Kurze Kirchenliedgeschichte

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Kurze Kirchenliedgeschichte
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Kirchenlied
Aus der Geschichte des
deutschen Kirchenliedes
Heinz-Walter Schmitz
DER WEG ZUM
„GOTTESLOB“
Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihren vielfältigen Umschichtungen der deutschen
Bevölkerung durch Flucht und Vertreibung zeigten, dass die Vereinheitlichung des kirchlichen
Singens unumgänglich notwendig war. 1947 werden nun insgesamt 74 Einheitslieder im Auftrag der Fuldaer Bischofskonferenz herausgegeben. Hinzu kamen etwa weitere 60 Lieder mit
gleichlautenden Fassungen, die von den nordwestdeutschen Bistümern erarbeitet wurden.
Im Jahre 1963 schließlich fasste die Deutsche Bischofskonferenz in Rom den Beschluss, ein gemeinsames Gebet- und Gesangbuch (EGB) in Auftrag zu geben. Es erschien als „Gotteslob“ 1975
und gliederte sich in einen für alle Bistümer gleichen Stammteil (bis Nr.799) und einen diözesanen Anhang.
Herbst 2001: Beginn der überdiözesanen Arbeiten für ein neues „Gebet- und Gesangbuch“
(GGB)“.
3,6 Millionen Exemplare gingen am 31. Januar 2013 in Druck.
Offizieller Einführungstermin: 1. Advent 2013, in einigen Bistümern Ostern 2014.
Heinz-Walter Schmitz
AUS DER GESCHICHTE DES DEUTSCHEN KIRCHENLIEDES
DAS MITTELALTERLICHE KIRCHENLIED
Die Verbreitung und Vielfalt des deutschen Kirchenliedes ist stark mit der Entwicklung der
Schriftsprache und des Buchdruckes sowie mit der Verbreitung der Lesefähigkeit im Volk verbunden. Die lateinische Liturgiesprache und die ausschließlich handschriftliche Verbreitung von
Schriftgut beschränkten die Verbreitung und die Einsatzmöglichkeiten eines deutschen Kirchenliedes bis in die frühe Neuzeit.
SYT WILLEKOMME HEIRRE KIRST
Das älteste deutsche Weihnachtslied steht im
ottonischen Evangeliar des Aachener Domschatzes. Noch heute singt man dieses uralte Lied, das
eine unbekannte Hand im 14.Jahrhundert in das
dem Aachener Domschatz gehörende goldene
Evangeliar Kaiser Ottos III. schrieb. Es ist das
älteste deutsche Weihnachtslied, das mit Noten
verzeichnet ist. Viel älter ist freilich das Evangelienbuch selbst. Vor dem Jahre 1000 entstand es
durch die Mönche der Reichenau (Bodensee) für
den Kaiser, der das Evangeliar dem Aachener
Stiftskapitel geschenkt hat. Das alte Lied ist hinter
dem Weihnachtsevangelium verzeichnet.
Eine moderne Übertragung des Liedes fand sich
noch im Gesangbuch Gotteslob 1975 als Nr. 131.
FRÜHER VOLKSGESANG IN PASSAU
Die ältesten Nachrichten dazu liegen uns aus ehemaligen Gebieten des Bistums Passau vor. Ein
deutsches Spiel vom Leben der heiligen Dorothea nach einer Niederschrift (um 1350) aus dem
Kloster Kremsmünster beginnt mit dem Volksgesang Nun bitten wir den Heiligen Geist.
Für das frühe 16. Jh. sind Volksgesänge im Gottesdienst der Passauer Domkirche belegt. Entsprechungen können auch für das Augustinerkloster St. Nikola, damals als bayerische Hofmark
vor Passau gelegen, nachgewiesen werden. Der Gesang des Volkes, das in seiner Mehrzahl nicht
lesen konnte, musste sich auf wenige Lieder beschränken. Überliefert sind litaneiartige Anrufungen wie Kyrieleyson und das Lied Christ ist erstanden (um 1160 Salzburg).
Litaneien mit ständig wiederholtem Kyrie eleison des Volkes gibt es beispielsweise bei Weiheriten und bei Prozessionen, etwa zur Übertragung von Reliquien. Das Volk sang in der einfachen
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Weise der Litaneiakklamation den Kyrieeleison-Refrain oder eine Kurzantiphon einfachsten
Stils nach den lateinischen Psalmversen oder nach jeder Hymnenstrophe.
Das älteste Beispiel für ein Lied, das auch den Gesang des Volkes mit einbezieht, ist das Freisinger Petruslied aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts, vermutlich anlässlich der Einweihung
der Peterskirche auf dem Freisinger Domberg entstanden. Auch hier kam das Kyrieleis als Refrain dem Volke zu.
Seit dem 12. Jahrhundert entfaltet sich das mittelalterliche deutsche Kirchenlied in fünf Gruppen:
1.
LEISEN
Leisen sind - meist vierzeilige - Lieder (Hymnen) mit angehängtem Kyrie eleison. Sie sind aus
dem oben beschriebenen liturgischen Brauch hervorgegangen, das Volk durch Kyrierufe an der
Allerheiligenlitanei sowie an lateinischen Hymnen zu beteiligen.
Bei fast allen Leisen ist zu erkennen, dass sie während der Liturgie als deutsche Einschübe zu
lateinischen Sequenzen erklangen.
Christ ist erstanden im Graduale Pataviense 1511.
Die Beziehung zwischen Leise und Sequenz zeigt beispielsweise die Osterleise "Christ ist erstanden" (GL 318). Sie verwendet melodisches Material aus dem ersten, zweiten und letzten
Versikel der Sequenz Victimae paschali laudes.
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Im nebenstehenden Beispiel wird
die Fronleichnamssequenz
(deutsch siehe GL Würzburg 850)
mit dem Lied Gott sei gelobet und
gebenedeiet GL 215 verbunden.
Die Pfingstleise Nun bitten wir den
heiligen Geist (GL 348) ist mit der
hypolydischen Fassung Veni Sancte
Spiritus GL 341/342 verwandt.
Mainzer Prozessionale um 1400
2.
RUFE
Rufe sind litaneiartige Zweizeiler, die von den Geistlichen nach der Predigt, zum
Te Deum der Messe oder bei Prozessionen zum Kyrie eleison gesungen wurden.
Hierbei wurde
a) jeweils eine Zeile vorgesungen und vom Volk wiederholt
wie bei "Wir rühmen dich, König der Herrlichkeit" (GL 211)
oder
b) mit einem gleichbleibenden Refrain beantwortet wie bei "Danket Gott, denn er ist gut" (GL
402)
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3.
HYMNEN
Das Wort "Hymnus" bezeichnet in der griechischen und in der byzantinischen Dichtung und
Musik ganz allgemein einen Lobgesang. In der abendländischen Kirche ist der Begriff "Hymnus"
seit etwa dem Jahre 500 bekannt und umfasst im weitesten Sinne alle lateinischen Gesänge religiösen Inhaltes in gehobener (poetischer) Sprache, einschließlich rhythmisch freier Gesänge.
Die wichtigsten sind:

der "Hymnus Angelicus", das Gloria in excelsis Deo,

der "Hymnus Seraficus", das Sanktus und

der "Hymnus Ambrosianus", das Te Deum.
Im engeren Sinn verstehen wir heute unter dem Begriff "Hymnus" ein Strophenlied mit außerbiblischem, metrisch oder rhythmisch gestaltetem Text, der sich aus gleichgebauten Strophen
zusammensetzt. Dieser Hymnus wurde von Ambrosius von Mailand (* um 340 in Trier † 397
in Mailand) in die Liturgie eingeführt und wird heute vor allem im Stundengebet gesungen.
Kennzeichnend für den Hymnus ist die Anrufung der Dreifaltigkeit in einer doxologischen
Schlussstrophe und ein abschließendes Amen. Das Verhältnis zwischen Text und Melodie wird
durch die Syllabik bestimmt.
Das wichtigste Versmaß des lateinischen Hymnus ist der jambische Dimeter mit acht Silben und insgesamt vier dieser jambischen Zeilen.
Beispiele für Hymnen aus dem Gesangbuch Gotteslob:

GL 227 "Komm, du Heiland aller Welt" (nach "Veni redemptor gentium" des Ambrosius)

GL 230 "Gott, heilger Schöpfer aller Stern" (nach "Conditor alme siderum")

GL 341 "Veni creator spiritus"

GL 342 "Komm, heilger Geist, der Leben schafft" (nach "Veni creator, spiritus")

GL 675 "Christus, du bist der helle Tag" (nach " Christe , qui lux es et dies")

GL 663 "Bevor des Tages Licht vergeht" (nach "Te lucis ante terminum")
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4.
Cantiones
Im späten Mittelalter kommen die Cantiones auf, die vor allem in den Klöstern der Augustinerchorherren sehr beliebt waren und die durch Lateinschüler verbreitet wurden. Diese lateinischen Cantiones waren ursprünglich Einlagen in das "Nunc dimittis" der Weihnachtskomplet
sowie geistliche Tanzlieder am Fest der Unschuldigen Kindlein.
Die bekanntesten Cantiones und deren Übertragungen sind:

"Singen wir mit Fröhlichkeit" - GL-WÜ 753; GL-PA 777 ("Resonet in laudibus")

"Ein Kind geborn zu Bethlehem" – GL-WÜ 760 ("Puer natus in Bethlehem")

"Hört, es singt und klingt mit Schalle" - GL 240 ("Quem pastores laudavere")
In Zusammenhang mit diesen Cantiones und deren Übertragungen bildete sich die Gattung der
"Mischlieder", eine lateinisch-deutsche Mischform aus. Ein heute noch tradiertes Beispiel ist "In
dulci jubilo" (GL 253).
1. In dulci jubilo / nun singet und seit froh:
Unsers Herzens Wonne / liegt in praesepio
und leuchtet wie die Sonne / matris in gremio. Alpha es et O, / Alpha es et O.
2. O Jesu parvule, / nach dir ist mir so weh. Tröst mir mein Gemüte, / o puer optime,
durch alle deine Güte, / o princeps gloriae. Trahe me post te, / trahe me post te.
3. Ubi sunt gaudia? / ~ Nirgends mehr denn da, wo die Engel singen / ~ nova cantica
~ und die Zimbeln klingen / in regis curia. Eja qualia, / eja qualia!
5.
Geistliches Volkslied
Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts entsteht das geistliche Volkslied. Die Melodik dieser Lieder
ist gekennzeichnet durch Dur-Moll-Tonalität und einen mehr tänzerischen Rhythmus. Manchmal wurden die Melodien weltlicher Lieder mit geistlichen Texten versehen: die Gattung der
Kontrafaktur.
Im Gesangbuch Gotteslob finden sich diese Kontrafakturen:
"O Haupt voll Blut und Wunden" (GL 289) - nach Hans Leo Haßlers "Mein Gmüt ist mir verwirret von einer Jungfrau zart"
"O heilge Seelenspeise" (GL 213) oder "O Welt ich muss dich lassen" (GL 510) nach Heinrich
Isaak "Innsbruck, ich muss dich lassen".
Von den geistlichen Minne- und Meistersingerlieder des 13. und 14. Jahrhunderts wirkt in vielen Kirchenliedern das Formschema der Barform nach. Die Barform ist eine dreiteilige Liedform: AAB. A = Stollen und Gegenstollen; beide werden auf die gleiche Melodie gesungen, (meist
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angezeigt durch ein Wiederholungszeichen). Stollen und Gegenstollen bilden den Aufgesang
(AA). B = Abgesang: der stark variierende Schluss des Liedes. (Bar: ein Wort aus der Meistersingersprache; auch Synonym für Lied) Die Barform ist charakteristisch für das Kirchenlied des 16.
Jahrhunderts. Hier mit GL 243 Es ist ein Ros entsprungen:
AUFGESANG
STOLLEN A
ABGESANG
GEGENSTOLLEN A
Es ist ein Ros entsprungen
aus einer Wurzel zart
wie uns die Alten sungen
von Jesse kam die Art
B
und hat ein Blümlein bracht
mitten im kalten Winter
wohl zu der halben Nacht.
Reprisenbar heißt die Form, in der nach dem Abgesang (B) der Stollen (A) – oft nur teilweise
und auch leicht verändert - wiederholt wird: AABA.
Beispiele GL 392 Lobe den Herrn, den mächtigen König und GL 258 Lobpreiset all zu dieser Zeit.
DAS DEUTSCHE KIRCHENLIED IN DER REFORMATIONSZEIT
Die Reformation (ab 1517) hat die Muttersprache als Liturgiesprache in ihren Gottesdienst eingeführt. Neben der Übernahme altkirchlicher Lieder werden auch in Text und Melodie gänzlich
neue Lieder geschaffen, die durch die Verwendung einer syllabischen Deklamation einfach und
volkstümlich sind. Die Forschung schreibt Martin Luther 36 Lieder zu, von denen 23 bereits in
Johann Walters Gesangbuch 1524 erscheinen.
Die Texte dieser Lieder sind häufig in einer siebenzeiligen Barform gedichtet, so dass man
diese Form der Strophenbildung auch als Lutherstrophe bezeichnet.
VERSSCHEMA:
8 SILBEN – 7 SILBEN (= STOLLEN A);
8 SILBEN – 7 SILBEN (= GEGENSTOLLEN A);
8 SILBEN – 8 SILBEN – 7 SILBEN (= ABGESANG B)
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BEISPIEL LUTHERSTROPHE: AUS TIEFER NOT SCHREI ICH ZU DIR - GL 277
AUFGESANG
ABGESANG
STOLLEN A
GEGENSTOLLEN A
B
Aus tiefer Not schrei ich zu dir,
dein gnädig Ohr neig her zu mir
Denn so du willst das sehen an,
Herr Gott, erhör mein Rufen;
und meiner Bitt es öffne.
was Sünd und Unrecht ist getan,
wer kann, Herr, vor dir bleiben?
Neben Luther sind als Kirchenlieddichter und Komponisten zu nennen:
Nikolaus Decius GL 170 Allein Gott in der Höh' sei Ehr - GL 203 O Lamm Gottes, unschuldig.
Nikolaus Hermann GL 247 Lobt Gott, ihr Christen allzugleich; GL 178 Wir danken dir, Herr Jesu
Christ.
FRÜHE GESANGBÜCHER DER REFORMATIONSZEIT:
a)
das Achtliederbuch (Nürnberg 1524)
b)
die Erfurter Enchiridien (Erfurt 1524) 25 Lieder, davon 18 von Martin Luther.
c)
das Klugsche Gesangbuch "Geistliche Lieder auffs new gebessert zu Wittemberg" (Wittenberg 1529 und 1533) - ein leider verschollenes Gesangbuch mit einer Vorrede Martin Luthers
und insgesamt 54 Liedern.
d)
das Bapstsche Gesangbuch (Leipzig 1545) - in zwei Teilen angelegt, mit einem Vorwort
Martin Luthers. Es enthält 80 Lieder, die zum großen Teil in allen späteren Gesangbüchern
wieder erscheinen. Vor allem für die Chor- und Orgelmusik der protestantischen Kirchenmusik
gewann dieses Gesangbuch große Bedeutung.
Weitere wichtige Gesangbücher sind:
1525 Straßburger Teutsch Kirchenampt - ein Gesangbuch mit 25 Liedern, teils
von Martin Luther und dessen Mitarbeitern, teils Straßburger Psalmlieder.
1531 Gesangbuch der böhmischen Brüder (herausgegeben von Michael Weiße (*1488 †
1534), das erste deutsche Gesangbuch der Böhmischen Brüder mit 157 Liedern.
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PASSAUER WIEDERTÄUFER
Um 1564 erscheinen in erster Auflage die Etliche schöne christliche Gesäng wie dieselbigen zu
Passau von den Schweizer Brüdern in der Gefenknus im Schloss durch göttliche Gnade gedicht und
gesungen warden. Ps. 139. Ihre Dichter waren Anhänger der Täuferbewegung, Entstehungsort wie der Titel angibt - der Kerker von Passau-Oberhaus. Die zweite erweiterte Auflage (gedruckt
1571) trägt bereits im Titel den Namen, unter dem dieses deutschsprachige Gesangbuch bekannt ist und bis heute in den amischen Gemeinden seine gottesdienstliche Verwendung findet:
Ausbund. Es ist das älteste Gesangbuch, das seit der Reformationszeit ununterbrochen
genutzt wird.
DER REFORMIERTE PSALMENGESANG
Eine bis heute wichtige neue Gattung ist das Psalmlied der Reformation.
Jean Calvin (*1509 † 1564) hatte den einstimmigen Gemeindegesang in Straßburg kennengelernt und duldete nur ihn allein in der Kirche. Figuralmusik oder Instrumentalmusik waren in
der reformierten Kirche ebenso verboten wie Bilder- oder sonstiger Schmuck.
Es durften nur biblische, fast ausschließlich an die Psalmen gebundene Texte gesungen werden.
Der erste Genfer Psalter erschien 1524 in französischer Versfassung von Clement Marot und
Theodore de Béze mit einstimmigen Melodien, vorwiegend von
Loys Bourgeois. Weitere Ausgaben folgten 1543 mit Psalmen, alle
von Marot. 1551 (mit 34 Psalmen
von de Béze) nochmals erweitert.
Der vollständige Psalter erschien
im Jahre 1562. Neben L. Bourgeois, der etwa ein Drittel der Melodien komponierte, schufen G.
Franc und P. Dagues die einstimmigen Melodien. Für den Gesang in
Schule und Haus erschienen schon
früh vierstimmige, homophone
Sätze in Vertonungen von L. Bourgeois und CI. Goudimel. Mit diesen Kompositionen erscheint erstmalig der vierstimmige und homophone Satz im protestantischen
Kirchenlied.
Clement Marot und ein Hugenottenpsalter, aufgeschlagen der Psalm 90.
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Die Übersetzung des Genfer Reimpsalters ins Deutsche durch
Ambrosius Lobwasser (Leipzig 1573) wurde unter Beibehaltung
des Sprachrhythmus und der Melodien sehr bekannt.
Beispiel: GL 385 „Nun saget Dank und lobt den Herren“
Bis zum Jahre 1600 erschienen nahezu 500 evangelische Gesangbücher.
Dadurch erhielt der Gemeindegesang auch in der katholischen
Kirche große Vorbilder und Anregungen. Die wichtigsten katholischen Gesangbücher aus dieser Zeit sind:
1537 "Ein New Gesangbüchlin Geystlicher Lieder" von Michael
Vehe, Dominikaner in Halle.
Beispiel: GL 423 "Wer unterm Schutz".
1567 Geistliche Lieder und Psalmen
von Johann Leisentrit Dompropst in Bautzen (1527-1586).
Mit 250 Texten und 181 Melodien wurde das Gesangbuch von
Johann Leisentrit zu einem wichtigen Vorbild für die nachfolgenden Gesangbücher.
Beispiele:
GL 329 "Das ist der Tag"
GL 339 "Ihr Christen, hoch erfreuet euch"
Bild: Leisentritdenkmal in Bautzen
1576. Das erste deutsche Diözesangesangbuch erschien im Jahre 1576 im Auftrag des Bischofs vom Bamberg in Dillingen. Es war ein "kurtzer Auszug" aus Leisentrits Gesangbuch.
1582 "Psalmen Davids in allerlei Teutsche Gesangreimen gebracht" von Caspar Ulenberg (Köln).
Diese Sammlung enthält 81 Melodien in der Art des Genfer Reimpsalters. Für einige Melodien
sind direkte Übernahmen aus dem Genfer Psalter nachgewiesen, in anderen finden sich starke
Elemente der Genfer Melodien: strenge Syllabik und ebenfalls nur zwei Notenwerte. Die Liedweisen Ulenbergs wurden dreistimmig durch Orlando di Lasso und seinen Sohn Rudolf Lasso
sowie in vierstimmigen Kantionalsätzen durch Conrad Hagius aus Rinteln an der Weser (Hagius
Rintelius) bearbeitet.
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Caspar Ulenberg (1548-1617) war Pfarrer in Kaiserswerth, später Rektor an der
Universität Köln. Ulenberg, Sohn lutherischer Eltern, konvertierte 1572 und empfing 1575 die Priesterweihe. Der Kölner Erzbischof Ferdinand von Bayern beauftragte Ulenberg, eine deutsche Übersetzung der Sixtinischen Vulgata anzufertigen.
Ulenbergs Bibel erlebte viele Auflagen, die letzte 1757 in Köln durch Johann Joseph Huisch.
Bild: Caspar Ulenberg, Denkmal in Kaiserswerth.
Aus dem Gesangbuch Ulenbergs sind im Gesangbuch Gotteslob zu finden:
142: Zu dir, o Gott, erheben wir
428: Herr, dir ist nichts verborgen
183: Dir, Vater, Lobpreis werde
491: Ich bin getauft und Gott geweiht
199: Heilig ist Gott in Herrlichkeit
PA 814: Preist Gott, ihr Völker all
268: Erbarme dich, erbarm dich mein
WÜ 799: Du König auf dem Kreuzesthron
393: Nun lobet Gott im hohen Thron
WÜ 810; PA 741: Ehre dir, Gott, im heil'gen
Thron
421: Mein Hirt ist Gott der Herr
DAS KIRCHENLIED DER BAROCKZEIT
Das 1563 abgeschlossene Trienter Konzil hatte keine Aussagen zur Verwendung landessprachlicher Gesänge im Gottesdienst gemacht.
Das Kirchenlied der Barockzeit nimmt die religiöse Begeisterung und die Volksfrömmigkeit der
Gegenreformation auf. Die wichtigsten Gesangbücher dieser Zeit sind:
1602 das "Catholisch Gesangbuch" von Nicolaus Beuttner (Graz) GL-PA 897 sowie
1625 das "Groß Catholisch Gesangbuch" von David Gregor Corner (GL-WÜ 868) aus Göttweig.
Bei den mehrstimmigen Bearbeitungen wird am Übergang zum 17. Jahrhundert die Melodie
vom Tenor in die Oberstimme verlegt: der Kantionalsatz entsteht, ein 4-5-stimmiger, homophoner Kirchenliedsatz mit dem c. f. im Sopran. Um den Figuralchor der städtischen Lateinschule zusammen mit der Kirchengemeinde am Gesang von Kirchenliedern zu beteiligen, hatte Lukas Osiander im Jahre 1586 "Fünftzig geistliche Lieder und Psalmen" veröffentlicht, die Geburtsstunde des Kantionalsatzes. Der ursprünglich für den Chor gedachte Kantionalsatz wird
später auf die Orgel übertragen, so dass sich um die Jahrhundertmitte des 17. Jahrhundert die
Begleitung des Kirchenliedes durch die Orgel allgemein durchsetzt.
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BETONUNGSREGELN IM DEUTSCHEN
Die Betonung der einzelnen Worte ist wichtig. Dabei ist zu beachten, dass es in allen germanischen Sprachen feste Regeln für die natürliche Betonung gibt, und zwar wird jeweils die Stammsilbe betont, d.h. Bérg, bérgen, Gebírge, nicht: Gébirgé. Diese Regel war in der rein silbenzählenden Dichtung, z.B. der Meistersinger (14.-16. Jahrhundert), auch von Luther, und bis ins 17.
Jahrhundert hinein nicht immer befolgt worden.
Die Bedeutung der Betonungsregeln für die deutsche Dichtung wurde erst von dem schlesischen
Barockdichter Martin Opitz (1597-1634) herausgestellt.
REGELN ÜBER VERSMAß UND VERSBAU
Im Jahre 1624 erschien seine Schrift Von der deutschen Poeterey, in der neue Regeln über Versmaß und Versbau aufgestellt werden. Die wichtigsten dieser Regeln sind:
1. Wortakzent und Versakzent müssen in allen Versen zusammenfallen. Hierbei werden
die Silben nicht nur gezählt, sondern gewogen, d.h. Hebungen und Senkungen müssen
sich regelmäßig abwechseln.
2. Worte dürfen nicht mehr verstümmelt werden, unbetonte Silben dürfen nicht verschluckt werden.
3. Unreine Reime sind zu vermeiden. Auch mundartliche Formen und Fremdwörter sind
zu umgehen.
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Im Liedschaffen des Jesuiten Friedrich Spee von Langenfeld (1591-1635) findet man auf der
katholischen Seite den ersten Höhepunkt dieser neuen Dichtung.
Im Gesangbuch Gotteslob sind diese
Texte Spees zu finden:
GL 231 O Heiland, reiß die Himmel auf
GL 239 Zu Bethlehem geboren
GL 295 O Traurigkeit, o Herzeleid
GL 331 Ist das der Leib, Herr Jesu Christ
GL 332 Die ganze Welt, Herr Jesu Christ
GL 533 Lasst uns erfreuen herzlich sehr
GL 542 Ihr Freunde Gottes allzugleich
GL-WÜ 879 Unüberwindlich starker Held
Bekannt durch Joh. Brahms ist Spees Lied
„Bei stiller Nacht, zur ersten Wacht“.
Bilder oben: Friedrich Spee von Langenfeld (1591-1635) – Denkmal und Grab in Trier
Der zweite große Liedschöpfer dieser Zeit ist der Schlesier Johannes Scheffler (Angelus Silesius 1624-1677). Die Melodien zu Schefflers Liedern wurden von dem Breslauer Domkapellmeister Georg Joseph komponiert. Im Gesangbuch Gotteslob stehen folgende Lieder von Angelus Silesius:
Nr. 358 Ich will dich lieben, meine Stärke
Nr. 372 Morgenstern der finstern Nacht.
Nr. 461 Mir nach, spricht Christus unser Held
PASSAUER LIEDDRUCKE 1638 - 1639
1638 erscheint bei Konrad Frosch in Passau ein schmales Gesangbüchlein: Ein schön new geistlich Lied. Es enthält neben einem Annalied den Text zu Jesu mein Trost/ mein süße Freud, gib mir
dein Genad zu singen. In seiner aigenen Melodey; es sind keine Noten gedruckt. Ein drittes Lied
titelt: Ein schönes Klaglied / in der Kayserin weiß.
1639 folgt beim gleichen Drucker Ein schönes newes Geistliches Lied von den heiligen fünf Wunden Christi in Form eines geistlichen Gesprächs deß Engels, und ainer kleinmüthigen trostlosen
Seel. Im Thon wie man die Kayserin singt etc.
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Auf der evangelischen Seite erreicht die Entwicklung des Kirchenliedes um die Mitte des 17.
Jahrhunderts ihren Höhepunkt mit dem Lyriker Paul Gerhardt (16071676). Texte von Paul Gerhardt finden sich im Gesangbuch Gotteslob:
Nr. 256 "Ich steh an deiner Krippen hier"
Nr. 289 "O Haupt voll Blut und Wunden"
Nr. 403 "Nun danket all und bringet Ehr"
Nr. 369 "O Herz des Königs aller Welt"
Nr. 81 "Lobet den Herren, alle die ihn ehren"
Paul Gerhard
Die beiden Kantoren der Berliner Nikolaikirche, Johann Crüger ( GL 403 - "Nun danket all und
bringet Ehr") sowie
Johann Georg Ebeling, verstanden es in kongenialer Weise, der klangvollen Sprache Paul
Gerhardts den gemäßen Ton in Melodie und Sätzen zu verleihen. Das von Crüger begonnene
und von Ebeling fortgesetzte Gesangbuch Praxis pietatis melica, das ist Übung der Gottseeligkeit
in geist- und trostreichen Gesängen (Berlin 1644) bringt die Melodien dieser beiden Komponisten mit beziffertem Bass. Das Generalbasslied entwickelte sich aus der Monodie und führte hin
zum Sololied. Der im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts aufkommende Melodietyp des geistlichen Sololiedes (Aria) ist musikalisch gekennzeichnet durch Durchgänge, Vorhalte und Antizipationen, Figurationen und Verzierungen. Die Tonalität der Kirchenliedmelodien ist von der
Kirchentonalität in das dur-moll-tonale System übergegangen.
Beispiele im Gesangbuch Gotteslob:
GL 467 "Erfreue dich, Himmel"; GL 381 "Dein Lob, Herr" sowie GL 416 "Was Gott tut, das ist
wohl getan". Auf katholischer Seite steht beispielsweise Laurentius von Schnüffis Wunderschön prächtige (1692) GL-WÜ 877; GL-PA 890.
PASSAUER GENERALBASSLIEDER VON GEORG KOPP (1610-1666)
Georg Kopp wurde um 1610 geboren. 1635 war er Organist im oberösterreichischen Praemonstratenser-Stift Schlägl (Mühlviertel). 1637 trat er als Nachfolger von Urban Loth die Stelle des
Domorganisten in Passau an. Für die Gesangbücher Mariae Hülff Ehren Kräntzel (1642) und
dem 1659 in erweiterter Form neu aufgelegten Groß-Wunderthätigen Mutter Gottes Mariae Hülff
Lobgesang des Kapuzinerpredigers Procopius von Templin komponierte Kopp 75 Lieder mit
Orgelbegleitung, ein beachtlicher Beitrag zum deutschen katholischen Kirchenlied, dem jedoch
keine nachhaltige Wirkung beschieden war, obwohl zwölf Lieder aus dem Mariae-Hülff-EhrenKräntzell (1642) in „Des Knaben Wunderhorn“ 1806 von Clemens von Brentano aufgenommen wurden. Im Frühjahr 1665 trat Kopp als Nachfolger von Wolfgang Ebner die Kapellmeisterstelle am Wiener St. Stephansdom an. Am 24. August 1666 ist der Tod Kopps im Sterbebuch
von St.Stephan in Passau beurkundet.
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MARIAE HÜLFF EHREN KRÄNTZEL 1642
Das Gesangbuch umfasst 232 Seiten und beinhaltet insgesamt 36 Lieder, davon im Ersten Theil
und im Anderen Theil jeweils 18 Lieder. 20 Lieder sind mit einer eigenen Melodie und unbeziffertem Bass gedruckt. Bei dem 16. Lied des Andern Theils heißt es: Im Thon: Der grimmig Todt
mit seinem Pfeil. Demnach war die Weise in Passau zu jener Zeit allgemein bekannt; gedruckt
findet sie sich in den von den Jesuiten herausgegebenen Gesangbüchern des Peter von Brachel
(Köln 1619, 1623, 1625, 1634).
DER GROß-WUNDERTHÄTIGEN MUTTER GOTTES MARIAE HÜLFF LOB-GESANG 1659
Um 1659 komponierte Georg Kopp 55 neue Lieder mit Generalbass - 16 Melodien übernahm er
aus dem Mariae Hülff Ehren Kräntzel - auf insgesamt 95 edierte Liedtexte.
EUCHARISTIALE 1661
1661 gibt P. Procopius von Templin bei Höller in Passau sein Eucharistiale als Opusculum I heraus, eine umfängliche Predigtsammlung mit 608 Seiten (Kleinoktav), die 15 Liedtexte, von denen sechs mit Melodien und bezifferten Generalbass versehen sind, beinhaltet. Ein Lied, Christus
der süsse Heyland spricht, weist im Gegensatz zu den anderen Liedern Taktstriche auf.
POENITENTIALE 1662
Am Ende des knapp 600 Seiten starken Kleinoktavbandes Folgen nun 12. Trostreiche BueßGesänger, zwar jederzeit, doch insonderheit zur H. Fastenzeit zu gebrauchen. Sechs dieser Gesänge sind mit Melodien und einem reicher bezifferten Bass versehen. Als weitere Neuerung gegenüber den vorherigen Ausgaben fallen Taktstriche auf. Auch in diesem Büchlein werden weder
der Komponist noch ein sonstiger Mitarbeiter benannt.
DAS KIRCHENLIED IM ZEITALTER DER AUFKLÄRUNG
Entscheidende Anregungen gehen vom zeitgenössischen protestantischen Kirchenlied aus, da
der deutsche Protestantismus in Gellert und Klopstock überragende dichterische Begabungen
besaß.
1. Christian Fürchtegott Gellert (1715-1769), der das geistliche Lied als "Mittel der Belehrung
und Unterweisung" betrachtete. Er verbindet denkende Vernunft und offenbarungsgläubige
Frömmigkeit mit einer biblisch inspirierten Sprachform. GL 336 Jesus lebt, mit ihm auch ich!
(Text)
2. Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803) GL-WÜ 780; GL-PA 816 Preis dem Todesüberwinder. (Text)
Die wichtigsten katholischen Gesangbücher der Aufklärungszeit:
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1. 1741 (Köln) Neues Gott und dem Lamm geheiligtes Kirchen- und Haus Gesangbuch der auf
dem dreifachen Wege der Vollkommenheit nach dem himmlischen Jerusalem wandernden
Tochter Sion von Heinrich Lindenborn. Melodien aus Tochter Sion GL 351 Komm,
Schöpfer Geist; und GL 411 Erde, singe.
2. 1774 (Wien) Katholisches Gesangbuch von Michael Denis. GL-WÜ 746; GL-PA 770 Tauet
Himmel (Text). Die Melodie schuf der Augustinerchorherr Norbert Hauner, gedruckt
Landshut 1777
3. 1777 (Landshut) Der heilige Gesang zum Gottesdienste in der römisch-katholischen Kirche
von Franz Seraph Kohlbrenner. Von Kohlbrenner ist auch der Text GL-Ö 936; GL-PA
876 Wir beten an
Die von der Aufklärung verlangte Verständlichkeit, Vernünftigkeit und Klarheit des Gottesdienstes förderte die Entstehung neuartiger landessprachlicher Messlieder, die zur zyklischen Liederfolge der "Deutschen Singmesse" zusammengestellt wurden. Im deutschen Sprachgebiet sind
bis heute zwei Reihen lebendig geblieben:
1. "Hier liegt vor deiner Majestät"; Text von Franz Seraph Kohlbrenner (1728-1783). 1789
und 1795 erschienen in Salzburg neue Ausgaben dieser Messe mit von Joh. Michael Haydn
(1737-1806) redigierten oder neukomponierten Melodien. GL-Ö 710; GL-PA 720
2. "Wohin soll ich mich wenden" von Johann Philipp Neumann (1774-1849) gedichtet und vor
1827 von Franz Schubert (1797-1828) vertont. GL 145; GL-Ö 711; GL-PA 725
Franz S. Kohlbrenner
Joh. Michael Haydn
Joh. Philipp Neumann
Franz Schubert
Die Melodien dieser Epoche folgen der Melodik und der Periodik der Musik der Wiener Klassik.
Aus dieser Zeit sind im Stammteil des Gesangbuches Gotteslob zu finden:
GL 380 "Großer Gott wir loben dich"
GL 455 "Alles meinem Gott zu Ehren"
GL 521 "Maria dich lieben"
GL 91 "In dieser Nacht"
1798 kam es zu einer deutschen Neutextierung des Genfer Psalters durch Matthias Jorissen
(1739-1823), der auf den hebräischen Urtext zurückgriff und beispielsweise auch die Psalmübersetzung Moses Mendelssohns (1729-1786) aus dem Jahr 1782 einsah.
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DAS KIRCHENLIED DER ROMANTIK
1847 erschien in Mainz das Gesangbuch "Cantate" des Mainzer Gymnasialdirektors Heinrich
Bone (1813-1893). Bone ist der erste bedeutende Kirchenliedsammler der Romantik. Neben
Liedern des 16./17. Jh., die durch die Aufklärung vergessen waren, finden sich in seinem Gesangbuch auch neue Lieder. Von Heinrich Bone sind im Gesangbuch Gotteslob beispielsweise zu
finden:
Nr. 222: Herr, send herab uns deinen Sohn
Nr. 142: Zu dir, o Gott, erheben wir
Nr. 258: Lobpreiset all zu dieser Zeit
Nr. 532 Christi Mutter stand mit Schmerzen
Nr. 329: Das ist der Tag, den Gott gemacht
Nr. 522: Maria aufgenommen ist
Nr. 351: Komm, Schöpfer Geist, kehr bei uns ein
Nr. 526: Alle Tage sing und sage
Im Vorwort zu seinem Gesangbuch äußert Bone zum ersten Mal den Wunsch nach einem katholischen deutschen Einheitsgesangbuch. Dieser Gedanke wurde auf der Würzburger Bischofsversammlung 1848 durch Bischof Johann Georg von Münster offiziell vorgetragen. Aufgrund dieses
Gedankens kam es zwischen 1860 und 1900 in fast allen deutschsprachigen Diözesen zur Einführung von Diözesangesangbüchern.
PASSAUER GESANGBUCH "ENGELSHARFE"
1854 erschien die erste Auflage der "Engelsharfe", ein "Katholisches Gebet- und Gesangbuch,
besonders für alle Verehrer der seligen Jungfrau und Mutter Gottes Maria", das einige nicht namentlich genannte Diözesanpriester "mit Genehmigung des Hochw. Bischöfl. Ordinariates" herausgegeben hatten. Beigebunden waren auch 53 sogenannte Hauslieder zur geselligen Runde.
Damit zeigt das Passauer Gesangbuch einen selbst für heutige Verhältnisse atemberaubenden
Modernitätsgrad. 1857 folgte bereits die zweite Auflage mit 200 Liedtexten. Weite Verbreitung
fand dann die dritte, gänzlich umgearbeitete Auflage von 1866. Sie enthielt 504 Lieder. (zum
Vergleich: das Gesangbuch Gotteslob 1975 enthielt rund 300 Lieder.) Gleichzeitig erschien 1866
auch das "Melodienbuch zur Engelsharfe", das 333 Melodien mit Orgelbegleitung umfasste. Die
Lieder entstammten zum größten Teil bereits erschienenen Gesangbüchern, darunter dem Gesangbuch Augsburg 1845, dann der Sammlung "Das deutsche katholische Kirchenlied in seinen
Singweisen" von Severin Meister 1862, und den Diözesangesangbüchern von Speyer, Münster,
Paderborn, St. Gallen, Köln, Würzburg, Augsburg, Salzburg und dem katholischen Gesangbuch
für das Königreich Sachsen. Auch wurden die damals bekannten Sammlungen von Heinrich
Bone, Moritz Brosig, Eduard Ortslieb und Anselm Schubiger eingearbeitet. Diese Zusammenstellung besorgte der Schöllnacher Pfarrer Georg Schöller. Passauer Eigengut, das sich seit über 150
Jahre - ohne Überlieferung in Diözesangesangbüchern - gehalten hat, ist das Lied O Maria, Gnadenvolle. Es wurde als Bundeslied für die damalige Jugendarbeit von dem Priester Georg Schöller gedichtet und komponiert. Schöller wurde 1813 in Obernzell geboren und 1836 zum Priester geweiht. Er wurde nie Pfarrer, sondern kam nur auf kleine Hilfspriesterstellen, zuletzt 1854
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als Benefiziat nach Schloss Thurnstein bei Postmünster. Dort starb er 1863 im Alter von 49 Jahren.
Hier das Lied in der Fassung von 1866, von F-Dur nach C-Dur transponiert. Inzwischen ist das
Lied an einigen Stellen zurechtgesungen worden, daher hier einmal die reizvolle ursprüngliche
Fassung .
Aus der alten Engelsharfe werden heute noch nahezu unverändert rd. zwanzig Lieder gesungen, beispielsweise Erde singe, In dieser Nacht oder Es blüht der Blumen eine und als passauisches Eigengut GL-PA 807 Heiliges Kreuz, sei hoch verehret.
1879 erschienen auf Veranlassung des Bischofs Joseph Franz von Weckert zwei Heftchen Gesänge zum Gebrauche beim öffentlichen Gottesdienste im Bistume Passau. Das 1. Heftchen enthält
die in der Diözese Passau bekannten und beliebten Lieder sowie einige aus den benachbarten
Diözesen, das 2. Heftchen Deutsche Messgesänge für die Schule.
Großen Erfolg hatten der Hymnologe Guido Maria Dreves und der Jesuit Josef Mohr, deren
Sammlung Psälterlein von 1881 in mehreren Diözesen als offizielles Gesangbuch eingeführt
wurde. Beispiel: GL 902 Deinem Heiland, deinem Lehrer; GL 922 Alle Tage sing und sage.
1896 kam das Gebet- und Gesangbüchlein für die Schulkinder des Bistums Passau Lob Gottes
aus dem Munde der Kinder heraus. Das Gebetbuch umfasst 240 Seiten, das Gesangbuch bringt
(S. 1 - 62) lateinische Gesänge für den öffentlichen Gottesdienst mit Melodien, dann (S. 63 –
176) deutsche und einige lateinische Kirchenlieder (66 Nummern.) mit Melodien aus Mohrs
Psälterlein 1891.
1906 erschien ein Diözesan-Gebetsbuch für Erwachsene, das zugleich die Liedertexte des Lob
Gottes, aber ohne Melodien, enthält.
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DAS NEUERE KIRCHENLIED (AB ETWA 1930)
Am Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts entwickelte sich aus der Jugendbewegung eine
Singbewegung. Diese Singbewegung erkannte den Wert des gemeinsamen Singens für die Gemeinschaftsbindung.
Im Jahre 1938 erschien "Kirchenlied, eine Auslese geistlicher Lieder", herausgegeben von Josef
Diewald, Adolf Lohmann und Georg Thurmair, das wichtigste deutsche katholische Gesangbuch seit der Aufklärung.
GL-PA 886 „Nun sind wir alle frohgemut“
GL 505 „Wir sind nur Gast auf Erden“
GL 360 „Macht weit die Pforten in der Welt!“
GL 271 „O Herr, aus tiefer Klage“
Neben alten katholischen Liedern wurden auch evangelisches Liedgut und eine größere Anzahl
neuerer Lieder aufgenommen. Mit den um 1930 erschienenen Gesangbüchern von Köln und
Osnabrück erfolgte der Wechsel vom Andachtsbuch zum Messbuch. Neben der guten Auswahl
an Liedern enthalten diese Gesangbücher vor allem liturgische Kirchenlieder. Sie bevorzugen
eine gegenwartsnahe Sprache. Die am häufigsten zu findenden Textautoren sind Georg Thurmair (geb. 1909 in München), Maria Luise Mumelter (geb. 1912 in Bozen) sowie Petronia
Steiner (geb. 1908, Dominikanerin in Speyer); die Melodien stammen überwiegend von Erhard
Quack, Heinrich Rohr, Adolf Lohmann.
Georg Thurmair 1909-1984
Maria Luise Thurmair-Mumelter 1912-2005
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GESCHICHTE DES EINHEITSGESANGBUCHES IM DEUTSCHEN SPRACHGEBIET
Die Gedanken zur Schaffung eines Einheitsgesangbuches im deutschen Sprachgebiet wurde
durch Bischof Johann Georg von Münster auf der Bischofsversammlung von Würzburg im Jahre 1848 vorgetragen.
Der Allgemeine deutsche Cäcilien-Verein unter Franz Witt erhielt im Jahr 1909 von den nordwestdeutschen Bischöfen den Auftrag, etwa 20 Lieder als Einheitslieder für alle deutschen Bistümer vorzuschlagen. Aufgrund dieser Vorbereitungen konnten im Jahre 1916 die ersten 23
Einheitslieder veröffentlicht werden.
Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihren vielfältigen Umschichtungen der deutschen
Bevölkerung durch Flucht und Vertreibung zeigten, dass die Vereinheitlichung des kirchlichen
Singens unumgänglich notwendig war. 1947 werden nun insgesamt 74 Einheitslieder im Auftrag der Fuldaer Bischofskonferenz herausgegeben. Hinzu kamen etwa weitere 60 Lieder mit
gleichlautenden Fassungen, die von den nordwestdeutschen Bistümern erarbeitet wurden.
Im Jahre 1963 schließlich fasste die Deutsche Bischofskonferenz in Rom den Beschluss, ein gemeinsames Gebet- und Gesangbuch in Auftrag zu geben. Zwei Kommissionen nahmen alsbald
ihre Arbeit auf, eine Textkommission unter Bischof Volk von Mainz und eine Melodiekommission unter Bischof Kempf von Limburg.
DAS GESANGBUCH „GOTTESLOB“ (1975 UND 2013)
1965 Zusammenkunft der Diözesanvertreter in Einsiedeln in der Schweiz. Besprechung des
Konzepts für das Einheitsgesangbuch.
1966 Die Österreichische Bischofskonferenz beschließt, sich dem Projekt Einheitsgesangbuch
anzuschließen. Später kommen später die Diözesen Bozen Brixen, Lüttich und Luxemburg hinzu.
1967
Bildung der Hauptkommission, der zehn Subkommissionen und des Sekretariats.
1969-1972 erscheinen acht Probepublikationen.
1969 Die "Arbeitsgemeinschaft für das ökumenische Liedgut" (AÖL), zu der offizielle Vertreter
aller christlichen Kirchen des deutschen Sprachgebiets gehören, wird gegründet.
1972
erscheinen die "Gesänge zur Messfeier".
1973 erscheint mit dem Passauer „Lob Gottes“ das letzte eigenständige deutsche Diözesangesangbuch überhaupt, eine hymnologisch erstklassige und liturgisch auf der Höhe der Zeit stehende Edition.
1974 drei weitere Probepublikationen. EGB 10 "Gib mir ein Lied, Gesänge aus unserer Zeit"
(1974), EGB 11 "Gesänge zur Taufe" (1973), EGB 12 "Gesänge zum Begräbnis" (1974).
1974
Endgültige Verabschiedung des Manuskripts des EGB durch die Bischofskonferenzen.
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1975 Kardinal Döpfner stellt am 17. März 1975 das Gesangbuch Gotteslob 1975 der Öffentlichkeit vor. Es gliederte sich in einen für alle Bistümer gleichen Stammteil (bis Nr.799) und
einen diözesanen Anhang, die bald folgten.
Das Grundprinzip bei der Auswahl von Gesängen für das Gesangbuch Gotteslob 1975 war: "soviel Einheitlichkeit als notwendig, soviel Vielfalt als möglich". Dies führte - wie etwa beim evangelischen Kirchengesangbuch - zu einem "Stammteil"‚ der von allen Bistümern deutscher Sprache übernommen wurde, sowie zu einem "Diözesanteil", der die Eigenständigkeit der einzelnen
Bistümer mit ihren jeweils traditionell gepflegten Liedern und ihren regionalen Traditionen
berücksichtigen sollte.
1990 erscheint in Passau, verantwortet vom Bischöflichen Jugendamt, Effata – Neue religiöse
Lieder für Gottesdienste und Gruppen, mit rd. 250 Gesängen des Neuen Geistlichen Liedes
(NGL). 1998 erscheint Effata 2 – Neue religiöse Lieder für Gottesdienste und Gruppen, mit
rd. 200 weiteren Gesängen aus dem Bereich des NGL.
Herbst 2001: Beginn der überdiözesanen Arbeiten für ein neues „Gebet- und Gesangbuch“
(GGB) unter der Leitung von Dr. Friedhelm Hofmann, damals Weihbischof in Köln, seit 2004
Diözesanbischof in Würzburg. Von dort wurde dann auch das GGB unter der Leitung von Diakon
Winfried Vogel redaktionell gesteuert.
Frühjahr 2004: Beginn der überdiözesanen Arbeiten für ein neues „Gebet- und Gesangbuch“
(GGB) durch zehn Arbeitsgruppen zur Erarbeitung des Stammteils und Beginn der Arbeiten in
einzelnen Bistümern. Es wurden zwei Befragungen durchgeführt.
Herbst 2006: Das neue „Gebet- und Gesangbuch“ (GGB) wird wieder Gotteslob heißen.
Von Advent 2007 bis Ostern 2008 wurde eine „Probepublikation“ (PP) in 186 Pfarreien verwendet. Deren Bewertungen, die großteils über das Internet abgewickelt wurden, flossen in die
Arbeit der Endredaktion von „Gotteslob (II)“ ein.
2009 erscheint eine Zusammenfassung des „Neuen Geistlichen Liedes“ der letzten Jahrzehnte
als „God for You(th) – Das Benediktbeurer Liederbuch“.
Im November 2012 erfolgte die Druckfreigabe durch alle beteiligten Bischöfe. Man hatte über
dreizehn Jahre daran gearbeitet, „der Religiosität und Glaubenssuche der Menschen am Anfang
des dritten Jahrtausends in Form von Liedern, Texten und Gebeten“ gerecht zu werden.“
3,6 Millionen Exemplare gingen im Januar 2013 mit dem Ziel offizieller Einführungstermin zum
1. Advent 2013 in Druck. Wegen Schwierigkeiten mit dem Papier warteten einige Bistümern bis
Ostern 2014.
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