Arbeitspapier / Abteilung Wirtschaft GünterBuchholz
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Arbeitspapier / Abteilung Wirtschaft GünterBuchholz
Fakultät IV – Wirtschaft und Informatik Arbeitspapier / Abteilung Wirtschaft GünterBuchholz (Hrsg.) Christopher Ballmann Wirtschaftsethik und Unternehmensethik im Bereich der Unternehmensberatungen Arbeitspapier 197/2008 ISSN Nr. 1436-1035 (print) ISSN Nr. 1436-1507 (Internet) www.fh-hannover.de/f4 Vorwort 1 Anmerkung zur Entstehung Der hier als Arbeitspapier der Fakultät IV Wirtschaft und Informatik an der FH Hannover herausgegebene Text von Christopher Ballmann „Wirtschaftsethik und Unternehmensethik im Bereich der Unternehmensberatungen“ ist bereits im Jahr 2006 als Diplomarbeit an der Fakultät Wirtschaft Hildesheim der Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen entstanden. Im Jahr 2003 fiel die Entscheidung des zuständigen FH-Präsidiums, anlässlich des damaligen Hochschuloptimierungsprogramms (HOK) der Landesregierung die Fakultät Wirtschaft zu schließen. Da es sich um ein interessantes Fallbeispiel im Hinblick auf die Beurteilung des noch von der SPD durchgesetzten neuen Niedersächsischen Hochschulgesetzes (2002) handelt, wurde eine kritische Aufarbeitung und Dokumentation erarbeitet, die unter www.wiwi-online.de/Hochschulpolitik nach Anmeldung zugänglich und abrufbar ist. Ergänzend wird auf das Vorwort des AP 196: „Total Quality Management in der Unternehmensberatung“ verwiesen. 2 Wirtschaftsethik zwischen System- und Handlungslogik Die liberale Theorie hat den Individualismus einseitig als Grundlage der Gesellschaftstheorie aufgefasst. Sie verkennt oder verleugnet damit den Systemcharakter der bürgerlichen Gesellschaft, d. h. ihre objektiven sozialen Strukturen, die Eigengesetzlichkeit ihrer Vergesellschaftungsform und deren Vorgängigkeit vor allem individuellem Handeln sowie ihre Historizität. Dies zeigt sich an ihrer Reduktion der Gesellschaftstheorie auf eine individualistische Handlungstheorie die schon deshalb unzureichend bleibt, weil sie fälschlich die immer schon vorhandenen, geschichtlich gewordenen und sich wandelnden gesellschaftlichen Voraussetzungen und Bedingungen der individuellen Existenz ausblendet. Die systemtheoretischen Ansätze gehen, auch methodologisch, zu Recht von diesen grundlegenden Sachverhalten aus, aber es gerät ihnen leicht aus dem Blick, dass innerhalb des gesellschaftlichen Systems Individuen handeln. Handeln aber setzt prinzipiell Freiheit im emphatischen Sinn - mindestens aber Wahlfreiheit zwischen mehreren Optionen unter gegebenen Bedingungen - voraus, und die Existenz von Handlungsfreiheit steht im Widerspruch zu einer Determination durch das gesellschaftliche System. Denn wenn diese Determination vollständig wäre, dann gäbe es faktisch keinerlei freies individuelles Handeln, im Grunde auch keine Individuen, sondern nur Rollenträger. Die bürgerliche Gesellschaft ist aber wie keine andere durch Individuation gekennzeichnet, und die Verwirklichung dieses Fortschrittsmoments bedeutet, dass sie den Menschen gesellschaftliche Handlungsspielräume zur Ausgestaltung und damit zur Individualisierung freigibt. Daraus hat sich beispielsweise eine Pluralität von Lebensstilen entwickelt, Gestalten einer konkreten Freiheit im Alltagsleben, die die bürgerlichen Gesellschaften positiv auszeichnen. Das Insistieren der neoklassischen Theorie auf freien Präferenzen als Ausdruck eben dieser persönlichen, frei nutzbaren Handlungsspielräume hat insoweit sowohl sachlich wie moralisch eine gewisse Berechtigung. Diese vom System gewährten individuellen Handlungsspielräume können Geltungsbereiche einer individuellen Handlungsethik sein, die sich innerhalb der Systemlogik konstituiert. Die Vermittlung dieser beiden Ansätze - Systemlogik und Handlungslogik - zum Verständnis der bürgerlichen Gesellschaft kann so gedacht werden, dass die historisch gewordenen gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse eine objektive Struktur von Interessen und Rollen generieren, die sich den Menschen beispielsweise als vorgefundene Berufsrollen darstellen, die sie übernehmen und unter Nutzung der gesellschaftlich gegebenen Spielräume subjektiv-individuell ausgestalten können bzw. müssen. Die Chance, bestimmte, insbesondere attraktive Berufsrollen im Hinblick auf Einkommen und Macht tatsächlich wählen zu können, hängt allerdings in erheblichem Maße von der vorgegebenen sozialen Lage und der Herkunft der Menschen ab und wird dadurch faktisch sehr eingeschränkt. Jede gewählte Berufsrolle schließt eine objektive gesellschaftliche Interessenlage ein, die bei Akzeptanz und psychologischer Identifikation auch zum subjektiven Handlungsmotiv werden kann und in der Regel auch dazu wird. Und weil in der subjektiven Selbstwahrnehmung der Individuen nur dieses subjektive Handlungsmotiv präsent ist, sobald die objektive Notwendigkeit in deren subjektive Präferenzordnung integriert worden ist, ohne dass dieser Akt überhaupt wahrgenommen worden wäre, fühlen sich die Individuen subjektiv vollkommen frei. Die Anpassung an die vorgegebene soziale Realität erscheint ihnen daher nicht als zwanghafte Anpassung an fremdbestimmte gesellschaftlicher Verhältnisse, sondern als eine Selbstverständlichkeit im Sinne einer praktisch-realistischen Vernunft; sie wird in diesem Sinne als angewandter Pragmatismus erfahren und somit in der Regel nicht weiter reflektiert. Das Ergebnis ist die Blindheit der „freien Individuen“ für die Systemlogik, von der sie, wenn auch unter Einschluss individueller Handlungsspielräume, insgesamt gänzlich unbemerkt wirksam bestimmt werden. Während die individuelle Handlungslogik in vorbürgerlichen Gesellschaften gesellschaftlich-traditional geprägt ist, führt in der bürgerlichen Gesellschaft die revolutionäre Überwindung, Entwertung und Eliminierung aller ökonomisch hemmenden Traditionen dazu, dass einzig der Nutzenaspekt für das bürgerliche Individuum, den Besitzbürger, das so genannte Wirtschaftssubjekt, orientierend wirkt. Dieser aber zielt, passend zur Systemlogik, auf ökonomischen Reichtum. Daraus folgte - im 18. und 19. Jahrhundert - die Begründung einer eben dieses Streben rechtfertigende utilitaristische Ethik. Ihr zufolge wird zwar das größte Glück der größten Zahl angestrebt (Jeremy Bentham), wogegen nichts zu sagen wäre; Glück aber ist in der bürgerlichen Gesellschaft Reichtum, d. h. nicht das Sein sondern das Haben ist bestimmend. Deshalb ist gut, was ökonomisch nützlich ist, und nur das ökonomisch Nützliche ist gut. Diese allgemeine normative Vorstellung bestimmt tendenziell das Alltagsbewusstsein aller Gesellschaftsmitglieder der bürgerlichen Gesellschaft. Hannover, im Juni 2008 Günter Buchholz Vorbemerkung Da die Auswahl des Themas der vorliegenden Arbeit ein erhebliches Maß an Verwunderung in meinem Umfeld hervorrief, möchte ich an dieser Stelle einmal auf die Gründe eingehen, welche mich dazu veranlasst haben, mich eingehender mit dem Themenbereich der Wirtschafts- und Unternehmensethik zu befassen. Die allgegenwärtigen Debatten in Wirtschaft und Politik über den Sinn und den Unsinn dessen, was gemeinhin als Ethik oder als Moral bezeichnet wird, werfen die Frage auf, ob der Mensch, so wie es regelmäßig von Seiten der Parteien und der Unternehmen geäußert wird, tatsächlich im Mittelpunkt der Wirtschaft steht oder ob dies nur so lange der Fall ist, wie dieser nicht mit der wirtschaftlichen Größe des Unternehmensgewinns konkurrieren muss. Sogar für den unvoreingenommenen Betrachter muss der Eindruck entstehen, dass die humanistischen Errungenschaften der letzten Jahrhunderte, von denen nicht eben wenige hart erkämpft werden mussten, immer mehr der darwinistischen Evolutionstheorie weichen müssen. Der Mensch ist wohl das einzige Wesen, welches das System, in dem er lebt selbst schaffen kann, doch steht die Frage im Raum, ob er dies ohne Verantwortungsgefühl den Mitmenschen gegenüber tun muss und ob dem Begriff der sozialen Gerechtigkeit tatsächlich durch sein Wirken Genüge getan wird. Faktisch besteht kein Zwang nach dem Gesetz des Stärkeren zu handeln - wo also sind die Ursachen hierfür zu finden? Dies stellt für mein Empfinden eine sehr interessante und ebenso relevante Frage für das Funktionieren einer Gesellschaft dar. Wenn sie auch nicht vollständig im Rahmen dieser Arbeit geklärt werden kann, so war sie doch ausschlaggebend für die Themenauswahl. Ich möchte deshalb meinen Prüfern Herrn Professor Dr. Günter Buchholz und Herrn Professor Dr. Matthias Pletke für die Gelegenheit danken, mich im Rahmen dieser Diplomarbeit mit der für mich „fremden“ Disziplin der Philosophie auseinandersetzen zu dürfen, die einen nicht unerheblichen Teil dieser Arbeit ausmacht. Schon während der Bearbeitung kam ich zu dem Schluss, dass das Wissensgut, welches von großen Denkern wie Kant und Smith erarbeitet wurde, nicht verdient hat, ein so geringes Maß an Berücksichtigung zu finden. Mein größter Dank gilt allerdings meinen Eltern, die mich stets unterstützt haben und darüber hinaus wohl immer ein stückweit mehr an mich geglaubt haben, als ich selbst es vermochte. III Inhalt Inhalt Vorwort des Herausgebers...........................................................................................I Vorbemerkung des Autors ....................................................................................... II Inhalt ......................................................................................................................... IV Abkürzungsverzeichnis ......................................................................................... VII Abbildungsverzeichnis .......................................................................................... VII Tabellenverzeichnis .............................................................................................. VIII 1. Einleitung ............................................................................................................... 1 1.1 Gegenwärtige Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft ............................ 1 1.2 Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit ...................................................... 2 1.3 Vorgehensweise ................................................................................................ 3 2. Grundlagen und Herleitung .................................................................................. 5 2.1 Ethik ................................................................................................................... 5 2.1.1 Der Begriff der Ethik .................................................................................... 5 2.1.2 Der Begriff der Moral ................................................................................... 7 2.1.3 Ziele und Grenzen der Ethik ...................................................................... 10 2.1.3.1 Das Prinzip der Freiheit ...................................................................... 10 2.1.3.2 Ziele der Ethik ..................................................................................... 10 2.1.3.3 Grenzen der Ethik ............................................................................... 12 2.1.4 Universelle und partikulare Moralsysteme................................................. 14 2.1.5 Entwicklung des Moralbewusstseins beim Individuum .............................. 16 2.1.6 Entwicklung von Moralkonzepten .............................................................. 18 2.1.6.1 Adam Smith - „Der unparteiische Zuschauer“ ..................................... 19 2.1.6.2 Immanuel Kant - „Der kategorische Imperativ“ ................................... 21 2.1.6.3 Jeremy Bentham & John Stuart Mill – „Der Utilitarismus“ ................... 25 2.2 Ökonomische Modelle ..................................................................................... 30 2.2.1 Die Klassik - Adam Smith’s „unsichtbare Hand“ ........................................ 30 2.2.2 Die utilitaristische Wohlfahrtskonzeption ................................................... 31 2.2.3 Der egalitäre Liberalismus......................................................................... 33 2.2.4 Die Soziale Marktwirtschaft ....................................................................... 35 2.2.5 Reduktion des Sozialstaates ..................................................................... 36 IV Inhalt 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft ......................................................................... 40 3.1 Das Spannungsfeld: Ethik vs. erwerbswirtschaftliches Prinzip ........................ 40 3.2 Das Unternehmen im System .......................................................................... 43 3.3 Wirtschaftsethik ............................................................................................... 46 3.4 Unternehmensethik .......................................................................................... 48 3.5 Ebenen der Ethik in der Wirtschaft .................................................................. 48 3.6 Wirkungsbereich der Unternehmensethik ........................................................ 50 3.6.1 Externe Restriktionen des Managements .................................................. 51 3.6.1.1 Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers ....................................... 51 3.6.1.2 Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer ....................................... 52 3.6.1.3 Maßnahmen zum Schutz der Kapitalgeber ......................................... 53 3.6.1.4 Maßnahmen zum Schutz der Umwelt ................................................. 54 3.6.2 Interne Restriktionen des Managements ................................................... 55 3.6.2.1 Das Mitbestimmungsgesetz ................................................................ 56 3.6.2.2 Das Betriebsverfassungsgesetz ......................................................... 56 3.6.3 Einzelwirtschaftliche Anwendung ethischer Grundsätze ........................... 58 3.6.3.1 Selbstverpflichtung von Unternehmen ................................................ 58 3.6.3.2 Formulierung von Handlungsvorschriften ........................................... 60 3.6.3.3 Die Entwicklung von Leitbildern .......................................................... 62 3.6.3.4 Schaffung interner Institutionen .......................................................... 66 3.6.4 Individuelle Anwendung ethischer Grundsätze ......................................... 67 3.7 Shareholder-Value versus Stakeholder-Value ................................................. 69 4. Unternehmensberatungen .................................................................................. 72 4.1 Der Begriff der Unternehmensberatung ........................................................... 72 4.2 Projektmanagement als Instrument ................................................................. 73 4.3 Anforderungen an Unternehmensberater ........................................................ 74 4.4 Besonderheiten des „Produktes“ Unternehmensberatung ............................... 76 4.5 Stellenwert der Ethik für Unternehmensberatungen ........................................ 78 4.6 Beratungsverbände ......................................................................................... 81 4.6.1 Der Bundesverband Deutscher Unternehmensberater ............................. 82 4.6.2 Aufgaben des BDU.................................................................................... 82 4.6.3 Instrumente zur Sicherstellung der Beratungsqualität ............................... 83 4.6.4 Kriterien zur Aufnahme in den BDU .......................................................... 83 V Inhalt 4.6.5 Berufsgrundsätze ...................................................................................... 84 5. Fazit ...................................................................................................................... 87 Quellenverzeichnis.................................................................................................. 92 Zeitschriften und Fachmagazine ............................................................................ 96 Internetquellen......................................................................................................... 96 Anhang ..................................................................................................................... 97 I. Der Wirtschaftsprozess um Enron ................................................................. 97 II. Der Fall Brent Spar ........................................................................................... 98 III. Massenentlassungen bei der Deutschen Bank ............................................. 99 IV. Die Berufsgrundsätze des BDU .................................................................... 101 V. Das Thomson- Paradoxon ............................................................................. 105 VI Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis BDU Bundesverband Deutscher Unternehmensberater BetrVG Betriebsverfassungsgesetz bspw. beispielsweise FEACO Fédération Européenne des Associations de Conseil en Organisation ICMCI International Council of Management Consulting Institutes MitbestG Mitbestimmungsgesetz OECD Organisation for Economic Cooperation and Development Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Herkunft und Bedeutung des Moralbegriffs ............................................ 7 Abbildung 2: Ethik und Moral....................................................................................... 9 Abbildung 3: Stufen der Moralentwicklung nach Lawrence Kohlberg ........................ 17 Abbildung 4: Der Vernunftbegriff bei Kant ................................................................. 24 Abbildung 5: Zeitskala zum Utilitarismus ................................................................... 29 Abbildung 6: Das „magische“ Vieleck in der Bundesrepublik Deutschland ............... 36 Abbildung 7: Systembeziehungen ............................................................................. 44 Abbildung 8: Darstellung der Systemebenen ............................................................ 45 Abbildung 9: Die drei Ebenen der Wirtschaftsethik ................................................... 49 Abbildung 10: Unternehmensordnung und Mitbestimmung ....................................... 57 Abbildung 11: Das Davoser Manifest ........................................................................ 60 Abbildung 12: Ethisch-ökonomische Handlungsorientierung der Unternehmen ........ 62 Abbildung 13: Kriterien zur Aufnahme in den BDU .................................................... 83 VII Tabellenverzeichnis Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Shareholder- Value versus Stakeholder- Value ........................................ 70 Tabelle 2: Projektmanagement- Aufgaben ................................................................ 74 Tabelle 3: Die soziale Kompetenz des Unternehmensberaters ................................. 76 Tabelle 4: Methoden der ethischen Entscheidungsfindung nach Fletcher ................ 81 Tabelle 5: Beratungsregeln nach Weinberg .............................................................. 85 VIII 1. Einleitung 1. Einleitung 1.1 Gegenwärtige Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft Regelmäßig erschüttern Wirtschaftsskandale oder Vorkommnisse, die als solche bezeichnet werden, das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen. Auf Manipulationen großer Konzerne bei der Bilanzierung1 folgen Lebensmittel- und Umweltskandale.2 Massenentlassungen und die Verlagerung von Arbeitsplätzen nach Osteuropa führen zu Rekordgewinnen namhafter deutscher Großunternehmen.3 Die Berichte über exorbitante Prämien für Unternehmensverantwortliche, welche die Übernahme des eigenen Unternehmens mehr im Sinne der Kapitalanleger denn im Sinne des Unternehmens gestaltet haben sowie jene über Manager, welche sich Insiderwissen für private Spekulationsgeschäfte zu Nutze machen, schüren zusätzlichen Unmut bei der Bevölkerung, die sich in einer Zeit, in der beinahe sämtliche sozialen wie wirtschaftlichen Missstände mit Vokabeln wie „Globalisierung“, „Heuschrecken“ und „Agenda 2010“ erklärt werden. Sicherlich ist die vielerorts vorherrschende Empörung nachvollziehbar – gerade jenen Teilen der Gesellschaft, deren Realität und Lebensqualität mehr durch den allgegenwärtigen Begriff „HARTZ IV“ als durch den des „Shareholder Value“ bestimmt wird, muss es geradezu pervers erscheinen, auf welche Weise zusätzliche Milliardengewinne generiert werden. Das menschliche Grundempfinden der Gerechtigkeit muss an dieser Stelle an seine Grenzen stoßen, denn wie ist es unter Gerechtigkeitsaspekten zu erklären oder zu begründen, dass Großunternehmen trotz Rekordgewinnen, Tausende von Mitarbeitern ihrer Existenzgrundlage berauben? Die Frage der Ethik in der Wirtschaft avanciert in solchen Phasen, wie sie unsere Gesellschaft zur Zeit durchläuft, von einer Randfrage ökonomischer Theorie und Praxis zu einem zentralen Thema öffentlicher und wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Klarere gesetzliche Regelungen, schärfere Kontrollen und empfindliche Strafen, zum Beispiel im Bereich der Bilanzierung sollen und können Manipulationen erschweren. Allerdings ist es in aller Regel wieder die Gesetzgebung, die regulierend 1 Vgl. Anhang I. Vgl. Anhang II. 3 Vgl. Anhang III. 2 1 1. Einleitung interveniert und dafür Sorge trägt, dass der Handlungsspielraum der Unternehmen beziehungsweise jener der agierenden Verantwortlichen beschränkt wird. So verwundert es nicht, dass Gesellschaft und Politik immer häufiger und vor allem immer deutlicher die Frage nach dem Ziel und der Verantwortung unternehmerischen Handelns stellen. 1.2 Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit Begleiterscheinungen der Globalisierung sind auch in diesem Zusammenhang anzuführen. Multinationale Unternehmen agieren auf einem weltweiten Markt, der immer weniger durch Grenzen und dafür um so mehr durch eine nie in diesem Ausmaß vorhandene Transparenz geprägt ist. Zwangsläufig werden diese Unternehmen mit Gesellschaften, Kulturen und nicht zuletzt mit Gesetzgebungen unterschiedlichster Ausprägungen konfrontiert. Sicherlich existiert abseits unserer westlichen durch Verfassungen und Gesetzgebungen geschützten Wirtschaftswelt eine Anzahl von Nischen, die bei einer rein wirtschaftlichen Betrachtung unter Kostenaspekten für verschiedene Unternehmen attraktiv erscheinen können. Entscheiden sich Unternehmen allerdings dafür, solche für sie als vorteilhaft ausgemachten Gegebenheiten in ihrem Sinne zu nutzen, so muss ihnen bewusst sein, dass aufgrund der erhöhten Transparenz durch die Medien und der sich stetig und schnell weiterentwickelnden Informationstechnologie, diese Vorgehensweise rasch publik und - wie gegenwärtig in der Nachrichtenberichterstattung zu beobachten – skandalträchtig aufbereitet wird. Die in einem solch medial aufbereiteten Skandal erlittenen Imageschäden eines Unternehmens bleiben der Gesellschaft und somit auch den Konsumenten für gewöhnlich noch auf Jahre hin negativ im Gedächtnis. Noch immer spricht man im Zusammenhang mit dem Unternehmen Shell vorwiegend von deren Versuch, die Bohrinsel Brent Spar in der Nordsee zu versenken. Der Wirtschaft, den einzelnen Unternehmen, wie auch der Gesellschaft, deren Teil eben diese Unternehmen sind, kann nicht daran gelegen sein, dass ihr Handeln seitens der Gesetzgebung bis ins Detail reglementiert wird. Letztlich könnten die unternehmerischen Freiheiten derart beschränkt werden, dass negative Auswirkungen im globalen Wettbewerb die Folge wären. 2 1. Einleitung Ein Ziel dieser Arbeit ist es, den grundsätzlichen und größtenteils historisch gewachsenen Rahmen, in dem die Unternehmen agieren, darzustellen. Es soll erarbeitet werden, wodurch das unternehmerische Handeln sowie die unternehmerische Entscheidungsfreiheit beschränkt werden. Ein weiterer Aspekt dieser Arbeit ist die Frage, ob es sich bei dem Konflikt zwischen wirtschaftlichem Handeln, also dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip und den ethischen und moralischen Grundsätzen, denen sich unsere Gesellschaft verbunden fühlt, tatsächlich um einen Konflikt handelt. Es wird also auf die Frage eingegangen, ob Ethik und Wirtschaft tatsächlich zwei Größen sind, die sich gegenseitig ausschließen. Weiterhin soll der Rahmen dargestellt werden, in dessen Grenzen eine Unternehmensethik ihre Wirksamkeit entfalten kann, ebenso mögliche Instrumente und deren Anwendung. Anhand des Beispiels der Unternehmensberatungsbranche soll ferner erörtert werden, dass die Orientierung an formulierten Grundsätzen - den so genanten Codes of Conduct - nicht ausschließlich den Klienten, sondern darüber hinaus auch den Unternehmen erhebliche Vorteile im Wettbewerb ermöglichen kann. Dabei sollen die Besonderheiten der Unternehmensberatung erörtert werden, welche die besondere Affinität dieser Branche zu Fragen der Unternehmensethik begründen. 1.3 Vorgehensweise Um der Aufgabenstellung dieser Arbeit gerecht zu werden, also unter anderem den Wirkungsbereich von Wirtschafts- und Unternehmensethik sowie deren Begrenzungen darzustellen, ist es erforderlich, die Begriffe „Moral“ und „Ethik“ im klassischen eben nicht wirtschaftlichen Sinne - zu erklären, um in der Folge mit den klar abgegrenzten und definierten Begriffen in den nachfolgenden Kapiteln arbeiten zu können. Das Kapitel „Grundlagen und Herleitung“, dessen Schwerpunkt eindeutig philosophischer Natur ist, stellt den ersten Teil der vorliegenden Arbeit dar. Inhaltlich werden in diesem Kapitel einige Modelle großer Denker wie Immanuel Kant und Adam Smith dargestellt, deren Werke zur menschlichen Moral die Entwicklung unserer gegenwärtigen Gesellschaft erheblich geprägt haben. Im Anschluss daran soll versucht werden, die verschiedenen philosophischen Modelle mit den entsprechenden wirtschaftlichen Modellen in Bezug auf Überschneidungen und Abweichungen darzustellen. 3 1. Einleitung Das dritte Kapitel „Ethik im Bereich der Wirtschaft“ beschäftigt sich mit einem grundsätzlichen Konflikt, dem wirtschaftlichen Handeln im Rahmen des erwerbswirtschaftlichen Prinzips und dem Handeln in den Grenzen dessen, was die Gesellschaft als ethisches oder moralischen Agieren ansieht. Ferner wird der Frage nachgegangen, ob es sich tatsächlich zwingend um einen Konflikt handeln muss. Des weiteren werden in diesem Zusammenhang die Wirkungsbereiche und das mögliche Zusammenspiel von Wirtschaftsethik und Unternehmensethik erläutert. Weiterhin sollen in diesem Kapitel einzelwirtschaftliche sowie individuelle Anwendungsmöglichkeiten ethischer Grundsätze dargestellt werden. Der inhaltlichen Kern des vierten Kapitels „Unternehmensberatungen“ ist zunächst die knappe Darstellung der Besonderheiten dieser sensiblen Branche. Dies ist zwingend erforderlich, da im Anschluss eine Übertragung der in den vorangegangenen Kapiteln erörterten Fragen der Unternehmensethik auf die Unternehmensberatungsbranche erfolgen soll. Dies geschieht mit der Zielsetzung, darzustellen, in welchem Umfang ethische und moralische Normen in die Beratungstätigkeit einfließen. Grundlage dieser Fragestellung werden die Verhaltensregeln des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater sein und die freiwillige Selbstverpflichtung der beratenden Unternehmen, sich nach ihnen zu richten. 4 2. Grundlagen und Herleitung 2. Grundlagen und Herleitung 2.1 Ethik Da im Rahmen dieser Arbeit der Begriff der Wirtschaftsethik beziehungsweise jener der Unternehmensethik verwendet werden und erläutert werden sollen, ist es zu Beginn dringend erforderlich, den Begriff der Ethik im allgemeinen zu erläutern. Dies soll an dieser Stelle geschehen - ohne jedoch einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu können oder zu wollen. 2.1.1 Der Begriff der Ethik Die Ethik scheint im täglichen Leben nicht mehr die Relevanz zu besitzen, welche ihr zustünde. So ist es wohl zu erklären, dass der Begriff der Ethik allgemein zwar geläufig ist, vielen Menschen allerdings in der Definition Schwierigkeiten bereitet. Dies erscheint um so verwunderlicher, als die Disziplin der Ethik einer der ältesten wissenschaftlichen Bereiche des Abendlandes ist. Etwas präziser ausgeführt handelt es sich bei ihr um eine Teildisziplin der Philosophie, welche von Aristoteles abgegrenzt und als eigenständige Disziplin begründet wurde.4 Ethik wird als eine Wissenschaft des moralischen Handelns verstanden, beschäftigt sich also mit der menschlichen Praxis im Hinblick auf deren Moralität. Die greifbare Geschichte der Ethik beginnt circa 500 Jahre vor Christus bei Sokrates und seinem Schüler Platon im antiken Griechenland. Das Wort Ethik leitet sich daher von dem griechischen Wort ethos ab, welches wiederum die Gewohnheit, die Sitte oder den Brauch bezeichnet. Ethisch handelte dementsprechend dann derjenige, der sich durch sein Erziehung geprägt an den Gegebenheiten orientierte, welche zu dieser Zeit in der Gesellschaft Sitte waren, da er durch entsprechendes Verhalten diese Normen anerkannte.5 Sokrates verwehrte sich dagegen, ethisches Verhalten im oben dargestellten Sinne lediglich an den von den Vorfahren im Rahmen der Erziehung erlangten Normen 4 5 Vgl. [Pieper 1994]; S. 25. Vgl. [Pieper 1994]; S. 25. 5 2. Grundlagen und Herleitung festzumachen. Vielmehr war er der Auffassung, dass die Erziehung ein an der Idee des Guten orientierter Lernprozess sei, dessen Ziel es sei, das Individuum dazu zu befähigen, kritisch urteilen zu können.6 Ethisch handeln würde nach Sokrates demnach derjenige, der überlieferten Handlungsregeln und Wertmaßstäben nicht fraglos folgt, sondern aus Einsicht oder kritischer Überlegung zu dem Schluss kommt, etwas Gutes zu tun. Diese Form von ethos verfestigt sich dann letztlich zur Grundhaltung der Tugend, also dem Charakter.7 Die Abspaltung der Ethik als eigenständige Disziplin hatte seine Ursache in dem Lehrstreit zwischen den Sophisten, welche die traditionelle Interpretation von Ethik vertraten, auf der einen und den beiden Philosophen Sokrates und Platon auf der anderen Seite. Für die Sophisten standen praktische Fragen der Erkenntnistheorie und deren Nutzen für den Menschen im Vordergrund.8 Ihr Denken war stets von Skeptizismus und Relativismus geprägt, das heißt, dass nach Interpretation der Sophisten keinerlei Werte oder Tugenden existieren, welche von Natur aus objektive Gültigkeit besitzen.9 Die allgemeine Gültigkeit geht stets, so besagt die sophistische Lehre, auf eine entsprechende Setzung, also eine Vereinbarung zwischen den Menschen zurück. Dementsprechend besäßen Werte und Tugenden zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten differente Gültigkeit, in Abhängigkeit von den Vereinbarungen, welche die Menschen untereinander treffen.10 Sokrates und in der Folge auch Platon hingegen waren bei ihren Überlegungen darauf aus, zu beweisen, dass das Gute in einer objektiven Form existiere, allerdings wäre es dann derart, dass es nicht in dem Sinne erlernbar wäre, wie es beispielsweise die Mathematik sei, da das objektiv Gute ausschließlich auf dem Wege der Selbsterkenntnis und des Hinterfragens zu definieren sei. Die Selbsterkenntnis war für Sokrates der einzige Weg, im Ergebnis tugendhaft handeln zu können. Er praktizierte seinen Weg zur Selbsterkenntnis, indem er sein jeweiliges Gegenüber befragte und jede Antwort wiederum hinterfragte.11 Zielsetzung dieser Vorgehensweise war die Erlangung praktischen Wissens und die Reflexion konkreter Erfahrungen aus 6 Vgl. [Pieper 1994]; S. 25. Vgl. [Pieper 1994]; S. 26. 8 Vgl. [Dietzfelbinger 2002]; S. 34. 9 Vgl. [Dietzfelbinger 2002]; S. 34. 10 Vgl. [Dietzfelbinger 2002]; S. 35. 11 Vgl. [Dietzfelbinger 2002]; 36. 7 6 2. Grundlagen und Herleitung dem Leben, nicht die Konstruktion abstrakter logischer Gedankengänge, wie es das Bestreben der Sophisten war. Dieser pragmatische und direkt auf den Menschen zugeschnittene Ansatz wurde als Gotteslästerung verstanden, was dazu führte, dass Sokrates zum Tod durch Gift verurteilt wurde.12 2.1.2 Der Begriff der Moral Im allgemeinen Sprachgebrauch werden die Begriffe Ethik und Moral annähernd synonym verwendet. Beide Begriffe bezeichnen Ordnungssysteme oder -gebilde, welche die Sinn- und Wertvorstellungen einer Gesellschaft oder Gemeinschaft widerspiegeln.13 Vollkommen korrekt ist diese Gleichsetzung der beiden Begriffe allerdings nicht, weshalb der Begriff der Moral im Folgenden erläutert werden soll. Bei historischer Betrachtung werden die Zusammenhänge zwischen den Begriffen deutlich. Die lateinische Übersetzung der beiden im vorangegangenen Kapitel erläuterten unterschiedlichen Interpretationen des Ethikbegriffs, nämlich Sitte (Sophisten) und Charakter (Sokrates), lautet mos (Plural: mores). Der lateinische Begriff mos, von dem sich das deutsche Wort Moral herleitet, bedeutet sowohl Sitte als auch Charakter.14 Abbildung 1: Herkunft und Bedeutung des Moralbegriffs 15 12 Vgl. [Dietzfelbinger 2002]; 36. Vgl. [Pieper 1994]; S. 26. 14 Vgl. [Pieper 1994]; S. 26. 15 Eigene Darstellung in Anlehnung an: [Pieper 1994]; S. 27. 13 7 2. Grundlagen und Herleitung Noll definiert die Moral als ein auf Regeln basierendes System zur Steuerung sozialer Beziehungen, welches in komplexen Prozessen menschlichen Zusammenwirkens entstanden ist. Beeinflusst wird und wurde dieses System durch die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Form, dass es in vielfältiger Art und Weise ausdifferenziert ist und Widersprüchlichkeiten aufweist.16 Die historische Quelle von Werten und Normen liegt in religiösen Einsichten und Glaubensausprägungen begründet. Im christlichen Glauben können für die Formulierung moralischer Werte beispielsweise die Zehn Gebote angeführt werden. In der Vergangenheit stellte sich also die Frage der Normgebung nicht, da Gott als Normschöpfer angesehen wurde. Moral wurde demnach als ein Gesetzgebungsakt Gottes verstanden.17 Erst im Zuge der Aufklärung und des Humanismus konnte sich der Mensch und mit ihm das Denken aus der Vormundschaft der Kirche befreien. Diese beiden Bewegungen hatten für das moralische Verständnis weitreichende Folgen. Die Freiheit und das Individuum als solches traten in den Vordergrund, wodurch die im religiösen Glauben überindividuelle Wertordnung verloren ging. 18 Immanuel Kant war im Zuge dieser Veränderung ein Verfechter der Ansicht, dass rational handelnde Wesen sich nicht auf die allgemeine übergeordnete Gültigkeit der Worte Gottes berufen und aus diesen moralische Normen ableiten könnten. Die „praktische Vernunft“ stellte für ihn - ganz ähnlich den Theorien Sokrates - das Mittel dar, für das rational orientierte Individuum die Klassifizierung moralischer Normen als gut oder eben böse vorzunehmen. Moralische Normen stellen von ihrem Ursprung und ihrer Funktion eine soziale Erscheinung dar, welche die Interaktion kleiner und großer Gruppen steuern und verlässliche Verhaltenserwartungen bedingen. Die Moral erlangt ihre Wirksamkeit über Verhaltensbeschränkungen des Individuums, wohingegen ihre Verbindlichkeit am Gewissen des Individuums festgemacht wird.19 Die Moral, definiert als ein gesellschaftlich akzeptiertes Verhalten, entspricht also einem allgemein verbindlichen Handlungsmuster, dem als Träger der Wert- und Sinnvorstellungen einer Gesell16 Vgl. [Noll 2002]; S. 25. Vgl. [Noll 2002]; S. 26. 18 Vgl. [Noll 2002]; S. 26. 19 Vgl. [Noll 2002]; S. 26. 17 8 2. Grundlagen und Herleitung schaft eine quasi normative Geltung zukommt.20 Ziel dieser Regeln ist der Schutz vor der Willkür einzelner in den Bereichen, die nicht gesetzlich reglementiert sind, übermäßig starke Abweichungen sind freilich im Gesetz verankert. Lorenzen definiert die beiden Begriffe ähnlich differenziert. Während mit Moral der Bestand an faktisch herrschenden Normen eines abgegrenzten Kulturkreises gemeint ist, bezeichnet die Ethik demgegenüber das methodisch disziplinierte Nachdenken über diese faktisch herrschenden Moralen.21 In dieser Unterscheidung ist die Ethik also mit einem wissenschaftlichen Anspruch versehen, als Moralphilosophie eine Lehre zu sein, die sich mit der Rechtfertigung von Normen befasst. Zusammenfassend kann die Ethik demnach als die Hinterfragung der Differenz zwischen Sein (Moral) und Sollen (Ethik) verstanden werden, mit deren Hilfe eine kritische Distanz zu den bestehenden Moralvorstellungen gewonnen werden kann.22 Abbildung 2: Ethik und Moral 23 20 Vgl. [Pieper 1994]; S. 26. Vgl. [Steinmann/Löhr 1994]; S. 8. 22 Vgl. [Steinmann/Löhr 1994]; S. 9. 23 Eigene Darstellung in Anlehnung an: [Steinmann/Löhr 1994]; S. 11. 21 9 2. Grundlagen und Herleitung 2.1.3 Ziele und Grenzen der Ethik 2.1.3.1 Das Prinzip der Freiheit Die Ethik als wissenschaftliche Disziplin beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Moral im Zusammenhang mit dem menschlichen Wirken. Das menschliche Wirken wiederum ist geprägt durch das Prinzip der Freiheit. Das menschliche Handeln ist offen gestaltet, da zwischen der Situationswahrnehmung eines Menschen und einer Handlung in aller Regel eine urteilende Reflexion und eine Willensentscheidung liegen.24 Die unterschiedlichen Möglichkeiten der Reflexion, der Reaktion und die daraus entspringenden Handlungen stellen in diesem Zusammenhang die menschliche Freiheit dar, aus der allerdings erhebliche Unsicherheiten im Umgang miteinander entstehen können. Demzufolge kann die Ethik definiert werden als eine philosophische Freiheitslehre.25 2.1.3.2 Ziele der Ethik Ausgehend von den alltäglichen Handlungsgewohnheiten des Menschen, versucht die Ethik moralisches von nicht moralischem Handeln abzugrenzen. Handeln, welches als moralisch gut begriffen wird, soll dem Menschen vor Augen geführt werden.26 Dies geschieht mit dem Hintergrund, dass dem grundsätzlich freiheitlichen Handeln des Menschen bestimmte Grenzen gesetzt sind. So wird sein Handeln eingeschränkt durch natürliche Grenzen, welche sich auf sachlich-technische Gegebenheiten beziehen. Beispielsweise ist es dem Menschen naturgemäß nicht möglich zu fliegen, da ihm hierfür die körperlichen Voraussetzungen fehlen.27 Die für den Bereich der Ethik relevanten Begrenzungen menschlichen Handelns sind auf der normativen Ebene angesiedelt. Der Mensch kann und darf nicht nach Belieben und vollkommen willkürlich sein Handeln und sein Nicht- Handeln bestimmen. Er hat den Ansprüchen seiner Mitmenschen - so sie denn berechtigt sind - Rechnung zu tragen. Dementsprechend endet die Freiheit des menschlichen Handelns dort, wo 24 Vgl. [Noll 2002]; S. 8. Vgl. [Pieper 1994]; S. 149. 26 Vgl. [Pieper 1994]; S. 149. 27 Vgl. [Noll 2002]; S. 8. 25 10 2. Grundlagen und Herleitung die legitimen Interessen von Mitmenschen berührt oder gar verletzt werden.28 Da dem Menschen die Freiheit gegeben ist, subjektive Entscheidungen zu treffen, aus denen unterschiedliche Handlungen resultieren können, müssen diese Handlungen objektiv zu rechtfertigen beziehungsweise zu verantworten sein, damit ausgeschlossen werden kann, dass andere Mitglieder einer Gesellschaft eingeschränkt oder geschädigt werden. Die Frage, ob eine Handlung als gut oder als böse zu bewerten ist, bedarf der Reflexion durch das Individuum, in dessen Verantwortungsbereich die jeweilige Handlungsentscheidung fällt. Die Übernahme von Verantwortung in diesem Zusammenhang und die Möglichkeit zur Reflexion wiederum machen es erforderlich, dass das Individuum einen ausreichenden Freiraum zur Erfüllung seiner Eigeninteressen zur Verfügung hat.29 Zusammengefasst impliziert also ethisches oder moralisches Wollen die gegebene Voraussetzung des Könnens. Hier sind auch die Ansatzpunkte der Ethik zu finden. Die Ethik hat eine reflexive Aufklärung von Praxis und Geltungsansprüchen zum Ziel. Dem Menschen soll vermittelt werden, warum bestimmte Handlungen erstrebenswert oder aber verwerflich sind. Da diese Einsicht in die Struktur moralischen Handelns nicht auf gesetzlicher Basis herbeigeführt werden kann, muss sie das Bewusstsein der Menschen erreichen.30 Dementsprechend muss also „Überzeugungsarbeit“ geleistet werden. Weiterhin besteht die Aufgabe der Ethik darin, zu vermitteln, dass die oben erläuterte Einsicht des Menschen keinen rein theoretischen Ansatz für Idealisten darstellt, der ohne Folgen für die Praxis allgemeinen Handelns bleibt, sondern als Anstoß für das Denken und eine kritische Würdigung der Praxis fungiert. Der Mensch soll folglich zum eigenständigen Hinterfragen seines Wirkens im Zusammenhang mit dem oben erläuterten Prinzip der Freiheit angeregt werden. Die Ethik zielt folglich darauf ab, den Menschen in die Lage zu versetzen, selbständig Unterscheidungen zwischen Gut und Böse zu treffen und sich die Fähigkeit der moralischen Urteilskraft anzueignen.31 28 Vgl. [Noll 2002]; S. 8. Vgl. [Noll 2002]; S. 9. 30 Vgl. [Pieper 1994]; S. 150. 31 Vgl. [Pieper 1994]; S. 150. 29 11 2. Grundlagen und Herleitung Darüber hinaus verfolgt die Ethik das Ziel, auf die Bedeutsamkeit der oben angeführten Ziele aufmerksam zu machen. Nimmt man an, dass die durch die Ethik angeregte Aneignung der Fähigkeit der kritischen Hinterfragung des menschlichen Wirkens vom Individuum verinnerlicht wird, kann davon ausgegangen werden, dass sich durch Nutzung der moralischen Urteilskraft im Verlaufe des Lebens- und Lernprozesses eine sich festigende Grundhaltung herausbildet, die Moralische Kompetenz.32 Pieper bezeichnet den Begriff der Moralischen Kompetenz als einen „modernen Begriff der Tugend“ und erklärt diesen wie folgt: „Moralische Kompetenz (...) impliziert soziale Verantwortung, insofern die jedem abverlangte Fähigkeit, moralisch zu handeln und zu urteilen, die Bereitschaft, in jedem menschlichen Gegenüber die Freiheit zu achten und vor dieser Freiheit jederzeit Rechenschaft abzulegen.“33 Durch die Darstellung der Ziele der Ethik wird deutlich, dass der Rahmen der Ethik als eine theoretische Wissenschaft des moralischen Handelns diesen nicht genügen kann. Die angestrebten Ziele können nur in der Praxis unter Bezug auf die Theorie erreicht werden. Somit kann die Ethik als Leitfaden zur Lebensgestaltung verstanden werden. 2.1.3.3 Grenzen der Ethik Der Einwand, die Ethik sei nutzlos oder erfülle nicht ihren Zweck ist immer dann zu vernehmen, wenn ein besonderer Umstand oder ein besonders mediengerecht in Szene gesetzter Fall eben nicht-ethischen Handelns Aktualität besitzt. Der Vorwurf ist im Grunde genommen stets gleicher Art – die Ethik sei ein theoretisches Konstrukt, welches für die Praxis keinerlei Relevanz besitze. Vorwürfe wie die genannten stellen Indizien dafür dar, dass die Rolle und der Wirkungsbereich der Ethik gemeinhin falsch eingeschätzt wird. Der Ethik sind Grenzen gesetzt, welche nachfolgend erläutert werden sollen. 32 33 Vgl. [Pieper 1994]; S. 150. Vgl. [Pieper 1994]; S. 151. 12 2. Grundlagen und Herleitung Der Vorwurf, die Ethik besäße keinerlei Relevanz für die Praxis, spiegelt ein gewisses Unverständnis ihr gegenüber wider. Die Ethik stellt eine Theorie über die Praxis dar, ohne selbst dabei „Praxis“ sein zu können oder zu wollen. Sie fungiert als Denkanstoß für die Praxis und soll motivieren, das individuelle Handeln und dessen mögliche Folgen kritisch zu hinterfragen. Sie ist eine Theorie, welche um ihre Wirksamkeit zu erlangen, auf eine Umsetzung in der Praxis angewiesen ist und sollte nicht als Instrument angesehen werden.34 Die Ethik als „philosophische Freiheitslehre“ bezieht sich ausdrücklich auf die gegebene Freiheit des Menschen, Entscheidungen nach eigenem Ermessen zu treffen. Sie kann allerdings selbst keine Freiheit im Sinne einer zu erbringenden moralischen Leistung generieren. Es ist weder die Aufgabe, noch liegt es in der Macht der Ethik als Wissenschaft, den Menschen moralisch zu machen. Zu einem guten oder einem schlechten Menschen kann das Individuum ausschließlich durch seine Willensbestimmung selbst werden. Die Grenze der Ethik befindet sich in diesem Zusammenhang also an der Stelle, an welcher der Mensch ihre Argumentation und ihren Appell zum moralischen Handeln entweder nicht verinnerlicht oder ignoriert. Die Ethik kann und darf nicht gegen die eigene Willensbestimmung des Menschen einen anderen Willen erzeugen, dies verstieße gegen dessen Freiheit.35 Die Ethik stellt keinen Katalog von moralischen Normen auf, der für alle Menschen gleichermaßen Gültigkeit besitzt. Ihre Aufgabe besteht darin, formale Normen zu begründen, welche als Grundlage zur eigenständigen kritischen Beurteilung des Menschen und seines Handelns, insbesondere im Hinblick auf die eigene Freiheit im Zusammenspiel mit der Freiheit anderer Menschen dienen sollen. Die Ethik wird fälschlicherweise oftmals mit moralischen Normen gleichgesetzt. Letztere definiert Pieper als „praktische Regeln der Selbstbeschränkung von Freiheit um der Freiheit anderer willen“.36 Jeder einzelne hat anhand der formalen Normen permanent danach zu streben, die gewünschte kritische Reflexion zu vollziehen. Die Hauptarbeit liegt beim Men- 34 Vgl. [Pieper 1994]; S.152. Vgl. [Pieper 1994]; S.153. 36 Vgl. [Pieper 1994]; S.153. 35 13 2. Grundlagen und Herleitung schen, die Ethik kann nur als Maßstab wirken.37 Die Ethik beansprucht nicht stellvertretend für die handelnden Individuen moralische Kompetenz und kann nicht als höhere oder gar höchste moralische Instanz fungieren. Im Ergebnis gibt sie also keinerlei Handlungsanweisungen, sondern fordert lediglich dazu auf, Normen zu problematisieren und selbst zu denken und zu entscheiden.38 Es wird deutlich, dass die Ethik den Menschen dazu aufruft, sich der Freiheit seines Handelns bewusst zu sein. Im gleichen Maße gibt die Ethik dem Menschen eine gewisse Hilfestellung bezüglich der Grenzen seiner Freiheit, die dann erreicht werden, wenn die persönliche Freiheit anderer durch Handlungen verletzt oder missachtet werden. Die Ethik versteht sich wie weiter oben erläutert als Leitfaden bewussten Handelns. Unethisches Handeln ist nicht als Versagen der Ethik zu interpretieren oder als Begründung für eine mangelnde Relevanz in der Praxis zu sehen. Der Träger einer Handlung ist stets eine Person.39 Demzufolge versagt nicht die Ethik, sondern die Person, sei es durch den Mangel an Reflexionsvermögen, Unwissenheit oder Vorsatz. 2.1.4 Universelle und partikulare Moralsysteme Im Hinblick auf die in der Historie und der Gegenwart angewandten Moralsysteme können universelle und partikulare unterschieden werden. Unter partikularen Moralsystemen versteht man solche, die lediglich auf bestimmte Bevölkerungsgruppen angewandt werden. Universelle Moralsysteme beinhalten den Anspruch, eine allgemeine Verbindlichkeit zu besitzen. Beispielhaft für ein partikulares Moralsystem wird in der Literatur regelmäßig die Gesellschaft der Eskimos angeführt, in welcher es moralisch legitimiert und letztlich Sitte ist, dass alte Menschen, die nicht mehr eigenständig in der Lage sind, ihren Arbeitsanteil für die Gesellschaft zu erbringen und sich zu versorgen, zu töten, um die 37 Vgl. [Pieper 1994]; S.153. Vgl. [Pieper 1994]; S.153. 39 Vgl. [Molitor 1989]; S. 9. 38 14 2. Grundlagen und Herleitung Gesellschaft nicht zusätzlich zu belasten.40 Weitere Beispiele moralischer Grundsätze in anderen Kulturen stellen die Rolle der Frau im Islam sowie die Polygamie dar, welche in unserer westlichen Kultur entweder gesetzlich ausgeschlossen oder aber gesellschaftlich nicht toleriert sind. An diesen Beispielen wird deutlich, dass partikulare Rechts- oder Moralsysteme stets eine Benachteiligung spezifischer Bevölkerungsanteile bedingen beziehungsweise in Kauf nehmen. Die Wahrscheinlichkeit der Herausbildung eines solchen Moralsystems ist in Ländern, die durch politische Instabilität gekennzeichnet sind – beispielsweise Diktaturen und Militärregierungen – als erheblich höher einzuschätzen als in gegenwärtigen westlichen Demokratien, wobei auch diese vor derartigen Entwicklungen aktiv geschützt werden müssen, wie der Blick auf die Diktatur der Nationalsozialisten im vergangenen Jahrhundert beweist. Es ist also zu festzuhalten, dass eine Vielzahl von verschiedenen Interpretationen der Moral existiert. Aufgrund dieser Tatsache sieht sich die Moral dem Vorwurf des Relativismus ausgesetzt, der beinhaltet, dass es unmöglich sei, allgemeingültige Normen zu formulieren, die gesellschaftsübergreifend Verbindlichkeit beanspruchen könnten. Begründet wird dieser Vorwurf damit, dass die Begriffe des „Guten“ und des „Bösen“ im Vergleich der Interpretation in verschiedenen Gesellschaften als relativ zu bezeichnen seien.41 Wie weiter oben ausgeführt wurde, sind die Ethik und mit ihr die Moral geprägt durch das Prinzip der Freiheit. Das menschliche Miteinander darf nicht als ein statischer Zustand, sondern muss vielmehr als ein in sich nie abgeschlossener Prozess betrachtet werden. Im Hinblick auf die Unterschiede der sozio-kulturellen Rahmenbedingungen, welche in den verschiedenen Gesellschaften vorherrschen, kann angenommen werden, dass in diesen auch unterschiedliche Ausprägungen des Freiheitsverständnisses vorzufinden sind. Gemein haben diese Ausprägungen, dass sie sich jedoch in gemeinsamen Basisnormen wie Gerechtigkeit und Humanität artikulieren.42 Als relativ ist nicht die Moral als solche zu bezeichnen. Vielmehr sind es die Basisnormen, deren Konkretisierung abhängig ist von der Anerkennung und ihrer 40 41 Vgl. [Pieper 1994]; S. 49. Vgl. [Pieper 1994]; S. 49. 15 2. Grundlagen und Herleitung Ausgestaltung durch die entsprechende Handlungsgemeinschaft. Diese leitet also Folgenormen aus den Basisnormen ab. Beim Vorwurf des Relativismus muss die Unterscheidung zwischen Basisnormen und Folgenormen beachtet werden. Moralische Normen und Werte können nach Herskovits als relativ bezeichnet werden, jedoch nur im Hinblick auf die Kultur, aus der sie stammen, nicht aber im Allgemeinen.43 Keine Form der Moral scheint den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben zu können, da die unterschiedlichen Ausprägungen sich immer auf eine bestimmte Gruppe beziehen, für deren Verständnis diese berechtigt erscheinen.44 Die Schlussfolgerung, Moral sei damit an sich als relativ zu betrachten, da moralisches Handeln als solches relativ sei, drängt sich allerdings auch nicht auf. Im Ergebnis würde dies bedeuten, dass jede Handlung, die einer Überlegung, welche unter moralischen Gesichtspunkten angestellt wird, entspringt, unabhängig davon, ob sie nach den geltenden Maßstäben als gut oder böse bezeichnet werden kann, gleichgesetzt würde. In einem konkreten Fall wäre die Lüge also wertmäßig mit der Wahrheit gleichzustellen. Wäre dem so, würde das Handeln die Moral und nicht wie angestrebt die Moral das Handeln bestimmen. 2.1.5 Entwicklung des Moralbewusstseins beim Individuum Der Mensch steht zu Beginn seines Lebens vor einer langen Entwicklungszeit. Eine erheblichen Zeitspanne davon ist er nicht in der Lage, seine Existenz eigenständig zu sichern und daher auf die Hilfe der Angehörigen angewiesen. Durch diese wird er in die Gegebenheiten seiner natürlichen und sozialen Umwelt eingeführt und diesen angepasst.45 Zu Beginn des Entwicklungsprozesses steht die Nachahmung von Handlungen, Gewohnheiten und Umgangsformen der Menschen, die das Individuum in dieser Phase begleiten und somit prägen. Weitere Faktoren dieser prägenden Frühphase sind die Sprache sowie Vorschriften und Gebote. Im Zuge dieser Sozialisation übernimmt der Mensch die typischerweise vorherrschenden Verhaltensmuster und die Wertvorstel- 42 Vgl. [Pieper 1994]; S. 49. Vgl. [Pieper 1994]; S. 50. 44 Vgl. [Pieper 1994]; S. 55. 45 Vgl. [Noll 2002]; S. 29. 43 16 2. Grundlagen und Herleitung lungen einer Gesellschaft und adaptiert deren Werte und Normen.46 Der Entwicklungsverlauf eines moralischen Bewusstseins lässt sich mit Hilfe des dreistufigen Modells von Lawrence Kohlberg darstellen.47 Zu Beachten ist, dass trotz der allgemein anerkannten Gültigkeit des Konzeptes des dargestellten Entwicklungsund Reifeprozesses Abweichungen im Hinblick auf die Geschwindigkeit der individuellen Entwicklung sowie den Endpunkt eben dieser Entwicklung auftreten können.48 Sowohl kulturelle als auch genetische Einflüsse kommen hierbei zum Tragen, durch die jeder Mensch eine spezifische gelebte Moralebene erwirbt. Abbildung 3: Stufen der Moralentwicklung nach Lawrence Kohlberg 49 Nach obenstehendem Modell lassen sich drei Ebenen der Moralentwicklung unterscheiden: In der präkonventionellen Phase werden dem Kind im Alltag Regeln und Gebote nahegebracht, die es zu akzeptieren und denen es zu gehorchen lernt. Im Kern stehen in dieser Lebensphase das Vermeiden von Strafe sowie die Schaffung von Nutzen durch die Befolgung der angebrachten Regeln. Dieser heteronome - also fremdbestimmte - Lernprozess ist streng 46 Vgl. [Noll 2002]; S. 30. Vgl. [Kohlberg 1974]; S. 59 f. 48 Vgl. [Noll 2002]; S. 30. 47 17 2. Grundlagen und Herleitung situationsbezogen. Das urteilende Kind wägt sein Handeln gegen die sich daraus ergebenden Folgen ab.50 Die konventionelle Phase ist die Ebene der autonomen Moral, die durch das Erkennen geprägt ist, dass Normen und Regelungen nicht einseitig seitens der Erwachsenen vorgegeben sind, sondern dem Zweck dienen, ein funktionierendes Zusammenleben erst zu ermöglichen. Mit dieser Erkenntnis beginnt das Streben des Heranwachsenden, den vorgelebten moralischen Normen des Umfeldes oder der Gesellschaft nachzueifern und diesen zu entsprechen. Der Urteilende orientiert sich dementsprechend an seinem Umfeld oder der Gesellschaft.51 Auf der postkonventionellen Ebene, also der eines mündigen Erwachsenen, haben die in der Kindheit erlernten Verhaltensweisen und Normen ihre absolute Gültigkeit verloren, da diese durch Reflexion und Abwägung in Frage gestellt werden. Die zu Vergleichen und zur Reflexion herangezogenen Beispiele werden im Normalfall selbst gewählt, da der Mensch auf dieser Ebene eine gewisse Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Erwartungen erreicht, die ihn dazu ermächtigt, die Gesellschaft und ihre Praktiken kritisch zu beurteilen.52 2.1.6 Entwicklung von Moralkonzepten Moralkonzeptionen entwickelten sich in der Gesellschaft historisch gesehen permanent und stufenweise. Ihren Ursprung fanden sie zum Beispiel in der religionsübergreifend formulierten „goldenen Regel“53 oder dem Gebot der christlichen Nächstenliebe. Normen und Institutionen können sich in modernen Gesellschaften ausschließlich durchsetzen, wenn sie durch die Zustimmung und die Akzeptanz der Betroffenen gestützt werden. In diesem Fall spricht man von einer Konsensethik. Ein Konsens kann auf unterschiedliche Weisen erzielt werden, beispielsweise im Dialog. Dementsprechend ist die Diskurs- oder Dialogethik von 49 Eigene Darstellung in Anlehnung an: [Noll 2002]; S. 31. Vgl. [Noll 2002]; S. 30. 51 Vgl. [Noll 2002]; S. 30. 52 Vgl. [Noll 2002]; S. 30. 53 Die Goldene Regel lautet: „Was Du nicht willst, dass man Dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu“, (Vgl. hierzu [Strombach 1992]; S. 185). 50 18 2. Grundlagen und Herleitung besonderer Relevanz.54 2.1.6.1 Adam Smith - „Der unparteiische Zuschauer“ In seinem Werk „Theorie der ethischen Gefühle“ unternahm der schottische Moralphilosoph Adam Smith den Versuch, allgemeingültige Verhaltensregeln für die Menschen aufzustellen. Bereits vor Smith versuchten verschiedene Philosophen wie beispielsweise Immanuel Kant und David Hume mit Hilfe von Untersuchungen der menschlichen Natur und des menschlichen Wirkens, das moralische Sollen begründen zu können. Hume kam zu dem Schluss, dass es aufgrund der unendlichen Vielfalt menschlicher Handlungsweisen nicht möglich sei, allgemein gültige Prinzipien zu ergründen und entsprechende Gesetze zu formulieren, da diese nur im Modelldenken und einer damit verbundenen Vereinfachung des komplexen menschlichen Verstandes erarbeitet werden könnten und somit nur begrenzte Gültigkeit besäßen.55 Kant hingegen war davon überzeugt, dass eine allgemeine Moral philosophisch begründbar sei, wenn nur die Vorgehensweise von ihrer empirischen Prägung gelöst und eher formal und apriorisch gestaltet werden könne. Adam Smith untersuchte die menschliche Natur, da er eben in der von David Hume als Kritikpunkt angebrachten Handlungsvielfalt Gesetzmäßigkeiten zu entdecken hoffte, die sich dazu anböten, normative Gesetze menschlichen Handelns zu formulieren. In einem zweiten Schritt wollte Smith dann die entwickelten Gesetzmäßigkeiten dazu nutzen, menschliches Verhalten zu beurteilen, da diese erarbeiteten Grundgesetze nach Smith’s Verständnis der menschlichen Natur entsprachen. Das zu beurteilende Verhalten der Menschen würde diesen dann entweder genügen oder widersprechen.56 Der Bezug bei der Herleitung dieser Gesetzmäßigkeiten auf den Menschen war für Smith absolut notwendig, da er der Auffassung war, dass moralische Gesetze ihren Ursprung im Menschen haben müssten und nicht etwa im göttlichen Wirken.57 Abweichend von der utilitaristischen Schule, die moralisches Handeln letztlich als 54 Vgl. [Noll 2002]; S. 26. Vgl. [Hume 1964]; S. 15. 56 Vgl. [Trapp 1987]; S. 36. 57 Vgl. [Trapp 1987]; S. 36. 55 19 2. Grundlagen und Herleitung Mittel zur Legitimierung eigennütziger Zwecke interpretierte, vertrat Adam Smith die Ansicht, der Mensch sei auch unabhängig von Berechnung und Besinnung auf den eigenen Vorteil zu moralischem Handeln fähig. Darüber hinaus sei der Mensch nach Smith nicht nur dazu in der Lage, sondern vielmehr dazu verpflichtet, sich selbst und sein Handeln im Hinblick auf Tugendhaftigkeit und Menschlichkeit zu hinterfragen, da dies die Eigenschaften seien, welche der Mensch erfüllen müsse, wollte er seine Forderungen an sich selbst, nämlich die, ein vernunftorientiertes Wesen zu sein, erfüllen.58 Das von ihm gesuchte Grundgesetz der Moral verstand Adam Smith als ein angemessenes menschliches Handeln, welches sich an der jeweiligen Situation und den Gegenständen, mit denen es sich befasst, orientiert.59 Er verwerte sich gegen die Ansicht, moralische Regeln könnten aus dem Verstand - also auf theoretischer Basis - gewonnen werden. Laut Smith sei die einzig mögliche Basis der Praxisbezug menschlichen Handelns und Urteilens. Die Moralphilosophie beginnt für ihn mit dem praktischen Verhältnis zwischen den Mensch und der Welt, in der sie leben. 60 Dazu gehört dementsprechend die Selbstbeurteilung des Verhaltens des Individuums dahingehend, ob dieses als gesellschaftstauglich angesehen werden kann. Das Mittel dies zu bestimmen ist für Smith die Beobachtung nicht nur des eigenen Verhaltens, sondern auch das der Mitmenschen. Im Bewusstsein, dass Urteile durch verschiedene Faktoren, wie beispielsweise individuelle Interessen, verzerrt werden können und daher nicht unbedingt als objektiv gelten können, schuf Smith einen unparteiischen Beobachter, der im Gegensatz zu den wirklichen Beobachtern, die dem Umfeld des Menschen entspringen, frei von Einflüssen, richtergleich den moralischen Wert einer Handlung beurteilt, unabhängig davon, welche Bewertung diese Handlung im gesellschaftlichen Verkehr erfährt. 61 Der unparteiische Beobachter ist keine reale Person, sondern eine abstrakte und idealisierte, jedoch nicht übermenschliche, Instanz, welche aber dennoch nicht unabhängig vom menschlichen Leben und den entsprechenden Moralvorstellungen definiert werden kann, da nach Adam Smith - wie weiter oben ausgeführt - die Mora58 Vgl. [Trapp 1987]; S. 37. Vgl. [Smith 1985]; S. 17. 60 Vgl. [Smith 1985]; S. 533. 61 Vgl. [Trapp 1987]; S. 83. 59 20 2. Grundlagen und Herleitung lität in der Beschaffenheit des wirklichen Menschen begründet liegen muss.62 „Wir bemühen uns, unser Verhalten so zu prüfen, wie es unserer Ansicht nach irgendein anderer gerechter und unparteiischer Zuschauer prüfen würde.”63 Smith’s unparteiischer Beobachter formuliert keinen Moralkodex und schreibt keinerlei Handlungsweisen vor. Er dient dem Menschen als innerer Richter bei Auseinandersetzungen mit sich selbst unter Zuhilfenahme der Urteile anderer. Diese geben den Anstoß dazu, sich mit den eigenen Wünschen und möglicherweise daraus entspringenden Handlungen kritisch auseinander zu setzen, wobei das Urteil anderer nicht als letzte Instanz moralischer Fragen verstanden werden sollte.64 Nach Smith lässt sich der Mensch mit dem Zweck, sich als gesellschaftliches Wesen zu bewähren, auf einen Prozess der Auseinandersetzung mit sich selbst ein. 2.1.6.2 Immanuel Kant - „Der kategorische Imperativ“ Anders als Adam Smith setzte der deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724 – 1804) bei der Bewertung der Handlungen nach ihrer Moralität auf den Menschen selbst. Smith implementierte – wenn auch auf streng rationale Art und Weise – den unparteiischen Zuschauer als unabhängige Instanz zur Selbstkontrolle des eigenen Handelns, während Kant seine Ansichten tugendhaften Handelns derart formulierte, dass in einem weitergehenden Schritt, die Selbstverantwortung des Individuums zum Tragen käme. Den Schwerpunkt von Kants Moralvorstellungen bildete somit das liberale, selbstverantwortliche Denken. Schon Adam Smith galt als Vertreter des Liberalismus, Kant formulierte dieses Gedankengut allerdings weitaus präziser. Kant sprach als naturwissenschaftlich geprägter Philosoph übergeordneten Größen wie der Religion die Fähigkeit zur Bildung für den Menschen geeigneter moralischer Normen ab. Auch die empirische Praxis erschien ihm nicht als adäquater Ansatz- punkt. Allein die Vernunft erschien ihm als geeignet, universelle Sollenssätze formulieren zu können. Der kantische Formalismus stellt sich als Mischsystem mit objektiven und subjektiven Elementen dar. Während das Sittengesetz absolute Gül62 Vgl. [Trapp 1987]; S. 84. Vgl. [Smith 1985]; S. 167. 64 Vgl. [Trapp 1987]; S. 95. 63 21 2. Grundlagen und Herleitung tigkeit besitzt, also objektiv geprägt ist, stellt der „gute Wille“, der noch genauer niert wird, eine subjektive Komponente dar.65 Kant definierte den Menschen als eine Art Zwitterwesen, welches einerseits durch Vernunft und rationales Denken, andererseits auch durch Sinnlichkeit geprägt ist. Allerdings setzte er voraus, dass der Mensch als intelligibles Wesen in der Lage sei, unabhängig von sinnlichen und triebhaften Einflüssen des Selbst, also unter streng rationalen Gesichtspunkten, zu denken und Entscheidungen zu treffen. In seinen Schriften „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ (1785) und „Kritik der praktischen Vernunft“ (1788) stellte Kant sein ethisches System ausführlich dar. Als höchste und letzte Autorität der Moral definierte Kant die menschliche Vernunft. Der Mensch trägt nach kantischem Gedankengut den Maßstab der Sittlichkeit in sich, und da der Mensch in der Lage ist, vernunftorientiert Entscheidungen zu treffen, kann sich dem Menschen durch die Auseinandersetzung mit der jeweiligen Frage - „Was soll ich tun?“ - sittliches Verhalten auf Basis der Vernunft erschließen. Einen weiteren Parameter in der kantischen Ethik stellt die Freiheit des Willens dar (Prinzip der Freiheit), welche aussagt, dass der Mensch autonom ist, die Entscheidungen also im Subjekt selbst liegen.66 Diese Autonomie des Willens ist für Kant gleichzeitig die Vorraussetzung für die Vernunft.67 Als einziges uneingeschränktes moralisches Gut, wenn auch nicht als einziges moralisches Gut, gilt der gute Wille. Die strikte Unterscheidung Kants bezieht sich darauf, dass Glück, Tugenden und menschliche Neigungen in ungünstigen Fällen moralisch fragwürdig erscheinen können, der gute Wille an sich jedoch stets als moralisch gut anzusehen sei. Dieser Formulierung muss vorangestellt werden, dass Kant unter dem Begriff des Willens nicht den bloßen Wunsch oder die bloße gute Absicht einer Handlung verstand. Vielmehr definierte Kant den guten Willen als eine sorgfältig entwickelte Intention eines rein vernünftigen und verantwortungsvollen Wesens.68 65 Vgl. [Strombach 1992]; S. 185. Vgl. hierzu Kapitel 2.1.3.1 67 Vgl. Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA 4, S. 452, In: [Kraft/Schönecker 1999]; S. 82. 68 Vgl Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA 4, S. 452, In: [Kraft/Schönecker 1999]; S. 12. 66 22 2. Grundlagen und Herleitung „Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.“69 Die Bewertung von Handlungen oder deren Folgen erfolgt bei Kant ebenfalls auf Basis des guten Willens. So sind die möglicherweise negativen Folgen einer Handlung für die moralische Bewertung der Person oder ihrer Handlung nicht relevant, sofern dieser eine sorgfältige - wie weiter oben dargestellte - Entwicklung einer Handlungsintention vorausgeht und die Umstände, welche die negativen Folgen bedingen, nicht von der handelnden Person zu verantworten sind.70 Dem von der Sinnlichkeit beeinflussten oder geleiteten Menschen bliebe der gute Wille im kantischen Sinne demnach verschlossen, da er sich diesem lediglich annähern könnte. Als Vernunftwesen kann der Mensch einen guten Willen haben, als Sinneswesen besitzt er jedoch auch Neigungen und Begierden, welche Widerstände erzeugen können, die beim Handeln aus gutem Willen zu überwinden sind. Nach Kants Ausführungen kommt das rein vernunftorientierte Wesen aus sich selbst und aus innerer Überzeugung dazu, Gutes zu tun. Für Wesen jedoch, die ihre Sinnlichkeit überwinden müssen, sind moralische Imperative in Form von Pflichten erforderlich. Kant formulierte zwei Arten von Bestimmungsgründen des Willens, den hypothetischen oder bedingten Imperativ und den kategorischen Imperativ. Ersterer erwächst aus einer subjektiven Neigung und verfolgt ein bestimmtes ebenso subjektives Ziel, während der kategorische Imperativ Handlungen objektiven und allgemeingültigen Gesetzen unterwirft. Der kategorische Imperativ wird von Kant auch als Grundlage der Sittlichkeit oder als Sittengesetz bezeichnet und besitzt unbedingt und unabhängig von individuellen Wünschen und Bedürfnissen Gültigkeit. 69 70 Vgl. Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA 4, S. 452, In: [Kraft/Schönecker 1999]; S. 11. Vgl. Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA 4, S. 452, In: [Kraft/Schönecker 1999]; S. 18. 23 2. Grundlagen und Herleitung Abbildung 4: Der Vernunftbegriff bei Kant 71 Kant formulierte den kategorischen Imperativ als Instrument, mit dessen Hilfe ein jeder Mensch seine Handlungen moralisch beurteilen kann. Ausgehend von folgender Grundformel wird der kategorische Imperativ durch drei weitere Formeln erläutert. „Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger, und zwar dieser: handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, das sie ein allgemeines Gesetz werde.“72 Die Naturgesetzformel: „Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte.“73 Die Formel von Menschen als Zweck: „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“74 71 Eigene Darstellung in Anlehnung an: [Störig 1992]; S. 409. Vgl. Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA 4, S. 452, In: [Kraft/Schönecker 1999]; S. 45. 73 Vgl. Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA 4, S. 452, In: [Kraft/Schönecker 1999]; S. 45. 74 Vgl. Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA 4, S. 452, In: [Kraft/Schönecker 1999]; S. 54. 72 24 2. Grundlagen und Herleitung Die Autonomieformel: (Es ist) „keine Handlung nach einer anderen Maxime zu tun, als so,(...) dass der Wille durch seine Maxime sich selbst zugleich als allgemein gesetzgebend betrachten könne.“75 In der praktischen Anwendung der kantischen Ethik muss die Maxime 76 eines Menschen in sich widerspruchsfrei sein und mit seinem tatsächlichen Willen übereinstimmen. Kants Ethik kann also im Gegensatz zu Aristoteles’ Tugendethik als eine Pflichtethik interpretiert werden. 2.1.6.3 Jeremy Bentham & John Stuart Mill – „Der Utilitarismus“ Der Utilitarismus – abgeleitet aus dem Lateinischen „utilitas“ (Nutzen) – wird auch als „Nutzenprinzip“ oder als „Prinzip der Nützlichkeit“ bezeichnet. 1789 veröffentlichte der englische Philosoph und Jurist Jeremy Bentham sein Werk „Eine Einführung in die Prinzipien der Moral und der Gesetzgebung“. Ähnlich wie Adam Smith sah Bentham keinen Widerspruch zwischen dem persönlichen und dem allgemeinen Wohlergehen. Das Streben des Einzelnen nach dem persönlichen Vorteil stellte für beide ein Mittel dar, das allgemeine Wohlergehen zu fördern. Gemein haben beide Philosophen, dass sie die Ansicht vertraten, dass der Einzelne am ehesten beurteilen könne, was für ihn am besten sei. Benthams Ethik des Utilitarismus kann mit folgender Aussage dargestellt werden: “Man kann also von einer Handlung sagen, sie entspreche dem Prinzip der Nützlichkeit (...), wenn die ihr innewohnende Tendenz, das Glück der Gemeinschaft zu vermehren, größer ist als irgendeine ihr innewohnende Tendenz, es zu vermindern.“77 75 Vgl. Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA 4, S. 452, In: [Kraft/Schönecker 1999]; S. 61. 76 Maximen stellen für Kant subjektive praktische Grundsätze dar, welche anders als praktische Gesetze lediglich das Handeln desjenigen berühren, der sich die Maxime gibt. Sie sind zur Regel gemachte Handlungsabsichten, welche wiederum mehrere Handlungsregeln bedingen können. In der Literatur besteht ein Auslegungsstreit über die Allgemeinheit von Maximen nach Kants Verständnis. 77 Vgl. Bentham, Jeremy, in: [Höffe 1992]; S. 57. 25 2. Grundlagen und Herleitung Laut Jeremy entham spielen Freude und Leid als Konstante der menschlichen Natur eine entscheidende Rolle. Darüber hinaus vertrat er die Ansicht, Freude und Leid - in all ihren unterschiedlichen Ausprägungen - gegeneinander aufrechnen und daraus eine Gesamtbilanz menschlichen Glückes ableiten zu können. Für die notwendige Quantifizierung dieser abstrakten Begriffe legte Bentham Kriterien fest, welche er als Umstände bezeichnete und die als Bemessungsgrundlage des Wertes einer Freude oder eines Leids fungierten: die Intensität, die Dauer, die Gewissheit oder Ungewissheit, die Nähe oder Ferne, die Folgenträchtigkeit und die Reinheit der Freude oder des Leids.78 Als Grundlage für die Sittlichkeit sah er das menschliche Streben nach Glück an. Der angestrebte Nutzen, der von Bentham mit Lust gleichgesetzt wurde, konnte seiner Ansicht nach anhand der oben genannten Kriterien, erweitert um die Anzahl der beteiligten Personen, bemessen werden. In dem oben zitierten Ansatz sah Jeremy Bentham eine rationale und praktische Orientierungshilfe, welche es dem vernunftbegabten Individuum ermöglichen sollte, seine Handlungen im Zuge eines moralischen Kalküls zu überdenken und die durch Egoismus geprägte kurzfristige Lust dem langfristigen Gesamtnutzen gegenüber abzuwägen. Kritisiert wurde dieser Ansatz der utilitaristischen Ethik nach Bentham oftmals dahingehend, dass aufgrund der Nutzenabwägung des Einzelnen gegenüber einem Gesamtnutzen ein gemeinhin als unmoralisch angesehenes Handeln als moralisch gelten könne, wenn sich denn die Rahmenbedingungen entsprechend darstellen würden. Als Beispiel wird in diesem Zusammenhang die Folter eines Einzelnen zum Zwecke der Informationsgewinnung herangezogen, welche im Ergebnis zum Wohle der Gesellschaft führen könnte. Nach der Argumentation Benthams hätte die gesamtgesellschaftliche Menge an Glück Vorrang vor dem Leid des Einzelnen. Für den juristisch geschulten Bentham selbst stellte die Gesetzgebung den Rahmen dar, welcher den Umgang miteinander regeln und die Grenzen der Entfaltung der Persönlichkeit sowie der Persönlichkeitsrechte abstecken sollte. Der Utilitarismus wurde Jahre später ausgebaut und überarbeitet. Sein berühmtester Vertreter fand sich in dem englischen Philosophen und Ökonomen John Stuart Mill. In seinem 1861 als Artikelserie im Frazer’s Magazine veröffentlichten und 1863 als eigenständiges Buch erschienenen Werk „Der Utilitarismus“ wurden die Unterschie78 Vgl. Bentham, Jeremy, in: [Höffe 1992]; S. 79. 26 2. Grundlagen und Herleitung de in der Sichtweise Mills und Benthams anhand einiger Modifikationen der tischen Ethik seitens Mills deutlich. „Die Auffassung, für die die Nützlichkeit oder das Prinzip des größten Glücks die Grundlage der Moral ist, besagt, dass Handlungen insoweit und in dem Maße moralisch richtig sind, als sie die Tendenz haben, Glück zu befördern, und insoweit moralisch falsch, als sie die Tendenz haben, das Gegenteil von Glück zu bewirken. Unter >Glück< (happiness) ist dabei Lust (pleasure) und das Freisein von Unlust (pain), unter >Unglück< (unhappiness) Unlust und das Fehlen von Lust verstanden”79 Während Benthams Modell eine Quantifizierung der Lust beziehungsweise der Unlust vorsah, stellte Mill die Freiheit der persönlichen Entfaltung des Menschen als dessen wahres Glück in den Mittelpunkt seiner Überlegungen, regte also einen Übergang vom rein quantitativen Utilitarismus zu einer qualitativeren Form an.80 Einig waren sich beide Denker darin, dass das übergeordnete Ziel sittlichen Handelns, das Erreichen größtmöglichen Glücks aller sein müsse. Jedoch setzte Mill bei seinen Überlegungen zur Ethik als Bedingung, dass diese einen befriedigenden Ausgleich zwischen Individuum und der Gesellschaft gewährleisten müsse. Anders als Jeremy Bentham, welcher das menschliche Streben nach Lust (pleasure) als einen zentralen Ansatzpunkt seiner Überlegungen ansah, wobei der Lustbegriff bei Bentham mit Sinnlichkeit und physischer Lust gleichzusetzen war, definierte Mill den Lustbegriff als geistige Erfüllung oder Glück (happiness). Demzufolge hatte der Lustbegriff nach Mill zwei Dimensionen, eine physische und schlichte, die in seinem Werk mit dem Glücksstreben eines Schweins oder eines Narren dargestellt wird, und eine, welche das Streben nach einer höheren Entwicklungsstufe oder einer geistigen Reife beinhaltet.81 Mills Argumentation ging dahin, dass selbst eine geringe geistige Freude einem größeren physischen Lustempfinden vorzuziehen sei.82 79 Vgl. [Mill 1976]; S.13. Vgl. [Mill 1976]; S.15. 81 Vgl. [Mill 1976]; S.14. 82 Vgl. [Mill 1976]; S.14. 80 27 2. Grundlagen und Herleitung „Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein als ein zufriedenes Schwein; besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr. Und wenn der Narr oder das Schwein anderer Ansicht sind, dann deshalb, weil sie nur die eine Seite der Angelegenheit kennen. Die andere Partei hingegen kennt beide Seiten.“83 Betrachtet man das recht radikale Moralverständnis von Bentham, nach dem das gerecht ist, was nützlich ist, so wird deutlich, dass seiner Ansicht nach stets das quantitativ größere Glück dem quantitativ kleineren Glück der einzelnen Person vorzuziehen ist, worauf auch die Kritik anhand des Folterbeispieles Bezug nimmt. Im Mittelpunkt der Überlegungen John Stuart Mills stehen der Mensch als solcher und seine Handlungen, wobei auch Mill als Norm des Utilitarismus „nicht das größte Glück des Handelnden selbst, sondern das größte Glück insgesamt“ ansieht.84 Nach Mill kann der Utilitarismus seine Ziele lediglich durch „die allgemeine Ausbildung und Pflege eines edlen Charakters erreichen“.85 Dies ist in diesem Zusammenhang zwingend notwendig, damit der Mensch in die Lage versetzt wird, abwägen zu können, ob eine Verringerung des persönlichen Glücks zu einer Mehrung allgemeinen Glücks führen könnte und in diesem Falle dementsprechend zu handeln. Die Grenzen zwischen beiden Ansätzen sind fließend. Mill erweiterte Benthams Utilitarismus in Bezug auf die Lust unter rein quantitativen Gesichtspunkten um qualitative Kriterien. Ein weiterer Punkt, in dem sich Mill und Bentham unterscheiden, ist die Motivation der Menschen, die im utilitaristischen Sinne richtigen und damit moralischen Entscheidungen zu treffen. Während Bentham davon ausging, dass mögliche Sanktionen seitens der Staatsgewalt und Missbilligung der Gesellschaft ausschlaggebend seien, da diese den Menschen motivierten, aus egoistischen Motiven – eben aus Furcht vor Sanktionen - im Sinne der Gesellschaft zu handeln, sah Mill die Gewissenhaftigkeit und das Pflichtgefühl als entscheidendes Kriterium an. Kritisch ist zum Utilitarismus zu bemerken, dass er Konflikte mit allgemeinen Ethikund Moralvorstellungen hervorrufen kann, wie beispielsweise das ThomsonParadoxon aufzeigt.86 Zudem tritt bei der Verteilung des Glückes auf die Menschen, bei der allen die selbe Menge an Nutzen entstehen soll, das Problem auf, dass we83 Vgl. [Mill 1976]; S.14. Vgl. [Mill 1976]; S.20. 85 Vgl. [Mill 1976]; S.21. 86 Vgl. hierzu Anhang V 84 28 2. Grundlagen und Herleitung der die Präferenzen, noch der Nutzen für den Einzelnen messbar sind. Um die unterschiedlichen Moralkonzepte und deren Bedeutung korrekt zu erfassen, sollten diese vor dem Hintergrund ihrer Zeit betrachtet werden. Die untenstehende Abbildung 5 soll dies veranschaulichen. Abbildung 5: Zeitskala zum Utilitarismus 87 87 Vgl. http://theologie.uni-hd.de/epg/Brunn/ZeitskalaUtilitarismus.gif, Stand: 23.05.2006 29 2. Grundlagen und Herleitung 2.2 Ökonomische Modelle Im Mittelpunkt der im Folgenden vorgestellten ökonomischen Modelle, beziehungsweise der volkswirtschaftlichen Thesen, auf denen diese fußen, steht primär die ungleiche Güter- und Vermögensverteilung in der Gesellschaft. Grundsätzlich wird von einer Knappheit der Güter ausgegangen, da diese gegeben sein muss, da andernfalls die ungerechte Verteilung von Gütern und Vermögen keinerlei Problem im volkswirtschaftlichen Sinne darstellen würde.88 Im nachfolgenden Kapitel soll versucht werden, die weiter oben dargestellten Moralkonzepte mit Modellen der Ökonomie in Zusammenhang zu bringen. 2.2.1 Die Klassik - Adam Smith’s „unsichtbare Hand“ Die für die Gesellschaft mittlerweile als selbstverständlich angesehene Marktwirtschaft verdankt ihre Entstehung und Durchsetzung der Theorie des Ökonomen Adam Smith. Im Jahre 1776 legte dieser mit seinem Klassiker „Der Wohlstand der Nationen“ den Grundstein der klassischen Nationalökonomie. Smith’s Idee der effizienten freien Märkte stellte in einer Zeit, in der absolutistische Nationalstaaten bemüht waren, die Edelmetallvorräte der Welt zu vereinnahmen und mit Hilfe einer dirigistischen Exportpolitik den eigenen Reichtum zu mehren, geradezu revolutionäres Gedankengut und rückblickend einen Meilenstein in der Analyse des Handels dar. Smith vertrat die Ansicht, der Markt benötige keinerlei regulative Instanzen. Das freie Spiel von Angebot und Nachfrage sei in der Lage, Ungleichheiten effizienter auszugleichen, als es der Staat durch Intervention vermöge. Dieser solle sich laut Smith darauf beschränken, für bestimmte öffentliche Güter sowie einen Ordnungsrahmen zu sorgen. Mit dieser Forderung sowie seiner Arbeitswertlehre, nach der sich der Wert einer Ware nach der dafür aufgewandten Arbeit bemisst, stellte sich Smith recht offen gegen die Einmischungspolitik des seinerzeit vorherrschenden Merkantilismus.89 88 89 Vgl. [Mankiw 2001]; S. 62. Vgl. [Smith 2005]; S. 33 - 50. 30 2. Grundlagen und Herleitung Begründet wurde seine These damit, dass die Marktteilnehmer stets ihrem Eigeninteresse folgten und die in der Literatur oft zitierte „unsichtbare Hand“ dieses Eigeninteresses zu einer Förderung des allgemeinen Wohles führe. 90 Smith gilt als Wegbereiter für die ökonomische Lehre des Liberalismus, also des Laissez- faire. Diese geht davon aus, dass Privateigentum und freie Konkurrenz auf dem Markt dem Menschen angemessen sind und zur bestmöglichen Versorgung mit wirtschaftlichen Gütern führen. Adam Smith gilt als der Begründer der modernen Volkswirtschaftslehre.91 Sein Wirken inspirierte in den vergangenen zwei Jahrhunderten die Arbeit nahezu jedes Ökonomen der klassischen (David Ricardo und John Stuart Mill) sowie der neoklassischen Nationalökonomie (Vilfredo Pareto), was um so faszinierender erscheint, wenn man berücksichtigt, dass Smith ursprünglich in der Disziplin der Moralphilosophie beheimatet war. Seine Veröffentlichungen in diesem Bereich, wie die in Kapitel 2.1.6.1 vorgestellte „Theorie der ethischen Gefühle“ wurden oftmals als widersprüchlich zum „Reichtum der Nationen“ angesehen und werden es noch. 2.2.2 Die utilitaristische Wohlfahrtskonzeption Unter dem Begriff des Utilitarismus versteht man eine politisch geprägte Philosophie, die darauf aufbaut, dass der Staat mit Hilfe spezifischer Maßnahmen regulierend eingreift, um den Gesamtnutzen aller Mitglieder einer Gesellschaft zu maximieren. 92 Wie in Kapitel 2.1.6.3 dargestellt wurde, geht die populäre Denkschule der politischen Philosophie auf das Wirken der englischen Philosophen Jeremy Bentham und John Stuart Mill zurück. Zentraler Ansatzpunkt des Utilitarismus ist der Nutzenbegriff. Allerdings existieren unterschiedliche Interpretationen des Nutzenbegriffs. Bentham definierte den Begriff des Nutzens als Glück und Glückseeligkeit (pleasure), während Mill ihn eher als Lust, Erkenntnis oder Liebe interpretierte.93 Die Utilitaristen verstehen den Nutzen als Wohlfahrtsmaß, welchem in diesem Zusammenhang eine überragende Bedeutung 90 Vgl. [Smith 2005]; S. 58 – 67. Vgl. [Mankiw 2001]; S. 62. 92 Vgl. [Mankiw 2001]; S. 465. 93 Vgl. [Gabler Wirtschaftslexikon 2000]; S. 3206. 91 31 2. Grundlagen und Herleitung zugesprochen wird, da er das oberste Ziel allen staatlichen und privaten Handelns darstellt.94 Um nun ein Höchstmaß an gesellschaftlichen beziehungsweise volkswirtschaftlichen Nutzens erreichen zu können, wird die Einkommensverteilung in diesem Sinne entsprechend instrumentalisiert. In der utilitaristischen Konzeption wird die Wohlfahrt einer Gesellschaft als Summe der in Nutzeneinheiten ausgedrückten Wohlfahrten ihrer einzelnen Mitglieder verstanden.95 Die Annahme des abnehmenden Grenznutzens impliziert, dass eine geringfügige Einkommensminderung eines Wirtschaftssubjekts mit hohem Einkommen und der anschließende Transfer des Differenzwertes an ein Wirtschaftssubjekt mit niedrigerem Einkommen, letzterem einen größeren Nutzen stiftet, als es bei dem ersten Wirtschaftssubjekt der Fall gewesen wäre, wäre sein Einkommen nicht gemindert worden. Der Grenznutzen des ersten Wirtschaftssubjekts sinkt also in einem geringeren Maße, als der Nutzen des zweiten Wirtschaftssubjekts steigt. Durch eine derartige Einkommensverteilung wird entsprechend der Gesamtnutzen erhöht, was der Zielsetzung der Utilitaristen entspricht.96 Um nun die angestrebte Einkommensumverteilung gewährleisten zu können, stehen dem Staat verschiedene Modellkonzeptionen zur Verfügung, wobei stets auch beachtet werden muss, den Wirtschaftssubjekten ausreichend Leistungsanreize zu bieten. Wenn höheren Erträgen des Steuerzahlers eine entsprechend höhere Einkommensteuer oder aber verminderte Transferzahlungen gegenüberstehen, so kann unter Umständen der Anreiz des Wirtschaftssubjektes sinken, hart zu arbeiten. Als Folge sinkt dann das volkswirtschaftliche Gesamteinkommen der Gesellschaft und somit der Gesamtnutzen. Damit der Anreiz zur Arbeit erhalten bleibt, ist davon Abstand zu nehmen, eine vollkommene Gleichheit der Einkommen zu schaffen.97 Gängige Möglichkeiten, in diesem Sinne zu verfahren, stellen die progressive Besteuerung des Einkommens, bei der einkommensstarke Haushalte einen höheren Prozentsatz ihres Einkommens an Steuern zahlen als einkommensschwache Haushalte, sowie der Ausgleich durch Sozialleistungen dar. Die Anwendung einer 94 Vgl. [Mankiw 2001]; S. 465. Vgl. [Gabler Wirtschaftslexikon 2000]; S. 3206. 96 Vgl. [Mankiw 2001]; S. 465. 97 Vgl. [Mankiw 2001]; S. 466. 95 32 2. Grundlagen und Herleitung negativen Einkommensteuer berücksichtigt bei der Besteuerung besonders die einkommensschwächeren Haushalte in dem Sinne, dass das Existenzminimum nicht nur von der Besteuerung befreit ist, sondern ebenfalls, dass bei Unterschreitungen einer definierten Grenze die entsprechende Differenz durch staatliche Transferzahlungen ausgeglichen wird.98 Dieser sicherlich recht soziale Ansatz birgt allerdings das Risiko, dass wiederum der Anreiz zur Arbeit nicht eben erhöht wird. 2.2.3 Der egalitäre Liberalismus Der Philosoph John Rawls befasste sich ebenso wie die Vertreter des Utilitarismus mit dem Problem der ungleichen Verteilung. In seinem 1971 veröffentlichtem Buch „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ stellte er seine Betrachtungsweise dieses Problems dar, welche als egalitärer Liberalismus bezeichnet wird. Da Rawls die Ansicht vertrat, dass gesetzliche Regelungen und politische Maßnahmen innerhalb einer Gesellschaft gerecht sein sollten, regte er an, den Begriff der Gerechtigkeit zu überdenken.99 Davon ausgehend, dass ein jeder Standpunkt zu dieser Fragestellung von der persönlichen Situation des jeweiligen Mitgliedes der Gesellschaft abhänge, kam er zu dem Schluss, dass bei der Verteilung des gesellschaftlichen Vermögens das einkommensbezogen schwächste Mitglied der Gesellschaft als Richtgröße fungieren müsse. „Es ist vielleicht zweckmäßig, aber nicht gerecht, dass einige weniger haben, damit es anderen besser geht. Es ist aber nichts Ungerechtes an den größeren Vorteilen weniger, falls es dadurch auch den nicht so Begünstigten besser geht.“100 Um seine These zu verdeutlichen, wies er darauf hin, dass es unbestimmbar sei, in welches soziale Umfeld ein Mensch hineingeboren würde. Vereinfacht formuliert animierte Rawls zu einem gedanklichen Rollentausch, der dazu führen sollte, dass Maßnahmen verabschiedet würden, die auch ein Mensch als gerecht ansehen würde, der nicht an der einkommensbezogenen Spitze der Gesellschaft beheimatet 98 Vgl. [Mankiw 2001]; S. 472. Vgl. [Rawls 1991]; S. 23 – 27. 100 Vgl. [Rawls 1991]; S. 32. 99 33 2. Grundlagen und Herleitung ist.101 Da in dieser angenommenen Situation alle Individuen gleichgestellt wären, könnten ohne Einwirkung gesellschaftlicher Einflüsse Grundsätze verabschiedet werden, welche den Begriff der Gerechtigkeit im Sinne der Fairness interpretieren würden, da diese hinter einem „Schleier des Nichtwissens“ festgelegt würden.102 Diese „Gerechtigkeit der Fairness“ fußt auf dem von Rawls als Urzustand bezeichneten und weiter oben dargestellten gedanklichen Rollentausch. Das Nutzenprinzip des Utilitarismus wird von Rawls in Frage gestellt, da er einerseits den Menschen für wenig geneigt hält, die eigenen Grundrechte und Interessen stets hinter den Interessen der Gesellschaft zurückzustellen103 und andererseits dem Utilitarismus vorwirft, die Verschiedenheit der einzelnen Menschen nicht ernst zu nehmen.104 Darüber hinaus vertritt er die Ansicht, dass die Unverletzlichkeit des Menschen auch nicht zum Wohle der ganzen Gesellschaft aufgehoben werden könne.105 Die Gestaltung staatlicher Maßnahmen zielt also anders als im Utilitarismus nicht darauf ab, den Nutzen aller Mitglieder einer Gesellschaft zu maximieren, sondern darauf, jenen der am schlechtesten gestellten Personen unter Gerechtigkeitsaspekten zu erhöhen.106 Rawls’ Ansatz des Maximin-Kriteriums beabsichtigte keine vollständige Gleichverteilung des Einkommens, da dies fast zwangsläufig den Arbeitsanreiz in Frage stellen würde. In der Folge würde das Gesamteinkommen einer Volkswirtschaft merklich sinken, was wiederum dazu führen würde, dass sich die Einkommenssituation der am schlechtesten gestellten Menschen der Gesellschaft zusätzlich verschlechtern würde. Die Rawlsche Wohlfahrtsfunktion als formale Darstellung des Rawlschen Maximin-Kriteriums steht also im direkten Gegensatz zur Darstellung des ParetoOptimums.107 Letzterer kam zu dem Schluss, dass es nicht möglich sei, ein Wirtschaftssubjekt besser zu stellen, ohne dass gleichzeitig ein anderes schlechter gestellt würde. 101 Vgl. [Rawls 1991]; S. 28 – 29. Vgl. [Rawls 1991]; S. 29. 103 Vgl. [Rawls 1991]; S. 31. 104 Vgl. [Rawls 1991]; S. 45. 105 Vgl. [Rawls 1991]; S. 19. 106 Vgl. [Mankiw 2001]; S. 467. 107 Vgl. [Gabler Volkswirtschaftslexikon 1997]; S. 910. 102 34 2. Grundlagen und Herleitung 2.2.4 Die Soziale Marktwirtschaft Das System der Sozialen Marktwirtschaft, das Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht wurde, bedient sich verschiedener Elemente der liberalen sowie der utilitaristischen Wirtschaftstheorie. Sie erfüllt die Forderung nach Gewährleistung einer funktionsfähigen Wettbewerbsordnung, ergänzt jedoch den staatlichen Wirkungsbereich um sozialpolitische Ziele. Im Mittelpunkt stehen allerdings weniger die Verteilungsprobleme des vorhandenen Vermögens als beispielsweise in der utilitaristischen Theorie. Mit Hilfe einer sozialorientierten Ordnungspolitik sollen sozial unerwünschte Marktergebnisse vermieden oder beschränkt werden. Die Stabilität des privatwirtschaftlichen Sektors wird nicht als prinzipiell gegeben angesehen und daher der jeweiligen Situation entsprechend durch die staatliche Konjunkturpolitik angeregt beziehungsweise gedrosselt.108 Zentrales Anliegen der Sozialen Marktwirtschaft ist es, den Individualismus und das eigenverantwortliche Handeln der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft zu fördern, statt diese durch übermäßige Intervention zu hemmen oder zu beschränken. Die Marktmechanismen bleiben vollständig erhalten und sollen so zu Innovationsprozessen, technischem Fortschritt und einer leistungsgerechten Einkommensverteilung führen. Lediglich Ballungen von zu viel Marktmacht wird entgegengewirkt. Weitere staatliche Aufgabenbereiche sind die aktive Arbeitsmarkt-, Vermögens-, Wohnungsbau- und Bildungspolitik sowie die Gewährleistung einer sozialen Gestaltung der Unternehmensverfassung.109 Rechtlich fixiert wurden die staatlichen Aufgaben im Jahre 1967 in Form des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft. Demzufolge haben rechtliche Regelungen von Bund und Ländern so getroffen zu werden, dass diese zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand, zum außenwirtschaftlichen Gleichgewicht sowie einem stetigen und angemessenen Wirtschaftswachstum beitragen.110 In der Literatur werden diese wirtschaftlichen Zielsetzungen als „magisches Viereck“ bezeichnet, welches im Laufe der Jahre um weitere Ziele erweitert wurde, beispielsweise um den Terminus der gerechten Ein108 Vgl. [Gabler Wirtschaftslexikon 2000]; S. 2800. Vgl. [Gabler Wirtschaftslexikon 2000]; S. 2800. 110 Vgl. [Baßeler et al. 1995]; S. 34. 109 35 2. Grundlagen und Herleitung kommensverteilung oder die Erhaltung einer lebenswerten Umwelt. Die Bezeichnung des Zielsystems als „magisch“ dokumentiert hierbei die auftretenden Schwierigkeiten beim Versuch die genannten Ziele gleichzeitig zu erreichen, insbesondere da einige der Ziele in bestimmten wirtschaftlichen Situationen miteinander konkurrieren.111 Die untenstehende Abbildung 6 soll dies verdeutlichen. Abbildung 6: Das „magische“ Vieleck in der Bundesrepublik Deutschland 112 Als „Vater des Wirtschaftswunders und der Sozialen Marktwirtschaft“ gilt Ludwig Erhard, ehemaliger Wirtschaftsminister (1949 bis 1963) und Bundeskanzler (1963 bis 1966) der sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Wiederaufbau befindlichen Bundesrepublik. Unterstützung bei der Entwicklung der Konzeption und deren späteren Umsetzung erfuhr Erhard durch Alfred Müller-Armack.113 2.2.5 Reduktion des Sozialstaates Die Auswirkungen der Globalisierung haben auch in der Bundesrepublik Deutschland Spuren hinterlassen. Spätestens seit dem Zeitpunkt, als die Zahl der Erwerbslosen Rekordhöhe erreichte, wurde die Frage nach der Bezahlbarkeit des Sozialstaates 111 Vgl. [Baßeler et al. 1995]; S. 35. Eigene Darstellung in Anlehnung an [Baßeler et al. 1995]; S. 35. 113 Vgl. http://www.bmwi.de/BMWi/Navigation/Wirtschaft/Wirtschaftspolitik/soziale-marktwirtschaft.html ; Stand: 31.03.2006 112 36 2. Grundlagen und Herleitung lauter - wobei diese bereits seit Jahrzehnten regelmäßig gestellt wurde. Zu Beginn des neuen Jahrtausends nun wurde der Begriff der „Neuen Mitte“ geprägt und die Agenda 2010 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder auf den Weg gebracht. Der britische Premierminister Blair schlug einen ähnlichen innenpolitischen Kurs ein. Die Folgen für die Bürger der Bundesrepublik Deutschland muten teilweise zumindest fragwürdig an, wenn die Frage der sozialen Verträglichkeit diskutiert wird. Umfangreiche Reformen der damalige Bundesregierung sollten dazu beitragen, die Staatsausgaben zu reduzieren. Inhaltlich stellen diese Reformen Ziele dar, welche bereits von vergangenen Regierungen angestrebt wurden. Im wesentlichen galt und gilt es, zwei Ziele durchzusetzen, einerseits das System der Sozialversicherungen durch Angleichung der Einnahmen und Ausgaben mittelfristig zu stabilisieren, andererseits die Arbeitnehmerschutzrechte an die sich ändernden Wettbewerbsbedingungen anzupassen.114 Da in der Bundesrepublik Deutschland das Sozialversicherungssystem an Lohnleistungen gekoppelt ist und im Gegensatz zu Teilen des europäischen Auslandes wohl auch nicht angestrebt wird, dieses an die Steuern zu knüpfen, waren und sind beide Ziele nur gemeinsam zu realisieren. Das Hauptinteresse galt also damals wie heute dem Abbau der Arbeitslosigkeit mit dem gleichzeitigen Ziel, die Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung sowie die Gesetzliche Krankenversicherung zu konsolidieren.115 Verschiedene Einflussfaktoren sind für den Abbau von Sozialleistungen zur Erklärung heranzuziehen, der Begriff der Globalisierung ist hierbei lediglich einer von mehreren. Der Anstieg der Erwerbslosenzahlen schwächte die Arbeitslosenversicherung erheblich. Ursächlich hierfür waren unter anderem die Entwicklung in den neuen Bundesländern, deren Struktur wohl als erheblich stärker eingeschätzt wurde, sowie die zunächst gewollten Frühverrentungen, die eigentlich zum Ziel hatten, Beschäftigung zu fördern.116 Die Kostenexplosion im Gesundheitswesen, welche sich 1985 und dann noch 114 115 Vgl. [Berger 1999]; S. 235. Vgl. [Berger 1999]; S. 236. 37 2. Grundlagen und Herleitung einmal nach der Wiedervereinigung beschleunigte, ging voll zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherungen, welche nicht dafür ausgelegt waren, diese Zusatzbelastung kompensieren zu können.117 Die Rentenversicherung krankt an der Überalterung der Gesellschaft mit noch dramatischeren Folgen als in der Krankenversicherung. 1992 erfolgte eine entsprechende Reform, die zur Folge hatte, dass die Rentenentwicklung sich an der Entwicklung des Nettolohnes orientierte.118 Zusammengefasst kann also das zentrale Anliegen vergangener und gegenwärtiger Regierungen so dargestellt werden, dass die Zahl der Beschäftigten in der Bundesrepublik mit Hilfe sozialpolitischer Maßnahmen erhöht werden soll, was in der Folge für den Staat Einnahmen in Form von Beiträgen statt die Ausgabe von Leistungen bedeuten würde. So wurden beispielsweise Eingriffe in den Bereich des Arbeitnehmerschutzes regelmäßig mit dem Argument der Gerechtigkeit der Arbeitsverteilung legitimiert. Im Ergebnis wurden mit derartigen Maßnahmen allerdings vielfach negative Nebenwirkungen generiert, welche weitere Reformen nach sich zogen, um diese auszugleichen. Exemplarisch ist an dieser Stelle anzuführen, dass die Reduzierungen in der Arbeitslosenversicherung Frauen im stärkeren Maße benachteiligten als Männer. Kurzfristig konnte auf diese Weise eine Reduzierung der Rentenhöhe erreicht werden, allerdings waren die familienpolitischen Folgen eher kontraproduktiv, wie letztlich an den aktuellen Bemühungen der Regierung abgelesen werden kann.119 Bei der Betrachtung wirtschafts- und sozialpolitischer Maßnahmen im Zeitablauf entsteht der Eindruck, dass ein Großteil der angestrebten und durchgeführten Maßnahmen den Charakter eines Flickwerkes kurzfristiger Steuerungserfolge haben. Ein konkretes und nachhaltiges Konzept erschließt sich nicht zwingend. Reformen und Programmen – sei es in der Familien-, Steuer- oder der Bildungspolitik – folgen stets weitere Programme, welche die verursachten Schäden regulieren sollen. 116 Vgl. [Berger 1999]; S. 236. Vgl. [Berger 1999]; S. 236. 118 Vgl. [Berger 1999]; S. 236. 119 Vgl. [Berger 1999]; S. 236. 117 38 2. Grundlagen und Herleitung Die Gesellschaft kann verständlicherweise einen erheblichen Teil der staatlichen Maßnahmen nicht nachvollziehen, was sicherlich auch in der Informationspolitik begründet liegt. Nichtsdestotrotz muss sie die jeweiligen verabschiedeten Maßnahmen tragen, mit sämtlichen Konsequenzen, die daraus entstehen könnten. So wurde beispielsweise das Arbeitslosengeld gegenwärtig und zukünftig so knapp bemessen, dass ein würdiges Leben erheblich beeinträchtigt wird. Auch die Frage der Bedürftigkeit ist problematisch. Jedwedes Kapital und jegliche Form von Besitz müssen aufgebraucht werden, falls Erwerbslose staatliche Hilfe in Anspruch nehmen wollen oder eben müssen. Der Bedürftige ist gezwungen, sich vollkommen in die Abhängigkeit des Staates zu begeben, somit bietet der Sozialstaat in sich ausreichend Nährboden für unethisches Verhalten. 39 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft 3.1 Das Spannungsfeld: Ethik vs. erwerbswirtschaftliches Prinzip Oftmals wird der Begriff des Unternehmens mit dem des Betriebes gleichgestellt. Dies ist nicht in vollem Umfang als korrekt anzusehen, da ein Unternehmen durchaus mehre Betriebe umfassen kann.120 Nach Wöhe ist der Begriff der Unternehmung enger gefasst als der des Betriebes. Demnach kann jede Unternehmung als ein Betrieb, nicht aber jeder Betrieb als eine Unternehmung verstanden werden.121 Unternehmen im wirtschaftswissenschaftlichen Sinne, also jenem einer produzierenden Wirtschaftseinheit, kombinieren bei der Leistungserstellung die ihnen zugänglichen Produktionsfaktoren. Allgemein erfolgt diese Kombination nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip (ökonomisches Prinzip), wobei in Abhängigkeit von dem Wirtschaftssystem, in welchem das Unternehmen agiert, die Zielsetzungen der Unternehmen unterschiedlich ausgeprägt sein können. So waren die Zielsetzungen der Unternehmen in planwirtschaftlich organisierten Wirtschaftssystemen eher daran ausgerichtet, ein bestimmtes Produktionssoll zu erfüllen, als jene, die in marktwirtschaftlichen Systemen beheimatet waren und daher schon aus reinem Überlebenswillen bestrebt sein mußten, einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen. Unabhängig vom Wirtschaftssystem kommt aber das Wirtschaftlichkeitsprinzip zum Tragen.122 Für Unternehmen, welche in einer Marktwirtschaft agieren, ist charakteristisch, dass diese nach eigenem Ermessen, also nach dem Autonomieprinzip, ihren Wirtschaftsplan anhand der Kosten der Produktionsfaktoren bestimmen können. Als Triebfeder der Unternehmen gilt das erwerbswirtschaftliche Prinzip. Dieses beinhaltet das Bestreben, ein Gewinnmaximum zu erzielen, welches durch die Leistungserstellung und -verwertung generiert wird.123 120 Vgl. [Dietzfelbinger 2002]; S. 136. Vgl. [Wöhe 2002]; S.6. 122 Vgl. [Wöhe 2002]; S.5. 123 Vgl. [Wöhe 2002]; S.6. 121 40 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft Die in Kapitel 2.2.4 dargestellten Funktionsweisen und Vorteile der Marktwirtschaft, also die Gegebenheit des Privateigentums, die persönliche Freiheit bei der unternehmerischen Entscheidungsfindung, der freie Wettbewerb sowie der Zwang, technischen Fortschritt zu nutzen, um konkurrenzfähig zu bleiben, weisen allerdings auch bedenkliche Ansätze auf. Zweifellos ist unter dem Aspekt der Wohlstandssteigerung die Marktwirtschaft anderen Wirtschaftsordnungen überlegen, doch trägt dieses System, welches sich in der Theorie selbst regulieren sollte, Tendenzen in sich, welche der angestrebten Funktionsweise die Grundlage entziehen. Die weltweit zu beobachtenden Konzentrationsvorgänge schränken den Wettbewerb - und so die damit theoretisch angestrebte Preisentwicklung erheblich ein. In verschiedenen Fällen wird der Preismechanismus als Regulativ der Marktwirtschaft vollkommen außer Funktion gesetzt124, wie das Beispiel der Mineralölkonzerne verdeutlicht. Auch trägt das System der Marktwirtschaft das negative Potenzial sozialer Spannungen in sich, da die Diskrepanzen bezüglich des Einkommens durch Arbeit und jenem aus Gewinnen eine sehr unterschiedlich ausgeprägte Vermögensbildung und -verteilung bewirken.125 Exemplarisch dafür können die Managergehälter verschiedenster Großunternehmen, welche die Gehälter der Arbeiter um ein vielfaches übersteigen, herangezogen werden.126 Angebot und Nachfrage unterliegen regelmäßig konjunkturellen Schwankungen, die in der Folge dazu führen, dass das System durch Preissteigerungen, Inflationseffekte, Über- und Unterbeschäftigung und sozialen Probleme, die der Massenarbeitslosigkeit entspringen, erschüttert wird.127 Zwar wird diesen Effekten in der sozialen Marktwirtschaft, wie sie in der Bundesrepublik praktiziert wird, mit Hilfe einer gesteuerten Konjunkturpolitik entgegengewirkt, 124 Vgl. [Wöhe 2002]; S.6. Vgl. [Wöhe 2002]; S.6. 126 Nach einer Studie des „manager magazins“ verfügte beispielsweise der umstrittene Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann über ein Jahreseinkommen von 11,9 Millionen Euro im Jahre 2005, was in einem krassen Missverhältnis zu den Gerechtigkeitsvorstellungen der Gesellschaft steht, da der Zusammenhang zwischen Entlohnung und Leistung nicht zwingend erkennbar ist. (Vgl. http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,422959,00.html, Stand : 26.06.2006. 127 Vgl. [Wöhe 2002]; S. 7. 125 41 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft vollständig zu eliminieren sind diese aller Wahrscheinlichkeit nach aber nicht. Erschwert wird die Aufgabe der Bundesregierung dadurch, dass eine Balance zwischen der Überreglementierung der Wirtschaft, welche die unternehmerische Freiheit der Unternehmen erheblich einschränken würde, und dem darwinistischen Gedankengut, welches bei uneingeschränkter Anwendung seitens der Unternehmen, mittelfristig dazu führen würde, dass die Bezeichnung „Soziale Marktwirtschaft“ ihrem Namen nicht mehr gerecht werden könnte, gefunden werden muss. In diesem System der Marktwirtschaft agieren unterschiedlichste Unternehmen, deren Bestreben darin liegt, unter den gegebenen Bedingungen der Knappheit mit einem möglichst geringen Aufwand Gewinne zu erzielen. Demzufolge ist es aus Sicht der Unternehmen nur natürlich, dass sie in erster Linie, wenn auch nicht ausschließlich, ihre eigenen ökonomischen Interessen vertreten.128 Der in der Literatur und vor allem in den Modellen der ökonomischen Theorie verwendete „homo oeconomicus„ ist als streng rational und ökonomisch handelnd definiert.129 Er würde, um nach dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip handeln zu können, alle sich ihm bietenden Wege beschreiten, um seine Ziele zu erreichen. Demnach würde nach dem Verständnis des „homo oeconomicus“ jedes Mittel zur Zielerreichung legitim sein, welches nicht ausdrücklich anderslautend reglementiert ist. Der Vorwurf, die Ökonomik arbeite mit einem verkürzten Menschenbild, ist nicht vollständig von der Hand zu weisen, verfehlt doch der „homo oeconomicus“ empirisch gesehen den wirklichen Menschen.130 Nicht zuletzt daran scheitern bisweilen die ökonomischen Modelle, soweit es die Vorhersage menschlichen Verhaltens betrifft. Denn der für wissenschaftliche Zwecke geschaffene Modellmensch ist keineswegs geneigt, stets zu maximieren, wo immer sich ihm die Gelegenheit dazu bietet.131 128 Vgl. [Dietzfelbinger 2002]; S. 136. Vgl. [Molitor 1989]; S. 67. 130 Vgl. [Homann/Blome-Drees 1992]; S. 92. 131 Vgl. [Homann/Blome-Drees 1992]; S. 94. 129 42 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft 3.2 Das Unternehmen im System Das heutige Wettbewerbsumfeld der Unternehmen ist geprägt von einer wachsenden Dynamik, hochgradiger Komplexität und ausgesprochener Unsicherheit. Um die eben erwähnten Effekte und Ausprägungen zu verdeutlichen, sollte eine isolierte Betrachtung des Managements beziehungsweise des Unternehmens vermieden werden. Vielmehr sollte das Unternehmen als ein System interpretiert werden, welches in ständigem Austausch mit diversen Zwischen- und Umsystemen agiert. Unternehmen sind umgeben und durchdrungen von einem Geflecht sozialer Bindungen und Institutionen, welche unterschiedliche Ansprüche an die Unternehmen formulieren, die es beim unternehmerischen Handeln zu berücksichtigen gilt. Im Mittelpunkt dieses systemtheoretischen Ansatzes steht das Konzept eines der Umwelt gegenüber offenen Systems. Mit Hilfe der Systemtheorie wird versucht, Gesetzmäßigkeiten zu formulieren, welche das Verhalten von Systemen erklären. Im Allgemeinen wird unter einem System eine geordnete Gesamtheit nicht weiter zerlegbarer Elemente mitsamt der zwischen diesen Elementen existierenden Beziehungen verstanden.132 Bei einer ganzheitlichen Betrachtung gliedert sich das Gesamtsystem in mehrere vornehmend autonome Subsysteme auf. Innerhalb eines solchen Teilsystems bilden die einzelnen Elemente die kleinste Einheit. Das Gesamtsystem des Unternehmens wird von einer Grenze umschlossen, die das Insystem vom Umsystem, also der externen Umwelt, trennt. Der Begriff der externen Umwelt bezeichnet die Gesamtheit physischer und sozialer Faktoren, die das Entscheidungsverhalten der Individuen in den Unternehmen beeinflussen, obwohl sie außerhalb der Unternehmensgrenze angesiedelt sind. Der Zustand eines Systems wird durch die Austauschbeziehungen mit anderen Systemen beeinflusst. Diese Austauschbeziehungen finden im so genannten Zwischensystem statt.133 132 133 Vgl. [Hentze et al. 2001]; S. 77. Vgl. [Hentze et al. 2001]; S. 77. 43 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft Abbildung 7: Systembeziehungen 134 Mit zunehmendem Wandel und ebenso zunehmender Komplexität steigt zwangsläufig die Umweltunsicherheit. Als Konsequenz für das „System Unternehmen“ entsteht ein erhöhter Analysebedarf der Unternehmen, um das Insystem mit seiner Vielzahl von Subsystemen effizient den Umwelterfordernissen anzupassen. Die erhebliche Dynamik der Veränderung erfordert von den Entscheidungsträgern einen hohen Grad an Flexibilität und Übersicht.135 Zur Unterscheidung der in ständiger Wechselbeziehung befindlichen Systeme, werden nachfolgend die drei Ebenen des In-, Zwischen- und Umsystems unterschieden und dargestellt. 134 135 Eigene Darstellung in Anlehnung an [Hentze et al. 2001]; S. 77. Vgl. [Hentze et al. 2001]; S. 80. 44 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft Abbildung 8: Darstellung der Systemebenen 136 1) Das Insystem dieser Darstellung ist durch die Unternehmensfunktionen sowie das betriebliche Zielsystem, die Organisationsstruktur, die in ihr agierenden Personen, die angewandte Technologie sowie die Unternehmenskultur gekennzeichnet. 2) Das Zwischensystem ist geprägt durch externe Unternehmensteilnehmer, welche in verschiedenen Ausprägungen Ansprüche an das Unternehmen richten. Zu nennen sind hier exemplarisch Kreditinstitute, Anteilseigner, Kunden und Wettbewerber. 3) Bei den im Umsystem angesiedelten Elementen handelt es sich um solche, die einen indirekten Einfluss auf das Unternehmen ausüben. Als ökonomisches Umsystem bezeichnet man alle Faktoren des wirtschaftlichen Rahmens, in dem das Unternehmen agiert. Hervorzuheben sind hierbei die Wirtschaftsordnung sowie die Konjunktur. Das kulturelle oder auch sozio-kulturelle Umsystem umfasst die gesell136 Eigene Darstellung in Anlehnung an [Hentze et al. 2001]; S. 81. 45 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft schaftlichen Faktoren, welche sich in Form individueller Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen im Unternehmen niederschlagen. Das technologische Umsystem definiert sich durch den Entwicklungsstand der angewandten Produktions- beziehungsweise Informationstechnologie. Die für ein Unternehmen bedeutenden rechtlichen Regelungen sowie ihre Anwendung durch die verschiedenen Organe der Jurisdiktion stellen das rechtliche Umsystem dar. Die als ökologisches Umsystem zusammengefassten Faktoren beeinflussen das Verhalten der Individuen in den Unternehmen indirekt. Zu nennen sind hierbei geographische und klimatische Bedingungen sowie die Infrastruktur des jeweiligen Standortes. 3.3 Wirtschaftsethik Zur Erläuterung des Spannungsfeldes zwischen ökonomischem Handeln im Sinne des erwerbswirtschaftlichen Prinzips und ethischem oder moralischem Handeln, ist es erforderlich, die allgemein verwendeten Begrifflichkeiten näher zu untersuchen. Hierzu wird die Definition des Gabler Wirtschaftslexikons herangezogen: „Wirtschaftsethik befasst sich mit der Frage, wie moralische Normen und Ideale unter den Bedingungen der modernen Wirtschaft zur Geltung gebracht werden können (Implementationsproblematik). Neuere Ansätze erweitern den Begriff, indem sie entsprechend einem modernen Begriff von Ökonomik als allgemeiner Verhaltenstheorie Wirtschaftsethik als ökonomische Theorie der Moral verstehen. Damit sind auch die Begründung von Normen, zum Beispiel von Menschenrechten, und die ökonomischen Folgen moralischen Verhaltens Gegenstand von Wirtschaftsethik.“137 Die in der oben dargestellten Definition „neueren Ansätze“ der Wirtschaftsethik nehmen darauf Bezug, dass die strikte Trennung ökonomischer und ethischer Fragen, welche unter dem Einfluss Max Webers zu Beginn des 20. Jahrhunderts stattfand, 137 Vgl. [Gabler Wirtschaftslexikon 2000]; S. 3510. 46 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft der Gegenwart nicht mehr entsprechen kann. Die Etablierung der philosophischen Disziplin der Ethik als Theorie der Moral und die gleichzeitige Beschränkung der Ökonomik als wissenschaftliche Disziplin, welche sich mit den Verteilungsproblemen einer Gesellschaft beschäftigte, hatte zweifellos Erkenntnisgewinne in beiden Fachdisziplinen zur Folge, da sich die Ökonomik fortan darauf beschränken konnte, das Wirtschaftsgeschehen zu beschreiben und daraus Aussagen über dieses abzuleiten, während gesellschaftliche Werte als gegeben anzusehen waren. Diese quasi arbeitsteilige Betrachtungsweise des menschlichen Verhaltens ermöglichte es aber schwerlich, Probleme im Gesamtkontext zu sehen.138 Die Wirtschaftsethik als selbständige Disziplin kann als ein Produkt zweier Muterdisziplinen - nämlich der Ökonomik und der Ethik - verstanden werden, welche sich beide mit dem menschlichen Handeln befassen, dabei allerdings verschiedene Blickwinkel für ihre Betrachtungsweise wählen. Während die Ökonomik die Probleme analysiert, die sich bei eigennützigen Handlungen der Wirtschaftssubjekte im Hinblick auf Produktion und Verteilung einstellen, beschäftigt sich die Ethik mit der Frage, welche der möglichen menschlichen Handlungen als legitim oder dem Zusammenleben zuträglich angesehen werden können. Dementsprechend beschäftigt sich die Wirtschaftsethik mit der Frage, welches wirtschaftliche Handeln moralisch zu rechtfertigen ist und welches nicht.139 138 139 Vgl. [Noll 2002]; S. 33. Vgl. [Noll 2002]; S. 33. 47 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft 3.4 Unternehmensethik Wie im Falle des Begriffs der Wirtschaftsethik geschehen, soll auch hierbei das Gabler Wirtschaftslexikon mit seiner Definition den Einstieg in die Thematik ermöglichen: „Form der Ethik als Lehre von denjenigen idealen Normen für Unternehmen, die in der Marktwirtschaft zu einem friedenstiftenden Gebrauch der unternehmerischen Handlungsfreiheit anleiten sollen. Sie ist eine Verfahrenslehre für Dialogprozesse, die dann angewendet werden sollen, wenn die ausschließliche Steuerung der konkreten Unternehmensaktivitäten nach den Regeln des Gewinnprinzips und des geltenden Rechts zu konfliktträchtigen Auswirkungen mit den internen und externen Bezugsgruppen des Unternehmens führt. Die in solchen Verständigungsprozessen begründeten Normen sind von Unternehmen dann im Sinne einer Selbstverpflichtung in Kraft zu setzen.“140 Gemeinhin wird vielfach argumentiert, eine Unternehmensethik als eigenständiger Ansatz sei nicht erforderlich, da der Gesetzgeber den unternehmerischen Alltag reglementiert. Nach diesem Verständnis wäre die Unternehmensethik in die Wirtschaftsethik eingebunden. Der Rahmen der Wirtschaftsethik wiederum wird durch die Gesetzgebung gestaltet. Richtig an diesem ordnungspolitischen Ansatz ist, dass keine Unternehmensethik entwickelt werden kann, welche der Wirtschaftsethik – also den im jeweiligen Wirtschaftssystem vorherrschenden Wertvorstellungen – entgegenwirkt. Voraussetzung hierfür ist, dass die in einer Wirtschaft anerkannten Werte von der gesamten Gesellschaft mitgetragen werden.141 3.5 Ebenen der Ethik in der Wirtschaft Aufgrund der Komplexität des Aufgabengebietes, welchem sich die Wirtschaftsethik widmet, erscheint es zweckmäßig, die Ebenen zu unterscheiden, auf denen moralische Anliegen und Bedenken im Zusammenhang mit wirtschaftlichem Handeln zum Tragen kommen. Die Wirtschaftsethik lässt sich in drei Ebenen untergliedern, welche mit den Zwischen- und Umsystemen korrespondieren, in denen Unternehmen agieren. Die Untergliederung in Ordnungsethik, Unternehmensethik und Individualethik 140 141 Vgl. [Gabler Wirtschaftslexikon 2000]; S. 3162. Vgl. [Dietzfelbinger 2002]; S. 179. 48 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft entspricht derjenigen in Makro-, Meso- und Mikroethik, wie sie beispielsweise bei Dietzfelbinger142 und Enderle vorgenommen wird.143 Abbildung 9: Die drei Ebenen der Wirtschaftsethik 144 Die Ebene der Ordnungsethik (Makroebene) befasst sich mit der Wirtschaftsordnung und dem „richtigen“ oder „gerechten“ Wirken des Gesamtsystems. Adressat der Ordnungsethik ist die Politik. Ihr fällt die Aufgabe zu, eine effiziente und gerechte Rahmenordnung zu gestalten, welche sich aus ethischen Überlegungen rechtfertigen lässt.145 Im Zentrum der Unternehmensethik (Mesoebene) steht die Institution der Unternehmung. Hier geht es um die Gestaltung der unternehmensstrukturellen und -kulturellen Bedingungen, die ein ethisch gerechtfertigtes Handeln ermöglichen.146 Eine Schlüsselrolle kommt hierbei der Unternehmensführungen zu, die in organisatorischer wie personalpolitischer Sicht verantwortlich agieren müssen, da nach Lenk/Maring Unternehmen als ein vertragliches Geflecht von Individuen zu interpretieren sind und dementsprechend die Verantwortung für das Handeln eines Unternehmens letztlich wieder auf natürliche Personen zu142 Vgl. [Dietzfelbinger 2002]; S. 180. Vgl. [Noll 2002]; S. 35. 144 Eigene Darstellung in Anlehnung an: [Noll 2002]; S. 35. 145 Vgl. [Noll 2002]; S. 36. 146 Vgl. [Noll 2002]; S. 36. 143 49 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft rückgeführt werden muss.147 Die Individualethik (Mikroebene) umfasst die Fragen und die Pflichten des einzelnen Individuums gegenüber sich selbst und dem jeweiligen Umfeld. Im Unternehmen kommt diesen individualethischen Fragen im Zusammenhang mit dem Führungsethos oder dem Ethos eines bestimmten Mitarbeiters eine Bedeutung zu. Ebenso aber beispielsweise auf der Ebene des Kunden, des Kapitalgebers oder des Arbeitnehmers.148 3.6 Wirkungsbereich der Unternehmensethik Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln die Begriffe der Wirtschaftsethik und der Unternehmensethik ausführlich erläutert wurden, kann an dieser Stelle zusammenfassend formuliert werden, dass es sich bei der Unternehmensethik um einen Teilbereich der Wirtschaftsethik handelt. Die Unternehmensethik bezieht sich auf die Unternehmung im Sinne einer Organisation. Ihr Anliegen wird in der Frage ausgedrückt, wie moralische Normen und Ideale im Rahmen einer modernen Wirtschaft von Unternehmen implementiert und angewandt werden können.149 Sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart machen deutlich, dass die freie Preisbildung am Markt keineswegs für alle Beteiligten als hinreichende Bedingung für den gesellschaftlichen Frieden genügen kann. In den Fällen, in denen die ökonomischen Systeme nicht allein die friedliche Koordination wirtschaftlichen Handelns bewerkstelligen können, müssen politische Verständigungsprozesse unterstützend oder regulierend zum Tragen kommen.150 Die politischen Bemühungen betreffen dabei in der Regel sowohl geeignete rechtliche Rahmenbedingungen des ökonomischen Handelns der Unternehmen, als auch die Beiträge des jeweiligen Managements in der Form, dass im Ergebnis die erfolgsorientierte ökonomische Handlungsfreiheit und der rechtliche Handlungsraum deckungsgleich sind.151 147 Vgl. Lenk/Maring, in: [Blickle 1998]; S. 28. Vgl. [Noll 2002]; S. 36. 149 Vgl. [Noll 2002]; S. 106. 150 Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 95. 151 Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 96. 148 50 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft 3.6.1 Externe Restriktionen des Managements Das Bürgerliche Recht baut auf der Annahme auf, dass Vertragsparteien, die miteinander in Beziehungen treten, als gleichberechtigt gelten. In der Praxis lässt sich allerdings feststellen, dass diese beabsichtigte Gleichstellung in vielen Fällen der Realität nicht gerecht werden kann. Bestimmte Interessengruppen wie beispielsweise Verbraucher oder Arbeitnehmer haben sich aufgrund ihrer Abhängigkeit von Entscheidungen und vom Handeln der Unternehmen als besonders schützenswert erwiesen. 3.6.1.1 Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers Die Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers haben verschiedene Ansatzpunkte. Darüber hinaus dienen sie nicht ausschließlich dem Schutze des Verbrauchers, sondern auch dem der Unternehmen. So soll zum Beispiel das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) die Funktionsfähigkeit des Marktes garantieren. Auf diesem Wege sollen neben den Konsumenten auch die Marktteilnehmer – also die Unternehmen – vor Übervorteilung geschützt werden. Dem Management werden gewisse Pflichten auferlegt, was in der Folge den Austauschprozess in der Wirtschaft in der Form gestalten soll, dass die Möglichkeiten der Ausbeutung der Marktparteien verhindert oder zumindest eingeschränkt werden.152 Zu nennen wären hier bspw.: Das Recht der Produzentenhaftung, welches zum Schutze der Verbraucher vor gefährlichen oder defekten Produkten beinhaltet, dass den produzierenden Unternehmen empfindliche Schadensersatzansprüche drohen, falls diese bei der Konstruktion ihrer Produkte nachlässig verfahren oder den Benutzer nicht über die möglichen Gefahren eines jeweiligen Produktes aufklären.153 Administrative Kontrollsysteme, welche vorbeugend dem Verbraucherschutz dienen sollen. Unter den Begriff der administrativen Kontrollsysteme fallen das Lebensmittel- und das Arzneimittelrecht sowie das Maschinenschutzgesetz 152 Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 97. 51 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft von 1986, nach dem alle auf dem Markt vertriebenen Produkte bestimmten DIN-Normen sowie den Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften genügen müssen. Letzteres bezieht sich vornehmlich auf technische 154 Arbeitsmittel. Im Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), die den täglichen Wirtschaftsverkehr zwischen den Wirtschaftssubjekten erheblich vereinfachen, da andernfalls im Rahmen der vorherrschenden Vertragsfreiheit zumindest in der Theorie für jede Transaktion ein separater Kaufvertrag ausgehandelt werden müsste, ist verankert, dass der Kunde nicht „im Kleingedruckten“ mit für ihn nachteiligen Vertragsinhalten überrascht werden darf. Das Gesetz schließt bestimmte Klauseln aus den AGBs aus, die als unsittlich betrachtet werden.155 Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verbietet gegen die guten Sitten verstoßende Wettbewerbshandlungen, wie beispielsweise die Nachahmung fremder Leistungen, den Wettbewerber denunzierende Werbung oder das Abwerben fremder Arbeitskräfte. 3.6.1.2 Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer Durch das Arbeitsrecht soll das beabsichtigte Gleichgewicht zwischen den Vertragspartnern – hier Arbeitgeber auf der einen und Arbeitnehmer auf der anderen Seite – welches in der Praxis zumindest bezweifelt werden kann, zu Gunsten der Arbeitnehmerseite korrigiert werden. Das Ziel des Arbeitsrechts war in seiner Entstehungszeit ein besserer Ausgleich der Interessen als Beitrag zum sozialen Frieden. Im Bereich des Arbeitsrechts muss unterschieden werden zwischen kollektiven Arbeitsrecht, welches im Tarifvertragsrecht und dem Betriebsverfassungsgesetz formuliert wird und dem Individualarbeitsrecht. Das Individualarbeitsrecht beinhaltet unter anderem das Kündigungsschutzgesetz, das Bundesurlaubsgesetz oder das Jugendarbeitsschutzgesetz.156 153 Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 97. Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 97. 155 Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 98. 156 Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 98. 154 52 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft Gesetzliche sowie tarifliche Einschränkungen und Vorgaben regeln mittlerweile die zentralen Bestandteile eines Arbeitsvertrages fast vollständig. Lohn, Arbeitszeit, Urlaubsanspruch und Kündigungsfristen werden quasi vorgegeben, hängen demnach nicht mehr primär von der Übereinkunft der Vertragspartner ab, sondern vielmehr vom Verhandlungsgeschick der Arbeitgeberverbände und den Gewerkschaften im Rahmen der Tarifverhandlungen. Zusätzlich wird die Position des Arbeitnehmers durch das Betriebsverfassungsgesetz gestärkt, welches den Vertretern der Arbeitnehmerseite - den Betriebsräten - Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Fragen einräumt. Fraglich ist, ob die genannten Regelungen und Instanzen, welche dem Schutz der Arbeitnehmer dienen sollen, nicht durch ihre Fülle die Unternehmen in ihrer Entscheidungsfreiheit und damit in ihrer Wettbewerbsfähigkeit hemmen.157 3.6.1.3 Maßnahmen zum Schutz der Kapitalgeber Auch ihre wirtschaftliche Lage betreffend unterliegen einige Unternehmen einer Anzahl von Bestimmungen. Die Berichtspflicht orientiert sich an der Größe einer Unternehmung, wobei der Begriff der Größe in diesem Zusammenhang anhand verschiedener Merkmale gemessen wird, nämlich der Bilanzsumme, der Umsatzerlöse des Unternehmens sowie der Anzahl der Beschäftigten. Für jedes dieser drei Größenmerkmale sind gesetzlich Spannen fixiert, mit denen sich die Unternehmen anhand der jeweiligen Gegebenheiten einordnen lassen, sobald mindestens zwei dieser drei Kriterien erfüllt sind.158 Das Publizitätsgesetz gibt den Unternehmen vor, in welcher Form und in welchem Umfang diese ihre wirtschaftliche Lage publik machen und dokumentieren müssen. Rechnung trägt das Publizitätsgesetz hierbei dem Wandel, welchem Großunternehmen unterliegen. Neben den privaten Kapitalgebern sind die Manager nun auch der breiten Öffentlichkeit gegenüber argumentationspflichtig, da deren Interesse an den Großunternehmen mittlerweile anerkannt wurde. Auch das Bilanzrichtliniengesetz, welches 1986 in Kraft trat, trägt dazu bei, dass die Handlungen eines Unternehmens dem Interessierten übersichtlich und nachvollziehbar nahegebracht werden kann.159 157 Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 98. Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 100. 159 Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 101. 158 53 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft 3.6.1.4 Maßnahmen zum Schutz der Umwelt Umweltgüter wie Wasser, Landschaften, Luft und Pflanzen gelten als freie Güter. Als solche haben sie keinen natürlichen Marktpreis oder vielmehr lediglich einen, der sich nur langsam und nicht von selbst bildet. Über Jahrzehnte wurde dieser Tatsache nicht all zuviel Bedeutung beigemessen – die Folgen dieses Verhaltens werden noch zukünftige Generationen spüren. Da die am Wirtschaftsprozess beteiligten Unternehmen und Interessengruppen nicht durch das Marktgeschehen zum Umweltschutz angehalten wurden, war es erforderlich, eine staatliche Umweltpolitik ins Leben zu rufen.160 Allerdings ist zu bemerken, dass sich aufgrund der wachsenden Sensibilisierung der Bevölkerung für Umweltschäden und der Schädigung der Gesundheit von Menschen und Tieren, die Anforderungen an die Unternehmen erhöht haben. Es zeichnet sich ein Umdenken bei den Unternehmen in der Form ab, dass diese nicht nur ihre Eigenschaft als Umweltverschmutzer erkennen, sondern darüber hinaus aufgrund ihrer sozialen Verantwortung gegenüber Mitarbeitern und Kommunen dazu übergehen, auch in ökologischen Fragen zunehmend Verantwortung zu übernehmen und neue Wege im Sinne der nachhaltigen Erhaltung der Umwelt einschlagen. 161 Auch die Politik bedient sich einer Vielzahl an Instrumenten, mit denen Umweltpolitik betrieben wird: ordnungsrechtliche Gebote und Verbote, wirtschaftliche Anreize in Form von Emissionsgutschriften oder Finanzierungshilfen für besonders umweltverträgliche Verfahrensweisen, Absprachen und koordinierte Umweltplanung zwischen Staat und Wirtschaft. Die aufgeführten Instrumente mündeten in eine Vielzahl von Verordnungen und Gesetzen, welche die zentralen Bereiche des Umweltschutzes im Sinne der Nachhaltigkeit abdecken. Zu nennen sind hierbei beispielsweise das BundesImmissionsgesetz, das Wasserhaushaltsgesetz, das Pflanzenschutzgesetz, das Chemikaliengesetz sowie das Abfallbeseitigungsgesetz.162 160 Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 101. Vgl. [Staehle 1991]; S. 578. 162 Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 101. 161 54 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft 3.6.2 Interne Restriktionen des Managements Abgesehen von den externen Restriktionen nehmen darüber hinaus noch interne Faktoren Einfluss auf betriebliche Entscheidungen. Besonders in großen Unternehmen, in dem Sinne, wie die Gesetzgebung die Größen definiert, kann bspw. durch die Mitbestimmung erheblicher Einfluss ausgeübt werden. Im Wesentlichen sind die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) von 1972, dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) von 1976 und den jeweiligen Tarifverträgen geregelt. Ebenso wie das Betriebsverfassungsgesetz sind die Mitbestimmungsgesetze als ein Versuch zu verstehen, einen Interessenausgleich zwischen Kapital und Arbeit zu gewährleisten, welcher abgekoppelt von Marktprozessen und dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip zum Tragen kommt.163 Für bestimmte Branchen wie beispielsweise den Bergbau und die Stahlindustrie gibt es gesonderte Bestimmungen im Rahmen des Montan-Mitbestimmungsgesetzes von 1951. Historisch gesehen wurde die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betrieb nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges durch den damals starken Einfluss der Gewerkschaften erreicht. Ihren Ausgangspunkt fand sie in der Enteignung der Montanindustrie (Bergbau, Eisen, Stahl) im Rhein- und Ruhrgebiet durch die britische Besatzungsmacht. Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Rückgabe der Betriebe an die Alt- Eigentümer, erwirkten die Gewerkschaften die paritätische Besetzung der Aufsichtsräte aus Vertretern der Arbeitnehmern und den Anteilseignern. In der Folge wurden im Jahre 1951 das Montan-Mitbestimmungsgesetz und im Jahre 1952 das Betriebsverfassungsgesetz verabschiedet. Letzteres übertrug die getroffenen Vereinbarungen auf jene Betriebe, welche nicht Teil der Montanindustrie waren. Das Mitbestimmungsgesetz schließlich, welches im Jahre 1976 verabschiedet wurde, trug dem Ansteigen der Anzahl an Kapitalgesellschaften mit mehr als 2000 Beschäftigten Rechnung und stellt seitdem die Gesetzesform für diesen Bereich dar.164 163 164 Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 102. Vgl. [Schneck 2000], S. 663. 55 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft 3.6.2.1 Das Mitbestimmungsgesetz Unter dem Begriff der Mitbestimmung versteht man die institutionelle Teilnahme der Beschäftigten, vertreten durch die Betriebsräte, an den Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen in einem Unternehmen.165 Das Mitbestimmungsgesetz von 1976 regelt die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft mit mehr als 2000 Beschäftigten. Nach dem Mitbestimmungsgesetz soll der Aufsichtsrat, der in einer solchen Gesellschaftsform als Kontrollorgan des Vorstandes fungiert, paritätisch besetzt werden, sich also aus einer gleichen Anzahl von Arbeitnehmervertretern sowie Anteilseignern zusammensetzen. Um bei möglichen Abstimmungen eine Entscheidung betreffend handlungsfähig zu bleiben, wird dem Aufsichtsratsvorsitzenden einer zweite Stimme zuerkannt.166 Die Tatsache, dass der Aufsichtsratsvorsitzende von Seiten der Anteilseigner gewählt wird, verdeutlicht allerdings, dass es die genannten Gesetze mit Ausnahme des Montan- Mitbestimmungsgesetzes effektiv bei einem unterparitätischen Einfluss der Arbeitnehmer belassen.167 3.6.2.2 Das Betriebsverfassungsgesetz Das Betriebsverfassungsgesetz wurde im Jahre 1952 verabschiedet und im Jahre 1972 erweitert. Es regelt die Informations-, Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer in privaten Betrieben mit mehr als fünf ständig Beschäftigten. Nach dem Betriebsverfassungsgesetz stellt der Betriebsrat das Vertretungsorgan der Beschäftigten in derartigen Betrieben dar. Das Betriebsverfassungsgesetz sieht für die Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten eine regelmäßige Drittelparität vor, ein Drittel der Sitze ist also für die Arbeitnehmerseite vorgesehen.168 Die Möglichkeiten der Einflussnahme der Betriebsräte beinhalten nach dem Betriebsverfassungsgesetz Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte bei den Entscheidungen des Arbeitgebers: Die Mitwirkungsrechte umfassen verschiedene rechtlich abgesicherte Arten der Einflussnahme von Arbeitnehmern auf betriebliche Entscheidungsprozesse und drü- 165 Vgl. [Olfert 2005]; S. 55. Vgl. [Schneck 2000]; S. 663. 167 Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 102. 168 Vgl. [Schneck 2000]; S. 130. 166 56 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft cken sich in Form von Informationsrecht, Vorschlagsrecht, Anhörungsrecht und ragsrecht aus. Sie beinhalten Beratung und Mitsprache bei Entscheidungen des Arbeitgebers, die endgültige Entscheidung liegt allerdings letztlich auf Seiten des Arbeitgebers, der seine Absichten gegebenenfalls auch gegen die Vorstellungen des Betriebsrates durchsetzen kann.169 Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates an Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen im Unternehmen unterscheiden sich von den Mitwirkungsrechten insofern, dass dem Betriebsrat die Möglichkeit gegeben ist, den Entscheidungen des Unternehmers zu widersprechen oder diese zu verhindern. Nach dem Betriebsverfassungsgesetz beziehen sich diese Mitbestimmungsrechte auf soziale, arbeitsplatzbezogene, personelle sowie wirtschaftliche Angelegenheiten.170 Ein weiteres Mittel, mit dessen Hilfe nach dem Betriebsverfassungsgesetz dem Betriebsrat die Einflussnahme ermöglicht wird, stellen die Betriebsvereinbarungen dar, welche der Betriebsrat in Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber in Form privatrechtlicher Verträge ausarbeiten kann. Mittels Betriebsvereinbarungen können individuelle Vereinbarungen getroffen werden, die lediglich durch die Tarifverträge begrenzt werden.171 Abbildung 10: Unternehmensordnung und Mitbestimmung 172 169 Vgl. [Olfert 2005]; S. 54. Vgl. [Olfert 2005]; S. 55. 171 Vgl. [Olfert 2005]; S. 56. 172 Eigene Darstellung in Anlehnung an [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 102. 170 57 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft 3.6.3 Einzelwirtschaftliche Anwendung ethischer Grundsätze Unabhängig von dem Handlungsrahmen, der den Unternehmen durch externe und interne Restriktionen für ihre Entscheidungen zugestanden wird, sollten sich die Unternehmen ihrer verantwortungsvollen Rolle in der Gesellschaft bewusst sein und unabhängig von gesetzlichen Rahmenbedingungen entsprechend handeln. Verfolgen die Unternehmen weiterhin innerhalb des gesetzlichen Rahmens ihre unternehmerischen Ziele, und ist ihre Ausrichtung streng daran orientiert, so kann regelmäßig beobachtet werden, dass nach dem Prinzip verfahren wird, dass „alles erlaubt ist, was nicht verboten ist“. Steinmann/Löhr stellen in diesem Zusammenhang die Frage in den Raum, ob in der gegebenen dezentralen Wirtschaftsordnung mit ihrem Prinzip der Gewinnorientierung noch andere Rationalitäten zur Geltung kommen können oder ob diese sich der Gewinnmaximierung unterordnen müssen.173 In diesem Zusammenhang wird die Frage aufgeworfen, ob nicht eine dialogorientierte Unternehmensethik einer allgemeinen Wirtschaftsethik, die zwangsläufig in gesetzliche Regelungen münden würde, vorzuziehen wäre, da diese die Handlungsfreiheit auf der einzelwirtschaftlichen Bezugsebene nicht in gleichem Maße einschränken würde. Voraussetzung für eine effektive Unternehmensethik wäre nach Steinmann/Löhr, dass nicht nur zufällig, sondern systematisch Handlungsspielräume verfügbar sind oder verfügbar gemacht werden, die nicht bereits durch das Gewinnprinzip vollständig konditioniert sind.174 3.6.3.1 Selbstverpflichtung von Unternehmen Unter Berücksichtigung der Unvollkommenheit der Wirtschaftsordnung, die wie weiter oben ausgeführt an Defiziten des Markt- und Preissystems leidet, sollten die Unternehmensverantwortlichen die Schutzbedürftigkeit der unterschiedlichen Interessengruppen wie sie Kapitaleigner, Arbeitnehmer, Verbraucher und die Öffentlichkeit darstellen, erkennen und auf der Betrachtungsebene der Unternehmen entgegenwirken.175 Die in den Unternehmen verantwortlichen Personen sollten ihre Aufgabe weiter fassen. Die Gewinnmaximierung als betriebswirtschaftliches Oberziel 173 Vgl. [Steinmann/Löhr] 1991; S. 7. Vgl. [Steinmann/Löhr] 1991; S. 7. 175 Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 105. 174 58 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft ist nicht nur ungenügend, da es eine Vielzahl von Ergebnissen nach sich zieht, die unter Umständen zum Nachteil einer oder mehrerer der genannten Interessengruppen nach sich ziehen könnte, auch ist es ökonomisch nicht korrekt ausgedrückt – das Oberziel besteht stets in der Existenzsicherung. Ein Anknüpfungspunkt für ethisches Handeln auf Unternehmensebene ist eben dieses Oberziel der Existenzsicherung. Ist die Existenz langfristig gesichert, so könnte der nächste Schritt bezogen auf die Implementierung einer Unternehmensethik darin bestehen, einen Interessenausgleich der genannten Gruppen zu berücksichtigen. Den Kern für eine solche Vorgehensweise würden demnach ausreichende Gewinne und nicht maximale Gewinne darstellen. Die Gewinne eines Unternehmens würden also nicht mehr als Hauptziel, sondern als Mittel der Zielerreichung angesehen.176 176 Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 105. 59 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft 3.6.3.2 Formulierung von Handlungsvorschriften Es wurden in der Vergangenheit verschiedene Versuche unternommen, den geforderten Moralkodex und die angestrebte interessenausgleichende Rolle der Unternehmen durch Formulierung von rechtlich unverbindlichen ethischen und moralischen Standards konkreter zu formulieren. Exemplarisch sind hierbei das „Davoser Manifest“ und die „OECD- Leitsätze“ zu nennen. Das „Davoser Manifest“ wurde am Schlusstag des Dritten Europäischen Management-Symposiums im Jahre 1973 in Davos verabschiedet und ist in Abbildung 11 dargestellt. Die „OECD- Leitsätze“ wurden 1976 vom Ministerrat der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Form von Verhaltensregeln für multinationale Unternehmen formuliert.177 Abbildung 11: Das Davoser Manifest 177 178 178 Vgl. [Staehle 1991]; S. 577. Eigene Darstellung in Anlehnung an Europ. Management Forum 1973, in: [Staehle 1991]; S. 578. 60 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft Bedauerlicherweise haben die formulierten Normen, welche die Idee der gesellschaftlichen Verantwortung tragen sollen, aufgrund der Tatsache, dass diese nicht sanktionsfähig sind, den Charakter ethischer und moralischer Appelle an ein Wohlverhalten, welches sich bei der Selbstbeschränkung des Managements im Zusammenhang mit der Ausübung der gesellschaftlichen Rolle widerspiegeln soll. Es steht also zu erwarten, dass die Befolgung nur so lange zu gewährleisten ist, wie sie nicht mit den Interessen von beispielsweise den Kapitalgebern kollidiert. 179 Das Grundproblem der Anwendbarkeit der aufgeführten Handlungsnormen liegt darin begründet, dass diese voraussetzt, dass das handelnde Management entweder eigenständig in der Lage ist, einzuschätzen und abzuwägen, was für die unterschiedlichen Anspruchsgruppen gut oder akzeptabel ist.180 Dabei wird gleichzeitig die Frage aufgeworfen, wie sich Manager verhalten sollen, wenn konkurrierende Zielsysteme die Entscheidungsfindung beeinflussen, das Handeln nach den Interessen der einen Gruppe also Nachteile für eine andere nach sich zieht. In diesem Falle wäre das Management unter Umständen in der unkomfortablen Situation abwägen zu müssen, gegen welche Interessen eher verstoßen werden kann, was aufgrund der Subjektivität der Entscheidungsträger entweder vollkommen willkürlich oder im Zusammenhang mit der Macht oder Ohnmacht der jeweiligen Anspruchsgruppe korrespondieren kann. Möglich ist immerhin eine Lösung, die dialogorientiert ausgerichtet ist. So sollten Entscheidungen, die mehrere Anspruchsgruppen betreffen, in einem gleichberechtigten Dialog getroffen werden. Die so geschaffene ethische Komponente würde dann zur Folge haben, dass innerhalb eines Unternehmens Handlungsregeln entwickelt werden, die im Sinne einer fixierten und verbindlichen Selbstbindung gemeinsam in Kraft gesetzt würden, um die durch das wirtschaftliche Handeln entstehenden Konflikte friedlich zu regeln.181 Solche Verfahrensvorschriften können ihre Wirkung allerdings lediglich dann entfalten, wenn diese zu situationsgerechten Handlungsaufforderungen führen. 179 Vgl. [Staehle 1991]; S. 579. Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 105. 181 Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 106. 180 61 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft Abbildung 12: Ethisch-ökonomische Handlungsorientierung der Unternehmen 182 3.6.3.3 Die Entwicklung von Leitbildern Abgesehen von der unternehmensinternen Schaffung von Verfahrensvorschriften zur Haltung des Friedens und deren Befolgung, besteht für Unternehmen die Möglichkeit, diese der Umwelt gegenüber zu kommunizieren. Ein erheblicher Anteil der Unternehmen bedienen sich bereits des Instruments der Unternehmensleitsätze. Sie dienen dazu das Wertesystem eines Unternehmens zu beschreiben und zu kodifizieren. Die gesellschaftliche Einbindung des Unternehmens, das Verantwortungsbewusstsein für die Gesellschaft und das Anliegen, diesem gerecht zu werden, können sowohl internen wie auch externen Stakeholdern dargestellt werden.183 Die Leitbilder sind so unterschiedlich ausgestaltet, wie es auch die jeweiligen Unternehmen sein können. Sie unterscheiden sich sowohl in Aussehen, Inhalt, Umfang, 182 Eigene Darstellung in Anlehnung an: [Steinmann/Löhr 1994]; S. 122. 62 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft Anspruch und Detailliertheit. Während sich einige Unternehmen darauf beschränken, einige wenige Grundprinzipien der unternehmenseigenen Philosophie darzustellen, beziehen sich andere Unternehmen auf konkrete ethische Grundsätze. Die dargestellten Unternehmensleitsätze können auch den Charakter eines Regelkataloges der „dos and don’ts“ aufweisen.184 In vielen Fällen werden die Leitsätze eines Unternehmens auch als eine Kombination ökonomischer Zielsetzungen und ethischer Anliegen formuliert, so soll beispielsweise kommuniziert werden, dass ein Unternehmen die Marktführerschaft auf einem bestimmten Markt erringen will, dieses Ziel allerdings nicht durch die Ausbeutung der dort heimischen Bevölkerung zu erreichen trachtet. Die Entwicklung eines Leitbildes ist als ein Prozess zu verstehen, in dem angestrebte und gelebte Werte und Normen offengelegt und reflektiert werden müssen, soll sie über den Marketingaspekt hinausgehen. Diktierte Verhaltensregeln können regelmäßig Widerstände nach sich ziehen, zumindest aber ist ihre Annahme aufgrund subjektiver, davon abweichender Ansichten des Einzelnen erschwert. In der Regel kommt in der Formulierung eine Wertebasis zum Ausdruck, da es aufgrund der Vielfalt der unterschiedlichen Ausprägungen der Moral, die sich automatisch aus der Unterschiedlichkeit der Mitarbeiter, der Märkte und der Wirtschaftssysteme ergeben können, kaum möglich erscheint, mehr als eben diese Basis im Zuge einer gemeinschaftlichen Entwicklung darzustellen.185 Unternehmensleitsätze haben grundsätzlich folgende Funktionen: Unternehmensleitsätze erfüllen eine Orientierungsfunktion, indem sie moralische Mindeststandards setzen und Verhaltenserwartungen formulieren. Darüber hinaus sorgen sie hierarchieübergreifend für Transparenz – sowohl 183 Vgl. [Noll 2002]; S. 116. Vgl. [Noll 2002]; S. 116. 185 Eine zwischen Oktober 2003 und Mai 2004 durchgeführte Studie von Susanne Blazejewski und Wolfgang Dorow beschäftigte sich mit der Frage, worin in international tätigen Unternehmen die tatsächlichen Probleme der Entwicklung und Implementierung einheitlicher Unternehmensleitbilder begründet sind. Herangezogen wurden hierzu eine repräsentative Anzahl von 200 Managern verschiedenster Nationen, die in Großunternehmen unterschiedlichster Branchen international tätig sind. Die Defizite bei der erfolgreichen Umsetzung lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Führungskräfte leben die gemeinsamen Grundwerte nicht vor; die Grundwerte werden als von der Muttergesellschaft dominiert wahrgenommen und entsprechen darüber hinaus nicht den lokalen Gepflogenheiten; eine Diskussion über Werteunterschiede findet nicht statt; eine systematische Kontrolle der Einhaltung der Grundwerte ist nicht vorhanden; die Personalpolitik spiegelt die Unternehmenswerte nicht wider. (Vgl. [„Harvard Business manager“ 01/2006]; S. 37 – 46). 184 63 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft Mitarbeiter als auch Führungskräfte werden auf diese Weise mit der spezifischen Wertebasis konfrontiert. Da Unternehmensleitsätze naturgemäß zu ethisch sensiblen Themen Stellung beziehen, wird den handelnden Personen in nicht eindeutigen Situationen die Entscheidung erleichtert oder gar abgenommen. Im Normalfall stellen Unternehmensleitsätze keine konkreten verbindlichen Handlungsanweisungen dar. Jedoch kann die Orientierung an ihnen dazu führen, dass spontane und willkürliche Entscheidungen, die auf subjektivem Empfinden beruhen, reduziert oder gar vermieden werden. Gerade bei international agierenden Unternehmen, in denen auch die Akteure aus unterschiedlichen Ländern oder Kulturkreisen stammen, also unter Umständen über keinen gemeinsamen Wertehintergrund verfügen, erscheinen Leitbilder zum Zwecke einer Orientierung an gesetzten Mindeststandards sinnvoll.186 Unternehmensleitbildern der oben dargestellten Ausprägung kann eine Motivationsfunktion zuerkannt werden. Nutzt das betreffende Unternehmen sein intern wie extern kommuniziertes Leitbild, um sich vom Wettbewerb zu abzuheben, so kommt dem Leitbild neben der handlungsgestaltenden Funktion auch eine Funktion als identitätsgestaltendes Instrument zu. Es kann also bei der Verfolgung unternehmerischer Ziele als Inspiration dienen, insbesondere dann, wenn das Leitbild von den Mitarbeitern unterstützte Werte repräsentiert und daher zur Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen und dessen Handeln führt.187 Mit der Entwicklung eines Verhaltenskodexes kommunizieren Unternehmen ihre Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung innerhalb der Gesellschaft. Gegenüber der Öffentlichkeit und den Mitarbeitern wird explizit zum Ausdruck gebracht, dass das Unternehmen aktiv ist, sich selbst als moralischen Akteur versteht und auch als solcher wahrgenommen werden will. In diesem Zusammenhang erfüllen Unternehmensleitbilder eine Legitimationsfunktion. Als positiver Nebenaspekt ist zu bemerken, dass unter Umständen durch eine offen kommunizierte Selbstbindung verstärkter staatlicher Regulie186 187 Vgl. [Noll 2002]; S. 117. Vgl. [Noll 2002]; S. 117. 64 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft rung vorgebeugt werden kann, da Häufungen nicht moralischen Handelns – gerade, wenn diese medienwirksam aufbereitet werden – oftmals staatliche Interventionen provozieren.188 Die Wirksamkeit von Unternehmensrichtlinien ist nur dann zu gewährleisten, wenn diese im Konsens mit möglichst vielen der Anspruchsgruppen verabschiedet werden. Andernfalls könnten Leitbilder als diktiert wahrgenommen werden, was im Ergebnis dazu führen könnte, dass diese nicht von der Mehrzahl oder gar allen Mitarbeitern mitgetragen würden. Außerdem sollten Unternehmensleitsätze klar und eindeutig formuliert sein und sich mit den Themen beschäftigen, die tatsächlich zu Kontroversen führen könnten oder dies bereits getan haben. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Ehrlichkeit und damit eng verknüpft die Durchführbarkeit der Orientierung an einem Leitbild. Die angestrebte Wirkung eines Leitbildes kann nur erreicht werden, wenn die Versprechungen auch tatsächlich im Alltagsgeschäft eingehalten werden können.189 Der mögliche Vorwurf, Unternehmensleitbilder seien zu abstrakt formuliert oder die dort aufgeführten Aspekte der Unternehmenspolitik seien als selbstverständlich anzusehen, soll in Kapitel 4 noch ausführlicher aufgegriffen werden. Generell kann dieser Vorwurf an dieser Stelle schon einmal so weit relativiert werden, dass ein Ethik-Kodex den Mitarbeitern eine Entscheidungshilfe bieten soll, ohne die Entscheidungsfreiheit über Gebühr einzuschränken. Während ein eng gefasster Regelkatalog dem „autoritätsgläubigen Mitarbeiter“ ein höheres Maß an Entscheidungssicherheit vermitteln würde, könnte bei engagierten eigenständig agierenden Mitarbeitern ein gegenteiliger Effekt auftreten. Im schlimmsten Fall, würde letzterer die Regelungen als Bevormundung oder Einschränkung auffassen, was zu mehr Schaden als Nutzen führen könnte.190 Die Kommunikation und die Befolgung ethischer Grundsätze kann zu einem erheblichen Imagegewinn des Unternehmens führen - frei nach dem Motto „Tue Gutes und erzähle davon“. Allerdings kann sich der Erfolg bei Nichteinhaltung der selbstgesetzten Grenzen ins Gegenteil wandeln. Image- und Reputationsverluste könnten 188 189 Vgl. [Noll 2002]; S. 117. Vgl. [Noll 2002]; S. 117. 65 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft folgen.191 Es liegt in der Natur des Menschen, dass er sich stets an die negativen Schlagzeilen eines Unternehmens erinnert, weshalb die Unternehmen für die Einhaltung der aufgestellten Regeln Sorge tragen sollten. Im Falle der Nichteinhaltung gilt es, die Verstöße zu sanktionieren, um die Ernsthaftigkeit und die Glaubwürdigkeit des Unternehmens und seines Anliegens zu dokumentieren - vorzugsweise in ebenso medienwirksamer Form, wie die Berichterstattung bezüglich des Verstoßes. 3.6.3.4 Schaffung interner Institutionen Um die Befolgung geeigneter und verabschiedeter Handlungsrichtlinien durchzusetzen oder aber diese zu unterstützen, kann die Einrichtung von unabhängigen Instanzen eine adäquate Möglichkeit darstellen. Bei auftretenden Interessenkonflikten in einem Unternehmen könnten Ethikkommissionen, Verbraucherschutz- und Umweltschutzbeauftragte als anrufbare Institutionen fungieren.192 Sinnvoll erscheint dies insbesondere dann, wenn aufgrund der Größe, der Komplexität und der Anonymität eines Unternehmens das Verhalten der einzelnen Agierenden nicht mehr überschaubar ist. Diese formale Form der Ethik wird als Institutionenethik bezeichnet und beschränkt das Verhalten über die Grenzen des Marktes und der Gesetzgebung hinaus. Dietzfelbinger definiert den Begriff der Institutionenethik wie folgt: „Institutionenethik ist die Theorie der menschlichen Lebensführung, die sich auf das Verhalten, die Entscheidungssituationen und die Güterabwägungen von überindividuellen Gruppen bezieht. Sie berücksichtigt zugleich, dass es sich bei den überindividuellen Institutionen um Gebilde handelt, die ihrerseits wiederum aus Individuen bestehen und durch diese konstitutiv verankert sind.“193 Die oben genannte Definition verdeutlicht, dass auch die Individualethik keinesfalls als irrelevant anzusehen ist, obwohl die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen durch die Institutionenethik eingeschränkt werden kann. Nur ein ausgewogenes Zusam- 190 Vgl. [Noll 2002]; S. 117. Vgl. [Noll 2002]; S. 118. 192 Vgl. [Steinmann/Schreyögg 2000]; S. 107. 193 Vgl. [Dietzfelbinger 2002]; S. 136. 191 66 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft menspiel von Individual- und Institutionenethik erscheint erfolgversprechend. Die Aufgabe der Unternehmen und der weiter oben dargestellten Institutionen liegt darin, einen moralischen Minimalkonsens unter den Beteiligten durchzusetzen und dessen Einhaltung im Durchschnitt zu gewährleisten.194 Demzufolge werden moralische Werte des Einzelnen nicht ausgeschlossen, sondern in der Konzeption der Institutionenethik in das System integriert.195 3.6.4 Individuelle Anwendung ethischer Grundsätze Die Individualethik versucht mit Hilfe von Appellen an das Gewissen Einzelner moralische Intentionen im Wirtschaftsprozess durchzusetzen oder zu generieren. 196 Während die Individualethik die Handlungen der einzelnen Agierenden durch moralische Normen zu beeinflussen versucht, was unter Berücksichtigung der Präferenzen erfolgversprechend erscheinen kann, ist deren Entscheidungsspielraum durch Restriktionen und das Wirtschaftssystem recht eingeschränkt. Im Gegensatz zur Individualethik erfolgt die moralische Beurteilung des unternehmerischen Handelns im institutionenethischen Ansatz nicht direkt, sondern indirekt, also in einem zweistufigen Vorgang, womit die Tatsache berücksichtigt wird, dass einzelne Handlungen erst durch den sie umgebenden Ordnungsrahmen, in dem sie vollzogen werden, ihren Sinn erhalten.197 Der Ansatz der Individualethik baut auf den Handlungsmotiven des Einzelnen auf (Tugendethik) und ist somit bei der Betrachtung komplexer wirtschaftlicher oder sozialer Problemstellungen nicht zwingend ein geeignetes Mittel, um in einem weitläufigen System wie der Volkswirtschaft oder eines weltweit agierenden Konzerns die gewünschte Wirkung zu entfalten. Unter den Bedingungen der modernen Wirtschaftssysteme treffen Unternehmen in der Regel auf Situationen, welche bedingen, dass das Ergebnis ihres Handelns nicht allein dadurch bestimmt wird, wie sich der Einzelne oder das einzelne Unternehmen verhält. Vielmehr hängt das Handeln von den Reaktionen der anderen Unternehmen ab. Appelle an die moralische Einstellung der Unternehmen können also unter Umständen systematisch ins Leere 194 Vgl. [Noll 2002]; S. 153. Vgl. [Noll 2002], S. 154. 196 Vgl. [Homann/Blome-Drees 1992]; S. 119. 197 Vgl. [Homann/Blome-Drees 1992]; S. 119. 195 67 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft laufen, wenn berücksichtigt wird, dass das Handlungsergebnis eines Unternehmens unter Wettbewerbsbedingungen nicht mehr zwingend von den eigenen moralischen Vorstellungen bestimmt und kontrolliert wird.198 Unternehmen sind keine Personen. Unter Umständen handelt es sich zwar im rechtlichen Sinne um juristische Personen, letztlich aber nicht um Menschen. Daraus folgt, dass Unternehmen nicht für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden können. Stets sind es die Menschen, die es steuern, denen man unethisches Verhalten vorwerfen kann. Vielleicht bietet sich an genau dieser Stelle ein Ansatzpunkt, der gegenwärtigen Situation entgegenzuwirken. Wenn es gelingt, die in den Unternehmen handelnden Personen im ethischen Sinne zu sensibilisieren, könnte ein erheblicher Beitrag zur Verbesserung der herrschenden Moralvorstellungen erbracht werden. Wird das Stufenschema von Lawrence Kohlberg in diese Überlegungen mit einbezogen, so könnten sowohl die Ausbildung als auch die Weiterbildung eine Schlüsselgröße zur gewünschten ethischen Sensibilisierung darstellen.199 Erfolgversprechend erscheint diese Überlegung freilich nur in dem Fall, in dem die Strukturen eines Unternehmens den Inhalten von Aus- und Weiterbildung nicht entgegenwirken.200 Nach Lind belegen empirischen Studien die Annahme, dass beispielsweise die Lehrzeit die moralisch-kognitive Entwicklung eines Menschen beeinflusst. Der Einfluss ist allerdings im Verhältnis zur stimulierenden Wirkung schulischer Allgemeinbildung eher marginal. Zurückzuführen ist diese Tatsache auf die Vermittlung überwiegend praktischer und handwerklicher Fertigkeiten während der Ausbildung. Würden nun die Anstrengungen im Bereich der Allgemeinbildung und die Vermittlung praktischer und handwerklicher Fertigkeiten parallelisiert und koordiniert, so wäre bei allen zukünftigen Teilnehmern am Wirtschaftsleben unter Umständen ein höheres Maß an moralischer Urteilsfähigkeit und sozialer Verantwortungsbereitschaft zu erwarten.201 Die regelmäßige Übertragung einer solchen Methodik ethischer Bildungsanstrengun198 Vgl. [Homann/Blome-Drees 1992]; S. 119. Vgl. hierzu Kapitel 2.1.5 200 Vgl. [Steinmann/Löhr 1994]; S. 170. 201 Vgl. [Steinmann/Löhr 1994]; S. 170. 199 68 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft gen auf die akademische Ausbildung späterer Führungskräfte sollte angestrebt den. Erste Studien zu diesem Thema belegen der Grundtendenz nach durchaus signifikante Veränderungen der Einstellung bei Studenten, welche an Kursen in „business ethics“ teilgenommen haben. Sicherlich stellt sich die Frage, ob der geschilderte Einstellungswandel in betrieblichen Entscheidungssituationen bestehen kann.202 Tatsächlich erscheint dieser Ansatz zur ganzheitlichen Ausbildung von Führungskräften erfolgversprechend, sofern er in einem integrativen Konzept umgesetzt wird, in dem Ansätze der praktischen Philosophie intensiv mit betriebswirtschaftlichen Funktionallehren verzahnt werden. Das Ziel muss in diesem Zusammenhang sein, dass für zukünftige Entscheidungsträger die ethische Reflexion ebenso selbstverständlich wird wie der Umgang mit Bilanzen.203 3.7 Shareholder-Value versus Stakeholder-Value Vielerorts wird der Sinn einer Unternehmensethik in Frage gestellt. So sieht beispielsweise der amerikanische Nationalökonom und Nobelpreisträger Milton Friedman die Gewinnmaximierung als die einzig legitime Forderung an die Unternehmen in einer Marktwirtschaft an. Weiterhin führt er aus, „(...) dass die verfügbaren Mittel möglichst Gewinn bringend eingesetzt und Unternehmungen unter dem Gesichtspunkt der größtmöglichen Profitabilität geführt werden müssen (...)“204 Legitimiert wird dieses Verhalten der Unternehmen laut Friedman durch den Umstand, dass die Unternehmen durch den Wettbewerbsdruck gezwungen sind, effizient zu produzieren und Gewinne zu erzielen. In der Frage der sozialen Verantwortung der Unternehmen verweist Friedman darauf, dass diesen keine andere Verantwortung aufgebürdet werden könne, als die, für die Aktionäre möglichst viel Gewinn zu erwirtschaften.205 202 Vgl. [Steinmann/Löhr 1994]; S. 175. Der Wirtschaftsethiker Joseph L. Bardaracco bietet seinen Studenten an der Harvard Business School seit einigen Jahren Kurse an, in denen über Belletristik diskutiert wird. Texte wie Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ oder Sophokles’ „Antigone“ werden genutzt, um den rein betriebswirtschaftlich geschulten Studenten abgerundete und komplexe Bilder von Führungspersonen verschiedenster Schichten und Disziplinen näher zu bringen. Die Vielfalt der Herausforderungen, insbesondere psychologischer und emotionaler Art, mit denen die Romanpersönlichkeiten konfrontiert werden, sollen den Studenten helfen, Fragen der Führung, der Entscheidungsfindung und moralischer Wertung besser zu verstehen und dieses Verständnis für sich nutzbar zu machen. (Vgl. [„Harvard Business Manager; 05/2006], S. 95 - 103). 204 Vgl. [Friedman 2005]; S. 164. 205 Vgl. [Friedman 2005]; S. 165. 203 69 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft Im Mittelpunkt steht demnach nicht die Moralität. Vielmehr stellen Effektivität und Effizienz die entscheidenden Richtgrößen dar. Folgt man diesen Ausführungen, so würde moralisches Handeln den Wettbewerbsmechanismus schwächen und die entscheidende Steuerungsgröße, nämlich den Preis, beeinträchtigen. Aus diesem Blickwinkel wäre die Unternehmensethik nicht nur überflüssig, sondern auch als störend anzusehen.206 An diesem Punkt wird die Frage aufgeworfen, welchen Zielsetzungen eine Unternehmensführung verpflichtet sein sollte. Im Mittelpunkt der Diskussion stehen zwei Ansätze, der Shareholder-Value und der Stakeholder-Value, deren Kerninhalte in der untenstehenden Tabelle 1 dargestellt werden. Shareholder-Ansatz Denkansatz theoretische Basis Zielfunktion Realisation Kritik/Gefahren Stakeholder-Ansatz Ein Unternehmen ist eine Koalition von Interessengruppen Vertragstheorie: Koalitionstheorie: Eigenkapital-Geber schließen einen Kapitalgeber, Kunden, Arbeitnehmer, Gesellschaftsvertrag Management, Lieferanten, Kommune bilden Koalition Vertragspartner mit fixierten Vertragsversprechen (Kontrakteinkommen) Maximierung der Gewinne komplexes Zielbündel: angemessene Gewinne hohe Löhne Arbeitsplatzsicherheit hohes Steueraufkommen eher in den USA eher in der BRD (Mitbestimmung- und Aktiengesetz, Arbeitsrecht) Überschätzung der Kontroverse ungerecht, da Bevorzugung der Politisierung der Unternehmen Kapitalgeber? Unternehmensrenditen stehen im globalen Wettbewerb „A firm is a set of contracts“ Tabelle 1: Shareholder- Value versus Stakeholder- Value 207 Der Shareholder-Ansatz stellt das Unternehmen als Vertragsgefüge dar, dessen Basis die Vertragsfreiheit ist und die somit Institutionen des Privatrechts darstellen. Kapitalgeber investieren in Haftungskapital und tragen für die Leitung der Geschäfte Sorge. Basis dafür ist der Gesellschaftsvertrag. Die Arbeitnehmer, Lieferanten und Kunden werden nach diesem Ansatz als Vertragspartner auf Zeit verstanden, die für ihre Leistung mit einem in der Regel fixen Kontrakteinkommen entlohnt werden. 206 207 Vgl. [Noll 2002]; S. 88. Eigene Darstellung in Anlehnung an [Noll 2002]; S. 89. 70 3. Ethik im Bereich der Wirtschaft Eben darin liegt das Risiko des Unternehmertums. Stellen sich die Kosten meist mehr oder weniger als fix dar, so sind die Umsätze variabel und nicht vollständig prognostizierbar. Darüber hinaus liegt das Haftungsrisiko bei Kapitalverlust bei den Eigenkapitalgebern. Der erwirtschaftete Überschuss ist als Gewinn der Unternehmer anzusehen, weshalb das Streben nach einer Maximierung des Gewinns aus Unternehmersicht nachvollziehbar ist - nicht zuletzt, da dieser für die Existenzsicherung maßgeblich ist. Dies ist auch gleichzeitig der Hauptkritikpunkt für die Vertreter des StakeholderAnsatzes, welche den Shareholder-Ansatz als ungerechtfertigt oder unmoralisch ansehen, da dieser berechtigte Interessen nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt. Nach der den Stakeholder-Ansatz prägenden Koalitionstheorie der Unternehmung entspringt den Interessengruppen, die im Rahmen der Unternehmung eine Leistung erbringen, ein dementsprechender Anspruch. Dem Management kommt im Rahmen dieser Koalition die Aufgabe zu, die Rolle des Moderators zu übernehmen, welcher die Ansprüche der unterschiedlichen Anspruchsgruppen, deren Anzahl noch über die in der Tabelle 1 dargestellten hinausgeht, zum Ausdruck zu bringen und weitestgehend zu befriedigen hat, auch wenn diese weit auseinanderfallen oder sich gar widersprechen. Die Zielfunktion eines solchen, nach der Koalitionstheorie ausgerichteten Unternehmens ist im Hinblick auf den Unternehmensgewinn weniger klar formulierbar als beim Shareholder-Ansatz. Der Stakeholder-Ansatz zeichnet sich durch eine multidimensionale Zielfunktion - eben ein Zielbündel - aus, welches im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit unter Beteiligung der Betroffenen verabschiedet wird. Das Streben nach Gewinn ist in dieser Konstellation kein Primärziel mehr, vielmehr kann es als ein legitimes Interesse neben anderen angesehen werden, wie beispielsweise das Ziel der langfristigen Arbeitsplatzsicherheit oder dem eines hohen Lohnniveaus.208 208 Vgl. [Noll 2002]; S. 91. 71 4. Unternehmensberatungen 4. Unternehmensberatungen Das folgende vierte Kapitel beschäftigt sich mit dem Bereich der Unternehmensberatungen. Einleitend sollen in knapper Form einige Besonderheiten dieser Branche dargestellt werden, da diese als ursächlich dafür anzusehen sind, dass die Unternehmensberatungen eine hohe Affinität zu ethischen Normen aufweisen. 4.1 Der Begriff der Unternehmensberatung Eine einheitliche Definition des Begriffs der Unternehmensberatung ist in der Literatur nicht zu finden. Die meisten Definitionen haben eher den Charakter einer Tätigkeitsbeschreibung. Überspitzt formuliert würde also der Begriff der Unternehmensberatungen durch den Tätigkeitsbereich des Unternehmensberaters definiert werden. Auffallend ist, dass die Begriffsdefinition entweder sehr ausführlich anhand der anfallenden Tätigkeiten gehalten ist, oder aber so formal gestaltet ist, dass sie auch für andere beratende Berufe wie Rechtsanwälte Gültigkeit besitzen könnte. 209 Niedereichholz definiert den Begriff der Unternehmensberatung wie folgt: „Unternehmensberatung wird definiert als höherwertige, persönliche Dienstleistung, die durch eine oder mehrere unabhängige und qualifizierte Person(en) erbracht wird. Sie hat zum Inhalt, Probleme zu identifizieren, zu definieren und zu analysieren, welche die Kultur, Strategien, Organisation, Prozesse, Verfahren und Methoden des Unternehmens des Auftraggebers betreffen. Es sind Problemlösungen (Sollkonzepte) zu erarbeiten, zu planen und im Unternehmen umzusetzen. Dabei bringt der Berater seine branchenübergreifende Erfahrung und sein Expertenwissen ein.“210 Die dargestellte Definition gibt Aufschluss über den Tätigkeitsbereich der Unternehmensberater. Darüber hinaus wird offenbar, dass der Hauptteil, der von Unternehmensberatern zu leistenden Arbeit im Unternehmen des Klienten stattfindet. Unterstrichen wird diese Schlussfolgerung durch eine weitere Definition von Hoffmann: 209 210 Vgl. [Zimmermann 1994]; S. 15. Vgl. [Niedereichholz 2001]; S. 1. 72 4. Unternehmensberatungen „Unter Unternehmensberatung verstehen wir eine von einem unabhängigen, eigenverantwortlichen, professionellen Berater individuell für die Klientenorganisation marktmäßig erbrachte Dienstleistung, welche darauf ausgerichtet ist, in einem interaktiven Prozess gemeinsam mit dem Klienten ein Lösungskonzept für eine komplexe betriebswirtschaftliche Problemstellung zu erarbeiten und auf Wunsch auch dessen Implementierung zu unterstützen.“211 Der in obiger Definition als interaktiver Prozess formulierte Beratungsvorgang findet also nicht nur innerhalb der Klientenorganisation statt, sondern auch und vor allem im Zusammenspiel mit dem Klienten, worauf in Kapitel 4.5 noch ausführlicher eingegangen wird. In aller Regel werden die Analyse des Problems und die Erarbeitung von Problemlösungen im Rahmen des Projektmanagements durchgeführt. Die Arbeit im Projekt ermöglicht es dem Berater, sich in relativ kurzer Zeit in die Besonderheiten des Unternehmens des Klienten einzuarbeiten. 4.2 Projektmanagement als Instrument Mit Hilfe des Instruments des Projektmanagements, kann und soll die Erreichung eines oder mehrerer Ziele sichergestellt werden. Für die Erreichung dieser vereinbarten Projektziele ist eine Projektorganisation und Projektlenkung zur Planung, Steuerung und Kontrolle aller Projektaktivitäten notwendig. Die Projektleitung benötigt folglich Instrumente und Methoden zur Projektlenkung und -organisation. Diese Instrumente und Methoden lassen sich in Aufgaben und Funktionen des Projektmanagements und weiter als unterschiedliche allgemeingültige Managementfunktionen und Managementmethoden beschreiben, die in einer logischen und vor allem praktikablen Folge anzuwenden sind. Um einen erfolgreichen Abschluss von Projekten gewährleisten zu können, kommt zu den Instrumenten und Methoden der Projektleitung, das im Projektteam und im gesamten Projektumfeld herrschende Klima, als ein sehr wichtiger Punkt hinzu.212 211 212 Vgl. [Nestmann et al. 2004]; S. 195. Vgl. [Litke 1995]; S. 24. 73 4. Unternehmensberatungen Projektmanagement- Aufgaben Projektmanagement- Teilaufgaben Projektplanung Projektdefinition (Ziele, Aufgaben) Umfeldanalyse und Planung der Umfeldbeziehungen Aufgabengliederung Gestaltung der Arbeitsaufträge Qualitätsplanung Terminplanung Ressourcenplanung Kostenplanung Finanzplanung Projektorganisation Rollendefinition Kompetenz- und Verantwortungsverteilung Gestaltung und Kommunikation im Projektteam und mit dem Projektumfeld Schnitt- bzw. Nahtstellenmanagement Gestaltung von Werten, Normen, Regeln (Projektkultur) Projektteamführung Mitarbeiterauswahl Förderung der Zielklarheit und Zieltransparenz Förderung und Entwicklung der Teammitglieder Förderung der Zusammenarbeit von Teammitgliedern (Motivation, Coaching, Konfliktbehandlung) Förderung der Arbeitsbedingungen Teamauflösung Projektcontrolling integrierte Überwachung Maßnahmenplanung zur Steuerung von: Qualität, Terminen, Ressourcen, Kosten, Finanzmitteln Verfolgung der Entwicklung kritischer Erfolgsfaktorten Tabelle 2: Projektmanagement- Aufgaben 213 Die obenstehende Tabelle 2 stellt zusammenfassend die Komplexität der Projektmanagement-Aufgaben und der daraus abgeleiteten Projektmanagement-Teilaufgaben dar, wobei diese Thematik an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden soll. 4.3 Anforderungen an Unternehmensberater Der Klient erwartet von einem Unternehmensberater eine Problemlösung, die individuell auf den Klienten und sein Unternehmen zugeschnitten ist. Die Erarbeitung der Problemlösung und deren Umsetzung finden in einer konstruktiven Kooperation von Klient und Berater statt, das heißt, der Berater muss seine soziale Kompetenz dazu einsetzen, den Klienten dazu zu bewegen, gestaltend am Entwicklungsprozess teilzuhaben. 213 Eigene Darstellung in Anlehnung an [Patzak/Rattay 1995]; S.17. 74 4. Unternehmensberatungen Oftmals können auch standardisierte Vorgehensweisen verwendet werden. Die Möglichkeit des Einsatzes solch standardisierter Beratungsprodukte ist natürlich in hohem Maße abhängig von der Problemstellung des Klienten. In jedem Falle aber ist es erforderlich, die standardisierten Beratungsprodukte dem Unternehmen des Klienten möglichst exakt anzupassen. Zum einen erleichtert eine exakte Anpassung die Erarbeitung von Lösungsvorschlägen, zum anderen wird dem Anspruch des Klienten, welcher in der Regel eine maßgeschneiderte und innovative Lösung erwartet, Genüge getan.214 Auch bei sehr ähnlich gestalteten oder gar identischen Beratungsaufträgen, bei denen es sich aus Gründen der Wirtschaftlichkeit anbietet, auf standardisierte Methoden zurückzugreifen, werden diese spätestens bei dem Ergebnis der Untersuchung und der Umsetzung individualisiert. Ein Widerspruch zwischen standardisierten Beratungsprodukten und der individuellen Beraterdienstleistung existiert demnach nicht.215 Es liegt nicht im Interesse des Unternehmensberaters, dem Klienten Entscheidungskompetenzen oder Verantwortung abzunehmen. Sein Wirken beschränkt sich auf die Unterstützung bei der Entscheidungsfindung und eine Hilfestellung bei der Umsetzung der erarbeiteten Problemlösungskonzepte. Allgemein wird seitens der Berater angestrebt, den Klienten möglichst zügig dazu in die Lage zu versetzen, ohne weitere Hilfe des Beraters, die Lösungskonzepte umzusetzen.216 Berater werden bei unterschiedlichsten Projekten eingesetzt, die zeitlich begrenzt und mit einer klaren Ergebnisorientierung verbunden sind. Zusammen mit dem Klienten wird zuerst die Situation in dessen Unternehmen analysiert (Ist-Analyse), um anschließend die spezifischen Problemfelder herausarbeiten zu können. In der Folge gilt es dann, Lösungen (Soll-Konzepte) zu konzipieren und umzusetzen.217 Kompetenzen in einem oder mehreren Fachgebieten, also Fachkompetenz, entweder in Bezug auf eine bestimmte betriebswirtschaftliche oder naturwissenschaftliche Disziplin oder ausgeprägte Branchenkenntnisse ergeben das Profil, das erfolgreiche Berater auszeichnet. Darüber hinaus sind Sozialkompetenz und Führungskompetenz entscheidend. Die nachstehende Tabelle 3 soll einen Überblick über die Ausprägungen des Begriffs der sozialen Kompetenz eines Beraters vermitteln. 214 Vgl. [Niedereichholz 2001]; S. 3. Vgl. [Niedereichholz 2001]; S. 3. 216 Vgl. [Niedereichholz 2001]; S. 3. 217 Vgl. [Block 2002]; S. 43. 215 75 4. Unternehmensberatungen Grundfaktoren Erläuterung der Grundfaktoren Motivation Der Unternehmensberater muss die Mitarbeiter, mit denen er es im Unternehmen zu tun hat, bezogen auf die Erarbeitung der Maßnahmen motivieren können. Teamfähigkeit Der Unternehmensberater muss mit den ihm zugeteilten Mitarbeitern des Klienten und denen, die ihn bei seiner Beratungstätigkeit seitens des beratenden Unternehmens zur Seite stehen, ein funktionierendes Team bilden. Kommunikationsverhalten Der Unternehmensberater muss neben den Fähigkeiten, richtig erklären, darstellen und überzeugen zu können auch über die Fähigkeit verfügen zuhören zu können. Die verbale Kommunikation muss mit der nonverbalen, also der Körpersprache übereinstimmen. Kritikfähigkeit Der Unternehmensberater muss sich möglicher Kritik stellen und mit ihr umzugehen wissen. Vorgebrachte Kritik muss er entweder annehmen und berücksichtigen oder aber auf einer sachlichen, niemals auf einer emotionalen Ebene entkräften können. Erscheinung Der Unternehmensberater muss stets Offenheit bei Diskussionen und in seinem Auftreten demonstrieren. Ebenso wichtig ist die Verlässlich218 keit und das zielgerichtete Auftreten. Adaption Der Unternehmensberater sollte in Abhängigkeit von der Art des Beratungsprojektes, über ein gewisses Maß an Empathie verfügen, also über die Fähigkeit verfügen, sich in die Lage des Klienten hineinzuversetzen. Flexibilität Der Unternehmensberater sollte seine stetige Lernbereitschaft demonstrieren und sich darüber hinaus auf die verschiedensten Ausprägungen menschlichen Verhaltens einstellen können. Fachwissen Bringt der Unternehmensberater seine fachliche Kompetenz in das Unternehmen des Klienten ein, so sollte er es vermeiden, dies in einem Schüler- Lehrer- Verhältnis zu tun, da die Arbeit im Klientenunternehmen Hand in Hand und auf gleicher Höhe mit dem Management des Unternehmens erfolgt. Die Art der Vermittlung des Fachwissens ist ab219 hängig von der Rolle des Beraters. Soziales Verhalten Der Unternehmensberater hat bei der Erarbeitung von Maßnahmen darauf zu achten, dass diese im Rahen der Zielvorgabe sozialverträglich sind. Hierin kann erhebliche Konfliktpotenzial liegen, da beispielsweise ein Projekt, das der Kostenminimierung dient, zur Folge haben kann, dass Freisetzungsmaßnahmen im Klientenunternehmen ergriffen werden. Tabelle 3: Die soziale Kompetenz des Unternehmensberaters 220 4.4 Besonderheiten des „Produktes“ Unternehmensberatung Die Besonderheit des Produktes „Unternehmensberatung“ liegt unter anderem in seiner Natur als Dienstleistung begründet. Als solche wird sie in Abgrenzung zu den materiellen Gütern der Warenproduktion als immaterielles Gut betrachtet, für die eine Gleichzeitigkeit von Produktion und Verbrauch ein charakteristisches Merkmal ist. 218 219 Vgl. [Block 2002]; S. 59 - 62. Vgl. [Block 2002]; S. 38 - 44. 76 4. Unternehmensberatungen Den wesentlichen Inhalt einer Dienstleistung macht die unmittelbare und überwiegend auch personengebundene Arbeitsleistung des Produzenten aus. 221 Die Produktion einer Dienstleistung setzt immer eine Integration des externen Faktors voraus. Was allgemeine Gültigkeit in Bezug auf Dienstleistungen wie beispielsweise Finanzdienstleistungen besitzt, gilt für die Dienstleistung von Unternehmensberatungen im Besonderen. Was weiter oben als Integration des externen Faktors bezeichnet wurde, bringt zum Ausdruck, dass das Gut Unternehmensberatung oder die angestrebte Problemlösung als Resultat eines Beratungsprozesses erst in der Kooperation von Anbieter (dem Berater) und Abnehmer (dem Klienten) entsteht. Bei Vertragsabschluss erwirbt das Klientenunternehmen präzise formuliert nicht die Dienstleitung selbst, sondern ein Leistungsversprechen, da das Gut Unternehmensberatung nicht ex ante wahrzunehmen und zu beurteilen ist.222 Vor Vertragsabschluss und während der Beratungsdurchführung lässt sich demnach eine Intransparenz aus der Perspektive des Klienten feststellen. Nimmt man einen Perspektivwechsel vor, so kann auch von einer wechselseitigen Intransparenz gesprochen werden, da das Klientenunternehmen zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bezüglich der Problemsituation ebenfalls über einen Informationsvorsprung verfügt, den der Unternehmensberater innerhalb kürzester Zeit ausgleichen muss.223 Diese zwischen dem Klientenunternehmen und dem Beratungsunternehmen vorherrschende asymmetrische Informationsverteilung stellt bereits vor einem möglichen Vertragsabschluss ein zentrales Problem dar und erfordert umfangreiche Maßnahmen des Marketingbereichs der Unternehmensberatung. Das Beratungsunternehmen muss bereit vor Vertragsabschluss dem potenziellen Klienten vermitteln, dass es über die geeigneten Kompetenzen zur Lösung des konkreten Problems verfügt, ohne dabei allerdings zu viel zu offenbaren, da dies als negative Konsequenz zur Folge haben könnte, dass sich das Klientenunternehmen dieses Wissen zu Nut220 Eigene Darstellung in Anlehnung an [Zimmermann 1994]; S.25 f. Vgl. [Gabler Wirtschaftslexikon 2000]; S. 725. 222 Vgl. [Nestmann et al. 2004]; S. 197. 223 Vgl. [Nestmann et al. 2004]; S. 198. 221 77 4. Unternehmensberatungen ze machen könnte, ohne ein Vertragsverhältnis mit dem Beratungsunternehmen zugehen.224 Gleichzeitig muss das potenzielle Klientenunternehmen dazu gebracht werden, das Beratungsunternehmen insoweit mit Informationen zu versorgen, dass Anreize gesetzt werden können, den Beratungsauftrag zu vergeben. Ausgemachte Vertrauenseigenschaften spielen demnach aus Sicht der potenziellen Klienten eine entscheidende Rolle. An dieser Stelle ist der Ansatzpunkt für das Marketing der Unternehmensberatung zu finden. Referenzen und Reputation müssen von den beratenden Unternehmen als zentrale Ressource bei der Akquisition von Klienten genutzt werden, welche wiederum von erfolgreich realisierten Projekten und somit von der Kooperation von ehemaligen Klienten abhängen.225 4.5 Stellenwert der Ethik für Unternehmensberatungen Ethisches Verhalten ist für einen Berater von entscheidender Bedeutung. Dies lässt sich dadurch begründen, dass der Unternehmensberater stets eine Vertrauensposition inne hat. Sein Arbeitsplatz ist das Unternehmen des Klienten, seine Aufgabe ist es ein Problem zu lösen, welches der Klient nicht ohne fremde Hilfe bewältigen kann. Der Umgang mit sensiblen Daten gehört für den Unternehmensberater zum Tagesgeschäft. Für den Klienten hingegen stellt der Einsatz eines Beraters keinen alltäglichen Vorgang dar und nicht jeder Klient ist frei von Sorge, wenn es darum geht, einem für ihn fremden Berater Einblick in die sensiblen Daten und Strukturen des Klientenunternehmens gewähren. Der professionelle Berater hat also bei seiner Arbeit Diskretion zu üben und sollte über ein gut ausgeprägtes Urteilsvermögen verfügen. Der Unternehmensberater muss berücksichtigen, dass es dem Klienten unter Umständen nicht immer möglich sein kann, die Qualität der ihm angebotenen Dienste in vollem Umfang zu beurteilen. Als Orientierung dienen dem Klienten im Einzelfall Referenzen vergangener erfolgreich durchgeführter Beratungsprojekte, die kommunizierten Verhaltensstandards des Beraters sowie das Berufsethos des Berufsstandes als solchen. In diesem dargestellten Fall wird der Klient einen Verhaltenskodex als Schutz seiner Rechte 224 225 Vgl. [Nestmann et al. 2004]; S. 198. Vgl. [Nestmann et al. 2004]; S. 197 f. 78 4. Unternehmensberatungen ansehen und kann mit gutem Recht die versprochenen Verhaltensstandards erwarten.226 Dies gilt es zu berücksichtigen und den Kunden nicht zu übervorteilen. Phillip W. Shay definiert den Begriff des Berufsethos wie folgt: „Standards der Berufsausübung und -praxis, die sich aus der Natur des Berufes ergeben. Sie stehen in Übereinstimmung mit den Zielen und Aufgaben des Berufes in der Gesellschaft und werden im allgemeinen als die beste Form der Anwendung der für den Beruf eigentümlichen Kenntnisse und Fertigkeiten angesehen.“227 Betrachtet man die oben stehende Definition von Shay, so leiten sich Berufsethos und Verhaltensstandards aus dem jeweiligen Berufsbild ab. Das Ansehen des Berufsbildes ist wiederum geprägt durch das Berufsethos und die Verhaltensstandards eines Berufes.228 Daraus kann der Rückschluss gewonnen werden, dass in einer sensiblen Branche, wie es die Unternehmensberatung ist, das Ansehen eben dieser Branche stets in hohem Maße und direkt von dem Verhalten der agierenden Berater abhängig ist. Dementsprechend muss ein seriöser Berater, welcher der komplexen Aufgabe der Unternehmensberatung in vollem Maße, also auch im oben dargestellten Zusammenhang, entsprechen will, bestimmte Kriterien erfüllen, möchte er nicht dazu beitragen, den Berufsstand durch gegenläufiges Verhalten zu schädigen. Diese Kriterien sind: der Erwerb von Fachwissen und die Aneignung der für den Beruf notwendigen Regeln, die effektive Anwendung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten, der Grundsatz, das Interesse der Klienten stets vor persönliche Interessen oder Gruppeninteressen zu stellen, das Anlegen hoher Maßstäbe an ihren Dienst am Kunden, die Verpflichtung, sich den Forderungen des Berufsstandes entsprechend zu verhalten.229 226 Vgl. [Lippitt/Lippit 1995]; S. 97. Vgl. [Lippitt/Lippit 1995]; S. 97. 228 Vgl. [Lippitt/Lippit 1995]; S. 98. 229 Vgl. [Lippitt/Lippit 1995]; S. 99. 227 79 4. Unternehmensberatungen Obgleich es auf den ersten Blick nicht unbedingt als Herausforderung erscheint, den dargestellten Kriterien gerecht zu werden, da diese doch mit dem Selbstverständnis eines gewissenhaft und seriös arbeitenden Beraters korrespondieren sollten, so wird dieser Eindruck doch von der Praxis relativiert. Unternehmensberater kommen in unterschiedlichsten Bereichen zum Einsatz, von denen nicht wenige dadurch geprägt sind, dass ethische Normen nur in unklarer Form existieren. Unter Umständen werden durch eine erbrachte Beratungsleistung unternehmensseitig Entscheidungen getroffen, die zu einer Benachteiligung der schwächeren Teile des „Systems Unternehmen“ führen können. So kann ein Beratungsprojekt, das eine Kostenersparnis für das Klientenunternehmen zum Ziel hat, dazu führen, dass Mitarbeiter freigesetzt werden. An dieser Stelle ist der Berater in der Situation, die unterschiedlichen Interessen abwägen zu müssen und sie gegebenenfalls - so weit es in seinem Wirkungsbereich liegt - in fairer Weise auszugleichen.230 Dies wird zusätzlich durch die Tatsache erschwert, dass der jeweilige Berater selbst durch bestimmte objektive sowie subjektive Werturteile geprägt ist.231 Die Tätigkeit des Unternehmensberaters beinhaltet Aktivitäten, die ihn vor eine Wahl zwischen alternativen Handlungsverläufen stellt. Durch die Wahl einer der sich ihm anbietenden Alternativen, trifft der Berater oftmals auch eine Entscheidung zwischen verschiedenen Wertpositionen, die eben auch ethischer Ausprägung sein können.232 Die zu fällenden Werturteile sind stets in einem sozialen Zusammenhang zu sehen, für den in der Regel Werte in Gestalt gesetzlicher Vorschriften oder Verboten fixiert sind. Ein erheblicher Teil der Entscheidungsrichtlinien für das Verhalten im Beratungsprozess ist demnach durch gesetzliche Regelungen oder institutionelle Bestimmungen festgelegt. Diese Ebene der Beratungsrichtlinien ist Teil der normativen Ethik.233 Erheblich komplexer sind für den Berater jene Entscheidungen, die nicht durch die Gesetzgebung oder akzeptierte gesellschaftliche Normen reglementiert sind. Die 230 Vgl. [Lippitt/Lippit 1995]; S. 100. Vgl. hierzu Kapitel 2.1.5 232 Vgl. [Lippitt/Lippit 1995]; S. 100. 233 Vgl. [Lippitt/Lippit 1995]; S. 100. 231 80 4. Unternehmensberatungen Frage, nach welchen Gegebenheiten in solchen Fällen Entscheidungen getroffen werden sollen, kann beim Berater einen internen Konflikt bewirken, in dem er selbst die Richtigkeit seiner Überzeugungen und Werte hinterfragen muss. Fletcher formuliert drei Methoden, ethische Entscheidungen zu treffen, welche in der untenstehenden Tabelle 4 dargestellt werden. Methode legalistische Methode Erläuterung Kodex von vorformulierten Regeln und Vorschriften, der im Prinzip als Gesetzbuch fungiert gesetz- oder prinzipienlose Me- Keinerlei formulierte Grundsätze oder Maximen thode Handeln aus Eigeninteresse situationsorientierte Methode Zwischenform der beiden oben genannten Methoden, die der Tatsache Rechnung trägt, dass jede Beratungssituation einzigartig ist. Die ethische Entscheidung entspringt der jeweiligen Situation und wird mit Hilfe von Erfahrungen aus ähnlichen Situationen getroffen, indem ethische Maximen auf die neue Situation übertragen werden. Tabelle 4: Methoden der ethischen Entscheidungsfindung nach Fletcher 234 Bedient sich ein Berater der situationsorientierten Ethik, so ist er bereit, gewisse vorformulierte Prinzipien anzuwenden, wobei allerdings diese nicht als starre Gesetze angesehen, sondern lediglich als Orientierungsrahmen genutzt werden. 4.6 Beratungsverbände Der Beruf des Unternehmensberaters unterliegt in Deutschland keiner gesetzlich fixierten Berufsordnung und keinem Berufsbezeichnungsschutz. Unabhängig von tatsächlicher Qualifikation und Erfahrung ermöglicht dies das Führen der Bezeichnung als „Unternehmensberater“, „Wirtschaftsberater“, „Betriebsberater“ oder „Personalberater“.235 Die Vereinigung zu einem Berufsverband ermöglicht es diesem und den angeschlossenen Unternehmen zum einen Transparenz zu schaffen, also es dem potenziellen Klienten zu erleichtern, für seine Zwecke qualifizierte Beratungsunternehmen identifizieren zu können. 234 235 Eigene Darstellung in Anlehnung an [Lipitt/Lipitt 1995]; S. 101. Vgl. www.BDU.de 81 4. Unternehmensberatungen Die Mitgliedschaft im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater - in der Folge als BDU bezeichnet - stellt für den Klienten ein Signal dafür dar, mit einem seriösen, zuverlässigen und kompetenten Beratungsanbieter zusammenzuarbeiten. Der zweite Vorteil, welcher der Bildung eines solchen Verbandes nachfolgt, liegt auf der Seite der betreffenden Unternehmen. Diese haben durch den Anschluss an beispielsweise den BDU die Möglichkeit, auf dessen Richtlinien und Qualitätsansprüche zu verweisen und sich auf diesem Wege von qualitativ minderwertigeren und unseriösen Unternehmen der Beratungsbranche abzugrenzen. 4.6.1 Der Bundesverband Deutscher Unternehmensberater Bei dem Bundesverband Deutscher Unternehmensberater handelt es sich um einen Berufsverband der Managementberater und Personalberater, welcher in Deutschland ansässig ist. Mit den rund 13.000 organisierten Beratern und über 500 Mitgliedsfirmen stellt der BDU den größten Unternehmensberater-Verband in Europa dar. Als solcher ist der BDU sowohl Mitglied im europäischen Beraterdachverband, der Fédération Européenne des Associations de Conseil en Organisation (FEACO) mit Sitz in Brüssel, als auch im International Council of Management Consulting Institutes (ICMCI) mit Sitz in den USA. Sowohl die nationalen als auch die internationalen Vereinigungen haben als Ziel die Qualitätssicherung in der Branche der Unternehmensberatung formuliert.236 4.6.2 Aufgaben des BDU Die Aufgabe des BDU besteht darin, die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Branche derart zu beeinflussen, dass in der Folge die Leistungsstandards erhöht und stetig weiterentwickelt werden. Die Beratungsqualität steht im Mittelpunkt dieses Bestrebens, nicht nur in dem Sinne, dass möglichst perfekt auf den Klienten zugeschnittene und professionelle Konzepte entwickelt werden, sondern auch in Bezug auf die Seriosität der gesamten Branche. Dies ist zwingend notwendig, da wie einleitend beschrieben, die Bezeichnung als Berater keinerlei Berufsbezeichnungsschutz unterliegt. 236 Vgl. www.BDU.de 82 4. Unternehmensberatungen 4.6.3 Instrumente zur Sicherstellung der Beratungsqualität Nach dem Versuch, ein Berufsrecht für den Beruf des Unternehmensberaters einzuführen, der im Jahre 1996 endgültig daran scheiterte, dass ein weiterer verkammerter Beruf nicht mit den Bestimmungen der Europäischen Union vereinbar erschien, gingen die Berufsverbände dazu über, sich mit Hilfe des Qualitätsmanagements nach ISO 9001 von unseriösen und inkompetenten Anbietern vergleichbarer Dienstleistungen abzugrenzen.237 4.6.4 Kriterien zur Aufnahme in den BDU Da der BDU für vertrauenswürdige Geschäftsbeziehungen und für eine qualitativ anspruchsvolle Beratungsleistung steht, unterliegen die Mitglieder der Kontrolle durch den BDU-Ehrenrat. Regelmäßige Weiterbildungsmaßnahmen in den Fachverbänden und BDU-Seminaren werden vorausgesetzt. Um die Mitgliedschaft im BDU als Qualitätssiegel dauerhaft erhalten zu können, ist die Mitgliedschaft abhängig von der Erfüllung bestimmter vom BDU festgelegter Kriterien. Abbildung 13: Kriterien zur Aufnahme in den BDU 238 Mit Hilfe dieser Kriterien soll gewährleistet werden, dass die qualitativ hochwertige Beratungsleistung, welche die Mitgliedschaft im BDU den Klienten gegenüber kommuniziert, auch von jedem seiner Mitglieder tatsächlich erbracht werden kann. 237 238 Vgl. [Niedereichholz 2001], S. 16 Eigene Darstellung in Anlehnung an www.bdu.de/Beratungsqualität. 83 4. Unternehmensberatungen 4.6.5 Berufsgrundsätze Ein Kodex ethischer Regeln für einen Beruf soll die faire und professionelle Behandlung eines Klienten gewährleisten und deren Schutz sichern. Wie auch in anderen Berufen werden hierbei einige der leichter bestimmbaren Verhaltensregeln schriftlich niedergelegt. Zum Ausdruck gebracht wird die Bereitschaft, sich über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus, zu einer freiwilligen Selbstdisziplin zu verpflichten.239 Mit der Erfüllung der weiter oben dargestellten Kriterien, verpflichten sich die Mitglieder auf die Grundsätze des BDU. Diese beinhalten Objektivität und Neutralität, Vertraulichkeit im Umgang mit Kundendaten, fairem Wettbewerb und eine angemessene Preisbildung. Allgemein machen Mitglieder des BDU diese Grundsätze zum Vertragsbestandteil. Diese regeln folgende Punkte: fachliche Kompetenz Seriosität und Effektivität Objektivität, Neutralität und Eigenverantwortlichkeit unvereinbare Tätigkeiten Vertraulichkeit Unterlassung von Abwerbung fairer Wettbewerb angemessene Preisbildung seriöse Werbung240 Exemplarisch dargestellt, regelt der Punkt Vertraulichkeit, dass alle geschäfts- und auftragsbezogenen Tatsachen, die in Zusammenhang mit der Auftragsdurchführung bekannt werden, zeitlich unbeschränkt der Schweigepflicht unterliegen. Ohne schriftliche Einwilligung des Auftraggebers dürfen sie weder an Dritte weitergegeben, noch vom Berater für sich selbst verwertet werden. Ähnlich geartet, wenn auch mit einem anderen Wortlaut stellen sich die Berufsgrundsätze anderer Dachorganisationen wie der FEACO dar.241 239 Vgl. [Lippitt/Lippit 1995]; S. 105. Vgl. hierzu ausführlicher Anhang IV 241 Vgl. [Kubr 1996]; S. 735. 240 84 4. Unternehmensberatungen Im Beratungsprozess muss sich jeder Unternehmensberater mit den ethischen Vorstellungen seines Klienten auseinandersetzen und seine Vorstellungen mit denen seines Klienten abgleichen, damit ein produktives Ergebnis erzielt werden kann. Sofern die oben dargestellten BDU-Normen und Regeln eingehalten werden, freiwillig, konsequent oder in Form von Unternehmens-Leitlinien, ist es möglich, das Ansehen des Berufsstandes der Unternehmensberater in der Wirtschaft zu erhalten oder noch auszubauen.242 Aufgrund des besonderen Vertrauensverhältnisses dieser Branche wiegen allerdings die Vergehen derer, die gemeinhin als „schwarze Schafe“ bezeichnet werden, scheinbar schwerer als das Gros der Berater, welche seriös und im Klienteninteresse handeln. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass publik gemachte Negativbeispiele und diverse Veröffentlichungen die Unsicherheit potenzieller Klienten gegenüber Anbietern von Beratungsleitungen nicht eben abzubauen helfen. Stellvertretend für die Negativliteratur wird an dieser Stelle in der Tabelle 5 eine „Interpretation“ der Beratungsrichtlinien des BDU eines langjährigen Branchenangehörigen dargestellt: Aussage Erläuterung Wenn Dir drei Sachen einfallen, die bei deinem Vorhaben schief gehen können, gibt es einen Fehler in Deinem Gedankengang. Dreierregel 1. Gesetz der Beratung Jeder Kunde hat ein Problem, auch wenn er etwas ganz anderes behauptet. 2. Gesetz der Beratung Hinter jedem Problem steckt menschliches Versagen, auch wenn es auf den ersten Blick nicht danach aussieht. 3. Gesetz der Beratung Vergiss nicht, dass Du für Deine Zeit bezahlt wirst und nicht für die Lösung eines Probleme. 4. Gesetz der Beratung Löse niemals Probleme von Menschen, die Dich nicht beauftragt haben. Tabelle 5: Beratungsregeln nach Weinberg 243 Es ist auf den ersten Blick erkennbar, dass die Übereinstimmung mit den Berufsrundsätzen seriöser Berater wenig gemein haben. Angesichts solcher Negativliteratur sind die Ressentiments gegenüber der Branche nachvollziehbar, besonders, wenn in die Überlegungen mit einbezogen wird, dass es sich bei der Unternehmensberatung um eine sehr hochwertige und damit verbunden unter Um242 243 Vgl. [Kuchenbecker 2004]; S. 24. Eigene Darstellung in Anlehnung an [Weinberg 2003]; S.244 ff. 85 4. Unternehmensberatungen ständen nicht eben günstige Dienstleistung handelt. Wenn durch entsprechende ratur ein falsches Berufsethos suggeriert wird, welches derart plastisch anhand des oben stehenden „3. Gesetz der Beratung“ dargestellt wird, so wird ein potenzieller Klient im Zweifel eher davor zurückschrecken, externe Berater in seinem Unternehmen einzusetzen. 86 5. Fazit 5. Fazit Das Fazit dieser Diplomarbeit einleitend sei angemerkt, dass sich der Autor der Tatsache bewusst ist, dass bestimmte Passagen der vorliegenden Arbeit - wie bspw. jene, die sich mit staatlichen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung befassen - teilweise durch eine persönliche Sichtweise geprägt sind. Seiner Ansicht nach widerspricht eine persönliche Prägung auch nicht der wissenschaftlichen Vorgehensweise, die einer Diplomarbeit angemessen ist, insbesondere dann, wenn es sich um eine Arbeit handelt, welche sich in einem erheblichen Maße mit der Bewusstseinsbildung und der Philosophie auseinandersetzt. Es eröffnen sich verschiedene Fragestellungen in Bezug auf die Möglichkeiten der Unternehmen beziehungsweise der Unternehmer, ethische und moralische Normen auf ihre Handlungen in dem sie umgebenden Wirtschaftssystem zu übertragen. Wird der Markt einen freiwilligen Verzicht auf umweltschädigende Produktionsverfahren oder Produkte honorieren? Im welchem Maße kann ein Unternehmen freiwillig dem Umweltschutz nachgehen, ohne sich selbst nachhaltig in seiner Existenz zu gefährden? Die Beantwortung solcher Fragen ist nicht nur abhängig von der speziellen Situation eines Unternehmens, sondern auch von den Köpfen, welche es steuern. Die vorliegende Arbeit stellt nach Ansicht des Autors dar, dass ethische Entscheidungen als in hohem Maße abhängig von der Auseinandersetzung der Verantwortlichen mit sich selbst, deren Verständnis und deren individueller Interpretation moralischer Normen anzusehen sind. Aus dieser Tatsache ergeben sich gleichzeitig aber auch Chancen, die es zu nutzen gilt, um den Status Quo zu verändern. Die Rahmenbedingungen, welche zum Funktionieren der Marktwirtschaft beitragen sollen, werden durch den Staat gesetzt. Allerdings existieren erhebliche Spielräume sowohl zwischen dem, was gesellschaftlich und rechtlich „erlaubt“ und dem, was gesellschaftlich und rechtlich „nicht erlaubt“ ist, sowie dem, was ein Unternehmen erwirtschaften muss, um sein Weiterbestehen zu sichern und dem, was es unter Aufbietung aller Maßnahmen erwirtschaften könnte. Demzufolge existiert auch ein Rahmen unternehmerischer Freiheit, in den ethische Überzeugungen eingebettet werden können und der seitens der Unternehmensführung dazu genutzt werden 87 5. Fazit kann. Dieser Rahmen erweitert sich dieser Logik folgend proportional zum wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens. Es ist offensichtlich, dass moralisches und ethisches Handeln nicht von höheren Instanzen diktiert werden kann. Die Beispiele von unzureichend oder gar nicht umgesetzten Unternehmensleitbildern, die sich im besten Falle auf moralische Normen stützen und sowohl an der Implementierung als auch an der Glaubwürdigkeit ihrer Kommunikation scheitern, belegen diese These. Gelingt es den Unternehmern allerdings, ihre ethischen Überzeugungen glaubhaft zu vermitteln - sei es gegenüber dem Vorstand, den Anteilseignern, den Kunden oder den Geschäftspartnern - und werden diese in der Folge konsequent verfolgt, so kann es gelingen, diese in das Rahmenwerk wirtschaftlichen Handelns zu integrieren. Das Ziel muss es sein, zu bewirken, dass die verschiedenen Anspruchsgruppen der Gesellschaft die Überzeugungen aufnehmen und sich mit ihnen auseinandersetzen. In Kapitel 3.6.4 wurde erläutert, dass die Ethik auf einer individuellen Ebene ihre Wirkung am ehesten entfaltet. Der Ansatz, ethische Inhalte im Rahmen der Ausbildung beziehungsweise des Studiums zu vermitteln, erscheint erfolgversprechend, denn wie im selben Kapitel ebenfalls ausgeführt wurde, hängen die Handlungen von Unternehmen oftmals vom Wettbewerb, also vom Handeln anderer ab. Auf diese Weise könnte eine Neuorientierung dahingehend bewirkt werden, dass sich, einen Umweg über die jeweiligen Entscheidungsträger nehmend, Unternehmen ihrer sozialen Verantwortung bewusst werden und entsprechend handeln. Das vierte Kapitel beschäftigte sich mit dem Thema der Ethik im Bereich der Unternehmensberatungen. In Bezug auf die ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit stellt sich die Frage, ob die erörterten Verhaltensregeln der Beratungsbranche ihren Ursprung in jenen moralischen Normen haben, welche in den vorangegangenen Kapiteln dieser Arbeit vorgestellt und dargestellt wurden, beziehungsweise ob sie aus ihnen abgeleitet wurden. Wäre dem so, so wäre das Handeln der Berater, sofern sie sich diesen Verhaltensregeln unterwerfen, streng an allgemeingültigen Normen orientiert. Wie aber ließen sich in diesem Falle die Negativbeispiele erklären? Eine Differenzierung auf der individuellen Ebene der handelnden Personen ermöglicht eine objektivere Sichtweise. Zur Darstellung des Grundproblems eines Beraters, 88 5. Fazit sollte er - in freier Anlehnung an die Darstellungen von Aristoteles oder Immanuel Kant, die den Menschen im Allgemeinen als ein intelligibles Wesen betrachteten - als eine Person mit zwei Seiten angesehen werden. Dies ermöglicht eine Darstellung des Beraters als eine Person mit einer privaten und einer professionellen Komponente. Im Privatleben mag sich der Berater - sei es aus Respekt vor geltenden Normen, sei es aus Überzeugung - streng an eben diesen Normen orientieren, in Ausübung seiner Tätigkeit jedoch ist es die professionelle Komponente, die im Vordergrund steht, auch für den Fall, dass dies zu inneren Konflikten führt, falls der Berater im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit gezwungen ist, anders zu handeln, als er es unter Umständen als Privatperson getan hätte. Jedoch ist dem Berater professionelles Handeln nicht vorzuwerfen, letztlich generiert er durch die erfolgreiche Ausübung seines Berufes sein Einkommen. Sein Lebensunterhalt orientiert sich deutlich an seinem beruflichen Erfolg. Wie erfolgreich aber muss er tatsächlich sein? Objektiv betrachtet könnte man zu dem Schluss kommen, dass für einen Berater - ähnlich wie in Kapitel 3.6.3.1 in Bezug auf Unternehmenspolitik diskutiert - nicht zwingend die Gewinnmaximierung als Zielgröße fungieren muss. Überträgt man den Begriff des „angemessenen Gewinns“ auf die Beratungsbranche, so wäre es in den wenigsten Fällen notwendig, Aussagen zu tätigen, wie jene von Gerald Weinberg, die in Tabelle 5 dargestellt sind, beziehungsweise nach diesen zu handeln. Der Berater steht im Laufe seiner beruflichen Tätigkeit sicherlich mehr als einmal vor dem Dilemma der Professionalität. Er kann einerseits eine mögliche Handlung nicht mit seinem Gewissen oder seinen Überzeugungen vereinbaren, andererseits ist ihm bewusst, dass er einen lukrativen Auftrag und darüber hinaus auch mögliche Folgeaufträge unter Umständen verliert, wenn er dem Klientenwunsch nicht entspricht. Eine Entscheidung im Sinne seiner ethischen Überzeugungen kann also für ihn erhebliche wirtschaftliche Verluste bedeuten. Abgesehen davon, dass dem Berater bewusst ist, dass sich in aller Regel ein anderer Berater fände, welcher dem Klientenwunsch bedenkenlos nachkäme, muss sich der Berater vergegenwärtigen, dass er seiner Berufsaufgabe nicht nachkommt, wenn er ablehnt. Nach Ansicht des Autors dieser Arbeit existiert allerdings noch einen Mittelweg. Für den Berater, der in einem wie oben geschilderten Dilemma steckt, besteht durchaus die Möglichkeit, seine Vor89 5. Fazit stellungen in den Planungsprozess des Projektes einzubringen. Es kann und sollte durchaus als Qualitätsmerkmal gewertet werden, wenn ein Berater auf professionelle Weise, in dem sich ihm bietenden Rahmen, ein von den Klientenwünschen in einzelnen Faktoren abweichendes Konzept vorlegt, das zwar die selbe Zielsetzung verfolgt, sich aber in der Wahl der Instrumente in dem Sinne unterscheidet, dass es sich beispielsweise durch ein höheres Maß an sozialer Gerechtigkeit auszeichnet. An dieser Stelle haben gerade kleinere und mittelständische Beratungsunternehmen ein Instrument zur Hand, welches zur Profilgewinnung gegenüber beratenden Großunternehmen wie bspw. McKinsey genutzt werden kann. Was genau stellen die Verhaltensregeln der Beratungsbranche dar - einen Leitfaden für den einzelnen Berater, basierend auf ethischen und moralischen Normen, ein Qualitätssiegel oder ein Marketing-Instrument? Sicherlich erscheinen die Codes of Conduct auf den ersten Blick als ein Gütesiegel, schließlich muss der Berater, der die Mitgliedschaft in einem der großen Beraterverbände anstrebt, gewisse Kriterien erfüllen. Inhaltlich drücken die Verhaltensrichtlinien allerdings nichts aus, was einem Betrachter ein übermäßiges Gefühl der Sicherheit vermittelt, zeichnen sie sich doch durch ein hohes Maß an Allgemeinheit und durch einen Bezug auf Verhaltensweisen aus, die ein Mensch schlichtweg als selbstverständlich interpretieren können sollte. Sicherlich beinhalten die Verhaltensregeln für die Berater des BDU ein Qualitätsversprechen. Weiterhin drohen den betreffenden Unternehmensberatungen Sanktionen seitens des Verbandes wie beispielsweise der Ausschluss aus diesem. Fraglich ist in dieser Hinsicht jedoch, ob das Unternehmen, welches sich eines Vergehens im Sinne des BDU schuldig gemacht hat, aufgrund der Tatsache, dass ein Klient geschädigt wurde mit Sanktionen rechnen muss, oder ob nicht vielmehr der befürchte Imageverlust der Beratungsbranche den entscheidenden Faktor für Sanktionen darstellt. Folgt man diesem angenommenen Motiv, so können die Codes of Conduct als ein Instrument zur Bildung einer exklusive und geschlossenen Gesellschaft interpretiert werden, denn es geht ja ausdrücklich aus ihnen hervor, dass beispielsweise im notwendigen Falle einer Kooperation mit anderen Beratungsunternehmen jeweils auf andere dem BDU angeschlossene Unternehmensberatungen zurückgegriffen werden sollte. Sie stellen demnach nicht nur eine Barriere dar, die dazu dient, dass „schwarze Schafe“ ausgegrenzt werden sollen, sie vermitteln eben auch den Ein90 5. Fazit druck der Exklusivität, die sich allerdings aus den Verhaltensregeln selbst nicht gend erkennen lässt. Weiterhin sind sie auch als ein Marketing-Instrument anzusehen, da der werbliche Hinweis auf die Mitgliedschaft im BDU und dessen Qualitätsstandards in Kombination mit Referenzen durchaus als geschäftsfördernde Kriterien zu bewerten sind. 91 Quellenverzeichnis Quellenverzeichnis Literaturquellen Baßeler, Ulrich / Heinrich, Jürgen / Koch, Walter A. S.; Grundlagen und Probleme der Volkswirtschaft, Wirtschaftsverlag Bachem, Köln, 14. überarb. Auflage, 1995 Berger, Rainer; Der Umbau des Sozialstaates, Ansichten von Parteien und Wohlfahrtsverbänden zur Modernisierung des Staates, Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen/Wiesbaden, 1999 Block, Peter; Erfolgreiches Consulting: Das Berater- Handbuch, 3. 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Der Wirtschaftsprozess um Enron244 Houston/Washington - Einer der spektakulärsten Prozesse um Wirtschaftsbetrug in den USA ist am Montag in Houston (Texas) in die entscheidende Phase getreten. Die Ankläger und Verteidiger im Enron-Prozess um den Untergang des einst größten Energiehändlers der Welt begannen mit ihren Schlussplädoyers. Prozessbeobachter rechnen damit, dass die Geschworenen sich noch im Laufe der Woche zu den Beratungen über Schuld oder Unschuld der früheren Enron-Bosse Jeff Skilling und Kenneth Lay zurückziehen werden. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die wegen Betruges und Verschwörung angeklagten Unternehmenschefs die prekäre Finanzlage von Enron kannten, Investoren und Angestellte mit optimistischen Prognosen aber in die Irre führten. Vor allem Skilling werden auch kriminelle Machenschaften vorgeworfen. Die Verteidigung bot in den vergangenen drei Monaten dutzende Zeugen aus dem Unternehmen auf, die sich selbst bereits des Betrugs schuldig bekannt hatten. Skilling und Lay, die in den Zeugenstand traten, beharren darauf, dass der damalige Finanzchef Andrew Fastow sich zwar illegal an dubiosen Partnerschaften bereicherte, das Unternehmen aber ansonsten korrekt geführt wurde. Fastow trat als Zeuge der Anklage auf und belastete vor allem Skilling schwer. Sein Chef habe die illegalen Machenschaften gebilligt, sagte er im Zeugenstand. „Wir haben alle gestohlen.“ Fastow ist bereits zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Richter Simeon Lake wollte die Geschworenen anweisen, dass es auch strafbar sei, wenn Unternehmenschefs absichtlich vermeiden, etwaige illegale Machenschaften aufzudecken. Das kündigte er vergangene Woche an. Skilling und Lay drohen bei einem Schuldspruch Jahrzehnte hinter Gittern. 16 ehemalige Enron-Manager sind bereits verurteilt oder haben sich schuldig bekannt. Enron war eines der zehn größten US-Unternehmen. Nach dem Auffliegen der Bilanzbetrügereien musste das Unternehmen im Dezember 2001 Gläubigerschutz beantragen. Investoren verloren Milliardenbeträge, tausende Mitarbeiter den Arbeitsplatz und ihre gesamten Pensionsansprüche. Skilling und Lay bezichtigen Fastow, das Unternehmen im Alleingang in den Ruin getrieben zu haben. 244 Vgl. http://www.verivox.de/News/articledetails.asp?aid=14666; Stand: 29.05.2006. 97 Der Fall Brent Spar II. Der Fall Brent Spar245 Die Brent Spar, 190 Kilometer nordöstlich der Shetland-Inseln im Meer verankert, diente von 1976 bis 1991 als Rohöl-Zwischenlager. Aus finanziellen und technischen Gründen wollte Shell den Stahlkoloss mitsamt rund 130 Tonnen Ölschlämmen, Schwermetallen und radioaktiven Abfällen einfach im Meer versenken. Nach einer beispiellosen Kampagne gegen die geplante Versenkung lenkte Shell im Juni 1995 ein: Die Brent Spar sollte nun doch an Land zerlegt werden. Seit 1998 gilt zudem ein generelles Verbot für Plattformversenkungen. Diese Erfolge stützen sich auf unzählige Verbraucherinnen und Verbraucher, welche die Greenpeace- Kampagne mitgetragen haben. Ein solcher Sieg für den Meeresschutz konnte nur gelingen, weil die Öffentlichkeit und die Verbraucher in Europa die Shell-Haltung "Aus den Augen, aus dem Sinn" vehement abgelehnt haben. Shell selbst trug entscheidend zum Erfolg des Protests gegen die Brent-SparVersenkung bei: Bis zum Schluss hatte der Konzern nicht begriffen, dass er die öffentliche Meinung nicht einfach ignorieren kann. Durch gefährliche Attacken wie Wasserwerfer-Einsätze gegen die Greenpeace-Aktivisten heizte Shell die Konfrontation Woche um Woche weiter an. Die immer breiter werdende Berichterstattung in den Medien tat ein übriges: Shell gab nach und bezahlte für seine krasse Fehleinschätzung mit einem herben Imageverlust. Auch Greenpeace unterlief kurz vor Kampagnen-Ende eine Panne: Aufgrund eines Messfehlers wurden die in der Brent Spar verbliebenen Ölmengen um ein Vielfaches zu hoch eingeschätzt. Für die Veröffentlichung der überhöhten Zahlen wurde die Organisation zu Recht kritisiert. Der britische Greenpeace-Chef entschuldigte sich später schriftlich bei Shell für die Messpanne. Sechs Wochen lang hatte Greenpeace jedoch ausschließlich mit Shell- eigenen Zahlen argumentiert. Erst zum Schluss veröffentlichte die Umweltschutzorganisation den falschen Wert - zu diesem Zeitpunkt war die öffentliche Empörung aber längst auf dem Höhepunkt. Giftmengen waren nie das zentrale Argument der Brent-Spar-Kampage. Es ging Greenpeace um die Verhinderung eines Präzedenzfalles: 245 Vgl. http://www.greenpeace.at/293.html; Stand: 23.03.2006. 98 Massenentlassungen bei der Deutschen Bank Industrie-Schrott gehört nicht ins Meer Industrie-Unternehmen stehen - wie auch die Verbraucher - in der Verantwortung, ihren Müll möglichst umweltschonend zu entsorgen Versenkungsverbote, die in anderen Branchen schon lange existierten, sollten auch für die Ölindustrie gelten 1998 konnte das Kapitel "Plattform-Versenkung" in der Nordsee und dem NordostAtlantik endlich abgeschlossen werden: Die OSPAR- Meeresschutz-Konferenz einigte sich auf ein generelles Versenkungsverbot für Stahlplattformen. Damit wurde die Brent Spar tatsächlich zu einem positiven Präzedenzfall für den Meeresschutz. III. Massenentlassungen bei der Deutschen Bank246 Trotz steigender Gewinne der Deutschen Bank will Konzernchef Ackermann 6400 Stellen streichen. Aus der Politik hagelt es Kritik. Die Ankündigung der Deutschen Bank, trotz steigender Gewinne Tausende von Stellen zu streichen, hat parteiübergreifend Empörung ausgelöst. SPD-Fraktionsvize Michael Müller sprach in der „Berliner Zeitung“ von einer „Schweinerei“. „Die Gewinnerwartungen so zu Lasten der Arbeitsplätze zu überziehen, ist eine Unverschämtheit.“ Auch von Seiten der Grünen und des Arbeitnehmerflügels der CDU wurde scharfe Kritik laut. „Dies ist ein Zeichen, dass die Wirtschaftsethik verloren zu gehen droht“, sagte der derzeitige Vorsitzende des CDU-Arbeitnehmerflügels, der Bundestagsabgeordnete Gerald Weiß, der Zeitung. „Die alleinige Rendite-Orientierung ist ein Ausweis kurzfristigen Denkens. Man muss für die Menschen und mit den Menschen wirtschaften.“ Entrüstung über die Pläne der Bank gab es auch bei den Finanzexperten von RotGrün. Der SPD- Politiker Joachim Poß sprach von einem Kurs, der moralisch wie volkswirtschaftlich fragwürdig sei. Kurzfristige steuerpolitische Maßnahmen schloss er allerdings aus. Zunächst müsse man in der Europäischen Union zu einer einheitlichen Bemessungsgrundlage für die Unternehmensbesteuerung kommen. 99 Massenentlassungen bei der Deutschen Bank Deutsche-Bank-Vorstandschef Josef Ackermann hatte am Vortag angekündigt, dass trotz des besten Geschäftsergebnisses seit vier Jahren weitere 6400 Stellen abgebaut werden. 2004 steigerte die Bank ihr Ergebnis vor Steuern um 50 Prozent auf 4,1 Milliarden Euro. Der Jahresüberschuss verbesserte sich um 87 Prozent auf 2,5 Milliarden Euro. „Dieser Erfolg ist Beweis dafür, dass wir gut aufgestellt sind“, sagte Ackermann. Die Ankündigung des Deutsche-Bank-Chefs erregten gerade auch deshalb Empörung, weil viele Deutsche derzeit noch von Existenzängsten geplagt werden. So erwarten sich viele Bundesbürger angesichts der Rekordarbeitslosigkeit von über fünf Millionen Arbeitslosen im Januar wenig vom Arbeitsmarkt. „Noch nie waren die Werte über die persönliche Zukunft so schlecht wie zurzeit“, sagte der Chef des Meinungsforschungsinstitutes TNS Emnid, Klaus-Peter Schöppner, der Zeitung „Die Welt“. 85 Prozent der Deutschen seien über ihre „persönliche Zukunft beunruhigt“. 68 Prozent rechnen für das Jahr 2005 mit weiter steigenden Arbeitslosenzahlen. Laut einer Umfrage des „Handelsblatts“ unter 885 Managern will jedes vierte Unternehmen (28 Prozent) in den nächsten zwölf Monaten seine Belegschaft verkleinern. Damit sank der Anteil zwar Anfang 2005 auf den tiefsten Stand seit fast vier Jahren. Trotzdem seien Firmen, die Stellen streichen, gegenüber denen, die neue Jobs schaffen wollen, weiter in der Überzahl, hieß es. Die Grünen-Finanzexpertin Christine Scheel sagte, gerade angesichts der neuen Arbeitslosenstatistik sei die Ankündigung der Deutschen Bank höchst problematisch. „Die Politik kann aber auf unternehmerische Entscheidungen nicht viel Einfluss nehmen“, fügte sie hinzu. Der niedersächsische SPD-Vorsitzende Wolfgang Jüttner beklagte ebenfalls die Machtlosigkeit der Politik. „Derartiges UnternehmensVerhalten dokumentiert, was für kleine Brötchen die Politik mitunter backt“, sagte er. 246 Vgl. http://www.stern.de/wirtschaft/unternehmen/?id=536135, Stand: 23.03.2006. 100 Die Berufsgrundsätze des BDU IV. Die Berufsgrundsätze des BDU247 1. Fachliche Kompetenz Unternehmensberater übernehmen nur Aufträge, für deren Bearbeitung die erforderlichen Fähigkeiten, Erfahrungen und Mitarbeiter bereitgestellt werden können. Unternehmensberater suchen Lösungen, die dem Stand der Wissenschaft, der Entwicklung der Branche und den Bedürfnissen des Klienten in bester Weise gerecht werden. Unternehmensberater unternehmen alle Anstrengungen, ihre Kenntnisse, Fähigkeiten und Verfahrenstechniken ständig zu verbessern und machen ihren Klienten die Vorteile dieser Verbesserungen uneingeschränkt zugänglich. 2. Seriosität und Effektivität Unternehmensberater empfehlen ihre Dienste nur dann, wenn sie erwarten, dass ihre Arbeit Vorteile für den Klienten bringt. Sie geben realistische Leistungs-, Termin- und Kostenschätzungen ab und bemühen sich, diese einzuhalten. Unternehmensberater üben nicht nur eine gutachterliche Tätigkeit aus oder erarbeiten Empfehlungen, sondern wirken bei der Realisierung der Vorschläge mit und arbeiten solange mit dem Klienten zusammen, bis dieser die Aufgabe ohne Hilfe des Unternehmensberaters fortführen kann. Unternehmensberater sind sich bewusst, dass neben der sachlichen Lösung die menschlichen Beziehungen große Bedeutung besitzen. Sie bemühen sich deshalb um eine harmonische Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber und seinen Mitarbeitern. 3. Objektivität, Neutralität und Eigenverantwortlichkeit Unternehmensberater werden grundsätzlich eigenverantwortlich tätig und akzeptieren in Ausübung ihrer Tätigkeit keine Einschränkung ihrer Unabhängigkeit durch Erwartungen Dritter. Sie führen eine unvoreingenom- 247 Vgl. www.bdu.de/Qualitätsanspruch/Berufsgrundsätze/Unternehmensberater; Stand:09.06.2006. 101 Die Berufsgrundsätze des BDU mene und objektive Beratung durch und sprechen auch Unangenehmes offen aus. Sie erstellen keine Gefälligkeitsgutachten. Unternehmensberater respektieren auch gegenüber den für sie tätigen Mitarbeitern, soweit diese als Unternehmensberater qualifiziert sind, deren Verpflichtung zu eigenverantwortlicher Tätigkeit. Unternehmensberater verpflichten sich zur Neutralität gegenüber Lieferanten von Geräten, Hilfsmitteln und Diensten, die zur Verwirklichung ihrer Vorschläge erforderlich sind und fordern oder akzeptieren von diesen keinerlei Provisionen, Aufwandsentschädigungen oder dergleichen. Sofern Unternehmensberater Lieferanten empfehlen, erfolgt dies nur aufgrund der Erfordernisse des Klienten oder einer vergleichenden Analyse des Leistungsangebots des Lieferanten. Sofern Unternehmensberater EDV- SoftwarePakete oder –Geräte oder –Hilfsmittel empfehlen, die von ihnen vertrieben werden oder an denen sie in irgendeiner Form finanziell interessiert sind, weisen sie auf diese Tatsachen hin und erwecken nicht den Eindruck einer neutralen Produktauswahl. 4. Unvereinbare Tätigkeiten Mit dem Beruf des Unternehmensberaters unvereinbar ist die Annahme von Aufträgen für Tätigkeiten, welche die Einhaltung der Berufspflichten und Mindeststandards berufsethischen Handelns gefährden. 5. Vertraulichkeit Unternehmensberater behandeln alle internen Vorgänge und Informationen des Klienten, die ihnen durch ihre Arbeit bekannt werden, streng vertraulich. Insbesondere werden auftragsbezogene Unterlagen nicht an Dritte weitergegeben. Unternehmensberater gewähren keinen generellen Konkurrenzausschluss. Über einen speziellen Konkurrenzausschluss werden in besonderen Fällen Absprachen getroffen. Unternehmensberater halten sich für berechtigt, Klientenlisten zu veröffentlichen, werden aber Klienten nur dann als Referenz angeben, wenn sie deren Zustimmung zuvor eingeholt haben. 102 Die Berufsgrundsätze des BDU 6. Unterlassung von Abwertung Unternehmensberater bieten Mitarbeitern ihrer Klienten weder direkt noch indirekt Positionen bei sich selbst oder anderen Klienten an. Unternehmensberater erwarten, dass auch ihre Klienten während der Zusammenarbeit mit ihnen mit keinem ihrer Mitarbeiter Einstellungsverhandlungen führen und ihre Mitarbeiter nicht abwerben. Unternehmensberater verlangen von ihren Mitarbeitern, dass sie während der Dauer der Klientenbeziehungen keine Verhandlungen mit Klienten über eine Einstellung führen, damit die Objektivität ihrer Arbeit gesichert wird. Unternehmensberater nehmen keine sitten- und wettbewerbswidrige Abwerbung von Mitarbeitern anderer BDU-Mitglieder vor. 7. Fairer Wettbewerb Unternehmensberater erbringen mit Ausnahme der Erarbeitung und Abgabe von Angeboten keine unentgeltlichen Vorleistungen, noch bieten sie Arbeitskräfte oder andere Leistungen zur Probe an. Unternehmensberater achten das geistige Urheberrecht an Vorschlägen, Konzeptionen und Veröffentlichungen anderer und verwenden solches Material nur mit Quellenangabe. Unternehmensberater empfehlen bei sachlich-fachlicher Notwendigkeit nur solche Kollegen, deren Leistungsstand ihnen bekannt ist, dabei und bei Kooperationen bevorzugen sie BDU-Mitglieder. Unternehmensberater legen bei Kooperationen, soweit es sich nicht um einen Kapazitätsausgleich handelt, gegenüber den Klienten die Projektverantwortlichkeit sowie Art und Umfang der Zusammenarbeit offen und klar dar. 8. Angemessene Preisbildung Unternehmensberater berechnen Honorare, die im richtigen Verhältnis zu Art und Umfang der durchgeführten Arbeit stehen und die vor Beginn der Beratungstätigkeit mit dem Klienten abgestimmt worden sind. Unternehmensberater geben Festpreisangebote nur für Projekte ab, deren Umfang zu überblicken ist und bei denen nach honorarpflichtigen Voruntersuchungen Umfang und Schwierigkeitsgrad der zu lösenden Probleme präzise und für beide Vertragsparteien überschaubar und verbindlich herausgearbeitet 103 Die Berufsgrundsätze des BDU worden sind. Unternehmensberater präzisieren ihre Angebote so, dass der Klient weiß, welche sonstigen Kosten neben dem Honorar in Rechnung gestellt werden. 9. Seriöse Werbung Unternehmensberater verpflichten sich zu seriösem Verhalten in der Werbung und der Akquisition und präsentieren ihre Qualifikation einzig im Hinblick auf ihre Fähigkeiten und ihre Erfahrung. Referenzschreiben werden nicht, auch nicht auszugsweise, verbreitet. Unternehmensberater halten sich in ihren Darstellungen über ihre Umsätze, Mitarbeiter, Tätigkeitsbereiche etc. an den augenblicklichen Stand und geben keine spektakulären Zukunftspläne bekannt. 104 Das Thomson- Paradoxon V. Das Thomson- Paradoxon aus: Judith Jarvis THOMSON: Eine Verteidigung der Abtreibung (aus: Anton Leist: Um Leben und Tod, Frankfurt a. M. 1992, S. 107ff) „(...) Aber jetzt möchte ich Sie bitten, sich folgendes vorzustellen. Sie wachen morgens auf und finden sich in einem Bett liegend, Kopf an Kopf mit einem bewusstlosen Geiger. Einem berühmten bewusstlosen Geiger. An ihm wurde eine bedrohliche Nierenkrankheit diagnostiziert, und die Gesellschaft der Freunde der Musik hat alle verfügbaren Patientenunterlagen durchsucht und herausgefunden, dass allein Sie die richtige Blutgruppe haben, um helfen zu können. Sie hat sie deshalb gekidnappt, und letzte Nacht wurde der Blutkreislauf des Geigers an den Ihren angeschlossen, so dass Ihre Nieren dazu benutzt werden können, Gift ebenso aus seinem wie aus Ihrem Blut herauszuziehen. Der Krankenhausdirektor sagt jetzt zu Ihnen: „Sehen Sie, wir bedauern sehr, dass Ihnen die Gesellschaft der Freunde der Musik das angetan hat – wir hätten es nie erlaubt, wenn wir davon gewusst hätten. Aber sie haben es eben getan, und jetzt ist der Geiger an Sie angeschlossen. Sie abzukoppeln würde bedeuten, ihn zu töten. Aber keine Angst, es handelt sich nur um neun Monate. Nach dieser Zeit wird er sich von seinem Leiden erholt haben und kann ohne Gefahr von Ihnen abgekoppelt werden.“ Ist Ihnen unter dem Gesichtspunkt der Moral auferlegt, sich in diese Situation zu fügen? Es wäre zweifellos ausgesprochen nett von Ihnen, wenn Sie es täten, von großer Freundlichkeit. Aber müssen Sie sich fügen? Wie, wenn es nicht neun Monate, sondern neun Jahre wären? Oder noch länger? Wie, wenn der Krankenhausdirektor sagt: „Wirklich Pech, muss ich sagen, aber jetzt müssen Sie den Rest Ihres Lebens im Bett verbringen, den Geiger an sich angeschlossen. Denn rufen Sie sich folgendes in Erinnerung. Alle Personen haben ein Lebensrecht, und Geiger sind Personen. Zugegeben, Sie haben ein Recht, zu entscheiden, was in und mit Ihrem Körper geschieht, aber das Lebensrecht einer Person wiegt stärker als Ihr Recht, zu entscheiden, was in und mit Ihrem Körper geschieht. Deshalb können Sie nie mehr von ihm abgekoppelt werden.“ „(...) Oder, um wieder zu der früher erwähnten Geschichte zurückzukommen, die Tatsache, dass der Geiger für sein Leben Ihre Niere benötigt, besagt nicht, dass er das Recht auf längerfristigen Gebrauch Ihrer Nieren hat. Er hat sicher kein Recht Ih105 Das Thomson- Paradoxon nen gegenüber, dass Sie ihm den langfristigen Gebrauch Ihrer Nieren erlauben ten. Denn niemand hat ein Recht, Ihre Nieren zu gebrauchen, wenn Sie ihm nicht ein solches Recht einräumen; und niemand hat das Recht Ihnen gegenüber, das Sie ihm dieses Recht einräumen - sofern Sie ihm weiter den Gebrauch Ihrer Nieren erlauben, bedeutet das eine Freundlichkeit Ihrerseits und nicht etwas, dass er von Ihnen als ihm geschuldet beanspruchen könnte. Ebenso wenig hat er ein Recht anderen gegenüber, dass diese ihm den längerfristigen Gebrauch Ihrer Nieren verschaffen sollten. Sicher hat er kein Recht gegenüber der Gesellschaft der Freunde der Musik, ihn überhaupt erst an Sie anzuschließen. Und wenn Sie jetzt beginnen, sich abzukoppeln, nachdem Sie erfahren haben, dass Sie sonst neun Jahre neben ihm im Bett verbringen müssten, gibt es niemand auf der Welt, der Sie daran hindern könnte, um auf diese Weise etwas zu erzwingen, worauf er ein Recht hat. Manche vertreten eine noch engere Position zum Lebensrecht. Nach ihrer Ansicht umfasst es nicht das Recht, irgendetwas zu bekommen, sondern beschränkt sich auf das Recht, von niemand getötet zu werden, und nichts weiter. Hierbei entsteht aber eine ähnliche Schwierigkeit. Wenn sich jeder enthalten sollte, diesen Geiger zu töten, dann muss sich jeder enthalten, eine große Menge verschiedener Dinge zu tun. Jeder muss sich enthalten, ihm die Kehle durchzuschneiden, jeder muss sich enthalten, ihn zu erschießen - und jeder muss sich enthalten, Sie von ihm abzukoppeln. Aber hat er ein Recht gegenüber allen, dass sie sich enthalten, Sie von ihm abzukoppeln? Sich dessen enthalten heißt, ihm weiter zu erlauben, Ihre Nieren zu benutzen. Es könnte gesagt werden, dass er ein Recht uns gegenüber hat, das wir ihm erlauben, weiter Ihre Nieren zu benutzen. Das heißt, während er kein Recht uns gegenüber hätte, dass wir ihm zum Gebrauch Ihrer Nieren verhelfen, könnte argumentiert werden, dass er auf jeden Fall ein Recht uns gegenüber hat, dass wir jetzt nicht eingreifen und ihn um die Benutzung Ihrer Nieren bringen.“ (...) Aber sicher hat der Geiger kein Recht, dass Sie ihm den Gebrauch Ihrer Nieren weiter erlauben sollten. Wie gesagt: Wenn Sie den Gebrauch erlauben wollen, ist es eine Freundlichkeit Ihrerseits, aber nichts, was Sie ihm schulden. 106 Das Thomson- Paradoxon Die Schwierigkeit, die ich hier hervorhebe, ist nicht auf das Lebensrecht beschränkt. Sie kehrt wieder in Verbindung mit all den anderen Naturrechten. Und sie ist etwas, worauf eine angemessene Theorie der Rechte eine Antwort finden muss. Für unsere gegenwärtigen Zwecke ist es ausreichend, unsere Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Aber ich möchte betonen, dass ich nicht sage, Menschen haben kein Lebensrecht ganz im Gegenteil, es scheint mir, dass wir als wichtigste Kontrolle der Akzeptierbarkeit einer Theorie der Rechte vorsehen müssen, dass in dieser Theorie als Wahrheit gilt, dass alle Personen ein Lebensrecht haben. Ich sage nur, dass ein Lebensrecht haben weder ein Recht auf den Gebrauch noch ein Recht auf die Erlaubnis des längerfristigen Gebrauchs eines anderen Körpers garantiert auch wenn man ihn gerade zum Überleben benötigte.“ 107