Schattenblick Druckausgabe

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Neueste tagesaktuelle Berichte ... Interviews ... Kommentare ... Meinungen .... Textbeiträge ... Dokumente ...
MA-Verlag
IN EIGENER SACHE
Liebe Leserin und lieber Leser!
In guter Tradition, verbunden mit
herzlichen Grüßen, möchten wir an
dieser Stelle allen unseren Lesern,
Mitstreitern und Kollegen, Veranstaltern und konstruktiven Gesprächspartnern sowie nicht zuletzt
unseren hochengagierten Informanten eine erholsame Weihnachtszeit
und den denkbar besten Start in das
Jahr 2015 wünschen ... (Seite 7)
BUCH / SACHBUCH
Hartz IV und die Folgen
Auf dem Weg in eine andere Republik?
von Christoph Butterwegge
(SB) - Wenngleich das fadenscheini-
ge Glaubensbekenntnis der deutschen Wohlstandsgesellschaft längst
auf dem letzten Loch pfeift, klammern sich ihre Propheten um so hartnäckiger an das Gerücht, daß Macht
und Reichtum einiger weniger aus
einer anderen Quelle als der Unterjochung und Armut vieler stamme ...
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DIENSTE / KALENDER
Adventskalender - Türchen
für den 8. Dezember 2014
Foto: © 2014 by Schattenblick
Seite 6)
Elektronische Zeitung Schattenblick
Montag, 8. Dezember 2014
Jürgen Brähmer braucht nur eine Minute
für Pawel Glazewski
Kurzarbeit für den WBA­Weltmeister im Halbschwergewicht
(SB) ­ Vor mehr als 3000 Zuschau-
ern in Oldenburg hat Jürgen Brähmer den regulären Titel der WBA
im Halbschwergewicht erfolgreich
verteidigt. Der Schweriner aus dem
Team Sauerland brauchte nur 53
Sekunden, um den polnischen Herausforderer Pawel Glazewski auf
die Bretter zu schicken. Die meisten
Zuschauer hatten nach den Nationalhymnen noch nicht einmal richtig Platz genommen, als das Duell
auch schon vorüber war. Der in der
Rechtsauslage boxende Brähmer
übernahm sofort das Kommando
und trieb den Herausforderer in die
Seile. Dort zog er geradezu lehrbuchmäßig mit zwei Schlägen zum
Kopf die Deckung des Gegners
hoch, um dann seine gefährlichste
Waffe, einen linken Haken zur Leber folgen zu lassen. Nach diesem
schmerzhaften Treffer ging der Pole sofort zu Boden, wo er von
Ringrichter Russel Mora aus den
USA ausgezählt wurde.
Es dürfte der schnellste Sieg gewesen sein, den je ein deutscher Boxer
in einem Titelkampferzielt hat. Den
Allzeitrekord hält der US-Amerikaner Gerald McClellan, der 1993 seinen Landsmann Jay Bell nach 20
Sekunden geschlagen auf die Bretter schickte und damit seinen WBCGürtel im Mittelgewicht erfolgreich
verteidigte.
Kampfs einen spektakulären Erfolg
angekündigt hatte, verbesserte damit seine Bilanz auf 45 Siege und
zwei Niederlagen. Für den von Karsten Röwer trainierten 36jährigen,
der seit Dezember letzten Jahres
WBA-Champion ist, war es die
dritte gelungene Titelverteidigung.
Der vier Jahre jüngere Pawel Glazewski mußte in seinem 24. Profikampf die dritte Niederlage hinnehmen. [1]
Der alte und neue Weltmeister
sprach zufrieden von seiner besten
Vorbereitung seit Jahren. Er habe
gezeigt, wozu er fähig sei, und werde künftig sein Potential noch besser ausschöpfen. Schließlich habe
er nicht umsonst für zwei weitere
Jahre bei Sauerland unterschrieben.
Sein Trainer Karsten Röwer lobte
den Paradeschlag, wie man ihn besser nicht ausführen könne. Ein bißchen Glück gehöre eben dazu, worüber man nicht traurig sei.
Brähmer dankte dem Traditionsverein Traktor Schwerin für die Möglichkeit, sich dort gemeinsam mit
einigen Talenten aus dem Amateurbereich in seiner Heimatstadt auf
die Titelverteidigung vorzubereiten.
Betreut werden die Schweriner
Amateurboxer von Michael Timm,
der früher bei Universum auch der
Profitrainer Brähmers war. Dessen
Arbeitgeber Sauerland Event verJürgen Brähmer, der seit 1999 im zeichnete zuletzt einen Engpaß
Profilager antritt und im Vorfeld des beim Nachschub von Sparrings-
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partnern, da der frühere Organisator
Hagen Doering nach Unstimmigkeiten mit der Geschäftsführung
entlassen worden war. Durch die
Zusammenarbeit mit dem Schweriner Nachwuchs konnte der Mangel
an erfahrenen Trainingspartnern
kompensiert werden. [2]
Glazewski, der als krasser Außenseiter eingeschätzt und in der unabhängigen Weltrangliste erst an
Nummer 41 aufgeführt worden war,
hatte noch nie außerhalb Polens im
Ring gestanden und zuvor keinen
echten Titelkampf bestritten. Er habe zehn Wochen schwerer Arbeit
hinter sich und viele polnische
Schlachtenbummler mitgebracht,
für die es ihm schrecklich leid tue.
Seine gute Vorbereitung habe ihm
bei diesem Leberhaken eben nichts
genützt, so der gescheiterte Herausforderer.
Mit dem Kampfabend in Oldenburg
endete die langjährige Zusammenarbeit zwischen der ARD und Sauerland. Vierzehn Jahre hat "Das Erste" die Karrieren von Sven Ottke,
Marcus Beyer, Arthur Abraham
oder Marco Huck und natürlich
Trainer Ulli Wegner begleitet, der
mit Wehmut von einem bitteren Tag
für sein Team und wohl auch viele
ARD-Mitarbeiter sprach. Nun müsse man aber nach vorne schauen,
zumal man ja einen neuen Fernsehpartner gefunden habe. [3]
Beginnen wird die Partnerschaft mit
dem Münchner Privatsender Sat.1
am 21. Februar. In der Berliner O2
World kommt es zu einer Revanche
zwischen Arthur Abraham und dem
Briten Paul Smith. Bei ihrem ersten
Aufeinandertreffen Ende September in Kiel hatte der WBO-Weltmeister im Supermittelgewicht gegen den englischen Herausforderer
nach Punkten die Oberhand behalten. Der Termin für Brähmers nächsten Auftritt steht bereits fest. Er
soll am 21. März in Rostock in den
Ring zurückkehren und dann erstmals unter der Regie von Sat.1 zu
Seite 2
sehen sein. Als möglicher HerausSCHACH - SPHINX
forderer ist der Münchner Robin
Krasniqi im Gespräch, der in Magdeburg bei SES unter Vertrag steht. Guter Konservierungsstoff
Denkbar wäre künftig auch ein
Wechsel ins Supermittelgewicht, (SB) ­ Schachhistoriker sind immer
den sich der Schweriner ohne Pro- wieder überrascht von der Langlebigkeit und Kontinuität des von den
bleme vorstellen kann.
Arabern über viele Jahrhunderte hinWilfried Sauerland erneuerte in Ol- weg gespielten alten Schachs. Imdenburg seinen Vorschlag, ein deut- merhin war die ursprüngliche Form
sches Viererturnier im Supermittel- über etliche Völker islamischen
gewicht auszutragen. Neben Arthur Glaubens verbreitet. Dieser KulturAbraham und Jürgen Brähmer sol- raum erstreckte sich im Osten von
len daran auch Felix Sturm, der sich Indien bis nach Spanien im Westen.
in Eigenregie vermarktet, und Ro- Man kommt bei der Klärung dieses
bert Stieglitz vom Magdeburger Umstandes um das Faktum nicht
SES-Stall teilnehmen, die sich An- herum, daß der mohammedanische
fang November in Stuttgart einen Glaube und der ihm innewohnende
großen Kampf geliefert und unent- Fatalismus wohl der beste Konserschieden getrennt hatten. Diese Du- vierungsstoff war, den man sich zum
elle seien jetzt möglich, weil alle Zweck des Erhaltes denken konnte.
vier Boxer bei Sat.1 unter Vertrag Der Schachforscher Thassilo von
stehen. In der Vergangenheit sei es Heydebrandt und der Lasa schrieb
wegen der verschiedenen Fernseh- dazu: "Dabei liegt nun zunächst die
partner nicht zu diesem Kämpfen Frage nahe, ob das Schach keine Änderungen auf seiner westlichen Wangekommen, so Sauerland. [4]
derung erfahren hat. Dies war allerdings der Fall, aber im Ganzen ist
doch die altarabische Spielweise, bis
Anmerkungen:
sie um 1450 in unser neueres Schach
[1] http://www.boxen.com/news-ar- überging, ungefähr dieselbe vom
chiv/newsdetails/article/braehmer- Ganges bis ans Atlantische Meer gewesen. Die örtlichen Verschiedensiegt-vorzeitig/23.html
heiten waren damals viel geringer,
[2] http://www.boxen-heute.de/arti- als ich selbst noch die Unterschiede
kel/6650-leberhaken-in-runde-eins- zwischen dem früheren Spiele in Italien und dem übrigen Europa, mit
braehmer-knockt-glazewskiabweichender, jetzt aber beseitigter
aus.html
Freiheit in der Rochade und dem
[3] http://www.sportschau.de/weite- 'passare' der Bauern praktisch gere/boxen/braehmer-will-runter-cul- kannt habe. Der wahrhaft durchgreifende Unterschied zwischen dem alcay-will-rauf-100.html
tarabischen und dem europäischen
[4] http://www.abendblatt.de/spor- Schach wurde erst mit der Erweitet/article135104627/Blitz-K-o-bringt- rung des Ganges der Dame und des
Läufers gegen Ende des Mittelalters
Juergen-Braehmer-in-dieherbeigeführt." Ohne diese BeweGeschichtsbuecher.html
gungserweiterung wäre der amüsante Abschluß in der Partie zwischen
Bilek und Honfi auch gar nicht nachhttp://www.schattenblick.de/
vollziehbar. Schließlich standen drei
infopool/sport/boxen/
Damen auf dem Feld und die vierte
sbxp0567.html
war kurz vor der Verwandlung. Bei
soviel Damen wird einem im heutigen Rätsel der Sphinx ganz wirr im
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Mo, 8. Dezember 2014
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Kopf, und es müssen zudem zwei
Probleme gelöst werden: Erstens,
den prosaischen Weg zum Sieg der
schwarzen Steine zu finden, wie er
sich auch in der Partie zugetragen
hatte, und zum zweiten den kunstvollen, über den erst spätere Analytiker stolperten, Wanderer.
Bilek - Honfi
Ungarn 1957
Auflösung letztes Sphinx­Rätsel:
Der Großmeister David Bronstein
verblüffte einmal mehr durch seine
taktische Findigkeit, als er 1.h5-h6!
zog. Auf dem Damenraub wäre nun
1...Se6xg5 2.h6xg7# gefolgt. Also
zog Gurewitsch den Sicherungszug
1...Te8-g8, aber nach 2.h6xg7+
Se6xg7 3.Dg5xg7+! war es Zeit zum
Aufgeben, denn nach 3...Tg8xg7
4.Tf7-f8+ Tg7-g8 5.Tf8xg8# wäre
der schwarze König unweigerlich
mattgegangen.
http://www.schattenblick.de/
infopool/schach/schach/
sph05316.html
Liste der neuesten und tagesaktuellen
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des jeweils aktuellen Tages:
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infopool/infopool.html
Mo, 8. Dezember 2014
BUCH / SACHBUCH / REZENSION
Hartz IV und die Folgen
Auf dem Weg in eine andere Republik?
von Christoph Butterwegge
Wenngleich das fadenscheinige
Glaubensbekenntnis der deutschen
Wohlstandsgesellschaft längst auf
dem letzten Loch pfeift, klammern
sich ihre Propheten um so hartnäckiger an das Gerücht, daß Macht und
Reichtum einiger weniger aus einer
anderen Quelle als der Unterjochung
und Armut vieler stamme. Was immer den Profiteuren des gesellschaftlichen Normalbetriebs, die selbst und
gerade in Zeiten der Krise ihre Taschen füllen, an unternehmerischen
Tugenden angedichtet wird, dient allein dem Zweck, den ideologischen
Schleier des Vergessens über das
Wesen des Profits und die Brutstätten seiner Erwirtschaftung zu breiten. Führte man sich vor Augen, daß
die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und natürlicher Ressourcen, kurz der forcierte Verschleiß
und Verbrauch von Lebensmöglichkeiten aller Art, die Ultima ratio dieser Vergesellschaftung ist, stellten
sich zwangsläufig andere Fragen als
die umfassender Bezichtigung der zu
Verlierern abgestempelten Hungerleider, sie seien ihres Unglücks
Schmied.
Polizeien, Gerichte, Geheimdienste
und Streitkräfte ausgebaut hat.
Jegliche Macht- und Zwangsmittel
in Stellung zu bringen, reichte jedoch nicht aus, Verzweiflung und
Zorn zu bändigen, ehe das Aufbegehren mit der Fragmentierung und
Entsolidarisierung bricht. Der
Mensch muß sich schon selber beherrschen können, um für die Arbeitsgesellschaft zu taugen und sich
am Lohn oder Almosen zu erfreuen,
wie karg diese auch ausfallen mögen.
Wenngleich es sich unten weit
schlechter lebt und definitiv früher
stirbt als oben, klebt der Leim des
bereitwillig geglaubten Versprechens, daß man so irgendwie davon, andernfalls hingegen sofort in Teufels Küche komme.
Herrschaft in ihrem Bestand zu sichern und vorausschauend fortzuschreiben, ist folglich ein ebenso
brachiales wie diffiziles Geschäft.
Die hochindustrialisierte Gesellschaft hat massenhaften Hungertod,
Seuchen und Krieg, Sklaverei und
ähnliche Arbeitsverhältnisse mehr
oder minder erfolgreich in andere
Weltregionen ausgelagert, die für ihre Versorgung mit Rohstoffen, Vorprodukten und Billigwaren zu sorgen
haben. Um den technologischen
Vorsprung zu sichern, bedarf es eines heimischen Arbeitsregimes, das
in höherwertige Qualifikation auf
der einen und niedrigentlohnte Zuträgerdienste auf der anderen Seite
differenziert wie auch die massenhaft Überflüssigen ins Abseits
drängt.
Es liegt auf der Hand, daß wohlgefüllte Speicher geradezu zur Plünderung einladen, weshalb Reichtum allein auf tönernen Füßen stünde, verbündete er sich nicht mit administrativer und exekutiver Gewalt. Auch
wenn die Gesellschaftsordnung
längst kein goldener Käfig aus Wirtschaftswunderträumen mehr ist, sind
seine Gitterstäbe stabiler denn je.
Dafür sorgt ein vielgestaltiges Gesetzeswerk, welches das Arsenal der
Überwachung und Befriedung über
die Jahre perfektioniert und die Zu- Wie der Blick in die Geschichte
griffsmöglichkeiten der Behörden, lehrt, stand die soziale Larve staatliwww.schattenblick.de
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cher Verfügung seit Bismarcks Zeiten stets in einem Abhängigkeitsverhältnis zur tatsächlichen oder befürchteten Erhebung gegen die Gesellschaftsordnung. So wurde der
Sozialstaat nicht so sehr deswegen
aus- oder abgebaut, weil die Kassen
voll oder leer waren. Vielmehr zeichnet sich ein deutlicher Zusammenhang zur jeweiligen Kampfbereitschaft der werktätigen Bevölkerung
ab, die zu zersetzen Tagesgeschäft
im Dienst gesteigerter Unternehmensgewinne wie auch strategische
Prävention im Sinne einer dauerhaften Ruhigstellung blieb. Nachdem
die DDR niederkonkurriert und angeschlossen war, entfiel zudem die
Notwendigkeit, im Streit der Systeme westlicherseits ein gewisses
Wohlstandsniveau vorzuhalten, das
die eigene Überlegenheit konsumistisch demonstrieren sollte.
in die Irre führen konnten. Die Gewerkschaften hatten sich im Zuge einer weitgehenden Verrechtlichung
ihrer Mitbestimmung und Aktionsformen als Arbeitskämpfe führende
Bewegung die Zähne ziehen lassen
und nahezu selbst demontiert. Als
Sachwalter einer geschrumpften Arbeiteraristokratie und nicht zuletzt
eigener Pfründe setzten sie dem gesellschaftlichen Umbau keinen
ernsthaften Widerstand entgegen.
greifende Spaltung, Vereinzelung
und Bezichtigung getreten, die in einem Klima sozialer Kälte gedeihen.
Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze
drücken die materiellen Möglichkeiten der ärmeren Bevölkerungsteile
millionenfach auf ein Minimum,
während diese zugleich unter der
Leitnorm "Fördern und Fordern"
verschärften Kontrollmechanismen
und Sanktionsdrohungen ausgesetzt
sind.
Prof. Dr. Christoph Butterwegge, der
Politikwissenschaft an der Universität zu Köln lehrt und über die Jahre
mit fundierter Recherche und positionierter Parteinahme die Führerschaft in der deutschen Armutsforschung innehat, unterzieht die Demontage des deutschen Sozialstaats
einer Fundamentalkritik. Was er im
Untertitel seines neuen Buches
"Hartz IV und die Folgen. Auf dem
Weg in eine andere Republik?" mit
einem Fragezeichen versehen hat, ist
aus seiner Sicht längst Realität: Zehn
Jahre nachdem das Vierte Gesetz für
moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt zum 1. Januar 2005 in
Kraft getreten ist, steht die nach dem
früheren VW-Manager Peter Hartz
benannte Reform für die tiefste Zäsur in der Wohlfahrtsstaatsentwicklung nach 1945. Durch Hartz IV sind
die sozialen Verhältnisse und die politische Kultur in Deutschland regelrecht umgepflügt worden, woraus
ein Elendsregime resultiert, das von
einer Friedhofsstille begleitet wird.
Die Gesellschaft ist sowohl beim
Einkommen als auch nach dem Vermögen krasser denn je in Arm und
Reich gespalten. Während die
reichsten 10 Prozent der Bevölkerung über 53 Prozent des Nettogesamtvermögens verfügen, muß die
ärmere Hälfte mit 1 Prozent auskommen. Über 22 Millionen Menschen,
die in der Bundesrepublik leben, haben nichts auf der hohen Kante, sind
also nur eine Kündigung oder eine
schwere Krankheit von der Armut
entfernt. Zugleich werden die Erwerbslosen und Geringverdienenden
auf eine Weise drangsaliert, die ihre
Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen massiv einschränkt.
Viele Hartz-IV-Betroffene fühlen
sich wie Fremde im eigenen Land, da
sie von der Gesellschaft offenbar
nicht gebraucht, sondern verachtet
werden. So haben die rot-grünen Arbeitsmarktreformen das Leben von
Millionen Menschen schwerwiegend
beeinträchtigt und zugleich dem Widerstand gegen diese sozialen Grausamkeiten den Boden entzogen.
Aus alldem folgt, daß dem Menschen
viel abverlangt und wenig wiedergegeben wird, wobei letzteres keineswegs in seinen dauerhaften Besitzstand übergeht, sondern als bloßes
Lehen jederzeit geschmälert oder
entzogen werden kann. Wohlstand
für alle, das Ende der Arbeitslosigkeit und sichere Renten - wie viele
eherne Versprechen des Sozialstaats
sind heute ein Treppenwitz, zumal
für eine Generation, die erstmals
wieder ärmer als die ihrer Eltern ist.
Zugleich wird die Sozialleistung von
der Solidargemeinschaft entkoppelt
und vollends auf ein Instrument individueller Zuteilung und Züchtigung reduziert, dessen Name nicht Die Furcht vor einem ungebremsten
von ungefähr mit Not und Strafe as- materiellen Absturz greift selbst in
der Mittelschicht um sich, die angesoziiert ist.
sichts dieser permanenten BedroWar das Wirtschaftswunder nicht zu- hung mehr denn je all jene ausstößt,
letzt auch ein ideologisches Meister- deren abschreckendes Beispiel illuwerk, so zog sich der Abbau des So- striert, was ihr schon morgen selber
zialstaats über Jahrzehnte und unter zustoßen könnte: Die von dem Gewechselnden Regierungen hin. Als setzespaket unmittelbar Betroffenen
Vorreiter innovativer Schübe dienten wie auch ihre Angehörigen und die
sich insbesondere die Sozialdemo- mit ihnen in einer "Bedarfsgemeinkraten und später auch die Grünen schaft" zusammenlebenden Persoan, weil sie viel geschmeidiger als nen werden verelendet, stigmatisiert
die Konservativen die massenhaften und isoliert. An die Stelle von MitOpfer der Zurichtung einbinden und gefühl und Solidarität ist eine tiefSeite 4
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Der Autor unterzieht die Kernthese
der Protagonisten, wonach die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze die
Wiege deutscher Weltmarkterfolge
seien, einer kritischen Überprüfung
und widerlegt diese Auffassung.
Deutschland habe seine Exportstärke in Wirklichkeit aufgrund zweier
Konjunkturpakete, eines noch halbwegs intakten Kündigungsschutzes,
einer schrittweisen Verlängerung der
Höchstbezugsdauer des Kurzarbeitergeldes und der Arbeitszeitkonten
in zahlreichen Betrieben aufrechterMo, 8. Dezember 2014
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halten. Im Grunde handelte es sich
sogar um ein zeitweiliges Außerkraftsetzen der "Agenda"-Reformen.
Zwar ist die Anzahl der Erwerbstätigen gestiegen und die der Arbeitslosen gesunken, jedoch gleicht der induzierte Beschäftigungsboom im
Prekariatsbereich einer Scheinblüte.
In keinem anderen vergleichbaren
Land wucherte der Niedriglohnsektor so wie hierzulande, viele Berufstätige haben kein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis
mehr.
Vor allem im unteren Einkommensbereich sind die Reallöhne drastisch
gesunken, und die Lohnquote ist auf
einen historischen Tiefstand gefallen. Das hat zur Folge, daß sich immer mehr Familien immer weniger
von dem leisten können, was in einem vergleichsweise reichen Land
wie der Bundesrepublik als normal
gilt. Dies trifft Kinder und Jugendliche insofern am schwersten, als sie
nichts anderes als die Minderwertigkeit kennen, derer sie von ihrem sozialen Umfeld bezichtigt werden.
Doch selbst wenn die größere Krisenresistenz der deutschen Volkswirtschaft mit den Hartz-Gesetzen zu
tun hätte, wäre der Preis nach Auffassung Butterwegges zu hoch. Das
Gesamtarbeitsvolumen wurde ja seit
der Jahrtausendwende nicht etwa
vermehrt, da man einen Teil der bestehenden Arbeitsplätze in befristete
Jobs, Teilzeitstellen und prekäre Beschäftigungsverhältnisse aufgespalten, die Lohnarbeit also lediglich zu
Lasten der Erwerbstätigem anders
verteilt und schlechter bezahlt hat.
Inzwischen arbeitet fast jeder Vierte
im Niedriglohnbereich, Hartz IV ist
zu einer Chiffre für sozialen Abstieg
geworden.
Um den Abbau des Sozialstaats im
größeren historischen Kontext auszuleuchten, wirft der Autor einen
Blick auf die Verhältnisse in der Weimarer Republik. Dort fand er frappierend ähnliche Ansätze sozialer
Reformen, die bis in die Terminologie hinein ausgesprochen modern
Mo, 8. Dezember 2014
wirken. Es mutet wie eine bittere Ironie der Geschichte an, daß ausgerechnet ein deutschnationaler
Reichstagsabgeordneter und Buchautor namens Gustav Hartz ein führender Protagonist jener Umgestaltung war. Dieser warnte vor "Faulenzern und Drückebergern", wollte
"den Mißbrauch der ungerechten und
unnötigen Inanspruchnahme" von
Sozialleistungen unterbinden und
"asoziale Elemente" fernhalten.
Auch bezeichnete er die Arbeitslosen
bereits als "Kunden" und regte eine
Privatisierung der "staatlichen
Zwangsversicherung" an, die durch
ein System der privaten Vorsorge ersetzt werden könne. Es kam dann zu
einer Demontage des Weimarer Sozialstaats, die dazu beitrug, der nationalsozialistischen Machtübernahme den Boden zu bereiten. Wie diese Rückblende dokumentiert, sind
die Hartz-Gesetze kein einzigartiger
Sonderfall oder neuartiges Reformkonzept, sondern gewissermaßen die
logische Konsequenz seit jeher entworfener Frontalangriffe auf Beschäftigte und Erwerbslose, deren
Umsetzung freilich diverser Anläufe
und Etappen bedurfte.
mission mit ihren 13 "Innovationsmodulen" lediglich ein Vehikel für
die rot-grünen Reformer, um die
tiefgreifendste Veränderung des
deutschen Arbeitsmarkt- und Sozialsystems seit dem Ende des NS-Staats
durchzusetzen. Fast alle Reformvorschläge des Kommissionsberichts
haben inzwischen ausgedient.
So wurde Jahrzehnte später die unter
der Kohl-Regierung von CDU/CSU
und FDP über lange Fristen betriebene Abschaffung der Arbeitslosenhilfe als eine den Lebensstandard sichernde Lohnersatzleistung von den
Oppositionsparteien mit Nachdruck
zurückgewiesen. Unter Schröder und
Fischer trieb Rot-Grün jedoch anschließend selbst die Arbeitsmarktreform massiv voran und holte auch
die Gewerkschaften ins Boot, obgleich sie in diesem Prozeß deutlich
unterrepräsentiert waren. Der damals
noch als charismatisch bezeichnete
Peter Hartz wußte als Bezirksleiter
der IG Metall die einflußreichste Industriegewerkschaft hinter sich, und
mittels Isolde Kunkel-Weber aus
dem Bundesvorstand von Verdi wurde auch die zweitgrößte Einzelgewerkschaft des DGB in die Kommissionsarbeit eingebunden. Wie der
Autor ausführt, war die Hartz-Kom-
Nutznießer der Reform sind all jene,
deren steigende Profite und hohe
Renditen auf Senkung der Lohnstückkosten, Leistungskürzungen
und Strukturveränderungen des Sozialsystems gründen. Profitiert haben
zugleich staatlich-administrative Interessenkomplexe, die jeglichen Widerstand erfolgreich befriedet, die
Führerschaft Deutschlands in Europa durchgesetzt und den florierenden
Export hiesiger Erzeugnisse wie
auch der zum Erfolgsmodell hochstilisierten Hartz-Gesetze betrieben
haben. Der Autor beläßt es nicht bei
einer dezidierten Bestandsaufnahme,
sondern schließt die Frage an, ob wir
aufdem Weg zu Hartz V und folglich
einem noch rigideren Armutsregime
seien. Wie seine diesbezügliche Untersuchung belegt, gleicht der forcierte soziale Umbruch einer Dauerbaustelle, auf der immer neue und
noch gefährlichere Instrumente in
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Einen gesellschaftlichen Wendepunkt stellte die Abkehr von einer
aktiven Arbeitsmarkt-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik dar, die ein
auf den Verkauf seiner Arbeitskraft
um fast jeden Preis zurückgeworfenes Individuum erzwang. Waren die
Arbeitslosen bis zum 1. Januar 2005
noch tendenziell Bürgerinnen und
Bürger eines Sozialstaats, die als frühere Beitragszahler der Sozialversicherung über einen längeren Zeitraum alimentiert wurden, so mußten
sie nun praktisch jede Stelle annehmen, selbst wenn diese weder ihrer
beruflichen Qualifikation entsprach
noch tariflich oder ortsüblich bezahlt
wurde. Irreführenderweise als "Kunden" der Jobcenter bezeichnet, sahen
sie sich dort zu Bittstellern degradiert.
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Stellung gebracht und umgesetzt
werden. Die Konsequenz müsse daher keine bloße Entschärfung von
Hartz IV, sondern dessen vollständige Rückabwicklung sein.
Christoph Butterwegge kommt aufgrund seiner umfassenden Analyse
dieser komplizierten Materie zu dem
Schluß, daß es sich bei Hartz IV um
ein zutiefst inhumanes System voll
innerer Widersprüche handelt, das
Menschen entrechtet, erniedrigt und
entmündigt. Es habe zu Verschlechterungen in fast allen Bereichen des
gesellschaftlichen Lebens geführt
und die Bundesrepublik Deutschland
in einer bis dahin ungekannten Weise sozial polarisiert, fragment und
formatiert. Als europaweit bekanntestes Symbol für Sozialabbau sei
Hartz IV Kernbestandteil eines Projekts zur Restrukturierung der Gesellschaft, welches die Architektur
und Konstruktionslogik des Sozialstaats fundamental in Frage stellt.
Wenngleich der Autor einräumt, daß
die Hartz-Reform das Gesicht der
Bundesrepublik auch künftig zu bestimmen droht, will er gerade deswegen mit dem vorliegenden Buch
seine Leserschaft nicht nur weitreichend informieren, sondern sie im
Schulterschluß mit betroffenen und
sozial engagierten Menschen zur
Opposition ermutigen.
DIENSTE / KALENDER / ADVENT
Adventskalendertürchen für Montag, den 8. Dezember
http://www.schattenblick.de/
infopool/buch/sachbuch/
busar636.html
Christoph Butterwegge
Hartz IV und die Folgen
Auf dem Weg in eine andere Republik?
Beltz Juventa Verlag, Weinheim und
Basel 2015
290 Seiten, 16,95 Euro
ISBN 978­3­7799­3234­5
Seite 6
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Mo, 8. Dezember 2014
Elektronische Zeitung Schattenblick
REDAKTION / IN EIGENER SACHE / RUNDBRIEF
Liebe Leserin und lieber Leser!
In guter Tradition, verbunden mit
herzlichen Grüßen, möchten wir an
dieser Stelle allen unseren Lesern,
Mitstreitern und Kollegen, Veran­
staltern und konstruktiven Ge­
sprächspartnern sowie nicht zuletzt
unseren hochengagierten Informan­
ten eine erholsame Weihnachtszeit
und den denkbar besten Start in das
Jahr 2015 wünschen.
Im Unterschied zu den Gepflogen­
heiten nun, diesen Grüßen einen ge­
reimten Appell oder eine Jahreser­
mutigung im Versmaß beizufügen,
wollen wir es 2014 einmal mit einer
kleinen Erzählung aus dem Kultur­
schatz christlich­abendländischer
Überlieferung ganz nach dem Motto
versuchen: "... und wie es auch hät­
te geschehen können".
Das Krippenkind
Es war eine Zeit der kalten Herzen.
Die meisten Menschen besaßen zu
wenig, um es mit anderen zu teilen
oder etwas davon abzugeben. Eher
mißtrauisch und verteidigungsbereit
war auch niemand mehr recht fähig
zu Entgegenkommen und Gastfreundschaft. Selbst die großen Herbergen in den Handelszentren entlang der Reiserouten aus aller Welt
waren mindestens maßlos überteuert
und kamen nicht selten Hauptquartieren organisierter Wegelagerer
gleich, so daß reisenden Händlern
wie mir und meinen beiden Mitstreitern Bashir und Obinna gut geraten
war, die Hauptwege und Zentren immer wieder zu umgehen, wenn wir
mit unserer Ware ans Ziel kommen
und mit unserem Gewinn heil wieder
zurückkehren wollten.
Wie befremdlich, beängstigend waren doch die kargen und öden RegioMo, 8. Dezember 2014
nen Palästinas zum Beispiel, die wir
auf unseren Missionen zu durchqueren hatten, im Gegensatz zu den zivilen Gegenden unseres Heimatlandes. Und nur kultivierte Menschen
wie wir können ermessen, welche
Entbehrungen und Gefahren mit Geschäften wie unseren Hand in Hand
gingen. So war man schon glücklich,
auf den Abwegen durch die Ödlande
und Wüsten auf einen wilden Dattelhain oder eine Felsformation zu stoßen, die wenigstens ein wenig Schatten und Schutz für die Errichtung eines Lagers und das Entfachen eines
wärmenden Feuers und eine wenn
auch unvollständige Deckung vor
dem ewig gleichströmenden Wüstenwind bot, der seine unangenehmsten Eigenschaften erst bei Einbruch der Dunkelheit bei zunehmender Kälte entfaltete.
dem Wind mehr Wege frei als sie
versperrten.
In der unmittelbaren Umgebung raschelten und rauschten die Überreste einer vertrockneten Vegetation
im immer wachen Wüstenwind.
Vielleicht war dieses Haus einmal
eine Herberge, sicher kein Gehöft,
und hatte den neueren Handelswegen indessen seinen Tribut gezollt.
In der fast zur Dunkelheit gediehenen Dämmerung hatten wir alle den
Eindruck, daß dieser Ort ein wenig
in einer Senke lag, geradezu ideal
dafür, um Schutz für eine Nacht zu
suchen.
Schnell hatten wir entschieden, uns
in die Überreste des Stalles zurückzuziehen, nicht ohne noch zuvor genug Brennholz aufzulesen, um unser
Lagerfeuer dann vor einer ausreiEs war Obinna, einer meiner beiden chend gut erhaltenen Stallnische zu
Freunde und Partner, der wie oft im entzünden und uns daran niederzudämmrigen Licht des Abendscheins lassen.
eine geeignete Stelle in der Ödlandschaft unendlicher Sanddünen und Das Dromedar und die beiden Esel
karger Vegetation ausmachte. Obin- unserer Kleinstkarawane befestigten
na, ein freigekaufter Sklave und wir notdürftig mit langen Stricken an
Händler, ein Philosoph und Freigeist ehemals tragenden Balken ohne Last
wie auch ich und Bashir, hatte uns und überließen sie ihren Träumen.
beiden die Geschicklichkeit voraus, Die Waren und unsere Vorräte stasich auch in fremdesten Gegenden pelten wir hinter uns an die Wand
zurechtzufinden und zielstrebig das und hatten das Feuer gerade noch
jeweils Erforderliche zu tun oder zu zum Lodern gebracht, bevor die
Nacht ganz hereinbrach. Nicht nur
vermeiden.
wegen des kristallklaren SternenErst als wir unseren zum Nachtlager himmels empfanden wir diese Nacht
erwählten Platz erreicht hatten, als besonders kalt. Frosteinbrüche
konnten wir erkennen, daß es sich waren in dieser Region und zu dieser
um die Ruine eines verlassenen Hau- Zeit so ungewöhnlich nicht.
ses handelte, das allem Anschein
nach vollends niedergebrannt war. Noch nicht in unsere Decken zum
Das kleine Nebengebäude, ein ehe- Schlafen eingerollt und doch am Enmaliger Stall offenbar, schien nicht de unserer kleinen Notmahlzeit aus
minder zerstört zu sein, die Überda- Datteln und gedörrtem Fleisch, das
chung fehlte zum großen Teil und die wir mit abgestandenem Wasser aus
lehmverschmierten Wände gaben unseren eigenen Vorräten herunterwww.schattenblick.de
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Elektronische Zeitung Schattenblick
spülten, wurden wir durch die Unru- setzte sich zu uns. Einer der Freunde
he unserer Tiere aufgeschreckt.
hob seine Stimme und sprach: "Habt
Dank, edle Herren, aber es genügt,
Drei oder vier erbärmlich gekleidete wenn Sie das Kind und seine Mutter
Gestalten traten in den Schein des für die Nacht in Ihre Obhut nehmen.
Feuers, und Obinna fragte sie sofort Sie wurde aus ihrem Dorf verstoßen
mit respekteinflößendem Grollen in und ist völlig schutzlos der Wildnis
der Stimme, was denn ihr Begehr sei. und der Kälte ausgeliefert. Wir dageEinen Augenblick standen sie ein- gen leben schon immer mit unseren
fach nur da, schweigend. Es war ih- Ziegen und Hunden in dieser Gegend
nen anzusehen, daß sie weder Unter- und wissen gut damit umzugehen.
kunft noch Herberge, weder Haus Eine Mutter mit ihrem gerade gebonoch Zelt hatten, um vor der Kälte renen Kind allerdings können wir
und dem zehrenden Wind zu fliehen. nicht eine Nacht wärmen und schütZelt- und hauslose Menschen aller- zen. Unser Wunsch war es nur, euch
dings waren in dieser Zeit keine Sel- darum zu bitten."
tenheit und sie hielten sich vorzugsweise außerhalb der Dörfer an entle- Sie drückte ihr Baby fest an sich,
genen Orten auf, denn das Mißtrau- nachdem sie sich auf ihrem Platz
en und die Grausamkeit der Besit- zwischen uns ein wenig eingefunden
zenden waren oft schlimmer als der hatte. Aber auch hier fror das kleine
Tod und die Arme des Hungers oder Kind und wimmerte leise. Ob sie
der Kälte.
denn kein Bettchen oder eine Wiege
hätte, in der das Baby warm verpackt
"Vielleicht", sprach Bashir, um kei- seine Ruhe und seinen Schlaf finden
nen Zwist aufkommen zu lassen und könne, wollte Bashir wissen.
weil es die Art der Händler war,
Kompromisse zu finden, "vielleicht Die junge Frau verneinte stumm, und
könnt ihr euch mit an unserem Feu- als hätten die abziehenden hauslosen
er erwärmen. Vorräte und Wasser Gesellen mit ihren Tieren dieses leikönnen wir nicht teilen, wir müßten se Zwiegespräch noch vernommen,
dann unsere Reise abbrechen. Im kehrte einer von ihnen noch einmal
Namen der gnädigen Natur also, zurück und meinte, es müsse in diesetzt euch doch nieder auf der gegen- ser Stallruine noch einen kleinen
überliegenden Seite."
Futterkasten geben, mit dessen Hilfe
draußen wie drinnen, als die HerberDie Menschen rührten sich nicht und ge noch in Betrieb war, die Reit- und
ihr Schweigen ließ eine neue Span- Zugtiere gefüttert wurden. Er nahm
nung aufkommen. Ich hatte bereits eine Fackel und verschwand.
die Hand am Griff meines Dolches,
als uns einer der Schweigenden sei- Wenig später kehrte er mit einer kleinen Rücken zukehrte und in die Dun- nen Holzkiste zurück, die sicher auch
kelheit hineinsprach. Dann traten die einmal für Fütterungszwecke geeigLeute etwas auseinander und wie net gewesen sein mochte. Er schlug
durch ein Tor trat eine junge Frau, die leere Kiste heftig mit dem Innenfast selbst noch ein Kind, mit einem rand auf den Boden, als wolle er sie
Säugling auf dem Arm in das Licht. entstauben. Er hätte noch, meinte er,
Obinna atmete tief durch, und ich etwas Heu und Reisig bei seinen Zieentspannte mich.
gen, damit könne die Kiste in ein
Bettchen umgewandelt werden, und
Es gab keine Frage mehr, wir wink- das eine oder andere warme Tuch lieten die junge Mutter zusammen mit ße sich wohl finden. Wie sollten wir,
ihren Freunden oder Verwandten zu sonst nur mit aller gebotenen Voruns heran und luden sie nunmehr ein, sicht an Handel- und Vorteilsstreben
um das Feuer herum Platz zu neh- gewöhnt, da anders reagieren, als
men. Die Frau zögerte nicht und den freundlichen Ziegenhirten und
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seine Freunde schließlich auch an
unser Feuer zu bitten, um sie mit unserer guten Sitte von Gastfreundschaft zu überraschen.
Da lag es nun, das Kind, in seinem
neuen Bett und war längst eingeschlafen, als wäre es durch das zufriedene Kauen und Flüstern der
Menschen und Tiere, mit denen wir
jetzt unsere Vorräte teilten, endlich
zur Ruhe gekommen.
Ich muß gestehen, eine so warme
und anheimelnde Gesellschaft habe
ich danach auch nie wieder erlebt.
Der kalte Sternenhimmel über uns
hatte seine ferne Bedrohlichkeit
vollständig eingebüßt, und die Mühe
jedes einzelnen Menschen an dem
Feuer zwischen den Wänden eines
zerfallenen Stalles, das Wohlbefinden und die Gemütlichkeit durch
kleine Zugaben, Aufmerksamkeiten
und Handreichungen zu steigern und
zu verbessern, war beispiellos. Niemand wollte und konnte in dieser
Nacht schlafen aus Furcht, auch nur
die kleinste Begebenheit unseres Zusammenseins zu versäumen. Später
kamen noch einige Leute aus dem
nahen Dorf dazu, und sie beschenkten uns und das Kind überreich mit
Speisen, Kleidern und ihrer Gesellschaft.
Von diesem Ort und dieser Nacht,
das wußten wir, würde noch lange
gesprochen werden.
(Erstveröffentlichung
am 24. Dezember 2002
Copyright by MA-Verlag)
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