Sonderheft des PNJ-Magazins Connecting Youth Media - NRW
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Sonderheft des PNJ-Magazins Connecting Youth Media - NRW
Ausgabe 3 (2008) Dezember Connecting Foto: Robert Fishman, Bielefeld Youth Media Schwerpunkt: Israel Wenn deutsche und israelische Journalisten das Partnerland besuchen und zum Thema »Jugend« recherchieren, entstehen daraus Alltagsgeschichten, die – jenseits oft klischeehafter Vorstellungen – einen anderen und individuellen Blick auf das jeweils andere Land ermöglichen. Unser Sonderheft fasst Reportagen aus sieben Jahren Journalistenaustausch zusammen. Seite 3 Operation F rieden Frieden Ein israelischer Arzt rettet palästinensischen Kindern das LeSeite 9 ben. Nur die Musik zählt Die junge Generation in Israel hat ein unbefangeneres Verhältnis zu Deutschland. Und nicht nur das. Sie will auch noch Deutsch lernen. Schuld daran ist hauptsächlich eine Seite 10 Band aus Magdeburg. Inhalt Intro Chaim Ador Seite 3 Deutschland Liebe Kolleginnen & Kollegen, aus einem anderen Blickwinkel die dritte Ausgabe unseres Magazins »Connecting Youth Media« widmet sich einem Land, mit dem das Pressenetzwerk für Jugendthemen seit nunmehr fast acht Jahren einen regelmäßigen Austausch durchführt: Israel. Das besondere Verhältniss unserer beiden Länder bietet dazu Anlässe und Gelegenheiten genug. Moshe Perelman Seite 4 bis 5 Trennung aufheben Marco Heuer Seite 6 bis 7 Ein friedlic her Or friedlicher Ortt in einem unfriedlichen Land Beate Seel Seite 8 Zwillinge für Die Beiträge unserer Autorinnen und Autoren entstanden nach den Recherchereisen in den vergangenen Jahren. Sie spiegeln die Vielfalt der Themen, Gespräche und Begegnungen wider, die diese Programme ermöglichen. Ihnen vorangestellt sind die persönlichen Anmerkungen zweier israelischer Kollegen, die an den Besuchen in Deutschland teilgenommen haben. 90 Minuten Dirk Förstner Seite 9 Operation F rieden Frieden Dem Koordinierungszentrum Deutsch-Israelischer Jugendaustausch ConAct danken wir für die Unterstützung bei der Erstellung dieser Ausgabe. Nicholas Brautlecht Seite 10 bis 11 Nur die Musik zählt Sabrina Steiger Seite 12 Der fremde Planet Impressum »Connecting Youth Media« wird herausgegeben vom Pressenetzwerk für Jugendthemen. Verantwortlich: Jörg Wild. Anschrift: Beethovenstraße 38a, 53115 Bonn, E-Mail: [email protected], Internet: ww.pressenetzwerk.de. Fotos: Photocase, Privat. Druck: Vario Druck, Frankfurt/Main - siehe auch Anzeige auf Seite 15. Auflage: 800 Exemplare. Nicole Markwald Seite 13 Radio in Uniform Laura Koppenhöfer Seite 14 Pseudo-F reiheit und Pseudo-Freiheit Chaos Ja, ich will... ✁ auch künftig»Connecting Youth Media« erhalten, und zwar an folgende Adresse: Redaktion, Verband oder Institution Pressenetzwerk für Jugendthemen Redaktion »Connecting Youth Media« Beethovenstr. 38a 53115 Bonn Funktion Name, Vorname Straße PLZ, Ort 2 Datum,Connecting Unterschrift Youth Media Chaim Ador Israel Es fällt mir schwer als israelischer Bürger, unmöglich als Jude, »objektiv« über Deutschland zu denken. Als Nachkommen »dieser Generation« ist das kollektive Gedächtnis in meinen Genen eingebrannt und ermöglicht es mir nicht, über Deutschland zu schreiben, als wäre hier nichts geschehen. Es gibt eine drükkende, belastende und empörende Vergangenheit. Als ich zum ersten mal als Mitglied einer Journalistendelegation nach Deutschland eingeladen wurde, war ich mir bewusst, dass ich auch bereit bin, Deutschland aus einem Blickwinkel zu sehen, der mir bis dahin nicht bekannt war, ohne dabei selbstverständlich zu vergessen, was ich wusste, gelernt und gekannt hatte. Dreimal war ich so in Deutschland – einmal in Bonn, einmal in Berlin und einmal in München. Die Zusammenkünfte mit den Kollegen aus Presse Radio und Fernsehen waren erwartungsgemäß professionell und freundlich. Besonders aber fesselten und bewegten mich die persönlichen Zusammenkünfte mit Jugendlichen, Lehrern, Organisationen, Vereinen und Institutionen, die wenig mit Fremdenverkehr zu tun hatten. Warum? Weil wir deutsche Menschen kennen lernten, die damit beschäftigt waren, das tägliche Leben zu meistern. Die sich um die einfachen Lebensbedingungen Sorgen machten. Jugendliche, die sich selbst suchen, manchmal auf den Straßen und nicht immer beim Studium oder am Arbeitsplatz. Plötzlich verstand ich, dass unter diesem Glanz vom neuen, modernen und intellektuellen Deutschland Menschen leben, die hier geboren wurden oder nach hier gezogen sind. Die um Bildung, Lebensräume und Anerkennung als Individuen ringen. Die nicht mit einem goldenen Löffel im Mund zur Welt kamen. Nachdem ich mir bis dahin unbekannte Orte besuchte und kennen lernte, frage ich mich: Was hat sich bei mir verändert? Gerade durch die neue Kenntnis eines grauen Deutschland, welches nicht extrovertiert und weit vom Fremdenverkehr ist? Die Antwort darauf ist komplex und nicht selbstverständlich, wegen dem Mitgefühl, das ich mit dem Leid für diejenigen empfinde, die um ihren Platz und ihr Auskommen im heutigen Deutschland ringen, sich mit dem anderen ganz scheinbar unlogischen Gedanken verband, was diese Leute über mich, über Israel und das jüdische Volk, in den vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts in Europa wissen. Das war kompliziert und gab Anlass zum Nachdenken und ließ mir keine Ruhe. Es beschäftigte mich die Frage, warum man kein Mitgefühl für einen deutschen Jungen empfinden kann, der in Spandau oder Kreuzberg in einem Erziehungsheim untergebracht ist, ohne zu wissen, ob sein Vater oder Großvater auf Juden geschossen hat, oder nur schwieg, weil es damals im zweiten Weltkrieg opportun war zu schweigen, um das eigene Leben zu retten? Es gibt Fragen, auf die es keine Antwort gibt, aber die Tatsache, dass sie zur Sprache kommen zeigt bereits eine Richtungsveränderung in der Denkwei- Foto: Jörg Wild Deutschland aus einem anderen Blickwinkel se: den Willen sich zu nähern und einen Weg für eine neue Zukunft zu gewinnen. Den Versuch zu machen, das Gemeinsame in den täglichen trivialen Dingen zu finden und die Gegenwart vor Ort kennen zu lernen. Unmittelbar durch Zusammenkünfte, gegenseitigen Besuche, mit aufgeschlossenem Herzen. Der Autor ist Redakteur beim Rundfunksender KOL-Israel. Er wurde in Israel geboren, ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Töchtern. Connecting Youth Media 3 Einladung Informationsreisen Erstes Halbjahr 2009 Berufswahl in Israel Was tun nach dem Wehrdienst? Termin: 17. bis 23. April 2009 Teilnehmer: Fünf Journalisten Schwer Schwer-punkt: Wie wählen junge Israelis ihren zukünftigen Beruf aus, wie führt ihr Weg in den Job, und wo liegen die Stolpersteine nach jahrelangem Wehrdienst? In Tel Aviv gehen wir mit unseren Kolleginnen und Kollegen von der Gewerkschaft Histadrut diesen und vielen anderen Fragen rund um das Thema »Jugend und Beruf« nach. Partizipation in Finnland Informationsreise ins PISAMusterland nach Helsinki Termin: Mai 2009 Teilnehmer: Fünf Journalisten Schwerpunkt: Wie beteiligen sich finnische Jugendliche am politischen und sozialen System ihres Landes, wie bringen sie ihre Ideen und Ideale in den Alltag der Gesellschaft ein – und wie reagiert die Welt der Erwachsenen darauf? Jugend in der Diktatur Informationsreise nach Belarus Termin: Mai 2009 Teilnehmer: Fünf Journalisten Wie verbringen junge Menschen ihre Freizeit unter der Fuchtel eines autoritären Herrschers? Wir recherchieren im Weißrussland von Alexander Lukaschenko. Staatlich gelenkte Jugendfreizeiten versus freiheitliche Jugendkultur? Die Suche verspricht spannend zu werden... Für die Teilnahme wird jeweils ein Beitrag erhoben. Bitte informieren Sie sich dazu auf unserer Website unter www.pressenetzwerk.de Moshe Perelman Israel Lieber Opa Ein Abend in München. Wir kehren mit einer Gruppe Journalisten in unser Hotel im Stadtteil Pasing zurück. Meine Gedanken fliegen, und ich erkenne dieses Wunder. Die Anzeige an der Bushaltestelle zeigt die Abfahrt für 22.47 Uhr an – und so ist es auch. Pünktlich. Ich denke an eine andere Haltestelle. Ein kleiner Bahnhof ohne Schalter. Es gibt keine Rückfahrkarten. Für Millionen Menschen nicht. Ich sehe ein Schild »Willkommen in Treblinka.« – »Willkommen in Treblinka.« Die Vorstellung, dass beide Schilder von Menschen der gleichen Nation erstellt wurden ist unvorstellbar. Begegnungen deutscher und israelischer Journalisten Meine gesamte Familie wurde während des Holocaust an Europas Juden ermordet. Meine Eltern waren die einzigen Überlebenden. Ich wuchs im Schatten des Holocaust auf. Deutschland war für mich ein Tabu. Meine Eltern wollten nichts von Deutschland hören, und ganz sicher wollten sie das Land nicht besuchen und nichts kaufen, das in Deutschland produziert worden war. Mit der offiziellen Befreiung des Staates Israel kaufte ich mir gleichzeitig ein deutsches Auto, und ich reiste nach Deutschland. Meiner alten Mutter fiel es schwer, diese Entscheidungen zu akzeptieren. Und mit jeder neuen Reise kehrte die Frage zurück, warum ich nach Deutschland zurückkehre. Sie konnte meine Reisen nicht akzeptieren, denn jede Fahrt galt für sie auch als eine Art Beleidigung ihres eigenen Schicksals. Ich selbst habe mich mit dem Holocaust in diese Form nie auseinander gesetzt – weder in Form von Angst noch durch die Repressionen von zuhause. Das Thema wurde einfach nicht berührt und nicht diskutiert. Erst kürzlich, nach dem Tod meiner Eltern, besuchte ich mit einer Gruppenreise Polen, um den Spuren meines Vaters und meiner Mutter zu folgen. Ich spazierte durch die Straßen von Krakau, der Stadt, in der die Familie meines Vaters gelebt hatte. Und plötzlich fühlte ich das Bedürfnis, meinen Großvater – nach dem ich benannt wurde – einen Brief zu schreiben. Diesen Brief las ich meiner Gruppe laut vor, und zwar am Krematorium des Vernichtungslagers Birkenau: Lieber Großvater Moshe, was würde wohl passieren, wenn wir uns heute treffen könnten? Würden wir miteinander sprechen wie Opa Moshe zu Opa Moshe? Ich habe mein ganzes Leben lang zu Dir aufgeblickt, aber Du konntest mich nicht sehen. Du warst ein Bild für mich, durch das ich Dich spüren konnte, und durch das ich Dir nahe sein konnte. Nach dem Foto zu urteilen, sind wir beide ziemlich unterschiedlich. Du machst einen sehr klugen, eleganten und würdevollen Eindruck. Das Schlimme ist, dass Du all diese Weisheit für Dich behalten hast. Du lebst nur in der Vergangenheit und hattest keine Zukunft. Ich weiß nicht, wie ich Dich ansprechen soll, und ich weiß nicht, was ich für Dich empfinde. Was hätten wir uns Connecting Youth Media 4 4 Foto: Privat gegenseitig erzählen können, welche Beziehung hätten wir aufgebaut? Dein Zuhause war hier in Krakau. Hier hast Du in der Synagoge gebetet. Dies sind die Straßen, in denen Du gegangen bist. Und dies ist vermutlich der Ort, an dem wir uns am nahesten sein können. Ich möchte Dir erzählen, dass Dein Sohn Shmuel und seine Frau Aviva nicht mehr leben. Ich bin jetzt selbst Großvater und Du hast wunderbare Enkel- und Großenkel. Ich habe einen Bruder, und auch er hat eine Familie. Vielleicht hätte ich Dir von meinem Verhältnis zu ihnen erzählt – nicht um Dich aufzuregen, sondern um Dir ein Gefühl für das Leben zu geben, das Du niemals hattest. Ich bin verärgert, verärgert darüber, dass wir in der Armee dienen mussten. Als ich noch ein Kind war, habe ich mir selbst Onkels zurecht gelegt. Onkel Yanek, Onkel Shayek, aber sie waren nur Freunde meiner Eltern. Ich hätte Dir gerne erzählt von Tante Haya oder Hayouta und von meinem jungen Onkel Shmariya. Von Oma Kaila und davon, wie das Leben wohl gewesen wäre, wenn wir es miteinander hätten verbringen können. Aber diesen Punkt erreichen wir nie, denn Du bist tot und lebst nur in einem Foto. Und Du bist dort, unverändert, denn Du bist schon hinter dem Ende. So lange wir leben bleiben wir in Kontakt für die Generationen, die noch kommen. Dein Enkelsohn Moshe Der Ärger, der in mir eingeschlossen ist, und den ich in dem Brief ausdrücke, richtet sich gegen die Millionen Deutschen, die dem Nazi-Regime gefolgt sind, und gegen diejenigen, die den Holocaust nicht verhindert haben. Mit diesem Ärger bin ich auch zum dritten Mal nach Deutschland gereist. Ich nahm an Treffen mit Kollegen teil, ich erlebte den Reichtum künstlerischer und kultureller Veranstaltungen. Ich hört mir Geschichten über existenzielle Nöte an und mit all diesen Menschen sprachen wir Auge in Auge über unsere Probleme. Es entstand eine Form von Dialog. Vielleicht hat sich sogar bei einem Glas Wein und einem gemeinsamen Essen so etwas wie Freundschaft entwickelt. Wir trafen unsere Familien, wir lernten uns gegenseitig kennen, und es begann ein Dialog auf der Basis von Gefühlen. Wir haben uns nicht gegenseitig Vorhaltungen gemacht und die Schuldgefühle aus der Vergangenheit mitgebracht. Zwischen Freunden müssen wir nicht mehr der Frage nachgehen, was ein Treffen mit Deutschen in dir bewegt. Ich denke über die finstere Vergangenheit nach, die unsere beiden Völker verbindet. Ich denke nicht aus der Warte eines Opfers. Aber weil wir mehr oder weniger das gleiche Alter haben, kennen wir diese finstere Vergangenheit, die unsere beiden Staaten verbindet. Und wenn wir uns unterhalten, dann haben wir manchmal gemeinsame Meinungen und manchmal unterschiedliche. Wir lieben das Leben, und wir wissen schon, was man verlieren kann. Als Kollegen gehen wir mit Kommunikation um, durch sprechen und durch zuhören. Unsere Verantwortung reicht weit und wiegt schwer. Sobald wir zusammen sitzen und uns über Kultur, Kunst, Schutz der Umwelt, Nutzen von Wissenschaften, Industrie und Medizin unterhalten – solange uns dies gelingt, gibt es keinen Grund, warum es nicht auch irgendwo sonst auf der Welt möglich sein sollte. Es geht um nichts anderes als um diese menschlichen Werte. Einen Wandel bekommen wir nicht nur durch ein jüdisches Festival, eine Ausstellung oder einen Film. Die wichtigsten Veränderungen erreichen wir durch Treffen wie unsere. Treffen auf der Basis von Freundschaft und Akzeptanz von Menschen. Durch Gespräche und nicht durch Gedenkstätten. All dies wird eine Wiederholung der dunklen Geschichte verhindern. Moshe Perelman ist Radioproduzent beim Sender KOL Israel und international renommierter Bildhauer. In seinen Radiosendungen, Kunstwerken und Ausstellungen setzt sich Moshe unter anderem vehement für eine Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern ein. Moshe nahm an drei Journalistenaustauschprogrammen des PNJ in Berlin, Bonn und München teil. Jede deutsche PNJ-Gruppe, die Haifa besuchte, hat er fachlich als Journalist und als Künstler begleitet. Connecting Youth Media 5 Die israelische Künstlerkolonie »Ein Hod« wurde 50 Jahre alt Mar co Heuer Deutsc he W elle Marco Deutsche Welle Ein friedlicher Ort in einem unfri Israel ist auc h ein k ulturelles Pulv er fass. Da gibt auch kulturelles Pulver erfass. h int ensiv mit der P olitik ihres es Künstler Künstler,, die sic sich intensiv Politik Landes auseinandersetzen. Und andere, die den kzug ins Priv at e be zugen. Ein TTrend, Rüc bevvor orzugen. Rückzug Privat ate rend, der sich seit Ausbruch der zweiten Intifada im Herbst 2000 noch verstärkt hat. Im Norden des Landes hat die politische Kunst ein wichtiges Zuhause – in einer kleinen Künstlerkolonie nahe der Stadt Haifa. »Strahlend schön bei Tage und funkelnd in der Nacht« –so wirbt die 500.000 Einwohner zählende Hafenstadt in Hochglanzbroschüren nicht ganz zu unrecht. Schließlich wird Haifa zu den schönsten Städten der Welt gerechnet. Ihr Wahrzeichen ist der Bahai-Tempel mit der weithin sichtbar goldenen Kuppel, und im israelisch-palästinensischen Konflikt gilt die Stadt als Musterbeispiel der friedlichen Koexistenz zwischen Arabern und Juden. Doch die letzten Terrorakte haben das Bild erschüttert. Anfang März kamen bei einem Anschlag auf einen Linienbus 15 Menschen ums Leben. Im Oktober 2003 sprengte sich eine Selbstmordattentäterin in einem Restaurant in die Luft – 18 Menschen starben. In Haifa ist das Leben zunehmend unkalkulierbar geworden. Auch in »Ein Hod«, der 20 Kilometer weiter südlich gelegenen renommierten Künstlerkolonie, gehört die Auseinandersetzung mit dem Terror inzwischen zum Berufsalltag vieler Menschen. Der Designer Ari Ofir erzählt: »Manchmal frage ich mich schon, was ich in diesen Tagen hier eigentlich mache. Dann denke ich: Ja, ich mache schöne Dinge oder möchte zumindest, dass sie schön sind. Aber gleichzeitig frage ich mich auch, ob ich in dieser Zeit das Recht dazu habe und ob ich mich nicht mehr für politische Kunst engagieren sollte. Na ja, letztlich mache ich dann doch mein Ding.« Seit zehn Jahren lebt der in Tel Aviv geborene Künstler Arie Ofir in »Ein Hod«. Im Moment werkelt er an filigranen Antennen für Solartelefonen. Seine letzte intensive Auseinandersetzung mit der Politik liegt schon einige Jahre zurück. Damals kam der frühere US-Präsident Clinton zu Besuch. Ofir schenkte ihm eine Menora. Seitdem findet die Politik für ihn irgendwo außerhalb der Ateliers statt. Doch die meisten seiner Kollegen sehen das anders. Für sie ist die Künstlerkolonie »Ein Hod« ein wichtiger Ort des politischen Protests. So auch für den Skulpteur Dan Chamijez: »Natürlich hat die politische Situation in diesem Land meine Arbeit beeinflusst. Schauen Sie sich diese Skulptur an der Dorfmauer an, eine große Landkarte Israels. Das ist meine persönliche road map: ein Israel ohne die besetzen Gebiete. Ich habe sie aus ganz altem Stein gehauen – vielleicht auch eine Art Vision.« Wie Dan Chamijez leben und arbeiten heute noch die Hälfte der 200 Einwohner »Ein Hods« von und für die Kunst. Ob es sich um Malerei, Skulpturen, Architektur, Tanz oder Photographie handelt, hier oben – auf einem kleinen Hügel nahe der berühmten Karmel-Berge – gibt es viele Formen, der politischen Vision Ausdruck zu verleihen. Jüdische, arabische und drusische Künstler suchen den Dialog. Insgesamt sind mehr als 50 Nationen in »Ein Hod« vertreten. 2003 feierten sie das 50-jährige Bestehen ihres Dorfes. 1953 hatte Marcel Janko, der Mitbegründer der avantgardistischen Dada-Bewegung, die Künstlerkolonie aus den Ruinen eines arabischen Dorfes aufgebaut. Janko selbst war es, der festlegte, welche Künstler nach »Ein Hod« kommen durften. Heute sind die Regeln ein wenig gelockert. Eine fünfköpfige Jury entscheidet über die Aufnahme eines neuen Künstlers. Geblieben ist das internationale Renommée, das Menschen aus aller Welt nach »Ein Hod« lockt – sei es für immer oder – wie für die Connecting Youth Media 6 edlichen Land Amerikanerin Lisa Jacobson vom Arma theatre – nur für ein befristetes Projekt. Musik ist zu hören – aus der letzten Szene des Stücks »Point of departure« – dem Punkt, von dem es losgeht – eine Hommage an die Expressionistin Gertrude Stein. Es geht um die Sehnsucht nach Frieden, die Frage, warum Menschen überhaupt Kriege anfangen, den Traum von der Reinheit. Tag für Tag probt das dreiköpfige Ensemble in den Hinterräumen der »Ein Hod«-Galerie. Im nächsten Jahr sind Aufführungen in Jerusalem und Düsseldorf geplant. Mit der deutschen Stadt gibt es bereits einen Künstler-Austausch. Letztlich sei es aber egal, wo sie zur Aufführung gelangten, so die Tänzerin Lisa Jacobson, wichtig sei allein die Botschaft: »Ich denke, wir müssen den Menschen klar machen, dass wir ihnen etwas zu sagen haben, dass es eine politische Botschaft gibt. Wichtig ist mir, dass auch Leute, die kein Geld haben, solche Stücke sehen können. Und die, die Geld haben, sollten die ideelle Arbeit unterstützen. Ich glaube, die Menschen müssen mit Kunst konfrontiert werden, die etwas in ihnen bewegt, die ihre Herzen öffnet und die Einstellungen verändert. Menschen sollten ihre Beziehungen zueinander überdenken. Nur das kann etwas bewirken.« Eine Ansicht, die der Journalist und Künstler Moshe Perelman teilt. Seine von Brancusi inspirierten Skulpturen haben es bis nach Spanien, China und Korea geschafft. Doch Hunderte von Skizzen in Perelman`s Atelier zeigen, mit welcher Frage sich der »Ein Hod«-Künstler zur Zeit am meisten beschäftigt. Wie können Israelis und Palästinenser endlich wieder einen Schritt aufeinander zu bewegen? Seit einem viertel Jahr hämmert der Künstler an einem zehnteiligen Skulpturen-Zyklus, der im April im Theater von Haifa ausgestellt wird. Große Körbe mir getrockneten Früchten sind da in Stein gehauen. Und wie selbstverständlich erklärt Perelman, dass man die faulen Früchte nur herausnehmen muss, dann werden die anderen auch nicht schlecht. In seiner Arbeit als Journalist hat er die Orte der Terroranschläge aufgesucht. Er hat das Leid mit seinen eigenen Augen gesehen und dann das Ventil gesucht: »Ich hätte schreien können, aber ich wusste auch nicht recht wie. Dann habe ich dieses Gefühl in Stein gemeißelt. Daraus ist meine Ausstellung entstanden. Nun hoffe ich , dass die Menschen verstehen, was mir am Herzen liegt. Ich möchte gerne einen kleinen Teil zu einem zukünftigen Frieden beitragen.« So wird »Ein Hod« mit Sicherheit auch weiterhin eine wichtige Rolle im kulturellen Leben Israels spielen. Ob die allgemeine Tendenz im Land damit widergespiegelt wird, bleibt fraglich. Denn seit der Gründung des Staates Israel im Jahre1948 pendelt die Kultur des Landes immer wieder hin und her: Auf der einen Seite intensives politisches Engagement, auf der anderen Seit der Rückzug ins Private. Der Autor hat 2003 an einer Informationsreise des PNJ nach Israel teilgenommen. Connecting Youth Media 7 Beate Seel tageszeitung Zwillinge für 90 Minuten Palästinensische und israelische Jugendliche trefh auf »neutralem« TTerrain errain bei Jerusalem, fen sic sich um FFußball ußball zu spielen. Der arabisc he TTrainer rainer arabische ontr ollkommt allerdings nic ht immer dur ontrollnicht durcc h den K Kontr punkt. Der Fußballplatz bietet einen traurigen Anblick. Die ehemals weiß gestrichenen Metalltore rosten vor sich hin, die Netze sind zerrissen. Das Gras wächst spärlich. Auf der einen Hälfte des Platzes steht das Wasser knöchelhoch, weil ein Wasserrohr gebrochen ist. Doch die etwa fünfzig palästinensischen und israelischen Jungen, die während des Schuljahres regelmäßig gemeinsam und in gemischten Mannschaften Fußball spielen, ficht das nicht weiter an. Das Spielfeld liegt jeweils auf »neutralem« Gebiet – also nicht in den Wohnorten der Kinder; die Israelis können nicht ins Westjordanland fahren. Heute liegt das neutrale Terrain vor dem Kibbuz Ramat Rachel bei Jerusalem. Die Idee für dieses grenzübergreifende Projekt stammt vom Peres Center for Peace in Tel Aviv, das 1996 von dem israelischen Politiker und Träger des Friedensnobelpreises, Schimon Peres, gegründet wurde. Gal Peleg, der das Sportprogramm des Zentrums leitet, geht es darum, dem »Feind« ein Gesicht zu geben. »Für die Palästinenser sind die Israelis Soldaten und für die Israelis sind die Palästinenser Terroristen«, sagt er. »Aber beide können Fans der gleichen Fußballspieler sein. Das Fußballspielen ist auch ein Instrument, eine andere Sprache zur Verständigung.« Palästinensischer Projektpartner ist das Al-Quds-Zentrum für Demokratie in Ostjerusalem. An diesem kühlen Spätnachmittag versammeln sich die palästinensischen und israelischen Jungen an getrennten Ecken des Spielfeldes, um sich umzuziehen. Die 25 Palästinenser aus Jaba und Al Khadr bei Bethlehem sind heute ohne ihren Trainer angereist, der am Checkpoint nicht durchgelassen wurde. Untereinander sprechen die Kinder meist Hebräisch, weil die meisten Israelis kein Arabisch können. »Beim Fußball können wir uns auch ohne Worte mit Gesten verständigen«, sagt der 12-jährige Chanan mit einer grünen Kippa, der Kopfbedeckung der religiösen Juden, die beim Kicken manchmal runterfällt. Selbstbewusst und redegewandt erläutert er, warum er die »Zwillingsteams«, wie das Projekt heißt, für eine gute Idee hält: »Wenn man sich nicht anders verständigen kann, kann man es über den Sport versuchen.« Mit den Palästinensern habe er keine Probleme, »höch- stens auf der Straße«. Selbstverständlich will Chanan Fußballspieler werden, auch wenn das mit Problemen verbunden ist, weil viele Spiele am Samstag, dem jüdischen Feiertag stattfinden. Der gleichaltrige Ahmad zögert bei der Beantwortung der Frage, ob er einen israelischen Freund habe. Sein jüngerer Cousin Mahmud mischt sich ein und sagt: »Doch, du hast einen!« Die Kontakte sind jedoch auf die sportlichen Begegnungen beschränkt. Alles andere sei zu kompliziert. Für Ahmad, der im Tor steht, sind die Fahrten zu den Spielplätzen auf den neutralen Gebieten ein Erlebnis. Israel gefällt ihm. »Aber Palästina ist sehr schön«, fügt er schnell hinzu. Inzwischen haben die jüngeren Kinder mit ihrem Spiel begonnen. Obwohl sie alle zu Hause regelmäßig trainieren und feste Positionen in der Mannschaft einnehmen, stürzen alle dem Ball hinterher. Das Spiel endet unentschieden, 1:1. Doch ganz ohne Probleme geht es auch bei den Zwillingsteams nicht ab. Und da landet man trotz gutem Willen schnell wieder bei der großen Politik, etwa den zahllosen Reisebeschränkungen, denen die Palästinenser unterliegen. Wenn die jungen Fußballspieler am Checkpoint sagen, dass sie im Rahmen des Peres-Zentrums unterwegs sind, berichtet Wael Salameh vom Al-QudsZentrum, werden die israelischen Soldaten ganz freundlich. Aber die Jungen wissen genau, dass das bei der nächsten Fahrt mit ihren Eltern wieder anders sein kann. Und an manchen Tagen haben einige der Palästinenser keine Lust, mit den Connecting Youth Media 8 Dirk Förstner Redaktion und Alltag Operation Frieden Israelis zu spielen. Vor allem dann, wenn sie im Fernsehen Bilder einer israelischen Militäraktion im Gaza-Streifen mit Toten sehen. »Dann müssen wir sie schon überzeugen«, sagt Salameh. »Wir erklären ihnen, worum es geht und dass es auch gewaltfreie Wege gibt, sich für seine Ziele einzusetzen.« Aber oft genug, sagt er, hören sie zu Hause oder auf der Straße etwas anderes. Die Autorin hat 2006 an einer Informationsreise des PNJ nach Israel teilgenommen. Ein israelischer Arzt rettet palästinensischen Kindern das Leben. erklärt Sion Houri. Spendengelder aus aller Welt finanzieren das Projekt. Auch die für Igad’s Operation benötigten 10.000 US-Dollar kamen so zusammen. Ein geheimes Projekt Igad El Beit hat seinen bisher größten Kampf gewonnen. Er hat überlebt. Als er im Februar 2004 mit einem schweren Herzfehler geboren wurde, hing sein Leben an einem seidenen Faden. Er konnte nur durch eine baldige und komplizierte Operation gerettet werden. Das ist nicht einfach, wenn man im Gaza-Streifen das Licht der Welt erblickt und die Familie kein Geld für diesen kostspieligen Eingriff hat. Ganz zu Schweigen von der Tatsache, dass es im Gaza-Streifen kein Krankenhaus gibt, in dem eine solche Operation durchgeführt werden kann. Ein Herz für Kinder Aber Igad’s Arzt wusste ihm zu helfen. Er setzte sich mit dem Projekt »Save a child’s heart« (SACH) in Holon bei Tel Aviv in Verbindung. Ein paar Monate später machten sich Igad und seine Mutter Kifah auf die Reise nach Israel. Im Edith Wolfson Krankenhaus, wo das SACHTeam arbeitet, wurden sie von Sion Houri erwartet. Er ist Chefarzt der Kinderintensivstation und Leiter des Projekts. Rund 70 israelische Ärzte und Krankenpfleger engagieren sich ehrenamtlich bei SACH, um das Leben herzkranker Kinder zu retten. »Seit 1995 haben wir mehr als 1000 Kinder aus der ganzen Welt operiert. Jedes Dritte von ihnen kommt aus den von Israel besetzten Gebieten im Gaza-Streifen und dem Westjordanland«, »Unsere Arbeit ist eines der bestgehüteten Geheimnisse in Israel«, stellt Sion Houri mit verständnislosem Blick fest. Warum die israelischen Medien kaum über das Projekt berichten, kann er sich nicht erklären. In Zeiten von palästinensischen Selbstmordanschlägen und israelischen Armeeeinsätzen ist anscheinend kein Platz für Menschen und Organisationen, die sich für das friedliche Zusammenleben von Juden und Arabern einsetzen. Sion Houri hat als Kind einer jüdischen Familie selbst erfahren, was es heißt, ausgegrenzt zu werden und seine Heimat verlassen zu müssen. Seine Familie lebte seit Generationen in Tunesien. Als im Juni 1967 Israel den Sechs-Tage-Krieg gegen mehrere arabische Länder gewonnen hatte, wurde das Leben für die meisten Juden in den vorwiegend muslimischen Ländern Nordafrikas immer schwieriger. Deshalb emigrierte Sion’s Familie nach Israel. Nach seinem dort abgeschlossenen Medizinstudium ging er für mehrere Jahre in die USA. Mitte der 1990er Jahre kehrte er nach Israel zurück und begann im Edith Wolfson Krankenhaus zu arbeiten. Als kurz darauf das SACH-Projekt ins Leben gerufen wurde, war er sofort mit dabei. Hoffnung auf Frieden Igad’s Operation ist sehr gut verlaufen. Die bläuliche Hautfarbe, die er seit Connecting Youth Media 9 Nicholas Brautlecht Hannoversche Allgemeine Generation Tokio Hot seiner Geburt hatte, ist verschwunden. Seine Mutter Kifah wacht Tag und Nacht an seinem Bett. Sie freut sich auf ihre Heimkehr und auf den Moment, in dem Igad seine sieben größeren Geschwister wieder sieht. Wenn Sion Houri Igad’s Krankenzimmer betritt, begrüßt Kifah ihn mit einem strahlenden Lachen. Vom israelisch-palästinensischen Konflikt, der nur wenige Kilometer entfernt im GazaStreifen tobt, ist hier nichts zu spüren. Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft haben Hass und Misstrauen verdrängt. Sion Houri geht es darum, Menschenleben zu retten. Doch gleichzeitig hält er auch die Hoffnung auf Frieden im Nahen Osten am Leben. Die Website des SACH-Projekts www.saveachildsheart.com Der Autor hat 2004 an einer Informationsreise des PNJ nach Israel teilgenommen. 60 Jahre nach der Staatsgründung lebt eine junge Generation in Israel, deren V Ver erhältnis er hältnis zu Deutschland gänzlich unbefangen ist. Und nicht nur das. Sie will auch noch Deutsch lernen. Schuld daran ist hauptsächlich eine Band aus Magdeburg. 60 Jahre nach der Staatsgründung lebt eine junge Generation in Israel, deren Verhältnis zu Deutschland gänzlich unbefangen ist. Und nicht nur das. Sie will auch noch Deutsch lernen. Schuld daran ist hauptsächlich eine Band aus Magdeburg. Gaby Goldberg bekommt in letzter Zeit häufiger Anrufe von verzweifelten Müttern. Sie alle haben das gleiche Problem. Aber darauf kommen sie oft erst gegen Ende der Unterhaltung zu sprechen. Zuerst erregen sich die Mütter über den jüngsten Lehrerstreik, erzählen, wie sie sich zwei Monate lang zuhause mit ihren pubertierenden Kindern herumschlagen mussten. Dann erst beichten die Anruferinnen der Dozentin den wahren Grund ihrer Verzweiflung: Ihre Kinder würden gern Deutsch lernen. Wegen Tokio Hotel. Dieser Band aus Magdeburg. »Das ist denen hochgradig peinlich«, sagt Gaby Goldberg und lacht. Die 47-jährige mit dem Kurzhaarschnitt ist seit 13 Jahren Deutschlehrerin am Goethe-Institut in Jerusalem und profitiert von einem Musiktrend: Israelische Mädchen lieben Tokio Hotel. Sie lie- ben sie so sehr, dass sie mit einer Leserbrief-Kampagne das populäre Jugendmagazin »Rosch Echad« dazu bewegten, zum ersten Mal in seiner Geschichte eine deutsche Band auf den Titel zu heben. Dem sei jedoch eine gründliche Recherche vorausgegangen, versichert Avi Morgenstern, Chefredakteur der Zeitschrift bei einem Gespräch in Tel Aviv. Man habe bei der Band jegliche Nazi-Verbindungen ausschließen wollen. Seither landeten die vier Deutschen sogar ein zweites Mal auf dem Cover der »israelischen Bravo«. Aber damit nicht genug: 6.000 Fans unterschrieben eine Petition und lockten so die vier Jungs ins Heilige Land. Auch Naomi Lubinetzki aus Haifa wäre bei dem Konzert im Oktober gerne dabei gewesen. Doch scheiterte sie am Widerstand der Eltern. Schließlich war Sabbat, der jüdische Feiertag. Da sind Ausflüge nach Tel Aviv nicht drin. »Ich habe viel geweint an dem Tag«, sagt Naomi. Trost fand die 13-jährige in den Tokio-Hotel-Texten. Zudem ist sie in ihrer Clique jetzt selbst ein Star. Denn sie spricht Deutsch und das ist »in«. »FrüConnecting Youth Media 10 Die Fotos auf dieser und allen anderen Seiten stammen von Robert Fishman vom Journalistenbüro ecomedia (Bielefeld). el: Nur die Musik zählt her behaupteten hier alle, Deutsch sei hässlich, die Sprache der Nazis und des Zweiten Weltkriegs«, sagt Naomi, die bis ins Grundschulalter in Düsseldorf lebte. Auch jetzt werde sie im Streit mit anderen Jugendlichen gelegentlich noch als Nazi beschimpft. Doch seitdem Israels Teenager aus dem Internet Lieder wie »Durch den Monsun«, »Schrei«, »Spring nicht« herunterladen und mit dem Konterfeit von Sänger Bill bedruckte Mappen in die Schule tragen, gilt es nicht mehr als die »Sprache der Täter«. Unter Jugendlichen steht Deutsch nun für die großen Gefühle – für Liebe, Verzweiflung und Freundschaft. »Für viele ist es jetzt die beste Sprache der Welt«, sagt Naomi. Dabei steht Deutsch an israelischen Schulen gar nicht auf dem Stundenplan. Hier haben Englisch und Französisch Vorrang. Nur einige Dutzend Gymnasiasten nutzen jedes Jahr eine Sonderregelung und lassen sich ihre Deutsch-Kenntnisse beim Bagrut, dem israelischen Abitur, anrechnen. Abgenommen wird die Prüfung vom Goethe-Institut, das auch Vorbereitungskurse anbietet. In Haifa und Tel Aviv gibt es zudem einige wenige Schulen, in denen Schüler freiwillig an einer Art Deutsch-AG teilnehmen können. Auch Naomis Freundinnen Avishag und Avital wollen die Sprache von Tokio Hotel lernen. Bislang muss Naomi die Songtexte für sie noch ins Hebräische übersetzen. Aber das soll sich bald ändern, sagen sie. »Denn die Texte sind nicht oberflächlich, sondern haben Tiefgang«, schwärmt die 16-jährige Avishag. Dass sich Deutsch nun in Israel zur neuen Trendsprache entwickelt hat, kommt für viele überraschend. Lange Zeit wurde hier alles Deutsche tabuisiert. 2000 hatte der damalige Bundespräsident Johannes Rau mit seiner auf Deutsch gehaltenen Rede in der Knesset noch für großen Aufruhr gesorgt. Manch Abgeordneter blieb der Sitzung fern, weil er es nicht ertragen konnte, im eigenen Parlament die deutsche Sprache zu hören. Gibt es also 60 Jahre nach der Staatsgründung eine »Generation Tokio Hotel« in Israel, die mit Deutschland und der deutschen Sprache gänzlich unbelastet umgeht? Durchaus, meint Gaby Goldberg. Die Jugend, so die Deutschlehrerin, schaffe durch ihre Neugier eine Art Nische im deutsch-israelischen Verhältnis. Früher hätten älteren Menschen beim Einstufungstest für Kurse am Goethe-Institut die Hände gezittert. Heute kämen die Mädchen in die Jerusalemer Sokolov Straße 15 und könnten es kaum abwarten, die Worte des neuesten Tokio-Hotel-Hits zu lernen. Nur eine Masche? Nein, sagt Gaby Goldberg. Sie glaube, dass dieser Trend länger anhalten werde. Es sei nicht wie 2006, als die Fußballweltmeisterschaft die Zahl der männlichen Teilnehmer bei den Sprachkursen nach oben schnellen ließ. »Die waren nach der WM auch wieder weg«, sagt sie. Nein, Tokio Hotel sei anders. Deren Musik gehe durch den Bauch und alles was durch den Bauch gehe, dränge anderes zurück. Auch Adam Reiter staunt schon lange nicht mehr über den Imagewandel. Der 22 Jahre alte Lockenkopf jobbt in einem Plattenladen in Haifas Oberstadt, Central Carmel. Fast täglich führt er junge Kundinnen in den hinteren Teil des Geschäfts, dorthin, wo die vier bislang erschienenen Tokio-Hotel-CDs im Fach liegen. Auch seine elfjährige Schwester Yael fahre voll auf die deutsche Band ab, erzählt der Verkäufer. Sie habe sich alle Tokio-Hotel-Alben zum Geburtstag gewünscht. Einmal habe er seine Schwester gefragt, wie sie sich denn all die Lieder anhören könne, wenn sie doch die Worte nicht verstehe. »Da hat mir Yael die ersten beiden Strophen von ‚Durch den Monsun’ vorgesungen – auswendig!« Die Nazi-Zeit sei zwar weiterhin Unterrichtsthema in den Schulen. Aber sobald die Jugendlichen durch das Schultor wieder raus seien, spiele die Geschichte keine Rolle mehr, sagt Reiter. »Das ist einfach zu lange her.« Die Autorin hat 2006 an einer Informationsreise des PNJ nach Israel teilgenommen. Connecting Youth Media 11 Sabrina S AZ Stteiger W WAZ Der fremde Planet Äthiopische Schülerinnen, die in Israel ankommen, brauchen Hilfe bei der Integration Die Tattoos gefallen Erisit gar nicht. Sobald sie 18 ist, kommen sie weg: Zwei Kreuze, eines auf der Stirn und eins am Kinn, die sich fast schwarz auf ihrer dunklen Haut abzeichnen. Sie bekam sie in Äthiopien – als Zeichen des unfreiwilligen Übertritts ihrer Familie zum Christentum. In Israel wird sie nun oft gefragt: »Bist du denn wirklich Jüdin?« Seit fünf Jahren geht Erisit auf das religiöse Mädchengymnasium Ironi Waw in Haifa. Sie gehört zu den Falash Mura, einer Gruppe äthiopischer Juden, die vor allem in den 90er Jahren nach Israel geflohen sind. Ihre Freundinnen Bosena und Amelnal tragen keine Kreuze im Gesicht. Ihre Familien nennen sich Beita Israel und haben immer nach jüdischer Tradition gelebt. Die kannte in Äthiopien aber zum Beispiel den Talmud nicht, die schriftlichen Gebote Gottes und ihre Auslegung. Von orthodoxen Rabbinern werden sie deshalb bis heute nicht als Juden anerkannt. Die Beita Israel lebten bis ins 19. Jahrhundert völlig isoliert von der Außenwelt in den äthiopischen Bergen. Sie glaubten, die einzigen noch lebenden Juden auf der ganzen Welt zu sein. Wie sie dorthin kamen, ist nicht sicher – sie selbst sehen sich als Abkömmlinge von König Salomos Sohn und der Königin von Saba. Im Äthiopien des 20. Jahrhunderts durften sie kein Land besitzen und galten als Verursacher von Krankheit und Tod. Bürgerkrieg und Hungersnot unter Diktator Mengistu ließen die ersten äthiopischen Juden Anfang der 80er Jahre nach Jerusalem aufbrechen, der gelobten Stadt, in deren Richtung sie beteten. Die Flucht führte durch die Wüste in den Sudan. In einer ersten großen Rettungsaktion, der »Operation Moses«, flog Israel 7000 Menschen aus. 1991 brachte die »Operation Salomon« 16.000 äthiopische Juden nach Israel. Die Einwanderung hält an. Ingesamt leben jetzt zwischen 80.000 und 100.000 Juden aus Äthiopien in Israel. Sie stellen den Staat vor eines seiner größten Integrationsprobleme, weil sie mehr noch als russische und arabische Einwanderer eine fremde Kultur mitbringen. Mädchen wie Erisit kommen aus einer einfachen Agrarwirtschaft in das hoch entwickelte Israel, sie müssen nicht nur hebräisch lernen, sondern auch offiziell vom Christentum zum Judentum konvertieren. Am Anfang, sagt Erisit, »war es hier wie auf einem anderen Planeten.« Doch mittlerweile fühle sie sich als Israelin, besonders die Schule sei wie eine zweite Heimat. Das hat sie Lehrern wie Jacob Königsberg zu verdanken. Er betreut sie, seit sie in der siebten Klasse an die Schule kam. Das Ironi Waw Gymnasium ist beliebt bei den äthiopischen Einwanderern, weil es sich große Mühe gibt, ihren Kindern Chancen in der israelischen Gesellschaft zu verschaffen: Zwischen 70 und 80 Prozent seiner äthiopischen Schülerinnen machen das Abitur, im nationalen Durchschnitt gelingt das nur 30 Prozent. »Sie sind sehr motiviert«, lobt Jacob Königsberg seine Schülerinnen. Dafür bekommen sie viel Unterstützung: Im ersten Jahr lernen sie gemeinsam in einer Klasse Hebräisch. Dann werden sie in kleinen Gruppen auf die regulären Klassen verteilt, Tutoren helfen ihnen weiterhin. Am Nachmittag können sie Schülerclubs besuchen, wo sie neben einer warmen Mahlzeit immer ein offenes Ohr für Probleme finden. Außerdem schließen Ferienkurse Wissensrückstände zu den Klassenkameradinnen. Trotz aller Bemühungen sind die meisten Äthiopier auch beim Abitur noch nicht auf dem gleichen Stand wie ihre Mitschüler. Der Staat erlaubt ihnen deshalb, in den Prüfungen 10 bis 15 Prozent weniger Leistung zu bringen. Haben sie bestanden, ist ihr Abitur aber an allen Universitäten voll anerkannt. Als größten Erfolg verbucht Direktor Jakob Zitrin, dass zwei der Mädchen zum Studium der Zahnmedizin zugelassen worden sind. So stolz er auf die Leistungen seiner Schülerinnen ist, die soziale Integration stellt den Schulleiter noch nicht zufrieden: »Die anderen Mädchen laden sie nicht nach Hause ein.« In der Schule feiern sie immerhin gemeinsam das »Seged«, ein Fest, das die äthiopischen Juden mitgebracht haben. Und als Erisit und ihre Freundinnen unbedingt mit auf Klassenfahrt nach Polen wollten, sammelten ihre Mitschülerinnen für die Reisekosten. Die Fahrt zu den Stätten des Holocaust ist fester Bestandteil eines israelischen Schülerlebens. Und so stand auch Erisit, die selbst aus Afrika nach Israel geflohen ist, staunend in der Vernichtungsstätte Auschwitz: Schon die Großmutter hatte ihr erzählt, wie dort Juden umgebracht worden sind. Doch bis sie die Anlagen selbst gesehen hat, »konnte ich es nicht glauben.« Die Autorin hat 2005 an einer Informationsreise nach Israel teilgenommen. Connecting Youth Media 12 Nicole Mar kw ald Radio FFritz ritz Markw kwald Radio in Uniform Es ist unser erster Morgen in Israel. Wir sind in einem Bus vvon on Haifa nac h TTel el A viv gefahren und benach Aviv suchen Galei Zahal: Der Armeeradiosender ist einer der beliebtesten Jugendradiosender im Land. Wir stehen in der Musikredaktion. CDStapel auf dem Schreibtisch, CD-Regale im Rücken und davor der 21-jährige Asaf Charnilas, der versucht uns zu erklären, wie Musik ins Programm von Galei Zahal kommt. Plattenfirmen, Künstler selbst oder kleine Vertriebe schicken Songs ein. Manchmal kommen die Tipps auch von Hörern. Einmal wöchentlich setzen sich die Musikredakteure zusammen, streiten und entscheiden, setzen Geschmäcker durch und heben musikalische Trends ins Programm. Wenn es gut läuft, wird ein Song drei Mal am Tag gespielt. So weit, so normal. Doch da haben wir schon mehrere Aha-Momente hinter uns. Vor dem Eingang des Senders: Soldaten in Uniform, Hand am Gewehr. Der Weg in die Musikredaktion führt durch einen bunkerartigen Raum. Fest verschließbare Türen, die aus dem Raum einen Safe machen können, über kleine Abzugsöffnungen kann saubere Luft hineinströmen – diese 10 Quadratmeter haben eine besondere Funktion: Im Falle eines Giftangriffs können sich die Mitarbeiter hier erstmal aufhalten. Da ist uns Israel-Novizen schon längst aufgegangen: Normal ist hier nichts. Galei Zahal ist ein Radiosender in Jaffa, der zum großen Teil von Soldaten gemacht wird. Rund 2.000 Bewerbungen gibt es pro Jahr. Die Armeezeit ist lang – drei Jahre steigen junge Israelis aus dem zivilen Leben aus, um ihrem Heimatland zu dienen. Das ist eben auch bei Galei Zahal möglich. Aber von den 2.000 Bewerbern pro Jahr werden lediglich 20 bis 25 Soldaten genommen. Nach einem zweimonatigen Basistraining werden die jungen Erwachsenen auf die verschiedenen Redaktionen aufgeteilt. Und für viele ist eine Armeezeit bei Galei Zahal das Ticket in eine journalistische Karriere. Auch Asaf hat hier seine Armeezeit abgeleistet und ist nun Musikredakteur und -moderator. Wie auch bei vielen deutschen Radiosendern üblich, bringt Galei Zahal am Abend Musikspezialsendungen. So wird jeden Mittwoch in der Zeit zwischen 20 und 22 Uhr »Hebrew music« gespielt. Hebräische Musik hat hier allerdings keinen Exotenstatus, als dass es dafür eine gesonderte Spezialsendung braucht. Es gibt eine selbst auferlegte Quote für heimische Musik: 6 Songs pro Stunde. Asaf erklärt uns, dass man damit den Wünschen der Hörer nachkommt. Nur für arabische Musik gibt es keine Spezialsendung. Obwohl die es vielleicht am ehesten nötig hätte. Rund 18 Prozent aller Israelis sind arabisch. Ihre Musik wird bei Galei Zahal aber gar nicht gespielt. Wie es eine Ausnahmeregelung für die Musik im Sender gibt, gibt es auch eine Ausnahmeregelung für israelische Araber bei der Armee. Sie sind von der Wehrpflicht ausgeschlossen. Es wird immer komplizierter. Reklame sendet Galei Zahal nicht. Finanziert wird der Sender von verschiedenen NGOs, Lottogeld und gelegentlichen Finanzspritzen von Universitäten. Das Gehalt kommt von der Armee. Der Inhalt nicht – sagt uns Tunik Izhak, der Chefredakteur. Ein Armeesender, der von der Armee gemacht und vom ganzen Volk gehört wird. Radio spiele eine größere Rolle als in anderen Gesellschaften, fügt Tunik Ishak hinzu. Der Sender funktioniert als verbindendes Element zwischen Soldaten und daheim gebliebenen Familien, seine Inhalte sind Gesprächs- stoff, seine Musikauswahl ist geschmacksbildend. Der Chef des Hauses sagt auch, man berichte über alles, ausnahmslos. Ausnahmslos? Vielleicht ist es nur ein Zufall, dass Tunik Izhak unsere Gesprächsrunde verlässt, als eine Frage zum Thema Armeeverweigerung gestellt wird. Im Hinausgehen sagt er, wir würden uns nach einer Woche ein ganz eigenes Bild machen können. Aber dass junge Israelis, die sich gegen die Armee entscheiden, es bedeutend schwerer haben, ihren Platz in der israelischen Gesellschaft zu finden, wird uns hier schon deutlich. Unsere Fragen nehmen zu, statt ab. Uns erstaunt die Geschäftigkeit im Sender. Es sind ungewöhnlich viele Mitarbeiter. Und die wollen alle beschäftigt werden. Um kurz vor 2 Uhr am Nachmittag ist es Zeit für Kultur: Die zehnminütige tägliche Sendung ist mit »Entertainment Today« etwas flapsig betitelt. Dabei geht es in den zehn Minuten nicht um den neuesten Promi-Klatsch, sondern um Theater, Konzerte, neue Filme, Hochund Popkultur. Die Philosophie hinter ‚Entertainment Today’ ist einfach, wie der verantwortliche Redakteur Effy Benavraham erklärt: »Give us ten minutes and we’ll tell you everything you can do today.« Man will nicht erziehen, sondern auf das hinweisen, was es zu erleben gibt. Für Effy Benavraham bedeutet die Arbeit mit jungen Soldaten auch eine ständige Suche nach neuen Radiotalenten. Abhängig davon, wie viel Erfahrung sie mitbringen, ist seine Arbeit mal mehr oder weniger erklärungsintensiv. Nach der Kultur folgen die Nachrichten. Während der Nachrichtensprecher an einem kleinen Tisch sitzt und seine Nachrichten liest, schleicht auch ein uns bekanntes Gesicht ins Studio: Es ist Asaf in Jeans, Shirt und Sneakers. In der Hand jede Menge Zettel, im Gesicht ein Lächeln. Mit 21 liegt die Armeezeit hinter ihm. Dem Sender bleibt er trotzdem treu, schließlich hat er eine eigene Musiksendung bekommen. Asaf steckt mittendrin, im Leben in diesem kleinen, besonderen, merkwürdigen Land – das wir gerade erst beginnen kennenzulernen. Die Autorin hat 2007 an einer Recherchereise des PNJ nach Israel teilgenommen. Connecting Youth Media 13 Laura K oppenhöf er FFrankfur rankfur Koppenhöf oppenhöfer rankfurtter Neue Presse Pseudo-Freiheit und Chaos Zoof ist im Kibbuz »Ramat Y ohanan« nahe Haifa Yohanan« geboren. Jetzt ist sie 25 und will den Neuanfang. Draußen. Der Kibbuz-Kindergarten, in dem Zoof arbeitet, ist – gelinde ausgedrückt – ein Chaos. Spielsachen liegen wild verstreut im Matsch, darunter umgeworfene Klettergerüste, Wackersteine, ein zum Trampolin umfunktioniertes Sofa. Die vielen Kaninchen und Hühner, die sich wie selbstverständlich unter die Kinder mischen, hinterlassen im Minutentakt frische Spuren. Zäune gibt es nicht. Auch Zoof konnte sich als Kind frei auf dem Kibbuz-Gelände bewegen. Halbnackt und barfuß kletterte sie auf Bäume und auf Felsen herum, »alles war weit und offen«. Einmal lief sie mit einer Freundin weit hinaus, bis zu den Fruchtplantagen. Erst nach Stunden wurde das Verschwinden der beiden fünfjährigen Mädchen bemerkt. »Das ganze Kibbuz suchte nach uns.« Zoof mag diese Geschichte sehr. Wären doch alle ihre Kindheitserinnerungen so schön. Brotloser Sabbat Heute weiß Zoof, dass auch die Freiheit im Chaos-Kindergarten trotz Trampolin-Sofa und freilaufender Karnickel eine Illusion ist. »Tiere gibt es aus einem Grund – weil die Lehrerin Tiere mag.« Seit 17 Jahren habe sie hier das Sagen, sie schreibe alle Abläufe und Regeln vor. Mitarbeiter haben kein Mitspracherecht. Bald wolle die Lehrerin das Kindergarten- gelände zwei Meter hoch einzäunen lassen. Wenn es nach Zoof ginge, würden hier bestimmt keine Zäune aufgestellt. Zu gut erinnert sie sich an die Zwänge, denen sie selbst im Kindergarten ausgesetzt war. Lange Zeit verbrachte Zoof jeden Mittag im Badezimmer. Eingesperrt musste sie abwarten, bis die anderen Kinder fertig gegessen hatten. »Meine Lehrerin hatte eine sehr gemeine Vorstellung von Erziehung.« Freitags durften die Kinder traditionelle jüdische Brote backen und für die Sabbat-Feier mit nach Hause nehmen. Alle außer Zoof. »Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, für was ich eigentlich bestraft wurde.« Ihre damalige Lehrerin würde sagen, Strenge habe noch keinem Kind geschadet. Zoof sagt, sie ist traumatisiert. Ein Kilometer Abstand Zoof glaubt, dass ihr »Problem mit Autoritäten« mit ihren Kindheitserinnerungen zusammen hängt. Sie verweigerte den Kriegsdienst, weil sie nicht Teil eines Systems werden wollte, »in dem einige wenige Menschen über das Leben vieler anderer bestimmen.«. Sie verabscheut die »Kibbuz News«, in denen Bewohner gemeldet werden, wenn sie sich nicht prinzipienkonform verhalten. »Wenn du dort liest, dass du vollgepumpt mit Alkohol und Drogen auf einer Party gesehen wurdest, in Wahrheit aber stocknüchtern warst, dann ist das ziemlich ärgerlich.« Wie gerne würde Zoof in ihrem eigenen Haus im Grünen leben. Abstand zum nächsten Haus: »Mindestens ein Kilometer.« Die Enge im Kibbuz erträgt sie trotzdem weiter. Der Komfort hält sie hier. Das Kibbuz zahlt die Gebühren ihrer Schule, wo sie Edelsteinhandwerk lernt. Sie genießt Mietfreiheit, im Tausch gegen ihre Arbeit im Kindergarten. »Ich muss mir hier über nichts Sorgen machen.« All das will sie noch nicht aufgeben. Ein paar Jährchen Bequemlichkeit will sie sich noch gönnen. Aber für immer hier bleiben? »Niemals.« Raus aus dem Kibbuz Bald wird sich Zoof offiziell entscheiden müssen: In or out. Mit 28 Jahren muss sich jeder Kibbuz-Bewohner festlegen: Lebenslange Mitgliedschaft mit allen dazugehörigen Privilegien oder Degradierung zum Gast, der keine Pflichten, aber auch keine besonderen Rechte hat. Im Grunde ist Zoofs Entscheidung längst gefallen. Aber noch ist sie nicht bereit, Abschied zu nehmen. Sie hat ein wenig Angst vor dem Sprung nach draußen. »Wir Kibbuz-Leute sind so anders. Wir passen einfach nicht dazu.« Doch spätestens beim nächsten Eintrag in den »Kibbuz-News« ist sie wieder da: Die Sehnsucht nach mehr Selbstbestimmung, nach mehr Freiheit – und nach dem eigenen einsamen Haus im Grünen. Die Autorin hat 2007 an einer Informationsreise nach Israel teilgenommen. Connecting Youth Media 14 Anzeige Das Pressenetzwerk fur Jugendthemen Der Jugend eine Stimme geben! Das war die Idee, als das Pressenetzwerk für Jugendthemen e.V. - damals noch unter dem Namen Jugendpresseclub - 1966 gegründet wurde. Ein Gedanke, der unser Programm noch heute bestimmt. Das Pressenetzwerk für Jugendthemen ist fester Bestandteil der Medienlandschaft in Deutschland. Nach dem Motto »Öffentlichkeit ist unser Geschäft« gehören unserem bundesweit tätigen Fachverband Journalistinnen und Journalisten an, die sich mit dem Thema »Jugend« befasKollegen und Kontakte sen - in Presse, Funk oder Fernsehen. Außerdem zählen wir Referentinnen und Referenten für Öffentlichkeitsarbeit in Jugendverbänden und -institutionen zu unseren Mitgliedern. Unser Angebot Im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen internationale Informations- und Kooperationsprogramme. Jedes Jahr bieten wir zahlreiche Reisen für Journalistinnen und Journalisten an. Dabei wird umfassend über die Situation der Jugend und weitere aktuelle Themen im jeweiligen Land informiert. Derzeit bestehen Programme mit Ägypten, Isra- Unterwegs el, Finnland, Weißrussland, Russland und Kasachstan. Außerdem veranstalten wir jedes Jahr eine Rei- O-Töne und Hintergründe he von Seminaren zu jugendpolitischen Themen und Seminare rund um die Förderung von Nachwuchsjournalisten oder um aktuelle Jugendthemen. Unser Mitgliederrundbrief »intern« und die Zeitschrift »Connecting Youth Media« informieren mehrmals jährlich über aktuelle Trends und Entwicklungen in den Jugendmedien und in der Jugendpolitik und - natürlich über alle unsere Programme. Unterm Strich Unterm Strich stehen eine Menge Kontakte im Berufsfeld Journalismus, ein bundesund europaweiter Informations- und Erfahrungsaustausch sowie ein Beitrag zur Landschaft der Jugendmedien und der politischen Bildungsarbeit. Horizonte erweitern Weitere Informationen Pressenetzwerk für Jugendthemen e.V. Beethovenstr. 38a 53115 Bonn Telefon (0228) 21 77 86 Fax (0228) 21 39 84 E-Mail: [email protected] Internet: www.pressenetzwerk.de Connecting Youth Media 16