Schloss Neuburg

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Schloss Neuburg
SCHLOSS
NEUBURG
GARTENSCHLOSS AM INN
Schloss Neuburg am Inn bei Passau
Burg, Gartenschloss, Ruine, Künstlerschloss
Die Neuburg ist eine der prächtigsten Burganlagen im ostbayerisch-oberösterreichischen Grenzraum. Sie wurde im 11. Jahrhundert von der hochadeligen Grafenfamilie der Vornbacher gegründet und entwickelte sich zum
Mittelpunkt einer Adelsherrschaft, der Grafschaft Neuburg. Sie erhebt sich über dem Steilufer des Inn, der im
Mittelalter eine belebte europäische Wasserstraße war. Von 1310 bis 1803 gehörte die Grafschaft Neuburg zu
Österreich. Schon immer haben bedeutende Künstler Spuren ihres Kunstschaffens auf der Neuburg hinterlassen.
Der kunstsinnige Graf Niklas von Salm (1503-1550), Oberstkämmerer am Hofe König Ferdinands I. (1503-1564)
verwandelte um 1530 die mittelalterliche Wehranlage in ein Gartenschloss mit Arkadenhof und Wildbad im Stile
der Frührenaissance. Den Umbau leitete Wolf Huber (1485-1553), einer der bedeutendsten europäischen Zeichner
der Renaissance.
In den weitläufigen Gartenanlagen rund um Schloss Neuburg am Inn gab es einen Kalvarienberg mit Eremitorien
und Kreuzwegstationen, Mariensäule, Obstbaumpflanzungen, Wiesenflächen, Springbrunnen, Gartenfiguren und
Grotten. Der noch bestehende Paradiesgarten bildet einen gärtnerischen Höhepunkt. Bereits in den frühen Hochkulturen wurde das Konzept des Paradiesgartens in der Gestalt eines viergeteilten umschlossenen Bezirkes mit
einem zentralen Brunnen entwickelt. Dieses geometrische Schema versinnbildlicht das Urbild eines Gartens und
gilt als Abbild des Paradieses und der göttlichen und natürlichen Ordnung der Welt.
Der Auftraggeber für diesen Garten war der Graf Georg Ludwig von Sinzendorf. (1616-1681), der am Hofe des
Kaisers Leopold (1658-1705) Hofkammerpräsident war. Die Pläne erstellte der Topograph und Maler Clemens
Beutler (1623-1682) aus Ebelsberg bei Linz (OÖ).
Durch einen Brand im Jahre 1810 verkam das Schloss zu einer Ruine. Nach einer Renovierung wurde die Neuburg ab 1922 als Künstlererholungsheim zu einem unvergesslichen sommerlichen Refugium. Diese Tradition einer
Kunst- und Kulturstätte setzt der Landkreis Passau als Schlossbesitzer (seit 1998) mit seiner Landkreisgalerie als
Präsentationsort für Bildende Kunst fort.
DIE GARTENGROTTE
Sehnsuchtsort des Menschen und Triumph der Kunst über die Natur
Die um 1670 entstandene Grotte ist ein Juwel der Gartenkunst. Sie wird dem Passauer Domstuckateur Giovanni
Battista Carlone (um 1640-1721) und seinem Gehilfen Giorgio Spazzo zugeschrieben. Diese Grotte bot Sinzendorf
die Möglichkeit, seinen Reichtum anschaulich vorzuführen und sich der natürlichen Schätze aus seiner Grafschaft
zu bedienen.
Die Grotte ist konzipiert als Kosmos im Kleinen, in dem die Natur kultiviert und durch Kunst überhöht wird. Die
Grotte macht den Triumph der Kunst über die Natur erlebbar, symbolisiert fürstlichen Reichtum und demonstriert
aristokratische Repräsentation. Von der Gestalt her ähnelt die Grotte einem Mutterschoß. Als Stätten von Geburt
und Tod, Vergehen und Wiedergeburt, Abstieg und Auferstehung bergen Grotten die tiefsten Wahrheiten. Grotten
galten als konzentrierte Abbilder des Universums. Ihre Gesteine bilden die Fundamente für alle menschlichen Behausungen. In der Erde entwickeln sich die Bodenschätze, die den Reichtum eines Landes gewährleisten.
Bei der Gestaltung der Grotte bediente man sich der von der Natur selbst hervorgebrachten schmuckvollsten
Materialien.
Der Stuckateur Giovanni Battista Carlone spielt mit der Wirkung von unterschiedlichen, nach Farbe, Größe und
Oberflächenstruktur geordneten Materialien wie Schlacken, Kieselsteinen, Kalksteinen, Muscheln und Tuffsteinen
und erzeugt eine ungewöhnliche Farbigkeit. Zu neuen Materialkompositionen zusammengestellt sollten diese Naturmaterialien die Naturschöpfung einer natürlichen Grotte übertreffen. Durch die ausgeprägte Farb- und Formendramaturgie erscheint das Neben- Über- und Ineinander dieser Naturmaterialien wie in improvisierter Leichtigkeit
zu einem Ganzen verwoben. Der reizvolle Kontrast von Verspieltheit und Strenge findet seine Ergänzung in dem
raffinierten Arrangement der zahlreichen Spiegel, die im Inneren der Grotte eine zauberhafte Wirkung entfalten.
Carlone verdeutlicht mit diesen schimmernden und farbenprächtigen Materialien den Reichtum der Grafschaft an
Bodenschätzen. Die Tuff-, Kiesel- und Kalksteine symbolisieren die Gesteine der Erde. In der Grafschaft Neuburg
gab es Kalk- und Ziegelöfen, denn nach dem Passauer Stadtbrand 1662 war ein riesiger Bedarf an Baumaterial
zu decken. Die verwendeten Schlacken sollten zeigen, dass auch Erze zur Eisenherstellung gewonnen wurden.
Der Muscheldekor weist auf Perlfischerei hin. Wegen des Holzreichtums des Neuburger Waldes machte man sich
sogar an die Glasfabrikation und die Herstellung von Spiegeln.
Die schimmernden, flimmernden und farbenprächtigen Naturmaterialien sind zu fantasievollen geometrischen Ornamenten geordnet. Sie sind eine Anspielung auf die Natur als Schöpferin und Meisterin der Formgebung.
Die Grotte wird von überlebensgroßen, muskulösen Atlanten bewacht. Ihre Haare, Bärten und Lendenschürze
sind von Tropfstein überwuchert. Augen aus Spiegelglas beseelen ihr bizarres Mienenspiel. Zwei dieser armlosen
männlichen titanischen Himmelswächter flankieren als Wächter beidseitig die Fassade der Grotte, ein dritter bewacht über dem Halbbogen die Grenze von der Außenwelt in das Innere der Grotte, wo das Wasser, das von der
Tropfsteinkuppel tropfte, in einer Brunnenschale gesammelt wurde. Die drei Termen (Hermen) machen durch ihr
martialisches Aussehen aus der Grotte einen geheimnisvollen Ort, den man mit Ehrfurcht betritt.
Über einem abschließenden Muschelfries erhebt sich in Form eines Triumphbogens der Giebel, der einst von einer
Imperatorenbüste des Grafen Sinzendorf bekrönt war. Mit dieser Büste, die wie auf einem Ehrenplatz stehend alles
überragte, endete die szenische Präsentation. Es war eine stolze Zuschaustellung der selbst die Natur beherrschende Macht des Grafen Sinzendorf, der als Beherrscher der Elemente Erde und Wasser den Triumph über die
Natur feierte.
Die breite Leibung der Archivolte ist durch inkrustierte Felder verschwenderisch mit Kieseln, Muscheln und farbigen
Schlacken geziert. Die ovale Wappenkartusche mit dem österreichischen Doppeladler ist von Perlmutt glänzenden
Muscheln und in farbiger Abstufung mit Schlacken umrahmt.
Der Innenraum ist überfangen von einer frei schwebenden Tropfsteinkuppel mit natürlichen Stalaktiten und künstlichen Tuffsteinzapfen.
Ein Gegengewicht zur materialbedingten Unruhe der Tropfsteine bilden die geometrischen, rot eingefassten Putzfelder mit hellen Quarzkieseln, blau eingefärbten Schlacken und opalisierenden Muscheln.
Flusskiesel sind hochkant in ein Putzbett eingetieft und zu neuen wunderbar farbigen Ornamenten geformt. Unzählige Muschelschalen haben die Stuckateure zu Blüten mit ihrem charakteristischen Perlmuttschimmer zusammengesetzt. Form und Tiefe der Muscheln und das sanfte Rosa ihrer Farbgebung erinnern an die weibliche Vulva
und verbinden die Muschel mit dem Reiz und Geheimnis des Weiblichen, aber auch an Fleischwerdung und
Fruchtbarkeit.
In geometrischer Anordnung sind in diese schimmernden Muschelfelder zahlreiche runde Spiegel eingelassen, die
das Sonnenlicht reflektieren, verstärken und phantastische Effekte erzeugen. Es ist ein ästhetischer Genuss, die
Grotte zu betreten und sie still auf sich wirken zu lassen. Die Felder mit den perlmutterweißen Muscheln schillern
beim Wechseln der Blickrichtung in rötlichen und bläulichen Farben wie Opale. Die konvex gewölbten Spiegel
werfen in alle Richtungen ihre entzückenden Spiegelbilder, über die sich der Betrachter köstlich amüsieren kann.
Neben den Schätzen aus dem Boden stellt das Leben spendende Element Wasser als Regen und Quelle das zweite Leitmotiv der Grotte dar. Berg und Höhle sind verbunden, da sich in ihnen Wasseradern sammeln. So werden in
der Grotte die mythischen Ursprünge des Elements Wasser veranschaulicht, das Wasser als Urquell des Lebens.
Der eigentliche Mittelpunkt der Grotte war einstmals eine steinerne Brunnenschale mit einem turmartigen Aufsatz
aus Erz mit einem Mohrenkopf obendrauf, der auf einem Wasserstrahl eine Kugel balancierte.
Hier wurde die Grotte vollends zu einem Ort der Sinnesbetörung. Das Element Wasser präsentierte sich in allen
Variationen, wenn die kleine Fontäne aus dem Mohrenkopf eine vergoldete Kugel auf ihrem Strahl balancierte.
Funkelnd und glitzernd im Gegenlicht stieg und fiel der Wasserstrahl. Der Besucher der Grotte erlebte mit allen
Sinnen, wie sich die Farbe des Himmels verstärkt durch die Wirkung der Gewölbespiegel im Wasser reflektierte.
Das Brio dieses optischen Feuerwerkes wurde noch gesteigert durch die Musik des Wassers. Im schimmernden
und plätschernden Wasser der Brunnenschale kulminierte das abwechslungsreiche und raffinierte Spiel von Farbschattierungen, Schattenwurf und Lichtreflexen. Dieses optische und akustische Sinnenerlebnis vermittelte die
Illusion eines märchenhaften, imaginären Raumes.
Die überquellende Fülle der verwendeten Naturmaterialien sollten im Zusammenspiel mit dem Wasser eine eigene,
andere Wirklichkeit zwischen natürlicher Kunst und künstlicher Natur erzeugen und den Besucher in wundersame
Welten entführen.
Die Callot-Figuren
Musikanten und Komödianten
Im Paradiesgarten sind acht sog. Callotfiguren aufgestellt. Es sind zwergenhafte Musikanten und Komödianten
männlichen Geschlechts.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts kamen in Lustgarten-Anlagen Gartenskulpturen in Zwergengestalt. Sie gehen
auf die Radierfolge der „Gobbi“ des französischen Zeichners und Kupferstechers Jacques Callot (1592-1635)
zurück. Im Jahr 1616 entstanden am toskanischen Hof des Kunst liebenden Cosimo II., bei dem Callot als Hofkünstler angestellt war, die später berühmt gewordenen 20 Kupferstiche unter dem Titel „Varie Figure Gobbi“
(Gabbo=Buckel). Sie sind eine Folge von kleinformatigen Radierungen von zwergenhaften Krüppeln, die als Trinker, Duellanten, Bettler, Musikanten, Dickbäuchige und Bucklige dargestellt sind. Zwerge werden in zahlreichen
Mythen, Märchen und Legenden in allen Kulturen als Wesen mit übernatürlichen Fähigkeiten und im Besitz großer
Schätze dargestellt. Callots Vorbilder waren die kleinwüchsigen Menschen, die als Hofnarren und Spaßmacher an
allen europäischen Höfen der allgemeinen Belustigung dienten. Sie genossen mehr Freiheiten als andere Höflinge,
mussten aber auch allerlei böse Scherze ertragen.
Hundert Jahre später wurden diese Callot-Stiche von Bildhauern als Vorlage für Skulpturen benutzt. Es waren aber
nicht die originalen Stichvorlagen Callots, sondern nachempfundene Kopien und Interpretationen seiner Figuren,
die um 1710 im Stil der neuen Zeit in Augsburg erschienen. Diese Folge von 50 Kupferstichen trug den Titel „Ill
Callotto resuscitato. Oder Neu eingerichtetes Zwerchen Cabinett.“
Diese neuen Figuren hatten einen durchschlagenden Erfolg. Jeder Schlossbesitzer wollte für seine Parkanlagen
solche grotesken Figuren besitzen, die man immer Callotfiguren nannte.
Die Neuburger Callotfiguren wurden wahrscheinlich von Sebastian Stumpfegger (1670-1749) geschaffen, der dem
Salzburger Bildhauerkollektiv angehörte.
Im Neuburger Paradiesgarten stehen acht Callotfiguren, die der Tittlinger Bildhauer Karl Mader (1926-2004) aus
Granit nachgeschaffen hat.
Die vier Callotfiguren, die in der Landesgartenschau Deggendorf 2014 präsentiert werden, sind die Originalfiguren
aus dem Jahr 1710.
Gestaltung: Göttl + Göttl GBR / FotoGrafie: Stefan plöchinger
Landkreis PAssau
Kulturreferat
Konzeption und Text: Dr. Wilfried Hartleb
(Quelle: Hartleb, Wilfried: Neuburg am Inn - Burg, Gartenschloss, Ruine, Künstlerschloss, Die Geschichte einer Verwandlung, Salzweg 2012,
ISBN 978-3-939723-28-8)
Gestaltung: Göttl + Göttl Gbr
Fotografie: Stefan Plöchinger
Passauer Straße 39 – 94121 Salzweg
Tel.: 0851/94960-11 – Fax: 0851/41043
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