programm - Sounds and Science
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PROGRAMM www.soundsandscience.com „WAS BLEIBT VON DER KUNST? WIR ALS VERÄNDERTE BLEIBEN.“ ROBERT MUSIL SOUNDS AND SCIENCE MUSIK UND MEDIZIN Mit „Sounds and Science“ präsentieren wir Musik mit Wissenschaft beziehungsweise Musik und Medizin. Wir haben dafür neben Mitgliedern der Wiener Philharmoniker und anderen international bekannten Musikern besonders jene Wissenschaftler gewonnen, deren Arbeit einzigartig ist, und von denen wir glauben, dass sie Interesse und Begeisterung für das, was sie tun, wecken können. Eingebettet in die Musik, möchten wir Sie, die Konzertbesucher, an Durchbrüchen der modernen Wissenschaft teilnehmen lassen und Ihnen auf diesem Weg Erkenntnisse vermitteln, mit denen Sie vielleicht nicht gerechnet haben. Eine wesentliche Grundlage unserer heute im Wiener Konzerthaus startenden Kammermusik- und Vortragsreihe liefern die Krankheitsgeschichten der großen Komponisten, über die wir in kurzen Vorträgen berichten werden. Dass jedes Werk von körperlichen und seelischen Einflüssen geprägt worden ist, steht außer Zweifel. Zusätzlich wollen wir einen mitfühlenden Blick auf die Komponisten vermitteln, die als Menschen, so wie wir alle, in ihrem Schaffen auch gegen Erkrankungen kämpfen mussten. Das macht ihre Werke vielleicht noch herausragender. Manfred Hecking Marcus Säemann Gere Sunder-Plassmann Thilo Fechner 4 „MUSIK IST EIN WERKZEUG DER ERKENNTNIS.“ BEAT FURRER 5 WE ARE SOUNDS AND SCIENCE DIE ORGANISATOREN UNIV. PROF. DR. GERE SUNDER-PLASSMANN ASSOC. PROF. DR. MARCUS SÄEMANN THILO FECHNER DR. MANFRED HECKING NEPHROLOGE NEPHROLOGE MUSIKER ARZT UND MUSIKER Oberarzt Klinische Abteilung für Nephrologie & Dialyse der Univ.-Klinik für Innere Medizin III der Medizinischen Universität Wien. Wissenschaftliche Interessen u.a. Anämie bei Niereninsuffizienz, erbliche Nierenerkrankungen und Nierenersatztherapie inklusive Nierentransplantation. Mehr als 300 Artikel oder Buchkapitel. Im Editorial Boards von u.a. „American Journal of Kidney Disease“ und „Clinical Nephrology“. Oberarzt Klinische Abteilung für Nephrologie & Dialyse der Univ.-Klinik für Innere Medizin III der Medizinischen Universität Wien. Forschungsgruppenleiter „Translationelle Nephrologie und experimentelle Immunsuppression“. Mehr als 30 nationale und internationale Auszeichnungen, u.a. Theodor Billroth Preis, Karl Landsteiner Preis und „Signaling Breakthrough of the Year“ in „Science“. Im Editorial Board verschiedener internationaler Fachzeitschriften. Als Bratscher Mitglied der Wiener Philharmoniker, nach langjähriger Anstellung bei den Münchner Philharmonikern und vorher im Orchestre de la Suisse Romande. Ehemaliger Stipendiat an der Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker, bereits seit dieser Zeit Freundschaft mit Manfred Hecking. Gefragter Kammermusiker und Gründungsmitglied der Gruppe „The Philharmonics“, mit internationalen Auftritten und zahlreichen CD- und DVD-Produktionen. Assistenzarzt in Ausbildung Klinische Abteilung für Nephrologie & Dialyse der Univ.-Klinik für Innere Medizin III der Medizinischen Universität Wien. Vorher als Kontrabassist Mitglied der Münchner Philharmoniker, danach Wiener Philharmoniker. Langjährige Freundschaft mit Marcus Säemann und Mitarbeiter in dessen Arbeitsgruppe. Forschungsschwerpunkte u.a. Post-Transplant Diabetes und Dialyse; mehr als 10 nationale und internationale Auszeichnungen für rezente Publikationen. 6 7 MEHR ALS EIN KONZERT MUSIK UND WISSENSCHAFT WERDEN MITEINANDER PRÄSENTIERT, VERSTÄRKEN EINANDER UND VERBINDEN SICH ZU NEUEN EINSICHTEN. UNSERE KONZERT- UND VORTRAGSREIHE „MUSIK UND MEDIZIN“ WIDMET SICH INNERHALB DER KOMMENDEN DREI JAHRE VERSCHIEDENEN ERKRANKUNGSKOMPLEXEN, ZUM BEISPIEL DIABETES, KREBS UND HERZVERSAGEN IM KONTEXT KLASSISCHER MUSIK. 8 NEUESTE WISSENSCHAFTLICHE ERKENNTNISSE WERDEN DAFÜR DER PATHOBIOGRAPHIE KLASSISCHER KOMPONISTEN GEGENÜBERGESTELLT. FÜR DEREN ÜBERSETZUNG TRETEN RENOMMIERTE WISSENSCHAFTLER IN DIALOG MIT HERVORRAGENDEN MUSIKERN, UNTER ANDEREM MIT MITGLIEDERN DER WIENER PHILHARMONIKER, UND DEM PUBLIKUM. 9 PROGRAMMABLAUF MUSIK UND MEDIZIN 10 Rainer Honeck / Herbert Kefer / Patrick Demenga / Silke Avenhaus Wolfgang Amadeus Mozart – Klavier-Quartett No. 2, Es-Dur, KV 493, 1. Satz Allegro 19:30 – 19:45 Marcus Säemann / Manfred Hecking „Über Mozart und Bach und ihre Erkrankungen“ 19:45 – 19:55 Rainer Honeck Johann Sebastian Bach – Chaconne aus der Partita Nr. 2 für Violine solo, d-moll, BWV 1004 19:55 – 20:10 Josef Penninger „Die neue Biologie des Lebens“ 20:10 – 20:30 Pause 20:30 – 20:50 Christoph Zielinski „Über Brahms“ 20:50 – 21:00 Rainer Honeck / Daniel Nodel / Herbert Kefer / Patrick Demenga / Silke Avenhaus Johannes Brahms – Klavierquintett, f-moll, opus 34 21:00 – 21:45 11 SOUNDS THE MUSICIANS RAINER HONECK / VIOLINE DANIEL NODEL / VIOLINE HERBERT KEFER / VIOLA PATRICK DEMENGA / VIOLINCELLO SILKE AVENHAUS / KLAVIER 12 13 RAINER HONECK VIOLINE DANIEL NODEL Rainer Honeck wurde 1961 geboren. Er studierte Violine ab dem 7. Lebensjahr in Wien an der Hochschule für Musik. Rainer Honeck wurde 1981 als erster Geiger in das Orchester der Wiener Staatsoper bzw. der Wiener Philharmoniker aufgenommen. 1984 stieg er zum Konzertmeister in der Staatsoper und 1992 zum Konzertmeister der Wiener Philharmoniker auf. Neben seiner Orchestertätigkeit trat er als Solist in bedeutenden Musikzentren Europas (Royal Albert Hall, London), Amerikas (Carnegie Hall, New York) und Japans (Suntory Hall, Tokio) auf. Zu seinen persönlichen Höhepunkten zählen solistische Auftritte mit den Wiener Philharmonikern, dem London Symphony Orchestra und dem Orchester des Mariinsky Theaters unter berühmten Dirigenten wie Herbert Blomstedt, Adam Fischer, Daniele Gatti, Valery Gergiev, Daniel Harding, Mariss Jansons, Riccardo Muti, Andres Oroczo-Estrada und Michael Tilson Tomas. Als Leiter der Wiener Virtuosen, der Wiener Streichersolisten, Primarius des Ensemble Wien und des Kammerorchesters Wien – Berlin hat sich Rainer Honeck auch immer intensiv der Kammermusik gewidmet. Aufgrund seiner jahrelangen Erfahrung als Konzertmeister entstand der Wunsch auch als Dirigent tätig zu werden. Es folgten wiederholte Einladungen zum Malmö Symphony Orchester, Schweden, Yomiuri Symphony Orchestra und Kioi Sinfonietta in Tokyo, Nagoya Philharmonic Orchester, Symphonieorchester des Mariinsky Theaters in St. Petersburg und die österr.-ungarische Haydnphilharmonie. Rainer Honeck spielt auf einer Violine von A. Stradivarius (ex Hämmerle, anno 1709), die ihm von der Österreichischen Nationalbank zur Verfügung gestellt wird. 14 VIOLINE Daniel Nodel wurde 1968 in Minsk geboren. Seinen ersten Violinunterricht erhielt er an der Spezialschule für musikalisch begabte Kinder in seiner Heimatstadt. Nach der Einwanderung nach Deutschland, 1980, nahm er Unterricht bei Irina Goldstein und studierte bei Jens Ellermann in Hannover sowie bei seinem Vater, Roman Nodel, und bei Josef Gingold an der Indiana University in Bloomington, USA. Er war mehrfacher Preisträger bei „Jugend musiziert“ und beim „Rodolfo Lipizer“ Wettbewerb in Gorizia, Italien, und Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes sowie des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Weitere musikalische Impulse bekam er von Dorothy DeLay, Ruggiero Ricci, Felix Andrievsky und Walter Trampler (Viola). Von 1993 bis 1998 war Daniel Nodel Mitglied des Pittsburgh Symphony Orchestra. Danach wechselte er zum Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Als Solist und Kammermusiker ist er in vielen Ländern Europas und in den USA aufgetreten, u.a. mit dem Minsker Philharmonischen Orchester und dem Pittsburgh Symphony Orchestra. Er ist außerdem als Dozent beim Bayerischen Landesjugendorchester und Kammermusiklehrer sehr aktiv. Er spielte im Wanderer-Quartett mit Albena Danailova, Mario Korunic und Yves Savary. Ebenso ist Nodel in Kammerkonzerten mit Maximilian Hornung, Silke Avenhaus, Milana Tschernyavskaya, Eduard Brunner, Sebastian Klinger, Julia Fischer und vielen anderen aufgetreten. Seit 2013 ist Daniel Nodel künstlerischer Leiter des Samos Young Artist Festival in Griechenland. 15 HERBERT KEFER VIOLA PATRICK DEMENGA Herbert Kefer wurde 1960 in Eisenerz geboren, wo er im Alter von 5 Jahren seinen ersten Violinunterricht erhielt. Später setzte er seine Ausbildung bei Prof. Karl Frischenschlager in Leoben und bei Prof. Karl Stierhof an der Universität für Musik in Wien fort – 1986 Diplom mit Auszeichnung. 1980 gründete er zusammen mit drei Kollegen das ARTIS-Quartett Wien, mit dem er von 1984 bis 1985 beim LaSalle-Quartett in Cincinnati/Ohio studierte. Danach begann eine internationale Karriere mit Konzerten bei allen wichtigen Festivals, wie den Salzburger Festspielen, der Schubertiade Feldkirch, den Wiener Festwochen, dem Casals Festival u.v.m. Seit 1988 bestreiter er einen eigenen Zyklus im Wiener Musikverein und spielte mehr als 30 CDs ein, die wiederholt mit Preisen wie dem Grand Prix du Disque oder dem Diapason d‘Or ausgezeichnet worden sind. 1991 wurde Herbert Kefer als Leiter einer Ausbildungsklasse für Viola an die UNIVERSITÄT FÜR MUSIK IN GRAZ / INSTITUT OBERSCHÜTZEN berufen. Seit 2005 ist er Intendant des WEINKLANG-FESTIVALS. Er ist mit der Organistin ULRIKE THERESIA WEGELE verheiratet. 16 VIOLINCELLO Der 1962 geborene Musiker studierte am Konservatorium Bern, bei Boris Pergamenschikow in Köln und bei Harvey Shapiro in New York. Mehrere Preise dokumentieren den Beginn seiner Karriere und heute zählt er international zu den renommiertesten Cellisten. Als Solist und Kammermusiker tritt er regelmäßig bei den großen Festivals und in bekannten Musikzentren auf und arbeitet mit namhaften Musikerpersönlichkeiten, wie Heinz Holliger, Mario Venzago, Dennis Russel Davies u.v.m. und Orchestern, wie dem Tonhalle Orchester Zürich, RSO Wien, Camerata Bern, Münchner Kammerorchester, Orchestre de la Suisse Romande u.v.a. zusammen. Zahlreiche Radio- und Fernsehaufnahmen sowie Schallplatten- und CD Einspielungen haben ihn einem internationalen Publikum bekannt gemacht. Patrick Demenga leitet eine Konzertausbildungsklasse am Conservatoire de Lausanne und hält verschiedene internationale Meisterkurse. 17 SILKE AVENHAUS KLAVIER Die Pianistin Silke Avenhaus überzeugt seit Jahren Publikum und Kritik mit ihrem Künstlertum, zupackenden Interpretationen, ihrer Entdeckungsfreude und sorgfältigen Planung durchdachter Programme. Die lustvoll kreative Herangehensweise an die pianistische und kammermusikalische Literatur führte zu zahlreichen Auszeichnungen durch die Fachpresse, wie dem Diapason d’Or, dem Supraphon Award sowie zu einer Nominierung für den Grammy Award und machte die Pianistin auch zu einer begehrten Kammermusikpartnerin. Bei EMI, ECM, Koch, Tudor, cpo, Berlin Classics, CAvi und harmona mundi sind bereits über 30 CDs entstanden, worin sich die Künstlerin einem breiten solistischen und kammermusikalischen Repertoire widmet. Auf den Konzertpodien renommierter Konzertserien und Festivals in Europa, USA und Südostasien schätzt man die Interpretin Silke Avenhaus. Regelmäßig ist sie in der Wigmore Hall, Concertgebouw Amsterdam und im Wiener Konzerthaus zu Gast. Sie trat im Salle Gaveau in Paris, der Philharmonie in Köln, München und Berlin sowie der Carnegie Recital Hall in New York auf. Sie musizierte beim Marlboro Music Festival, beim Spannungen Festival, bei den Berliner Festwochen und beim Rheingau Musik Festival. Auch bei den Salzburger Festspielen, dem Lucerne Festival, dem Schleswig-Holstein Musik Festival und dem Klavier-Festival Ruhr war sie zu hören. Weitere Einladungen führten sie zum Mondsee Festival und dem Kammermusikfestival Stavanger. Genreübergreifende Projekte, wie die über zwei Saisonen gespielte Produktion 18 „Ludwig II“ mit Solowerken Richard Wagners an den Münchner Kammerspielen oder die Zusammenarbeit mit Schauspielern, zeigen die Vielseitigkeit und Offenheit der Interpretin. Silke Avenhaus musiziert regelmäßig mit Künstlern, wie Marie Luise Neuenecker, Christoph Poppen, Jörg Widmann, Thomas Zehetmair, Tabea Zimmermann und Sabine Meyer im Ensemble Collage. Besonders enge musikalische Partnerschaften verbinden sie mit Quirine Viersen und Antje Weithaas, mit denen sie jeweils zahlreiche CDs eingespielt hat. Verschiedene Komponisten schrieben Werke, die sie zur Uraufführung brachte, so z.B. Magnar Aam, Helmut Eder, Detlef Glanert, Wilfried Hiller, Akikazu Nakamura, Bernd Redmann und Jörg Widmann. Ihre pianistische Ausbildung erhielt Silke Avenhaus bei Bianca Bodalia und Klaus Schilde (Hochschule für Musik München), bei György Sebök (Indiana University, Bloomington) wie auch bei Sandor Végh und Andras Schiff. Silke Avenhaus lehrt als Honorarprofessorin an der Hochschule für Musik München und ist regelmäßig Dozentin bei der Villa Musica. Die Vermittlung klassischer Musik an ein neues Publikum ist der Musikerin ein besonderes Anliegen, sei es mit Hörbüchern für Kinder, Gesprächskonzerten, Workshops oder durch die Beteiligung an dem von Lars Vogt initiierten Projekt „Rhapsody in School“. 19 19:30 – 19:45 Rainer Honeck / Herbert Kefer / Patrick Demenga / Silke Avenhaus Wolfgang Amadeus Mozart – Klavier-Quartett No. 2, Es-Dur, KV 493, 1. Satz Allegro DAS KLAVIERQUARTETT IN ES DUR, KV493, VON MOZART Im Jahre 1785 erhielt Mozart von dem geschäftstüchtigen Wiener Verleger Franz Anton Hoffmeister den Auftrag, drei Klavierquartette zu komponieren. Da die Kammermusikformation des Klavierquartetts zur damaligen Zeit ein absolutes Novum darstellte und folglich keinerlei Repertoire vorhanden war, erhoffte sich Hoffmeister einen regen Absatz der Stücke. Doch er hatte seine Rechnung ohne Mozart gemacht: Bereits das erste Klavierquartett in g-Moll KV 478 stieß beim Publikum nur auf verhaltene Reaktionen. Viel zu virtuos war es für Klavier und Streicher und viel zu gewichtig im musikalischen Anspruch. Hoffmeister dagegen hatte mit leichten, eingängigen Werken gerechnet, bei denen die Streicher eine deutliche Begleitfunktion innehaben sollten. Er witterte bald einen wirtschaftlichen Misserfolg der geplanten dreiteiligen Quartett-Reihe und bat Mozart um die Lösung des Vertrags. Hoffmeister verkaufte sogar die bereits entstandenen Druckplatten des zweiten Klavierquartetts Es-Dur KV 493 an seinen Konkurrenten Artaria, bei dem das Werk später auch erschien. Ein drittes Klavierquartett hat Mozart (leider) gar nicht mehr geschrieben. In der Tat scheint das Wiener Publikum von Mozarts Klavierquartetten überfordert gewesen zu sein. Man hatte wohl eher gefällige Musik zum gemeinsamen „Dilettieren“ erwartet, die sich leicht vom Blatt spielen lässt. Zwar lockerte Mozart den dichteren Satz des gMoll-Quartetts in seinem zweiten Quartett deutlich auf, die spieltechnischen Anforderungen bleiben aber dennoch erhalten. Zusätzlich treibt Mozart den kammermusikalischen Dialog im Kopfsatz seines 20 Es-Dur-Quartetts auf eine bis dahin nie erreichte Spitze: Das Hauptaugenmerk gilt dem Klavier und meist herrscht eine klare Trennung zwischen Klavierpart und Streichtrio vor. Allerdings finden die Gruppen von Zeit zu Zeit auch zusammen, wie etwa beim eindrucksvollen Beginn des Satzes, der fast wie der Anfang eines Orchesterwerks wirkt. Auch das daran anschließende fanfarenhafte Unisono trägt noch diese Züge, doch schon kurz darauf zerfällt der Satz und mündet schließlich in die vom Klavier dominierte Überleitung. Es folgen ein zweites Thema, das in seiner Gestalt und mit der imitierten Einsatzfolge an ein Fugenthema erinnert, und schließlich ein drittes Thema. Insgesamt breitet die Exposition in ihrem Verlauf eine geradezu verschwenderische Vielfalt an Themen aus, wie es auch in Mozarts erstem Klavierquartett der Fall ist. Die Durchführung dagegen bezieht ihr musikalisches Material interessanterweise fast ausschließlich aus dem zweiten Thema und entfaltet dessen polyphones Potenzial. In dichten, enggeführter Einsätzen durchzieht es den Streichersatz, der nun die Hauptrolle übernimmt, während das Klavier mit aufwändigen Sechzehntelfiguren begleitet. Über eine ausladende, breit angelegte Sequenz lenkt der Satz schließlich in die Reprise ein, deren Aufbau sich weitgehend an der Exposition orientiert. Nur kurz vor Schluss bricht Mozart die vermeintliche Schlusskadenz ab und gelangt über einen Trugschluss in eine zweitaktige Phase der harmonischen Unsicherheit, aus welcher der irritierte Hörer aber schnell durch den kadenzierenden Quartsextakkord des Klaviers „gerettet“ wird. Ein freudiges Schlusstutti beendet den Satz in Es-Dur. AUTOR Stefan Fuchs 21 MOZART 1756 – 1791 22 23 „DER GRÖSSTE KOMPONIST“ SO HAYDN ZU LEOPOLD MOZART „IST IHR SOHN“ Ein beinahe Zuviel an Möglichkeiten, an Talenten, ja an Genie überhaupt war Mozart beschieden, selbst seine Zeitgenossen wussten um Mozarts Übermaß an Begabungen. Verhältnismäßig jung verstorben gab es denn auch ein Zuviel an Theorien über Mozarts letzte Krankheit, welche schließlich zu seinem Tode führte bis hin zur berühmt-berüchtigten Vergiftung. Minutiöse biographische Details gemeinsam mit rezentesten Erkenntnissen aus der epidemiologischen Forschung lassen jedoch keinen Zweifel: eine über einen kurzen Zeitraum im Herbst und Winter 1791 grassierende bakterielle Infektionswelle, führte zum raschen Tod vieler junger Männer darunter auch des noch jungen Musikgenies. Eine heftige fieberhafte Reaktion von Mozarts Immunsystem gegen Streptokokken, welche kollateral Gelenke, leider aber auch vitale Organe wie die Nieren schädigte traf auf eine Ärzteschaft, die fatalerweise einer Lehre nachhing, die Mozart auch noch die letzten Energien rauben musste. Infektionsausbreitung und –intensität sind neben dem Mangel an Antibiotika vor allem den damaligen schlechten hygienischen Zuständen Wiens geschuldet; immer noch zählen immunologisch-vermittelte Organschäden ausgelöst durch bakterielle Infektionen zu den häufigsten Krankheits- und Todesursachen in weiten Teilen der heutigen Welt. Der Bedrohung durch Viren und Bakterien müssen sich alle lebenden Organismen durch das hochkomplexe und sich ständig neu anpassende Immunsystem stellen; plötzliche Überraschungen sollten eigentlich minimiert werden. AUTOR Marcus Säemann 24 25 BACH 1685 – 1750 26 27 „ANFANG & ENDE ALLER MUSIK“ MAX REGER ÜBER BACH Jedes menschliche Gefühl scheint Bach komponiert zu haben, das bloße Individuum, getroffen von Krankheit, Schuld oder Tod bis hin zur majestätischen Erhabenheit des Universums erschließt Bach musikalisch. Gleichzeitig aber mag man ihn auch als eine Form geistiger Ordnungsmacht empfinden, der die Kraft der „Wiederherstellung“, ja der Bestätigung einer existentiellen Menschlichkeit innewohnt, welche dem Menschen auch „Richtung“ geben kann. Einem langen, eifrigen wie arbeitsreichen und über weite Strecken gesunden Leben folgte in Bachs letzten Lebensjahren offenbar ein Diabetes mellitus, der – unbehandelt – seinen Tribut forderte: eine – wohl auch durch ärztliche Fehlbehandlung beschleunigt – zur Blindheit führende Augenerkrankung sowie nachfolgende Schlaganfälle, die Bach letztlich das Leben kosteten. Diabetes mellitus – der fließende Honig – welcher sich im Zuge der Industrialisierung und bei ständigem Überfluss des gegenwärtigen Nahrungsangebotes sich zu einer weltweiten epidemiologischen Gesundheitskatastrophe entwickelt, erfasst den gesamten Körper von den kleinen bis zu den großen Blutgefäßen, wie Bach vom kleinsten bis zum größten Gefühl alles erfasst hat. „Nicht Bach, Meer sollte er heißen“, so Beethoven bewundernd über den offenbaren Reichtum von Johann Sebastian Bachs Musik und Brahms wusste: „Studiert ihn, dort findet ihr alles.“ AUTOR Marcus Säemann 28 29 19:55 – 20:10 Rainer Honeck Johann Sebastian Bach – Chaconne aus der Partita Nr. 2 für Violine solo, d-moll, BWV 1004 DIE CHACONNE VON BACH „Sei Solo. a Violino senza Basso accompagnato.“ – „Sechs Solo[werke] für Violine ohne Bassbegleitung“. Diesen schlichten italienischen Titel gab Bach seiner einzigen Sammlung von Sololiteratur für Violine. Es handelt sich dabei um eine Auswahl von drei Sonaten und drei Partiten (d.h. Suiten mit stilisierten Tanzsätzen), die wohl größtenteils noch aus Bachs Weimarer Zeit als Konzertmeister (1708-1717) stammten, ja vielleicht sogar noch älteren Datums sein könnten. Im Jahre 1720 fasste Bach, zu dieser Zeit Hofkapellmeister in Köthen, die sechs Werke in einer mit äußerster Sorgfalt angefertigten, geradezu kalligraphischen Reinschrift zusammen, die zu den schönsten uns erhaltenen Manuskripten des Meisters zählt. Da diese Reinschrift jedoch wahrscheinlich hauptsächlich für Bachs Eigenbedarf gedacht war (der Erstdruck erschien über 50 Jahre nach dem Tod des Komponisten), zeugt seine Gewissenhaftigkeit von der großen persönlichen Bedeutung, die er seinen Solosonaten und -partiten trotz ihres bescheidenen Titels zumaß. Vermutlich war sich Bach schon damals über die neuen Maßstäbe, die er gesetzt hatte, im Klaren: Seine Sonaten und Partiten stellen den Ziel- und Höhepunkt der barocken Geigenliteratur dar. Sie greifen gekonnt die violintechnischen Errungenschaften früherer Komponistengenerationen auf und vereinen Einflüsse der italienischen, französischen und deutschen Stilistik in sich. Das Wohltemperierte Clavier mag das Alte Testament der Klavierliteratur sein, doch die Sonaten und Partiten sind dann mindestens das Alte Testament der Violinliteratur! Einen herausragenden Platz innerhalb der Sammlung nimmt die Chaconne der Partita Nr. 2 in d-Moll ein (im Original ital. Ciaccona überschrieben). Mit einer Länge von 256 Takten und einer Aufführungsdauer von rund einer Viertelstunde dauert sie in etwa so lang wie die vier übrigen Sätze dieser Partita zusammengenommen. Eine Chaconne ist ursprünglich ein frivoler Tanz mit einem ostinaten Bassmodell, über dem 30 sich immer neue Variationen und Figurationen ergeben. Das viertaktige Thema der Bach-Chaconne dagegen kann harmonisch auf einen Lamentobass – den barocken Topos der Trauer schlechthin – zurückgeführt werden. Insgesamt erscheint das Thema 64-mal, wobei der Satz formal eine große Dreiteiligkeit aufweist: Der erste und gleichzeitig längste Teil steht in d-Moll und umfasst 33 Themendurchläufe, anschließend wendet sich der Satz nach D-Dur und bringt 19 Themendurchläufe, bevor die Harmonik wieder zurück ins d-Moll kippt. Es folgen noch 12 Durchläufe. Immer wieder entfernt sich Bach vom Lamentobass-Modell, variiert es, chromatisiert es, befreit es von seiner Bassfunktion usw. Bach nutzt auch die sich hieraus ergebenden mannigfaltigen Variationsmöglichkeiten, von einstimmigen Passagen in verschiedenen Rhythmisierungen und mit furiosen Läufen über zwei- und dreistimmige Abschnitte bis hin zu vierstimmigen Akkorden. Die damit einhergehenden spieltechnischen Anforderungen sind enorm und stellen die der meisten übrigen Sonaten und Partiten in den Schatten. Über die Bedeutung der Chaconne wurde und wird oft spekuliert. Bach selbst hat seine Werke für Violine solo als absolute Musik, d.h. ohne jede programmatische Einordnung der Stücke, hinterlassen. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass die Chaconne erst nachträglich zur zweiten Partita hinzugefügt wurde. Helga Thoene interpretierte den Satz deshalb als Tombeau (=franz. Grabstein) für Bachs 1720 verstorbene erste Frau und weist zahlreiche Fragmente protestantischer Kirchenchoräle in der Chaconne nach. Judith Bernhardt sah in ihr gar ein Denkmal für die gesamte Bach-Familie. Auch zahlensymbolische Überlegungen machen immer wieder die Runde. Heinrich Poos beispielsweise verwies auf die Zahl 4 und ihre Bedeutung für den Aufbau des Satzes: 4-taktiges Thema, 44=64 Variationen, 4x44=256 Takte insgesamt. Zwar werden derlei mystische Erklärungsversuche von der seriösen Musikwissenschaft skeptisch beäugt, doch eröffnen sie interessante neue Sichtweisen auf dieses großartige Werk. AUTOR Stefan Fuchs 31 SCIENCE THE SCIENTISTS JOSEF PENNINGER CHRISTOPH ZIELINSKI 32 33 UNIV. PROF. DR. JOSEF PENNINGER GENETIK Josef Martin Penninger (* 5. September 1964 in Gurten, Oberösterreich) ist ein österreichischer Genetiker und seit 2003 wissenschaftlicher Direktor am IMBA (Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) in Wien. Nach dem Besuch des humanistische Gymnasium in Ried im Innkreis studierte er von 1982 bis 1988 an der Universität Innsbruck Medizin, Kunstgeschichte und Spanisch. 1990 promovierte er mit der Arbeit Phenotypical and functional analysis of intrathymic nurse (TCN)-Lymphocytes, die er beim Innsbrucker Altersforscher Georg Wick verfasst hatte. 1990 bis 1994 arbeitete er als Post-Doktorand am Ontario Cancer Institute, danach bis 2003 am Department of Immunology and Medical Biophysics der University of Toronto (als Principal Investigator des USGentechnikkonzern Amgen). Nach Penninger besteht gerade das Schöne in der Wissenschaft darin, dass Ergebnisse nicht vorhergesagt werden können. 34 Penninger hat u.a. die innere Uhr bei Mäusen entschlüsselt, entscheidende Durchbrüche bei der Immuntherapie gegen Krebs erzielt, und weiters auch völlig neue Erkenntnisse auf den Gebieten der Herzinsuffizienz und Infektabwehr gewonnen. Er hat zudem das entscheidende Osteoporose-Gen isoliert, welches zu innovativen Behandlungsstrategien gegen Knochenschwund, sowie zu Einsichten zum Wachstum von Brustkrebs geführt hat. Penninger fokussiert sich neben vielen anderen Projekten gegenwärtig vor allem auf Stammzellforschung, auch mit dem Ziel ein internationales Stammzellzentrum in Österreich zu errichten. Penninger hat in den wichtigsten Fachjournalen wie Cell, Nature und Science publiziert und war Wissenschaftler (2003) sowie Österreicher des Jahres (2004), Träger u.a. des Descartes Preis (2006), Ernst-Jung Preis (2007), Innovator Award des US Department of Defense (2012) und zuletzt des Wittgenstein-Preis (2014). 35 Christoph Zielinski wurde 1952 in der Nähe von Krakau als Sohn des Schriftstellers Adam Zielinski und seiner Frau Sophie geboren. 1957 gelangte er mit seinen Eltern nach Wien, wo er die schulische Ausbildung 1970 beendete. Er studierte Medizin an der Universität Wien und promovierte 1976. Von 1976 bis 1978 war Zielinski Assistent am Institut für Immunologie der Universität Wien und begann 1978 seine Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin an der II. Medizinischen Univ. Klinik in Wien. Von 1979 bis 1981 war er in Boston (USA) und Fellow am Cancer Research Center der Tufts University unter Professor Robert S. Schwartz. Nach Wien zurückgekehrt, beendete Zielinski seine Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin an der II. Medizinischen Univ. Klinik unter Georg Geyer. Über ihn kam er Mitte der 1980er Jahre zu seinem „Lebensthema“ („Machen Sie doch Krebs“), habilitierte 1986 in Klinischer Immunologie sowie 1988 in Innerer Medizin, und wurde 1992 zum Professor für Klinisch-Experimentelle Onkologie ernannt. 2001 wurde Zielinski von Rektor Winckler der Universität Wien zum Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie an der Klinik für Innere Medizin I ernannt. Seit 2004 ist er Vorstand der I. Universitätsklinik für Innere Medizin der Medizinischen Universität Wien. Von 2008 bis 2010 war er Vizerektor der Medizinischen Univ. Wien. 2010 wurde er zum Koordinator, 2013 seitens der Medizinischen Univ. Wien zum Leiter des Comprehensive Cancer Center, einer gemeinsamen Einrichtung der Universität und des Allgemeinen Krankenhauses (AKH) ernannt. 1998 gründete Zielinski die PatientInnen-Initiative „Leben mit Krebs“ zur Enttabuisierung von Krebserkrankungen in der Öffentlichkeit. Die Initiative hat in Zusammenarbeit mit dem ORF-Landesstudio Wien in regelmäßigen Abständen Informationsabende und seit 2000 den alljährlichen „Krebstag“ im Wiener Rathaus veranstaltet. UNIV. PROF. DDR. CHRISTOPH ZIELINSKI ONKOLOGIE Zielinski setzt auf eine personalisierte Medizin in der Onkologie und glaubt, dass die Gesellschaft durch den Durchbruch in Genetik und Molekularbiologie vor einer Vielzahl von neuen ethischen und moralischen Fragestellungen steht. Seit 1999 ist Zielinski Präsident der Central European Cooperative Oncology Group (CECOG). Seitens der European Society of Medical Oncology, ESMO, wurde er für das Jahr 2014 ins Executive Committee – das Leitungsgremium der ESMO – gewählt. Zielinski ist Mitglied des Editorial Boards einer Vielzahl von wissenschaftlichen onkologischen Journalen und war über viele Jahre Herausgeber der deutschen Ausgabe des renommierten Journal of Clinical Oncology. 36 37 BRAHMS 1833 – 1897 38 39 „FREI, ABER EINSAM“ JOHANNES BRAHMS Eben kein reiner Traditionalist als der vielbesagte Nachfahre Beethovens, der die klassische Musik zu ihrem letzten Abschluss brachte, sondern eher schon der tiefe und grundlegende Neuerer, in dessen Werk sich die Klassik widerspiegelt, aber auch Voraussetzung für das Neue wird. Als allgegenwärtig, mächtig und unbesiegbar erscheint uns heute noch jene Erkrankung, die auch Brahms getroffen hat, ein Karzinom der Bauchspeicheldrüse, welches den typischen Symptomenkomplex erzeugt hat, den wir heute klar verstehen: Brahms, der schon deutlich geschwächt und gelb-leuchtend, aus dem Hintergrund der Direktionsloge des Musikvereinssaals seiner 4. Symphonie, von den Philharmonikern gespielt, zuhörte und dann mehrfach tosenden Applaus des Publikums entgegennahm. Krebs, der dunkle Menschheitsbegleiter, zuweilen auch ehrfürchtig als „König der Krankheiten“ tituliert, beginnen wir gemeinsam mit unseren vitalen zellulären Regulationsmechanismen, erst seit kurzem und nach mehreren Revolutionen in der molekularen Biologie und Medizin zu verstehen: wir stehen mit einem neuen Verständnis von uns selbst, auch erstmals an der Schwelle mit Krebs zu leben und ihm auch wirksam entgegenzutreten. „Brahmsianisch“, so der wohl noch in einem einzigen Wort beste Versuch die Musik und insgesamt das Phänomen des Johannes Brahms irgendwie zu erfassen, wo dessen Kunst doch gewissermaßen außerhalb seiner Zeit stand und steht – er selbst bezeichnete sich denn auch als „Abseiter“. AUTOR Marcus Säemann 40 41 21:00 – 21:45 Rainer Honeck / Daniel Nodel / Herbert Kefer / Patrick Demenga / Silke Avenhaus Johannes Brahms – Klavierquintett, f-moll, opus 34 DAS KLAVIERQUINTETT F-MOLL, OPUS 34, VON BRAHMS „EIN MEISTERWERK VON KAMMERMUSIK, WIE WIR SEIT DEM JAHRE 1828 [DEM TOD FRANZ SCHUBERTS] KEIN ZWEITES AUFZUWEISEN HABEN.“ HERMANN LEVI „MIR IST NACH DEM WERK, ALS HABE ICH EINE GROSSE TRAGISCHE GESCHICHTE GELESEN.“ CLARA SCHUMANN „ES IST, SOVIEL IST MIR GLEICH KLAR, EIN STÜCK VON TIEFSTER BEDEUTUNG, VOLL MÄNNLICHER KRAFT UND SCHWUNGVOLLER GESTALTUNG, ALLE SÄTZE BEDEUTEND, SICH ERGÄNZEND.“ JOSEPH JOACHIM Diese drei Zitate geben Zeugnis von dem großen Eindruck, den Brahms‘ Klavierquintett in f-Moll bereits auf seine Zeitgenossen machte. Das viersätzige Werk entfaltet sich von Beginn an im Ton der Tragödie und in einem Spannungsbogen von nie nachlassender Intensität – kein Wunder also, dass Clara Schumann und Joseph Joachim davor geradezu in Ehrfurcht erstarrten. Dabei hatte eben dieses Klavierquintett im Laufe seiner Entstehung eine für Brahms einzigartige Klang-Metamorphose durchlaufen. Ursprünglich hatte es der Komponist als Streichquintett für zwei Violinen, Viola und zwei Celli konzipiert. Allerdings fand diese Fassung nicht den Zuspruch seiner Freunde. Brahms zog deshalb das Werk zurück und arbeitete es zu einer Sonate für zwei Klaviere um, die er später auch veröffentlichte. Doch auch diese Version erzielte nicht den gewünschten Klangeindruck – was für die Streicher zuvor zu wild und ausladend war, klang nun zu monochrom, und sogar die Pianistin Clara Schumann konstatierte, dass durch die Klavierfassung „eine Menge der schönsten Gedanken” verloren gingen. Erst hierauf schrieb Brahms das Werk zu seiner heutigen Form als Klavierquintett um. Der 1. Satz beginnt gleich mit einem düsteren Unisono von erster Violine, Cello und Klavier in f-Moll. Es schließen sich furiose Sechzehntelpassagen im Klavier an, die schließlich in das erste Thema des Satzes münden. Ähnlich wie bei Mozarts Klavierquartettsatz zeigt auch der 1. Satz von Brahms‘ Klavierquintett eine ausgesprochene Themenfülle: Auf das erste Thema folgt ein zweites, lyrisches Thema, ebenfalls in f-Moll, bevor der Satz eine erstaunliche harmonische Wendung nach cis-Moll vollführt. Hier hält nun ein gespenstisches Thema Einzug, das wie aus einer anderen Welt wirkt. Erst allmählich schälen sich romantischere Töne heraus und schließlich bringt Brahms noch einen kurzen Seitensatz in As-Dur an einer Stelle, an der gewöhnlich der Epilog der Exposition sitzt. Die Durchführung sucht zunächst nach einem harmo42 nischen Zentrum und findet schließlich zum cis-Moll-Thema der Exposition zurück, das nun durch verschiedene Tonarten wandert. Ein langer Orgelpunkt im Cello über dem Ton c kündigt die Wendung zur Reprise an, die sich größtenteils an der Exposition orientiert. Die Coda im idyllischen F-Dur lässt einen friedlichen Schluss des Satzes vermuten – doch die Ruhe ist trügerisch. Schnell führt das Klavier zur Klangfarbe des Beginns zurück. Der Satz endet im unerbittlichen f-Moll. Der 2. Satz bildet einen krassen Gegensatz zum stürmischen Ende des Kopfsatzes. In seiner lyrischen Ruhe in As-Dur und mit seiner Wiederkehr melodischer Elemente erinnert er an Schubert und insbesondere an die Gattung des Kunstliedes. Wie im obigen Zitat deutlich wird, erkannte bereits Hermann Levi diese Parallele. Ähnlich wie bei Schubert handelt es sich jedoch bei diesem Satz nicht um eine belanglose Idylle, sondern eher um eine spannungsgeladene Ruhe. Hinter ihr verbirgt sich eine abgründige Tiefe – freilich eine Brahmssche Tiefe und keine Schubertsche. Im 3. Satz, dem Scherzo des Werkes, klingen Bezüge zu einem Komponisten an, mit dem Brahms nur selten in Verbindung gebracht wird: Richard Wagner. Der Satz entfaltet im 6/8-Takt in c-Moll nach anfänglichen, stechenden Synkopen und scheinbar jubelnden Fortissimo-Ausbrüchen ein markantes, beinahe hämmerndes Thema, das an Wagners Darstellung der unterirdischen Kluft in der dritten Szene von Rheingold erinnert. Es bildet den Ausgangspunkt für ein strenges Fugato und führt den Satz schließlich in ein trotziges C-Dur. Das Trio dagegen wirkt eher stolz und hymnisch, verebbt aber schon nach kurzer Zeit und mündet in das DaCapo des Scherzos. Die langsame Einleitung des Finales erinnert mit ihrer extremen Chromatik wieder an Wagner, nun an dessen „Tristan und Isolde“. Tatsächlich geriet der knapp 30-jährige Brahms bei seinem ersten Aufenthalt in Wien 1862/63, also zur Entstehungszeit seines Klavierquintetts, kurzzeitig in den Bann Wagners, als er Zeuge der Vorbereitungen zur – letztendlich abgesagten – Uraufführung des Tristan wurde. Im Anschluss an diese Einleitung entwickelt sich der 4. Satz als Rondo im 2/4-Takt über einem düsteren und von motorischer Energie durchdrungenen Thema, das in seiner Gestaltung wieder an Schubert und teils Beethoven gemahnt. Zwar zeigen sich im Satzverlauf auch vereinzelte Inseln des Rückzugs und des Rastens, doch spätestens mit dem Beginn der furiosen Stretta im 6/8-Takt ist das Schicksal des Werkes besiegelt: Es steigert sich über einem unerbittlichen Fugato, hält noch ein letztes Mal inne, treibt sich aber schließlich mit scharfen Synkopen im Klavier selbst ins dramatische Ende und stürzt unter den abwärtsgerichteten Läufen der Streicher in sich zusammen. AUTOR Stefan Fuchs 43 ÖSTERREICHISCHE KREBSHILFE MUSIK TRIFFT MEDIZIN Musik hat Auswirkungen auf unsere Atmung, unseren Herzschlag, unseren Schlaf. Sie kann unsere Emotionen und Stimmungen beeinflussen, uns beruhigen oder aktivieren. Sie ermöglicht das Abrufen von Erinnerungen, Erlebtem oder Erlerntem. Musik spielt im Leben vieler Menschen eine große Rolle, traditionell auch im Leben von Ärzten. Ist sie doch auf der emotionalen Ebene beheimatet, einer Ebene, die in der oftmals technokratischen Natur- und Medizinwissenschaft nicht im Mittelpunkt steht und im Alltag daher leider meist zu kurz kommt. UNIV.-PROF.DR. PAUL SEVELDA Musik spielt auch im Leben vieler Krebspatienten eine große Rolle. Die Auseinandersetzung mit einer »Lebenskrise«, wie sie eine Krebserkrankung darstellt, ist für jeden Menschen eine sehr große emotionale Herausforderung. Die Diagnose trifft meist wie ein Blitz, ohne »Vorwarnung « und löst eine Art Schockzustand aus. Meist wird alles, was jemals zum Thema Krebs gehört wurde, abgerufen und schwärzeste Fantasien tauchen auf. Angst, Wut, Verzweiflung, Ungewissheit – für die meisten eine emotionale Achterbahn. Musik wird seit vielen Jahren erfolgreich zur Entspannung während der Chemotherapie eingesetzt und um belastende Gefühle wie Angst, Ärger und Trauer zu wandeln. Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist (Victor Hugo). „Musik trifft Medizin“ – diese großartige Initiative ist gerade für die Österreichische Krebshilfe besonders wertvoll. Wir freuen uns mit Ihnen auf die Begegnung von Musik und Wissenschaft und danken den Initiatoren von „Sounds & Science“, den vortragenden Wissenschaftlern, den großartigen MusikerInnen und Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, dass Sie durch den Besuch des heutigen Konzertes die Arbeit der Österreichischen Krebshilfe unterstützen. UNIV.-PROF.DR. PAUL SEVELDA Präsident der Österreichischen Krebshilfe 44 ÖSTERREICHISCHE KREBSHILFE In über 43 Krebshilfe-Beratungsstellen in ganz Österreich finden rund 30.000 Menschen jährlich Rat und Hilfe. Die Krebshilfe-Beraterinnen nehmen sich Zeit, hören zu und helfen. Diese Hilfe, Betreuung und Beratung bietet die Österreichische Krebshilfe seit mehr als 100 Jahren kostenlos an. 45 Diktieren auf höchstem Niveau! Die Nr. 1 im professionellen Diktieren wünscht Sounds and Science viel Erfolg. Von der Nr. 1 im professionellen Diktieren Für mehr Informationen besuchen Sie: www.philips.com/dictation DIE NÄCHSTEN TERMINE SOUNDS AND SCIENCE 15. MÄRZ 2015 Musik & Krebs 15. NOVEMBER 2015 Musik & Herzversagen FRÜHJAHR 2016 Musik, Niere & Bluthochdruck HERBST 2016 Musik & Diabetes WINTER 2016 Musik & Infektions- und Entzündungskrankheiten FRÜHJAHR 2016 Programm- und Terminänderungen vorbehalten. 50 Musik & Magen- und Darmerkankungen WIR DANKEN DORIS KIEFHABER, MARTINA LÖWE, RAINER NEUHOLD, JOSEF PENNINGER, HEIMO SUNDER-PLASSMANN-LOIBNER, JÜRGEN STAUDACHER UND TEAM SOWIE CHRISTOPH ZIELINSKI FÜR IHRE AUSSERGEWÖHNLICHE UNTERSTÜTZUNG. DER REINERLÖS DER VERANSTALTUNG GEHT AN DIE ÖSTERREICHISCHE KREBSHILFE. 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