103Wir sind deutschlands bestes studentenmagazin! 07

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103Wir sind deutschlands bestes studentenmagazin! 07
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Das kostenlose Studentenmagazin der Uni Rostock
03 Wir sind Deutschlands bestes Studentenmagazin! 07 EHRENAMT
ODER VOLLE TASCHEN? 29 ÖKO-NAZIS IN MV 39 IRON HORSES –
ROCKSTARS im SCHLÜPFER 42 nachgefragt beim Heuler-gründer
heulermagazin.de
97
01-2012
IMPRESSUM
01/12 STARTSCHUSS
Parkstraße 6, 18057 Rostock
Telefon: 0381 498 5608
Telefax: 0381 498 5603
www.heulermagazin.de
Nr. 97 | April 2012
Herausgeber
Studierendenschaft der
Universität Rostock
3
Redaktionsleitung
Gesa Römer (V. i. S. d. P.)
Alfonso Maestro
[email protected]
HEUTE!
GESTERN?
Geschäftsführung
Gesa Römer
[email protected]
The winner takes it all!
Der heuler-Rückspiegel
Editorials schreiben ist lästig. Mindestens genauso lästig wie Hausarbeiten anfertigen oder das Klo
putzen. Nie findet man einen Aufhänger, nur selten
ein Thema. Aber wo sonst könnte man dem Leser
von all den schönen Momenten beim Layout berichten, von der Gemeinschaft, dem bekloppten Layouter, den Duden-Freaks und all denen, die uns immer
besuchen kommen. Welche Position wäre angemessener, um in die ganze Welt hinauszuschreien: »Wir
sind Deutschlands bestes Studentenmagazin! Weichet
all ihr ewigen Nörgler, all ihr Besser­wisser und all ihr
Ignoranten – wir haben den Beweis: Die Fachjury vom
Pro Campus-Presse Award hat uns dazu ernannt.«
­Jedenfalls rufen wir es ganz kurz: Eigentlich mögen
wir Nörgler und Kritiker nämlich (zumindest die, die
sich nicht nur aufregen, um sich aufzuregen). Doch zurück zum Editorial: Jedes Mal stellen sich gegen Ende
des Layout-Wochenendes, wenn das Schreiben dieses
Textes unausweichlich wird, die Fragen: »Braucht die
Nummer 1 überhaupt ein Editorial? Wäre es nicht mal
›was anderes‹, den Text einfach wegzulassen?« Aber
weil man im Editorial ja schreiben darf, was man will
– wie wäre es mit einem Aufruf: Liebe Editorial-Leser,
schreibt (uns)! Wo wir schon beim Thema sind: Im
­Impressum links stehen weniger Redakteure und Grafiker als in der letzten Ausgabe. Und die regelmäßigen
Leser von Seite 3 werden sehen, dass das Impressum
hier neu ist – und jetzt viel mehr Platz hat. Wir können
also viiieel mehr Redakteure unterbringen als noch im
alten Layout. Vielleicht hat ja jemand Lust, seinen Namen dort wiederzufinden. Alles, was man tun muss,
ist, einen kleinen Beitrag zu leisten. Ahoi!
Da haben wir im letzten Heft extra einen
Artikel veröffentlicht, der sich mit dem Thema des
Zweiradschutzes beschäftigt – und prompt wird ausgerechnet unserem Layouter eines Nachts der Fahrradsattel entwendet. Tja, hätte er mal den ­heuler
gelesen. Da steht doch groß und breit, dass Schnellspanner unsicher sind und man die entsprechenden
Fahrradteile mit einem zusätzlichen Schloss sichern
sollte. Recht spät hat er reagiert und die Sattelstütze
seines Radels mit herkömmlichen, diebstahlsicheren
Inbusschrauben ausgestattet. Toi, toi, toi, hoffentlich
kommt nun niemand auf die Idee, die Räder abzumontieren (immer noch Schnellspanner).
Ressortleitung
Gesa Römer (Uni)
Stefanie Krauß (Leben)
Annika Riepe (Politik)
Alfonso Maestro (Kultur)
Layout
Michael Schultz
[email protected]
Lektorat
Christoph Treskow
Annika Riepe
Mitarbeit: Gesa Römer
Redaktionelle Mitarbeit:
Felix Baum, Maximilian Berthold,
Marieke Bohne, Adelwin Bothe,
Steffen Dürre, Madeline Estes,
Hannes Falke, Björn Giesecke,
Mareike Götz, Carsten Gramatzki,
Yvonne Hein, Caroline Heinzel,
Anna Hermann, Tino Höfert,
Stephan Holtz, Stefanie Krauß,
Josephine Mainka, Marten
Neelsen, Annika Riepe, Tracy
Sawallich, Michael Schultz, Marcus
Sümnick, Christoph Treskow, Jana
Wichert, Elisabeth Woldt
GESA UND ALFONSO
Web
[email protected]
[email protected]
Nach dem großen Erfolg des musikalischen
Abends zum »Rostocker Liederbuch« ist eine weitere
Aufführung angedacht. Bisher stehen jedoch weder
Ort noch Zeit fest – wie immer hängt alles am lieben
Geld und »mächtigen« Verbündeten. Ins Gespräch
gekommen ist, das bisherige Programm noch ein
wenig zu erweitern und die Aufführung nach Möglichkeit in eine größere Lokalität zu verlegen, um einem ähnlichen Ansturm wie dem letzten diesmal gelassen entgegensehen zu können. Toi, toi, toi, dass
das Engagement von Studenten und Professoren
Unterstützung findet und die schönen Melodien des
Buches erneut zum Klingen gebracht werden.
Auch die Zukunft des Interkulturellen Gartens
nimmt Form an. Seit wir im letzten heuler über das
Projekt berichteten, konnte ein neuer Platz gefunden
werden: In der Nobelstraße soll der »Garten ohne
Grenzen« bald mit Pflanzen aus aller Welt bestückt
und ein Ort des interkulturellen Austauschs und
friedlichen Zusammenlebens werden. Das Ökohaus
Rostock wird dem Ortsbeirat in Kürze das Konzept
vorstellen. Dieser entscheidet dann darüber, ob der
Interkulturalität eine Chance gegeben werden soll
oder ob die Angst vor Nazis doch zu groß ist. Toi,
toi, toi, dass die Mitglieder des Ortsbeirates den Mut
aufbringen, sich gegen rechts zu stellen.
01/12 INHALTSVERZEICHNIS
Uni
4
07
Tasche voll statt Ehrenamt?
08
Hörst du den Knall?
09
Lesen nach Vorschrift
Wie aus Freiwilligkeit schnell ein
Arbeitsverhältnis werden kann
Wenn in der Uni eine Bombe liegt …
18
Traumwohnung in Rostock
19
Pro / Contra
20
2012 überleben
Wohnungspreise in der KTV erklärt
Frühjahrsputz
Auch wir haben ein Maya-Special
Listen bestimmen das Leseverhalten
32
Politische Bildung
33
Datensammlung Facebook
34
Schon verkehrt?
36
Leben im Schatten
Wem gehört der 1. Mai? / Termine
Was passiert mit meinen Daten?
Bürgerbeteiligung in Rostock
Auf Spurensuche bei Asylbewerbern
Serie: Einmal durchs Examen
kultur
Fidi wird Lehrerin, Teil III
10
Tonnenweise Schweine
12
Achilles Verse
13
Forschen mit Gegenstand?
14
Aus den Augen, aus dem Sinn
Zahlen aus der Welt der Mensa
Wissenschaft ohne Kreativität
Ein Religionswissenschaftler berichtet
Wohin eigentlich mit dem ganzen
­Uni-Müll?
22
Dear Diary
24
Shitchat
25
London in Sicht
26
Du brauchst Geld?
Erlebnisse einer US-Austauschstudentin
Die Anonymität des stillen Örtchens
verleitet zu kreativem Vandalismus
Paddeln Richtung Olympia
Studienkredit im Praxistest
39
Mecklenburger Edeldampf
40
Gute Tipps für Deutschland
41
Filmkunst in Schwerin
42
Robbe wird Seelöwe
44
Wer war Peter Weiss?
46
Geschmackspolizei
51
Rätsel
Die Iron Horses im Interview
Änderungsvorschläge aus den Staaten
Rettung durch den Bildungsminister
Der heuler-Gründer im Gespräch
Die Peter-Weiss-Woche in Rostock
POLITIK
LEBEN
17
WG Olé
03
Impressum
Von Klischees und Wahrheiten im
gemeinsamen Zusammenleben
29
Öko-Nazis
30
OB im Interview
50
Postskriptum
Comic
Auf braunem Boden wachsen Früchte
Oberbürgermeister Roland Methling
spricht über die vergangene und die
vor ihm liegende Amtszeit
Foto: Björn Giesecke
5
DANKE für die 1!
heuler-Grillen mit Teilen des Teams und Fans, Sommer 2010
6
UNI
GRAFIK: MICHAEL SCHULTZ
Kein geld für knalltüten!
»Ich jage die Uni in die Luft, wenn ich kein Geld bekomme!« Oder war es doch anders? Der Uni drohen, um
der Prüfung zu entgehen und einen Arbeitsvertrag verlangen, damit ein Ehrenamt zum richtigen Job mit hohem
Gehalt wird? So viel Quark muss man erst einmal verdauen. Am besten bei einem von 16.000 XXL-Schnitzeln
pro Jahr aus der Mensa. Doch wohin am Ende eigentlich mit dem ganzen (irdischen) Müll? Das alles erfahrt ihr
auf den folgenden Seiten. GESA, Ressortleiterin
TASCHE VOLL
STATT EHRENAMT?
Derzeit finden sich immer wieder Mitglieder der Hochschulpolitik vor Gericht wieder. Zwei bisher ehrenamtlich
tätige Studenten klagen dort jeweils auf einen Arbeitsvertrag und Gehalt. Beide begründen ihre Klage mit
dem Wunsch nach einer einheitlichen Regelung für ganz Deutschland, beide Prozesse haben je auf ihre Weise
Beispielcharakter.
Text
GESA RÖMER
Heiko Marski gegen das Land
Mecklenburg-Vorpommern
Bislang hat der Studentische Prorektor (PSA) für seine
Tätigkeit im Rektorat 800 Euro Aufwandsentschädigung
pro Monat erhalten. Nicht genug für die geleistete Arbeit,
findet Heiko Marski und verklagt deswegen die Universität auf das Gehalt eines Professors. Viel wichtiger sei ihm
aber ein geregeltes Arbeitsverhältnis: »Ich befinde mich
jetzt seit zwei Jahren in völlig ungeklärten Verhältnissen.
Alles ist vorläufig, nichts geht. Keine Krankenversicherung, keine Rentenversicherung, keine Steuererklärung«,
so Marski im Interview mit heuler-online.
Am ersten Prozesstag im Januar stellen beide Parteien
noch einmal ihre Sichtweise dar: Während die Anwältin der
Universität daran festhält, dass das Amt des Studentischen
Prorektors ein Ehrenamt sei wie viele andere auch und Studierende ohnehin berechtigt und verpflichtet seien, an der
Gestaltung ihrer Universität mitzuwirken, bestreitet Marskis
Anwalt eben diese Auslegung als ehrenamtliche Tätigkeit.
Bereits zwei Monate später, am 16. März, wird das Urteil gesprochen. Richter Kling begründet kurz und knapp, ­warum
er die Klage ablehnt. Durch seine Wahl habe Marski ein
­Ehrenamt angetreten; die Bestellung zum PSA durch den
Rektor sei ein reiner Verwaltungsakt gewesen und habe
nicht zu einem Arbeitsverhältnis geführt. »Damit ein Vertrag
zustande kommt, müssen Angebot und Annahme übereinstimmen«, so Kling. Dies sei nicht geschehen – den Arbeitsvertrag, den die Universität Marski angeboten hat, habe
dieser aufgrund von unverhältnismäßiger Bezahlung abgelehnt. Da es damit kein Arbeitsverhältnis gegeben habe,
könne Marski nun auch keinen Anspruch auf eine höhere
Bezahlung stellen.
Die Ablehnung der Klage ist für Marski überraschend.
Mittlerweile steht deshalb fest, dass er sich mit dem Urteil
nicht zufriedengeben und in Berufung gehen wird: »Meiner
Meinung nach hat der Richter eine Frage beantwortet, die
wir ihm gar nicht gestellt haben.«
Ebenfalls offen ist nach wie vor, wie das Amt des PSA in
Zukunft an der Universität ausgestaltet werden wird. Marskis
Amtszeit endete offiziell Anfang April. Durch die Klage ist die
Stelle jedoch nicht erneut ausgeschrieben worden, sodass der
Posten derzeit unbesetzt ist. »Die Universitätsleitung bewertet
die Tätigkeit der Studentischen Prorektoren mit ­Respekt und
großer Wertschätzung und befürwortet nach wie vor eine
studentische Mitwirkung in der Hochschulleitung«, so Pressesprecher Dr. Ulrich Vetter. Die genaue Ausgestaltung müsse
nun aber durch die Gremien der Universität neu diskutiert
werden. Immer noch ist das Amt des PSA in Deutschland
­einzigartig. Ein Urteil in diesem Prozess wird sich mit aller
Wahrscheinlichkeit auch auf die geplante Einführung des
Amtes in anderen Bundesländern auswirken.
Ehemaliger Referent fordert Gehalt eines
wissenschaftlichen Mitarbeiters
Im zweiten Prozess der vergangenen Monate verklagt der
ehemalige Referent für Politische Bildung im Allgemeinen
Studierendenausschuss (AStA), Paul Wutschke, die gesamte
Studierendenschaft. Wutschke ist der Ansicht, dass für die
50 ­geleisteten Arbeitsstunden pro Monat eine Aufwandsentschädigung von 160 Euro unangemessen sei, und fordert nun rückwirkend eine Lohnzahlung von 800 Euro pro
­Monat. Umstritten ist dabei sowohl, ob Wutschke wirklich
monatlich 50 Stunden Arbeit geleistet hat, als auch, ob
überhaupt ein Arbeitsverhältnis bestanden hat und somit
Löhne statt der Aufwandsentschädigungen gezahlt werden
müssten. Weiterhin ist fraglich, inwiefern das Arbeitsgericht
7
8
für dieses Verfahren der richtige Ort und die geforderte Höhe der
Aufwandsentschädigung angemessen ist. Deutschlandweit ist die
Bezahlung der AStA-Referenten sehr unterschiedlich geregelt: Die
Spanne reicht von Aufwandsentschädigungen über Minijobs bis hin
zu normalen Arbeitsverträgen. Die Bezahlung variiert dabei zwischen
monatlich 0 und 700 Euro.
Bei zwei Gerichtsterminen erklärt der zuständige Richter Sander
ziemlich deutlich, dass er keine Anhaltspunkte für ein Arbeitsverhältnis sehe und die geforderte Lohnzahlung als übertrieben verstehe.
»Kurzum: Aus unserer Sicht ist da kein Ansatz für ein A
­ rbeitsverhältnis«,
so Sander während des ersten Streitschlichtungsgesprächs. Auch den
Vorwurf der Sittenwidrigkeit lehnt der Richter rigoros ab und erklärt,
Wutschkes Gehaltsforderungen seien vermessen. Am Ende weist er
die Klage ab.
Wenige Wochen nach dem Prozess versichert Wutschke dennoch:
»Wir werden Berufung einlegen.« Er habe von Anfang an gesagt,
dass er sich einen Vergleich wünsche, im Zweifel aber den rechtlichen
Weg weitergehen werde. »Das Gericht hat ein Urteil gesprochen.
Damit ist die Frage geklärt. Ich verstehe nicht, warum Paul sich nun
nicht zufriedengibt«, äußert sich Sarah Grote, Vorsitzende des AStA,
enttäuscht. »Viele sagen, der AStA drehe sich nur um sich selbst; dafür
können wir in so einem Fall aber nichts.« Sie hoffe, dass der Prozess
schnell beendet sei, und gibt sich ebenso wie Wutschke zuversichtlich, am Ende als Gewinner aus dem Prozess zu gehen. Inzwischen
gibt es Hinweise darauf, dass sich weitere ehemalige Referenten und
­andere von der Studierendenschaft bezahlte Studenten Wutschkes
Klage anschließen und gemeinsam wenigstens einen Vergleich,
und damit nachträgliche Gehaltszahlungen, erwirken möchten. Im
­äußersten Fall kommen auf die Studierendenschaft hohe Gehaltsnachzahlungen und dadurch vermutlich auch steigende Beiträge zu.
Für den weiteren Prozessverlauf versichern jedoch beide Parteien,
dass sie noch einen Joker in der Hinterhand hätten.
Beide Prozesse sind also noch nicht entschieden. Bisher
sind sowohl Ex-Referent Wutschke als auch der ehemalige PSA Heiko
Marski in der ersten Instanz gescheitert. Wann sich nun das Landesarbeitsgericht mit den Fällen befassen wird, ist noch unklar, und das
Ergebnis scheint weiterhin offen zu sein. Wir berichten dazu weiter
auf heuler-online.
Hipster droht mit Knalleffekt
Es muss ein sehr genialer Moment sein, den der Anrufer in
diesem Augenblick durchlebt. Er wählt am ersten verregneten Montag
im März die Nummer der Universitätsverwaltung. Seine Nachricht:
Es könne ja sein, dass möglicherweise die Chance bestünde, in den
Räumen der Universität auf einen explosiven Gegenstand zu treffen.
Kurzum: Noch bevor der Rektor den ersten Becher Kaffee intus hat,
liegt auf dem Schreibtisch eine Bombendrohung.
Mit dieser Premiere schließt der anonyme Bombendroher die Lücke
zur Hauptstadt. Nach der Mate-Schwemme und aufgeregten Mülldieben an Discounter-Tonnen gibt es endlich auch Bombendrohungen.
Es ist wie bei den ganz Großen! Ein echter Hipster ist der Anrufer also,
der Rostock so zu einer aufregenden und gefährlichen Stadt machen
will. Da ist es nur konsequent, dass er seine Rufnummer nicht unterdrückt. Echte Gangster machen das so. Ob sich das Rektorat nun mit
einem Drive-by-Shooting aus dem Rektoratsphaeton revanchiert, ist
allerdings fraglich.
Natürlich gibt es überhaupt keine Bombe. Mehr als einen Schäferhund mag da auch die Rostocker Polizei nicht aufbieten, die ohnehin
jegliche Nachfragen nach einer Bombendrohung an der Universität
nicht weiter kommentieren will. Weder der Rektor noch sonst jemand
ordnet die Räumung von Gebäuden an, gemacht wird es vielerorts
trotzdem. Es ist ein verlorener Tag für das Rektorat, den Pressesprecher
und viele Studierende. Besonders »freuen« sich die Examenskandidaten
des Lehrerprüfungsamtes, die ihre Examensklausur verlassen müssen.
Ein bisschen aufgescheucht hat der Bombendroher den Hühnerhaufen, mehr ist am Ende des Tages nicht übrig. Die Poststelle der
Universität fördert sogar noch ein unbekanntes Paket zutage, welches letztmalig die Hoffnung aufkeimen lässt, dass nun doch noch
das Bombenräumkommando anrückt. Aber es bleibt bei einem
Streifenwagen in der Ulmenstraße, der genauso gut auch nur eine
­Reifenpanne haben könnte. Und so erstrahlen der Bebeltower, das
Lehrerprüfungsamt und die Bibliothek der Rechtswissenschaften weiterhin im alten DDR-Glanz – auch wenn sich manch einer sicherlich
gewünscht hätte, dass es hier mal ordentlich kracht.
Immerhin: Nun muss sich die Uni Rostock vor ihren großen Hauptstadt-Kolleginnen in puncto Bombendrohung nicht mehr verstecken. In
Berlin wurde zuletzt 2011 die Humboldt-Universität geräumt, nachdem
im Vorfeld einer Rede des türkischen Ministerpräsidenten Abdullah Gül
eine Bombendrohung die Sicherheitskräfte auf den Plan gerufen hatte.
Kommentar
Michael SCHULTZ
Wir wissen: Die Zeit spurtet auf und davon. Die
Antwort auf die Frage, was man als Nächstes
lesen sollte (vielleicht diesen Artikel?), ist
während des Studiums daher naturgemäSS
wenig durch eigene Vorlieben bestimmt.
Eines vorweg: Es gibt Menschen, die nicht lesen.
Und solche – man glaubt es kaum –, die es tun.
Letztere haben folgendes Problem: Ein mittelmäßiger Mensch in unseren Breiten hat bestenfalls noch
etwa 25.000 Tage zur Verfügung, um wundervolle
Bücher zu lesen. (Von dieser nicht gerade selbstlosen
Sichtweise rühren auch die pathetisch anmutenden
Empfehlungsschwarten mit dem Titelalgorithmus
»Blablabla + bevor man stirbt« her.) Insbesondere
Wissenschaftler – aber auch andere, die den Drang
verspüren, Bücher zu lesen – sehen sich beinahe
täglich mit dieser skandalösen Tatsache konfrontiert.
Man kommt kaum mehr aus dem Grübeln raus,
wenn einmal der ketzerische Gedanke von einem
Besitz ergriffen hat, wer eigentlich alles darauf Einfluss nimmt, was vor dem Eingang in die ewigen
Jagdgründe gelesen werden sollte.
An der Uni Rostock gab es nun im Rahmen eines
Seminars einen frischen Ansatz, zumindest in der
Germanistik: die Studenten selbst! Das macht nur
Sinn, geht doch beispielsweise die verbindliche Leseliste des ältesten deutschen Germanistik-Instituts in
Krücken. Diese besteht bislang aus sage und schreibe 24 konkreten Titeln und sollte damit schnellstens
dem Reich des Vergessens angehören. Aufgabe
eines Hauptseminars war es deshalb, fundierte
Leselisten für bestimmte Lektüre-Zielgruppen (etwa
Erstis) und zu Themen (zum Beispiel Weltliteratur)
herzustellen. Anfangs erlebten die Studenten bei der
Auswahl zwar erhebliche methodische Schwierigkeiten, doch verwandelten sich diese durch die Zusammenarbeit schnell in kreative Konzepte. Heraus kam
mehr als ein halbes Dutzend hübscher Listen, das
nun b
­ angend auf eine Veredelung durch die Spezialisten, die Dozenten der Fachbereiche, und eine
Veröffentlichung hofft. Wie diese neue Beteiligung
also weiterwirkt und ob sie für zukünftige, nur das
Notwendige lesende Studis zum verbindlichen Verhängnis wird, ist noch offen. Springt der neue Zeitgeist vielleicht sogar auf andere Gleise um?
Es bleibt spannend! Ich muss jetzt weiterlesen.
Kommentar
CHRISTOPH TRESKOW
Nach der
prüfung ist vor
der prüfUng
Endlich ist ein Ende in Sicht, die ersten Pläne für die »Zeit danach« sind bereits
geschmiedet: Auch in dieser Ausgabe gibt uns Lehramtsstudentin Fidi Einblicke in ihr
Leben rund um das Erste Staatsexamen.
9
heuler: Fidi, Weihnachten ist vorbei und
der Sommer lässt sich langsam erahnen. Meine erste und dringendste Frage
lautet: Was ist bei dir seit der letzten
heuler-Ausgabe passiert?
Fidi: Ich habe nichts erlebt. Mein Leben ist voll
öde! Ich lerne und lerne und lerne. Ich weiß gar
nicht mehr, wie die Rostocker Clubs von innen
aussehen, und habe vor Kurzem geschworen,
dass ich mir nach meinem Studium unbedingt
einen Lenkdrachen kaufen werde.
Vermutlich gehören solche sozialen
Tiefpunkte zum Examen dazu. ­Welche
Lernordnungssysteme hast du dir
ausgedacht? Und hast du zurzeit das
Lernniveau erreicht, das du angestrebt
hattest?
Meine Mathe-Truppe (Grüße an Anne, Steffi, Matze und Christian) ist definitiv die beste
Lernorganisation. Den ganzen Examenskram als
­Alleinkämpfer zu stemmen, stelle ich mir ziemlich
frustrierend vor. Mir tut es gut, mich regelmäßig
mit meiner Leidensgenossenschaft zu treffen.
Wir schnacken über den Lernstoff, tauschen
Literatur aus, quälen uns gemeinsam durch die
mathematischen Weiten – von Isomorphiesätzen
bis hin zu Hauptachsentransformationen – oder
hängen auch einfach nur ab und erinnern uns
daran, den Kopf nicht in den Sand zu stecken.
Lernniveau? Schwierig … Halten wir es einfach
mal mit: Je mehr ich weiß, desto besser weiß ich,
dass ich nichts weiß.
Stellen wir fest: Lerngruppen sind wichtig, Lernziele nicht. Hast du denn schon
Prüfungen geschrieben?
Na klar, ich bin doch mittendrin statt nur dabei!
Pädagogische Psychologie war die erste Klausur,
gefolgt von Mathedidaktik. Das Beste daran ist
erstens die Heimfahrt nach der Prüfung mit dem
Foto: Mareike Götz
Listen lesen,
und das Leben
Gefühl, wieder einen Schritt gemacht zu haben,
und zweitens das Abheften des geschafften
Prüfungsstoffs. Die Ernüchterung lässt allerdings
nicht lange auf sich warten: Nach der Prüfung
ist vor der Prüfung.
Wohl wahr. Wie viele Prüfungen kommen denn noch und in welchen Zeitabschnitten finden sie statt?
Das Staatsexamen erfordert das Ablegen von vier
schriftlichen und vier mündlichen Prüfungen, und
zwar in den Hauptfächern, den jeweiligen Fachdidaktiken sowie den Erziehungswissenschaften.
Dementsprechend liegen noch sechs Prüfungen
vor mir. Zeittechnisch haben die Damen vom
Lehrerprüfungsamt gut geplant: Zwischen jeder
Prüfung liegen in etwa drei Wochen.
Wir wünschen dir viel Erfolg und Durchhaltevermögen!
Interview
MAREIKE GÖTZ
1001 UniFakten
10
Wissenswertes zur Universität – dieses Mal: die Mensa! Mit freundlicher Unterstützung
von Dr. Stoll, Geschäftsführer des Rostocker Studentenwerks, und Ariane Schreiber.
Die Mensa Süd wurde ursprünglich
für 3.000 Studenten konzipiert.
Sie kostete 7,7 Mio. Euro und
vom Planungsbeginn bis zur
Fertigstellung vergingen 2 ½ Jahre.
400.000
PORTIONEN POMMES,
149.000
Text
GESA RÖMER
1919
Seit 1999 bieten die Mensen des
Studentenwerkes vegane ZUTATEN an.
Die Mensa Süd war maSSgeblich an der
Einführung der Komponentenwahl
mit Teilselbstbedienung beteiligt.
Bis dahin wurden nur komplette
Tellerportionen ausgegeben.
ERÖFFNETE DIE ERSTE
»MENSA ACADEMICA«
IM FRIEDHOFSWEG.
PORTIONEN PÜREE,
100.000
PORTIONEN REIS
werden im Jahr in den
Standorten der Mensa
verzehrt.
Seit 2011 werden alle
Zusatzstoffe ausgewiesen.
Zukunftsziel ist es jedoch,
alle Komponenten frei von
Zusatzstoffen anzubieten.
Lieber F.,
Du, der junge Koch aus der Kleinen Ulme, bist für mich
das wahrgewordene Sprichwort: Liebe geht durch den
Magen. Denn, stets
freundlich, allzeit
gut gelaunt, liest
Du mir den Appetit
von den Lippen.
Du sorgst für
Gaumenschmaus
und ein intaktes
Gewissen. Sage ich
Dir die Hauptbestandteile meines
Gerichtes, weißt Du
schon längst, dass ich mir auch den Rest fleischlos
wünsche – und komponierst für mich. Dir vertraue ich
meinen Hunger furchtlos an, bei Dir bin ich immer satt
und zufrieden. Dein Dauerlächeln schließlich ist mein
süßes Dessert. Mehr brauche ich nicht für mein Mensaglück. Lieber F., ich gebe zu: Ich liebe Dich wie Apfelmus.
Deine A.
1.600
Kilogramm kaffeepulver
werden PRO jahr FÜR
135.000
PORTIONEN KAFFEE oder
KAFFEESPEZIALITÄTEN
VERBRAUCHT.
640
In der Zeit von 11:30 Uhr bis 14 Uhr werden an den Kassen
der Südstadt-Mensa im Jahresdurchschnitt pro Minute 12
Studenten bedient.
16.000 XXL-
SChnitzel werden in den
Mensen des Rostocker
Studentenwerkes jährlich
verkauft.
32.000
PORTIONEN SALAT UND
18.000
PORTIONEN DESSERTS
gingen im letzten Studienjahr
über die Mensa-Theken.
23
studenten finden platz
in der südstadt-mensa.
Bei der neuesten Aktion wird einmal
monatlich das Wunschgericht der
Mensa-Esser gekocht.
Außerdem ist die Bildung von Ausschüssen
geplant. Hier sollen die Mensen im direkten
Austausch mit ihren Gästen stehen.
Tonnen Schweinefleisch werden jährlich
für die verzehrten Steaks benötigt.
Das entspricht dem Gewicht von etwa 200
schlachtreifen Schweinen.
Es stimmt nicht, dass die
Bratkartoffeln am Freitag aus den
Kartoffeln der zurückliegenden
Woche gemacht werden.
35.000
In allen Mensen des Rostocker
Studentenwerkes produzieren die
Mitarbeiter das Essen selbst.
PORTIONEN ROTKOHL werden
PRO SEMESTER VERKAUFT.
Damit ist Rotkohl der Renner
unter den Beilagen.
11
ACHIL
LES VE
RSE
12
Wissenschaft ohne Kreativität?
Wer beschließt, Germanistik zu studieren, interessiert sich in der Regel für die
Sprache, liest und schreibt zumeist gern Gedichte oder Geschichten. Doch wer
denkt, dies im Studium ausleben zu können, wird enttäuscht – zumindest an
der Universität Rostock. Bachelor- und Masterstudenten scheinen besonders in
der Literaturwissenschaft Meister im Wiederholen und Umformulieren zu sein –
denn mehr tun wir doch eigentlich nicht. Eigenproduktion? Fehlanzeige! Sicher
ist dies eine Art der Verinnerlichung, gerade um sich Grundlagen anzueignen.
Aber Germanistik ist doch keine trockene Wissenschaft ohne Kreativität! Wenn
wir die deutsche Sprache mit all ihren Facetten studieren, warum können wir
uns darin nicht auch ausprobieren?!
Mit dem Prosawettbewerb bietet unser Institut für Germanistik immerhin
eine Möglichkeit, sich gestalterisch auszuleben. Sicherlich eine gute Idee, aber
das ist zu wenig und nicht jeder möchte mit seinen Zeilen in einen Wettbewerb
treten. Der einzige kreative Kurs »Zu ausgewählten Problemen der Rhetorik und
Textproduktion / Produktives Schreiben« bleibt allen Bachelor- und Masterstudenten verwehrt, da er nur für Lehramtsstudierende konzipiert ist und nur
sie die Ehre haben, kreativ sein zu dürfen – eine Frechheit! In diesem Punkt
­beneide ich meine Freundin Cindy aus Leipzig, die ebenfalls Germanistik
studiert. Dort gibt es ein zweisemestriges Seminar »Literarisches Schreiben«,
das sogar studiengangsunabhängig ist! Wissen schafft Kreativität und die sollte
doch gefördert und nicht ignoriert werden.
­
Die Achilles Verse müssen nicht die Meinung der Redaktion wider­
spiegeln. Schildert uns euer Problem und wir veröffentlichen es
– auch anonym.
>>
[email protected]
Foto: Uni Rosotck/ITMZ
Die Religionswissenschaft muss vornehmlich mit zwei Irrtümern kämpfen: dass Religion
mit zunehmendem Fortschritt verschwinde und dass Religionswissenschaftler(innen)
selbst religiös sein müssten. Doch Religion ist präsenter denn je, und verantwortliche
Forschung braucht reflektierte Distanz. VON KLAUS HOCK
Wie die Geschehnisse rund um den 11. September eindrucksvoll belegen, kann es riskant
sein, die Religion bei der Analyse geschichtlicher
Entwicklungen und gesellschaftlicher Prozesse zu
ignorieren. Doch auch jenseits spektakulärer Ereignisse ist sie im Alltag selbst jener Gesellschaften,
in denen Religion vermeintlich keine Rolle mehr
spielt, auf vielfältige Weise präsent: entweder
ganz manifest, nachdem zum Beispiel im Zuge
von Globalisierung und Migration ­
dynamische
Formen von Religion Teil der gesellschaftlichen
Realität geworden sind, oder latent – in Gestalt von Phänomenen, die zwar nicht mit dem
Begriff »Religion« belegt werden, aber faktisch
religiöse Qualität haben. Die Religionswissenschaft beschäftigt sich mit Religion an beiden
Enden dieses Spektrums. Ein am Fachgebiet »Religionsgeschichte – Religion und Gesellschaft«
­angesiedeltes Forschungsvorhaben ­beispielsweise
untersucht das Selbstverständnis afrikanischer
Kirchen in Deutschland, und im Rahmen eines
interdisziplinären Verbundprojekts geht es unter
anderem um die Frage, inwieweit die Analyse
religionsähnlicher Ausdrucksformen Hinweise auf
PROF. KLAUS HOCK
hat seit 1996 den Lehrstuhl für »Religions­
geschichte – Religion und Gesellschaft« an der
Uni Rostock inne. Er interessiert sich besonders
für Grenzen zwischen Religion und Kultur
und forscht zu den Themen Islam, Afrika und
Transkulturation.
Web
tinyurl.com/d252wkw
tinyurl.com/dxote5l
eine »Religionsproduktivität«, also die Neubildung
von Religion, ergeben könnte.
Im erstgenannten Forschungsprojekt ist »Reli­
gion« als prominente Größe greifbar, handelt
es sich bei den untersuchten Gruppen doch um
Kirchen – die wohl typischste Vergemeinschaftungsform des Christentums. Der spezifische
Beitrag religionswissenschaftlicher Forschung
besteht darin, dass sie mit der Religion einen
Faktor in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt,
der im Wissenschaftsdiskurs über Migration und
Integration häufig »wegerklärt« zu werden droht
– und das, obwohl er doch für Selbstverständnis
und ­
Migrations- beziehungsweise Integrationsstrategien von entscheidender Bedeutung ist. Die
Religion dient den Betroffenen nämlich nicht nur
dazu, mit ­Unsicherheiten und Brüchen oder mit
Erfahrungen von Diskriminierung, Rassismus und
Ausgrenzung umzugehen, sondern ermöglicht
13
WISSENSCHAFTSSERIE
WISSENSCHAFT
OHNE GEGENSTAND
ihnen flexible Identitätsmarkierungen und -positionierungen gegenüber und in der Aufnahmegesellschaft, der Herkunftsgesellschaft und der Migrationsgemeinschaft.
Schwieriger wird es dort, wo auf den ersten
Blick keine explizite Religion erkennbar ist. Denn
die Religionswissenschaft hat keinen Lackmustest
für Religion. So scheint ihr auch mit dem vermeintlichen Verschwinden von Religion in manchen
Gesellschaften nach und nach ihr Gegenstand abhandenzukommen. Aber verschwindet die ­Religion
tatsächlich? Ist sie wirklich nicht vorhanden, nur
weil sie nicht mehr deutlich erkennbar ist? War sie
je weg, wo sie plötzlich wiederzukehren scheint?
­Sicherlich wird ein Phänomen nicht zur Religion,
indem ihm einfach das Etikett »Religion« aufgeklebt wird. Auch wenn viele M
­ enschen beispielsweise mit sprichwörtlich religiöser Inbrunst Sport
betreiben, macht dies den Sport noch nicht automatisch zur Religion. Doch die Übergänge sind
gleitend und der Schwerpunkt zwischen beiden
Bereichen kann durchaus kippen – so etwa zwischen Fußball und Religion, wenn David Beckham
(ohne eigenes Zutun) in einem Bangkoker Tempel als buddhistischer Schutzheiliger Aufnahme
findet, aber auch, wenn durch den Sport eine
Transzendenz generiert wird und eine Art »höhere
Macht« zur entscheidenden Instanz avanciert, zur
»alles bestimmenden Wirklichkeit« selbst jenseits
des Fußballfeldes.
Für die Forschungspraxis ist es in diesem Zusammenhang sinnvoll, wiederum zwischen religion­
s­­­­­­­affinen und religionsäquivalenten Formen zu
unterscheiden: Im ersten Fall wird indirekt auf Religiöses Bezug genommen, wobei sich auch inhaltliche Anklänge erkennen lassen – zum Beispiel in
der »Verehrung« der »Mutter Erde« als Repräsentanz der Natur in manchen spirituell-ökologischen
Gemeinschaften –, während es im zweiten Fall
bloß strukturelle Analogien mit funktionalen Bezügen zur Religion gibt – so etwa, wenn Raver(innen)
oder Besucher(innen) von Rockkonzerten Momente ekstatischer Verzückung und Verschmelzung
erleben.
Unabhängig davon, ob sie es mit Religion in
»harten« oder »weichen« Gestaltungen zu tun haben, sollten Religionswissenschaftler(innen) um
eine doppelte Distanz bemüht sein – sowohl gegenüber der eigenen als auch gegenüber der anderen Religion, wobei beispielsweise fundamentaler Atheismus oder prinzipieller Agnostizismus
im Sinne einer religionsaffinen beziehungsweise
äquivalenten Qualität ebenfalls zur Kategorie »eigene Religion« zu rechnen wären. Denn die Feststellung des Religionssoziologen Ernst Troeltsch
hat nach wie vor Gültigkeit: »Geistige Mächte
können herrschen, auch wenn man sie bestreitet.«
14
Foto: Maximilian Berthold / Grafik: Michael Schultz
Aus den Augen,
aus dem Sinn
Im Juni 2012 wird in Deutschland das erweiterte Kreislauf­
wirtschaftsgesetz in Kraft treten. Dieses regelt die ordnungs­
gemäSSe Entsorgung und Verwertung von Abfällen und
hat zum Ziel, dass mehr in den Rohstoffkreislauf zurückgeführt
wird. Grund genug, uns einmal umzuschauen, was eigentlich die
Uni Rostock mit ihrem Müll macht, was diesbezüglich unternommen
wird und woran es noch hakt.
Auf den ersten Blick scheint es an unserer Uni eine große Lücke in puncto Recycling und
­ordnungsgemäßer Entsorgung zu geben: Überall stehen lediglich die kleinen metallenen Abfalleimer für Restmüll und Wertstoffe. Warum aber fehlen Tonnen für den Papiermüll in den ­Vorlesungsund Seminarräumen? Und ohnehin hat doch jeder Student wenigstens einen Bekannten, der behauptet: »Wird doch eh alles wieder von den Putzfrauen zusammengeschmissen!« Diese beiden
Beobachtungen haben jedoch nur bedingt Aussagekraft über die wirkliche Situation.
Unsere Universität ist im Besitz großer Papiertonnen, und jeglicher uni-intern anfallende
­Papiermüll wird dort auch entsorgt. Dass es (noch) keine Abfalleimer für Papiermüll in den Lehrräumen gibt, habe dagegen mehrere Gründe, erklärt Frau Dr. Stelter, Abfallbeauftragte der Universität. So müssen Papiertonnen in öffentlichen Gebäuden Brandschutzbestimmungen erfüllen
und können nicht einfach als weitere kleine Eimer dazugestellt werden. Diese speziellen Container
brauchen zudem zusätzlichen Platz – Platz, der oft nicht vorhanden ist. Ein noch größeres Hindernis mag jedoch darin liegen, dass die Kosten für solche Investitionen im aktuellen Haushalt der
Uni schlicht nicht vorgesehen sind. Umsetzen lassen sie sich daher frühestens in den kommenden
Jahren.
Dass Reinigungskräfte den Müll, der von Studenten und Dozenten fein säuberlich in schwarze
und gelbe Tonnen getrennt wurde, einfach wieder zusammenwerfen, ist ein ebenso oft gehörter
Vorwurf. Sicher gibt es auch Fälle, in denen das vorkommt. Die Uni besitzt jedoch Verträge mit
mehreren Reinigungsfirmen, in deren neuesten Fassungen die Firmen und ihr Personal zur Abfalltrennung verpflichtet sind.
Für die Behandlung von alten Laborgerätschaften hingegen verfügt die Hochschule über eine
interessante Praxis: Im Entsorgungshof der Albert-Einstein-Straße 3 existiert eine Glas- und
Chemikalien­börse. Mitarbeiter der Universität können dort ungenutzte Bestände an Laborglas
und Chemikalien abgeben. Sollten andere Arbeitsgruppen oder Fachbereiche davon etwas benötigen, dürfen sie es kostenlos abholen. Durch diesen universitätsinternen Tausch können oft
Neuanschaffungen von teuren Labormaterialien vermieden und Restbestände, besonders mit
Blick auf die Chemikalien, effektiv genutzt werden. Allein im Jahr 2011 konnte man dadurch rund
73.000 Euro einsparen. Auch sonstige Buntmetallreste, Schrott, Tonerkartuschen und Bleiakkumulatoren sowie alte CDs werden gesammelt und wiederverwertet.
Insgesamt zeigt sich, dass die Universität ein Verständnis für Recycling und Abfall­
entsorgung besitzt, und das nicht erst seit Eintreten einer allgemeinen Rohstoffverknappung.
Auch wenn es noch Verbesserungsmöglichkeiten gibt und einige Fragen zur Entsorgung in
naher Zukunft offen bleiben, so ergibt sich dennoch das Bild eines wachsenden Bewusstseins
für die Belange der Umwelt. Es sollte jedoch nicht nur das Ziel sein, möglichst effektiv zu
­recyceln und den entstandenen Müll zu verbrennen, sondern ihn gar nicht erst zu produzieren. Dabei ist jeder Einzelne – Student, Dozent und Mitarbeiter – in der Pflicht. Ein sparsamerer Umgang mit unseren Ressourcen und ein gesteigertes Umweltbewusstsein sollten für
jeden von Belang sein.
Text
MAXIMILIAN BERTHOLD
phones.pdf 1 20.03.2012 23:55:21
16
LEBEN
FOTO: FELIX BAUM
DAS ende ist nah! vielleicht ...
Ob Club-Mate wirklich zur Apokalypse führt? Das erfahrt ihr im Weltuntergangsspecial. Last-Minute-Wünsche
wie: Bäume pflanzen, Kinderwunsch oder ’ne schnelle Hochzeit könnt ihr vielleicht dank des StudienkreditRatgebers verwirklichen. Und für ein bisschen Freude sorgen der zweite Erfahrungsbericht unserer
amerikanischen Gaststudentin Madeline und die Auswertung von Kloverzierungen. Also, habt noch ein
bisschen Spaß in diesem Leben … STEFFIE , Ressortleiterin
WG Olé
Natürlich kann man allein in die erste eigene Bude ziehen, doch nach einem Blick auf das studentische Budget bleibt
meist nur die Einzimmerwohnung in den bekannten Stadtrandvierteln. Also beschlieSSen viele, sich einer Lebensweise
unterzuordnen, die als Wohnungsgemeinschaft bezeichnet wird. Immerhin gibt es viele Gründe, die dafür sprechen:
Man lernt Leute kennen, schmeiSSt Partys, kocht, lacht und lebt gemeinsam. So die Vorstellung naiver Erstis.
In den seltensten Fällen werden WGs neu gegründet. Vielmehr
existieren sie schon seit gefühlten Äonen als eine Art Institution,
deren Mitglieder im Rhythmus einiger Monate oder Jahre sukzessive ausgetauscht werden. Dabei hat es sich aufgrund der
großen Nachfrage und des geringen Angebots eingebürgert, den
Bewerber für ein leer gewordenes Zimmer mit einem Casting zu
empfangen und ihm auf den Zahn zu fühlen. Bis zu dreißig Kandidaten pro Tag sind dabei keine Seltenheit. Mit den immer gleichen Fragen nach Name, Herkunft, Studiengang, Interessen und
Sauberkeit werden Profile erstellt und durch ein ausgeklügeltes
Bewertungssystem miteinander abgeglichen. Daraus ­resultieren
hochqualitative Urteile wie: »Ich find’ ihn sympathisch« oder »Die
war aber süß«. Stimmt die Jury einer solchen Bewertung mehrheitlich zu, kann ein Anwärter darauf hoffen, eine Zusage zu
­erhalten. Wird hingegen kein Konsens gefunden, entscheidet das
Los über die Wahl des neuen Mitbewohners.
Am Anfang schuf Gott den Putzplan,
und er sah, dass es gut war ...
Wenn viele Seelen unter einem Dach leben, ist Schmutz eine kaum
zu vermeidende Konsequenz. Weil Mama nun nicht mehr zur
Stelle ist, setzt man sich zusammen, um einen Putzplan auszuarbeiten. Minutiös wird dabei jeder Quadratzentimeter und Handgriff unter den Mitbewohnern aufgeteilt sowie jene Tage der Woche festgelegt, an denen jeder seiner Pflicht nachkommen muss.
Und siehe da, es funktioniert – zumindest zwei oder drei Wochen
lang. Dann kommt es zu ersten Verzögerungen. Sätze wie »Das
mache ich morgen« oder »Das wollte ich gerade machen« fallen
immer häufiger. Oft entsteht auch ein Ungleichgewicht zwischen
jenen, die Türmchen aus Tassen, Töpfen und Tellern bauen, und
solchen, die versuchen, sie wieder einzureißen. Dieses Spiel geht
so lange gut, bis einem Beteiligten die Hutschnur platzt. Dann
kommt es zu einer hitzigen Diskussion, in deren Folge entweder
einer gehen muss oder jemand reumütig Besserung gelobt. Man
verspricht, sich von nun an unter Auf­erlegung von Sanktionen an
den Putzplan zu halten, und das Spiel beginnt von vorn.
Teile und herrsche
Teilen ist ein grundlegendes Prinzip jeder WG. Doch nicht nur
Wohnfläche und Miete werden geteilt. Auch andere Dinge des
täglichen Lebens untergliedern die Mitbewohner in Dein und
Mein. Beliebt sind hier vor allem die Fächer im Kühlschrank, das
Foto: Felix Baum
Das Casting
17
dreckige Geschirr oder eine besondere Form der Mülltrennung in
deinen und meinen Mist. Nur die Zeit für die morgendliche Badbenutzung möchte niemand teilen. Dabei kann Teilen auch Spaß
machen. Wer kennt das nicht, wenn man am Sonntagabend verzweifelt in das leere Fach im Kühlschrank schaut und nur eine
gähnende Leere vorfindet? Gut, wenn man sich dann am gut
gefüllten Abteil der anderen bedienen kann. Wobei ein Mitbewohner natürlich nicht nur Mittel zum Zweck sein sollte. Vertilgt
man das eben entwendete Bier gemeinsam vor dem Fernseher,
entsteht fast so etwas wie eine heimelige Atmosphäre.
Menschliches, allzu Menschliches
Da stellt sich die Frage: Rechtfertigen die ökonomischen Vorteile­
einer Wohngemeinschaft wirklich die genannten Strapazen?
Doch eine WG ist im Idealfall nicht nur eine Gemeinschaft zu
beiderseitigem Vorteil, sondern auch eine, die eine Freundschaft
zwischen den Leidensgenossen erzeugt, oder sogar eine familiäre
Atmosphäre. Dies wird nicht zuletzt durch gemeinsame Erlebnisse
gefördert, etwa wenn man den sturzbetrunkenen Mitbewohner
unter fortwährenden »Ich liebe dich, Mann«-Bekundungen vom
Club zum Bett eskortiert. Selbst wenn es nicht die gemeinsamen Abenteuer sind, die zusammenschweißen, so ist doch die
Gewissheit beruhigend, dass jemand da ist, wenn man nach
­
einem harten Tag zu Hause auftrifft. Und sollte man sich dann
tatsächlich sonntags kochend und bei einem Glas Wein plappernd in der Küche wiederfinden, kommt dem ein oder anderen
vielleicht doch der Gedanke: »Gar nicht so schlecht, so ’ne WG.«
Text
FELIX BAUM
Foto: ehst.wordpress.com
ROSTOCK SUCHT
BEZAHLBAHRE
TRAUMWOHNUNG
Jeder weiSS von dem Problem, fast jeder hat es einmal mitgemacht oder kennt mindestens zwei
Kommilitonen, die es gerade durchmachen: eine bezahlbare Unterkunft in Rostock finden, möglichst in
zentraler Lage – ein Hindernismarathon, der immer mehr »Ausdauersportler« verlangt.
18
Gentrifizierung – das ist, wenn bezahlbarer Wohnraum zur Mangelware wird. Aber was genau verbirgt
sich dahinter? Ganz allgemein kann man von einem
städtischen Aufwertungs- und Verdrängungsprozess
sprechen: Ärmere Bevölkerungsgruppen werden durch
steigende Mieten aus bestimmten Bereichen der Stadt
vertrieben. Sie müssen wegziehen, wenn wohlhabendere Menschen oder vermeintlich effizientere Nutzungen Einzug halten. Nichts Neues, sondern ein altes und
bekanntes Problem. Aber dass auch Akademiker und
Besserverdiener von diesem Prozess betroffen sind,
gibt dem Phänomen neuen Auftrieb in der öffentlichen
Wahrnehmung.
Ein Blick in die Kröpeliner-Tor-Vorstadt (KTV): Wo
Rostock vor 20 Jahren noch grau in grau war, stehen
nun die bunten Häuser, bewohnt von Studenten und jungen Familien. Es fehlt auch nicht am Bioladen. Die Bars
und Clubs sind hier. Junge Familien und hippe Menschen wollen in dem Viertel wohnen, was die ­Mieten in
die Höhe treibt. Nach der Wende steckte man Geld in
den damaligen »Elendsbezirk«; es wurde saniert, Klos
wurden nicht mehr auf dem Flur, dafür ­Balkone an die
Häuser gebaut. Die nicht so wohlhabenden Menschen
wurden in Richtung Stadtrand und in die Plattenbausiedlungen gedrängt.
Selbst so mancher Student scheut sich, in den ­äußeren
Bezirken eine Wohnung zu nehmen, da diesen nicht immer ein guter Ruf vorauseilt und sie sich weit weg vom
Zentrum zu befinden scheinen. Die Gentrifizierung in
Rostock ist hausgemacht, politisch i­nitiiert: Es floss viel
öffentliches Geld in die Sanierungen der KTV, um den
Stadtteil aufzuwerten und vor dem Verfall zu retten. Das
Ergebnis: Die Studenten suchen noch immer Wohnungen im angesagten Bezirk und der unmittelbaren Umgebung, finden aber gar keine, unerschwingliche oder
lediglich solche, die gegen hohe Provisionen an Makler
zu bekommen sind. Makler, die wiederum nur die Wohnungstür aufschließen.
Eine Lösung könnte ein Studentenwohnheim sein.
Über 200.000 Einwohner beherbergt Rostock, davon
über 15.000 Studenten (WS 2011/12) mit steigender
Tendenz. In den zehn Wohnheimen des Studentenwer-
kes stehen für Rostock und Wismar jedoch nur etwa
2.200 Wohnheimplätze zur Verfügung, womit weniger
als ein Viertel der Studenten abgedeckt wird. Daher
müssen sich viele mit einem Platz auf der Warteliste
begnügen. Das Deutsche Studentenwerk schrieb im
­Oktober 2011, der Mangel an Wohnheimplätzen sei ein
bundesweites Problem, doch arbeite man an diesem. So
wies Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde darauf hin, dass »Studierende nicht nur einen Studienplatz,
sondern auch ein Dach über dem Kopf benötigen. Das
geht nur über zusätzliche Wohnheimplätze«.
Baden-Württemberg, Bayern und Hessen sind derzeit am aktivsten beim Wohnheimbau für S­ tudierende.
Wieso wird die soziale Infrastruktur nicht auch in Mecklenburg-Vorpommern gestärkt, obwohl Rostock im Bundesdurchschnitt nicht gerade gut dasteht?
Hinzu kommt noch der immer wieder auf­geworfene
Verdacht, laut dem neue studentische Wohnanlagen wie
die am Ulmenhof oder an der Hundertmännerbrücke
mit modernen Apartments, mit Balkon und Pkw-Stellplätzen nicht nur für Studenten attraktiv seien: Zentral
und in Uninähe macht es sich hier anscheinend auch
der eine oder andere Dozent bequem, also jene Gruppe, die für die steigenden Mieten mehr übrig haben
sollte. Die »Allgemeinen Mietbedingungen für Studentenwohnheime des Studentenwerkes Rostock« untersagen dies eigentlich strikt. Wohnberechtigt ist demnach
nur, wer eingeschriebener Student ist. Die B
­ erechtigung
endet mit dem Ende des Semesters, in der die Exmatrikulation ausgesprochen wird. Zu beachten sei hier aber,
dass auch Dozenten zuweilen noch einen Studentenstatus ausweisen können.
Letzte Lösung: Einige frisch zugezogene Studenten
zieht es auf ihrer Wohnungssuche als Zwischenstopp
in Hostels. »Zwischen Mitte September und November
quartieren sich hier Studenten ein, die meistens nur zwei
oder drei Nächte bleiben wollen und dann doch bis zu
drei Wochen bleiben«, so Steffi Tigges, Mitinhaberin des
Jellyfish Hostels. Ein bedenkliches Szenario, dem hoffentlich noch Einhalt geboten werden kann.
Text
JANA WICHERT UND
JoSEPHINE MAINKA
HILFE, ICH SUCHE
EINE (NEUE) BLEIBE!
Mappe mit allen nötigen Dingen
bereithalten: Einmal zusammengestellt
ändert sich kaum etwas. Enthalten sein
sollten: Kopie des Personalausweises,
Schufa-Auskunft, Verdienstnachweis der
letzten Monate, Bürgschaft, Nachweis
über die Mietschuldenfreiheit.
Couchsurfing: Als Möglichkeit,
Anschluss zu finden, die Stadt kennen­
zulernen und an jeder Menge
Wohnungsbesichtigungen teilzunehmen,
ideal.
Das Hostel: Bietet die gleichen
Möglichkeiten und dazu oft auch
Gleichgesinnte auf Wohnungssuche,
manchmal ergibt sich daraus sogar eine
Wohngemeinschaft.
Das Schwarze Brett: Oldschool, aber
bewährt. Dort werden neben Büchern
auch Wohnungen, Zwischenmieten und
WG-Partner gesucht und angeboten.
Bei den Studentenwohnheimen
gilt: Der frühe Vogel fängt den Wurm!
Die Wartelisten sortieren sich nach
Eingang der Bewerbung.
Für WG-Besichtigungen wichtig:
Nicht nur das Zimmer oder die Wohnung
anschauen, sondern mit den Bewohnern
ins Gespräch kommen, präsent sein,
einen Eindruck hinterlassen.
Text
Grafik: Alexey Kovalchuk / 123rf.com
PRO
ANNA HERMANN
Eigentlich war ich ja nie ein großer Putzfan und wäre unter
normalen Umständen auch sicher nie einer geworden. Als sich aber
vor gar nicht allzu langer Zeit die ersten Frühlingsboten meldeten,
begann auch die Bearbeitungszeit meiner Masterarbeit. Seitdem
kann ich gar nicht mehr genug vom Putzen bekommen! Je mehr
Bücher und kopierte Aufsätze sich auf meinem Schreibtisch stapeln,
desto stärker wird mein inneres Bedürfnis, alles auf Hochglanz zu
polieren. Zuerst wurden sämtliche Schränke ausgemistet und gewischt, dann gesaugt, Staub gewischt … Als ich mich dann endlich
wieder an meine Arbeit setzen konnte, drangen die ersten Frühlingssonnenstrahlen durch mein Fenster, dem nun aber der Winter eine
fürchterliche Dreckschicht verpasst hatte. Ganz klare Konsequenz:
Die Fenster mussten geputzt werden, und das natürlich in der ganzen
Wohnung. Mittlerweile bin ich wohl schon so etwas wie ein Putzaholic geworden. Der Nachteil daran ist jedoch, dass irgendwann wirklich alles sauber ist und nichts mehr zu putzen bleibt. Also werde ich
mich wohl wieder hoch konzentriert meiner Masterarbeit widmen,
mir den Laptop schnappen und – einen Moment mal: Die Tastatur
strotzt ja geradezu vor Staubkörnern …
19
FRÜHJAHRSPUTZ
rollo runter oder fröhlich sidolin sprühen?
was haltet ihr vom frühjahrsputz?
CONTRA
Text
ALFONSO MAESTRO
Petra-Ratgeber raten jährlich dazu: »Bohnern Sie die Dielen.« Wie
pervers. Nein, im Ernst: Wieso alles scham-ponieren, exhibieren?
Ich rede vom kathartischen Ritual der schönen Tage: Junghwajeol,
Yeongdeunggut­, oder ganz schlicht, wenn auch nicht so bestsellerischbuddhistisch, weil es so dümmlich klingt wie »Müsli«: Frühlingsputz. Nur
ein Wetterfetischist (ein Fetischist des schlechten Wetters) würde traurig
werden, wenn es schön wird. Okay. Putzen an sich ist mindestens so lustig wie der Vordersitz für meine Knie oder dich zurückrufen und solche
Dinge. Doch man wird einen Ballast los – alte zölibatische Wollpullover
und Zettel von der Sorte »Aus-der-Jeans-in-die-Schublade«, die man
notgedrungen entsorgen muss. Dabei wird es oft spät, wie mein Name,
vielleicht 2 a. m. An einigen Fundstellen machen die Moleküle zwar
einen Jive. Man findet aber auch bedeutungslose Souvenirs wieder, denen man kein neues Visum für die Hütte ausstellt. Und Gefühle und
Ideen,­die man besser mit Vanish behandelt. Will ich Verschleierung
oder Wahrnehmung? Einsen und Nullen, oder (huch!) das Foto von
(bitte selbst ausfüllen). Es ist so ein Marx-Ding … aber ich glaube, dass
Nicht -Sehen auch Größe und Glück birgt.
ONE DOES
NOT SIMPLY
SURVIVE
2012
20
DRAMATISCH: viele kalender enden im dezember
2012. Leider auch die zeitrechnung der maya,
was unzweifelhaft zur vernichtung allen lebens
führen wird. aber wie? NAMHAFTE EXPERTEN erklären den
weltUntergang und verraten, welche vorbereitungen
getroffen werden können.
Text
Stefanie KRAUß, MAXIMILIAN BERTHOLD, MICHAEL SCHULTZ
HARE KRISHNA, ALTER VISHNU!
Dr. Gottfried Besenbrand weiß: »Gott ist tot! Das hat doch
schon dieser Nietzsche geschrieben. Wer soll uns also am Ende
aller Tage gegen die fiesen Hindu-Heiligen beschützen?« Die
spontane Vernichtung der Welt kurz vor Weihnachten sei besonders
furchtbar, so Besenbrand. »Immerhin läuft das Weihnachtsgeschäft
auf vollen Touren, nie ist der Klingelbeutel so reichlich gefüllt. Das
Geld aus dem letzten Jahr investieren wir jetzt in goldene BuddhaStatuen. – Mein Tipp: Lernen Sie schon mal das eine oder andere
Wort Sanskrit, damit Sie um Gnade flehen können!«
STRAHLENDE ZUKUNFT
Laut Greenpeace-Aktivist Otto Kernheimer-Henne werden
noch in diesem Jahr diverse Atommeiler in die Luft fliegen: »Spätestens zum 21. Dezember benötigen die Haushalte in den Vereinigten
Staaten für die weihnachtliche Außenbeleuchtung vier bis 21 zusätzliche Atommeiler. Dass da was schiefgehen kann, ist mathematisch
immerhin noch belegbar! Und übrigens: Was meinen Sie denn,
­warum die Maya keine Atomkraftwerke hatten?«
Leider ist ihnen dann beim Kalenderschreiben »wohl
auch der Saft ausgegangen«. – Überlebenstipp:
Bereits in den 1950er-Jahren wusste man, dass ein
Pappkarton vor Strahlung schützt: tinyurl.com/ctvljfb
»Natürlich sterben am 21. Dezember die meisten Menschen auf den
weltweiten Weihnachtsmärkten«, weiß Mediziner Dr. Jürgen Infusio.
»Bereits die Maya wussten um die gefährliche Kombination aus Grippeschutzimpfungen und Glühwein.« Darum verzichteten sie in der Regel auf
beides. – Überlebenstipp: »Trinken Sie keine Grippeimpfung und lassen
Sie sich keinen Glühwein spritzen! Und falls Sie dann am Ende des Jahres
doch ziemlich allein sein sollten – schauen Sie doch mal bei ›I am Legend‹
nach den schönsten Orten, um mit Ihrem Schäferhund Golf zu spielen! Sie
haben keinen Hund? Dann nehmen Sie eben Ihre Katze!«
Fotos (4): Maximilian Berthold / Grafik: Michael Schultz
ARTENSCHWUND DANK GRIPPE-IMPFUNG
ASTEROIDEN-HAGEL
»Ich habe bei einem Blick in meine Kristallkugel einwandfrei feststellen
können, dass die Maya mit ihrer Untergangstheorie recht haben könnten«, so Margaretha Feuerstein. So habe sie auf Nachfrage an die
Kugel zu den Ereignissen am 22. Dezember lediglich Glas gesehen. Auch
das Polieren mit Sidolin half nicht weiter. »Vermutlich wird es ein Asteroid!
Schließlich kann uns Bruce Willis ja nicht ständig vor so etwas retten!« –
Überlebenstipp: »Schauen Sie immer wieder ›Armageddon‹ und lernen
somit, wie man mit Leichtigkeit Himmelskörper atombomben kann. Aber
dazu müssen Sie natürlich US-Amerikaner sein!«
CLUB-MATE: TREIBSTOFF DER ZOMBIE-APOKALYPSE
Bisher als Techno-Fans und Raver bekannt, könnte es nach
Ansicht des populären Getränkeforschers Helmut Sternburg bald eine neue Generation von Zombies geben.
Durch den übermäßigen Konsum bestimmter Extrakte aus
der Mate-­P flanze steige die Wahrscheinlichkeit, als hirnloser Hirnfresser zu enden und die Menschheit terrorisieren
zu wollen. »Besonders gefährlich ist die Winter-Mate«, so
Sternburg. Eine kritische Konzentration könne kurz vor Weihnachten in diesem Jahr durchaus erreicht werden. – Sternburgs Tipp: »Das Gesöff schön in die Gosse schütten. Eine
Kettensäge kann ich mir nämlich nicht leisten. Und haltet
euch besser von den Spätis in der KTV fern!« Diese kämen
laut Sternburg als Zombie-Zentren besonders infrage.
der feind aus dem blumentopf
Prof. Jonas Eramis erklärt: »Der Feind kommt
aus dem heimischen Blumentopf. Pünktlich zum
­21. Dezember bilden gemeine Pflanzen sogenannte Allelochemikalien, die uns reihenweise
von ­Dächern und anderen Erhöhungen fallen
lassen, was einen spektakulären Tod zur Folge
hat.« Nicht mal Agent Orange kann die epischen
Endzeit­blüher vernichten ... Wäre da nicht Mark
Wahlberg! – Prof. Eramis empfiehlt: »Schauen Sie
sich doch mal ›The Happening‹ an, den hat mein
Schwager günstig in seiner Videothek.«
TOP-6-ORTE FÜR
DEN WELTUNTERGANG
Ostseestadion (Verzeihung,
DKB-Arena): Wenn jemand
weltuntergangserprobt ist, dann
die Fans des FC Hansa Rostock ...
Pleitegeier: Gleich dran gewöhnen
– der Geier sieht drinnen schon aus
wie draußen nach dem Atomkrieg.
Außerdem: Bier ist billig!
Grünes Ungeheuer: Die bleihaltige
Farbe der Außenwände ermöglicht
kakerlakengleich das Überleben von
radioaktiver Strahlung. Außerdem gut
umrüstbar als Zombie-Festung.
Bibliothek der Rechts­
wissenschaften (Lichtenhagen):
Hat den DDR-Untergang überlebt. Wird
auch den kapitalistischen Weltuntergang
überdauern!
Südstadt-Mensa: Nirgends serviert
der Zombie-Küchenchef so frisches
Hirn wie an der Vitaltheke.
Der Bunker: Es ist halt ein Bunker.
21
Grafik: Michael Schultz
Liselotte
is Dead
Text
22
MADELINE ESTES
Madeline ist Austauschstudentin aus Minnesota
und berichtet im heuler von ihrem Leben in Rostock.
Dear Diary,
I have decided to start volunteering in a Pflegeheim. Not because I
am a good person, but because I thought, it was time for me to learn
a lesson about my own mortality. I was hoping these people could
impart some wisdom onto me; guide me down a path to enlightenment. I have a lot of questions for them, such as: What does it feel
like to know you’re going to die soon? How do you feel about all
your friends being dead? What is it like to live in what is essentially
a low-security prison? Unfortunately, the people at the Pflegeheim
either don’t understand me when I ask these questions or they refuse
to answer them.
Because of these difficulties with communication, my role in the Pflegeheim has been reduced to that of one of those therapeutic dogs
they bring into hospitals: I can’t understand the residents when they
talk or say anything back, I can only smile, wag my tail, and try to be
entertaining. Like the last time I was there: they had a Fasching party,
and I just spent the entire time dancing by myself while clapping and
smiling at people. It was a lot like my nights out dancing in Rostock,
actually. I still feel like I am going to live forever, though.
Dear Diary,
Who the fuck at Deutsche Bahn actually decides what a train ticket
costs? Do they actually have a logical decision process, or does
someone simply throw a dart at a board of random numbers? Last
week, I was in Frankfurt for a seminar. Friday afternoon, I went to
the Hauptbahnhof to buy a ticket home. I had two options: Either I
could take a train that leaves at 4:30, have two layovers, and arrive
in Rostock at 1:03 the next day; or, for 10 Euros less, take a train that
leaves at 5:30 with no layovers, and arrive at 1:03 in Rostock the
next day, the same time as the option number one.
Who would take the first option? Not only does it take longer and re-
quire you to change trains twice, but it is also more expensive. Maybe
I am missing something … maybe the first option has something
extra. Free champagne maybe? A sauna? Super attractive ticket
controllers? Foot rests? Dammit, why didn’t I get the first option!
Dear Diary,
Nobody here pronounces my name right. It is »Mad-dah-lin«, but
here, people always say »Mad-lääähn«, heavy on the »äää«. Back
home, all the exchange students from Asia choose »American«
­names to use when they are in the US. For example, someone
named Jiang Zhao Xu Zhang would instead be called Joe. I thought
that maybe I should do the same thing: use a German name that
people here can pronounce. I actually already have a German name
that I have used, from my German class in the US. My name was
Liselotte.
I asked a few Germans what they thought about my new name. It
didn’t go over as well as I’d hoped … apparently, everyone with the
name Liselotte has been dead for 20 years.
Dear Diary,
Today I discovered my new favorite sightseeing attraction in Rostock:
the giant crane-thing in the parking lot by the old Neptun-Werft. It is
so big and industrial-looking! What is it even used for? Was it even
built by humans?
After visiting the crane-thing, I ventured into the Neptun-EinkaufCenter. Shopping for groceries is a passion of mine, so I decided
to take a look around Edeka and … holy s%*$. I basically jizzed my
pants. The assortment of products there is simply amazing. I counted
98 different pasta sauces. They had not just white and brown, but
also black spaghetti. I spent over thirty minutes in the candy aisle,
­during which my head literally exploded. There I saw candies made
to resemble fried eggs, and a more extensive assortment of black
licorice candies than I have ever seen. After careful scrutiny, I bought
three bags of licorice candies, two of which were so disgusting I
couldn’t even eat them. I can’t find that at my local Penny Markt!
Ob als WC, Lokus oder Örtchen bezeichnet: Die bundesweit gängige, kleine Toilettenkabine bietet mit ihren vier Wänden, davon eine funktional
als Tür, sowohl Raum absoluter Anonymität als auch eine 360°-Leinwand, um Gedanken mit späteren (Be-)Nutzern zu teilen. Man kann demnach
(annähernd) ungestört Nachrichten verfassen und Zeichnungen anfertigen, Die jeder kennt. manch einer ist vielleicht selbst schon zum Urheber
geworden: Toilettengraffitis. Und man braucht nicht einmal Angst haben, dass dieser »Vandalismus« zur eigenen Person zurückverfolgt wird.
Doch was und warum wird eigentlich VON WEM gekritzelt?
Text
24
CARSTEN GRAMATZKI
Der Poet
Häufig zu finden und mit Sicherheit zur Erheiterung
der Leser beitragend sind kleine Gedichte und
­Reime. Ein typischer Klo-Vers thematisiert den Zweck
der Örtlichkeiten. So auch in diesem Fall: Der Poet
dankt dem Koch und der Köchin – womöglich eine
Anspielung auf das Personal der Mensen – und
beschreibt, wie das leckere Essen, hier benannt als
»Kunst«, in der »Schüssel« landet. Dieses milde Beispiel lässt Raum für die Imagination des Lesers.
Es existieren durchaus derbere Zeilen.
Der Philosoph
»Leben ist schön!« – eine Aussage, die der
Euphorie einer guten Note geschuldet sein kann
oder andere einfach an eine substanzielle positive
Einstellung zu erinnern versucht. Egal, welcher
­Intention dieser Schriftzug folgt – im Kern festigt
sich ein philosophischer Grundsatz. Lediglich
durch aktive Auseinandersetzung kann dem
Graffiti ein tieferer Sinn abgerungen werden. In
der Konsequenz veranlasst es wohl dazu, darüber
zu philosophieren, ob und inwiefern das Leben als
»schön« bezeichnet werden kann.
DER KREATIVE
Neben Sprüchen, Gedichten oder ganzen Texten
begegnen einem in der Kabine oftmals kleine
Zeichnungen. Das vorliegende Exemplar kombiniert dabei Bild- und Textelemente. Bemerkenswert
ist, dass die Künstler ihre Werke mit erstaunlicher
Sorgfalt anfertigen und nicht einfach lieblos hinschmieren.
DER dankbare
Der Autor dieses Toilettenfundstücks lässt sich als
dankbarer Typ beschreiben. Die kurze Passage
verrät, dass jene Person Studentin oder Student
der Universität Rostock ist oder war und nach
einem vermutlich längeren Auslandsaufenthalt,
vermutlich sogar einem Auslandssemester, erfreut
ist, wieder in Deutschland zu sein. Dieses das Textende krönende »Danke« sowie der Smiley lassen
des Weiteren auf einen kommunikativen, offenen
Menschen schließen.
TIPP AM RANDE
Wer sich noch eingehender mit der Thematik
beschäftigen möchte, sei an dieser Stelle auf
die wissenschaftlichen Arbeiten von Katrin
Fischer (»Laute Wände an stillen Orten. Die
Sprache der Klo-Graffiti im medialen Raum
Universitätstoilette«) und Christina Cuonz
(»Latrinalia in University Toilets. A Linguistic
Perspective with Field Research in Norway
and England«) verwiesen.
DER tagesaktuelle
Dieser Typ orientiert sich vorrangig an gesellschaftlichen Themen, die den Diskurs des Tagesgeschehens
prägen. So auch in diesem Beispiel. Die Weltmeisterschaft und vor allem die Leistung der deutschen
Nationalmannschaft standen und stehen im Fokus
der Bevölkerung, sodass selbst auf der ­Toilette eine
Hymne zum Anfeuern seinen Platz findet.
Fotos (5): Carsten Gramatzki
Shitchat
Foto: Privat
VOLLE KRAFT FÜR LONDON
25
Am 27. Juni starten in London die 12. Olympischen Sommerspiele. Und während wir uns noch ein wenig
gedulden müssen, bis wir die Wettkämpfe gemütlich von der Couch aus verfolgen können, beginnt für die
Athleten bereits jetzt die heiSSe Phase im Kampf um die begehrten Tickets.
Gordan Harbrecht ist Rennkanute, Maschinen­
baustudent und Rostocker – und will zu den Olympischen Spielen. Ich treffe ihn an einem der wenigen Tage, die er momentan in der Hansestadt
verweilt. Während der kalten Wintermonate hielt
er sich in verschiedenen Trainingslagern in Florida
und Spanien auf. Das sei sehr praktisch gewesen,
erklärt Gordan mir, da er losflog, als die Warnow
begann zuzufrieren, und wiederkam, als es auch
hier wieder möglich war, aufs Wasser zu gehen.
Was sich im ersten Moment wie Luxus anhört,
musste Gordan sich hart erarbeiten. Schon im
Kindes­alter begann er beim Rostocker Kanu-Club
mit dem Paddeln. Mit 14 war er dann praktisch
täglich beim Training. Schon damals nahm er erfolgreich an nationalen und internationalen Wettkämpfen teil. Nach dem Abitur konnte er sich während seines Freiwilligen Sozialen Jahres schließlich
vollkommen auf den Kanusport konzentrieren. 25
Stunden sei er in der Woche auf dem Wasser, im
Kraftraum sowie beim Athletiktraining, und das
sei nur die reine Trainingszeit, merkt er an. Mit allem Drum und Dran ein Fulltime-Job also. Kann
man davon leben? Er erklärt mir, dass er sich vor
­allem über seinen Hauptsponsor die Ostseesparkasse, die Sporthilfe, die Olympiaförderung und
weitere Förderer (GO!, Bäckerei Nowak, Zentrale A
­ utoglas) finanziere. Damit könne er ganz gut
auskommen und sich vollkommen seinen sportlichen Aufgaben widmen. Aber später möchte er als
­Ingenieur tätig sein, dafür studiere er ja schließlich.
Um Studium und Sport trotz seines großen Trainings­
pensums unter einen Hut zu bringen, besteht eine
Kooperationsvereinbarung zwischen der Universität
Rostock, dem Studentenwerk, dem Landessportbund
Mecklenburg-Vorpommern, dem Olympia­stützpunkt
MV und dem Allgemeinen Hochschulsportverband.
In der Praxis erhält Gordan dadurch vor allem
mehr Freiraum, was die Fristen für Prüfungen und
­Arbeiten angeht. An­sonsten muss er die gleichen
Leistungen erbringen wie jeder andere Student
auch. Am Anfang, so sagt er, hätte er es noch
geschafft, alle Vorlesungen zu besuchen und die
Prüfungen zu schreiben. Doch seit er 2010 in den
Bundeskader aufgenommen wurde, bleibe ihm immer weniger Zeit für die Uni, weshalb er wohl drei
Semester länger brauchen werde.
Und trotz der harten Arbeit ist ihm ein Platz im
Olympiateam noch nicht sicher. Ab April beginnen
die Ranglistenwettkämpfe, und hier wird sich zeigen, ob Gordan ganz vorn mitfahren kann. Sollte
er gute Ergebnisse abliefern, gilt es, die Form weiter
auszubauen und sich in weiteren Rennen für den
Olympiakader zu empfehlen. Insgesamt sechs Kanuten werden für die Disziplinen Kajak Einer, Zweier und Vierer über 500 und 1000 Meter ausgewählt. Und wie schätzt er selbst seine Chancen ein?
Er habe ein gutes Gefühl, erklärt Gordan mir. Das
Training laufe wie geplant und ein Platz im Vierer
sei durchaus drin.
Einige Tage kann er sich noch ausruhen, dann
geht es weiter zum nächsten Trainingslager in
Kienbaum in Brandenburg. Hier heißt es dann
­
noch einmal, bis an die Leistungsgrenze zu gehen,
um auch noch das letzte bisschen Geschwindigkeit
auf die Strecke zu bringen. Vor so viel Ehrgeiz, Fleiß
und Disziplin kann ich nur meinen Hut ziehen und
viel Glück auf dem Weg zu Olympia wünschen.
Text
FELIX BAUM
Gtafik: MIchael Schultz
Studienkredite
unter der Lupe
26
Ohne Moos ist nix los. Studieren hat seinen Preis, aber Vater
Staat lässt den armen Hochschüler meist nicht allein. Mit
Kindergeld, Unterhalt der Eltern und BAföG lässt es sich
schon leben und lernen. Aber was ist, wenn diese Mittel nicht
ausreichen, auf einmal wegfallen oder man nie Anspruch auf
BAföG hatte? Kann ein Studienkredit Abhilfe schaffen?
Eine Investition in Bildung kann eine Investition in eine
­sichere Zukunft sein. So schnupperten auch Banken längst Profit und brachten einen Studienkredit auf den Markt. Wenn alle
finanziellen Stricke reißen, kann dieser der rettende Strohhalm
sein. Studien­kredite sollen zur Finanzierung der Lebenshaltungskosten und möglicher Studiengebühren als Alternative zu BAföG
und (lern-)zeitraubenden Minijobs im Erststudium eintreten. Klingt
auf den ersten Blick gut, doch das verlockende Angebot von Geld
ohne Arbeit darf nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass ein
Studienkredit immer noch ein Kredit ist: Hinter dem Wort kann sich
leicht ein schwarzes Loch von Schulden verbergen.
Ein Kredit bedeutet immer Verantwortung. Um dieser Verantwortung auch gewachsen zu sein, muss man einiges beachten,
bevor man gleich zur Bank stiefelt und irgendeinen Vertrag unterzeichnet. Zunächst einmal sollte man wissen, wie viel Geld man
zusätzlich im Monat benötigt, um den Studienprozess zu fördern.
Es ist ratsam, sich spätestens danach mit den Eltern und Verwandten abzusprechen. Im Falle eines Falles geben diese einem
üblicherweise Rückhalt und sollten daher nicht böse von einem
Kredit überrascht werden. Außerdem muss man sich immer selbst
überprüfen: Dieser Kredit ist für die Finanzierung des Studiums
bestimmt, nicht etwa für Urlaub oder Partys.
Wenn der Weg zum Geld tatsächlich nicht an einer Kreditbank vorbeiführt, gibt es zwei Gebote: vergleichen und bera-
ten lassen. Beim Thema »Vergleichen« geht es schon ans Eingemachte. Mit unzähligen Anbietern muss sich ein zukünftiger
K reditnehmer herumschlagen: CareerConcept AG – Allge­
meiner Bildungsfonds, CreditPlus Bank, Deutsche Bildung AG,
Deutsches Studentenwerk, Deutsche ­
K reditbank, Kreditanstalt
für Wiederaufbau und so weiter. Allein schon bei dieser kleinen
Auswahl an Anbietern kann man schnell den Überblick verlieren.
Was man hierbei vergleichen sollte, liegt auf der Hand: Wichtig sind Zinssätze, Tilgungsraten und Flexibilität bei der Rückzahlung sowie deren erster Termin. Bei der Fülle von Angeboten
sollte ein jeder das richtige finden. Helfen können dabei zum
Beispiel die vielen Studienkredit-Vergleiche im Internet, die bei
der Eingabe der jeweils individuellen Wünsche die besten Anbieter ermitteln. Reicht das noch nicht aus, um aus dem riesigen
Zahlen- und Angebotslabyrinth zu finden, sollte man einen unabhängigen Berater aufsuchen. Ist schließlich alles in Sack und
Tüten, kann mit einer besseren finanziellen Grundlage fröhlich
weiterstudiert werden.
Letztlich muss jeder selbst für sich entscheiden, ob er solch
eine Finanzierung stemmen kann. Auch die Medaille des
­Studienkredites hat zwei Seiten: Entlastung und Belastung. Der
Absturz in die Schuldenfalle kann schneller gehen, als man
denkt. Wer keinen oder nur einen geringen Anspruch auf BAföG
hat und auch nicht auf eine größere finanzielle Unterstützung
der Eltern hoffen kann, muss sich daher gut überlegen, ob der
Schritt zu einem Studienkredit wirklich der angemessene ist.
Ohne Moos ist zwar nix los, aber nach dem Studium gleich in
die Privatinsolvenz gehen zu müssen, ist kein Pappenstiel. Zwar
braucht jeder in irgendeiner Form eine Finanzquelle im Studium,
aber sicher nicht um jeden Preis. Da ist der Schritt zu einem
kleinen Nebenjob vielleicht der einfachere und kann, sofern er
sich im Bereich des zukünftigen Jobwunsches befindet, sogar zu
Referenzen und Vitamin B verhelfen.
Text
TRACY SAWALLICH
28
POLITIK
ILLUSTRATION: STEFFEN DÜRRE
LOKALKOLORIT
Fast alle Rostocker freuen sich über »einen von hier« im Schloss Bellevue. An der Politik, die nicht nur von
hier ist, sondern auch hier bleibt, beteiligen sich dagegen die Wenigsten: 110.112 Stadtbewohner ließen
sogar ihre Stimme zur Bürgermeisterwahl verfallen. Meinungen zu hiesiger Infrastruktur, Energiepolitik oder
Fremdenfeindlichkeit haben sie dennoch – genau wie wir. Für alle Interessierten folgt daher ein Ressort
mitreißender (Lokal-)Politik. Viel Spaß! ANNIKA, Ressortleiterin
DIE GRÜNEN
BRAUNEN
»Bio« und »öko« – das sind Begriffe, mit denen die meisten Menschen in politischer Hinsicht eine eher linke oder
grüne Einstellung verbinden. Doch beim genaueren Betrachten des Bio-Anbaus in Mecklenburg-Vorpommern wird
schnell klar, dass diese Ansicht einen Haken hat.
Wer sich mit ökologischen Themen beschäftigt und
Bio-Produkte kauft, demonstriert oft auch gegen genveränderte
Lebensmittel, Massentierhaltung, Überfischung der Weltmeere
und für Maßnahmen gegen den Klimawandel. Solche Menschen
wählen naturgemäß Parteien mit ähnlichen Einstellungen, also
etwa grüne oder mehr linksorientierte Gruppierungen. Oder etwa
nicht?
Nicht ganz. »Ökos« gibt es auch unter streng konservativen bis
nationalistisch-rechts Gesinnten. Sie verfolgen die gleichen Ziele,
haben jedoch abweichende Motive. So lehnen besonders rechtsextreme Öko-Landwirte das Einführen der US-amerikanischen
Genmaispflanze MON810 beharrlich ab, jedoch nicht nur, weil
sie sich wie andere Ökologen Sorgen um die Auswirkungen auf
Natur und die menschliche Gesundheit machen, sondern weil sie
darin vielmehr eine Gefahr für die ernährungsbedingte Unabhängigkeit Deutschlands sehen. Rechte Tierschützer protestieren
auch gegen die Überfischung der Ostsee, aber vor allem gegen
angebliche polnische »Piratenfischer«, welche die Existenz der
deutschen Fischer gefährden. Für den Atomausstieg und ­gegen
Castortransporte machen sich rechte Aktivisten besonders deshalb stark, da die Brennstäbe im Ausland wiederaufbereitet werden. Die Energiegewinnung aus Braunkohle dagegen lehnen sie
nicht ab – Kohle sei ja ein »heimischer« Energieträger.
Die »grünen Braunen« sind kein gesellschaftliches Phänomen
der letzten Jahre. Es gibt sie schon genauso lange, wie es rechtsorientierte politische Weltanschauungen gibt. Zunächst wurden
sogenannte Natur- und Heimatschutzbewegungen mit dem Ziel
gegründet, den Lebensraum der Deutschen zu bewahren. Seit
den 1970er-Jahren beinhaltet auch das Parteiprogramm der NPD
ökologische Themen. So unter anderem die Forderung nach einer stärkeren ökologischen Bildung, mit der man etwa »die Volks­
gesundheit schützen« wolle. Auch die NPD in Mecklenburg-Vorpommern ist schon seit einigen Jahren aktiv beim Umweltschutz
dabei und wirbt mit ökologischem Landbau. Sie unterstützt die
Anti-Genanbau-Initiativen in Nebel / Krakow am See oder äußert
sich mit Bezeichnungen wie »Atomtod aus Polen« gegen polnische
Atomkraft.
Ein ökologisches Bewusstsein unter den Rechten ist also nichts
Neues. Aktueller sind jedoch die Entwicklungen, die in einigen
Kleinstädten und Dörfern Mecklenburg-Vorpommerns ablaufen:
Seit geraumer Zeit versuchen dort konservativ- bis rechtsorientierte Familien ein anderes Leben im »Einklang mit Natur und Heimat«
zu beginnen, ein »arteigenes« oder »germanisches« Leben, wie sie
es nennen. Normalerweise fallen die Rechten und ihre politischen
Einstellungen erst bei näherer Bekanntschaft auf, da sie sich in
den Ortsalltag einpassen, sich zum Beispiel bei Schulveranstaltungen oder Dorffesten engagieren. Jedoch darf man diese nicht
vorschnell der NPD zuordnen, denn nicht alle sind NPD-Sympathisanten oder gar Parteimitglieder; manche versuchen eher unterschwellig, ihre politisch stark konservativen Einstellungen auszuleben, ohne dabei Angst und Schrecken zu verbreiten.
Problematischer wird es bei den rechten Bauern: Tatsächlich
gehören in Mecklenburg-Vorpommern immer mehr Bio-Landwirte dem rechten Lager allgemein oder speziell der NPD an. So führen sie auf der einen Seite einen ökologischen und nachhaltigen
Betrieb, hetzen jedoch gleichzeitig im Sinne der NPD-Ideologie
auf Parteitagen oder in rechten Medien. Die meisten Verbraucher
wissen nicht, dass die Bio-Produkte, die sie kaufen, von zum Teil
rechtsradikalen Erzeugern stammen – und können dies auch nur
schwerlich umgehen. So sind zum Beispiel einige Mitglieder des
mecklenburgischen Bio-Verbandes »Biopark« in der NPD aktiv.
Seitdem dies bekannt wurde, distanzieren sich andere Vereinsmitglieder von ihnen, dem Vorstand sind jedoch die Hände gebunden. Es ist nicht einfach, solche Agrarwirte aus Bio-Verbänden und
ökologischen Vereinen hinauszuwerfen, da eine politische Einstellung als Grund für einen Ausschluss meistens nicht ausreicht.
Ebenso schwierig ist es bislang noch festzustellen, ob man beim
Kauf eines Bio-Produktes einen rechtsgesinnten Bauern unterstützt
oder nicht. »Die Verbraucher wissen noch wenig über die braunen Ökologen«, erklärt Dr. Gudrun Heinrich von der Arbeitsstelle
Politische Bildung und Didaktik am Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften der Uni Rostock. Ziel sei es daher, dass
»der Verbraucher sich mit dem Thema auseinandersetzt und verantwortlich auch im Sinne demokratischer Ziele damit umgeht«.
Nur durch mehr Transparenz und Informationsaustausch in der
Zukunft wird es möglich sein, detailliertere Auskünfte über die Produzenten zu erhalten. Obwohl der Wunsch nach hinreichender
Information oft mit dem Datenschutz kollidiert, sind Internetforen
und Seiten politischer Bildungseinrichtungen, die sich mit dem Thema beschäftigen, schon jetzt große Hilfen.
Text
Web
YVONNE HEIN
tinyurl.com/bmg3vup
tinyurl.com/bld93mr
29
»Erst sieben Jahre
Pflicht, jetzt
sieben Jahre Kür«
30
Foto: Maximilian Berthold
Der jüngst wiedergewählte Oberbürgermeister der Hansestadt
Rostock, Roland Methling, über Wahlbeteiligung, die Zukunft der
Stadt, Wohnungsknappheit und über Radwege.
heuler: Die Bürger von Rostock haben
Ihnen am 5. Februar erneut ihr ­Vertrauen
ausgesprochen. Jedoch betrug die Wahlbeteiligung nur rund 36 Prozent. Wie
bewerten Sie dieses Ergebnis?
Roland Methling: Die geringe Wahlbeteiligung
ist ein Trend der Bundesrepublik, dem man in
jedem Fall entgegenwirken muss. Da stehen alle in
der Pflicht, insbesondere die etablierten Parteien.
Die Teilnahme an Wahlen sollte sich jeder zur
Pflicht machen. Eigentlich muss ich sagen: Wer
eine Bürgerbeteiligung oder ein Bürgerbegehren
anstrebt, wer sich beschwert, müsste eigentlich
vorlegen, dass er sich bei der letzten Wahl beteiligt
hat. Das ist sicherlich etwas überspitzt gesagt, lässt
sich aber fortsetzen: Es gab 60.000 Unterschriften
für ein Theater in Rostock – statistisch gesehen sind
es leider nur 12.000 Rostocker, die ins Theater gehen. Eine Unterschrift für das Theater kann meiner
Meinung nach nur leisten, wer eine Theaterkarte
vorlegt. Natürlich muss sich aber auch Lust auf
Wahlbeteiligung ausbilden.
Warum sind Ihrer Meinung nach die Rostocker so wahlmüde geworden?
Mich stört die Formulierung »wahlmüde geworden«. Bei der letzten Wahl 2008 im Landkreis Bad
Doberan gab es eine Beteiligung von 31,5 Prozent.
Im Landkreis Güstrow lag sie bei 30,5 Prozent.
Von der Seite her hat Rostock mit 36,6 Prozent ein
Spitzenergebnis! Die letzten Wahlen der Landräte
in Mecklenburg-Vorpommern sind nur deshalb
so hoch ausgefallen, weil sie gleichzeitig mit der
Landtagswahl und der öffentlichkeitswirksamen
Kreisgebietsreform stattfanden. Bei nicht verbundenen Wahlen sind 36 Prozent bedauerlicherweise
schon ein normaler Wert – aber im Zweifel ja auch
ein Beleg dafür, dass eine Mehrheit keinen Änderungsbedarf sieht.
Könnte auch fehlendes Wissen über die
Befugnisse eines Oberbürgermeisters ein
Grund für das geringe Interesse sein?
Das ist ein grundsätzliches Problem: Alle reden
über Politik, aber wie Politik im Einzelnen funktioniert, das haben nur sehr wenige erlebt – und sehr
viele, die mitmachen wollen, sind nach wenigen
Sitzungen eines Ausschusses oder eines Fachbeirates so bedient, dass sie sagen: »Hier können wir
doch wenig verändern« oder »Hier gibt es ja so
festgefahrene Parteistrukturen in der Meinungsbildung, da hat es gar keinen Sinn mitzumachen«. Sie
werden von mir aber dennoch immer wieder hören: Beteiligt euch an der Meinungsbildung! Geht
in die Parteien, Wählerbündnisse, Ausschüsse, …!
Gerade in der Kommunalpolitik geht es um Sachfragen. Da gibt es keinen roten oder schwarzen
Bürgersteig, sondern nur einen funktionierenden,
da gibt es keine Lösung, die besonders grün oder
von den Linken nach marxistischen Grundsätzen
ausgesucht worden ist. Hier ist praktische Politik
gefragt.
Sicherlich gibt es jedoch auch in Rostock Situationen, in denen sich parteipolitische Zielstellungen
über das gebotene Maß hinaus in der Entscheidungsfindung widerspiegeln. Beispielsweise
sind sich alle darüber einig gewesen, dass der
Schwimmkran Kulturgeschichte der Hansestadt
Rostock ist, aber unter vorgehaltener Hand heißt
es: Wenn der Oberbürgermeister – der ist ja
besonders Kran- und maritim-affin – das will, sind
wir erst einmal dagegen. In diesem Fall haben wir
gemeinsam aber eine vernünftige Lösung gefunden, und der »Lange Heinrich« wird in diesem Jahr
in Form gebracht und an der Spitze der maritimen
Ausstellungen der Stadt stehen.
In der Vergangenheit kam es zu zahlreichen Streitigkeiten zwischen Ihnen als
Chef der Verwaltung auf der einen Seite
und der Bürgerschaft auf der anderen
Seite. Nach der Wahl haben Sie sich
verbal die Hand gereicht. Dennoch: Wie
bewerten Sie die Konflikte?
Konflikte entstehen immer dort, wo Interessen aneinanderreiben oder wo ich als Oberbürgermeister
verpflichtet bin, Entscheidungen und Vorstellungen
der Bürgerschaft zu widersprechen. Die Rostocker
Bürgerschaft trägt die Verantwortung dafür, dass
die Hansestadt in die tiefroten Zahlen abgeglitten
ist. 2005 hat Rostock nach Haushaltsbeschluss der
Bürgerschaft geplant, 97 Millionen Euro minus zu
machen. Die Bürgerschaft hat jedoch den Grundsatz einzuhalten, nur so viel Geld auszugeben, wie
im Haushalt der Stadt vorhanden ist. Dennoch hat
sich Rostock in die Schuldenfalle begeben, etwa
durch die Entscheidung für die IGA – koste es, was
es wolle. Hier hat auch die Landesregierung der
Hansestadt Rostock freien Lauf gelassen – bis zu
dem Zeitpunkt, als ein parteiloser Oberbürgermeister die Sache in die Hand genommen hat. Ich
bin hier mit aller Konsequenz in die Spardiskussion
und in das Sparhandeln gegangen, und das sorgt
natürlich für Frust. Mir wurde gleich im ersten Jahr
als Oberbürgermeister ein Ausspruch von Martin
Luther mit auf den Weg gegeben: »Wenn der
Bürgermeister seine Pflicht tut, werden kaum vier
da sein, die ihn mögen.«
Ihre Politik war also in der vergangenen
Amtszeit auf die Behebung der roten Zahlen ausgerichtet. Bringen die nächsten
sieben Jahre etwas Neues?
Jemand sagte mal, es waren sieben Jahren Pflicht
und nun kommen sieben Jahre Kür. Jetzt können
wir Akzente für die Stadtentwicklung setzen. Das
sind das Zentrum am Wasser, die Entwicklung des
Stadthafens zur Erlebnismeile. Wir wollen, dass
Rostock die Entwicklung im Ostseeraum mitbestimmt, eine pulsierende Stadt ist und mit besonderen Elementen für Anzugskraft sorgt. Dazu gehören
zum Beispiel die Mittelmole in Warnemünde und
der Neubau des Theaters als Kulturtempel, als
Erlebnisbereich – und zwar am besten in Einheit
mit einem maritimen Erlebniscenter, mit dem
Traditionsschiff und mit der Präsentation unserer
maritimen Geschichte im Stadthafen.
Zu einer umfassenden Stadtentwicklung
zählt auch der Ausbau der Infrastruktur.
Wie sieht es da etwa mit den Fahrrad­
wegen aus?
Als Ergebnis der Haushaltskonsolidierung haben
wir auch das Budget für fuß- und radfähige Wege
mehr als verdoppelt. Fahrradwege spielen jedoch
eine besondere Rolle, da könnten wir auch noch
einmal nachlegen, obwohl der Hansestadt Rostock
eigentlich bescheinigt wird, dass wir ein sehr gut
ausgeprägtes Radsystem haben. Angefangen mit
den Campus-Velo-Routen, wo wir viel Geld in die
Radverkehrsförderung gesteckt haben. Da machen
wir jetzt weiter. Wir wollen Rostock zusammen mit
der Uni auch zu einer Stadt der Wissenschaften
entwickeln – da haben kurze und radfahrerfreundliche Wege Priorität.
Ein anderes Problem für Studierende ist
die Wohnungsknappheit in Rostock. Wie
gedenken Sie, dieses Problem anzugehen?
Hauptsächlich sind Wohnheime und studentisches Wohnen natürlich die Angelegenheit des
Landes. Speziell in Rostock hatten wir lange Zeit
Wohnungsleerstand, der vor sieben Jahren noch
bei über acht Prozent lag. Inzwischen sind wir bei
den meisten Wohnungsgesellschaften bei zwei
Prozent. Gegenwärtig befinden sich jedoch 2.000
Wohnungen im Bau. Das ist ein Punkt, den wir vor
fünf bis sechs Jahren intensiv angegangen sind,
weil wir auf Zuwachs in Rostock gesetzt haben. In
der Innenstadt bleibt die Nachfrage groß, aber
ich weiß, dass zum Beispiel die Wohnungsgenossenschaft Schiffahrt-Hafen für 180 Euro warm
möblierte Zimmer in einer Wohngemeinschaft in
Toitenwinkel anbietet. Dennoch wollen wir auch im
innerstädtischen Bereich Grundstücke für studentisches Wohnen entwickeln. Aber die Hansestadt
Rostock wird keine Studentenwohnheime bauen
und betreiben können.
Viele Studenten verlassen nach ihrem
Studium die Hansestadt wieder. Welches
Potenzial sehen Sie denn, um die Studenten in Rostock zu halten?
Wir versuchen euch ja einzufangen mit der Begrüßungsprämie von 100 Euro und wollen, dass
die Region Rostock eure Heimat wird! An erster
Stelle geht es aber natürlich um die Attraktivität
der Stadt und die ist sehr vielfältig. Das beginnt
mit attraktiven Arbeitsplätzen. 7.800 sind neu
dazugekommen. Ob sie alle attraktiv sind, weiß
ich nicht, doch auf jeden Fall bewegt sich hier eine
Menge und wir haben eine sehr gut organisierte
Wirtschaftsförderung.
Vielen Dank für das Gespräch.
Interview
MARTeN NEeLSeN
Maximilian Berthold
31
WER DARF WAS?
Bürgerschaft: Die Bürgerschaft ist die Vertretung
der Bürger und das oberste Willensbildungs- und
Beschlussorgan der Stadt. Die Mitglieder sind für
alle wichtigen Angelegenheiten der Stadt zuständig
und überwachen die Durchführung ihrer Entscheidungen, soweit nicht eine Übertragung auf den
Hauptausschuss oder Oberbürgermeister erfolgt ist.
Die Bürgerschaft ist die oberste Dienstbehörde und
Dienstvorgesetzte des Oberbürgermeisters.
Oberbürgermeister: Die praktische Umsetzung
der Vorschläge der Bürgerschaft gestaltet der Oberbürgermeister als Spitze der Stadtverwaltung. Er ist
für die sachgerechte Erledigung der Aufgaben und
den ordnungsgemäßen Verwaltungsbetrieb verantwortlich. Er bereitet die Beschlüsse der Bürgerschaft
und des Hauptausschusses vor und führt sie aus.
Sollte die Bürgerschaft mit einem Beschluss geltendes Recht verletzen oder das Wohl der Gemeinde
gefährden, so hat der Oberbürgermeister diesem
zu widersprechen.
Foto: Maximilian Berthold
Politische
Bildung
Wem gehört
der 1. Mai?
32
Der 1.5., kalendarisch ein Tag wie jeder andere auch, hat viele Namen
und noch mehr Besitzer. Nordrhein-Westfalen nennt ihn »Tag des Bekenntnisses zu Freiheit und Frieden, sozialer Gerechtigkeit, Völkerversöhnung und
Menschenwürde«, am bekanntesten ist er aber sicher als »Tag der Arbeit«. Die
Gruppe der sogenannten Arbeiter (in Abgrenzung zu Arbeitgebern) streckt am
sichtbarsten ihre Finger nach diesem 120. Tag des Jahres aus. Hinzu kommen
harmlose In-den-Mai-Tänzer, weniger harmlose Nazis und als Gegenwehr die
Antifa. Was ist bloß so Besonderes am 1. Mai?
Ursprünglich hatte er mit Politik rein gar nichts zu tun: Schon im 8. Jahrhundert begrüßten unsere Ahnen den Mai als Symbol des Frühlings, sie tanzten
und schmückten Bäume – genau wie es heute, mittlerweile ergänzt durch
Schützenvereine und Bierbuden, noch vielerorts gemacht wird. Dann passierte
etwas, das genauso auch in jedem anderen Monat hätte stattfinden können:
Rund um den 1. Mai des Jahres 1886 kam es in mehreren amerikanischen
Städten zu Massendemonstrationen gegen den 12-Stunden-Arbeitstag. In deren Folge wurden viele Menschen verletzt, getötet und später sogar hingerichtet. Zu ihrem Gedenken wird der 1. Mai seither von Kundgebungen und Streiks
begleitet und in Dutzenden von Ländern als Feiertag begangen. Dummerweise
waren es in Deutschland die Nationalsozialisten, die ihn – in perfekter Vereinnahmung – als »Feiertag der nationalen Arbeit« gesetzlich verankerten, sodass
sich alljährlich auch deren Anhänger genötigt sehen, ihre Springerstiefel anzuschnallen und aufzumarschieren. Dieses Jahr wollen sie auf diese Weise unter
anderem in Schleswig-Holstein den dortigen Landtagswahlkampf unterstützen.
In Rostock erwartet uns die traditionelle Demonstration des Deutschen
Gewerkschaftsbundes – im Vergleich zur Vergangenheit jedoch etwas
aufgemischt: Das eigens gegründete »Bündnis für einen kämpferischen
­1. Mai« möchte mehr junge Menschen mobilisieren, möchte weg vom
»Familienfestcharakter« und zurück zu dem, was den Tag in den Augen der
Beteiligten ausmacht: »Wir glauben, dass gewerkschaftliche Organisierung
für die Lohnabhängigen die einzige Möglichkeit ist, richtig Druck zu machen.
Die Möglichkeit, durch kollektive Aktionen wie Streiks die Bedingungen des
eigenen Alltags und die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern zu können,
muss wieder mehr ins Bewusstsein kommen!« Mit diesem Ziel trifft sich die
Gruppe schon seit mehreren Wochen jeden Montag, um 19:00 Uhr, im
Bildungskeller (Ulmenstraße, Haus 3) und lädt dazu alle Interessierten ein:
»Wir repräsentieren jeden, der ein mehr oder weniger linkes Selbstverständnis hat und den 1. Mai nutzen möchte, für eine lebenswerte Zukunft jenseits
von Wirtschaftskrise, Umweltzerstörung, Ausbeutung und Krieg zu kämpfen.«
Neben der Beschäftigung mit Bildungsfragen fordern die Aktivisten unter anderem einen Mindestlohn von mindestens 10 Euro pro Stunde, die 30-Arbeitsstunden-Woche oder eine Übernahmegarantie nach der Ausbildung. Wer
sich angesprochen fühlt und mitdemonstrieren möchte, kommt am 1. Mai,
um 10:00 Uhr, zum Werftdreieck. Details finden sich unter bildungskeller@
systemausfall.org. Denn: Der 1. Mai ist, was man daraus macht!
Text
ANNIKA RIEPE
Am Kabutzenhof wird er von der Antifa beansprucht, doch um
den 1. Mai streiten sich viele verschiedene Gruppierungen
Termine
Der Euro, auf die Schippe genommen
Vielen Menschen macht das Dauerthema »Euro-Krise« Angst. Dass
man auch darüber lachen kann, zeigt die Ausstellung »Euro-Spot – Die
europäische Währungsunion in der Karikatur gestern und heute«, die von
der Friedrich-Ebert-Stiftung sowie dem Europäischen Integrationszentrum
Rostock organisiert wurde.
!
Web
Bis 19. April 2012, Rostocker Rathaus; kostenfrei
www.eiz-rostock.de
»Was essen wir da eigentlich?«
Im Rahmen des Politischen Donnerstags zeigt der Verein Soziale Bildung
e. V. einen Dokumentarfilm über unser täglich Essen: Wo kommt es
her? Wer überprüft seine Qualität? Macht es uns krank? Einblicke in
die Lebensmittelindustrie, auf die man sich beim gemeinsamen Essen
einstimmen lässt.
!
Web
26. April 2012, 20:00 Uhr (Volksküche ab 19:00 Uhr),
Peter-Weiss-Haus; kostenfrei
tinyurl.com/bvmgnmd
Aktuelle Hinweise zur politischen Bildung findest du übrigens
auch immer unter:
Web
tinyurl.com/cceft7h
Grafik: Michael Schultz
Facebook,
wo bleiben
meine Daten?
Facebook gehört längst zum Alltag der meisten Studenten. Alle
Nutzer nehmen mehr oder weniger unaufgeregt in Kauf, dass
das Unternehmen Daten sammelt, speichert und verwertet wie
kaum ein zweites. So auch ich – bis jetzt.
»Facebook machte im vergangenen Jahr einen Gewinn von
einer Milliarde Dollar.« Eine Schlagzeile der letzten Monate, die zum
Nachdenken anregt. Woher kommt das ganze Geld? Natürlich ist mir
klar, dass Facebook meine eingepflegten Daten in sich aufsaugt. Ich
bin Bestandteil eines kostenlosen sozialen Netzwerkes, ebenso wie etwa
800 Millionen andere Facebook-Nutzer weltweit. Wir alle nutzen viele
Vorteile, die die Internetplattform unzweifelhaft bietet, wir halten Kontakt zu Menschen, die wir ohne Facebook vielleicht schon längst aus
den Augen verloren hätten. Gleichzeitig tauschen wir: Fotos, Gedanken,
­Informationen. Lachender Dritter bei diesem Tauschhandel ist die Firma
aus Kalifornien, denn Facebook sammelt, verknüpft und wertet meine
Daten aus. Einer der Effekte: maßgeschneiderte Werbung für jedermann. So weit, so gut – das war mir bereits klar, als ich mein Profil dort
angelegt habe. Aber der eigentliche Umfang ist mir bislang unbekannt
gewesen: Welche Daten werden gesammelt, wie viele sind es und was
genau passiert damit? Was weiß das Netzwerk über mich? Ich versuche,
es herauszufinden.
Es ist der 2. Februar 2012, der Start meiner Suche. Ich fülle ein
­Online-Formular aus, mit dem man Auskunft über die gespeicherten
Daten anfordern kann. Ich schicke es ab – »Sie haben Post!« Sofort erhalte ich als Antwort von »The Facebook Team« eine nahezu inhaltsleere
E-Mail. Mein Anliegen werde bearbeitet, allerdings hätte ich ja sowieso
jederzeit die Möglichkeit, auf der Facebook-Seite mithilfe des »DownloadTools« selbst meine Daten einzusehen. Davor wird jedoch von anderer
Seite gewarnt, denn nutzt man diese Möglichkeit nur ein einziges Mal,
hat man damit sein Recht auf eine detaillierte Aufschlüsselung verwirkt.
Neugierde und Verantwortung mit den eigenen Daten sind angebracht, denn die staatliche Regulierung ist noch schwach. Eben hier
setzt »Europe versus Facebook« an. Von diesem Projekt habe ich meinen Vordruck zum Anfordern der Daten samt Anleitung. Die europäischen Datenschutzbestimmungen verpflichten Facebook, so wie jedes
andere Unternehmen auch, innerhalb von 40 Tagen ihren Nutzern eine
Kopie der gespeicherten Daten zukommen zu lassen – sodass der User
­zumindest die Chance hat, dasselbe über sich selbst zu wissen wie das
Unternehmen.
Bis zu einhundert Datensätze sollen von jedem Nutzer gespeichert
werden – das vom Facebook-Team hervorgehobene Download-Tool
beschafft dem Nutzer lediglich 22 davon. »Datensatz«, das meint
­inhaltlich zusammenhängende Daten wie etwa der Name, die Adresse
und das Geburtsdatum. Jedoch zählen nicht nur solche Informationen
dazu, die ich selbstbestimmt auf der öffentlichen Facebook-Bühne präsentiere, sondern auch gelöschte Freunde, Links oder Postings. Nicht
angenommene Freundschaftsangebote, meine privaten Chats, Angaben
darüber, wie intensiv Freundschaften sind, mit welchem
Kameramodell wann welches Foto aufgenommen,
wann es hochgeladen
wurde und wer darauf zu
sehen ist. Klar ist auch,
dass jedes gedrückte
»Like« Aufschluss über
Interessen und V
­ orlieben
gibt. ­
Einige Verbraucherschützer ­vermuten sogar, dass
Facebook noch weit mehr
­
über jeden von uns weiß.
Fraglich ist zum Beispiel, was
die »Gefällt mir«-­Buttons auf
externen Seiten auslösen. Das NDR-Medien­­magazin »Zapp« berichtet, dass Facebook die Daten des Nutzers selbst dann sammle, wenn
dieser das eigentliche Feld gar nicht anklickt.
Mittlerweile ist es Mitte März: Redaktionsschluss. Mehr als 40 Tage
sind vergangen und ich habe immer noch keine Antwort auf die schriftliche Anfrage nach einer ausführlichen Auflistung meiner gespeicherten Daten. Aufgrund des Ansturms der letzten Zeit könne Facebook der
g­esetzlich vorgegebenen Zeitspanne wohl nur selten gerecht werden,
lese ich. Nicht der einzige Gesetzesbruch, den die junge Firma begeht:
Vor einigen Tagen entschied das Landgericht Berlin, dass die AGB, denen wir alle zugestimmt haben, um Teil der Online-Gemeinschaft sein
zu dürfen, nicht rechtskonform sind. Durch das Erstellen eines Accounts
überträgt man demnach die Rechte für alle persönlichen Beiträge an
­Facebook – ein Umstand, den das Gericht ebenso kritisiert wie den
»Freunde-Finder«, der Nicht-User einlädt und bestehende Profile aufspürt. Welche Konsequenzen das Urteil haben wird, ist noch völlig unklar.
Experten betonen immer wieder, dass der einzig wirksame Datenschutz
ein Pseudonym sei, unter dem man agiert. Alle, die schon FacebookNutzer sind, haben diese Chance jedoch verwirkt, denn das Unternehmen speichert auch alte Namen. Nachträgliches Ändern ist demnach
zwecklos. Doch gäbe niemand mehr seine wahre Identität preis, verlöre
die Plattform wohl eh jenen Reiz, der die Teilnahme ausmacht.
Am Ende des Versuchs, ohne befriedigende Antwort von Facebook,
bleibt die Frage nach den verbleibenden Möglichkeiten. Mir wird wieder
einmal sehr deutlich, dass nicht ich die Regeln bestimme.
Text
JANA WICHERT
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Grafik: lightwise / 123rf.com
Schon verkehrt?
Ein Versuch der
Bürgerbeteiligung
»Bürgerbeteiligung« – spätestens seit Stuttgart 21 geistert dieses Wort durch die Republik und die Flure
der Verwaltungen. Klar ist, die Planung von GroSSprojekten wird ohne die Einbeziehung der Bevölkerung
zukünftig nur schwer möglich sein. Doch wie funktioniert Bürgerbeteiligung? Eine Spurensuche auf
Rostocks erster Verkehrskonferenz.
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Bis 2014 soll für die Hansestadt Rostock ein
neues »Integriertes Gesamtverkehrskonzept« erarbeitet werden. Dieses klärt etwa, wo in Zukunft
Fahrradwege entstehen, Ampeln abgeschaltet
werden oder Straßenbahnen fahren sollen – die
gesamte Infrastruktur Rostocks ist dabei im Blick.
Um eine frühzeitige Bürgerbeteiligung an diesem
Prozess zu ermöglichen, veranstaltet die Stadt dieses Jahr in jedem Ortsteil Verkehrskonferenzen.
Die erste fand im Februar in der Kröpeliner-TorVorstadt statt. Zum Einstieg gab es einen Vortrag
zur groben Struktur des Verkehrskonzepts von
1998. Dieser beinhaltete einen kurzen historischen Rückblick über die größeren Bauvorhaben der vergangenen Jahre und ihre
Zielsetzung. Anschließend waren die Bürger
gefragt: In der Aula der Borwinschule hatte man
Stellwände verteilt, die jeweils eine
kleinmaßstäbige Landkarte und Platz
für Kommentarzettel enthielten. Zur Diskussion
standen die Komplexe »Fußgänger«, »öffentlicher
Nahverkehr«, »motorisierter Verkehr«, »Parken«,
»Fahrrad« und »Ideen für Gemeinschaftsangebote«. Die Stellwände wurden von den Anwesenden
rege genutzt, um Meinungen und Anregungen
zum jeweiligen Thema zu hinterlassen und diese
teilweise auch gleich auf der Stadtkarte zu visualisieren. Vorgeschlagen wurden etwa ein Umbau der Waldemarstraße zur Fahrradstraße, ein
shared space vor dem Ulmen-Campus, Strategien
gegen Pkw-Schleichwege, mögliche Standorte
von Tiefgaragen, eine verbesserte Fußgängerampelschaltung am
Stadthafen oder
der Verleih von
Lastenfahrrädern. Nachdem
jeder seine Ideen festgehalten hatte,
­waren viele Anwesende in der
richtigen Stimmung, um das Thema Verkehr in Rostock ausgiebig zu diskutieren. Leider
war jedoch der zeitlich vorgegebene Rahmen
der Veranstaltung an dieser Stelle bereits ausgeschöpft.
Sicher war die Sammlung von Wünschen, die
mit konkreten Punkten auf dem Ortsplan verknüpft wurden, eine gute Methode, um Bürger­
eingaben einzuholen. Da es allerdings bei der
Abfrage blieb, ist unklar, welches Ziel die Bürger­
beteiligung in diesem Fall konkret hatte. Ein internetbasiertes Abfragesystem hätte vermutlich
ein wesentlich breiteres Spektrum von
Meinungen und Vorschlägen zutage
gefördert als von den circa 35
Teilnehmern, die überwie-
gend männlich und in der Mehrzahl deutlich älter
als 30 Jahre waren. Im Zuge einer Vor-Abfrage
hätten die Anwesenden bei der Verkehrskonferenz
im zweiten Schritt über die Relevanz von zuvor
eingereichten Vorschlägen diskutieren können –
­quasi als Übersetzer der Bürgermeinungen für die
Repräsentanten der Stadtverwaltung. Vielleicht
­
wäre zudem statt des eineinhalbstündigen Blocks
die Einladung zu einer zweitägigen Veranstaltung,
beispielsweise mit der Methode »Zukunftswerkstatt«, ein geeigneterer Rahmen gewesen, den
Bürgern eine stärkere Beteiligung zu ermöglichen.
Eventuell ist die Unschärfe der Fragestellung ja
Teil des Konzepts – aber wahrscheinlich doch eher
Ausdruck einer Unklarheit darüber, welche Art der
Partizipation mit welchem Zweck angestrebt werden soll. Dies macht es schwer, den beteiligten
Bürgern im Nachhinein ein ehrlich gemeintes Gefühl der Wertschätzung bezüglich ihres Beitrags zu
vermitteln.
Mein persönliches Fazit: Dies war eine gut
organisierte Veranstaltung, die den Willen zum
­
Dialog zeigte. Gleichzeitig ist bislang jedoch
deutlich spürbar, dass für die Stadtverwaltung das
Konzept der Bürgerbeteiligung etwas Neuartiges
und Fremdes ist. Meint sie es ernst, ist dieses Problem aber durch Weiterentwicklungen sicherlich
lösbar. Wichtig ist, dass die Bürgerbeteiligung
nicht zur PR-Aktion verkommt, sondern echte Teilhabe an der Konzeptionierung des großen Ganzen – wie wollen wir den zukünftigen Verkehr in
Rostock gestalten? – stattfindet. Einen nächsten
Versuch wird es beim Forum zur Umgestaltung der
Ulmenstraße geben. Wann es losgeht, wird über
den Städtischen Anzeiger angekündigt.
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ADELWIN BOTHE
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WARTEN AUF EIN
STÜCK PAPIER
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mehr als 200 Menschen leben im Rostocker Asylbewerberheim, etwas abseits am Ende einer
StraSSenbahnlinie. In der öffentlichen Wahrnehmung finden die Asylsuchenden jedoch
kaum statt. Wie lebt es sich im Schatten einer fremden Gesellschaft? Eine persönliche Suche.
FOTO: MARCUS SÜMNICK / ILLUSTRATIONEN: CAROLINE HEINZEL
Text
ANNIKA RIEPE
»Annika, du bist so naiv!«, spottet Jamel* über
meine Leichtgläubigkeit. Natürlich, ich könne nach
Frankreich fahren, für mich stehe die Grenze weit
offen. Für ihn aber, den Araber, sei das ganz anders. Jamel lebt als Asylsuchender in der Rostocker
Gemeinschaftsunterkunft. Ich höre seine Geschichten, seine Erfahrungen, höre von seiner Angst. Und
dennoch, so richtig verstehe ich noch nicht, warum
es so schwierig sein soll, ungehindert in ein deutsches Nachbarland zu reisen.
Ein paar Tage später sitze ich im Zug von Berlin
nach Rostock. Wir sind kurz vor Neustrelitz, als zwei
Polizisten durch unser Abteil laufen und vor einem
Dunkelhäutigen haltmachen. Seinen Pass solle er
zeigen. Er regt sich auf. Immer wieder sei es das
Gleiche, nur weil er Ausländer sei. Er unterhält
sich mit ihnen in fehlerfreiem Deutsch. Der Beamte
räumt ein, er verstehe seinen Ärger, aber den Pass
müsse er trotzdem sehen. Hinterher werden er und
sein Kollege noch zwei hellhäutige, dem Äußeren
nach deutsche Männer ansprechen. Eine Kontrolle
aufgrund der Hautfarbe lassen die Antidiskriminierungsgesetze der EU nicht zu.
Nicht nur diese Szene zeigt: Ausländer zu sein ist
kein Zuckerschlecken. Und sicher gilt dies für Asylbewerber in besonderem Maße. Doch wie fühlt es
sich tatsächlich an, aus dem Heimatland flüchten zu
müssen und von nun an immer der Bittsteller zu sein,
derjenige, dessen Aufenthalt lediglich für die Dauer
des Verfahrens gestattet ist, der jederzeit mit der Abschiebung zu rechnen hat?
Es folgen Wochen der Auseinandersetzung mit
dem deutschen Asylrecht – eine Vorbereitung, die
im erneuten Treffen mit Jamel münden soll, von
dem ich mir bislang verschlossene Einblicke erhoffe.
So erfahre ich, dass die Europäische Menschenrechtskonvention kein Grundrecht auf Asyl enthält,
dass deutsche Gesetze einen Unterschied zwischen
politisch Verfolgten und vor dem Krieg Geflüchteten
machen (um dem Staat bei Flüchtlingen zu erlauben, auch anhand des »Bedarfs« über ihr Bleiben
zu entscheiden). Ich lese mit Verachtung, dass es
in Deutschland lebenden Asylbewerbern anders
als im restlichen Europa nicht gestattet ist, ihr Bundesland oder gar ihren Bezirk zu verlassen, da die
Kontrolle so leichter falle. Wer etwa von Rostock aus
nach Hamburg möchte, braucht die Erlaubnis des
Sozialamtes. Das Gleiche beim Arztbesuch. Ich lese
Paragrafen über Paragrafen, die allesamt nicht etwa
Hilfe, sondern vielmehr die Abwehr von Flüchtlingen
zum Ziel zu haben scheinen, und verzweifle zusehends ob so mancher Inhumanität.
Mein Interview mit Jamel bringt die vorläufige
Wende: Der Nordafrikaner ist gar kein Flüchtling im
klassischen Sinne. Er verließ seine Heimat nicht im
Angesicht von Krieg oder Verfolgung, sondern auf
der Suche nach Neuem, nach Herausforderungen.
Er wollte Europa entdecken, kam zunächst legal als
Austauschstudent und entschied sich zu bleiben.
Ich bin schockiert: Wieso setzt sich ein Mensch den
Schrecken eines Asylverfahrens aus, wenn er doch
jederzeit ins eigene Land zurückkehren könnte?
Ich hatte Jamel nie nach den Gründen seines
Weggangs gefragt, um nicht in Wunden zu stochern.
Jetzt bin ich fast enttäuscht, dass es diese Wunden so
nicht gibt. Ich wollte unmenschliche ­Gesetzestexte,
ungerechte Verfahrensweisen in Jamels Schilderungen hüllen – jetzt ärgere ich mich, dass ich wohl
noch ein zweites Interview werde führen müssen. Ein
Interview mit einem »echten« Asylbewerber, jetzt wo
doch das erste »unbrauchbar« zu sein scheint.
Es ist wieder eine Zugfahrt, die mich umdenken
lässt. Wir verehren Weltenbummler, wir benennen
Outdoorhändler nach ihnen, schauen Fernsehsendungen über das Auswandern und verbinden
Reisen mit Erfahrung und Weisheit. Wir selbst bemühen uns um Auslandsaufenthalte, brauchen sie
für Lebensläufe und die eigene Reife. Wie
können wir anderen nicht das Recht
zugestehen, eben diesem Ideal nachzustreben?
Dies ist auch Jamels
oberstes Anliegen
während unseres
Gespräches: Er will aufzeigen, welche Privilegien
wir Deutsche haben. Und möchte mir die Lebensbedingungen der Rostocker Asylbewerber verbildlichen – genau das also, nach dem ich gefragt hatte.
Denn, egal, aus welchem Grund sie hier sind, die
Bedingungen sind für alle Bewohner dieselben, und
tatsächlich sind die meisten von ihnen Afghanen.
Fast allen Asylbewerbern ist es verboten zu arbeiten. Sollten das Sozialamt und die Bundesanstalt für
Arbeit doch einmal einer Beschäftigung zustimmen,
geschieht dies nur, wenn kein Deutscher die Arbeit
machen will. In der Konsequenz bedeute dies ein
Leben, das zum größten Teil aus Warten bestehe,
erklärt Jamel. Man werde faul und verlasse selten
sein Zimmer. Häufig fällt das Stichwort »Isolation«.
Das liegt nicht etwa an der Lage der Rostocker Gemeinschaftsunterkunft oder daran, dass sich die
Bewohner kaum etwas leisten können – ihr monatliches Budget liegt etwa 40 Prozent unter dem eines
Hartz-IV-Empfängers –, sondern ist hauptsächlich
Ausdruck dessen, was Jamel mit Hinweis auf das
»Ulysses-Syndrom« erläutert: Wissenschaftliche Studien belegen, dass Asylbewerber als Folge ihrer
einschneidenden Lebensveränderung vermehrt an
chronischen und psychischen Krankheiten leiden,
als Folge des Verlustes, der Ungewissheit, der niedrigen sozialen Stellung im Aufnahmeland.
Warum er nicht beispielsweise die kulturellen Angebote Rostocks nutze, möchte ich von Jamel wissen. Die Antwort ist hart: »Wenn du im Loch bist,
hast du keinen kulturellen Geschmack.« Er habe selten Kontakt zu Deutschen, denn ein Kennenlernen
sei schwierig. Frauen etwa fänden den weltgewandten Mann zuerst interessant, hörten sie dann jedoch
von seinem Aufenthaltsstatus, sei das Gespräch
normalerweise vorbei, sicher mit Gedanken an
Aufenthaltsgenehmigung und Heiratsabsicht. Man
kann dies auch niemandem verdenken, denn die
meisten Asylbewerber hoffen, so Jamel, tatsächlich
genau darauf. Kein Wunder: Die Chancen, auf anderem legalen Weg bleiben zu dürfen, sind gering:
Mehr als die Hälfte aller Anträge werden abgelehnt,
2011 waren es deutschlandweit 54,7 Prozent. Die
meisten anderen Verfahren sind in der Schwebe.
Jamel betont es immer wieder: Alle warten nur
auf Papiere – und würden für die Aufenthaltsgenehmigung sofort auf Geld und Unterkunft verzichten.
Das Rostocker Asylbewerberheim, in dem die Bewohner im Durchschnitt zwischen einem und drei
Jahren leben, sei an sich gar nicht schlecht, besonders auf die dort arbeitenden Sozialarbeiter des
Ökohauses lässt Jamel nichts kommen. Dennoch:
Er wolle nicht »gefüttert« werden, sondern die Erlaubnis bekommen, selbst für sich zu sorgen. Die
Hoffnung darauf gibt er nicht auf.
*Name von der Redaktion geändert
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38
KULTUR
FOTO: Kirsten Griese / Bernd Bethke / EDIT: BJÖRN GIESECKE
Die glückliche Quadratur
So etwas gibt es nicht, nur den Sinn für’s Wesentliche. Ein Beispiel: Kennt ihr diese jämmerliche Angewohnheit,
auf dem Laptop die Folie draufzulassen, bis sich Blasen bilden? Das ist designtechnisch eine Respektlosigkeit.
Und kennt ihr den chinesischen Rennfahrerfotografen Fadderly Ma Cong? Gut: Genau deswegen werden
derartige Themen nicht im Kulturteil behandelt. Sie sind lame. Viel Spaß beim Lesen! ALFONSO, Ressortleiter
MeckleN
burger
Edel
dampf
Gefängnisgrundmauern haben sie bereits zum Vibrieren
gebracht, demnächst geht’s als vorband »Poison«Cooper auf die Bühne: Diese Heavy-Metal-Band ist viel
mehr ist als nur ein lokaler Geheimtipp. Im Kröpeliner
Proberaum bei knisterndem Kamin und einem Bierchen
treffe ich sie: Bühne frei für die Iron Horses!
heuler: Wann gibt es von euch das nächste Album
auf die Ohren? Inwiefern rockt es härter als das
letzte?
Iron Horses: [Alle; abwechselnd und durcheinander.] Ende März
wollen wir anfangen, es aufzunehmen. Man muss dazu sagen:
Wir hatten einen Umbruch, weil wir die Band auf vier Köpfe reduziert haben. Aufgenommen hatten wir die Platte schon einmal und
müssen jetzt noch mal ran, damit die Fans und wir selbst damit
vollkommen zufrieden sein können. Es wird definitiv härter als
das alte Album sein. Und es wird auf jeden Fall noch dieses Jahr
fertig. Die Songs auf unserer Website sind nur als Vorab-Demos zu
verstehen – die werden wir noch ordentlich aufpeppen! Das neue
Album wird es dann auch zum Download geben.
In der Hansestadt munkelt man, hinter dem Titel
eures ersten Werkes »Titan ’n’ Bones« verberge sich
eine dramatische Story? Welche ist das?
Das Cover zeigt ja ein Röntgenbild von Babschkes [Frontröhre]
Rücken. Sein Rücken wurde nach einem schweren Unfall mit
Titanplatten und -schrauben wieder zusammengesetzt. Der Titel
hat einfach in diesen Zeitabschnitt der Band und zu den Songs
auf der Platte gepasst.
Mein momentaner Lieblingssong (neben denen, in
denen Basssolos vorkommen), ist »On a Run«. Habt
ihr einen eigenen Favoriten?
»Steammachine«, »Boneshaker«, »Crash and Burn«, die grooven
alle wie Sau. Und »On a Run« ist immer noch im regulären
Programm.
Wie hart rocken Rostock und Umgebung?
Wir hatten hier schon geile Gigs. Man muss sich aber auch
klarmachen, dass Rostock einfach zu klein ist. Man kann nicht
vier- oder fünfmal jährlich präsent sein, da sind die Fans schnell
gesättigt. Ein- oder zweimal im Jahr ist okay, dann aber richtig.
Was unterscheidet euch von anderen Bands?
Wir machen Rock ’n’ Roll! Außerdem kommen wir nicht aus der
Großstadt, sondern aus der Region. Wir unterliegen nicht dem
Gruppenzwang von aktuellen Strömungen und Mainstream.
Außermusikalisch gibt es einen besseren Zusammenhalt.
Wie habt ihr euch kennengelernt?
Wir haben irgendwann im Wohnzimmer angefangen zu klimpern
und 1999 stand der Plan für eine Band. Seitdem ist diese ViererGrundbesetzung durch dick und dünn unverändert geblieben.
Wenn man auf eure Songtexte achtet, weiß man
ziemlich schnell, in welche thematische Richtung
die Dampflokomotive fährt. Steckt dahinter eine
persönliche Lebensphilosophie oder ist das Produkt
von den Künstlern zu trennen?
Das sind Geschichten aus unserem alltäglichen Leben. Nur
politisch lassen wir uns nirgendwo reindrängen, weder links noch
rechts!
Welche Zutaten gehören in euer Musikrezept?
Geilheit. Man muss geil drauf sein. Ansonsten verwenden wir
noch immer die gleichen Zutaten wie vor acht oder neun Jahren.
Bei uns kommt das einfach. Wir nehmen uns nicht jedes Mal
extra vor, dass wir einen Rock-’n’-Roll-Song machen. Und wenn
jetzt ein Popsong dabei herauskäme, würden wir den machen.
Selbst dann würde der noch so klingen, als wäre er ein mit Herz
hergestellter Song von uns. Aber natürlich kommen von uns
keine Popsongs. [Lachen.]
Woher kommt bei euch denn die musikalische
Inspiration?
Manu [V-Gitarrist] macht das meiste. Zu viele Köche verderben
schließlich den Brei. Mit der Rohversion setzen sich dann Moler
[Bassbombe], Christoph [Trommler] und Babschke separat
auseinander.
Babschke, sind die hohen Schreie eigentlich sehr
anstrengend?
Nee, das werde ich auf dem neuen Album natürlich auch wieder
machen.
Was ist der Unterschied zwischen Pop und Heavy
Metal, außer dass Heavy Metal natürlich die bessere
Musik ist?
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Was würdet ihr bisher als euren größten
Band-Erfolg bezeichnen?
Vor allem, dass es uns noch gibt! Tolle Auftritte gab
es viele. Im Knast zu spielen, hat zum Beispiel auch
viel Spaß gemacht.
Was haltet ihr von der InternetMusikkultur?
Das ist ein schwieriges Thema. Einerseits will jeder
am liebsten alles umsonst herunterladen. Wenn du
Qualität haben willst, muss diese aber auch jemand
produzieren. Und wenn man sich die Brötchen
anders verdienen muss, kann man sich nicht mehr
ausreichend auf die Mucke konzentrieren. Auf der
anderen Seite wird man regelrecht erschlagen von
der heftigen Überpräsenz im Web. Man weiß gar
nicht mehr, was wann wo rausgekommen ist. Man
sieht jeden Tag neue Interpreten, Musiker, Alben, das
ist einfach zu viel, finden wir. Das alles zu überblicken, kann man zeitlich gar nicht schaffen. Da bleiben sicher auch viele gute Sachen auf der Strecke.
Was haltet ihr von seinem Auftritt in der
Werbekampagne von Saturn?
War doch witzig. Erst dachte man, er verkauft sich,
aber finanziell hat er’s ja nicht nötig.
Im Internet kursiert die Neuigkeit, ihr
hättet bald einen Gig mit Alice Cooper. Ist
das wahr?
Ja, das ist wahr! Wenn das klappt, wird das ein
großes Highlight!
Wie wichtig ist es heutzutage, ein Rebell
zu sein?
Sehr wichtig! Aber da muss man genau hinschauen:
Heutzutage ist doch fast jeder ein Rebell, jeder hat
irgendwo einen Aufkleber mit Totenköpfen, jeder hat
Moler, Babschke, Manu und
Chistoph: die Iron Horses
Meine Freundin möchte gern wissen:
Was ist euer Haarpflegegeheimnis?
Das wollen wir eigentlich nicht preisgeben. Selbst
unserem Manager haben wir es nicht verraten.
[Lachen.]
Noch eine Nachricht an unsere weiblichen
Leser?
Kommt zum Konzert! Betrinkt euch, und schwitzt
ganz viel!
Danke für das Interview, Iron Horses!
Interview
Web
CHRISTOPH TRESKOW
www.iron-horses.com
Wanted! DEUTSCHLANDBESSERMACHER
Weg mit allem Kopfsteinpflaster! Wer hat entschieden, dass Kopfsteinpflaster eine gute Oberfläche
für alles Beliebige ist? Im Ernst. Es ist scheiße, drauf zu
fahren, drauf zu laufen, drauf zu stehen und drauf zu
krabbeln. Und ich nehme auch an, dass es teuer ist.
Wie könnte es nicht sein? Tausende von Steinen, die
individuell in den Boden von Hand platziert werden
müssen, einer nach dem anderen. Ich wette, dass das
nicht gut für das Selbstwertgefühl dieser Leute sein
kann. Sie brauchen eine ganze Woche für etwas, das
in fünf Minuten mit Beton fertig sein könnte. Wenn sie
fertig sind, was denken sie dann? Etwa »Oh, ich bin so
froh, dass ich fertig mit diesem schönen Mosaik bin,
auf dem nun Hunde kacken können!«?
U-Bahn-Netz für ganz Deutschland! Ich
war ein Wochenende lang in Berlin, und als ich mit
der U-Bahn fuhr, dachte ich: Wäre es nicht schön,
mit diesem Zug die ganze Strecke zurück nach
Rostock fahren zu können? Oder vielleicht weit in
den Süden, nach München? Oder zu den Bayerischen Alpen? Oder zur polnischen Grenze? Darum
denke ich, Deutschland sollte ein U-Bahn-Netz für
ganz Deutschland bauen. Ja, die Reise dauert ein
bisschen länger, aber man sagt doch »Der Weg ist
das Ziel«, richtig? Vielleicht wäre es auch eine gute
Sache, sich in der heutigen, temporeichen Welt für
einige Dinge ein wenig langsamer zu bewegen.
Vielleicht würde es uns guttun.
»Leute-Bahn« auf dem Weihnachtsmarkt!
Jeder kennt den Weihnachtsmarkt: der Ort, an dem
man lernt, dass der Mann hinter Weihnachten kein
fröhlicher, alter Kerl in einem roten Anzug ist, sondern ein verärgerter Mann in Tarnhose, mit einer
Zigarette aus seinem Mund hängend. Und auf dem
Weihnachtsmarkt gibt’s viele Gründe für Ärger.
Einer davon ist, dass es hier zehn Minuten dauert,
um zehn Inches zu gehen (oder 25,4 Zentimeter, für
die Europäer da draußen). Wir haben ja schnelle­
Straßen für Autos, warum nicht auch für Leute? Wir
brauchen eine »Autobahn« für schnelle Leute: eine
»Leute-Bahn«, wenn man so möchte. Dieses Konzept gilt auch für Ostermärkte, Pfingstmärkte, Sommersonnenwendemärkte oder irgendwelche anderen Märkte, die es in diesem Land gibt.
Hebt die GEMA auf! Deutschland muss begreifen, dass die GEMA nervend, doof, nutzlos und die
Quelle allen Übels der Welt ist. Es stimmt: Etwa 97
Prozent aller Gewaltakte stammen von dem Versuch her, ein Musikvideo anzuschauen, das von der
GEMA blockiert wurde. Sie ist auch die Hauptursache für das Rauchen, Drogenabhängigkeit, Hirnkrebs und Teenagerschwangerschaft.
Text
MADELINE ESTES
Foto: Kirsten Griese / Bernd Bethke
verrückte Hobbys, was auch immer. Du bist ja sogar
ein Rebell, wenn du kein Rebell bist. Da muss man
sehen, wo es noch die richtig coolen Typen gibt, die
für das einstehen, was sie machen.
Früher ist die Musik mal angetreten für Freiheit,
wobei die Rock- und Heavy Metal-Musik inzwischen
auch ziemlich kommerziell ist. Aber das ist ja auch
nicht schlimm. Wenn du was verkaufen willst, musst
du eben Kompromisse eingehen. Richtige Rockmusik
unterliegt aber nicht dem Kommerz. Freiheiten lassen
sich in unserem Bereich noch eher ausleben, Popmusik wird tendenziell für den Verkauf produziert.
Foto: Sandor Hegedus / 123rf.com
WIE IN EINEM
SCHLECHTEN
FILM
Vom 1. bis 6. Mai wird in Schwerin wieder der
rote Teppich ausgerollt: Das 22. Filmkunstfest
Mecklenburg-Vorpommern steht vor der Tür und
lädt Filmschaffende und Publikum ein, zwischen
Capitol und Pfaffenteich auf cinematische
Entdeckungstour zu gehen. Doch die Stimmung
ist getrübt.
Wie schlimm steht es um eine Veranstaltung, wenn
sich der zuständige Kultusminister einschalten muss, um den
Zwist in der Veranstaltungsleitung beizulegen? Eine b
­ erechtigte
Frage. Um im Streit hinter den Kulissen des Filmkunstfestes zu
schlichten, lud Mathias Brodkorb Mitte Januar zu einem persönlichen Gespräch. Der Versuch glückte. Und der Minister
sparte anschließend nicht mit eindringlichen Worten: »Wir
brauchen dieses Festival als cineastische Perle in unserem Land
und niemand kann wollen, dass es weiter beschädigt wird.«
Was war passiert? Das Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern, das sich seit 1991 zum wichtigsten Publikumsfestival
in den neuen Bundesländern entwickelt hat, schien tatsächlich von einer Schlammschlacht beschädigt zu werden. Die
Hauptrolle in diesem Streit spielten Torsten Jahn und Stefan
Fichtner. Jahn, Geschäftsführer der veranstaltenden Filmland MV gGmbH, kündigte Anfang des Jahres eine »Umstrukturierung« an. Zu dieser gehört unter anderem der neue
Posten des »Festivalbotschafters«, welcher das Filmkunstfest
nach außen repräsentieren soll. Als erster Botschafter wurde
»Novemberkind«-Regisseur Christian Schwochow einberufen.
Doch Jahns Pläne gingen noch weiter: Künftig sollte das Festival ohne künstlerischen Leiter auskommen – anders gesagt:
ohne Stefan Fichter. Der studierte Filmwissenschaftler ist seit
2007 im Filmland-Team dabei, im Sommer 2010 wurde er für
die künstlerische Leitung des jährlichen Festivals nominiert.
Als sein Posten durch den künftigen Festivalbotschafter ersetzt
werden sollte, wurde Fichtner vor die Wahl gestellt: Entweder
er bleibt dabei und arbeitet in der Programmredaktion, oder
er verlässt das Team. Der Schlagabtausch ließ nicht lange auf
sich warten: Fichtner sprach in der Schweriner Volkszeitung von
»Demontage«, von »verdeckten Attacken« und »intrigantem
Verhalten«. Jahn dagegen verwies darauf, dass die personelle
Umstrukturierung ein Anpassungsprozess sei, einen Streit mit
Fichtner habe es aber nicht gegeben. Erst im Gespräch mit
Brodkorb konnte der Streit beigelegt werden: Stefan Fichtner
bleibt der künstlerische Leiter fürs Filmkunstfest 2012.
Was nach gutem Stoff für ein Drehbuch klingt, scheint der
vorläufige Höhepunkt einer längeren Entwicklung rund ums
Schweriner Filmkunstfest zu sein. Denn die Vorwürfe gegen
Jahn wiegen schwer: Schon der langjährige Leiter Hasso Hartmann warf 2010 das Handtuch – Diagnose: Burn-out. An den
Feierlichkeiten zum 20. Jubiläum nahm er gar nicht erst teil.
In Hartmanns Fußstapfen traten Stefan Fichtner und Saskia
Walker. Schon ein halbes Jahr später erklärte Walker ihren
­
Rücktritt. Auch sie klagte gegen Torsten Jahn: Der Geschäftsführer verbreite eine »Stimmung der Angst«, die Arbeit der
künstlerischen Leitung werde zu wenig gewürdigt.
Hartmann, Walker, Fichtner – im Januar sah es noch so
aus, als ob das Filmkunstfest drei angesehene Festivalleiter in
nur zwei Jahren verschleiße. Liegt’s am »System Jahn«? Klaus
­Blaudzun vom Institut für neue Medien Rostock führt die Streitigkeiten in Schwerin auf einen »eisigen, zynischen Arbeitsstil«
von Torsten Jahn zurück. Doch je lauter die Kritik an den internen Querelen wurde, desto mehr stärkt der Aufsichtsrat dem
Geschäftsführer den Rücken.
Die Vorbereitungen des diesjährigen Festivals laufen derweil
auf Hochtouren. Bekannte Schauspieler wie Katrin Sass, Ulrich
Matthes und Otto Sander stehen auf der Gästeliste. »Entdecken
Sie mit uns in Schwerin neue kontroverse Filme, die sich mit unseren Sehgewohnheiten reiben«, lauten die einladenden Worte
von Stefan Fichtner auf der Filmkunstfest-Homepage. Kontroverse Reibereien – es bleibt zu hoffen, dass sich dieser Anspruch
nur auf die Leinwand bezieht.
Text
TINO HÖFERT
Web
www.filmkunstfest-mv.de
41
VOm HEULER ZUM
sEELÖWEN
»Diese Zeitung will heulen so wie der Wind um alle Mauerwerke, durch alle Ritzen fährt, wie die heulende Boje auf
unwegbare, gefahrvolle Gewässer weist, ähnlich der jungen friedfertigen Robbe, die allem Schmutz und Öl, allem Unrat und
Abfall lauthals trotzt.« Dies schrieb Stefan Volke 1995 in das Editorial der ersten heuler-Ausgabe.17 Jahre später trafen wir
den Gründer des Studentenmagazins anlässlich unseres ersten platzes beim Pro Campus-Presse Award. Ein Gespräch über alte
und moderne Probleme des heuler, die Gründungszeit und (Politisches) Engagement in der Studierendenschaft.
Gespräch
ALFONSO MAESTRO, GESA RÖMER, MICHAEL SCHULTZ, ELISABETH WOLDT
Stefan Volke: Es gab früher ein Faltblatt, das waren sechs aneinander
geheftete Din-A4-Blätter. Und ich fand dieses Faltblatt sehr unansehnlich und leserunfreundlich.
Magazinausgaben geleistet. Ich kann mich jedoch nicht mehr entsinnen,
warum wir den Namen genommen haben – es gab eigentlich keinen
logischen Grund dafür. Es hatte einfach etwas Norddeutsches, Kleines,
den Ostseebezug und diese Mehrdeutigkeit mit dem Heuler, dem Aufschreien und so weiter … So entstand der Name. Und heute wüsste ich
keinen besseren, obwohl er ein bisschen kitschig ist.
Wir haben so ein Exemplar sogar noch hier rumliegen …
Was war das Schönste damals?
[Lacht.] Oh wirklich? Ich dachte, die wären schon alle vernichtet worden … Es musste jedenfalls was Neues her. Damals war noch diese
FDJ-Generation der ersten Mitglieder des StuRa [StudentINNenrat] sehr
einflussreich, und dieser waren Inhalte wie Hochschulpolitik und die permanente revolutionäre Situation der Studenten wichtig – was natürlich
an sich auch wichtige Themen sind. Aber es ging in diesen Heften eben
allein darum, wo etwas Hochschulpolitisches stattfindet, wo es sich lohnt
zu kämpfen et cetera, und wir wollten diese Informationen mit größerem
Unterhaltungswert unter die Studenten bringen. Wir wollten schlicht
einen fröhlichen Kampf. Durch Unterhaltung sollte informiert, die
Verpackung einfach lebendiger gestaltet werden. Ihr könnt euch nicht
vorstellen, wie schwierig sich dieses Unternehmen darstellen sollte. Was
hat man uns nicht alles unterstellt! Es ginge uns nur um Jux und Dallerei.
Den hochschulpolitischen Inhalten könnte man so nicht mehr gerecht
werden. Wir würden diese Zeitung nur zu unserem Privatvergnügen herstellen und – unglaublich – mit dem bereitgestellten Geld gar in unsere
eigene Tasche wirtschaften ... Dabei wollten wir doch nur ernsthaften
Sachen ein ansprechenderes Gesicht verleihen.
Das Schönste war natürlich immer die frisch gedruckte neue Ausgabe. Eine
weitere schöne Sache, die mir jetzt im Zuge der Auseinandersetzung mit
dem heuler eingefallen ist, war damals die Anfertigung der letzten Seite,
der Bastelseite. Die ist immer ganz zum Schluss mit einem letzten Aufbäumen der Kreativität per Hand entstanden, wenn wir die Nacht schon durchgearbeitet hatten und morgens um sieben noch mal beim Bäcker saßen,
kurz vor der Abgabe der Zeitung an die Druckerei. Dann gab es natürlich
die Fotostorys, bei denen wir meist zuerst die Fotos machten und uns dann
eine Geschichte dazu einfallen ließen. Und jetzt ist aus dieser Zeitung auf
einmal Deutschlands bestes Studentenmagazin geworden. Wie ist das
denn bei euch? Könnt ihr selbst entscheiden, welche Texte ihr aufnehmt?
heuler: Wie kam es eigentlich dazu, dass du den heuler
gegründet hast?
42
Wie kam es denn zum Namen »heuler«?
Ich weiß noch genau, wie wir uns damals trafen und in einer kreativalbernen Stunde überlegten, wie die Zeitung nun heißen soll. Ich weiß
sogar noch, wer den Namen vorschlug: Es war ein Politikstudent, der nur
kurz beim heuler tätig war. War er danach überhaupt jemals beim heuler
aktiv? Wie auch immer. Er hatte damit seinen Beitrag für alle folgenden
Ja, wir entscheiden selbst – auch wenn immer wieder
Leute, besonders aus StuRa und AStA [Allgemeiner Studierendenausschuss], auf uns zu kommen und bestimmte
Themen aufgenommen haben wollen.
Oh, das hatten wir auch. Da kamen immer wieder Vertreter aus dem
StuRa, die uns drängten, Texte aufzunehmen. Die waren häufig so
schlecht … Wir hatten zum Beispiel einen Text des StuRa-Präsidenten mit
einem Haufen schmerzhafter Stilblüten. Aber da war nichts zu machen.
Der StuRa hatte es beschlossen und der Text musste in dieser Form rein.
Das haben wir zum Glück nicht mehr. Aber die Studierendenschaft ist als unser Herausgeber immer noch die
Rechtsaufsicht. Das heißt, es können Hinweise auf
mögliche rechtliche Bedenken geäußert werden, die wir
dann annehmen können – oder auch nicht, dann haften
wir aber selbst. Ärger gibt es weniger mit Artikeln, die
noch unbedingt rein müssen, als mehr mit guten Artikeln,
die raus sollen, weil sie irgendwem nicht passen oder man
für etwas Verantwortung übernehmen müsste, was dann
öffentlich würde.
das Layout et cetera. Viele Texte, besonders aus der Hochschulpolitik,
kamen aus dem StuRa. Der Layouter, in der Regel eine weitere Person
und ich haben dann meist bis in die Nacht zusammengesessen und uns
überlegt, was wie reinkommen sollte, und anschließend die Zeitung erstellt. Es gab schon vorbereitende Treffen, in denen besprochen wurde,
was wir machen.
Wie habt ihr damals gearbeitet?
Passiert so etwas oft?
Im vergangenen Jahr am laufenden Band. Der heuler
betrachtet sich als ein Medium, das auch kritisch über den
AStA und StuRa berichtet und sich nicht primär als
Sprachrohr dieser Gremien versteht. Da bleiben solche
Diskussionen nicht lange aus.
Ist der heuler im Netz zu finden?
Es gibt den gesamten heuler als PDF zum Download in unserem Online-Archiv und ausgewählte Artikel noch einmal
vollständig als kommentierbare Online-Artikel.
Das Internet gab es damals noch nicht. Wenn ich daran denke, wie wir
das Ganze gespeichert haben … Disketten waren für die Datenmenge
schon zu klein. Es gab spezielle Großkassetten – ich weiß gar nicht
mehr genau, wie die Dinger hießen –, die haben wir uns dann immer
extra beim Medienzentrum ausgeliehen. Die waren damals unglaublich
kostbar.
Man muss auch sagen, dass die Datenmenge mit dem
Aufwand für das Layout gestiegen ist. Ein fertiger heuler
entspricht in etwa drei Gigabyte an Datenmenge.
Ja, gerade im Layout sieht man die Unterschiede. Unseres war damals
ja nicht so …
Und es ist nach wie vor alles kostenlos?
Ja. Und das würden wir gern so belassen!
Diese Diskussion gab es damals auch schon. Für Geld würden sich wohl
die Wenigsten den heuler tatsächlich noch mitnehmen. Wie ist denn so
die Stellung des heuler in der Universität?
Wir sind mittlerweile das einzige Magazin, das in der Uni
ausliegen darf, weil Stadtmagazine wie die »Szene« und
die »Piste« kommerziell sind. Unser vielleicht größtes
Problem ist dagegen der Nachwuchs, denn wir hier
werden alle in absehbarer Zeit gehen. Es wäre schön,
neue Gesichter zu sehen.
Ach, wir blättern eigentlich immer gerne mal in den alten
Ausgaben, haben von jeder ein Exemplar in unserem eigenen Archiv stehen. Deswegen ist es für uns so schön, den
Gründer von unserem heuler mal persönlich zu treffen.
Eines möchte ich abschließend gerne noch anmerken: Es erfüllt mich
angesichts der unsäglichen Querelen in der Gründungsphase mit
Freude, dass unter all den nachfolgenden Redaktionen aus dem kleinen
heuler schließlich so ein Seelöwe unter den Studentenmagazinen geworden ist. Macht weiter so!
Vielen Dank dafür und für das Gespräch.
Wahrscheinlich so eine Art Berührungsangst vor diesem festen Kreis an
Redakteuren.
Ja, womöglich. Dabei sind die Aufstiegsmöglichkeiten
beim heuler eigentlich recht einfach: Man kommt leicht
ran und wird gern gesehen. Es gibt kaum Hierarchien,
sondern eigentlich nur Organisationsstrukturen, die uns
die Sachen einfacher machen. Das meiste wird auf unseren gemeinsamen Treffen beschlossen oder in die große
Redaktion getragen. Wie war das denn bei euch?
Dr. Stefan Volke
Wir hatten eine vergleichsweise kleine, aber feste Redaktion. Die Aufgaben waren klar verteilt, wer macht den Kulturbereich, die Fotostory, wer
hat in Rostock Philosophie, Geschichte und
Germanistik studiert und in Berlin promoviert.
Momentan ist er Lehrer in Freiburg.
43
44
Illustration: Michael Schultz
DER PETER
WEISS ...
»Wir haben alle unsere Geschichte. Ein jeder von uns wurzelt tief in der Vergangenheit.«
AuSSer Germanistik-Studenten können jedoch nicht viele von uns mit jener von Peter
Weiss etwas anfangen. Dem soll anlässlich seines 30. Todestages ein kleines Porträt des
Multitalents sowie des Peter-Weiss-Hauses abhelfen.
Seit 2000 steht das ehemalige »Haus der
Freundschaft« unter Denkmalschutz und wird
­zunehmend saniert und verschönert. Mit Besitzerwechsel wurde es im Jahr 2008 in »Peter-WeissHaus« umgetauft, in dem nun der gleichnamige
Verein als Träger des Gebäudes fungiert. Als Bildungs- und Kulturhaus bietet es für zahlreiche Veranstaltungen Platz: Regelmäßig finden Lesungen,
Konzerte und Theaterprojekte statt, und Anfang
Mai wird dort die Peter-Weiss-Woche im Mittelpunkt stehen. Im Besonderen widmet es sich der
Erhaltung von Peter Weiss’ Lebenswerk.
Wer war das nun genau? Peter Weiss wurde
am 8. November 1916 in Nowawes (bei Potsdam) geboren und verstarb am 10. Mai 1982
in Stockholm nach einem schaffensreichen Leben. Internationalen Erfolg konnte er mit seinem
Theaterstück »Marat / Sade« verbuchen. Als sein
Hauptwerk gilt allerdings das dreibändige »Die
Ästhetik des Widerstandes«. In der letzten Hälfte
seiner Karriere wurde er besonders mit seinen Dokumentartheaterstücken wie »Die Ermittlung« und
»Vietnam-Diskurs« bekannt, die sogar zu politischen Diskussionen im geteilten Deutschland und
dem Rest der Welt führten. Doch Peter Weiss war
noch vielseitiger: Sein kreatives Schaffen begann
er als Maler. In seinen oft düsteren, expressionistisch beeinflussten Bildern verarbeitete er immer
wieder die Kriegsproblematik (unter anderem
»Das Welttheater«, »Die Maschinen greifen die
Menschen an«). Einen weiteren interessanten Blick
auf seine Arbeit bekommt man durch sein filmisches Werk: Fast ein Dutzend surrealistisch anmutender Kurzfilme, zuweilen auch mit Dokumentarcharakter (zum Beispiel »Gesichter im Schatten«,
»Im Namen des Gesetzes«) drehte Peter Weiss bis
in die 60er-Jahre. Als Schriftsteller begann er intensiver zu arbeiten, nachdem der Erfolg als Maler
oder Filmemacher weiterhin auf sich warten ließ.
Gerade literarisch war Weiss ziemlich vielseitig: Neben zahlreichen Dramen veröffentlichte er
auch einige Prosastücke und Erzählungen. Immer
wieder stehen dabei Sexualität, Gewalt, Mangel
an Zugehörigkeit und die Wirklichkeitserfahrung
im Zentrum seines Werks. Mit den politischen
Dramen von 1964 bis 1971 kritisierte er auf der
Bühne weltweite politische Missstände. In »Die
Ermittlung« wird der erste Frankfurter Auschwitzprozess thematisiert, während im »Gesang vom
lusitanischen Popanz« die portugiesische Kolonialherrschaft in Angola beleuchtet wird. Nach
der langjährigen Arbeit an »Die Ästhetik des
Widerstandes«, in dem unter anderem der kommunistische Widerstand gegen den Faschismus,
aber auch die Verbrechen des Stalinismus in den
Blickwinkel gerückt werden, versuchte sich Weiss
noch an einer Bearbeitung von Kafkas »Prozess«
(»Der neue Prozess«), nach dessen Uraufführung
der Autor zwei Monate später starb.
Rostock steht mit Peter Weiss in einer engen
Beziehung. Das schon in Westdeutschland bekannte Stück »Marat / Sade« kam hier 1965 zur
Uraufführung, worauf sich eine lang anhaltende
Weiterarbeit mit dem Volkstheater Rostock an­
schloss. In Zusammenarbeit mit und auch unter
der Regie des damaligen Intendanten Hanns-Anselm Perten wurden Weiss’ Stücke dem Rostocker
Publikum näher gebracht. Zuletzt wurde »Marat
/ Sade« 1999 in unserer Neptun-Schwimmhalle
als besonders origineller Aufführungsort zum Novum. Zur Peter-Weiss-Woche ist die Kooperation
wieder geplant und die Eröffnungsveranstaltung
ist im Theaterzelt angedacht.
Text
Stefanie krauß
Peter-Weiss-Woche
(7.–10. Mai 2012)
In Zusammenarbeit mit dem Volkstheater, der
Universität und dem Literaturhaus findet die
Peter-Weiss-Woche anlässlich des 30. Todestages
dieses Jahr bereits im Mai statt. Hier die Termine
für euch:
7. Mai, 19 Uhr, Theaterzelt
Collagenartig stellen Mitarbeiter des Volkstheaters
Inszenierungen von Peter Weiss in Rostock vor.
Als Gast ist der Wissenschaftler Manfred Haiduk
geladen, der als langjähriger Freund des Autors
und Kenner vor allem seiner dramatischen Werke
Rede und Antwort stehen wird.
8. Mai, ab 17 Uhr, Peter-Weiss-Haus
Wissenschaftliche Vortragsreihe zum Werk von
Peter Weiss:
1. »Peter Weiss in Schweden« (Prof. Manfred
Haiduk)
2. »Welttheater – Annäherungen an den Dramatiker Peter Weiss« (Dr. Hella Ehlers in Zusammenarbeit mit Studenten des Instituts für Germanistik)
3. Intermedialität bei Peter Weiss (Dr. Elisabeth
Wagner)
9. Mai, 20 Uhr, Peter-Weiss-Haus
Vortrag mit Lesung: Uwe Johnson – Peter Weiss
10. Mai, 20 Uhr, Peter-Weiss-Haus
Die Poesie-Gruppe »Großraumdichten« wird zu
Peter Weiss’ Mikro-Roman »Der Schatten des
Körpers des Kutschers« eine Performance der
besonderen Art abliefern.
45
ALFONSO MAESTRO
Heute erklären wir das Medium Bart: Ein Bart transportiert Autorität, diktiert er doch sogar seinem Träger (!)
– täglich – komplizierte Auflagen und Pflege­hinweise
(Beleg aus Russland: »Lieber jährlich gebären als täglich
zu scheren«). Bärtige, diese stolzen, abgebrühten, humorlosen Menschen, historische Weltmeister in der Disziplin
»Frauen, Kinder und Schwarze verhauen«, könnte man
mit der Attribuierung »bigott« versehen – intolerant und
engherzig. Hände hoch, soweit alle d´accord? Gut, und
was der fünfsemestrige Wissenschaftler in mir nun daraus
schlussfolgert, ist eine These, die zwar Molière in »L’École des
femmes« schon gesagt hat, »Macht ist da, wo Bärte sind«, aber
dessen sprachliche Erklärung noch nicht weit genug verbreitet
ist. Ich ergänze nun den guten alten Molli: »Bigott ist bigote.«
Das im Englischen sehr gängige »bigot« kommt vom spanischen
»bigote«. Die Spanier haben es, glaubt man der Sage, von einem
deutschen Ausdruck für Mami-ich-mach-mir-in-die-Hose: der
Ausruf »bei Gott!«, der von einer Geste begleitet wurde, bei der
die Hand zur Oberlippe geführt wurde. Oh, bei Gott (Regieanweisung: Hand zum Mund)! Werter Leser, ist die Frau
deshalb gerade in jenen Ländern so unterdrückt, wo alle
bigote tragen? Meine Prätentionen enden mit dieser
Frage. Ich gebe den Ball an die Soziologen weiter
und verabschiede mich mit einer konfuzianischen
Gleichung: Gut eingeseift ist halb rasiert.
Text
AN DER
MEDIEN
THEKE
«
Friedrich Nietzsche, Die Morgenröte, Aph. 381
»[Es]
kann der sanftmüthigste und billigste Mensch, wenn er
nur einen großen Schnurrbart hat, gleichsam im Schatten desselben
sitzen, und ruhig sitzen, – die gewöhnlichen Augen sehen in ihm
den Zubehör zu einem großen Schnurrbart, will sagen: einen
militärischen, leicht aufbrausenden, unter Umständen gewaltsamen
Charakter – und benehmen sich darnach vor ihm.
Geschmacks
polizei
46
HANNES FALKE
Charles Berberian steckte zwischen zwei Schulterpolstern, als für ihn
die Musik eine Hochzeit erlebte. Mit »Jukebox« öffnet er nun für alle Interessierten das Booklet zu seinem Soundtrack des Lebens – auch für diejenigen ohne Schulterpolster. Für die arabische Welt waren Om Kalsoum
und ihre Band das, was die Beatles für uns darstellen – Ikonen. Für den
kleinen Berberian jedoch war sie mit ihrer enormen Sonnenbrille die Furcht
einflößende­»Woman in black«. Dennoch war sie zeit seiner Kindheit ein Teil
von ihm und prägte ihn so sehr, dass er ihr ein ganzes Kapitel in seinem
neuesten Buch gewidmet hat. Der 1959 in Bagdad geborene Zeichner und
Autor verbrachte seine Jugendjahre in Beirut, bevor er Mitte der 70er nach
Frankreich zog. Dort schloss er musikalische Freundschaften mit Künstlern
der westlichen Welt. Große Namen wie Michael Jackson, die Rolling Stones
und John Lennon ziehen sich durch seine Biografie. Aber auch Bands wie
Übernannies & The Pinball Razors Choir oder Gay Zombies On Crack,
die er im Kapitel »Zu hip für dich« eher erwähnt, als ausführlich über sie in
Erinnerungen zu schwelgen, bietet »Jukebox« Platz. Mit je einem Abschnitt
ehrt der geistige Vater von Monsieur Jean auch seine ehemaligen, in die
Jahre gekommenen Heroen Elton John und Phil Collins mit der Bitte, den
alternden Musikern doch zumindest für ihre Anfänge Respekt zu zollen. Es
bleibt aber nicht dabei, dass Berberian ausschließlich aus seiner Vergangenheit schöpft, sondern er unterhält sich auch aus dem Heute heraus mit
Musikern von damals. So besucht er zum Beispiel David Bowies Alter Ego
Ziggy Stardust, redet mit ihm über dessen Werdegang und rät ihm trotz
überstandener Herzattacke und Drogenkonsum, auf sich aufzupassen. In
den strahlendsten und schwärzesten Momenten eines Musikerlebens findet
Charles Berberian immer etwas, worüber es sich zu zeichnen lohnt. Denn
am Ende ist »Jukebox« nicht nur ein Fotoalbum mit vergilbten Bildern ­alter
Freunde Berberians, sondern sein persönliches Nonstop-Konzert sowie
­unsere Orientierung durch die Geschichte der Musik.
Text
Monsieur Jean
mag Musik
Charles Berberian: »JUKEBOX«
GRAPHIC NOVEL
47
Jukebox
Charles Berberian
18 Euro
Reprodukt-Verlag
Grafiken: Charles Berberian
Foto: ©HBO
CHRISTO PH TRESKOW
Die dicke Barbara säuft, bis sie das Siezen vergisst,
der Uplegger hat was gegen Nasenringe: In diesem
Ostseekrimi mit prickelndem Platt-splash, der diesmal in
unserer allerliebsten Lieblingsstadt spielt, gibt es in jedem
Fall mehr Abgründe als Leichen in den meisten Mietkellern,
und eine Menge unterdrückte Herzlichkeit dazu. Wer nun
bei vier ermordeten Schweden wie ich an Köttbullar und
einen knäckebrotbrechenden Berserkerrausch denkt, muss
sich enttäuschen lassen: Das ist nicht des Rätsels Lösung!
Text
FRANK GOYKE: »MÖRDER IM
GESPENSTERWALD«
ostsee-KRIMI
»game of thrones«
26. April 2012, 19:30 Uhr
Lesung im Ehm-Welk-Haus in Bad Doberan
27. April 2012, ab 20 Uhr
Werkstattgespräch zur Langen Nacht der Bücher
bei Weiland in Rostock
TERMINE
Frank Goyke
Mörder im Gespensterwald
9,99 Euro
Hinstorff Verlag
Peter Dinklage oder die deutsche Schauspielerin Sibel
Kekilli (»What a Man«). Trotz der zahlreichen Charaktere
und Handlungsstränge liegt der Fokus von »Game of
­Thrones« auf der Familie Stark. Diese muss sich in einer
Welt zurechtfinden, in der Machtstreitigkeiten, Gold und
Lügen
mehr wert zu sein scheinen als Ehre und Anstand.
Text
Marten Neelsen
Damit hat Autor Martin mit seinen Büchern eine Welt
erschaffen, in der es um Intrigen, Macht, Politik, Gewalt
»Game of Thrones«, basierend auf der Bücherreihe
und sogar ein bisschen Romantik geht. Platte Bösewichte
»Das Lied von Eis und Feuer« von George R. R. Martin,
sucht man vergeblich. Die Geschichte erfährt man – dank
mag auf den ersten Blick wie eine gewöhnliche Fantasy­
der hervorragenden Erzählweise – aus vielen verschiedeserie erscheinen. Doch wer Elfen oder Orks erwartet,
nen Blickwinkeln, und zwar immer aus der Sicht desjeniliegt falsch, denn hier hat man es zu einer ganz neuen
gen Protagonisten, dem das Kapitel gewidmet ist. So sieht
Definition des Genres gebracht. Drehbuchautor David
man die Welt einmal mit den Augen eines erwachsenen
Benioff scherzte, die Serie sei wie »die Sopranos in
Mannes, dann wieder aus der Perspektive eines Kindes.
Mittelerde«. So war die erste Staffel ein riesiger Erfolg und
Im Vergleich zur Romanvorlage beschäftigt sich die Serie
wurde nicht umsonst mehrmals für den Emmy nominiert.
ausführlicher mit den Charakteren und zeigt auch ganz
Bis in die kleinsten Nebenrollen ist die Fernsehadaption
neue Szenen, ohne dabei den Text zu entfremden. Im Mai
hervorragend besetzt: Unter den Schauspielern findet
erscheint nun der mittlerweile neunte Band der Buchreiman beispielsweise Sean Bean (»Der Herr der Ringe«),
he, während die zweite Staffel der Serie in den USA am
den jüngst für seine Rolle mit Preisen überhäuften
1. April angelaufen ist. Beides lohnt sich!
TV-SERIE NACH ROMANVORLAGE
Was sich in diesem spannenden Krimi an lauschigen
und teils altbekannten Orten in und rund um Rostock tut,
ist dennoch nichts für zarte Gemüter. Während einige
Wald-und-Wiesen-Nerds und ein cholerischer Alter ins
knisternde­Verdachtsfeld geraten, müssen Barbaras Mieze
und Kollegen deren Saufeskapaden ertragen. Reminiszenzen an skandinavische Massenmörder und der nordostdeutsche Alltag vollbringen ihr Übriges. Ob das gut geht?
Lesen und fürchten! Nur so viel sei gesagt : »Böse Kinder.
Sehr, sehr böse.« – Und zwar mit drei Ö!
48
JANA WICHERT
»Die Bücher, die von der Welt unmoralisch genannt
werden, sind Bücher, die der Welt ihre eigene Schande
zeigen«, schreibt Oscar Wilde in »Das Bildnis des Dorian
r
Gray«. Als dieses unmoralische Buch wurde sein einzige
ein
eile
Mittlerw
Roman, 1896 geschrieben, verstanden.
Klassiker der Weltliteratur, musste der Autor zwei Jahre
h
ins Zuchthaus, weil er von den Gerichten autobiografisc
verstanden worden war. Dabei hält er der Gesellschaft
seiner Zeit den Spiegel vor und zeigt Doppelmoral auf.
Wie Wilde ein Bildungsexhibitionist, gewitzter Redner,
und dazu übertrieben gut gekleidet, erscheint der von
ihm geschaffene Dorian als »libertin de mœurs«, der
viktorianisch-hedonistisch aus einer Anschauung seine
Lebenspraxis macht. Die Geschichte des Dandys ist ein
Tandem aus Lob und Kritik des Ästhetizismus: Faustisch
spricht Dorian Gray den Wunsch aus, sein Ölporträt
möge statt seiner altern. Sein Äußeres bleibt vom maßlosen Leben vollkommen unberührt, während Dorian
unweigerlich auf die Katastrophe zusteuert.
Seinen Charme und die Leichtigkeit des Lesens erhält
das Buch durch seine unterhaltsamen und durchdachten
Dialoge. Gelegentlich nimmt er den Leser mit in das
Innere des Protagonisten. Dessen Jugendlichkeit und
Text
Oscar Wilde: »Das Bildnis
des Dorian Gray«
ROMAN
Oscar Wilde
Das Bildnis des Dorian Gray
tinyurl.com/6polplg
(Projekt Gutenberg)
Foto: Wikimedia Commons
Schönheit, die Wilde sehr eindringlich und zugleich doch
mit ganz einfachen Worten beschreibt, lassen einen das
Buch nicht mehr weglegen. Im Vorwort zu »Das Bildnis
des Dorian Gray«, einem Manifest des Ästhetizismus,
bemerkt Wilde: »So etwas wie moralische oder unmorat
lische Bücher gibt es nicht. Bücher sind gut oder schlech
geschrieben. Weiter nichts.« An dieser Stelle bleibt mir
nichts anderes übrig, als festzustellen, dass dieses Buch
unglaublich gut geschrieben ist!
49
stefan ie KRAUß
Uhr),
Nächste Vorstellungen: 19. und 25. April 2012 (10
(18 Uhr)
28. April und 26. Mai 2012 (19:30 Uhr), 23. Mai 2012
im Theaterzelt
»Romeo
Shakespeares rund 400 Jahre altem Liebespaar
verholfen.
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Auch die Kürzungen der verfeindeten Elternpaare auf jeweils
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flirtet, sich dann aber zum verzweifelten Geliebten Julias
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der Getöteten als Geister
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Liebe, Humor
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im Übrigen hier zum letzten Mal in Rostock zeigen.
und ehemalige Leser ein Muss!
Text
So einzge Lieb
aus groSS em
HaSS entb rannt!
»ROMEO UND JULIA«
THEATER
Foto: Volkstheater Rostock
01/12 DAS LETZTE
50
POST
SKRIP
TUM
Club-Mater: aktiv, anregend
und belebend
Text
STEPHAN HOLTZ
Ich plädiere. Ich petitiere (leider musste ich das
Verb zu Petition gerade selbst erfinden). Ich
echauffiere mich über das schmuddelige, vorurteilsbehaftete Image des Langzeitstudenten. Weg
vom Ruf des faulen, arbeitsscheuen Sitzenbleibers
der Studienzeit! Wohin die Zeiten, da der Streber
ordentlich eins auf die Omme bekommen hat
oder auf dem Schulhof wenigstens lässig ignoriert
wurde? Wann gibt es im Leben noch mal die
­Gelegenheit so viel zu reisen, zeitaufwendige
Hobbys zu betreiben, ein Wochenende durchzufeiern, als Tellerwäscher auf einem Kreuzfahrtschiff
so lange mit dem Kapitän Grappa zu saufen,
bis dieser samt Schiff in Schräglage gerät, oder
eine Sache gepflegt gegen die Wand zu fahren?
Immerhin gilt man bis 29 nicht als erwachsen,
sondern als postadoleszent. Natürlich muss mit 18
(Semestern) langsam mal die Abnabelung von der
Alma Mater, der nährenden Mutter, erfolgen und
wir müssen uns überlegen, was aus uns werden
soll. Doch bis dahin bleibe ich gerne Mitglied im
Club-Mater. Stellt euch mal vor, wie euch irgend­
wann eure Kinder »How I Met Your Mother«-mäßig
gegen­übersitzen und fragen: »Was hast du denn
in deiner Studienzeit alles so angestellt und
erlebt?« Und nach einer endlosen Minute der
Überlegung kriegen die Früchte eurer Lenden
ein trockenes »Nüscht« zu hören. »Langweiler«
werden sie ihre alte Dame / ihren alten Herren
schimpfen. Und im rudimentären Musikfernsehen
der Zukunft singt
Cher im Panzertape-Negligé
»If I Could
Turn Back
Time«. Zu
Recht.
MY HEART
WILL GO ON
Comic
HANNES FALKE
1: Mutige Meuterei von Kieler
Seeleuten im Jahre 1918
2: So nannten die Alten Römer die
Ostsee: Mare …
3: Wenn das Wasser mehr wird – ist bei der
Ostsee aber kaum spürbar
4: Dorsch, Pomuchel oder Pomuchelkopf:
anderer Name für den Ostseefisch
5: Vereinte einst Städte wie Hamburg, Bremen, Rostock und Köln
6: Metropole, Hauptstadt und »Kaufmannshafen« an der Ostsee
7: Ein bisschen weißer Kalk und Rügens ganzer Stolz
8: Trennt erst Polen von Deutschland,
mündet dann in die Ostsee
9: Typische Brackwasserbereiche vor der Ostseeküste
10: Bis 1990 die einzige
bundesdeutsche Ostseeinsel
Ostsee kreuz
11: Wertvolles, »Duft verbreitendes«
und quer
Strandfundstück
RÄTSEL!
VON MARIEKE BOHNE UND ANNIKA RIEPE
Kennst du dich mit dem Meer vor
deiner Tür aus? Dann schicke das
hinterlegte Lösungswort bis zum
30. Mai 2012 an redaktion@
heulermagazin.de. Wir verlosen fünf
»Einmal alles, bitte!«-Eisbecher der
Rostocker Eisscholle.
Viel Glück!
Mecklenburg
ganz vorn
Welcher Autor legt hier die
Schöpfungsgeschichte lokalpatriotisch
aus? Sende den Namen bis zum 30. Mai
2012 an [email protected]
und du hast die Chance auf ein IntroPack von »Magic the Gathering«
(Dunkles Erwachen)!
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