PDF - Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll
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Chaja & Mimi pädagogisches begleitmaterial vorwort Pädagogisches Begleitmaterial zum Film "Chaja & Mimi" Diese Broschüre möchte anregen und inspirieren, den Dokumentarfilm "Chaja & Mimi" in der Bildungsarbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen einzusetzen. Das 10-minütige Porträt der Israelis Chaja Florentin und Mimi Frons besticht durch den Charme, die Weisheit und Humor der Protagonistinnen. Darüber hinaus bietet es viele mögliche Anknüpfungspunkte für den Einsatz in der Bildungsarbeit: Im Zentrum stehen die Themen deutsch-jüdische Beziehungen, Migrations- und Fluchtgeschichte, Heimat, Kindheitserinnerungen und Freundschaft. Die vorliegende Sammlung von Methoden und Materialien richtet sich an Lehrende und alle, die in der Bildungsarbeit mit jungen Menschen tätig sind. Ausgangspunkt ist die Idee, sich intensiver mit dem Film zu beschäftigen und dies mit eigenen Erfahrungen, Interessen und Fragen in Beziehung zu setzen. Die Methoden sind als Anregungen zu verstehen: Zögern Sie nicht, diese entsprechend der Gruppengröße, dem Altersniveau, den Interessen und den Kompetenzen der Adressat*innen sowie Ihren eigenen Vorstellungen anzupassen. Die Zusammenstellung beginnt mit der Vorstellung von vier Methoden für die pädagogische Nachbereitung des Films: 1. "Geschichte kann Heimat sein", 2. Erinnerungen: "Schon so viele Jahre her!", 3. Fiktives Interview sowie 4. Flucht und Migration und ihre Wege. Für alle notwendigen mm Materialien finden Sie im Anschluss Kopiervorlagen. In der mm Dialogliste kann, Szene für Szene, das Gespräch zwischen den beiden Frauen und dem Regisseur nachgelesen werden. Die mm Hintergrundinformationen richten sich an die Lehrenden/Teamenden und sind als vorbereitende Lektüre gedacht. Die drei Kapitel geben einen knappen Überblick über Osteuropäisches Judentum, Jüdisches Leben in Berlin-Mitte in den 1920er/1930er Jahren und Emigration nach Israel. Eine Liste mit mm Literatur- und Materialhinweisen findet sich am Schluss. In allen Texten wird die Genderschreibweise des *Sternchens verwendet, welche alle Geschlechter- und Genderidentitäten einschließt. Die Informationen wurden nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt. An dieser Stelle möchten wir uns besonders herzlich bei den Familien Florentin und Frons bedanken. Des Weiteren gilt der Dank der Fotosammlung des Landesarchivs Berlin. Diese Broschüre finden Sie auch online: www.bildungswerk-boell.de Für die außerschulische Bildungsarbeit kann der Film beim Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung kostenlos ausgeliehen werden. Schulen, Medienzentren und Bibliotheken können ihn samt entsprechender Lizenz beim Verlag Filmsortiment beziehen: www.filmsortiment.de Auf Rückmeldungen, Ergänzungen und Kritik sind wir gespannt: [email protected] Eric Esser, Tanja Kinzel und Jana Jelitzki 2 inhaltsverzeichnis vorwort Seite 02 methodenanregungen 1. "Geschichte kann Heimat sein" 2. Erinnerungen: "Schon so viele Jahre her!" 3. Fiktives Interview 4. Flucht und Migration und ihre Wege Seite 04 Seite 06 Seite 08 Seite 10 materialien 1. Zitate: "Was ist Heimat?" 2. Historische Fotografien aus Berlin 3a. Glossar 3b. Biografien von Chaja Florentin und Mimi Frons 3c. Kommentar des Regisseurs 3d. Porträt des Regisseurs 4a. Weltkarte 4b. Europakarte Seite 13 Seite 26 Seite 28 Seite 30 Seite 32 Seite 33 Seite 34 Seite 36 anhang I. Hintergrundinformationen II. Dialogliste III. Literatur- und Materialhinweise impressum herausgeber: Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll- Stiftung e.V. herstellung und produktion: Eric Esser konzeption und text: Tanja Kinzel, Jana Jelitzki Abbildungen: Fotosammlung des Landesarchivs Berlin, Eric Esser gestaltung: sansculotte Berlin, 2014 realisiert aus Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin 3 Seite 36 Seite 41 Seite 44 methodenanregungen Methodenanregungen für die Arbeit mit dem Film "Chaja und Mimi" Bei allen Methoden wird vorausgesetzt, dass zunächst gemeinsam der Film angeschaut wird: Dafür werden zusätzlich ca. 10 Minuten benötigt. 1. "geschichte kann heimat sein" Fragestellung und Ziele: Reflexion und Austausch über den Begriff "Heimat" und dessen Vielschichtigkeit. Was bedeutet "Heimat" für die Jugendlichen und welche Rolle spielen Familie, Freund*innen, Sprache, Zugehörigkeit usw. in diesem Zusammenhang? Zeit: ca. 1,5-2 Std. (je nach Diskussionsbedarf der Jugendlichen erweitern) Gruppengröße: maximal 15-20 Teilnehmende (TN) Material: mm Zitate: "Was ist Heimat?" einzeln ausgedruckt und ausgeschnitten. Die Anzahl und Auswahl der Zitate kann je nach verfügbarer Zeit an die Gruppengröße oder Lesekompetenz der TN angepasst werden. Es sollten jedoch auf jeden Fall mehr Heimatzitate als TN zur Auswahl angeboten werden. Hinweise für die Moderation und Überblick: Bei der Durchführung der Übung sollte die Moderation auf einen respektvollen gegenseitigen Umgang achten. Bei der Diskussion um Heimatbegriffe gibt es kein "richtig" oder "falsch" und bei der Frage nach dem eigenen Heimatverständnis kann es sich um eine persönliche, zum Teil emotionale Frage handeln. Alle TN sollen, nachdem sie sich eines der Zitate ausgesucht und darüber nachgedacht haben, Zeit bekommen, ihre Überlegungen in der Runde vorzustellen. Dabei sind Nachfragen möglich, es sollte aber noch kein Einstieg in die Diskussion stattfinden. Die Diskussion und ein Rückbezug zu dem Film finden im Anschluss daran statt. 1. Vorbereitung: Die einzelnen Zitate werden im Raum auf einem Tisch oder dem Boden ausgelegt oder aufgehängt. 2. Durchführung/Arbeitsauftrag für die TN: m Die Teilnehmenden bekommen Zeit im Raum umherzulaufen und die Zitate zu lesen. Sie werden aufgefordert, sich eines der Zitate auszusuchen: Sie müssen nicht mit dem Zitat übereinstimmen, sondern sich dazu in Bezug setzen können. (ca. 10-15 Min.) m Such Dir eines der Zitate aus, das dich anspricht. Warum hast du es ausgesucht: v Findest du dich in dem Zitat wieder? Oder würdest du der Position wider- sprechen? Kennst du den/die Autor*in? Weißt du etwas über sein/ihr Leben? (ca. 10 Min.) Methodenanregungen 4 m Vorstellung in der Gruppe: Stell dein Zitat vor und erkläre den anderen, warum du es ausgesucht hast. Erzähl nur das, was du gerne erzählen möchtest! Die anderen können Verständnisnachfragen stellen, es soll aber noch kein Einstieg in die Diskussion stattfinden. (ca. 30 Min.) m Austausch und Diskussion in der Gruppe (30-60 Min.): Mögliche Leitfragen: v Welche Vorstellungen und Bilder von Heimat konntet Ihr in den Zitaten erkennen? Woran wird Heimat festgemacht? Was bedeutet Heimat für Euch? Gibt es für Euch mehrere Heimaten? Könnt Ihr Euch vorstellen, in einem anderen Land zu leben? Was würdest Ihr wohl vermissen? v Rückbezug zum Film: Überlegt, was Heimat für Chaja und Mimi bedeutet. Am Ende des Films werden die beiden gefragt, ob sie wieder nach Berlin ziehen würden. Die Frauen verneinen energisch, mit dem Hinweis, dass sie in Israel zu Hause seien. Sie sind zwar mit Vielem im Land unzufrieden, doch es sei wie mit einem anstrengenden Baby, das dauernd schreie und das man dennoch liebe. Wie versteht Ihr diese Beschreibung? Was denkt Ihr, inwiefern die Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland das Bild der beiden von Heimat prägt? v Welche Verbindungen und Unterschiede gibt es zwischen euren Positionen zu Heimat und denen der beiden Frauen? Überlegt, warum das so ist. Die Moderation sollte insbesondere bei dem Rückbezug zum Film darauf achten, dass sie die entsprechenden Sequenzen präsent hat und je nach Bedarf noch mal einbringen kann siehe mm Dialogliste. Falls nötig, sollte die Moderation die Jugendlichen dabei unterstützen, die verschiedenen, in den Zitaten angesprochenen Ebenen des Heimatbegriffs zu erkennen und zu strukturieren (z.B. nationaler/regionaler Bezug, Sprache, Un-/Selbstverständlichkeit von Heimat, Kindheit, Staatsangehörigkeit, Migrations- oder Fluchterfahrungen). 3. Auswertung: Offene Abschlussrunde in der Gruppe (5-10 Min.): v Was war neu oder interessant für Euch? Was habt Ihr über Euch selbst oder die anderen TN erfahren? Was hat Euch überrascht? 5 Methodenanregungen 2. erinnerungen: "schon so viele jahre her!" Wichtiger Hinweis: Vorbereitung nötig! TN werden im Vorfeld aufgefordert ein Foto aus ihrer Kindheit mitzubringen, welches sie der Gruppe zeigen möchten. Für die Durchführung ist es ist wichtig, dass jede*r ein Bild dabei hat. Zur Not können einzelne TN improvisieren und kurz ein Foto/eine Szene aus ihrer Kindheit skizzieren. (Wird als Auswertung die Fotocollage gewählt, bedeutet dies, dass die Fotos eventuell zerschnitten werden und nicht heil wieder mit nach Hause genommen werden können. Perfekt wären also ein Fotoabzug oder eine Farbkopie!) Fragestellung und Ziele: Reflexion und Austausch zum Thema Erinnerung. Beschäftigung mit Fotos als Ausgangspunkt für Erinnerungen – angeregt durch die Reaktionen von Chaja und Mimi auf die Fotografien aus dem Berlin der 1920er/1930er Jahre, der Stadt ihrer Kindheit. Bilder aus der eigenen Kindheit sollen die TN dazu einladen, sowohl über den Kontext ihrer persönlichen, konkreten Kindheitserinnerungen, als auch allgemein über die Funktionsweise von Erinnerungen nachzudenken. Die zeitgenössischen Fotos liefern zudem Impulse, über jüdisches Leben im damaligen Berlin zu sprechen. Bei dieser Methode geben die TN über die privaten Fotos viel von sich, ihrer Geschichte und ihrer Familie preis – ein wertschätzender Umgang untereinander sollte durch die Moderation gewährleistet sein. Zeit: ca. 1 Std. – je nach Diskussionsbedarf der Jugendlichen erweitern Gruppengröße: maximal 15 Teilnehmende (TN) Material: keine besonderen Materialien nötig, die im Film gezeigten mm historischen Fotografien aus Berlin können ausgedruckt oder auch mit Beamer gezeigt werden. Je nach Auswertungsmethode, sind eventuell noch Schere, Klebestift und ein großes Poster notwendig. 1. Durchführung/Arbeitsauftrag: mDie Gruppe teilt sich für 10-20 Min. in mehrere Kleingruppen von 3-4 Personen auf, um sich gegenseitig Kinderfotos zu zeigen. Diejenigen, die kein Bild mitge- bracht haben, können kurz das vergessene Foto oder einfach eine Szene aus ihrer Kindheit skizzieren und dazu fügen. mDer Reihe nach stellt jede*r sein/ihr Kindheitsfoto vor: v Was und wer ist zu erkennen? Wann und wo wurde es aufgenommen? Kann man das anhand des Bildes erkennen, z.B. an der Mode, den Automodellen, Schriftbildern, Straßennamen oder anderen Merkmalen? Wer hat fotografiert? Weißt du noch, wie es aufgenommen wurde? Wen könntest du nach der Situation und der Zeit fragen, in der es aufgenommen wurde? Woran erinnert dich das Bild? Methodenanregungen 6 mDie Kleingruppen kommen wieder zusammen. Gemeinsame Diskussion: v Was ist Euch aufgefallen? Wie funktionieren Erinnerungen? Was bleibt uns im Gedächtnis, was vergessen wir? Könnten Eure Erinnerungen für andere interessant sein? Warum? mRückbezug zum Film und den dort gezeigten Fotografien (diese können bei Bedarf noch mal gezeigt werden, siehe mm historische Fotografien aus Berlin): v Welche Rolle spielt das Foto, auf dem Chaja und Mimi als Kinder mit ihren Müt- tern zu sehen sind, im Film? Was wird dazu erzählt? Wie wirkt das Foto auf Euch? Könnt Ihr Euch vorstellen, so lange befreundet zu sein? Die Moderation sollte die Szene und Aussagen für eventuelle Rückfragen parat haben (mm Dialogliste). mEine Schlüsselszene im Film wird ausgelöst durch die Archivbilder des Berlin der 1920er/1930er Jahre: v Wie reagieren die beiden Frauen auf die Fotos von Berlin in den 1920er/1930er Jahren? An welche Geschichten aus ihrer Kindheit erinnern sie sich? Gibt es Szenen, die unklar bleiben? mDie Szene bietet auch die Chance, das lebendige jüdische Leben im damaligen Berlin zu thematisieren: v Was ist auf den Bildern zu sehen? Schaut Euch die Bilder noch mal in Ruhe an. Was wisst Ihr über jüdisches Leben in Berlin zu der Zeit? Die Moderation kann hier die mm historischen Fotografien bei Bedarf noch mal zeigen und Informationen zum mm jüdischen Leben in Berlin-Mitte einfließen lassen. 2. Auswertung: Die Auswertung sollte stark an der Gruppe und dem Verlauf der Diskussion ausgerichtet werden – hat sich diese auf die persönlichen Aspekte der TN-Fotos konzentriert und bleibt die Gruppe noch länger in dem Raum/Gebäude o.ä. zusammen, könnten die Kindheitsbilder zum Beispiel als gemeinsame Collage für den Klassenraum auf ein Poster aufgeklebt werden. Soll eher eine zusammenfassende inhaltliche Auswertung erfolgen, bietet sich eine Runde an. Eine mögliche Vorgabe kann sein, dass jede*r einen (!) Satz sagt: "Ich fand besonders toll/interessant/spannend/krass/merkwürdig/…, was Chaja/Mimi/ein*e andere*r TN gesagt hat, nämlich dass …". 7 Methodenanregungen 3. Fiktives Interview Fragestellung und Ziele: Reflexion über den Film und selbstständige Entwicklung von Fragen zu den Biografien bzw. der Entstehung des Films. Als ergänzende Informationen werden die Biografien wie auch der Regietext genutzt. Verbindung der neuen Informationen mit den Erzählungen im Film. Thematisierung offener Fragen: v Welche Situationen und Themen im Film haben die Jugendlichen berührt bzw. angesprochen, worüber wollen sie mehr erfahren, was bleibt offen? Zeit: ca. 45 Min. – je nach Lesetempo und Diskussion der Jugendlichen Gruppengröße: maximal 15 Teilnehmende (TN) Hinweise für die Moderation und Überblick: Kurze Übung, eignet sich auch gut für die Diskussion direkt nach dem Film. TN teilen sich in zwei etwa gleich große Gruppen auf. Jede Gruppe bekommt ein großes Blatt Papier, einen der Texte 1. Biografien von Chaja Florentin und Mimi Frons, 2. Kommentar des Regisseurs und Porträt des Regisseurs sowie den jeweiligen Arbeitsauftrag (ca. 15-20 Min. für die Arbeit in den Gruppen). Zum Abschluss stellen sich die Gruppen gegenseitig ihre Poster vor. Die Moderation kann an einigen Stellen inhaltliche mm Hintergrundinformationen geben. Material: Poster, Eddings, für jede*n TN Kopien der mm Biografien von Chaja Florentin und Mimi Frons, des mm Kommentars des Regisseurs, des mm Porträt des Regisseurs und des mm Glossars. 1. Arbeitsaufträge: m Für die Gruppe 1. mm Biografien von Chaja Florentin und Mimi Frons: Lest den Text gemeinsam und besprecht, welche neuen Informationen Ihr über das Leben der beiden Frauen bekommen habt. Falls im Text Begriffe auftauchen, die Ihr nicht kennt, schaut im mm Glossar nach. Nun stellt Euch vor, Ihr hättet die Gele- genheit, Chaja Florentin und Mimi Frons zu einem Interview zu treffen. v Welche Fragen würdet Ihr ihnen stellen? Worüber würdet Ihr gerne mehr erfahren und mit ihnen reden? Was würdet Ihr ihnen gerne sagen? Diskutiert diese Fragen und gestaltet ein Plakat mit den neuen Informationen sowie euren Ideen und Interviewfragen und stellt es anschließend der anderen Gruppe vor. m Für die Gruppe 2. mm Kommentars des Regisseurs und mm Porträt des Regisseurs: Lest den Text gemeinsam und besprecht, welche neuen Informationen Ihr über das Leben der Frauen und den Film bekommen habt. Falls im Text Begriffe auftau- chen, die Ihr nicht kennt, schaut im mm Glossar nach. Nun stellt Euch vor, Ihr hättet die Gelegenheit, den Filmemacher Eric Esser zu einem Interview zu treffen. v Welche Fragen würdet Ihr ihm stellen? Worüber würdet Ihr gerne mehr erfah- ren und mit ihm sprechen? Was würdet Ihr ihm gerne sagen? Diskutiert diese Fragen und gestaltet ein Plakat mit den neuen Informationen sowie euren Ideen und Interviewfragen und stellt es anschließend der anderen Gruppe vor. Methodenanregungen 8 2. Auswertung: Feedback zu den Fragen der je anderen Gruppe: v Was teilt Ihr, was seht Ihr anders? Haben die Hintergrundinforma- tionen euren Blick auf den Film verändert? Wenn ja, inwiefern? 9 Methodenanregungen 4. flucht und migration und ihre wege Fragestellung und Ziele: Reflexion über Gründe für Flucht und Migration und die Möglichkeit, sich in einem anderen Land ein menschenwürdiges Leben aufzubauen. Nachdenken über die eigene Herkunft und Familiengeschichte. Mögliche Fragen: v Warum entscheiden sich Menschen, ihr Herkunftsland zu verlassen? Welche Chancen haben sie, an anderen Orten aufgenommen zu werden? Welche Aspekte spielen hierbei eine Rolle (Nationalität, soziale Herkunft/sozialer Status, Sprache, Religion, Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität usw.)? Welche Faktoren erleichtern es, sich in einem anderen Land ein neues Leben aufzubauen? Bei der Übung geht es darum, vorgegebene Thesen in einer stillen Diskussion gemeinsam zu bearbeiten. Durch die schriftliche Diskussion erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die verschiedenen Positionen, Einwände, Argumente und Informationen von den einzelnen TN wahrgenommen werden. Die Interaktion verlangsamt sich und animiert die TN so, auch eigene Einwände, Kommentare und Standpunkte erst zu reflektieren, bevor sie aufgeschrieben werden. Zeit: ca. 2 Std. – je nach Diskussionsbedarf Gruppengröße: 10-15 Teilnehmende (TN) – größere Gruppen sollten bei der stillen Diskussion geteilt werden. Material: Möglichst große mm Weltkarte, falls nicht sowieso im Klassenzimmer vorhanden, auf DIN A3 ausdrucken, große Pinnwand und Stecknadeln, große Wandplakate (mind. DIN A3, besser größer), Kreppband und dicke Stifte in verschiedenen Farben. 1. Vorbereitung: Vorbereitete Statements werden auf die Wandplakate geschrieben, es ist auch möglich, ein Thema aus der Diskussion aufzugreifen. Mögliche Thesen sind beispielsweise: v "Alle Menschen sollen dort leben können, wo sie wollen" – bzw. als Frage formuliert: "Findet Ihr, dass alle Menschen dort leben können sollten, wo sie wollen?" oder "Alle Menschen haben das Recht, ohne Verfolgung aufzuwach- sen", "Alle Menschen haben das Recht auf Wohlstand und ein menschenwürdiges, respektvolles Leben", "Deutschland sollte mehr Flüchtlingen Asyl gewähren" usw. Die Thesen sollten von der Moderation an das Alter und Vorwissen der Gruppe angepasst werden (z.B. Kenntnisse aktueller migrationspolitischer Debatten, Asylgesetzgebung in Deutschland, dramatische Situation der Geflüchteten an den Außengrenzen Europas bzw. in den diversen Lagern in Europa, legaler und illegalisierter Aufenthaltsstatus, anerkannte Fluchtgründe etc.). Beim Einsatz dieser Methode ist es für die Moderation nötig, die mm Hintergrundinformationen und mm Biografien zu kennen, um den TN deren Inhalte vermitteln zu können. Methodenanregungen 10 2. Durchführung: m Zunächst sollen die Migrations-/Fluchtwege der Familien von Chaja und Mimi auf der großen mm Weltkarte nachgezeichnet oder mit Pinnnadeln aufgesteckt werden. Dafür werden die mm Biografien und ausgewählte mm Hintergrundinformationen durch die Moderation an die TN vermittelt. Dabei sollten die folgenden Fragen aufgegriffen werden: v Warum haben die Familien Osteuropa/Polen verlassen? Wie ist es ihnen in Berlin ergangen, wie haben sie sich dort etabliert? Warum haben sie Berlin verlassen und sind nach Israel gegangen? m Kurzes Brainstorming mit den TN zu der Frage, welche Gründe es gibt, seinen Geburtsort oder sein Geburtsland zu verlassen. Was bedeutet Flucht und was Migration? In dem Zusammenhang sollte thematisiert werden, dass die Geschichte des Nationalsozialismus mit der Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden, Roma und Sinti, Homosexuellen und anderen Verfolgten sowie die be schränkten Rettungs- und Fluchtmöglichkeiten 1949 ausschlaggebend für die Verankerung des Grundrechts auf Asyl im Grundgesetz der BRD war. 1993 wurde dieses Grundrecht nach heftigen politischen Debatten eingeschränkt und an be- stimmte Bedingungen gebunden (sichere Drittstaatenregelung etc.). m Dann werden die TN eingeladen, etwaige eigene Migrations- oder Fluchterfahrun- gen von sich und ihrer Familie zu beschreiben, die ebenfalls auf der Karte sicht- bar gemacht werden können. Wenn sie wollen(!), können sie erzählen, warum sie bzw. ihre Familien den Geburtsort/das Land verlassen haben, warum sie umgezogen sind usw. Folgende Fragen können hierbei leitend sein: v Wisst Ihr, warum Eure Familien ihre Herkunftsländer verlassen haben? Warum haben sie sich für den jetzigen Ort/das jetzige Land entschieden? Falls es sich anbietet, kann auch gefragt werden, wie es für die Familien war, woanders neu anzufangen, was ihnen leicht gefallen ist, was schwer für sie war. Wichtig ist, auch diejenigen, die durchgängig an ihrem Geburtsort leben, zu fragen, warum sie nicht umgezogen oder weggegangen sind – was sie denken, warum das so ist. mIm nächsten Schritt werden die vorbereiteten Plakate an einer Wand aufgehängt oder auf dem Boden ausgelegt und die Stifte in verschiedenen Farben bereitge- stellt. Den Farben können unterschiedliche Bedeutungen zugewiesen werden, bei- spielsweise rot = Gegenargument, grün = Bestätigung einer Position, gelb = Nach- frage usw. 11 Anschließend werden die TN aufgefordert, eine stille Diskussion zu führen: Sie haben nun Zeit, die Plakate zu lesen, ihre Kommentare aufzuschreiben und zwischen den Themen zu wechseln. Sie führen die Diskussion auf den Wandplakaten schriftlich, dabei soll nicht geredet werden: Es ist wichtig, darauf zu achten, dass wirklich alle still bleiben, und sofort zu intervenieren, wenn beleidigende oder verlet- zende Kommentare auf die Wandplakate geschrieben werden. Methodenanregungen Wenn die Diskussion sich erschöpft hat, kein Platz mehr zur Verfügung steht, werden die verschiedenen Äusserungen gemeinsam durchgelesen. 3. Arbeitsauftrag an die TN: m Lest die einzelnen Aussagen/Thesen durch und überlegt, ob Ihr ihnen zustimmt, sie ablehnt, Eingrenzungen vornehmen, Bedingungen formulieren oder Fragen stellen wollt. m Schreibt eure Meinung auf und wechselt dann zum nächsten Plakat. Ihr könnt jederzeit zu einem der Plakate zurückkehren und auf Fragen und Kommentare zu euren Positionen eingehen, dagegen argumentieren usw. m Während der gesamten Zeit gilt absolutes Redeverbot. Der Austausch erfolgt ausschließlich schriftlich auf den Plakaten. 4. Auswertung: Die Argumente werden gemeinsam durchgelesen, es sollte aber keine Diskussion mehr stattfinden. Die abschließende Frage sollte sich vor allem darum drehen, wie es den TN während der Diskussion ergangen ist, was neu/interessant für sie war. Und es sollte ein Rückbezug zum Film hergestellt werden, beispielsweise mit der Frage, was die Übung mit dem Film zu tun hat. Whitehorse 60 Gulf of Alaska UTIAN Great Slave Lake Juneau Happy ValleyGoose Bay NORTH Toronto Milwaukee Los Angeles Bordeaux (FRANCE) Bilbao Boston New York Philadelphia NORTH Baltimore Washington, D.C. AZORES (PORT.) Bermuda MADEIRA ISLANDS (PORT.) (U.K.) New Orleans Gulf of Mexico HAWAIIAN ISLANDS Merida Guadalajara Mexico (U.S.) ISLAS REVILLAGIGEDO (MEXICO) Johnston Atoll Cancun Veracruz Puebla Oaxaca Acapulco CUBA COSTA RICA (FRANCE) DOMINICAN JAMAICA Kingston 0 Navassa Island (U.S.) Aruba (NETH.) Barranquilla British Virgin Islands (U.K.) Anguilla (U.K.) Nouakchott ST. KITTS AND NEVIS ANTIGUA AND BARBUDA Guadeloupe (FR.) (U.S.) DOMINICA Montserrat (U.K.) Martinique (FR.) ST. VINCENT AND ST. LUCIA THE GRENADINES BARBADOS Neth. Antilles (NETH.) GRENADA GALAPAGOS ISLANDS (ECUADOR) GUYANA (FRANCE) SURINAME Cayenne (BRAZIL) ECUADOR Guayaquil Belem Manaus Iquitos Trujillo (Fr. Poly.) Adamstown Pitcairn Islands (U.K.) Easter Island (CHILE) Isla Sala y Gómez (CHILE) Isla San Felíx (CHILE) Isla San Ambrosio Asuncion San Miguel de Tucuman (BRAZIL) Windhoek Curitiba I N D I A N Tromelin Island (FRANCE) Antananarivo MADAGASCAR SaintDenis Reunion E Timor Sea Cairns Pretoria Johannesburg (FRANCE) VANUATU Coral Sea Islands Port-Vila (AUSTL.) American Samoa FIJI (U.S.) Niue (N.Z.) Suva Nuku'alofa TONGA Noumea Maputo A U S T R A L I A Mbabane LESOTHO SWAZILAND Maseru Montevideo SOUTH PAC I F I C Norfolk Island Brisbane (AUSTL.) Durban Perth OCEAN Lord Howe Island Adelaide Port Elizabeth Great Australian Bight Ile Amsterdam (Fr. S. and Ant. Lands) TRISTAN DA CUNHA(St. Helena) Ile Saint-Paul Canberra KERMADEC ISLANDS (N.Z.) 30 Sydney Auckland Melbourne NEW ZEALAND Tasman Sea (Fr. S. and Ant. Lands) Gough Island (St. Helena) Tasmania Wellington Hobart Christchurch (FRANCE) CHATHAM ISLANDS (N.Z.) PRINCE EDWARD ISLANDS (SOUTH AFRICA) Stanley Scotia Sea Drake Passage ILES CROZET (Fr. S. and Ant. Lands) AUCKLAND ISLANDS (N.Z.) ILES KERGUELEN (Fr. S. and Ant. Lands) Heard Island and McDonald Islands (AUSTL.) Bouvet Island (NORWAY) Punta Arenas 60 Tokelau (N.Z.) SAMOA Apia Mata-Utu Pago Pago Wallis and Futuna Coral Sea Ree f K I R I B A T I Funafuti New Caledonia (FRANCE) French Southern and Antarctic Lands SOUTHERN Gulf of Carpentaria Howland Island (U.S.) Baker Island (U.S.) 0 TUVALU Honiara Port Moresby Darwin (AUSTL.) SOLOMON ISLANDS Alice Springs Falkland Islands (Islas Malvinas) (administered by U.K., claimed by ARGENTINA) Antarctic Circle (66 deg 33') PAPUA NEW GUINEA Tropic of Capricorn (23 deg 27') Comodoro Rivadavia OCEAN A Arafura Sea EAST TIMOR Ashmore and Cartier Islands (AUSTL.) I Dili (AUSTL.) Cocos (Keeling) Islands S Banda Sea (AUSTL.) Puerto Montt PAC I F I C Tarawa Yaren NAURU District OMakassarN Java Sea Semarang Surabaya O C E A N Port Louis MAURITIUS (FRANCE) (FRANCE) SOUTH AFRICA Cape Town Bahía Blanca SOUTH (FRANCE) Majuro Palikir PALAU Christmas Island (FRANCE) Europa Island D Bandung Glorioso Islands (administered by FRANCE, claimed by COMOROS) Mozambique Channel Bassas da India MARSHALL ISLANDS FEDERATED STATES OF MICRONESIA Koror URUGUAY La Plata ARGENTINA Diego Garcia SEYCHELLES MOZAMBIQUE Beira Cebu Celebes Sea A Equator N Jakarta (U.K.) Juan de Nova Island (FR.) ZIMBABWE I British Indian Ocean Territory Mayotte MALAWI I Hagatna Palembang Victoria Dar es Salaam Moroni Lilongwe BOTSWANA (U.K.) Rosario Buenos Aires Lake Nyasa (U.S.) Pontianak COMOROS St. Helena Cordoba Mendoza Santiago Dodoma TANZANIA S Saipan Guam Singapore SINGAPORE Mombasa BURUNDI Y (U.S.) (U.S.) BRUNEI A Wake Island Northern Mariana Islands Bandar Seri Begawan L (U.S.) Tropic of Cancer (23 deg 27') Philippine PHILIPPINES SPRATLY ISLANDS Kuala Lumpur M A 30 Midway Islands Marcus Island (JAPAN) Davao Medan Mogadishu KENYA K Manila Ho Chi Minh City Phnom Penh Gulf of Thailand U Sea South China Sea NICOBAR ISLANDS (INDIA) SRI LANKA Y PARACEL ISLANDS VIETNAM CAMBODIA Andaman Sea Colombo Male R Hainan Dao Hue Bangkok LAKSHADWEEP Laccadive Sea Gulf of Vientiane Tonkin THAILAND (INDIA) Lake Nairobi Victoria Bujumbura Lake Tanganyika ZAMBIA Porto Alegre CHILE ARCHIPIELAGO JUAN FERNANDEZ (CHILE) Concepción (YEMEN) Berbera LAOS Chiang Mai ANDAMAN ISLANDS (INDIA) RWANDA Kigali REPUBLIC Gaborone (CHILE) 30 Rangoon Bengal Chennai (Madras) SOMALIA Kampala Harare Walvis Bay BURMA - Hyderabad Bangalore Okinawa Taipei Taiwan Hong Kong Luzon Strait Macau S.A.R. S.A.R. Nanning Yokohama Fukuoka East China Sea Guangzhou INDIA Pune Arabian Sea Tokyo Nagoya Osaka Shanghai Nanchang Guiyang Hanoi PAC I F I C OCEAN JAPAN Seoul SOUTH KOREA Pusan Hangzhou Changsha Kunming MALDIVES DEMOCRATIC NAMIBIA Rio de Janeiro Sao Paulo Antofagasta Socotra ETHIOPIA Lusaka OCEAN Martin Vaz (BRAZIL) PARAGUAY (23 deg 27') Thimphu BANGLADESH Kolkata Dhaka (Calcutta) Nagpur Wuhan Chongqing Bay of Gulf of Aden Djibouti Addis Ababa Lubumbashi Trindade Tropic of Capricorn Kathmandu Kanpur - Ahmadabad Mumbai (Bombay) Juba OF THE CONGO Kinshasa Namibe St. Helena (St. Helena) Lucknow Karachi OMAN Aden DJIBOUTI UGANDA ANGOLA SOUTH Lhasa BHUTAN NEPAL Jaipur Sanaa Asmara Luanda AT LAN T I C Belo Horizonte Sucre P o l y n e s i a (FRANCE) ÎLES TUBUAI Ascension (St. Helena) Brasilia Goiania Santa Cruz F r e n c h (Cabinda) Salvador La Paz BOLIVIA Arequipa PAKISTAN Muscat Yellow Sea Qingdao Barrier (Fr. Poly.) Brazzaville ANGOLA Chengdu New Delhi OMAN Abu Dhabi Jinan NORTH Sea of Japan NORTH KOREA Pyongyang Tianjin Zhengzhou Xi'an Nanjing Lahore Quetta UNITED ARAB EMIRATES Beijing Taiyuan CHINA at SOCIETY ISLANDS Annobon Maceio Cusco Lago Titicaca ARCHIPEL DES TUAMOTU (Fr. Poly.) QATAR Sapporo Shenyang Baotou Lanzhou Indian claim Line of Actual Control YEMEN ERITREA Khartoum Kisangani (EQUA. GUI.) (BRAZIL) Recife Persian Gulf Manama Doha ARABIA ¯ Kandahar Vladivostok Gre Lima Papeete Omdurman CHAD Libreville REP. OF THE GABON CONGO Sao Tome Natal BRAZIL PERU Cook Islands (N.Z.) Fortaleza BAHRAIN Riyadh Changchun Urumqi 1972 Line of Control Shiraz KURIL ISLANDS Harbin Bishkek KYRGYZSTAN Port Sudan NIGER SAO TOME AND PRINCIPE Equator ARQUIPELAGO DE FERNANDO DE NORONHA Sao Luis Teresina ÎLES MARQUISES (Fr. Poly.) SAUDI EGYPT MALI MONGOLIA Kashi Dushanbe TAJIKISTAN Kabul AFGHANISTAN Islamabad IRAN KUWAIT SUDAN Georgetown Paramaribo French Guiana VENEZUELA Bogotá COLOMBIA MAURITANIA Esfahan Kuwait Aswan Tombouctou SÃO PEDRO E SÃO PAULO (U.S.) LI BYA Dakar SENEGAL Niamey Banjul BURKINA Bamako FASO THE GAMBIA Kano Ouagadougou Bissau N'Djamena GUINEA GUINEA-BISSAU BENIN NIGERIA Conakry Abuja CÔTE TOGO Freetown Ogbomoso D'IVOIRE GHANA SIERRA Ibadan Yamoussoukro CENTRAL LEONE Lagos Lomé AFRICAN REPUBLIC Accra Monrovia PortoAbidjan CAMEROON LIBERIA Novo Bangui Douala Malabo Yaounde EQUATORIAL GUINEA PENEDOS DE Gulf of Guinea Quito Jarvis Island K I R I B A T I ALGERIA Ashgabat Mashhad Al Basrah JORDAN Cairo Al Jizah Tashkent TURKMENISTAN Khabarovsk Ulaanbaatar Lake Balkhash UZBEKISTAN Baku Tehran IRAQ Baghdad Tel Aviv-Yafo ISRAEL Alexandria Jerusalem Amman - Banghazi Caspian Sea Tabriz Damascus (U.S.) Sakhalin Aral Sea Mosul Kirkuk Aleppo SYRIA LEB. Beirut ALEUTIAN ISLANDS Petropavlovsk-Kamchatskiy Irkutsk Qaraghandy (Karaganda) KAZAK H STAN ARMENIA AZERBAIJAN Adana Nicosia CYPRUS Barnaul Atyrau (Atyrau) Sea of Okhotsk Lake Baikal Novosibirsk Omsk Astana Yerevan TURKEY Konya Chelyabinsk Ufa Tbilisi Ankara Bursa Krasnoyarsk Samara GEORGIA ·Istanbul ·Izmir Athens Tripoli Praia TRINIDAD AND TOBAGO Caracas Medellín Cali Equator BULGARIA MACEDONIA GREECE (IT.) (GR.) Mediterranean SeaCrete MOROCCO CAPE VERDE Port-of-Spain Maracaibo Colon Panama PANAMA Isla de Malpelo Kiritimati (Christmas Island) (KIRIBATI) Sofia Skopje ALB. Tirana Palermo Red Sea Jiddah Mecca Caribbean Sea Isla del Coco (COSTA RICA) Palmyra Atoll (U.S.) (IT.) Tunis MALTA Valletta TUNISIA Western Sahara Port-au- REPUBLIC Prince HAITI Santo Puerto Domingo Rico (U.K.) San Jose Cartagena Clipperton Island Kingman Reef (U.S.) Rome Naples Sardinia Sicily Algiers (U.K.) Cayman Is. BELIZE Belmopan VATICAN CITY (FR.) BALEARIC ISLANDS (SP.) Oran (SP.) Yekaterinburg Almaty Black Sea Turks and Caicos Islands GUATEMALA HONDURAS Tegucigalpa Guatemala San Salvador NICARAGUA EL SALVADOR Managua (U.S.) Corsica Barcelona Valencia Gibraltar (U.K.) Melilla Rabat Laayoune (El Aaiún) THE BAHAMAS Nassau Miami SER.& MONT. 60 Bering Sea Perm' Kazan' O Leon Marseille BOS. & HER. ITALY Sarajevo Marrakech CANARY ISLANDS (SP.) Havana MEXICO Moscow OT Matamoros Mazatlan Nizhniy Novgorod Yaroslavl' (JA Monterrey Tropic of Cancer (23 deg 27') Casablanca Jacksonville San Antonio Honolulu Magadan St. Petersburg H - S P O PAN) Houston Anadyr' Helsinki Tallinn EST. Baltic Riga LAT. Sea LITH. M Ciudad Juárez ANDORRA SPAIN Sevilla Ceuta (SP.) OCEAN Turin MARINO MONACO Madrid PORTUGAL Lisbon AT LAN T I C Atlanta Dallas El Paso St. Pierre and Miquelon Halifax Lake Ontario Lake Erie Columbus STATE S Gulf of St. Lawrence Quebec Montreal Chukchi Sea Yakutsk NA San Diego Tijuana Mexicali 30 Phoenix Cleveland Indianapolis St. Louis Denver UNITED San Francisco Detroit Chicago Salt Lake City PAC I F I C OCEAN Lake Michigan Minneapolis Portland Lake Huron Ottawa Stockholm DENMARK R U S S I A Copenhagen RUSSIA Vilnius Minsk Manchester Isle of Dublin Man (U.K.) POLAND Hamburg BELARUS IRELAND KINGDOM Amsterdam Warsaw Voronezh NETH. Saratov Cologne Berlin Lodz London Kiev GERMANY Brussels Krakow L'viv Prague CelticGuernsey (U.K.) Lille Luxembourg CZECH REP. UKRAINE BELGIUM Kharkiv Sea Jersey (U.K.) SLOVAKIA LUX. Munich Paris Bratislava Volgograd Vienna MOLDOVA LIECH. Donets'k AUSTRIA Budapest Chisinau FRANCE SWITZ. Rostov HUNGARY Bern Ljubljana ROMANIA Odesa SLOVENIA Sea of Bay of Lyon Milan Zagreb CROATIA Belgrade Azov Bucharest Biscay SAN Island of Newfoundland Lake Superior Oslo North Sea UNITED Glasgow Belfast Arkhangel'sk FINLAND Gulf of Bothnia (DEN.) Bergen Labrador Sea Winnipeg Vancouver Seattle Tershavn (U.K.) Lake Winnipeg Calgary Reykjavik Cherskiy Arctic Circle (66 deg 33') White Sea SWEDEN Faroe Islands Rockall Edmonton DS ISLAN ALE Nuuk (Godthab) Wrangel Island East Siberian Sea Tiksi Noril'sk Murmansk NORWAY ICELAND Denmark Strait Hudson Bay Churchill CANADA 180 ARCTIC OCEAN NEW SIBERIAN ISLANDS Laptev Sea - Davis Strait Yellowknife Anchorage Barents Sea Norwegian Sea Jan Mayen (NORWAY) Iqaluit 150 120 SEVERNAYA ZEMLYA Kara Sea NOVAYA ZEMLYA (DENMARK) Baffin Island (Frobisher Bay) (NORWAY) Greenland Baffin Bay (Resolute) Great Bear Lake Svalbard - Kaujuitoq Victoria Island Arctic Circle (66 deg 33') Fairbanks 90 60 FRANZ JOSEF LAND Longyearbyen Greenland Sea IS LA N P AN DS ) Banks Island Beaufort Sea Barrow U. S. Nome 30 0 ARCTIC OCEAN Qaanaaq (Thule) U 30 60 Ellesmere Island ISLANDS Y 90 120 QUEEN ELIZABETH ( JA 150 ARCTIC OCEAN Macquarie Island (AUSTL.) South Georgia and the South Sandwich Islands (administered by U.K., claimed by ARGENTINA) SNARES ISLANDS (N.Z.) BOUNTY ISLANDS (N.Z.) ANTIPODES ISLANDS (N.Z.) Campbell Island (N.Z.) 60 SOUTH ORKNEY ISLANDS SOUTHERN OCEAN SOUTHERN OCEAN OCEAN Antarctic Circle (66 deg 33') Amery Ice Shelf Amundsen Sea Bellingshausen Sea Weddell Sea Ross Sea Ross Sea Antarctica Ronne Ice Shelf Ross Ice Shelf 150 120 90 60 30 0 * Ross Ice Shelf 30 60 Methodenanregungen 90 120 150 180 12 materialien zu Methode 1: "Geschichte kann Heimat sein" 1. zitate: "was ist heimat?" Ich kann mit dem Begriff Heimat gar nicht so viel anfangen, ich denke auch gar nicht darüber nach. Eigentlich ist es meine Wohnadresse, die Heimat, also wo ich halt meine Bude und mein Zeug habe und eigentlich sind Heimat die Leute, die ich mag. Also wenn meine fünf besten Freunde, die ich habe, wenn die in Istanbul wohnen würden, dann wäre dort eher meine Heimat. Und natürlich wenn man mal in Istanbul gewesen ist und dann wieder zurück kommt und unsere Berge, unsere Seen, unser Schwarzbrot und unsere Weißwurst wieder greifbar hat, merkt man schon, dass man irgendetwas vermisst hat. & Franz Xaver Gernstl (* 1951 in Jenbach/Bayern), Dokumentarfilmer und Produzent Heimat: im Süden die Berge, im Norden das Meer. Und dazwischen: Teer. & Marc-Uwe Kling (* 1982 in Stuttgart/Baden-Württemberg), Autor und Kabarettist 13 Materialien Die Menschen, und nicht die Natur, machen ein Land heimisch. & Hans Christian Andersen (* 1805 in Odense; † 1875 in Kopenhagen/Dänemark), Schriftsteller und Dichter Freundschaft, das ist wie Heimat. & Kurt Tucholsky (* 1890 in Berlin; † 1935 in Göteborg/Schweden), Journalist und Schriftsteller Die Heimat, das bedeutet: von Zeit zu Zeit eine Minute der Rührung, aber doch nicht dauernd. & Jules Renard (* 1864 in Chalons-du-Maine; † 1910 in Paris/Frankreich), Schriftsteller Geschichte kann Heimat sein. & Richard von Weizsäcker (* 1920 in Stuttgart/Baden-Württemberg), CDU-Politiker und ehemaliger Bundespräsident Materialien 14 Angela Merkel (* 1954 in Hamburg), CDU-Politikerin und Bundeskanzlerin & Ich hab sie einfach gern, die CDU, das ist meine Heimat. Wenn du mich fragst, wo meine Heimat ist, dann muss ich fragen, ja wann? & Gerhard Polt (* 1942 in München/Bayern), Kabarettist, Autor und Schauspieler Heimisch in der Welt wird man nur durch Arbeit. Wer nicht arbeitet, ist heimatlos. & Berthold Auerbach (* 1812 in Nordstetten/Baden-Württemberg, † 1882 in Cannes/Frankreich), Schriftsteller Dein Koffer – meine Heimat. & Mahmud Darwish (* 1941 in Akko/Palästina; † 2008 in Houston/Texas), Dichter 15 Materialien Am Tage, da ich meinen Paß verlor, entdeckte ich mit achtundfünfzig Jahren, daß man mit seiner Heimat mehr verliert als einen Fleck umgrenzter Erde. & Stefan Zweig (* 1881 in Wien/Österreich; † 1942 in Petrópolis/Brasilien), Schriftsteller Heimat ist kein geographisch lokalisierbarer Ort, sondern ein geistiges Gebilde, das erst durch Sprache erfahrbar wird. & Adel Karasholi (* 1936 in Damaskus/Syrien), Schriftsteller Heim kommt man nie, aber wo befreundete Wege zusammenlaufen, da sieht die ganze Welt für eine Stunde wie Heimat aus. & Hermann Hesse (* 1877 in Calw/Baden-Württemberg; † 1962 in Montagnola/Schweiz), Schriftsteller und Dichter Materialien 16 Heimat ist nichts Festes, Unwandelbares, sondern ein Werdendes, stetig sich Äußerndes, und von unserem Leben und vor allem unserem Anschauen abhängig. & August Endell (* 1871 in Berlin; † 1925 ebenda), Kunsttheoretiker, Designer und Architekt Es war so, daß er diese seine Heimatstadt, zu der er mit allem und jedem in Gegensatz stand, rechtschaffen haßte. Aber wenn er sich schmerzhafter zusammengerafft hatte, ihr zu entfliehen, fand er sich schließlich immer wieder auf dem Punkte, wo sie ihn zäher denn je umklammert hielt. & Max Herrmann-Neiße (* 1886 in Neiße/Schlesien; † 8. April 1941 in London/Großbritannien), Schriftsteller Wer die Enge seiner Heimat begreifen will, der reise. Wer die Enge seiner Zeit ermessen will, studiere Geschichte. & Kurt Tucholsky (* 1890 in Berlin; † 1935 Göteborg/Schweden), Journalist und Schriftsteller 17 Materialien Heimat und Vaterland sind etwas grundsätzlich anderes. & Johann Heinrich Pestalozzi (* 1746 in Zürich; † 1827 in Brugg/Schweiz), Pädagoge und Philosoph Heimat ist nicht dort, wo man wohnt, sondern wo man liebt und geliebt wird. & Karlheinz Deschner (* 1924 in Bamberg/Bayern), Schriftsteller, Religions- und Kirchenkritiker Heimat ist das Entronnensein. Max Horkheimer (* 1895 bei Stuttgart/Baden-Württemberg; † 1973 in Nürnberg/Bayern) & und Theodor W. Adorno (* 1903 in Frankfurt am Main/Hessen; † 1969 in Visp/Schweiz), beide Philosophen und Vertreter der Kritischen Theorie Heimat ist, wo die Rechnungen ankommen. & Heiner Müller (* 1929 in Eppendorf/Sachsen; † 1995 in Berlin), Dramatiker, Schriftsteller und Regisseur Materialien 18 ... so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat. Ernst Bloch (* 1885 in Ludwigshafen/Rheinland-Pfalz; † 1977 in Tübingen/Baden-Württemberg), & Philosoph Nicht da ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird. & Christian Morgenstern (* 1871 in München/Bayern; † 1914 in Meran/Italien), Dichter, Schriftsteller und Übersetzer So sehr Heimat auf Orte bezogen ist, Geburts- und Kindheitsorte, Orte des Glücks, Orte, an denen man lebt, wohnt, arbeitet, Familie und Freunde hat – letztlich hat sie weder einen Ort, noch ist sie einer. Heimat ist Nichtort. (...) Heimat ist Utopie. & Bernhard Schlink (* 1944 bei Bielefeld/Nordrhein-Westfalen), Jurist und Schriftsteller 19 Materialien Der weiche Singsang meiner Großmutter, das nächtliche Gequake der Frösche, die Schweine, wenn sie aus ihren Schweinchenaugen blinzeln, das aufgeregte Gegacker eines Huhnes bevor es geschlachtet wird, die Nachtviolen und Aprikosenrosen, derbe Flüche, die unterbittliche Sommersonne und dazu der Geruch nach gedünsteten Zwiebeln, mein strenger Onkel Móric, der plötzlich aufsteht und tanzt. Die Atmosphäre meiner Kindheit. So habe ich nach langem Überlegen geantwortet, als mich Jahre später ein Freund gefragt hat, was denn Heimat für mich bedeute (...) & Melinda Nadj Abonji (* 1968 in Bečej/Serbien), Schriftstellerin, Musikerin und Künstlerin Der Mensch hat immer eine Heimat und wär es nur der Ort, wo er gestern war und heute nicht mehr ist. Entfernung macht Heimat, Verlust Besitz. & Alexander von Villers (* 1812 in Moskau/Russland; † 1880 in Neulengbach/Österreich), Schriftsteller und Diplomat Materialien 20 (Ruth Klüger wird von dem Journalisten Felix Zimmermann im Interview gefragt, ob Menschen eine Heimat brauchen.) Ruth Klüger: Nein. Ich glaube nicht. Also ich brauche keine. Wissen Sie, die Welt ist derartig voller Flüchtlinge und Migranten, mehr als je. Wenn alle diese Leute eine Heimat brauchten, dann wären sie noch schlechter dran, als sie sowieso sind. Ich bin kein Baum, ich brauche keine Wurzeln. In diesem übertragenen Sinne, dass die Kindheit Wurzel ist: ja. Aber das ist nicht dasselbe wie ein Boden. Ich habe Füße, keine Wurzeln, ich kann gehen. Sogar Auto fahren. & Ruth Klüger (* 1931 in Wien/Österreich), Überlebende des KZ Auschwitz und Christianstadt, Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Ich fühle mich in der ganzen Welt zu Hause, wo es Wolken und Vögel und Menschentränen gibt. & Rosa Luxemburg (* 1870 in Zamość/Polen; † 1919 in Berlin), sozialistische Aktivistin und Politikerin 21 Materialien Man hält die Heimat für den relativ permanenten, die Wohnung für den auswechselbaren, übersiedelbaren Standort. Das Gegenteil ist richtig: Man kann die Heimat auswechseln oder keine haben, aber man muß immer, gleichgültig wo, wohnen. Der Mensch kann überall wohnen (…) Er ist wie die Ratte – kosmopolitisch... Wer aus der Heimat vertrieben wird (oder den Mut aufbringt, von dort zu fliehen), der leidet. Die geheimnisvollen Fäden, die ihn an Dinge und Menschen binden, werden zerschnitten. Aber mit der Zeit erkennt er, daß ihn diese Fäden nicht nur verbunden, sondern angebunden haben, daß er nun frei ist, neue zwischenmenschliche Fäden zu spinnen und für diese Verbindungen die Verantwortung zu übernehmen. & Vilém Flusser (* 1920 in Prag/Tschecheslowakei; † 1991), Medienphilosoph und Kommunikationswissenschaftler Heimat ist da, wo wir verstehen und verstanden werden. & Karl Theodor Jaspers (* 1883 in Oldenburg/Niedersachsen; † 1969 in Basel/Schweiz), Psychiater und Philosoph Materialien 22 Sprache ist keine Heimat, man nimmt eine Sprache ja mit in ein anderes Land. & Herta Müller (* 1953 in Nitzkydorf/Rumänien), Schriftstellerin Mein Vaterland ist Ghana, meine Muttersprache ist deutsch, die Heimat trage ich in den Schuhen. Als die Mauer fiel, hatte ich zeitweilig die Befürchtung, erschlagen zu werden. Nicht viel Angst oder keine große Angst, aber mehr als sonst. Seit 1984 lebe und arbeite ich in Westberlin und bin in dieser Stadt mehr zu Hause als irgendwo sonst. Dank meines ausgeprägten Orientierungssinnes verlaufe ich mich jeden Tag in den Straßen, aber dennoch, im Vergleich zu den Städten, in denen ich bisher gewohnt und studiert habe, war Berlin stets ein Ort, an dem ich mich recht geborgen fühlte. & May Ayim (* 1960 in Hamburg; † 1996 in Berlin), Dichterin, Pädagogin und Aktivistin der afrodeutschen Bewegung 23 Materialien Wenn dann der Zug an den Rumer Feldern vorbeifährt (…) und schließlich, zur Linken, das Schild Innsbruck Hauptbahnhof, dann breitet sich, ob ich will oder nicht, das Gefühl in mir aus: Jetzt bist du daheim. Dabei bin ich vor diesem Daheim geflohen, vor vielen Jahren, und ich wusste genau, warum, und ich weiß es noch heute, und es wird sich auch künftig nichts daran ändern, daß ich hier nicht mehr leben könnte, nicht ums Verrecken. (…) Jetzt aber bin ich (…) gekommen, weil ich für alle Zeiten den Schlamm erkennen und abkratzen will, der an meinen Wurzeln hängt. & Ingrid Strobl (* 1952 in Innsbruck/Österreich), Journalistin und Autorin Meine Heimat ist meine Frau. Da, wo sie lebt, möchte ich sein. & Peter Alexander (* 1926 in Wien/Österreich; † 2011 ebenda), Sänger, Schauspieler und Entertainer Materialien 24 İnsanın vatanı doğduğu yer değil, doyduğu yerdir. Heimat ist nicht da, wo man geboren ist, sondern da, wo man satt wird. & Türkisches Sprichwort Man muss Heimat haben, um sie nicht nötig zu haben. & & Jean Améry (* 1912 in Wien/Österreich; † 1978 in Salzburg/Österreich), Schriftsteller, Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und Opfer des Nationalsozialismus 25 Materialien zu Methode 2: Erinnerungen: "Schon so viele Jahre her!" 2. historische fotografien aus berlin Oben: Filmstill aus "Chaja & Mimi" Herta Striks und Mimi Dzialowski mit ihren Müttern und vermutlich ihren Geschwistern, 1926 Fotograf: Unbekannt Kameramann: Albrecht von Grünhagen Rechte: Eric Esser Links: Jüdischer Fleischerladen, Linienstraße 27 (Mitte), Oktober 1931 Fotograf: Steinhäuser, Rudolf Rechte: Landesarchiv Berlin Signatur: F Rep. 290 (01) Nr. 0004107 Materialien 26 Oben: Warenhaus Wertheim; Rosenthaler Straße (Bezirk Mitte) Ecke Neue Schönhauser Straße, 1928 Fotograf: Titzenthaler, Waldemar / Rechte: Landesarchiv Berlin / Signatur: F Rep. 290 (03) Nr. II2279 Links: Oranienburger Straße mit Synagoge (Bezirk Mitte),1931 Fotograf: Ernst, Z., Rechte: Landesarchiv Berlin F Rep. 290 (01) Nr. 0284473 27 Materialien zu Methode 3: Fiktives Interview 3a. glossar mmAlijah Hebräischer Begriff für Einwanderung nach Israel, wörtlich: "Aufstieg". mmAntisemitismus Beim Antisemitismus handelt es sich um eine Denkweise, die sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts herausbildete: Kennzeichnend für sie ist die pauschale und allumfassende Ablehnung von Juden und Jüdinnen. Diese Auffassung wurde im Zuge der Gründung des Deutschen Reichs (1871) zu einer Weltanschauung. Von der religiösen Judenfeindschaft unterscheidet sich der moderne Antisemitis- mus insofern, als er sich gerade nicht auf das religiös motivierte Vorurteil, also den christlichen Judenhass bezieht, sondern dem Judenhass eine scheinbar wissenschaftliche Grundlage verlieh. Der Begriff Antisemitismus wird heute oft als Oberbegriff für alle Formen von Judenfeindschaft gebraucht. mmAprilboykott Kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiter- partei (NSDAP) organisierte die Parteileitung am 1. April 1933 einen landesweiten Boykott von Geschäften, Arztpraxen und Anwaltskanzleien, die von Juden und Jüdinnen betrieben wurden. In vielen Städten ging der Boykott mit Plünderungen der Geschäfte und öffentlicher Gewalt gegen die Betreiber*innen einher. mmJecken/Jeckes Jecken werden nach Palästina/Israel eingewanderte Juden und Jüdinnen aus dem deutschsprachigen Raum genannt. mm Jiddisch Jiddisch (wörtlich jüdisch, kurz für jiddisch-daitsch, jüdisch-deutsch) ist eine rund tausend Jahre alte Sprache, die von Juden und Jüdinnen in weiten Teilen Euro- pas früher gesprochen und geschrieben wurde und bis heute erhalten ist. Jiddisch ist aus dem Mittelhochdeutschen hervorgegangen. mmKaschrut/koscher Die Jüdischen Speisegesetze sind religionsgesetzliche Vorschriften für die Zube- reitung und den Genuss von Speisen und Getränken – vergleichbar den mus- limischen Vorschriften, hier: halal. Nach diesen Vorschriften werden Lebensmittel in solche eingeteilt, deren Verzehr erlaubt ist (jiddisch: "koscher"), und solche, die verboten sind (jiddisch: "trefe"). Der Umgang mit den religiösen Speisevor- schriften ist sehr unterschiedlich und umfasst ein Spektrum von striktester Ein- haltung durch orthodoxe (streng religiöse) bis hin zu völliger Nichtbeachtung durch säkulare (weltliche) Juden und Jüdinnen. Materialien 28 Hebräisch Modernes Hebräisch (Ivrith) ist die in Israel meistverbreitete Sprache und neben Arabisch die Amtssprache des Staates. Heute sprechen etwa fünf Millio- nen Menschen hebräisch. Ivrit wird von rechts nach links geschrieben. mmModernes mmPogrom Pogrom ist ein russisches Wort für "Massaker, Verwüstung" und bezeichnet die gewaltsame Ausschreitung gegen eine Gruppe von Menschen. Im Zuge der mit- telalterlichen Judenverfolgungen wurde der Begriff Pogrom für Gewaltexzesse gegen Juden und Jüdinnen verwendet. Als Reichspogromnacht bezeichnet man die antisemitischen Ausschreitungen und die Zerstörung jüdischer Geschäfte und Synagogen am 9. November 1938 in Deutschland. mmSabbat Der Sabbat (auch Schabbat) ist der siebte Wochentag, ein Ruhetag, an dem keine Arbeit verrichtet werden soll. Er beginnt wie alle Tage im jüdischen Kalender am Abend und dauert von Sonnenuntergang am Freitag bis zum Eintritt der Dunkel- heit am folgenden Samstag. mmShoah Shoah (auch Schoah) ist ein hebräisches Wort, das Katastrophe oder Zerstörung bedeutet. Seit dem Zweiten Weltkrieg steht der Begriff für den millionenfachen Mord an den europäischen Juden und Jüdinnen durch das nationalsozialistische Regime zwischen 1933 und1945. mmZionismus 29 Der Zionismus entstand im späten 19. Jahrhundert in Europa als politisch-reli- giöse jüdische Nationalbewegung, die die Errichtung einer nationalen Heimstätte für Juden und Jüdinnen anstrebte und 1948 die Gründung des Staates Israel erreichte. Namensgeber ist "Zion" – der Tempelberg in Jerusalem. Materialien 3b. die biografien von chaja florentin und mimi frons Es wäre einen Eintrag in das "Guinnes Buch der Rekorde" wert, hat Mimi einmal gegenüber einem Journalisten gesagt: Die beiden Frauen sind seit über 80 Jahren miteinander befreundet. Schon ihre Eltern verband eine Freundschaft. Chajas Eltern waren während der Weimarer Republik als sogenannte "Ostjuden" aus Lviv/Lemberg und Vyzhnytsia/Wiznitz (beide Städte liegen heute in der Ukraine) nach Deutschland gekommen und wohnten in Berlin-Mitte in der Linienstraße. Damals kamen viele Juden und Jüdinnen aus Osteuropa nach Berlin, teils in der Hoffnung auf ein besseres Leben, teils um der Armut zu entgehen, teils flohen sie vor zunehmendem Antisemitismus und Pogromen. Michael und Leonie Striks machten sich selbstständig: Chajas Mutter führte einen modernen Waschsalon und ihr Vater besaß ein Textilunternehmen. Damit wurde die Familie zwar nicht reich, konnte sich aber eine schöne Wohnung leisten und ein Kindermädchen beschäftigen. Chaja wurde als erstes Kind 1921 geboren, es folgten eine Schwester und ein Bruder. Mimis Familie kam ebenfalls aus Osteuropa, Mimi lebte mit ihren Eltern Bella und David Dzialowski sowie ihren Schwestern Margot und Hella in Berlin-Mitte in der Auguststraße. Die Dzialowskis waren wohlhabend, der Vater war im Textilhandel tätig. Chajas und Mimis Familien waren befreundet, die Töchter gingen in denselben Kindergarten. Sie verbrachten ihre Freizeit zusammen und besuchten später dieselbe Grundschule. Gemeinsam nahmen sie am jüdischen Religionsunterricht teil und lernten dort hebräisch lesen und schreiben. 1933 änderte sich die politische Situation in Deutschland: Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) gewann die Wahlen und begann umgehend mit der Ausgrenzung, Entrechtung und Verfolgung von Juden und Jüdinnen, Sinti und Roma sowie politischen Gegner*innen. Im selben Jahr wurde ein jüdischer Arbeitskollege und Freund der beiden Väter von jungen Nazis in einer Kneipe brutal ermordet – auch sie selbst erhielten Drohungen und die Aufforderung auszureisen. Daraufhin beschlossen die beiden Familien, Deutschland umgehend zu verlassen. Es blieb kaum Zeit, die Geschäfte und Wohnungen aufzulösen. Mimi war zwölf Jahre alt, als ihre Familie zunächst nach Frankreich floh, um von dort aus weiter mit dem Schiff nach Palästina zu kommen. Sie hofften, dort eine neue, sichere Heimat zu finden. Palästina befand sich seit dem 1.Weltkrieg unter britischem Mandat, schon seit einigen Jahren bemühten sich zionistische Gruppen darum, dort einen demokratischen, jüdischen Staat aufzubauen. Auch die Familie von Chaja hoffte dort Zuflucht zu finden: Sie reisten zunächst in die Tschechoslowakei, dann über Ungarn und Jugoslawien in die Türkei, weiter nach Syrien bis in den Libanon. Dort gaben hilfsbereite, libanesische Polizisten den Flüchtlingen den Tipp, wer sie nachts über die Grenze nach Palästina bringen könnte. Nach einem Jahr auf der Flucht erreichten sie endlich ihr Ziel. Materialien 30 Nur wenigen Mitgliedern beider Familien gelang es, sich vor der nationalsozialistischen Gewalt und dem Terror in Sicherheit zu bringen, viele Onkel, Tanten, Cousinen und Cousins wurden von den Deutschen und ihren Helfer*innen ermordet. Die Familien trafen sich in Tel Aviv wieder und bauten sich dort ein neues Leben auf. Sie lebten beengt in kleinen Wohnungen und mussten hart arbeiten, um über die Runden zu kommen. Die Väter gründeten ein kleines Wäscheunternehmen, welches Restaurants mit Handtüchern, Tischdecken usw. belieferte. Die 13-jährige Chaja ging nicht länger zur Schule, sondern ging arbeiten, um ihre Familie finanziell zu unterstützen. Auch Mimi musste ihre Familie unterstützen, sie arbeitete als Verkäuferin in einem Schuhgeschäft. Ein paar Jahre später lernte Chaja ihren Mann Chaim Vital Florentin kennen, dessen Familie ursprünglich aus Griechenland stammte. Chaim und Chaja heirateten und bekamen zwei Söhne, Yossi und Dubi. Die Familie Florentin war vermögend und Chajas Schwiegervater als wohltätig bekannt – nach ihm wurde sogar ein Stadtviertel in Tel Aviv benannt: Florentin. Chaja war Bildung stets wichtig, doch sie konnte nie einen Schulabschluss machen. Später hat sie sich fortgebildet und Privatunterricht genommen. Im Alter von 60 Jahren hat sie dann an der Universität Literatur studiert. Mimi lernte Yehoshua Frons kennen, er besaß ein Geschäft, das Taschen herstellte. Die beiden heirateten und Mimi brachte zwei Kinder zur Welt, Joseph und Arik. Später arbeitete Mimi ab und zu ebenfalls im Taschengeschäft. Chaja und Mimi trafen sich über viele Jahre hinweg mehrmals in der Woche mit ihren Freundinnen in ihrem Lieblingscafé im Zentrum Tel Avivs. Alle Frauen kamen ursprünglich aus Österreich und Deutschland. In Israel werden Menschen mit einem deutschen Migrationshintergrund auch "Jecken" genannt. Mimi blieb Deutschland über das Satellitenfernsehen verbunden – viele Jahre schaute sie sich die Sendung "Wer wird Millionär?" mit Günther Jauch im deutschen Fernsehen an, sie war ein großer Fan. Die Ehemänner von Mimi und Chaja sind schon vor einigen Jahren verstorben. Mimi Frons starb am 21. Juli 2010. Chaja lebt heute in einem Pflegeheim bei Tel Aviv. Beide hinterlassen Enkel- und Urenkelsöhne und -töchter, viele leben mittlerweile in den USA. Beide Familien sind bis heute miteinander freundschaftlich verbunden. 31 Materialien 3c. kommentar des regisseurs Im Frühjahr 2006, während eines Aufenthalts in Israel, traf ich eine israelische Freundin, die zuvor ein paar Jahre in Berlin gelebt hatte. Zu der Zeit arbeitete sie im Café Mersand in Tel Aviv. Es war gerade sehr viel Betrieb, und sie hatte keine Zeit. Daher schnappte sie mich und sagte: "Ich muss dir mal ein paar Leute vorstellen – ich bin mir sicher, du wirst sie lieben." Ehe ich mich versah, saß ich in der hinteren Ecke an einem Tisch, umrundet von ungefähr zehn älteren Damen, die alle miteinander deutsch sprachen, mit unterschiedlichen Akzenten: aus dem Ruhrpott, aus Wien oder Berlin, um nur einige zu nennen. Die folgenden drei Stunden sollte ich diesen Tisch nicht mehr verlassen. Ich hatte ein sehr anregendes Gespräch mit den Damen und war für sie wohl ein frischer Wind in vertrauter Runde. Sie erzählten mir viele interessante, spannende und leider oft auch tragische Geschichten aus ihrem Leben. Und ich erzählte ihnen von meinem Studium an der Filmschule. Ich erfuhr, dass sich die Runde dreimal die Woche trifft. Früher hatten sich die Männer der Gruppe hier getroffen, aber nachdem viele von ihnen gestorben sind, führen die Frauen seit ungefähr 15 Jahren diese Tradition fort. Aus dem Kreis dieser Damen entwickelte sich eine besondere Freundschaft zu Chaja Florentin und Mimi Frons. Ich besuchte sie im Café, wann immer ich in Israel war. Chaja erkundigte sich stets nach meiner Ausbildung "zum Journalisten" und versicherte mir, wenn ich mal in Israel einen Film drehen wolle, dann würden sie und Mimi "mir gerne dabei helfen". Lange verstand ich nicht, was sie damit meinte, aber als sie mir im Frühjahr 2008 sagte, es müsse schnell gehen, denn sie hätten schon "ein paar Angebote von oben bekommen", ist bei mir der Groschen gefallen. Glücklicherweise schrieb das Bundespresseamt kurz darauf einen Wettbewerb für Filmschulen aus. Ich reichte die Idee mit Chaja und Mimi ein, und mein Vorschlag wurde angenommen. Im Sommer 2008 drehten wir mit den beiden 17 Tage lang in Tel Aviv. Der Dreh war nicht einfach, denn es gab verständlicherweise auch subtile Vorbehalte. Ein wirkliches Vertrauen, welches für eine dokumentarische Filmarbeit unerlässlich ist, musste erst noch heranreifen. Ich habe den beiden den fertigen Film geschickt und mir dabei vorgestellt, wie sie sich ihn wohl anschauen und sich dabei gegenseitig beim Sehen und Hören helfen würden. Kurze Zeit später bekam ich von Mimi Frons eine Weihnachtspostkarte. Sie und Chaja fühlten sich gut getroffen, für sie sei es "ein perfekter Film". Mimi Frons ist leider 2010 gestorben. Ich bin nicht mehr so oft in Israel wie früher, aber mit Chaja Florentin telefoniere ich noch jedes Jahr zum Passah-Fest, zu Rosh-HaShanah (dem jüdischen Neujahrsfest) und natürlich zu ihrem Geburtstag. Jedes Mal sagt sie mir, dass sie noch vor zehn Jahren niemals geglaubt hätte, einmal einen Deutschen ins Herz zu schließen. Und ich freue mich jedes Mal darüber. Materialien 32 3d. porträt des regisseurs Eric Esser, Jahrgang 1975. Erster Kurzfilm 2003. Arbeitet seit Abschluss des Studiums der Medieninformatik in einem unabhängigen sozialwissenschaftlichen Institut, dem Wissenschaftszentrum Berlin. Rettet sich 2005 auf die Filmarche, eine selbstverwaltete Filmschule in Berlin, und wählt den Studienschwerpunkt Dokumentarfilm-Regie. Dort ist er verantwortlich für verschiedene Vorlesungen und Workshops. Inzwischen ist er Mitglied des Ältestenrats der Filmarche und engagiert sich außerdem im Berufsverband der Dokumentarfilmer AG DOK. Seit Herbst 2014 besucht er den Masterstudiengang Dokumentarfilm an der Filmuniversität in Babelsberg. Eric Esser lebt und arbeitet an Berlin. 33 Materialien zu Methode 4: Flucht und Migration und ihre Wege 4a. weltkarte Political Map of the World, April 2005 AUSTRALIA Independent state Bermuda Dependency or area of special sovereignty Sicily / AZORES Island / island group 150 Capital 90 120 30 60 0 ARCTIC OCEAN Scale 1:35,000,000 Robinson Projection standard parallels 38 deg N and 38 deg S ARCTIC Ellesmere Island QUEEN ELIZABETH Greenland Sea ISLANDS Banks Island Beaufort Sea Qaanaaq (Thule) Kaujuitoq Greenland Baffin (Resolute) Barrow (DENMARK) Bay Victoria Island N Jan Mayen Baffin Island (NORWAY) Arctic Circle (66 deg 33') U. S. Nome Great Bear Lake Fairbanks Iqaluit Davis Strait (Frobisher Bay) Yellowknife Anchorage 60 Gulf of Alaska TIAN ALEU Great Slave Lake Whitehorse Juneau Churchill CANADA Vancouver Bergen Toronto Milwaukee UNITED Los Angeles San Diego Tijuana Mexicali 30 Phoenix STATE S (FRANCE) Houston NORTH Washington, D.C. AZORES (PORT.) OCEAN MADEIRA ISLANDS (PORT.) Tropic of Cancer (23 deg 27') Matamoros CANARY ISLANDS (SP.) Havana MEXICO Leon Merida Guadalajara Mexico (U.S.) ISLAS REVILLAGIGEDO (MEXICO) Johnston Atoll Cancun Veracruz Puebla Oaxaca Acapulco BELIZE Belmopan COSTA RICA (FRANCE) Caribbean Sea Aruba (NETH.) Barranquilla 0 Anguilla (U.K.) Nouakchott ST. KITTS AND NEVIS ANTIGUA AND BARBUDA Guadeloupe (FR.) CAPE VERDE DOMINICA (U.K.) Martinique (FR.) ST. LUCIA Port-of-Spain TRINIDAD AND TOBAGO Georgetown Paramaribo French Guiana VENEZUELA GUYANA Bogotá (FRANCE) SURINAME Cayenne COLOMBIA GALAPAGOS ISLANDS (U.S.) (ECUADOR) (BRAZIL) ECUADOR Guayaquil Belem Manaus Iquitos ÎLES MARQUISES (Fr. Poly.) Trujillo Lima SOCIETY ISLANDS (Fr. Poly.) Papeete La Paz Santa Cruz F r e n c h Sucre P o l y n e s i a ÎLES TUBUAI Adamstown SOUTH Easter Island (CHILE) Isla Sala y Gómez (CHILE) Isla San Felíx (CHILE) Isla San Ambrosio Asuncion San Miguel de Tucuman St. Helena AT LAN T I C Martin Vaz (BRAZIL) (St. Helena) OCEAN Rio de Janeiro Sao Paulo Antofagasta Pitcairn Islands (U.K.) Ascension (BRAZIL) PARAGUAY (23 deg 27') Annobon (EQUA. GUI.) (St. Helena) Trindade Tropic of Capricorn (Fr. Poly.) Recife Belo Horizonte (FRANCE) Sao Tome Natal Brasilia Goiania BOLIVIA Arequipa M Gulf of Guinea (BRAZIL) Salvador Lago Titicaca ARCHIPEL DES TUAMOTU (Fr. Poly.) EQUATORIAL GUINEA SAO TOME AND PRINCIPE Equator Maceio Cusco Cook Islands (N.Z.) Fortaleza BRAZIL PERU MALI SENEGAL ARQUIPELAGO DE FERNANDO DE NORONHA Sao Luis Teresina K I R I B A T I MAURITANIA Tombouctou Dakar PENEDOS DE SÃO PEDRO E SÃO PAULO Quito Jarvis Island ALGERI Niamey Banjul BURKINA Bamako FASO THE GAMBIA Ouagadougou Bissau GUINEA GUINEA-BISSAU BENIN N Conakry CÔTE TOGO Freetown Ogb D'IVOIRE GHANA SIERRA Ibada Yamoussoukro LEONE Lagos Lomé Accra Monrovia PortoAbidjan LIBERIA Novo Praia ST. VINCENT AND THE GRENADINES BARBADOS Neth. Antilles (NETH.) GRENADA Caracas Medellín Cali Equator (U.K.) Maracaibo Colon Panama PANAMA Isla de Malpelo Kiritimati (Christmas Island) (KIRIBATI) British Virgin Islands (U.S.) Montserrat (U.S.) Isla del Coco (COSTA RICA) Palmyra Atoll (U.S.) (SP.) Rabat MOROCCO (U.K.) DOMINICAN San Jose Cartagena Clipperton Island Kingman Reef (U.S.) Algier Western Sahara Port-au- REPUBLIC Prince JAMAICA Kingston Navassa HAITI Santo Puerto Domingo Rico Island GUATEMALA HONDURAS Tegucigalpa Guatemala San Salvador NICARAGUA EL SALVADOR Managua (U.S.) BALEAR ISLAND (SP.) Oran Turks and Caicos Islands CUBA Cayman Is. (U.K.) Gibraltar (U.K.) Melilla Laayoune (El Aaiún) THE BAHAMAS Nassau Miami SPAIN Marrakech Jacksonville Gulf of Mexico Mazatlan Honolulu HAWAIIAN ISLANDS Casablanca MON Marseille Barcelon Valencia Sevilla Ceuta (SP.) San Antonio Monterrey ANDORRA Madrid PORTUGAL Lisbon AT LAN T I C Bermuda New Orleans Lyon Bordeaux Bilbao Boston (U.K.) Ciudad Juárez BELGIUM LU Paris Bay of Biscay St. Pierre and Miquelon Halifax Lake Ontario Lake Erie Lille Guernsey (U.K.) Jersey (U.K.) Sea FRANCE Atlanta Dallas El Paso Manchester Isle of Dublin Man (U.K.) IRELAND KINGDOM Amsterd NETH. London Brussels Celtic Gulf of St. Lawrence Quebec Montreal New York Cleveland Philadelphia Columbus Baltimore Indianapolis St. Louis Denver San Francisco Detroit Chicago Salt Lake City PAC I F I C OCEAN Lake Michigan Minneapolis Portland NORTH Glasgow Belfast Island of Newfoundland Lake Huron Ottawa North Sea UNITED Labrador Sea Happy ValleyGoose Bay Lake Superior (DEN.) (U.K.) Winnipeg Seattle Tershavn Rockall Lake Winnipeg Calgary Faroe Islands Reykjavik Hudson Bay Edmonton NDS ISLA ICELAND Denmark Strait Nuuk (Godthab) Curitiba St. Helena (CHILE) (U.K.) Porto Alegre 30 CHILE Cordoba Mendoza Santiago ARCHIPIELAGO JUAN FERNANDEZ (CHILE) Concepción Rosario Buenos Aires URUGUAY La Plata ARGENTINA Montevideo Bahía Blanca SOUTH TRISTAN DA CUNHA(St. Helena) Gough Island Puerto Montt PAC I F I C (St. Helena) Comodoro Rivadavia OCEAN Falkland Islands (Islas Malvinas) (administered by U.K., claimed by ARGENTINA) Stanley Bouv (NO Punta Arenas Scotia Sea Drake Passage 60 Antarctic Circle (66 deg 33') SOUTHERN South Georgia and the South Sandwich Islands (administered by U.K., claimed by ARGENTINA) SOUTH ORKNEY ISLANDS S OCEAN Amundsen Sea Bellingshausen Sea Weddell Sea Ross Sea A Ronne Ice Shelf Ross Ice Shelf 150 Materialien 120 90 60 30 0 34 30 Svalbard (NORWAY) Arctic Circle (66 deg 33') Anadyr' Helsinki SER.& MONT. ITALY Sarajevo Corsica VATICAN CITY (FR.) Rome (IT.) BULGARIA MACEDONIA Palermo Sicily Konya Tunis MALTA Valletta TUNISIA Damascus Beirut Esfahan Al Basrah ARABIA CHAD Kano PAKISTAN UNITED ARAB EMIRATES Muscat Khartoum NIGERIA - Ahmadabad Malabo CAMEROON Douala Gulf of Aden Socotra Djibouti (YEMEN) Berbera SOMALIA Juba Bangui Male Brazzaville ANGOLA (Cabinda) UGANDA Kampala Kisangani DEMOCRATIC Medan Mogadishu KENYA OF THE CONGO Kinshasa Dodoma TANZANIA Lake Nyasa Lubumbashi Victoria NAMIBIA Windhoek (FRANCE) BOTSWANA Gaborone Guam PHILIPPINES (U.S.) Cebu Hagatna MARSHALL ISLANDS FEDERATED STATES OF MICRONESIA Koror Majuro Palikir PALAU Celebes Sea Tarawa Equator Yaren NAURU District I N D I A N Tromelin Island (FRANCE) Antananarivo MADAGASCAR D OMakassarN E Java Sea SaintDenis Reunion A PAPUA NEW GUINEA Arafura Sea EAST TIMOR Ashmore and Cartier Islands (AUSTL.) I Dili (AUSTL.) Cocos (Keeling) Islands S Banda Sea Semarang Surabaya Timor Sea Darwin Gulf of Carpentaria (AUSTL.) Port Louis MAURITIUS Cairns VANUATU Coral Sea Islands ef Tokelau (N.Z.) SAMOA Apia Mata-Utu (FRANCE) Pago Pago Wallis and Futuna Coral Sea Port-Vila (AUSTL.) FIJI American Samoa Suva Niue (N.Z.) (U.S.) New Caledonia (FRANCE) Nuku'alofa TONGA Noumea Tropic of Capricorn (23 deg 27') (FRANCE) Funafuti TUVALU Honiara Re Howland Island (U.S.) Baker Island (U.S.) 0 K I R I B A T I SOLOMON ISLANDS Port Moresby O C E A N (FRANCE) Europa Island N Christmas Island (FRANCE) (administered by FRANCE, claimed by COMOROS) Mozambique Channel Bassas da India Manila SPRATLY ISLANDS Bandung Glorioso Islands Juan de Nova Island (FR.) Beira (U.S.) Saipan Barier MALAWI ZIMBABWE Diego Garcia SEYCHELLES MOZAMBIQUE Harare South China Sea Jakarta Mayotte Lusaka Wake Island Northern Mariana Islands at ZAMBIA I (U.K.) COMOROS Namibe VIETNAM Tropic of Cancer (23 deg 27') Philippine (U.S.) Bandar Seri Begawan BRUNEI Kuala Lumpur M A L A Y S I A Singapore SINGAPORE British Indian Ocean Territory Dar es Salaam Moroni Lilongwe (JAPAN) Gre ANGOLA Marcus Island Sea Ho Chi Minh City (U.S.) Palembang Mombasa BURUNDI 30 Midway Islands Pontianak Lake Nairobi Victoria Bujumbura Lake Tanganyika K Davao RWANDA Kigali REPUBLIC Luanda Walvis Bay SRI LANKA U PARACEL ISLANDS CAMBODIA NICOBAR ISLANDS (INDIA) MALDIVES Libreville REP. OF THE GABON CONGO e Colombo Y Hainan Dao Hue Phnom Penh Gulf of Thailand Andaman Sea Laccadive Sea Gulf of Vientiane Tonkin Bangkok ANDAMAN ISLANDS (INDIA) (INDIA) Yaounde LAOS THAILAND Bengal Chennai (Madras) R Taiwan Hong Kong Luzon Strait Macau S.A.R. S.A.R. Nanning Hanoi Chiang Mai Rangoon LAKSHADWEEP ETHIOPIA CENTRAL AFRICAN REPUBLIC - Hyderabad Bangalore Okinawa Taipei Guangzhou INDIA Pune Arabian Sea Fukuoka East China Sea Guiyang BURMA Yokohama Shanghai Nanchang Changsha PAC I F I C OCEAN Tokyo Nagoya Osaka Pusan Hangzhou Kunming Bay of Sanaa Aden DJIBOUTI Thimphu Kolkata Dhaka (Calcutta) Nagpur Wuhan Chongqing BANGLADESH Karachi Mumbai (Bombay) Asmara Abuja Kathmandu Kanpur YEMEN Addis Ababa bomoso an Lhasa BHUTAN NEPAL Lucknow Jaipur OMAN ERITREA SUDAN N'Djamena Chengdu New Delhi OMAN Yellow Sea Qingdao Zhengzhou Xi'an Nanjing Lahore Port Sudan Omdurman CHINA Quetta Abu Dhabi Jinan Lanzhou Indian claim Line of Actual Control NORTH JAPAN Seoul SOUTH KOREA O QATAR Red Sea Jiddah Mecca Taiyuan Sea of Japan NORTH KOREA Pyongyang Tianjin OT Persian Gulf Manama Doha Riyadh Beijing (J BAHRAIN Kandahar ¯ Sapporo Shenyang Baotou 1972 Line of Control AFGHANISTAN Islamabad Vladivostok H - S P O PAN) A SAUDI EGYPT Urumqi Bishkek KYRGYZSTAN Shiraz KURIL ISLANDS Harbin Changchun Kashi Dushanbe TAJIKISTAN Kabul IRAN KUWAIT Kuwait Aswan NIGER MONGOLIA M LI BYA Mashhad Tehran IRAQ JORDAN Cairo Ashgabat Baghdad Tel Aviv-Yafo ISRAEL Alexandria Jerusalem Amman - Banghazi Al Jizah IA SYRIA LEB. CYPRUS Tashkent TURKMENISTAN (U.S.) NA Tripoli Mosul Kirkuk Aleppo Nicosia (GR.) Mediterranean SeaCrete Baku Tabriz Adana (IT.) rs UZBEKISTAN ARMENIA AZERBAIJAN Yerevan TURKEY Athens Caspian Sea Tbilisi Ankara Bursa Khabarovsk Ulaanbaatar Lake Balkhash Aral Sea GEORGIA ·Istanbul ·Izmir GREECE KAZAK H STAN Atyrau (Atyrau) Almaty Black Sea Sofia Skopje ALB. Tirana Naples Sardinia RIC DS Volgograd Rostov Sea of Azov HUNGARY Milan Zagreb CROATIA Belgrade Bucharest SAN Turin MARINO BOS. & HER. na Kharkiv Sakhalin Qaraghandy (Karaganda) - UKRAINE ALEUTIAN ISLANDS Petropavlovsk-Kamchatskiy Irkutsk Astana - AUSTRIA Ljubljana SLOVENIA Barnaul Saratov Sea of Okhotsk Lake Baikal Novosibirsk Omsk IS LA N DS AN ) Bern Voronezh Bratislava MOLDOVA Donets'k Budapest Chisinau ROMANIA Odesa Vienna LIECH. SWITZ. Chelyabinsk Ufa Kiev SLOVAKIA Krasnoyarsk Samara BELARUS L'viv 60 Bering Sea Yekaterinburg Minsk dam Munich Moscow Perm' Kazan' U POLAND Hamburg Warsaw Cologne Berlin Lodz GERMANY Krakow Prague Luxembourg CZECH REP. Nizhniy Novgorod Yaroslavl' AP Vilnius Magadan St. Petersburg Tallinn EST. Baltic Riga LAT. Sea LITH. RUSSIA Yakutsk Y Copenhagen R U S S I A (J Stockholm Arkhangel'sk FINLAND Gulf of Bothnia Oslo Chukchi Sea Cherskiy White Sea DENMARK NACO Wrangel Island East Siberian Sea Noril'sk SWEDEN UX. NEW SIBERIAN ISLANDS Laptev Sea Murmansk NORWAY n Kara Sea Tiksi Norwegian Sea h 180 ARCTIC OCEAN SEVERNAYA ZEMLYA NOVAYA ZEMLYA Barents Sea 150 120 FRANZ JOSEF LAND Longyearbyen a 90 60 OCEAN Alice Springs Pretoria Johannesburg Maputo A U S T R A L I A Mbabane LESOTHO SWAZILAND Maseru SOUTH AFRICA SOUTH PAC I F I C Norfolk Island Brisbane (AUSTL.) Durban Perth OCEAN Lord Howe Island KERMADEC ISLANDS (N.Z.) 30 (AUSTL.) Cape Town Adelaide Port Elizabeth Great Australian Bight Ile Amsterdam (Fr. S. and Ant. Lands) Ile Saint-Paul Canberra Sydney Auckland Melbourne NEW ZEALAND Tasman Sea (Fr. S. and Ant. Lands) Tasmania French Southern and Antarctic Lands Wellington Hobart Christchurch (FRANCE) CHATHAM ISLANDS (N.Z.) PRINCE EDWARD ISLANDS (SOUTH AFRICA) ILES CROZET (Fr. S. and Ant. Lands) AUCKLAND ISLANDS (N.Z.) ILES KERGUELEN (Fr. S. and Ant. Lands) Heard Island and McDonald Islands (AUSTL.) vet Island ORWAY) Macquarie Island (AUSTL.) SNARES ISLANDS (N.Z.) BOUNTY ISLANDS (N.Z.) ANTIPODES ISLANDS (N.Z.) Campbell Island (N.Z.) 60 SOUTHERN SOUTHERN OCEAN OCEAN Antarctic Circle (66 deg 33') Amery Ice Shelf Ross Sea Antarctica * Ross Ice Shelf 30 60 90 120 150 180 April 2005 *Twenty-one of 28 Antarctic consultative nations have made no claims to Antarctic territory (although Russia and the United States have reserved the right to do so) and they do not recognize the claims of the other nations. Boundary representation is not necessarily authoritative. 803106AI (R00349) 4-05 35 Materialien 4b. europakarte Materialien 36 37 Materialien anhang i. hintergrundinformationen Osteuropäisches Judentum Die Welt der osteuropäischen Juden und Jüdinnen erstreckte sich von Litauen über Polen, Galizien und die Bukowina; von Weißrussland über die Ukraine hinunter bis Podolien, Moldawien und Rumänien und zum östlichen Schwarzmeer-Raum. Viele der dort lebenden Juden und Jüdinnen praktizierten ihre eigenen kulturellen und religiösen Traditionen und sprachen jiddisch. Die Emigration der jüdischen Bevölkerung nach Osteuropa war eine Reaktion auf die Verfolgung in Westeuropa im Mittelalter u.a. in Zusammenhang mit den Kreuzzügen: Die ersten Juden und Jüdinnen siedelten sich im 12. Jahrhundert in Polen und dem damaligen Großfürstentum Litauen an. Im frühen 16. Jahrhundert lebten in Osteuropa etwa 50.000 Juden und Jüdinnen, Ende des 18. Jahrhunderts waren es bereits 1,5 Millionen. Der polnische Adel stand der Ansiedlung von Handwerkern, Händlern und Kaufleuten positiv gegenüber. In größeren Städten wie Posen, Krakau, Lemberg, Vilnius, Lublin und auch in den kleinen Dörfern (Shtetlakh) gewährte er der jüdischen Bevölkerung autonome Gemeindeverwaltungen, d.h. Steuererhebungen und Gerichtsbarkeit lagen in der Hand eigener, sich aus Gemeindeältesten und Rabbinern zusammensetzender Räte, den Kahal. Auch die Bereiche Kultur und Erziehung konnten weitgehend selbstbestimmt organisiert werden. Die überwiegende Mehrheit der osteuropäischen Juden und Jüdinnen war dessen ungeachtet sehr arm und teilte ökonomisch das Schicksal der in Leibeigenschaft lebenden polnischen Landbevölkerung, die jedoch den Juden und Jüdinnen wegen ihrer Privilegien nicht selten mit Neid und Misstrauen begegnete. Im 19. Jahrhundert fielen große Teile Polens unter zaristische Kontrolle. Die Privilegien der jüdischen Gemeinden wurden beschnitten, die Siedlungsgebiete begrenzt auf den sogenannten Rayon an der Westgrenze des Russischen Reichs. Von Seiten der christlichen Bevölkerung wurden immer wieder Pogrome verübt. Viele Jüdinnen und Juden, oft ganze Familien und Gruppen, entschlossen sich, nach Westeuropa und Übersee (u.a. in die USA) auszuwandern. Im 20. Jahrhundert verstärkten verschiedene Faktoren die jüdische Emigration aus Osteuropa: Zum einen waren Territorialkonflikte die Ursache – dazu zählten der 1. Weltkrieg (1914-1918), die russische Revolution (1917) mit der Machtübernahme der Bolschewiki und der darauffolgenden Gründung der Sowjetunion sowie der polnisch-sowjetische Krieg (1920-1921). Dabei gerieten besonders die Juden und Jüdinnen, die auf dem Gebiet des österreichisch-ungarischen Galizien und Lodomerien und in der zum Russischen Reich gehörenden Westukraine lebten, immer wieder zwischen die Fronten. Allein auf dem Gebiet der heutigen Ukraine wurden schätzungsweise 100.000 Juden und Jüdinnen im Zuge von 1.500 Pogromen an 1.300 Orten ermordet; mehr als eine halbe Million jüdischer Bürger verlor die Heimat.1 1 Vgl. Ann Christin Saß: Nach Berlin!, in: Jüdisches Museum Berlin (Hg.): Berlin Transit. Jüdische Migranten aus Osteuropa in den 1920er Jahren, Wallstein Verlag 2012, S. 20. Anhang 38 Vor dem deutschen Überfall auf Polen lebten dort über 3,4 Millionen Juden und Jüdinnen, weitere drei Millionen auf dem Gebiet der Sowjetunion. Insbesondere der Westen der heutigen Ukraine war jüdisch geprägt. Die jüdischen Einwohner stellten in vielen Städten einen großen Anteil – etwa ein Drittel – an der Gesamtbevölkerung, in Minsk 1897 sogar über die Hälfte. Mit der Besetzung und Eroberung der jeweiligen Länder und Regionen durch die Deutschen begann die antisemitische Verfolgung und Ermordung. In den meisten osteuropäischen Ländern wurden über 70 Prozent der jüdischen Bevölkerung ermordet. In vielen Regionen wurden die jüdischen Gemeinden für immer zerstört. Nach der Shoah emigrierte der größte Teil der Überlebenden nach Westeuropa, nach Amerika oder Palästina/Israel. Jüdisches Leben in Berlin-Mitte in den 1920er/1930er Jahren Joseph Roth, ein bekannter jüdischer Journalist und Schriftsteller aus Ostgalizien, nannte die jüdischen Emigrant*innen in Berlin 1920 im Berliner Tageblatt die "Flüchtlinge aus dem Osten" – ein Verweis auf die zu dieser Zeit kulminierende jüdische Zuwanderung aus den osteuropäischen Ländern.2 Grund dafür waren nicht nur die bereits genannten politischen Entwicklungen in den jeweiligen Herkunftsländern. Die Migrations- und Fluchtursachen waren ebenso heterogen wie die sozialen, kulturellen und politischen Hintergründe dieser als "Ostjuden" etikettierten und zusammengefassten Menschen: Teils waren sie aus wirtschaftlichen Gründen – aufgrund der bitteren Armut –, teils aus politischen Gründen emigriert, vor Pogromen geflohen oder als Arbeiter*innen – oft unter Zwang – angeworben worden. Es handelte sich um Arbeiter*innen, Handwerker*innen, Händler*innen und Kaufleute ebenso wie um Akademiker*innen und Intellektuelle. Sie unterschieden sich nicht nur in Sprache und Kultur, sondern auch in ihrem Verhältnis zu Religion, Tradition und Politik. Schätzungen des Jüdischen Arbeiterfürsorgeamtes zufolge lebten in Deutschland in den 1920er Jahren etwa 70.000 asylsuchende jüdische Flüchtlinge aus Osteuropa sowie weitere 20.000 aufgrund des Bürgerkriegs und der Revolution aus Russland geflohene Juden und Jüdinnen. Obwohl der Anteil der jüdischen Bevölkerung in Berlin laut einer Volkszählung von 1925 nur etwa ein Prozent betrug, waren die jüdischen Migrant*innen wiederholt Thema öffentlicher Auseinandersetzungen: Insbesondere das "Scheunenviertel" in Berlin-Mitte, in dem viele osteuropäische Zuwanderer*innen lebten und dessen Straßenbild von Synagogen, jüdischen Buchläden, Handwerksstuben und koscheren Geschäften geprägt war, stand immer wieder im Zentrum antisemitischer Propaganda. Verschrien als Ort, dessen "winkelige, verbaute, muffige Häuser, den Unterschlupf für allerlei lichtscheue Elemente bildeten", boten die Armut und Not der Immigrant*innen eine Projektionsfläche für judenfeindliche Stereotype wie "Schleichhändler", "Schieber" und "Schacherer".3 39 2 Zit. nach Ann Christin Saß: Nach Berlin!, in: Jüdisches Museum Berlin (Hg.): Berlin Transit. Jüdische Migranten aus Osteuropa in den 1920er Jahren, Wallstein Verlag 2012, S. 20. 3 Zit. nach Horst Helas: Die Grenadierstrasse im Berliner Scheunenviertel, Berlin 2010, S. 29 (aus einer Studie des Statistischen Amtes der Stadt Berlin [von 1929] über die Verhältnisse von 1925). Anhang Obwohl im Scheunenviertel nur ein kleiner Teil der Berliner Juden und Jüdinnen lebte, wurden die Bewohner*innen zum Inbegriff für "das Judentum" schlechthin stilisiert. Dabei wurde ignoriert, dass dieses Viertel weder der einzige Stadtteil war, in dem Juden und Jüdinnen sowie jüdische Emigrant*innen lebten, noch dass das dortige Leben in keiner Weise repräsentativ für "das Judentum" war. Viele liberale und/oder alteingesessene Juden und Jüdinnen standen den Migrant*innen selbst abweisend oder distanziert gegenüber, fühlten sich der deutschen Kultur zugehörig und lebten ihr Judentum – wenn überhaupt – als Religion. Sie waren vor allem in Schöneberg, Wilmersdorf, Charlottenburg, Neukölln und eigentlich auch in allen anderen Stadtteilen von Berlin ansässig und nahmen aktiv am Leben der Stadt teil. In der Aufbruchsstimmung nach dem 1. Weltkrieg prägten sie als Schriftsteller*innen, Künstler*innen und Wissenschaftler*innen das kulturelle und intellektuelle Geschehen in der Stadt mit, nahmen als Sportler*innen an Wettkämpfen teil, wirkten in den verschiedenen politischen Parteien mit und waren in die wirtschaftlichen Strukturen integriert. Diesem vielfältigen jüdischen Leben wurde nach dem Wahlsieg der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) 1933 und der darauffolgenden Machtübernahme sukzessive ein Ende gesetzt: Bereits 1933 führte die SS (Schutzstaffel der NSDAP) Hausdurchsuchungen und brutale Razzien im Scheunenviertel, insbesondere in der Grenadierstraße, durch, die in der NS-Propaganda als "Säuberungen" gefeiert wurden. In den folgenden Jahren steigerte sich die antisemitische Politik von Ausgrenzung und Entrechtung über Deportation und Zwangsarbeit bis hin zur systematischen Ermordung der jüdischen Bevölkerung. Von den 170.000 Juden und Jüdinnen in Berlin (etwa vier Prozent der Stadtbevölkerung) wurden ca. 55.000 ermordet. In Berlin überlebten nur etwa 6.500 jüdische Personen, vor allem solche, die durch eine Ehe mit nicht-jüdischen Partner*innen geschützt waren oder untertauchen konnten. Es wird geschätzt, dass knapp 2.000 Juden und Jüdinnen in Berlin dank der Unterstützung durch Helfer*innen im Untergrund überleben konnten. Emigration nach Israel Von der Besiedlung Palästinas durch jüdische Emigranten*innen bis zur Staatsgründung: Die erste große Auswanderungswelle 1882-1903 nach Palästina, das damals als Provinz zum Osmanischen Reich gehörte und nur wenig besiedelt war, folgte auf Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung in Osteuropa und Russland (erste Alijah = hebr. "Aufstieg, Einwanderung"). Die etwa 30.000 Einwander*innen bauten Siedlungen auf, legten Sümpfe trocken und kultivierten die Wüste. Mit der einheimischen Bevölkerung lebten sie meist in friedlichem Nebeneinander. Der Beschluss, in diesem Gebiet eine öffentlich-rechtlich gesicherte (völkerrechtlich anerkannte) jüdische Heimstätte zu errichten, erfolgte 1897 auf dem ersten zionistischen Weltkongress in Basel, der von Theodor Herzl, dem Begründer des politischen Zionismus, einberufen worden war. Es folgten bis 1929 drei weitere Auswanderungswellen, verursacht durch Pogrome und wachsenden Antisemitismus in Europa. Anhang 40 Neben den jahrtausendealten jüdischen Orten in Palästina wurden neue Dörfer und Siedlungen aufgebaut, 1909 wurde Tel Aviv (hebr. Frühlingshügel) gegründet. Während des 1. Weltkriegs wuchs die strategische Bedeutung Palästinas, 1917 wurde durch den Sieg Großbritanniens die osmanische Herrschaft beendet. Unmittelbar danach besetzten britische Truppen Palästina und richteten eine Militärverwaltung ein. Die Briten hatten zur Absicherung ihrer Interessen noch vor Kriegsende Geheimgespräche mit teils widersprüchlichem Inhalt über das weitere Schicksal Palästinas geführt: Dem Scherif von Hedschas und Mekka wurde im Gegenzug für seine Unterstützung ein unabhängiges arabisches Königsreich zugesichert (MacMahon-Brief von 1915/16). Zeitgleich verkündete der britische Außenminister Lord Balfour die Bereitschaft Großbritanniens, die Schaffung einer jüdischen Heimstätte in Palästina zu unterstützen. Die nach ihm benannte Balfour-Deklaration war die erste internationale Anerkennung der zionistischen Bewegung. Dagegen formierte sich eine panarabische Bewegung mit dem Ziel der Errichtung eines gemeinsamen arabischen Nationalstaats im Nahen Osten. Auf der Konferenz von San Remo erhielt Großbritannien 1920 vom Völkerbund das Mandat über Palästina und setzte dort eine Zivilverwaltung ein, während Frankreich – entsprechend einer geheimen Aufteilung der britischen und französischen Interessengebiete im Nahen Osten – das Mandat über Syrien und Libanon zugesprochen wurde. Zu den Mandatsbedingungen gehörte die Verwirklichung der Balfour-Deklaration. Die panarabische Bewegung reagierte angesichts der Übergehung ihrer nationalstaatlichen Interessen enttäuscht. 1921 wurde auf der Konferenz von Kairo die Ausgliederung Transjordaniens aus Palästina beschlossen, das 1923 als Emirat unter britischer Mandatsverwaltung unabhängig wurde. Es folgten die ersten arabischen Proteste gegen die jüdische Einwanderung, die sog. "Mai-Unruhen", in Jerusalem und Jaffo. 1922 wurde eine jüdische Interessenvertretung in Palästina gegründet ("Jewish Agency for Palestine"). Die fünfte Alijah von 1932-1939 war bereits eine Reaktion auf die antisemitische Verfolgung im Machtbereich des Deutschen Reichs. Zugleich wuchs die Unzufriedenheit innerhalb der panarabischen Bewegung – sie kulminierte im großen arabischen Aufstand von 1936-1939, einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen palästinensisch-arabischen und jüdisch-zionistischen Milizen. Der britischen Mandatsmacht gelang es weder durch Teilungspläne noch militärisch, diesen Aufstand niederzuschlagen. Als Reaktion darauf erließ die britische Mandatsregierung 1939 mit dem sog. Weißbuch eine amtliche Dokumentation, die die Rücknahme der in Aussicht gestellten Teilungspläne sowie massive Einwanderungsbeschränkungen für Jüdinnen und Juden (mit einem Einwanderungsstopp nach fünf Jahren) enthielt. Zugleich wurde die Schaffung eines palästinensisch-arabischen Staats innerhalb von zehn Jahren in Aussicht gestellt. Auf palästinensisch-arabischer Seite wurde teils offen mit dem Nationalsozialismus sympathisiert, mitunter aus Opposition gegen die britische Kolonialmacht und aus Widerstand gegen die Besiedlung oder auch aus antisemitischen Motiven. Der Großmufti von Jerusalem, Mohammed al-Husaini, war glühender Antisemit und Anhänger des Nationalsozialismus, er wurde 1941 von Adolf Hitler in Berlin empfangen. 41 Anhang Vor dem Hintergrund des 2. Weltkriegs und der Shoah nahm die jüdische Einwanderung aus Europa jedoch deutlich zu und wurde infolge des Weißbuchs von 19391948 verstärkt illegal organisiert. Der Jischuw (die jüdische Bevölkerung in Palästina), jüdische Partisan*innen und zionistische Jugendbewegungen arbeiteten Hand in Hand, um etwa 200.000 Juden und Jüdinnen die Flucht aus Europa und die illegale Einreise nach Palästina zu ermöglichen. 1944 verübten jüdische Militärorganisationen Anschläge im britischen Mandatsgebiet (u.a. in Jerusalem), um ihren Forderungen nach Zuwanderung und der Gründung eines jüdischen Staats Nachdruck zu verleihen. 1945 endete der 2. Weltkrieg, viele Überlebende der Shoah entschlossen sich, nicht in ihre Herkunftsländer zurückzukehren, sondern suchten nach Möglichkeiten sich andernorts ein neues Leben aufzubauen. Im selben Jahr gründeten Ägypten, Irak, Jemen, Libanon, Saudi-Arabien, Syrien und Transjordanien die Arabische Liga. Die britische Mandatsregierung reagierte auf die verstärkte Zuwanderung der überlebenden Juden und Jüdinnen aus Europa 1946/1947 mit der Internierung der illegal Eingewanderten auf Zypern, was für internationale Proteste sorgte. Infolge der dramatischen Ereignisse um das Flüchtlingsschiff "Exodus" übergab Großbritannien das Palästina-Problem 1947 an die Vereinten Nationen (UN). Die Resolution der UN-Versammlung 181 (II) schlug eine Teilung Palästinas in einen arabischen Staat (auf 43 Prozent des Landes) und einen jüdischen Staat (auf 56 Prozent) vor, wobei der Großraum Jerusalem unter internationale Kontrolle gestellt werden sollte. Während die jüdische Seite die Entscheidung feierte, wurde der Plan von arabischer Seite abgelehnt. Neben der generellen Ablehnung eines jüdischen Nationalstaats wurde dies vor allem damit begründet, dass der Plan die Rechte der Mehrheitsbevölkerung in Palästina verletze: Ende 1946 hatte Palästina knapp zwei Millionen Einwohner, wovon etwa 603.000 jüdisch waren. 1948 erfolgten die Proklamation des Staates Israel durch David Ben Gurion in Tel Aviv und das Ende des britischen Mandats mit dem Abzug der Truppen. Infolge der Staatsgründung begann der erste israelisch-arabische Krieg, von jüdischer Seite "Unabhängigkeitskrieg" genannt, mit dem Einmarsch der Armeen von Ägypten, Transjordanien, Syrien, dem Irak und Libanon. Israel behauptete sich und vergrößerte sein Gebiet, Ägypten besetzte den Gazastreifen, Transjordanien, die Westbank und Ostjerusalem. Im Zuge der bewaffneten Auseinandersetzungen vor und nach der israelischen Staatsgründung kam es zu Vertreibungen und zur Zerstörung arabischer Dörfer durch die israelische Armee, die eine massenhafte Flucht der palästinensischen Bevölkerung auslöste, welche als "Al-Nakba" (arab. Katastrophe) bezeichnet wird. Drei Viertel aller Palästinenser*innen wurden vertrieben und flohen ins Westjordanland, in den Gazastreifen und in die umliegenden Staaten, ein Viertel blieb auf israelischem Gebiet und nahm im weiteren Verlauf die israelische Staatsbürgerschaft an. Die dadurch ausgelöste Flüchtlingsproblematik dauert bis heute an und ist eines der Kernthemen im israelisch-palästinensischen Konflikt. Gleichzeitig wurden Juden und Jüdinnen aus arabischen Staaten (z.B. dem Irak, Libanon, Syrien, Ägypten) vertrieben, was von 1948-1951 zur sechsten Alijah führte, die durch die zeitgleiche Einwanderung von Überlebenden aus Polen und Rumänien noch vergrößert wurde. 1949 erfolgten die Wahlen zum ersten israelischen Parlament (Knesset) und die Aufnahme Israels in die Vereinten Nationen. Anhang 42 ii. dialogliste Interview mit Chaja Florentin und Mimi Frons, geführt von Eric Esser im Café Mersand, Tel Aviv/Israel im September 2008 Chaja: Wenn man überlegt, dass vor 60 Jahren hier noch Sand war, ja? Mimi: Ist man im Sand gegangen bis hierher! Chaja: Die Dizengoffstrasse ging genau bis zum Rondell. Von da an war Sand. Haben Sie sich Tel Aviv angesehen, wie schön grün es ist, ja? Was für schöne Häuser! Also ich weiß nicht, ob es noch ein Land gibt, daß in 60 Jahren so was aufgebaut hat. Trotz allem! Chaja: Das ist in Berlin, im Lustgarten! – Im Lustgarten! Ah ja, das sind unsere zwei Mütter, das ist meine Mutti, das ist ihre Mutti, das ist sie und das bin ich. Eric: Wie alt sind Sie da? Chaja: Wie alt wir … ich glaub 6 Jahre. Mimi: Ungefähr. Chaja: Ungefähr 6 Jahre. Mimi: Oder vielleicht 5? Noch kleiner vielleicht. Chaja: Vielleicht so was. Und schauen Sie, wie elegant unsere Mütter waren, mit Hut und mit Tasche. Eric: In welchem Jahr ist das? Mimi: Keine Ahnung. Chaja: Ich glaube, wir waren hier 5 Jahre alt. Also machen Sie sich … Wenn wir '21 geboren sind, dann war das '26. Chaja: Wir kennen uns genau 83 Jahre, seit dem Kindergarten. Wir sind zusammen zur Schule gekommen, mit der Tüte, ja? Habt Ihr noch diese Tüte? "Mein erster Schultag". Ich hab es zu Hause. Mimi: Gibt es heute noch, ja? Ja? Chaja: Ja? Ich hab es noch zu Hause. Mimi: Ja, ich hab es auch, aber ich weiß nicht wo. Chaja: Und dann, später sind wir umgezogen, kam ich in eine andere Schule und sie kam in eine andere Schule. Aber unsere Mütter haben uns gezwungen, nachmittags in die Religionsschule zu gehen, und zwar damit wir das Heb- räische … Mimi: Dort haben wir Ivrith gelernt. Die Buchstaben. Chaja: Die Buchstaben. Das Lesen. Mimi: Um zu beten! Chaja: Und wir beide waren immer zusammen. Wir sind zusammen schwimmen gegangen in die Gartenstraße und nachher haben wir uns saure Gurken gekauft. Ich weiß nicht, ob Ihr wisst, die ganze äh, Elsässer Straße stan- den solche … 43 Anhang Mimi: … Wagen mit sauren Gurken. Damals. Heute bestimmt nicht. Chaja: Zu Hause hatten wir solche Büchsen, wo man Geld gesammelt hat für Israel. Aber sie waren … Mimi: Damals hieß es ja Palästina. Chaja: Da hieß es Palästina, ja. Aber meine Eltern – auch ihre Eltern – wären nie ausgewandert. Denn es ging uns verhältnismäßig gut, wir waren keine reichen Leute, aber wir haben eine sehr schöne Wohnung gehabt. Und wie wir weg sind, hat die Mama die Tür geschlossen und nichts, nichts, nichts haben wir mitnehmen können. Alles ist dort geblieben. Chaja: Ich war schon zweimal in Berlin. Ich war damals mit meinem Sohn. Das letzte Haus, wo wir gewohnt haben, ist ausgebombt, aber das vorherige haben wir gesehen. Und wie wir herausgehen, steckt so eine alte Hexe den Kopf heraus und sagt: "Was wollen Sie denn hier?" Sag ich: "Wir haben hier mal gewohnt. Bevor wir … ausgezogen sind. " Sagt sie: "Nee, da war nur eine jüdische Familie und die ist nach Palästina gefahren." Also, so nett hat man uns empfangen. Ich war seelisch fertig, wie wir zurückgekommen sind. In dem Hotel, wo wir waren – es war mehr eine Pension –, hat mich die Inhaberin gefragt: "Wie könnt Ihr zu uns Mördern zurückkommen?" Mimi: (hebräisch:) Gute Frage! Chaja: Ich hab mir gedacht, sie hat recht. Chaja: Man darf nicht alle beschuldigen. Früher hab ich immer gesagt, nie, nie, nie, ich will nie einen Deutschen mehr sehen. Aber dann wird man klüger. Man denkt nach. Aber es gibt Sachen, die man nie vergisst. Nie. Chaja: (hebräisch:) Was ist das? Das ist ein Haus, oder? Mimi: "Fleisch- und Wurstwaren. Kascher. Koscher Fleisch." Chaja: (hebräisch:) Was du nicht sagst! Das ist die Grenadierstraße, oder? Mimi: Geflügel? Das ist aus Berlin? Chaja: Na so was! Mimi: Das ist jetzt? Nein? Das war einmal? Chaja: Wo haben Sie das gefunden? Eric: Im Archiv. Chaja: Bitte? Eric: Im Archiv. Chaja: Das ist die Gipsstraße. Mimile, was ist das? Welche Straße ist das? Mimi: Ist eine Straße. Chaja: Ja, aber welche? Mimi: Linienstraße! Chaja: (hebräisch) Nein! Das gibt’s ja nicht! Mimi: (hebräisch:) Doch! Chaja: (hebräisch:) Was du nicht sagst! (deutsch:) Da hab ich gewohnt! Mimi: Hier, die Linienstraße! Ecke Neue Schönhauser Straße. Chaja: Ja! Chaja: Da sind wir aufgewachsen! Da sind wir aufgewachsen! Anhang 44 Mimi: Hackescher Markt! Chaja: Hackescher Markt! Mimi: Man erinnert sich an die Jugendjahre. Schon so viele Jahre her! Chaja: Das ist etwas Phantastisches, was Sie uns hier gegeben haben. (hebräisch:) Das zeig ich am Schabbat ... Mimi: (hebräisch:) Ja! Die kannst du für dich behalten. Chaja: (hebräisch:) Danke Dir, Schätzchen! Das will ich den Kindern zeigen. Mimi: (hebräisch:) Warum nicht? Chaja: (hebräisch:) Was für eine Freude! Genau, wo ich gewohnt habe. Mimi: (hebräisch:) Genau. Die Straßen, wo wir gewohnt haben! Chaja: In der Linienstraße hast du nicht gewohnt, da hab ich gewohnt. Mimi: Aber dort haben wir gewohnt, dort sind wir gegangen. Neben der Kleinen Auguststraße haben wir letztens gewohnt. Chaja: Mimi, du kannst dich erinnern, wir sind jeden Schabbat ... Mimi: Milovski hat gewohnt auf der Rosenthaler. Hatten das Restaurant. Chaja: Wo meine Tante gewohnt hat. (hebräisch:) Das ist ja was! Mimi: Die Jugendjahre. Chaja: Die Jugendjahre. Eric: Würden Sie denn wieder in Berlin wohnen wollen? Chaja: Würdest du wollen in Berlin noch mal wohnen? Mimi: Nein! Chaja: Nicht, wenn man mir den größten Penthouse, das eleganteste Haus, geben würde, auf keinen … Mimi: Mein Sohn wollte, dass ich nach New York komme. Will ich auch nicht. Das heißt, ich war schon zehn Mal dort, aber dort wohnen – nur hier. Chaja: Das ist unser Zuhause. Das ist unser Land. Das ist unsere Sprache. Das ist unsere Vergangenheit. Mimi: Und die Zukunft! Für die Kinder. Für die Enkelkinder. Chaja: Wir sind mit vielen Sachen nicht zufrieden heute, ja? Weil wie auf der ganzen Welt hat sich vieles geändert. Und nicht immer zum Guten. Aber: Wenn man ein schlechtes Baby hat, ja, das andauernd heult und andau- ernd den Tod macht, hat man es trotzdem gern, nicht? So ist das für uns. So ist das Land für uns. 45 Anhang iii. literatur- und materialhinweise Methodenanregungen m Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): Antisemitismus in Europa. Vorurteile in Geschichte und Gegenwart. Arbeitsmaterialien. Drei Bausteine für den Unter- richt und die außerschulische politische Bildung (Bd.1) und Handreichung für Lehrkräfte (Bd.2), Bonn 2008. Beide Hefte können bei der bpb bestellt oder als pdf heruntergeladen werden, siehe http://www.bpb.de/shop/lernen/themen-und-materialien/ m Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): Gerettete Geschichten: Elf jüdische Familien im 20. Jahrhundert. Bonn 2014. Das Online-Dossier stellt die (Über-)Lebensgeschichten europäischer Juden und Jüdinnen vor, die in kurzen Filmen präsentiert werden. Besonders empfehlens- wert sind die interaktiven Karten: http://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/gerettete-geschichten/ m Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit (Hg.): Antise- mitismus – ein gefährliches Erbe. Informationen zu Geschichte und Gegenwart (Bd.1) und Handreichung für die pädagogische Praxis (Bd. 2). Reader für Multipli- katorInnen in der Jugend- und Bildungsarbeit, Düsseldorf 2008. m Bildungsteam Berlin-Brandenburg e.V./Tacheles reden! e.V. (Hg.): Woher kommt Judenhass? Was kann man dagegen tun? Ein Bildungsprogramm, Verlag an der Ruhr, Mühlheim 2007. m DGB-Bildungswerk Thüringen e.V.: Bausteine zur nicht-rassistischen Bildungs- arbeit, Erfurt 2008. Der Ordner kann gegen eine Schutzgebühr beim Bildungs- werk bestellt werden. m "Lernen aus der Geschichte" ist ein Online-Bildungsportal, das sich der his- torisch-politischen Bildung widmet. Schwerpunktthemen sind die Geschichte des 20. Jahrhunderts, des Nationalsozialismus und des Holocausts sowie die DDR/BRD-Geschichte: http://lernen-aus-der-geschichte.de/ Anhang 46 Literaturanregungen m Bundesministerium des Innern (Hg.): Antisemitismus in Deutschland. Erschei- nungsformen, Bedingungen, Präventionsansätze. Bericht des Expertenkreises Antisemitismus, Berlin 2011. Die Broschüre kann bestellt oder online eingesehen werden: http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Themen/Politik_Gesell- schaft/EXpertenkreis_Antisemmitismus/bericht.pdf?__blob=publicationFile m Samuel Salzborn (Hg.): Antisemitismus. Geschichte und Gegenwart, Netzwerk für politische Bildung, Kultur und Kommunikation, Gießen 2004. m Michael Brenner: Geschichte des Zionismus, Beck 2002. m Jörn Böhme/Tobias Kriener/Christian Sterzing: Kleine Geschichte des israe- lisch-palästinensischen Konfliktes, Wochenschau Verlag 2005. m Margret Johannsen: Der Nahostkonflikt, 3. Auflage, VS Verlag 2011. m Horst Helas: Die Grenadierstrasse im Berliner Scheuenviertel. Ein Ghetto mit offenen Toren, Hentrich & Hentrich Verlag 2010. m Jüdisches Museum Berlin (Hg.): Berlin Transit. Jüdische Migranten aus Osteuropa in den 1920er Jahren, Wallstein Verlag 2012. 47 Anhang Realisiert aus Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin