neunjähriges Kind fühlt, wenn seine Allernächsten, seine achtköpfige Familie vor seinen Augen umkommt? Die Tragödie
spielte sich im Wald von Serokomsk ab, bei einer Razzia auf
Juden, die sich dort versteckt hielten. Bei der Schießerei sah ich,
dass mein Vater verletzt war und eine von meinen Schwestern
auf dem Arm hielt. Meine Schwester war schon tot, und mein
schwerverwundeter Vater bat, ihn auch zu erschießen. Ich konnte ihnen nicht helfen! Ich sah, wie ein Deutscher in meine Richtung rannte, und ich floh. Der Deutsche schoss und traf mich am
Arm, aber das merkte ich erst, nachdem ich in höchster Angst
ungefähr sechs Kilometer gerannt war. Ich wusste, Vater hatte
schon vorher ein Versteck bei dem Polen Stanislaw Adameczek
in der Siedlung Charlejów beschafft, und dort lief ich hin. Nach
der geglückten Flucht kam ich, verletzt, bei der mir bekannten
Familie an, die sich um mich kümmerte. Man verband mir die
schreckliche Wunde (der Arm war bis auf den Knochen zerfetzt)
und versteckte mich in der Scheune in einer extra ausgehobenen
Grube. Nach einiger Zeit stellte sich heraus, dass auch einer
von meinen Brüdern überlebt hatte. Was war das für eine Freude, als ich ihn wiedersah!
Jiddisch war die Umgangssprache der Ostjuden. Es
basiert auf dem Mittelhochdeutschen, das jüdische
Auswanderer, die vor den Verfolgungen des Mittelalters nach Polen flohen, mitbrachten. Dort wurde es mit
Elementen des Hebräischen, Slawischen und Aramäischen angereichert und entwickelte sich zu einer
eigenständigen Sprachform. Noch in der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts wurde Jiddisch in den jüdischen
Gemeinden Polens gesprochen und in hebräischer
Schrift auch geschrieben. Es gab eine reichhaltige
Literatur, Theaterstücke, Zeitungen und nicht zuletzt
populäre Lieder in Jiddisch, wie das Beispiel des 1877
in Krakau geborenen Mordechai Gebirtig (eigtl. Mordche Bertig) zeigt. Er war von Beruf Tischler, dichtete
und vertonte aber auch sehr beliebte jiddische Lieder.
Nach der Besetzung Krakaus wurde Gebirtig 1942 im
dortigen Ghetto Podgorze (Schauplatz von „Schindlers Liste“) auf offener Straße erschossen.
Mordechai Gebirtig
In getto
Glajch wi di trit ojf samdikn weg hin
Gleich wie die Schritte auf einem sandigen Weg
machness fannarterte knecht,
Von in Lagern gemarterten Knechten,
zien in geto sich undsere teg,
Ziehen im Ghetto sich unsere Tage,
undsere schloflose necht. . .
Unsere schlaflosen Nächte.
Zien di schoen sich schwerer wie blaj,
Ziehen die Stunden sich schwer wie Blei,
In der Grube versteckte sich noch eine andere Jüdin, Dorka, die
sich auch hatte retten können. Mein Bruder brachte uns von Zeit
zu Zeit was zu essen. Doch die Freude, dass ich nicht allein war,
dauerte nicht lange, denn mein Bruder kam bald darauf durch
polnische Banditen ums Leben, was ich erst später erfuhr. Es
zerreißt mir vor Schmerz das Herz, wenn ich daran zurückdenke, wie ich gelitten habe, weil ich so verlassen war und wegen
der eiternden Wunde, die nicht heilen wollte und über die die
Läuse krochen. Die Schmerzen waren schrecklich, die entsprechenden Medikamente fehlten, und obendrein der Zwang zu
schweigen, weil niemand uns hören durfte. Nur mein Herz weinte! Ich saß zwei Jahre in dieser Grube, beschützt von Menschen,
die sich und ihre ganze Familie in Lebensgefahr brachten. [...]
Minutn ful ime un schrek.
(Kinder des Holocaust sprechen, S. 12–13)
Grishet a schtiki papir.
Minuten voll Angst und voll Schreck.
Bet men, der tog sol chotsch sajn farbaj,
Bittet man, der Tag soll vorbei sein,
Di nacht sol bescholem awek.
Die Nacht soll in Frieden vergehen.
Schloft men nischt gor, nor men horcht un men wacht,
Man schläft nicht mehr, man horcht nur und wacht
Falt epes schrecklichess ajn.
Es fällt einem was Schreckliches ein.
Ojf wemen wet faln der gojrl di nacht,
Auf wen wird fallen das Los diese Nacht.
Sejerss a korbn zu sajn . . .
Ihnen das Opfer zu sein.
Krigt men asoj un di ime is gojss
So liegt man und die Angst ist so groß
herndik sskripen a tir.
Hört man nur quietschen eine Tür,
Zitert doss harz, wen fun hunger a mojs
Das Herz zittert, wenn vor Hunger eine Maus
Nagt an einem Stückchen Papier.
Schtarbt op ejn ewer, wen ss'trogt sich arum
Die Glieder ersterben, wenn es weht herum
In hojft mit papirlach der wint.
Im Hof ein Stückchen Papier.
Gesegnt men sich on schum loschen, wie schtum
Man verabschiedet sich wortlos, wie stumm,
Mit mamess, mit wajb un mit kind.
Von der Mutter, von Frau und von Kind.
Un asoj ligt men, in ime un schrek, gejogt un denidrikt wie knecht
Und so liegt man, in Angst und in Schreck, gejagt und erniedrigt wie ein Knecht
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Der Warschauer Aufstand
Um zu verhindern, dass Polen sowjetisiert würde, wollte
die der Londoner Regierung unterstehende polnische
Widerstandsbewegung noch vor Ankunft der Roten Armee
die deutsche Herrschaft abschütteln. Angesichts des Vorrückens der sowjetischen Verbände in der Sommeroffensive 1944 bis vor die Tore Warschaus entfachte die nationalpolnische Heimatarmee (Armia Krajowa) – unterstützt von
weiteren Untergrundgruppen wie der kommunistischen
Volksarmee (Armia Ludowa) am 1. August 1944 einen Aufstand gegen die deutschen Besatzer. Die rund 25 000 Aufständischen unter Führung von General Graf Tadeusz BórKomorowski (1895–1966) versuchten, die polnische
Hauptstadt vor dem Einmarsch der Roten Armee aus eigener Kraft zu befreien. Nach erbittert geführten Häuserkämpfen in den Straßen Warschaus brachten die polnischen Verbände in den ersten Tagen bedeutende Teile der
Stadt unter ihre Kontrolle, bevor deutsche SS- und Polizeieinheiten unter SS-General Erich von dem BachZelewski (1899–1972) allmählich die Oberhand gewannen.
Unterstützung erhielten die Polen durch die britische
Royal Air Force, die wiederholt Waffen und Versorgungsgüter per Fallschirm über Warschau abwarf. Zutiefst verstimmt zeigten sich die Westalliierten über die Weigerung
der Sowjets, den Aufständischen Hilfe zu leisten oder die
britischen Versorgungsflugzeuge auf sowjetischen Flughäfen landen zu lassen. Josef W. Stalin hatte keinerlei Interesse an einem Sieg der nationalpolnischen Heimatarmee,
die noch vor dem Eintreffender Roten Armee in Warschau
eine vermutlich antikommunistische Regierung etabliert
hätte. Vielmehr war ihm daran gelegen, das kommunistische „Lubliner Komitee“ als willfährige Regierung Polens
zu installieren, das die Interessen Moskaus vertreten
würde.
Am 2. Oktober 1944 mussten die polnischen Verbände in
Warschau die Waffen strecken. 16 000 polnische Bewaffnete und 150 000 Zivilisten sowie 2 000 Deutsche fielen
den Kämpfen zum Opfer. Rund 70 000 Menschen wurden
in Konzentrationslager deportiert und hunderttausende
Warschauer in das Durchgangslager Pruszkow zwangsevakuiert. Systematisch zerstörten deutsche Verbände
anschließend einen Großteil der nahezu menschenleeren
Hauptstadt.
(http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/kriegsverlauf/
warschaueraufstand)
Lagebericht der AK (Armia Krajowa / Heimatarmee)
vom 14. Juli 1944:
Die Armee im Lande betont im Streben nach Unabhängigkeit
der Welt den Willen der Nation. Das zwingt die Sowjets, unseren
Willen mit Gewalt zu brechen. […]
II. Unter Berücksichtigung der augenblicklichen politischen und
operativen Lage habe ich [der AK.-Führer Bór-Komorowski]
entschieden:
Man muss sich darüber im Klaren sein, dass mit unserem Auftauchen dem ideellsten Element in Polen die Vernichtung droht,
aber die Sowjets werden diese Vernichtung nicht heimlich durchführen können, sondern müssen mit nackter Gewalt auftreten,
was den Protest der uns befreundeten Verbündeten hervorrufen
kann. In unserer schwierigen Lage halte ich diesen Entscheid
für notwendig und realisierbar.
Auch wenn keine diplomatischen Beziehungen mit den Sowjets
aufgenommen werden, kann die AK. nicht tatenlos zusehen,
wenn sich die Deutschen zurückziehen und die Sowjets einrücken oder wenn die deutschen Kräfte zusammenbrechen und
eine sowjetische Besatzung droht. Die Armee im Lande muss
den letzten Kampf mit den Deutschen ausfechten. […]
(zit. n. Meyer, 1914–1970, S. 73–74)
Der Sinn zur Führung unseres letzten Kampfes ist:
a) vor der Welt zu dokumentieren, dass unsere Haltung gegenüber
den Deutschen unbeugsam und unser Kampfwille ihnen gegenüber unerschüttert ist, b) den Sowjets den bösen Trumpf zu entreißen, uns in die Reihe heimlicher Verbündeter oder nur gegenüber
den Deutschen Neutraler einzugliedern, c) jenen Teil der Bevölkerung unter unsere Führung zu bekommen, der die Vergeltung an
den Deutschen ersehnt, aber nicht zur Armee im Lande gehört, um
ihn auf den Weg eines Strebens nach Unabhängigkeit zu führen
und ihn von den sowjetischen Einflüssen zu befreien. […]
Nach Aussage eines SS-Generals gab Himmler nach Ausbruch
des Warschauer Aufstandes den ihm unterstehenden Einheiten
folgenden Befehl:
Wenn wir den Sowjets auch nur minimale militärische Hilfe
leisten, so bereiten wir ihnen doch politische Schwierigkeiten.
(Meyer, 1914–1970, S. 75)
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Alle Polen in Warschau, ohne Rücksicht auf Alter und
Geschlecht, seien zu erschießen, Gefangene dürften nicht
gemacht werden. Warschau ist dem Erdboden gleichzumachen,
um Europa zu zeigen, was es bedeutet, einen Aufstand gegen
Deutsche zu unternehmen.
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Konferenzen in Jalta und Potsdam: Die Westalliierten stimmen einer Verschiebung Polens nach Westen zu • Deutschland
verliert die Gebiete östlich von Oder und Lausitzer Neiße • Der östliche Teil Polens fällt an die Sowjetunion
Vertreibung und Aussiedlung von Millionen von Deutschen und Polen
Ausschaltung jeglicher Opposition, politische Unterdrückung und Etablierung einer kommunistischen Herrschaft mit stalinistischem Charakter. Entmachtung der sog. Nationalkommunisten um Władysław Gomułka
Görlitzer Vertrag zwischen Polen und der DDR über die Endgültigkeit der Oder-Neiße-Grenze
Beginn des Kampfes der polnischen Regierung gegen die Kirche
Polnischer Verzicht auf deutsche Reparationszahlungen
Polnische Regierung erklärt den Kriegszustand mit Deutschland für beendet.
Arbeiteraufstand in Posen im Juni, Rückkehr Gomułkas an die Parteispitze • Propagierung eines polnischen Wegs zum
Sozialismus • Größere Freiräume für Kultur, Literatur und katholische Kirche
Besuch von Bundestagsvizepräsident Carlo Schmid (SPD) in Polen
550-Jahrfeier der Schlacht von Grunwald (Tannenberg) in Polen
Einrichtung einer bundesdeutschen Handelsmission in Polen
Ostdenkschrift der Evangelischen Kirche Deutschlands • Briefwechsel der deutschen und polnischen katholischen Bischöfe
Studentenproteste • Innere Machtkämpfe in der kommunistischen Partei lösen eine antisemitische Kampagne aus • Emigration eines Großteils der in Polen verbliebenen Juden • Teilnahme Polens und der DDR an der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Warschauer-Pakt-Staaten
Unterzeichnung des Normalisierungsvertrages zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland in Warschau • Kniefall Willy Brandts am Ghettodenkmal in Warschau • Blutige Niederschlagung von Arbeiterunruhen in den Ostseestädten
• Ablösung Gomułkas durch Edward Gierek
Visafreier Reiseverkehr zwischen Polen und der DDR • Ratifizierung des Normalisierungsvertrages zwischen Polen und
der Bundesrepublik
Vereinbarungen von Helsinki zwischen Bundeskanzler Helmut Schmidt und Edward Gierek (Renten- und Unfallversicherungsabkommen, Pauschalabgeltung von polnischen Rentenansprüchen, Kredit von 1 Milliarde DM, Ausreise von
125 000 Personen deutscher Volkszugehörigkeit aus Polen)
Unruhen aufgrund von angekündigten Preiserhöhungen weiten sich zu Streiks in Radom, Ursus bei Warschau und anderen Städten aus • Gründung eines Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (KOR)
Der Erzbischof von Krakau, Karol Kardinal Wojtyla, wird als erster Pole zum Papst gewählt
Landesweite Streikbewegung • Ende August Gründung der Gewerkschaft Solidarność unter Lech Wałęsa, der ersten
unabhängigen Gewerkschaft in einem kommunistischen Land • Rücktritt Giereks • Aufhebung des visafreien Reiseverkehrs zwischen der DDR und Polen
Verhängung des Kriegsrechts am 13. Dezember durch Partei- und Regierungschef General Wojciech Jaruzelski (Juli 1983
aufgehoben) • Verbot der Gewerkschaft Solidarność • Verhaftung Tausender von Gewerkschaftern und Oppositionellen •
Umfangreiche Hilfsmaßnahmen aus der Bundesrepublik für die polnische Bevölkerung
Nach dramatischer Zuspitzung der wirtschaftlich-sozialen Lage und Streiks im ganzen Land Verhandlungen am Runden
Tisch (Februar bis April), als deren wichtigstes Ergebnis am 4. Juni die ersten „halbfreien“ Wahlen zu Sejm und Senat
stattfinden. • Am 19. Juli Wahl von Wojciech Jaruzelski zum Staatspräsidenten und am 24. August des aus der Solidarność-Bewegung stammende Tadeusz Mazowiecki zum ersten nichtkommunistischen Regierungschef • Besuch von
Bundeskanzler Helmut Kohl in Polen
Wahl des ehemaligen Arbeiterführers und Friedensnobelpreisträgers Lech Wałęsa zum Staatspräsidenten • Am 3. Oktober
Wiedervereinigung Deutschlands • 14. November: endgültige Anerkennung von Oder und Neiße als polnische Westgrenze durch den deutsch-polnischen Grenzbestätigungsvertrag
Visafreier Verkehr zwischen Polen und Deutschland • Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrages über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit am 17. Juni in Bonn • Besuch von Bundespräsident Roman Herzog zum
50. Jahrestag des Warschauer Aufstandes • Im Herbst erste völlig freie Parlamentswahlen
Rede des polnischen Außenministers Władysław Bartoszewski vor dem Deutschen Bundestag 50 Jahre nach Kriegsende •
19. November: Aleksander Kwasniewski gewinnt im zweiten Wahlgang die Präsidentschaftswahlen gegen Lech Wałęsa
Beginn der offiziellen Beitrittsverhandlungen Polens mit der Europäischen Union
Aufnahme Polens in die NATO
Beitritt Polens zur Europäischen Union • Besuch von Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich des 60. Jahrestages des
Warschauer Aufstandes
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NACH
1945
Flucht und Vertreibung
Zur Jahreswende 1944/1945 begann die russische
Großoffensive im Osten, und Ostpreußen wurde vom
Reich abgeschnitten. Die oft dramatische Flucht der
Deutschen aus Ostpreußen und Polen begann. Mit dem
Vorrücken der russischen Front auf Berlin wurden auch
Westpreußen, Pommern und Ostbrandenburg von der
Fluchtwelle ergriffen. Vor und nach dem Kriegsende am
8. Mai 1945 kam es zu gewaltsamen Übergriffen gegen
Deutsche in den von der Roten Armee eroberten Gebieten, zu Vertreibungen und Deportationen in die Sowjetunion zum Arbeitseinsatz. Bei der Potsdamer Konferenz
der Siegermächte USA, Großbritannien und Sowjetunion über die Politik nach der Kapitulation Deutschlands erhielt Polen die Verwaltung über die Gebiete bis
zur Oder-Neiße-Linie, die Sowjetunion die Verwaltung
von Königsberg und Ostpreußen. Briten und Amerikaner stimmten einem „Bevölkerungstransfer“ von Deutschen aus Ost- und Südosteuropa zu. Damit verbunden
erzielte die Konferenz eine Übereinstimmung hinsichtlich der „Geregelten Überführung der deutschen Bevölkerung“ aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn,
die „in ordnungsgemäßer und humaner Weise“ erfolgen
sollte. (Art. XIII.)
Das, was die östlich der Oder-Neiße-Grenze lebenden
Deutschen erlebten, hatte damit jedoch wenig zu tun.
Bereits vor dem Potsdamer Abkommen hatte man in
Ostpreußen, Pommern und Schlesien versucht durch
sog. „wilde Vertreibungen“ vollendete Tatsachen zu
schaffen, zumal die von der Sowjetunion aus den von
ihr beanspruchten Gebieten umgesiedelten Polen
selbst dringend Wohnraum benötigten. Im schlimmsten
Fall drohte den Deutschen die Deportation in Arbeitslager. Eine frühere Eintragung in die nationalsozialistische
Volksliste konnten hier fatale Auswirkungen haben.
Dies bekamen auch ehemalige polnische Wehrmachtssoldaten bei ihrer Rückkehr zu spüren. Am
21. 11. 1945 schuf der Alliierte Kontrollrat angesichts
anhaltender Flüchtlingsströme einen Plan zur ordnungsgemäßen Umsiedlung. Nach Schätzungen hatten 4 bis
5 Millionen Deutsche Polen und die Tschechoslowakei
bereits verlassen, weitere 6,75 Millionen sollten im folgenden Jahr nach Deutschland umgesiedelt werden. Im
Januar 1946 begann die organisierte Ausweisung von
Deutschen aus der Tschechoslowakei, Polen und Südosteuropa.
Die Schriftstellerin Waldtraut Villaret beschreibt ihre Fluchterlebnisse:
Ich wurde in Riga geboren – bin also Baltin. Meine Kindheit und
Jugend habe ich dort verlebt. 1939 verlor ich meine Heimat, als
die Deutsch-Balten ins Deutsche Reich geholt wurden. Es waren
nicht nur die Deutsch-Balten, sondern sämtliche Auslandsdeutschen, die Hitlers Ruf „Heim ins Reich“ folgten.
Wir wurden im Wartheland, dem sogenannten Warthegau, angesiedelt. Das sah in der Praxis so aus, dass die Polen enteignet
wurden und die Umsiedler, die auch alles verloren hatten, sich in
die Häuser setzten. Es waren sehr viele Bauern darunter, die sich
in die noch warmen Betten der polnischen Vertriebenen legten.
Ich habe Vertreibung und Flucht erlebt; denn 1945 musste ich
diese neue Heimat, die nie eine war, verlassen. Man war ständig
von denn schlechten Gefühl gequält, unrechtmäßig da zu sein,
eine unrechtmäßige Wohnung zu haben, Arbeit und Lebensmittelkarten – nämlich alles das, was die Polen nicht hatten.
Als wir flüchten mussten, schien das für uns die Folge zu sein,
nicht irgendeine Katastrophe oder ein Schicksalsschlag. Das
eine ist aus dem anderen gekommen. Ich habe miterlebt, dass ein
europäisches Kulturvolk zu einem Sklavenvolk gemacht wurde.
[…]
Diese Diskriminierung, die sicher gedankenlos von vielen anständigen Menschen übernommen wurde, schaffte ein derartig
beklemmendes Klima, dass meine drei Wochen dauernde Flucht
im eisigen Winter fast wie eine Befreiung war. Am 20. Januar
1945 näherten sich die Russen Lodz. Es war höchste Zeit, alles
zusammenzupacken und sich davonzumachen, zumal in den letzten Nächten der Himmel rot war von Bränden, die die Polen
gelegt hatten.
Man nahm Pferdewagen, denn Autos gab es keine mehr. Sie
waren von den „Hoheitsträgern“ dazu benutzt worden, sich
frühzeitig aus dem Staub zu machen. Da ich die Feindsender
abhörte, hatte ich die Kinder schon vorher weggeschickt. Ich hatte nur das, was ich auf dem Körper trug und floh in einem offenen Mistwagen, der nur aus einigen Brettern bestand. Die ersten
vierundzwanzig Stunden hatten wir nichts zu essen. Es herrschte
Schneesturm. Hin und wieder gab es ein Massenquartier, wo
man sich wenigstens unter einem Dach hinlegen konnte. Man
rückte zusammen; einer drängte sich an den anderen, um nicht
zu erfrieren.
Man kam an Gutshäusern vorbei, wo die Leute auch schon
zusammenpackten und noch ihr weniges Essen mit uns teilten.
[...]
(Mühlfenzl, S. 28–29, s.a. Pädagogische Handreichung des
Volksbundes „Flucht und Vertreibung“)
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In den von der Wehrmacht geräumten Gebieten Polens gingen
die Behörden gegen deutsche Bewohner vor:
Dekret des Komitees der nationalen Befreiung über „Sicherungsmaßnahmen gegenüber Volksverrätern“ vom 4. November 1944:
Art. 1. Polnische Staatsangehörige, welche zur Zeit der deutschen
Besatzung auf dem Gebiet des sog. Generalgouvernements und
der Wojewodschaft Bialystok entweder ihre Zugehörigkeit zur
Deutschen Nationalität (deutsche Volkszugehörige) oder ihre deutsche Abstammung (Deutschstämmige) erklärt haben, [...] werden,
unabhängig von der strafrechtlichen Verantwortung, festgenommen, für unbegrenzte Zeit in einen Internierungsort (Lager) eingewiesen und der Zwangsarbeit unterworfen. [...]
Art. 3. Das Vermögen der in Art. 1 dieses Dekretes bezeichneten
Volksverräter und ihrer in häuslicher Gemeinschaft mit ihnen
leben den Familienangehörigen unterliegt der Konfiskation zugunsten der Staatskasse [...]
Dieser
Befehl des
sowjetischen
Ortskommandanten
aus der Stadt
Oels in
Schlesien
dokumentiert
die Deportation von
Deutschen in
Arbeitslager.
(Die Verschleppung, S. 182)
(Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder und Neiße, Bd. 3, S. 17–18)
Bericht eines Pfarrers aus Leobschütz in Oberschlesien:
Am 26. September 1945, frühmorgens gegen 5.00 Uhr, begann
die Razzia gegen die Deutschen. Die polnische Miliz drang in
die Häuser ein und jagte alle Deutschen auf die Straße. Die
wenigsten hatten noch Zeit und Gelegenheit, etwas von ihren
wenigen Habseligkeiten mitzunehmen. Man trieb alle auf dem
Ring zusammen und schaffte sie von dort teils in Lastautos, teils
zu Fuß in das Lager von Marschke und Zilger. Seit sechs Wochen
befand sich dort die Bevölkerung von Schlegenberg in diesem
Lager. Während der ganzen Nacht mussten die Männer ungeschützt im Regen stehen. Am folgenden Tage wurde die Belegschaft des Lagers vom Stadtkommandanten und der polnischen
Miliz in bezug auf die Arbeitsfähigkeit der Einzelnen ausgesondert: Frauen mit Kindern, junge Mädchen, Frauen ohne Kinder, arbeitsunfähige Männer. Die Parole hieß: Frauen mit Kindern, alte Leute kommen ins Reich, arbeitsfähige Männer, Frauen ohne Kinder und junge Mädchen bleiben hier zur Arbeit. Es
waren gegen 3 000 Menschen in dem Lager zusammengepfercht.
Millionen von Deutschen und Polen mussten zwischen
1939 und 1950 ihre Heimatgebiete verlassen.
(Becher, M 85 /Cornelsen)
44
Am 27. September 1945 gegen 5.00 Uhr nachmittags wurden die
zum Abtransport bestimmten Personen zur Bahn gebracht. [...]
Nachdem man 70 bis 80 Personen wie Vieh in einen Wagen
zusammengepfercht hatte, begann die Fahrt gegen 8.00 Uhr
abends. Die polnische Miliz war dem Transport als Bewachung
beigegeben. Niemand wusste, wohin die Fahrt geht. Am 28. September 1945 kam der Transport in Neiße O/S an und wurde vier
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Tage auf einem toten Gleis gelassen. Da keine Lebensmittel
mitgenommen waren, sich auch sonst niemand um die Verpflegung kümmerte, schrieen die Menschen vor Hunger nach Brot.
Aber keiner gab es ihnen. Soweit die Wagen von der polnischen
Miliz geöffnet wurden, konnten die hungernden Menschen heraus und sich Rüben und Kartoffeln auf den nächstliegenden Feldern suchen. Dabei wurden viele, besonders alte Frauen, von
der polnischen Miliz mit Gummiknüppeln geschlagen. Pater
Ludwig begrub in den Wällen der Festung Neiße die ersten sieben Toten. Sie waren buchstäblich verhungert.
gefallen. Oder: Eine geliebte Tante verlor ihren Mann und alle
ihre drei Söhne im Krieg. Sie hatte bei mir einen Glorienschein,
doch bei der „Aufrechnung“ mit dem von Deutschen verursachten Leid zogen wir immer den kürzeren. Es war ein Konflikt, der für mich als Kind und Jugendliche quälend und unlösbar war, über den ich nicht sprechen konnte, weil Leid und
Schuld und Scham zu verknotet und verworren in mir rumorten
und, wie ich es heute sehe, dieses Gefühlstabu auch von der
älteren Generation ausging. Statt zu fühlen und zu weinen galt
es „Contenance“ zu wahren. [...]
Weiter ging die Fahrt. In der Nacht drang die polnische Miliz in
die Wagen ein, nahm den Frauen die Handtaschen ab, durchwühlte sie, stahlen, was ihnen gefiel; den Männern wurde das
Geld abgenommen. Immer wieder wurde versucht, Frauen aus
den Wagen herauszuziehen, um sie zu vergewaltigen. Wenn der
Zug auf freier Strecke hielt und die Miliz die Wagentüren öffnete, stürzten sich die hungernden Menschen hinaus in die Felder,
um einige Rüben oder Kartoffeln für den Hunger zu finden. Auf
jeder Haltestelle wurden die Toten ausgeladen und an den
Bahndämmen, in Schanzlöchern oder auf dem freien Feld beerdigt. Kurz vor Görlitz wurden die Heimatvertriebenen von Russen und der polnischen Miliz noch einmal gründlichst ausgeplündert. In Löbau/Sachsen, der ersten deutschen Grenzstation,
wo der Transport am 10. Oktober 1945 anlangte, gab es von
deutscher Verwaltung die erste Verpflegung. Pro Kopf ein Viertel Brot mit Quark und eine Mehlsuppe. Von Löbau wurde der
Transport nach Zittau und von dort nach dem Lager Niederoderwitz weitergeleitet. Auf der 15-tägigen Fahrt starben 88
Menschen am Hungertod und durch Erschöpfung. Weitere 280
Personen starben an den Folgen der Ausweisung wenige Wochen
später in Zittau und Niederoderwitz.
(Astrid von Friesen: Der lange Abschied. Psychische Spätfolgen
für die 2. Generation deutscher Vertriebener. Gießen: Psychosozial Verlag 2000, S. 9-11, zit. n. Becher, Deutschland und
Polen, S. 168)
(Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten
östlich der Oder und Neiße, Bd. 2, S. 708–709)
Flucht und Vertreibung haben nicht nur die „Erlebnisgeneration“ traumatisiert, sondern auch deren Kinder nachhaltig
geprägt:
Für mich entstand schon als 12-Jährige, nachdem ich voller
Erschütterung „Das Tagebuch der Anne Frank“ gelesen hatte,
ein eigenes Gefühlsverbot: Ich durfte nicht um all das trauern,
was verloren war. Ich musste es innerlich als „Gerechtigkeit“
des Schicksals anerkennen, weil „wir“ Anne Frank und alle
anderen ermordet hatten. Und selbst die Tatsache, dass meine
Großtante – ohne Gerichtsverfahren verschleppt – in der
Gefangenschaft sieben Jahre im sibirischen Schnee Bäume fällen musste, nur mit Zeitungen um die Füße gewickelt, erfüllte
mich zwar mit Ehrfurcht vor ihrem Schicksal, aber nur im
Geheimen, denn das Bewusstsein sagte: Wir Deutschen haben
doch Russland überfallen, und was haben wir ihnen nicht Grausames angetan? Oder: Mein eigener Großvater war in Russland
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Befehl zur Umsiedlung der Deutschen aus
der Stadt Bad Salzbrunn in Schlesien.
(Anschläge, S. 130)
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Die neue Ostpolitik der Bundesrepublik
und der Warschauer Vertrag 1970
In den 50er Jahren stagnierten die politischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Polen, da die „Hallstein-Doktrin“ von 1956 diplomatische Beziehungen zu
Staaten unmöglich machte, die ihrerseits Beziehungen zur
DDR unterhielten. Dennoch gab es seit Beginn der 60er
Jahre eine Zunahme bei kulturellen und auch wirtschaftlichen Beziehungen; so wurde 1963 ein deutsch-polnischer Handelsvertrag unterzeichnet. Auch in der westdeutschen Öffentlichkeit wuchs das Verständnis für Polen.
Insbesondere die Verlautbarungen der beiden großen Kirchen trugen dazu bei. Im Oktober 1965 gab die Evangelische Kirche Deutschlands eine sogenannte Ostdenkschrift über „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis
des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“
heraus, in der um Verständnis für ein Polen in sicheren
Grenzen geworben wurde. Der Briefwechsel zwischen den
polnischen und deutschen katholischen Bischöfen Ende
1965, in dem die polnischen Bischöfe den Satz formulierten „Wir vergeben und bitten um Vergebung“ war ebenfalls Ausdruck des Versöhnungswillens. Allerdings zeichnete sich erst nach der Bildung einer SPD-FDP-Regierungskoalition eine nachhaltige Veränderung in der Ostpolitik ab, die Bundeskanzler Willy Brandt mit dem
Schlagwort „Wandel durch Annäherung“ umschrieb. Das
Ergebnis war der „Vertrag zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen“, der sog. Warschauer Vertrag vom 7. Dezember
1970, zu dessen Unterzeichnung Brandt in die polnische
Hauptstadt reiste. Bei seinem Besuch kam es zu seinem
spektakulären Kniefall vor dem Denkmal des Warschauer
Ghetto-Aufstandes. Nach einer erbitterten innenpolitischen Auseinandersetzung zwischen Regierung und
CDU/CSU-Opposition wurde der Vertrag im Mai 1972 ratifiziert.
Willy Brandt schreibt in seinen Erinnerungen über den Besuch
in Warschau:
[...] Es war eine ungewöhnliche Last, die ich auf meinen Weg nach
Warschau mitnahm. Nirgends hatte das Volk, hatten die Menschen
so gelitten wie in Polen. Die maschinelle Vernichtung der polnischen Judenheit stellte eine Steigerung der Mordlust dar, die niemand für möglich gehalten hatte. Wer nennt die Juden, auch aus
anderen Teilen Europas, die allein in Auschwitz vernichtet worden
sind? Auf dem Weg nach Warschau lag die Erinnerung an sechs
Millionen Todesopfer. Lag die Erinnerung an den Todeskampf des
Warschauer Ghettos, den ich von meiner Stockholmer Warte ver-
46
Willy Brandt kniet vor dem Denkmal für die Opfer
des Warschauer Ghetto-Aufstandes.
folgt hatte und von dem die gegen Hitler kriegführenden Regierungen kaum mehr Notiz nahmen als vom heroischen Aufstand der
polnischen Hauptstadt einige Monate danach.
Das Warschauer Programm sah am Morgen nach meiner Ankunft
zwei Kranzniederlegungen vor, zunächst am Grabmal des Unbekannten Soldaten. Dort gedachte ich der Opfer von Gewalt und
Verrat. Auf die Bildschirme und in die Zeitungen der Welt gelangte das Bild, das mich kniend zeigte – vor jenem Denkmal, das dem
jüdischen Stadtteil und seinen Toten gewidmet ist. Immer wieder
bin ich gefragt worden, was es mit dieser Geste auf sich gehabt
habe. Ob sie etwa geplant gewesen sei? Nein, das war sie nicht.
Meine engen Mitarbeiter waren nicht weniger überrascht als jene
Reporter und Fotografen, die neben mir standen, und als jene, die
der Szene ferngeblieben waren, weil sie „Neues“ nicht erwarteten.
Ich hatte nichts geplant, aber Schloss Wilanow, wo ich untergebracht war, in dem Gefühl verlassen, die Besonderheit des Gedenkens am Ghetto-Monument zum Ausdruck bringen zu müssen. Am
Abgrund der deutschen Geschichte und unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt.
Ich weiß es auch nach zwanzig Jahren nicht besser als jener
Berichterstatter, der festhielt: „Dann kniet er, der das nicht nötig
hat; für alle, die es nötig haben, aber nicht knien – weil sie es nicht
wagen oder nicht können oder nicht wagen können.“
(Brandt, Erinnerungen, S. 214)
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Warschauer Vertrag
Die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik Polen in
der Erwägung, dass mehr als 25 Jahre seit Ende des Zweiten
Weltkrieges vergangen sind, dessen erstes Opfer Polen wurde
und der über die Völker Europas schweres Leid gebracht hat,
eingedenk dessen, dass in beiden Ländern inzwischen eine neue
Generation herangewachsen ist, der eine friedliche Zukunft
gesichert werden soll, in dem Wunsche, dauerhafte Grundlagen
für ein friedliches Zusammenleben und die Entwicklung normaler und guter Beziehungen zwischen ihnen zu schaffen, in dem
Bestreben, den Frieden und die Sicherheit in Europa zu festigen,
in dem Bewusstsein, dass die Unverletzlichkeit der Grenzen und
die Achtung der territorialen Integrität und der Souveränität
aller Staaten in Europa in ihren gegenwärtigen Grenzen eine
grundlegende Bedingung für den Frieden sind, sind wie folgt
übereingekommen:
Artikel I.
(1) Die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik
Polen stellen übereinstimmend fest, dass die bestehende Grenzlinie, deren Verlauf im Kapitel IX der Beschlüsse der Potsdamer
Konferenz vom 2. August 1945 von der Ostsee unmittelbar westlich von Swinemünde und von dort die Oder entlang bis zur Einmündung der Lausitzer Neiße und die Lausitzer Neiße entlang
bis zur Grenze mit der Tschechoslowakei festgelegt worden ist,
die westliche Staatsgrenze der Volksrepublik Polen bildet.
(2) Sie bekräftigen die Unverletzlichkeit ihrer bestehenden Grenzen jetzt und in der Zukunft und verpflichten sich gegenseitig zur
uneingeschränkten Achtung ihrer territorialen Integrität.
Die Karikatur von Paul Leger aus der Zeit um 1970 stellt
links den polnischen Außenminister Stefan Jendrychoski
dar und rechts Bundesaußenminister Walter Scheel.
(3) Sie erklären, dass sie gegeneinander keinerlei Gebietsansprüche haben und solche auch in Zukunft nicht erheben
werden.
Artikel II.
(1) Die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik
Polen werden sich in ihren gegenseitigen Beziehungen sowie in
Fragen der Gewährleistung der Sicherheit in Europa und in der
Welt von den Zielen und Grundsätzen, die in der Charta der
Vereinten Nationen niedergelegt sind, leiten lassen.
(2) Demgemäß werden sie entsprechend den Artikeln 1 und 2
der Charta der Vereinten Nationen alle ihre Streitfragen ausschließlich mit friedlichen Mitteln lösen und sich in Fragen, die
die europäische und internationale Sicherheit berühren, sowie
in ihren gegenseitigen Beziehungen der Drohung mit Gewalt
oder der Anwendung von Gewalt enthalten.
Artikel III.
(1) Die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik
Polen werden weitere Schritte zur vollen Normalisierung und
umfassenden Entwicklung ihrer gegenseitigen Beziehungen
unternehmen, deren feste Grundlage dieser Vertrag bildet. [...]
(Quellen zu den deutsch-polnischen Beziehungen, S. 199–200)
Eine DDR-Karikatur zu Willy Brandts Ostpolitik, die seinen
Friedenswillen in Frage stellt.
(Anschläge, S. 160)
(Becher, S. 358)
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Deutsch-deutsche Reaktionen auf
die Demokratiebewegung der 80er Jahre in Polen
Obwohl es sich nach der offiziellen Ideologie um „sozialistische Bruderstaaten“ handelte, die Mitglieder des
Warschauer Paktes waren, gestaltete sich das Verhältnis zwischen Polen und der DDR nicht unbedingt
spannungsfrei. Zwar erkannte die DDR im Görlitzer
Vertrag von 1955 die Oder-Neiße-Linie an, aber dies
wurde inoffiziell nicht von allen SED-Kadern begrüßt.
Seit den Unruhen des Jahres 1956 und der Entstalinisierung Polens betrachtete man die polnischen Kommunisten als Unsicherheitsfaktor. Erst nachdem 1972
der visafreie Reiseverkehr zwischen Polen und der
DDR begonnen hatte, kam es zu einer stärkeren Annäherung: Polen wurde zunehmend als Reiseland für
DDR-Bürger interessant, während Polen die besseren
Einkaufsmöglichkeiten in der DDR nützten, was allerdings nicht ohne Reibereien blieb. So kursierte folgender Polenwitz in der DDR: „Um 12 Uhr wird nun in den
Kaufhäusern die polnische Nationalhymne gespielt,
die Masse der Polen steht dann stramm, und wir können unsere Einkäufe erledigen“ (Tomala, S. 515). Die
SED-Führung beurteilte die innenpolitischen Entwicklungen und die Demokratiebewegung in Polen ab 1980
äußerst kritisch. Um ein mögliches Übergreifen des
„polnischen Bazillus“ der Protestbewegung auf die
DDR zu verhindern, wurde der freie Reiseverkehr
abgeschafft. Überdies sondierte die DDR-Führung in
Moskau wegen eines Eingreifens in Polen ähnlich wie
1968 in der CSSR.
Ein heutiger polnischer Historiker beschreibt das Verhältnis zur
DDR in den 70er und 80er Jahren wie folgt:
Die anfänglich unbegrenzte Möglichkeit von Reisen in das
Nachbarland wurde in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre
deutlich eingeschränkt. Auf beiden Seiten der Grenze verschärften sich, obwohl in unterschiedlichem Ausmaß, die
wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die für die sozialistische
Wirtschaft charakteris-tisch waren. In den Geschäften in der
DDR mangelte es bereits an manchen Waren; und die Schuld
dafür gab man den Besuchern aus Polen. Zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten kamen in den letzten Jahren auch
politische hinzu. Streiks an der Küste und die Entstehung der
Unabhängigen Gewerkschaft „Solidarność“ riefen große
Besorgnis bei den DDR-Machthabern hervor. Ähnlich wie im
Jahre 1956 befürchteten sie, dass die oppositionelle Stimmung aus Polen auf ihr Land überschwappen könnte. Man
begann, der polnischen Regierung Unfähigkeit vorzuhalten.
In den DDR-Zeitungen wurden zahlreiche Artikel publiziert,
die den Polen Unwirtschaftlichkeit, Arbeitsunwillen, die Aufgabe sozialistischer Ideen usw. vorwarfen. Das war der
Anfang einer bewussten Desinformation der DDR-Bevölke-
48
rung über die Situation an der Weichsel. Die DDR-Behörden
beließen es aber nicht bei einer Schließung der Grenze (Ende
Oktober 1980) und dem Abzug aller Studenten aus Polen. Sie
verlangten von der UdSSR eine sofortige Intervention der
Armeen des Warschauer Paktes, mit dem Ziel, in Polen wieder „Ordnung“ zu schaffen. Die SED sparte auch nicht an
Belehrungen der polnischen „Bruderpartei“. Es wurde die
Existenz privater Bauernhöfe kritisiert, Giereks falsche Lohnund Preispolitik. Man tadelte die zu tolerante Einstellung der
Behörden gegenüber den Aktivitäten der „Solidarność“. Die
Haltung der DDR, voller Unwillen und Überlegenheitsgefühl,
führte zu einer erheblichen Abkühlung der Kontakte mit
Warschau. Die Einführung des Kriegszustands im Dezember
1980 in Polen wurde in Ostberlin mit Zufriedenheit aufgenommen. Andererseits inspirierte die Entstehung und die
Tätigkeit der unabhängigen Gewerkschaft „Solidarność“ manche Oppositionskreise in der DDR, und die Einführung des
Kriegszustands wurde auch von den dortigen Dissidenten
kritisiert. Es kam auch zu Solidaritätsbekundungen mit dem
gedemütigten Polen, die für die Demonstranten mit Gefängnisstrafen oder einer Abschiebung in die Bundesrepublik
endeten. Doch die Kontakte zwischen der polnischen und
der DDR-Opposition waren aufgrund der Abdichtung der
Grenze nur sporadisch, sie belebten sich erst in der zweiten
Hälfte der achtziger Jahre wieder.
(Ruchniewicz, S. 204–205)
Der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker äußerte sich bei
einem Moskau-Besuch gegenüber der Sowjetführung am
5. Dezember 1980 zur Situation in Polen:
[...] Liebe Genossen! Die Lage in der VR Polen hat sich, und
davon müssen wir ausgehen, leider so entwickelt, dass neben
den politischen auch administrative Maßnahmen erforderlich
sein werden, um die konterrevolutionäre Verschwörung zu zerschlagen und die Volksmacht zu stabilisieren. [...] Wenn die
Arbeiter-und-Bauern-Macht, die Volksmacht, auf dem Spiele
steht, wenn sie vor konterrevolutionären Kräften geschützt werden muss, die entschlossen sind, aufs Ganze zu gehen, dann
bleibt keine andere Wahl als der Einsatz der Machtorgane des
Arbeiter-und-Bauern-Staates. Das sind unsere Erfahrungen aus
dem Jahre 1953. Das zeigen die Ereignisse von 1956 in Ungarn,
über die Genosse Kadár sprach, und von 1968 in der CSSR.
Die Vertreter der verschiedensten Gruppierungen, die jetzt in
Volkspolen wie Pilze aus der Erde schießen, erklären zur Tarnung ihrer wahren Absichten, dass das, was sie erstreben, der
„demokratischen Erneuerung des Sozialismus“ in Volkspolen
diene. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Die NATO und die EG
erklären ganz offen, dass dies schon eine Angelegenheit sei, die
unter ihrem Schutz stehe. [...]
Wir sind der Meinung, dass in der PVAP genügend gesunde
Kräfte vorhanden sind, um auf der Grundlage des Aufrufs des
Zentralkomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, ent-
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sprechend ihren Direktiven und einem klaren Konzept die dringenden Aufgaben der Gegenwart zu lösen. Wie wir wissen, stehen der PVAP in den Sicherheitsorganen zuverlässige Kräfte
zur Verfügung, und wir sind überzeugt, dass auch die Armee ihre
patriotische und zugleich internationalistische Pflicht erfüllen
wird. So haben wir die Erklärung des Militärrates des Ministeriums für Nationale Verteidigung der VR Polen, die nach dem
7. Plenum des ZK der PVAP veröffentlicht wurde, verstanden.
Hinzu kommt die Möglichkeit, die gesunden Kräfte, über die
auch hier Genosse Kania sprach, in der Partei, in der Arbeiterklasse zu bewaffnen. Wir sind mit Genossen Kania einverstanden, dass es in der jetzigen Lage keinen Schritt zurück mehr
geben darf. Nur im Kampf gegen die Konterrevolution, im entschiedenen Vorgehen gegen deren Kräfte, kann die Partei ihre
Mitglieder und Funktionäre, alle klassenbewussten Arbeiter
zusammenschließen und zum Erfolg führen.
Wir in der Deutschen Demokratischen Republik befinden uns an
der Trennlinie zur Bundesrepublik Deutschland und zur NATO.
Täglich bekommen wir zu spüren, wie der imperialistische Gegner versucht, die konterrevolutionären Aktivitäten in Volkspolen
auch auf unser Land zu übertragen. Die Fernsehsender der
BRD, die in unserer Republik zu empfangen sind, haben noch
nie soviel über Volkspolen berichtet, noch nie soviel Interesse
für das gezeigt, was sich in den polnischen Betrieben tut. Sie
verbinden das seit nunmehr fünf Monaten mit dem Aufruf in der
Deutschen Demokratischen Republik, das gleiche zu tun. [...]
Sie stellen die Entwicklung in der VR Polen als Beispiel für
„demokratische Reformen“ und „notwendige Veränderungen“
in allen sozialistischen Ländern hin. Deshalb mussten wir unserer Partei klar sagen, wie wir zur Entwicklung im sozialistischen Nachbarland stehen. Ich habe in einer Rede vor dem
Parteiaktiv in Gera erklärt, dass der Konterrevolution westlich
von Elbe und Werra eine unüberwindliche Grenze gesetzt ist.
Das hat man nicht nur bei uns gut verstanden. Unsere Partei
verfügt über eine klassenmäßige Einschätzung der Ereignisse in
Polen.
(Quellen zu den deutsch-polnischen Beziehungen, S. 211–212)
Besorgt über die Entwicklungen in Polen veröffentlichte der
deutsche Bundestag am 18. Dezember 1981 folgende Entschließung:
1. Der Deutsche Bundestag verfolgt mit wachsender Besorgnis
die Entwicklung in und um Polen, und er bekundet in diesem
schicksalhaften Augenblick seine Solidarität mit dem leidgeprüften polnischen Volk und seinem Ringen um Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.
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2. Er appelliert an die polnische Militärregierung, ihre Glaubwürdigkeit zu beweisen durch Freilassung aller Inhaftierten,
durch Wiederherstellung der durch den Reform- und Erneuerungskurs erreichten Freiheiten, durch Wiederaufnahme des
Dialogs mit den reformwilligen und patriotischen Kräften des
polnischen Volkes.
3. Die seit August 1980 wirksame polnische Reform- und Erneuerungsbewegung für Menschenwürde, Arbeiterrechte und
nationale Selbstbestimmung wird derzeit niedergeschlagen.
Der seit dem 13. Dezember 1981 gewaltsam abgebrochene
Dialog der polnischen Patrioten, der sich auf die Internationalen Menschenrechtspakte und auf die Schlussakte von Helsinki berufen konnte, muss wieder aufgenommen werden; er
darf nicht scheitern.
4. Entgegen dem grundsätzlichen Bekenntnis General Jaruzelskis zum polnischen Reformkurs werden derzeit in Wirklichkeit
die Führer der jungen Arbeiter-und-Bauern-Gewerkschaften,
der Wissenschaftler und Studenten zu Tausenden verhaftet.
Der freie Ausdruck des Volkswillens wird unterdrückt, Gewalt
wird angewendet.
5. Der Deutsche Bundestag erinnert an die strikte völkerrechtliche Verpflichtung aller Staaten, insbesondere der Unterzeichner der KSZE-Schlussakte, zur Nichteinmischung und
zur Achtung der Souveränität aller Staaten im Interesse von
Sicherheit, Zusammenarbeit und Frieden in Europa. Er verfolgt deshalb mit ebenso großer Besorgnis das anwachsende
propagandistische Kesseltreiben gegen den polnischen
Reformkurs und die offenen oder versteckten Gewaltandrohungen gegen die polnische Unabhängigkeit von außen.
6. Der Deutsche Bundestag appelliert an alle Bürger unseres
Landes, an die Gewerkschaften und Parteien, an die Kirchen,
an die karitativen und humanitären Organisationen, an die
Jugend, gerade jetzt dem notleidenden polnischen Volk jene
mitmenschliche und moralische Solidarität zu bekunden und
jene materielle Hilfe gegen Hunger, Not und Kälte zu leisten,
die dieses Nachbarvolk heute so dringend braucht und verdient.
7. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
staatliche Wirtschaftshilfe an die Volksrepublik Polen so lange offen zu lassen und auch im Rahmen der Europäischen
Gemeinschaft darauf hinzuwirken, wie die Unterdrückungsmaßnahmen des derzeitigen Regimes gegen das polnische
Volk anhalten.
(Quellen zu den deutsch-polnischen Beziehungen, S. 212–213)
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Deutsch-polnische Beziehungen von 1989 bis zur Gegenwart
Mit dem Sieg der Demokratiebewegung in Polen, dem
Zusammenbruch des Sozialismus in den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten und der deutschen Wiedervereinigung wurden
die deutsch-polnischen Beziehungen auf eine neue Basis
gestellt. Allerdings zeigt sich bis in die jüngste Zeit, dass Misstrauen und traditionelle Stereotype selbst im Zeichen eines
geeinten Europa nicht so leicht zu überwinden sind.
So äußerte Staatspräsident Lech Wałęsa im Sejm am 8. Mai
1995 anlässlich des 50-jährigen Endes des 2. Weltkrieges:
Die Geschichte hat uns gelehrt, dass das Gedächtnis der Großen dieser Welt kurz ist, dass Gleichgültigkeit und Rücksichtnahme auf eigene Interessen die Oberhand haben. Der Westen
vergisst heute leicht, wie groß Polens Beitrag zum bewaffneten
Kampf des Zweiten Weltkrieges war. Schließlich haben wir an
allen seinen Fronten gekämpft, vom ersten bis zum letzten Tag.
Wir haben einen enorm hohen Blutzoll gezahlt. Wir haben uns
eindeutig für die Seite der Freiheit und Demokratie, gegen
Knechtung und Totalitarismus ausgesprochen. Wir haben nicht
nur für uns selbst gekämpft, sondern für ganz Europa. Das war
der tiefste Sinn des bewaffneten Widerstands der Polen in jenem
Krieg.
In Vergessenheit geraten sind auch die Verdienste unseres Landes um den Sturz des Kommunismus auf unserem Kontinent. Der
Wandel, den wir in den achtziger Jahren in Europa eingeleitet
haben, kann nicht allein in der Vereinigung Deutschlands bestehen. Sein Ziel sollte die Vereinigung des ganzen Kontinents sein.
Wir wollten ein neues, besseres Europa aufbauen. Ein Europa
freier, souveräner und demokratischer Nationen. Sind wir in den
letzten fünf Jahren diesem Ziel näher gekommen? Ich habe da
ernstliche Zweifel. Europa ist nach wie vor in Bessere und
Schlechtere, in Arme und Reiche, in mehr oder weniger Privilegierte geteilt. Weiterhin werden für große, imperiale Interessen
die Angelegenheiten der kleinen Staaten und Nationen geopfert,
die man als Subjekte in der internationalen Arena gering achtet.
(Dialog Nr. 1, 1995, S. 13, zit. n. Becker, S. 294)
Der gegenwärtige Stand der Beziehungen
Die deutsch-polnischen Beziehungen haben trotz gelegentlicher
Meinungsunterschiede eine beeindruckende politische und wirtschaftliche Dynamik entwickelt. Dies zeigt sich deutlich an der
Intensität der hochrangigen Besuchskontakte.
Wirtschaftliche Beziehungen
Die deutsch-polnischen Wirtschaftsbeziehungen sind dicht und
vielfältig. Als größter Markt unter den EU-Beitrittsländern und
als zweitgrößter Nachbar Deutschlands nimmt Polen eine
Schlüsselposition in Mittel- und Osteuropa ein. Deutschland ist
der mit Abstand wichtigste Handelspartner Polens, mit dem
rund ein Drittel des gesamten polnischen Außenhandels abgewickelt wird. Umgekehrt gehört Polen zusammen mit der Tschechischen Republik zu den wichtigsten Handelspart-nern
Deutschlands in Mittel- und Osteuropa. [...]
Kulturaustausch
Der kulturelle Austausch mit Polen hat in der Auswärtigen Kulturpolitik Deutschlands einen hohen Stellenwert. Auf vielen
Gebieten der bilateralen kulturellen Zusammenarbeit haben
sich die Kontakte weiter verstärkt. Ein deutsch-polnisches Kulturabkommen besteht seit 1997. Alle großen deutschen Mittlerinstitutionen sind in Polen aktiv. Mit Außenstellen vertreten
sind das Goethe-Institut (Warschau, Krakau); der Deutsche
Akademische Auslandsdienst (DAAD, Warschau), die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (Warschau und Oppeln), das
Deutsche Historische Institut (Warschau) und der Deutsche
Volkshochschul-Verband (Warschau). Die Arbeit des DeutschPolnischen Jugendwerks gestaltet sich positiv, die Zahl der Projektanträge übersteigt die Zahl der zur Verfügung stehenden
Mittel bei weitem. [...]
Die deutsche Minderheit
Die deutsche Minderheit in Polen umfasst ca. 300 000 Personen, die meist die deutsche und polnische Staatsangehörigkeit
haben. Die Angehörigen der deutsche Minderheit leben zu 90%
in Schlesien (v.a. Woiwodschaft Oppeln). Darüber hinaus gibt es
Gruppen in den Woiwodschaften Ermland-Masuren (vor allem
um Allenstein), Pommern (insbes. Danzig), Kujawien, Westpommern, Niederschlesien, Großpolen und Lodsch. Die Minderheitenrechte sind in der polnischen Verfassung und durch die Minderheitenkonvention des Europarates garantiert.
Die verschiedenen Organisationen der Minderheit haben
zusammen 250 000–300 000 Mitglieder und gehören überwiegend einem gemeinsamen Dachverband mit Sitz in Oppeln an.
[...] Im Sejm ist die deutsche Minderheit mit zwei Abgeordneten
vertreten. [...]
(http://www.auswaertigesamt.de)
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Rede von Bundeskanzler Schröder zum 60. Jahrestag
des Warschauer Aufstandes
Am 1. August 2004, dem 60. Jahrestag des Warschauer Aufstandes, besuchte Bundeskanzler Schröder die polnische
Hauptstadt, wo er eine vielbeachtete und -diskutierte Rede hielt:
[...] Es ist nicht leicht, nach diesen Bildern zu reden. Wir verneigen uns heute vor dem Opfermut und dem Stolz der Männer
und Frauen der polnischen Heimatarmee. 63 Tage lang haben
die Bürgerinnen und Bürger von Warschau den deutschen
Besatzern heroisch und todesmutig Widerstand geleistet. Sie
kämpften für die Freiheit und für die Würde Polens. Ihr Patriotismus steht als ein leuchtendes Beispiel in der großen
Geschichte der polnischen Nation.
Wir beugen uns heute in Scham angesichts der Verbrechen der
Nazi-Truppen. Sie haben 1939 Polen überfallen. Sie legten nach
dem Aufstand 1944 das alte Warschau in Schutt und Asche.
Unzählige polnische Frauen und Männer und ihre Kinder wurden ermordet oder in Lager und Zwangsarbeit verschleppt. An
diesem Ort des polnischen Stolzes und der deutschen Schande
hoffen wir auf Versöhnung und Frieden.
Wir Deutschen wissen sehr wohl, wer den Krieg angefangen hat
und wer seine ersten Opfer waren. Deshalb darf es heute keinen
Raum mehr für Restitutionsansprüche aus Deutschland geben,
die die Geschichte auf den Kopf stellen. Die mit dem Zweiten
Weltkrieg zusammenhängenden Vermögensfragen sind für beide
Regierungen kein Thema mehr in den deutsch-polnischen Beziehungen. Weder die Bundesregierung noch andere ernst zu nehmende politische Kräfte in Deutschland unterstützen individuelle Forderungen, soweit sie dennoch geltend gemacht werden.
Diese Position wird die Bundesregierung auch vor allen internationalen Gerichten vertreten.
Die Bundesregierung wendet sich auch gegen Pläne, in Berlin
ein nationales „Zentrum gegen Vertreibung“ zu errichten. Wir
unterstützen die Bemühungen für ein europäisches Netzwerk,
wie der polnische Staatspräsident und der deutsche Bundespräsident es vorgeschlagen haben.
Meine Damen und Herren, häufig ist – nicht nur in Polen und
nicht nur von Polen – gesagt worden: Solange Polen nicht frei
ist, kann auch Europa nicht frei sein. Dieser Satz war richtig,
Dass ich heute als Bundeskanzler eines anderen, freien und
demokratischen Deutschlands dieser Hoffnung hier Ausdruck
geben darf, ist all den Menschen zu danken, die sich wie die Aufständischen von Warschau der Nazi-Barbarei widersetzt haben.
Und doch ist dieses Gedenken an sie viele Jahrzehnte lang von
einer auswärtigen Macht unterdrückt wurden. In den Herzen
aller Polen waren die Helden der Freiheit aber nie vergessen. In
Deutschland fanden wir auf der Suche nach Verstehen, Vergebung und Versöhnung lange nicht die Kraft dazu. So wurden die
Warschauer Aufständischen, die schon 1944 ohne Hilfe blieben,
auch im Erinnern lange Zeit im Stich gelassen. Erst durch die
polnische Selbstbefreiung 1989 konnte ein Denkmal zur Erinnerung an die Aufständischen, an ihren Mut und ihre Opferbereitschaft am Rande der Warschauer Altstadt errichtet werden.
Meine Damen und Herren, niemand kann Geschichte ungeschehen machen. Doch gerade heute in einem freien Europa, dem
Polen und Deutschland als gleichberechtigte Partner angehören, darf Geschichte nicht um- oder fehlgedeutet werden. Solchen Versuchen gilt es auch weiterhin entschieden entgegen zu
treten.
Während des Zweiten Weltkrieges verloren über sechs Millionen
polnische Staatsbürger ihr Leben. Millionen Menschen verschiedener Nationalitäten – darunter auch mehr als zwei Millionen Polen – wurden während und nach dem Zweiten Weltkrieg
aus ihrer Heimat vertrieben. Die Erinnerung an ihr schweres
Leid darf uns nicht aufs Neue trennen, sondern soll uns verbinden. Um unsere gemeinsame Zukunft zu sichern, bedarf es eines
guten Gedächtnisses. Nie wieder dürfen wir es zu solch schlimmen Unrecht kommen lassen. Dieser Auftrag eint die Völker
Europas.
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US-Außenminister Powell, Bundeskanzler Schröder,
Polens Präsident Kwasniewski in Warschau: Gedenken an
den größten Aufstand gegen Nazi-Deutschland.
und dieser Satz ist richtig. Durch den Kalten Krieg wurde Europa in seiner Mitte zerrissen. Nun wächst es in seiner gemeinsamen Mitte wieder zusammen. Niemand kann bestreiten, dass die
Arbeiterbewegung Solidarność die ersten Pfeiler jener Brücke
gebaut hat, über die für ganz Europa der Weg in eine bessere
Zukunft führt. Mit dem Beitritt Polens zur NATO und zur Europäischen Union hat sich das Vermächtnis der Warschauer Aufständischen erfüllt: ein freies, unabhängiges Polen, das in
Bündnissen von Gleichen seine Sicherheit und seine Souveränität findet. Damit vollendet Polen das freie Europa.
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Erstmals seit vielen Jahrhunderten ist Polens Sicherheit nicht
mehr bedroht. Im Gegenteil: Sie ist stärker und gefestigter als je
zuvor. Denn uns verbindet weit mehr als ein gemeinsamer Markt
mit offenen Grenzen. Uns verbinden gemeinsame Werte und eine
gemeinsame Verfassung. Uns verbindet die Pflicht zum Beistand
in Europa und in der transatlantischen Allianz.
Dieses Werk hätten wir nicht vollbringen können ohne die polnisch-deutsche Aussöhnung. Es ist eine Ehre, an dieser Stelle an
Willy Brandt und an jene Polen und Deutschen zu erinnern, die
sich für diese Aussöhnung gerade in der schwierigen Zeit der
Block-Konfrontation eingesetzt haben. Sie ist für uns Deutsche
und für ganz Europa von ausschlaggebender Bedeutung, so wie
die Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich auch.
Angesichts unserer gemeinsamen Geschichte, in der gerade
Deutsche über Polen unendliches Leid gebracht haben, wirkt
diese Versöhnung noch heute wie ein Wunder. Sie konnte und
kann deshalb auch nicht Sache der Politik allein sein. Viele
Menschen in unseren beiden Gesellschaften haben ein dichtes
Netz von Beziehungen geknüpft, das uns heute verbindet. Künstler und Wissenschaftler tragen dazu ebenso bei wie die Kirchen
und vor allem junge Menschen.
Die Stiftung Kreisau, das Kollegium Polonicum, die ViadrinaUniversität und andere Institutionen vertiefen unser Wissen voneinander und stiften Vertrauen. Solche Beispiele des Zusammentreffens junger Menschen aus Polen und Deutschland brauchen
wir. Deutschland ist deshalb gerne bereit, zum Beispiel die
Viadrina noch viel stärker als bisher zu einem Modell für die
wissenschaftliche Zusammenarbeit unserer beiden Länder zu
machen.
Wir setzen auf die junge Generation. Ihr gehört die Zukunft. Sie
zu sichern, ist unsere gemeinsame Aufgabe.
Es ist die Zukunft freier Nationen im geeinten Europa – einem
Europa, das auf der Vielfalt und Kreativität unserer nationalen
Kulturen und Traditionen gründet. Endlich haben wir die Möglichkeit – aber auch die Verantwortung –, diese Zukunft gemeinsam zu gestalten.
Meine Damen und Herren, wir sind heute nicht nur gute Nachbarn und Partner. Wir sind Freunde im geeinten Europa, das auf
unsere enge Zusammenarbeit angewiesen ist. Unsere gemeinsamen Interessen verpflichten uns zu noch intensiverer
Zusammenarbeit, und zwar nicht nur, um unseren wirtschaftlichen Austausch zu beflügeln, sondern wir wollen uns gemeinsam dem Aufbau einer europäischen Außen- und Sicherheitspolitik widmen. Dabei kommt Polen eine entscheidende Rolle zu.
Wir können miteinander Anstöße für eine gemeinsame Politik in
der erweiterten Europäischen Union entwickeln – auch und
gerade gegenüber unseren Nachbarn. Wir dürfen nicht nachlassen, den kulturellen Austausch und die vielfältigen Bindungen
zwischen unseren Zivilgesellschaften – vor allem unter der
Jugend – weiter zu fördern.
Polen und Deutschland sind heute aufgerufen, ihre Partnerschaft zu einem Zukunftspakt auszubauen: zum Wohle der Menschen in unseren beiden Ländern, zum Nutzen des freien, geeinten Europas und in der Verantwortung für alle Menschen dieser
Erde, die um ein Leben in Freiheit und Würde ringen.
Bessere Ehre können wir den Helden und Opfern des Warschauer Aufstandes nicht erweisen.
(http://www.bundesregierung.de/rede-,413.691262/Rede-vonBundeskanzler Schröder zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstandes)
Verbeugung vor der „Friedensglocke“: Gerhard Schröder
in Warschau zum 60. Jahrestag des Aufstandes.
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Die Friedens- und Versöhnungsarbeit
des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Polen
Polen ist ein Land der toten Soldaten. Hunderttausende
Gefallene gibt es innerhalb seiner Grenzen: Deutsche,
Russen, Polen, Angehörige der alten k.u.k. Armee und
solche der Roten Armee. Wie viele es genau sind, wird
wohl niemand mehr feststellen können.
Etwa 868 000 deutsche Soldaten starben in beiden Weltkriegen auf dem Gebiet des heutigen Polen. Im Ersten
Weltkrieg starben rund 400 000 Soldaten. Die deutschen
Verluste im Zweiten Weltkrieg werden auf 468 000 Kriegstote geschätzt. Die registrierten Kriegstoten ruhen in rund
19 000 Orten.
Seit 1991 hat der Volksbund dreizehn zentrale Friedhöfe
für die deutschen Gefallenen des Zweiten Weltkrieges
errichtet. Die rund 1 000 Friedhöfe des Ersten Weltkrieges stehen unter Denkmalschutz und werden von den
zuständigen polnischen Behörden gepflegt.
In Nadolice (dem früheren Groß Nädlitz bzw. Nädlingen)
bei Breslau wurde 1999 ein Soldatenfriedhof mit einem
Friedenspark angelegt. Alle Bäume des Friedensparks
haben innerhalb kürzester Zeit einen Paten gefunden.
Die gemeinsame Erklärung des deutschen Bundeskanzlers und
des polnischen Ministerpräsidenten vom 14.11.1989 bildet die
Grundlage für eine hervorragende Zusammenarbeit. In der
deutsch-polnischen Arbeitsgruppe aus Mitarbeitern des Polnischen Roten Kreuzes, Vertretern des polnischen Kulturministeriums und des Volksbundes werden Arbeiten und Planungen
koordiniert. Der Volksbund wird durch die Stiftung „Pamiec“
(„Gedenken“) wirksam unterstützt.
Kriegsgräberstätten in Polen.
(Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, wie auch alle
folgenden Texte)
Volksbund Deutsche
Kriegsgräberfürsorge e.V.
Ab 1991 ist der „Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit“ rechtliche Basis der Arbeit des
Volksbundes.
Am 8. Dezember 2003 unterzeichneten der polnische Kulturminister Waldemar Dabrowski und der deutsche Botschafter
Reinhard Schweppe das deutsch-polnische Kriegsgräberabkommen. Damit hat die Arbeit des Volksbundes eine völkerrechtlich
gesicherte Grundlage erhalten.
Deutsche Kriegsgräberstätten in Polen
Sammel- und Zubettungsfriedhöfe (Einweihungsdatum in
Klammern, Belegungszahlen Stand 2003)
Bartosze (Bartossen) (9.8.2003)
Blechnarka 1. WK
Bobry (Bobern) 1. WK
Gadka Stara (Gräberberg) 1. WK
Gdansk (Danzig) (20.8.2000)
1870/71
1. WK
2. WK
Joachimow-Mogily (5.10.1991)
Krakow (Krakau) (16.10.1993)
Lambinowice (Lamsdorf)
Preuss. Krieg
1. WK
Mlawka (5.10.1996)
Modlin (11.10.1997)
Nadolice Wielkie (Groß Nädlitz)
(Friedenspark eröffnet am 8.11.1998;
Friedhof eingeweiht am 5.10.2002)
Orlowo (Orlau) 1. WK
Poznan (Posen) (22.10.1994)
Przemysl
1. WK (18.9.1992)
2. WK (7.10.1995)
Pulawy (7.10.2000)
Siemianovice (Laurahütte)
(10.10.1998)
Stare Czarnowo (Neumarkt)
(geplant für 2005)
Staszkowka 1. WK
Strzegom (Striegau) 1. WK
Waplewo (Waplitz) 1. WK
Warszawa (Warschau-Nord)
(6.10.1991)
Wegorzewo (Angerburg) 1. WK
Wroclaw (Breslau) 1. WK
15 600 Tote
349 Tote
165 Tote
ca. 2 000 Tote
40 Tote
ca. 1 000 Tote
720 Tote
2 566 Tote
4 021 Tote
6 Tote
7 013 Tote
11 433 Tote
2 582 Tote
12 321 Tote
1 430 Tote
12 983 Tote
64 Tote
5 125 Tote
13 130 Tote
19 414 Tote
6 910 Tote
899 Tote
89 Tote
636 Tote
362 Tote
578 Tote
318 Tote
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Kriegsgräberstätten in Polen
Bartossen (Bartosze)
15 600 Deutsche – 2. WK
Einweihung: 9. August 2003
Für den polnischen Bereich
des ehemaligen Ostpreußen
entstand hier ein Sammelfriedhof für rund 26 000 Gefallene
des Zweiten Weltkrieges. In
einer leicht hügeligen Landschaft, die typisch für Ostpreußen ist, bestand bereits ein
kleiner Friedhof mit 84 Toten
aus dem Ersten Weltkrieg. Die von weitem sichtbaren drei Holzkreuze, die in der Gegend als „ostpreußisches oder masurisches
Golgatha“ bekannt sind, prägen auch weiterhin das Bild. Von
dort überblickt man das ca. fünf Hektar große Gelände mit den
Gräberblöcken der Gefallenen. Sie sind mit Symbolkreuzgruppen gekennzeichnet. Wege und eine Einfassung aus Natursteinen
sollen die ostpreußische Architektur aufnehmen und sich harmonisch in die Landschaft einfügen. Die Bauarbeiten begannen im
Jahr 2000. Die Umbettungen dauern weiter an.
Danzig (Gdansk)
40 Deutsche – 1870/71;
ca. 1 000 – 1. WK; 720 – 2. WK
Einweihung: 20. August 2000
Aus der Ansprache der Vizewoiwodin der Woiwodschaft
Ermland und Masuren, Hanna Mikulska-Bojarska, bei der
Einweihung des Friedhofes Bartossen:
„Auf den deutsch-polnischen Beziehungen lastet eine besondere
Bürde. Es gab viele tragische Ereignisse, viel Leid, Tränen,
menschliches Unglück. Es gab leider auch sehr viel Hass. An dieser Stelle schließen wir heute die schmerzhafte Vergangenheit,
ohne dass wir sie vergessen. Solche Orte, wie hier in Bartossen,
zeigen, dass Versöhnung und Verzeihung ein schwieriger Prozess
ist, der viel Zeit und Verständnis erfordert. Doch wir sehen heute
auch seine positiven Effekte. Deutschland und Polen konnten von
der Etappe tragischer Erfahrungen in eine gutnachbarschaftliche
Zusammenarbeit übergehen. Am wichtigsten ist aber, dass der
Dialog nicht nur auf institutioneller Ebene stattfindet, sondern er
hat die am meisten gewünschte und effektivste Dimension angenommen – die Begegnung gewöhnlicher Menschen.“
Bild oben: Resi und Josef Vogelrieder aus Baiern am Grab
des Onkels, Johann Baptist Kainz.
Bilder unten: Einweihung des Friedhofes Bartossen.
Unten links: Blick auf die Anlage in Danzig.
Auf dem seit dem 18. Jahrhundert belegten Friedhof an der heutigen „Dabrowskiego-Straße“ befindet sich der Garnisonsfriedhof. Teile des Friedhofes stehen seit 1961 unter Denkmalschutz
und werden nicht mehr genutzt. Hier wurde ein kleines Gräberfeld für in Danzig gefallene Soldaten des Zweiten Weltkrieges
angelegt. Es befindet sich neben einer Anlage für Tote der Kriege 1870/71 und 1914/18. Die Umbettungen dauern weiter an.
Auf der Anlage steht ein Gedenkstein, der an alle Opfer des
Krieges in der Umgebung von Danzig erinnert. Jugendlager des
Landesverbandes Hamburg leisten hier seit Jahren wertvolle
Hilfe. Jugendliche aus Deutschland, Polen, Russland und Frankreich halfen, die Anlage des Ersten und Zweiten Weltkrieges
wieder instand zu setzen. 2002 wurde die total verwilderte Anlage aus dem Krieg 1870/71 wieder hergerichtet.
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Wenn Steine reden könnten . . .
Wie bereits erwähnt, sind 468 000 deutsche Soldaten
allein im Zweiten Weltkrieg in Polen gefallen. Die Zahl
der Grablageorte wird auf über 19 200 geschätzt.
Nach Abschluß des deutsch-polnischen Freundschaftsvertrages vom November 1989 hat der Volksbund
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Kriegsgräberstätten in Warschau, Joachimov-Mogily,
Przemysl, Krakau, Posen-Milostowo, Bartosze, Mlawka,
Nadolice Wielkie, Pulawy und Siemianovice gebaut.
Weite Sammelfriedhöfe sind geplant.
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Suche nach dem Grab des Vaters
In Polen sind im Zweiten Weltkrieg etwa 468 000 deutsche Soldaten gefallen. 70 000 wurden inzwischen auf Kriegsgräberstätten
umgebettet. Wie soll man da das Grab eines Einzelnen finden, 57
Jahre danach? Dies ging mit Motivation und fleißiger Arbeit, mit
Hilfe von Freunden und in Zusammenarbeit mit dem Volksbund
Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Alfred Keffel erzählt, wie er viele Jahre lang nach dem Grab seines Vaters suchte:
Die Todesnachricht nennt die Tatsache
Gefallen am 14.1.1945 südlich von Zwolen. „Wegen der Heftigkeit
der Kämpfe konnten die sterblichen Überreste nicht geborgen
werden“, so schrieb am 30.1.1945 die Dienststelle der Einheit, die
sich längst etwa 300 km weiter westlich des Todesortes befand.
Der Brief ist verwunderlich angesichts des uns später bekannt
gewordenen Durcheinanders in den Januartagen 1945. Welch eine
Ordnung im Chaos, welch Kameradschaft im Verlust! 1946 gibt
die sogenannte „Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen Wehrmacht“ in
Berlin an: Todesort: Jasieniec-Solecki, Grablage: unbekannt. Mit
diesen beiden Meldungen mussten wir, meine Mutter, Schwester
und ich, leben und konnten damit über Jahrzehnte keine Vorstellung über den Verbleib meines Vaters verbinden.
alten Zeitzeugen abgeschritten war. Sie lag nur zehn Meter von
der bisherigen Ausgrabung entfernt.
Nach nur wenigen Grabungen begannen die Mitarbeiter des Volksbundes mit feinen Grabungsgeräten den Fundort zu untersuchen.
Und um 15 Uhr am 29. Oktober 2002 hielten wir ein Schädelfragment in Händen. Um 15.30 Uhr photographierte ich eine
Goldkrone an einem rechten Oberkiefer, der daran anschließende
Kiefer war zerstört. Mein Vater hatte zwei nebeneinander liegende
Goldkronen im rechten Oberkiefer. Hatte ich ihn gefunden?
Fleißige Arbeit, gute Freunde, viel Hilfe
Der sechste Tag
1997 hatte ich wegen der Suche nach der Grablage meines Vaters
mit dem Volksbund Kontakt aufgenommen. In einer ersten Antwort
schrieb der Volksbund aufgrund der Aktenlage: „Für die in Jasieniec-Solecki bestatteten Soldaten sind keine Grablagen verzeichnet. Es ist anzunehmen, dass diese aufgrund der damaligen
Kampfumstände nicht mehr geborgen werden konnten und in heute oberirdisch nicht mehr zu bergenden Feld- oder Kameradengräbern ruhen“ (19.1.1998).
Wir fanden 18 Gefallene, elf Erkennungsmarken aus Aluminium,
jedoch keine aus Stahl, keinen Stahlhelm und keine Koppel, jedoch
einen silbernen Siegelring und eine unversehrte Goldkrone. Die Gefallenen waren jeweils zu dritt nebeneinander gelegt worden, in der
nächsten Lage um 180 Grad versetzt. Die sterblichen Überreste
werden auf dem Soldatenfriedhof in Pulawy beigesetzt werden. Die
Beteiligung des polnischen Militärs und der Helfer ist zugesagt.
Als evangelischer Geistlicher werde ich mit dem katholischen
Geistlichen den religiösen Teil der Feierlichkeit mitgestalten.
Nun fing ich an, privat Recherchen anzustellen, suchte Zeitzeugen
in Jasieniec-Solecki auf dem behördlich angegebenen Todesort
meines Vaters und war im Oktober 2002 dabei als der Umbettungsdienst des Volksbundes seine Arbeit vor Ort aufnahm.
Der erste Tag begann wieder am Acker in Zwolen. An der vom Bauern zuerst gezeigten Stelle blieben die Grabungen ergebnislos. Der
folgende Tag begann mit zögerlicher Zuversicht und unterdrückter
Skepsis ob der uns immer geringer erscheinenden Erfolgsaussichten. Es wurden weitere drei 50-Meter-Streifen aufgebaggert. Der
Wind hatte nachgelassen, aber der Regen und die Kälte drangen
durch die Kleidung. Alle Grabungen waren ergebnislos.
Aus dem Nachbarort kam ein alter Mann zum Acker, der davon
erzählte, dass er 1945 als 15-jähriger einen großen Strohhaufen
auf diesem Acker brennen gesehen habe. Die Erwachsenen hätten
gesagt, genau da wären die deutschen Soldaten begraben. Nachdem an diesem fünften Tag bereits drei lange Streifen gezogen worden waren, sollte noch ein letzter Versuch unternommen werden.
Der Bagger setzte zur Fahrt an, der Bauer sprang behende auf
und dirigierte den Fahrer an eine Stelle, die er vorher mit dem
56
Aufgrund der körperlichen Indizien (Goldkrone, zerstörter Oberkiefer danach und ermittelte Körpergröße) bin ich mir mehr als 90
Prozent gewiss, dass wir bei den Ausgrabungen meinen Vater
gefunden haben. Eine Genanalyse des Zahns mit der Goldkrone
wird letzte völlige Klarheit herstellen. Meine 84-jährige Mutter
nahm meinen Bericht mit bewegter Dankbarkeit auf.
Die sechs Arbeitstage in Polen waren wertvoll, über die persönlichen Beziehungen hinaus. Die Mitarbeiter des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge hielten den Rest des Menschen in Händen, der vergänglich ist und wieder zur Erde werden wird, der von
Erde genommen ist, zugleich berührten sie die Ewigkeit, weil sie
die Menschenwürde in der Tiefe eines Soldatengrabes hoch hielten.
Deren Arbeit zu unterstützen und vergleichbares Engagement zum
Frieden, zur Verständigung zwischen den Völkern zu nähren, ist
Sinn dieses Berichts. In Polen habe ich gelebte Humanität erfahren,
ein hoffnungsvolles Zeichen für eine friedvolle Zukunft.
Alfred Keffel (Quelle: Kriegsgräber in Osteuropa S. 130/131)
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Die deutsch-polnische
Jugendarbeit des Volksbundes
Der Friedenspark und die Kriegsgräberstätte in Nadolice Wielkie (Groß Nädlitz):
Rund 15 Kilometer östlich von Breslau liegt der große Sammelfriedhof für die in Niederschlesien gefallenen deutschen
Soldaten des 2. Weltkrieges. Das Gelände stellte der polnische
Staat zur Verfügung. 1988 wurden die ersten Gefallenen eingebettet. Im Jahr 2003 wurde das Eingangsgebäude fertiggestellt
und deutsche und polnische Soldaten arbeiteten zum ersten Mal
auf dem Friedhof. Am 9. Oktober 1998 wurde der Friedenspark
mit der Pflanzung der ersten 48 Bäume eröffnet. Inzwischen
stehen mehr als 600 Friedensbäume auf dem Gräberfeld. Baumpaten stifteten Geld für die Geräte eines nahe gelegenen Kinderspielplatzes, die im Auftrag des Volksbundes von Reservisten der Bundeswehr im Sommer 1999 aufgestellt und der
Gemeinde übergeben wurden.
Aus der Ansprache des stellvertretenden Woiwoden von Breslau, Marek Maciejak, bei der Eröffnung des Friedensparks:
Das Pflanzen von Bäumen war immer ein Symbol für etwas
Neues. Seien diese Bäume Symbole des Friedens, seien ihre
Früchte unzählige Kontakte zwischen unseren Ländern, was zu
einer besseren Integration der Völker beitragen wird. Das
Schicksal lässt uns heute allen sich die Hände reichen. Es gibt
uns eine neue Chance zur Gestaltung der Welt, in der wir leben.
Diese Chance dürfen wir nicht verpassen!
Auch der Jugendaustausch mit Polen hat sich sehr
positiv entwickelt. In den letzten Jahren hat der Volksbund jährlich etwa zehn Jugendlager in Polen organisiert. Mehr als 50 junge Leute aus Polen nehmen jährlich an den Internationalen Jugendlagern in Deutschland teil. Seit 2000 finden auch regelmäßig gemeinsame Arbeitseinsätze von deutschen und polnischen
Soldaten auf Kriegsgräberstätten in Polen statt.
Anna Zielinska aus Polen berichtet über ihre Erfahrungen in
Internationalen Jugendlager des Volksbundes:
Seit 1998 bin ich Teilnehmerin an den Internationalen Jugendlagern, die vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge
organisiert werden. Das erste Mal verbrachte ich fast drei wunderschöne Wochen zusammen mit meinem Bruder in Kiel. Im
zweiten Jahr arbeiteten wir (mein Bruder, junge Freiwillige aus
Niedersachsen und ich) auf dem Soldatenfriedhof in Lommel
(Belgien), der derzeit größten deutschen Kriegsgräberstätte des
2. Weltkrieges im Ausland. In den darauf folgenden Jahren pflegte ich zusammen mit europäischen Jugendlichen Ruhestätten
gefallener Soldaten in Berlin.
Am Beginn meiner Zusammenarbeit habe ich mich darüber
gefreut, dass ich einfach die Sommerferien mit Leuten aus verschiedenen Ländern Europas verbringe, Deutschland besser kennen lerne, meine deutschen Sprachkenntnisse verbessere, und die
Arbeit weniger als einen Beitrag für den Frieden gesehen.
Erst später kam das Gefühl dazu, eine wirkliche Arbeit für den
Frieden zu leisten. Vielfältige Aktivitäten, wie Arbeit auf den
Friedhöfen, selbst vorbereitete internationale Abende, an denen
gekocht, gespielt und getanzt wurde (mit großer Hilfe von den
Soldaten der Bundeswehr, die als Köche, Fahrer oder in sonstiger Funktion zum Gelingen der Jugendlager beigetragen hatten), führten zu der Erkenntnis unseres Lebens: dass es ein
großartiges Geschenk ist, freie Menschen zu sein und in Friedenszeiten leben zu dürfen.
Es gab kein besseres Beispiel als diese Arbeit, bei der man den
Schmerz, die Qualen der Toten, der Tausenden Opfer durch
Hunger, Entkräftung und Krankheit erfährt. Wenn man auf den
Friedhöfen der Weltkriege steht und Kreuze so weit das Auge
reicht sieht, kann man keine Worte finden, die den Wahnsinn der
Kriege beschreiben könnten.
Friedhofseinweihung am 5. Oktober 2002: Auf dem Sammelfriedhof in Nadolice Wielkie (Groß Nädlitz) ruhen 12 321
gefallene deutsche Soldaten des Zweiten Weltkrieges.
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Die Mahnung für den Frieden, Aufruf zur friedlichen Verständigung der Menschen und Völker untereinander, das ist die
wesentliche Idee des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge und da glaube ich, dass wir – die Freunde aus den
Jugendlagern – ein wichtiges Bindeglied zwischen Vergangenheit und Zukunft sind.
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Stimmen aus den
Jugendlagern
Der gemeinsame Wunsch eines friedlichen Zusammenlebens in
Europa lässt junge Menschen aufeinander zugehen. Deshalb
möchten wir die Gedanken junger Leute nach der Teilnahme an
einem Jugendlager erwähnen.
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Polnische Kriegsgräber
in Bayern
Insgesamt gibt es 36 504 polnische Kriegsgräber in
Deutschland. In Bayern liegen auf vielen Kriegsgräberstätten insgesamt 3 837 polnische Opfer des Zweiten
Weltkrieges begraben.
Die meisten von ihnen ruhen in Neumarkt i.d. Oberpfalz (217 Polen), in Nürnberg, Südfriedhof (87 Polen),
in Murnau (89 Polen) und in Wildflecken/Unterfranken
(544 Polen).
Die wohl beeindruckendste Kriegsgräberstätte für polnische
Kriegsopfer ist die Anlage in Wildflecken in Unterfranken. Am
Rande des Truppenübungsplatzes wurde 1970/71 auf dem
Gebiet eines ehemaligen Internierungslagers eine Mahnstätte
des Friedens geschaffen. Zwischen Mai 1945 und 1951 lebten in
diesem Lager ca. 20 000 polnische Insassen.
Zunächst war es ein UNRRA-Lager, ein Lager der „United
Nations Relief and Rehabilitation Administration“ (= Hilfsorganisation zur Unterstützung der Flüchtlinge und Verschleppten in
den von den Alliierten besetzten Gebieten), später ein IROLager, ein Lager der „International Refuge Organisation“
(= Internationale Flüchtlingsorganisation). Dieses Lager sollte
für die Menschen Durchgangsstation für ein neues Leben sein:
entweder Rückführung in die Heimat oder Auswanderung in ein
anderes Land. Für viele war es jedoch letzte Station.
Die gesamte Anlage der Kriegsgräberstätte Wildflecken besteht
aus dem „Kreuzweg der Nationen“, einem Waldweg, der zum
Polenfriedhof hinaufführt, dem Gräberfeld für polnische Opfer
des 2. Weltkrieges mit dem Hochkreuz und der Kapelle. Entlang
des „Kreuzwegs der Nationen“ erinnern zehn Stelen an die
Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Das Gräberfeld ist
2 000 m2 groß und letzte Ruhestätte für 544 polnische Opfer des
2. Weltkrieges, darunter 428 Kinder, die meist hier in diesem
Lager geboren wurden und an Krankheiten oder Entkräftung
gestorben sind. Auf Platten und am Fuße des Hochkreuzes sind
die Namen, Geburts- und Sterbedaten der Erwachsenen eingraviert. Eine eigene Gedenkplatte erinnert an die Kinder, die hier
oft namenlos gestorben sind.
544 polnische
Opfer ruhen in
Wildflecken.
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Golm – die erste Jugendbegegnungsstätte
des Volksbundes in Deutschland
Am Fuße des Golm, im Süden der Ostseeinsel Usedom und
direkt an der deutsch-polnischen Grenze, entsteht die erste
Jugendbegegnungsstätte des Volksbundes in Deutschland.
Auf dem Golm, einst ein beliebtes Ausflugsziel, ruhen ca.
23 000 Opfer des 2. Weltkrieges. Das sind neben Soldaten vor
allem Flüchtlinge und Einwohner von Swinemünde, die beim
Bombenangriff am 12. März 1945 auf die durch Flüchtlingsströme völlig überfüllte Stadt ums Leben kamen.
Neuere Angaben sprechen von etwa 23 000 Toten, die auf dem
Golm bestattet wurden. Augenzeugenberichte weisen auch auf
Verschüttete hin, die nicht mehr gerettet bzw. geborgen werden
konnten. Da viele der Umgekommenen nicht identifiziert werden konnten, wurden Massengräber angelegt. Die etwa 2 000
namentlich bekannten Toten hat man in Reihengräbern beigesetzt. Der Golm, einst beliebter, nahegelegener Ausflugsort der
Swinemünder, der seit dem 19. Jahrhundert eine Aussichtshalle, später ein Restaurant und einen Aussichtsturm trug, war für
die Swinemünder, viele Flüchtlinge und Soldaten zum Waldfriedhof geworden.
Zum 55. Jahrestag, am 12. März 2000, übernahm der Volksbund
Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Rahmen einer Gedenkstunde die Trägerschaft und damit die Verantwortung für die größte
Kriegsgräberstätte des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Den
hier bestatteten Kriegsopfern wurde eine würdige Ruhestätte als
Erinnerung für die Lebenden und als Mahnung für den Frieden
geschaffen.
Skizze der Jugendbegegnungsstätte Golm.
Fertigstellung: Frühjahr 2005.
Und das geschah in den späten Vormittagsstunden des 12. März 1945:
Die internationale Jugendbegegnungsstätte Golm in Kamminke, die in der Nähe zum Friedhof auf dem Golm errichtet und
im Frühjahr 2005 eingeweiht wurde, weist an der neuen Grenze zwischen Deutschland und Polen die künftige Generation der
benachbarten Länder auf einen Weg, den sie im Wissen um die
Vergangenheit und im Blick auf die Zukunft bewusst und
gemeinsam gehen wird. Damit bietet sich der Golm im Rahmen
der Friedens- und Versöhnungsarbeit des Volksbundes als ein
weiterer Ort zum Nachdenken und Lernen an.
(auszugsweise aus: Kriegsgräberstätte Golm – Lernort der
Geschichte)
650 Bomber (andere Quellen sprechen von 671) warfen zwischen 11 und 12 Uhr 1 600 Tonnen Bombenlast auf Swinemünde. Die Stadt war von Flüchtlingen überfüllt. Flüchtlingstrecks
aus Hinterpommern warteten östlich der Swine darauf, mit
ihren Fuhrwerken übergesetzt zu werden. Auch im Hinblick auf
die Flüchtlingszahlen schwanken die Angaben. Es werden Zahlen zwischen 70 000 und 100 000 genannt. Schiffe mit Flüchtlingen lagen im Hafen, von denen bei dem Angriff sechs versenkt wurden. Überfüllte Lazarettzüge standen auf dem Bahnhof. Auch die Lazarette in der Stadt waren überfüllt.
Ein Augenzeuge berichtete:
Am Tag des Bombenangriffs sollen etwa 70 000 Menschen in
der Stadt gewesen sein – mehr als das Doppelte der normalen
Einwohnerzahl. Es dauerte Tage, bis die Toten auf Pferdefuhrwerken und Lastkraftwagen zum Golm gebracht und hier beigesetzt wurden. Die genaue Zahl der Opfer konnte nie festgestellt
werden.
Volksbund Deutsche
Kriegsgräberfürsorge e.V.
Baubeginn für die Jugendbegegnungsstätte Golm Anfang
Dezember 2003. Spatenstich durch Innenminister Dr. Gottfried Timm und Volksbund-Präsident Reinhard Führer.
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Das Tagebuch des Dawid Rubinowicz. Hrsg. u. Nachwort von
Walther Petri. Aus d. Poln. von Stanislaw Zylinski. Mit Fotos
aus d. DEFA-Dokumentarfilm „Das Tagebuch“ von Walther
Petri u. Konrad Weiß. Weinheim u. a.: Beltz u. Gelberg 1988
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Telefon: (0 89) 18 80 77, Telefax: (0 89) 18 66 70
E-Mail: [email protected]
Internet: www.volksbund.de
Verantwortlich für den Inhalt:
Gerd Krause, Landesgeschäftsführer
Gestaltung:
Ursula Sauter-Spiegl
Gestaltung Titelseite:
Ernst S. Pongratz
Gesamtherstellung:
Mediengruppe Universal, Kirschstraße 16, 80999 München
Hinweis:
Für den Fall, dass Rechtsinhaber nicht feststellbar waren,
werden diese gebeten, sich an den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., Landesverband Bayern, zu wenden.
Berechtigte Ansprüche werden im üblichen Rahmen abgegolten.
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Die
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Internet: www.volksbund.de
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