Mille Miglia mit dem Porsche-Chef Matthias Müller

Transcription

Mille Miglia mit dem Porsche-Chef Matthias Müller
Henryk M. Broder
Autoren streiten über Autos.
Nachahmenswert
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG, 7. JUNI 2015
Ronja von Rönne
Tucholskys „Rheinberg“
erfahren. In zwei SUVs
Seiten 6 bis 9
Seite 22
Okay, es ist mit uns
durchgegangen. Henryk M.
Broder im Rolls-Royce, ich im
Porsche 550 RS Spyder, Stefan
Anker im neuen Ferrari. Als die
vierte Ausgabe der PS WELT so
dalag, hatten wir nur eines
vergessen: das total vernünftige
Auto. Und was ist das
vernünftigste? Der Skoda Suberb,
sagt Anker. 1. Es gibt praktisch
kein Auto, das innen größer ist.
2. Der neue Superb fährt so
komfortabel, wie er aussieht.
3. Das Basismodell kostet unter
25.000 Euro. 4. Das Design folgt
der Konzernlinie und wahrt
trotzdem die Eigenständigkeit.
Kurz: Der Superb ist bedeutend
(und so anders als alles in der
PS WELT), weil er Mainstream ist
– und hervorragend. Die nächste
Ausgabe erscheint zur IAA.
Ihr
ULF POSCHARDT
PS: Kritik und Lob bitte wieder an
[email protected]
Die Geschichte der
lässigen Fortbewegung
Seite 12/13
NEULICH,
im PARADIES
Mille Miglia mit dem Porsche-Chef
Matthias Müller
Foto
MARKUS LESER
#.8JNJU1MVHJO)ZCSJEBOUSJFC#.8F%SJWF4USPNWFSCSBVDILPNCJOJFSU
L8ILN,SBGUTUPGG
WFSCSBVDILPNCJOJFSU
MLN$0&NJTTJPOLPNCJOJFSU
HLN%JF7FSCSBVDITXFSUFXVSEFOBVG
#BTJTEFT&$&5FTU[ZLMVTFSNJUUFMU"CCJMEVOH[FJHU4POEFSBVTTUBUUVOHFO/FVF#.8J'BIS[FVHFTJOECFJ
KFEFNBVUPSJTJFSUFO#.8J"HFOUFOFSI¤MUMJDI
&345&3&*/&3
4&,6/%&/-*5&3%&3#.8J
#.8J
'SFVEFBN'BISFO
/&6&/;&*5
CNXJEFJ
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG, 7. JUNI 2015
SEITE 4
TABUBRUCH
Ferrari hat jetzt auch in seinem wichtigsten Modell den Turbolader eingeführt. Das verstößt einerseits
gegen die reine Lehre vom Sportwagenbau. Andererseits schiebt der Turbo das Auto in neue Sphären
M
308 GTB
1975–85, 227 PS, Urahn des 488,
als GTS. TV-Ruhm bei „Magnum“
Fahrerwechsel in der Box in Fiorano,
wo sonst Fotografieren verboten ist.
Der 488 GTB in Ruheposition steht
auf der Piazza Michael Schumacher,
er ist der Jüngste in Ferraris Zweisitzer-V8-Mittelmotor-Galerie
348 tb
1989–95, 320 PS. Testarossa-Türen,
trotzdem kein gutes Auto
Stefan Anker(3)
an bekommt nicht einfach ein
Interview bei Ferrari, man wird gebeten. Kurz vorm Ende
des 488-Tests auf der Hausstrecke in Fiorano: Es heißt,
Amedeo Felisa, der Chef des Hauses (der schon Chef war,
als Luca di Montezemolo noch über allem schwebte), habe
nun Zeit. Der Rückflug des Journalisten? Sorry, aber wenn
man Felisa absage, merke der sich das. Lange. Den Flug
werde man notfalls auf den nächsten Morgen umbuchen.
Diese Episode zeigt, wie man in Maranello tickt. Erst
kommen wir, dann kommt sehr lange nichts, und wehe,
jemand lässt den Namen Lamborghini fallen. „Ein Ferrari
ist unvergleichlich“ – dieser Satz, noch in den 90er-Jahren
gern genutzt, um Vergleichstests der Fachpresse abzulehnen, stellt immer noch das Selbstverständnis der Marke
dar: Ferrari ist mehr Glamour als Porsche, aber weniger
Trara als Lamborghini; Ferrari ist Serienproduktion, ja, aber
individuell, frei und keiner Konzernlinie verpflichtet. Oder
kann sich jemand vorstellen, Ferrari würde sich nach Fiat,
Alfa, Lancia, Maserati richten, nach Chrysler gar? „Felisa“,
sagt der neue, von Porsche gekommene Entwicklungschef
Michael Leiters, „macht keine Kompromisse.“
Umso bemerkenswerter ist das neue Auto, denn das ist
eigentlich ein 204.211 Euro teurer Kompromiss. Weil auch
Ferrari an den CO2-Werten drehen muss (nach unten), aber
die Leistung sich ebenfalls entwickeln soll (nach oben),
weicht man von der reinen Sportwagenlehre ab und ersetzt
355
1994–99. Willkommen in der Neuzeit,
381 PS, F1-Getriebe
den alten Saugmotor durch einen neuen V8 mit Turbolader.
Vor fünf Jahren hat Ferrari diese Strategie beschlossen, der
California T war das erste Produkt dieser neuen Linie, der
488 GTB als Nachfolger des 458 Italia ist das zweite und
wichtigste. Deswegen will Amedeo Felisa auch keine Fragen
beantworten. Er will sie stellen. Er will in seinem Büro an
dem großen runden Konferenztisch sitzen, das Fenster im
Rücken, an den Wänden Fotos, Automodelle auf Sideboards, und er will wissen, wie man den neuen Sound findet. Vor allem: Wie spricht der Motor an?
Wenn ein Sportwagen etwas sein muss, dann schnell. Es
zählt vor allem das Gefühl unterm rechten Fuß: Bewege ich
ihn einen Millimeter nach unten, dann hat das Auto gefälligst zu reagieren. Machen Turbos aber nicht, sondern
bauen erst mal gemütlich Druck auf, um dann zu explodieren. Doch irgendetwas ist in den Eingeweiden des 3,9 Liter
großen V8 hinter den Sitzen des Ferrari 488 passiert.
Vor der Audienz bei Felisa stand das Rendezvous mit
dem 488 GTB auf Ferraris Teststrecke in Fiorano. Heiliger
Asphalt. Raffaele de Simone, der Cheftestfahrer, dreht eine
Runde und doziert während des Driftens über Dynamikeinstellungen, Kurvenlinien. Doch man hört fast nicht hin,
man ist fasziniert von dem leicht gedämpften, aber doch
klar erkennbaren Ferrari-Klang, und vor allem: Man will
selbst fahren. Manettino auf CT Off, das ist das Deaktivieren der Traktionskontrolle unter Beibehaltung des ESP.
430
2004–09, 490 PS,
Manettino (Dynamik-Wahlschalter) am Lenkrad
SEITE 5
Von
GUIDO BELLBERG
os
Fox Phot
/Getty Im
„Mir re
mit R icht´s
etro!
"
ages
Ende der
Märchenstunde!
Ja, auch ich liebe viele Old- und Youngtimer. Coupés, Sportwagen und große
Limousinen. Deutsche, Italiener, Engländer und sogar Japaner. Und, Doppel-Ja,
das Automobildesign hat wirklich schlimme Jahre hinter sich. Aber das, was sich
bereits bei kleinen Wagen wie dem Citroën DS3 und dem Toyota AYGO abzeichnete, geschieht jetzt auf breiter Front: Es gibt wieder schöne neue Autos.
Beispiele – zugegebenermaßen subjektive – gefällig? Der aktuelle
911 TARGA, ist der erste Targa, der mir persönlich überhaupt gefällt. So sehr,
dass es schon fast wehtut. Und auch das neue S-KLASSE COUPÉ ist wirklich gelungen. Selbst aus Fernost gibt es gute Nachrichten: Mazda hat momentan ein fantastisches Rot im Angebot, und wenn man den SUBARU BRZ
nicht mag, ist man ohnehin kaum zu überzeugen. Man kann heute gut gelaunt
tief ins Portemonnaie greifen, ohne sich für sein Auto schämen zu müssen,
Stichwort FERRARI F12. ASTON MARTINS sahen sowieso noch nie so gut
aus wie heute, und mit dem I8 hat BMW gezeigt, dass auch Elektroautos sexy
sein können. Aber auch am anderen Ende der Preisskala lassen sich interessante Ansätze beobachten: Marken wie Kia oder Škoda haben eine massive
Hübschheitsaufwertung erfahren, und immer wieder findet man interessante
Einzelfälle wie etwa den HYUNDAI VELOSTER. Habe ich bereits das SKlasse Coupé erwähnt? Wenn das so weitergeht, werden wir in 30 Jahren mit
Tränen in den Augen auf unsere Zeit zurückblicken. Ich freue mich schon darauf.
Von
STEFAN ANKER
Roberto Carrer/Ferrari S.p.A.
Beach Bum
von
CORDULA SCHMITZ
Bitte keine Tasche mitnehmen. Das Handtuch
wird einfach über die Schulter geworfen. saturdaysnyc.com;
Lederbänder die mit Salzwasser in Berührung kommen, sind nicht schön. Lieber die Tag Heuer Formula 1
Limited Edition zum 30jährigen Jubiläum mit
McLaren tragen. TAG Heuer
[Pe trol head]
Harte Zeiten für Oldtimer. Ihre wahren Fähigkeiten im Asphaltdschungel
sind nicht mehr gefragt. Die Ära der tollkühnen Fahrer, die ihren automobilen Traum hart am Gas durch den rauen Alltag prügeln, scheint vorbei. Ihre
neuen Besitzer können nicht und wollen nicht. Historie und Wertsteigerung
sind die neuen Lifestyle-Parameter.
Von Freiland- zur Käfighaltung. Die Dokumentation endet hier, im klimatisierten Garagenloft. Die Rendite siegt über das Abenteuer. So geht’s doch
nicht! Motoraver weckt den Punk in dir, und mit fünf Gängen geht’s zurück
auf die Straße:
Neumodische Hipster-Sonnenbrille? Brauchen Sie
nicht. Hakusan Hook kommen aus Japan und wurden
schon 1970 von John Lennon entdeckt. farfetch.com
1
Bedenken über Bord! Die Empfehlungen des Steuerberaters, die
neusten Zahlen zur Marktentwicklung, die Sorgen der Ehefrau, die
Investment-Beratung der Hausbank: Scheiß drauf, das Leben ist
kurz. Der Klassiker muss raus auf die Straße, die Historie weitergeschrieben werden.
Kein Flammen, keine Tribals, keine Aufdrucke auf
Badehosen! mrporter.com
2
Blickwinkel verändern! Ingenieure haben Autos zum Fahren
gebaut. Jeder Außerirdische würde sich an seinen übergroßen Kopf
fassen, erzählte man ihm, dass Erdenbürger ihre selbst erfundenen
Fortbewegungsmittel nicht zum Fortbewegen nutzen. Nur zum
Angeben am Stammtisch und um die Rente zu sichern.
3
Dem Ingenieur vertrauen, nicht dem Controller! Alte Autos
punkten mit Bedienungsfreundlichkeit, schöner Haptik, übersichtlicher Mechanik und Reparaturfreundlichkeit. Das ist Verkehrssicherheit. Neue Autos piepen.
4
Musik aufdrehen! Nichts unterstützt ein persönliches Gefühl
besser als der passende Soundtrack. Ein Brei aus Verkehrsnachrichten und Anweisungen zum Auffinden der schnellsten Route
töten jedes Gefühl von Freiheit und Abenteuer. Empfehlungen für
ein Mixtape im Becker-Kassettenradio: Fehlfarben, „Es geht voran“; Motörhead, „Ace of Spades“; und Beastie Boys, „Sabotage“.
5
Wetterbericht checken! Wenn sich die Regenwahrscheinlichkeit
der 100-Prozent-Marke nähert und ein ehrlicher Seitenwind aus
Südwest bläst, bist du garantiert allein auf der Straße. Es dämmert
bereits? Gut. Raus jetzt. Der heckgetriebene Wagen kann jetzt zeigen, was in ihm steckt. Und du kannst es auch. Das Spiel mit Natur
und Drehzahl vereinigt Mensch und Maschine im roten Bereich.
Gutes Gefühl?
WAS IST EIN
?
Die deutsche Sprache ist wunderbar; reich und vielseitig, flexibel und
punktgenau. Die ganze deutsche Sprache? Nein, es gibt eine einzige Ausnahme, die Autoliebe. Denn wie nennt man bloß jemanden, der Autos wirklich fühlt? Der Autos atmet und träumt?
Automensch? Vierradverrückter? Blechjunkie? Eben. Daher haben wir
uns schon vor einiger Zeit entschlossen, das englische „petrolhead“ einfach zu übernehmen, sozusagen als Ausgleich für „Angst“, „Rucksack“ und
„Kindergarten“. Willkommen in der Heimat des Petrolheadismus.
Übrigens: Den „Petrolhead der Woche“ finden Sie auf welt.de.
Autofreunde bitte melden: [email protected]
IMPRESSUM
458 Italia
2009–15. Porsche-Turbo-Killer,
unfassbar stark (570 PS)
Von
HELGE THOMSEN
Helge Thomsen,
Gründer und
Herausgeber des
Auto-Punk-Magazins „Motoraver“
und seit 2007
Moderator bei
„GRIP“-Das Motormagazin
Immer schön mit dem Heck wedeln:
PS WELT-Autor Stefan Anker testet
den Ferrari 488
Perfekt, wenn Leute zugucken, die Genuss-ohne-ReueEinstellung. Drei mal drei Kilometer Gas geben, bremsen,
lenken, leicht driften und spüren, was der Motor macht.
Die 670 Pferdchen sind wie Elektronen in einer Stromleitung: immer da. Und in engen Kurven muss man nicht
mehr den zweiten Gang nehmen, auch der dritte nötigt
dem Fahrer keine Wartezeit ab. Dank 760 Newtonmetern,
die über 1370 Kilo Trockengewicht herfallen (mit Sprit und
allen Flüssigkeiten 1475 kg) kann man beim Herausbeschleunigen aus der Kurve gar nicht so schnell hinterherschalten, wie der Begrenzer erreicht ist (bei 8000 Touren)
Um das zu erklären, hatte Vittorio Dini, Chef der Antriebsentwicklung, am Vorabend 20 Minuten doziert. Hatte
Tabellen gezeigt, Grafiken. Hatte gesagt, dass der 488 irgendwo doch eine Zehntel verliere gegenüber dem Vorgänger 458. Dass er dafür aber aus dem Stand bis zum Begrenzer im vierten Gang nur 6,4 statt 8,4 Sekunden brauche
(0–100: 3,0 Sekunden). Es war wichtig, aber ermüdend.
Auch weil danach der Fahrwerksingenieur kam, ein Aerodynamiker, ein Designer. Aber das gehört eben zu Ferraris
Selbstverständnis: Wir sind nicht Lifestyle, heißt das, wir
sind Technik. Seriöse, echte, graziöse Technik. Botschaft an
Maranello: Alle glauben das. Es glaubten aber auch alle,
wenn sie es kurzweiliger vermittelt bekämen. Oder kürzer.
Dann wäre Zeit für noch drei Runden in Fiorano.
PS: Der Rückflug am Abend hat übrigens noch geklappt.
5
In Schritten zum
Motoraver ...
Chefredakteur Jan-Eric-Peters
Redaktionsleitung Dr. Ulf Poschardt (V.i.S.d.P.)
Redaktion Guido Bellberg, Stefan Anker, Tobias Wiemeijer
Artdirektion André M. Wyst
Bildredaktion Stefan Runne
Layout Katja Fischer
Die Reisen nach Italien wurden von Porsche und Ferrari und die nach England von Jaguar unterstützt.
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG, 7. JUNI 2015
SEITE 6
SONDERURLAUB
MIT SANDKASTEN
Mecklenburg-Vorpommern ist ein schönes Land, das man eigentlich auch nur
mit ebensolchen Autos bereisen dürfen sollte. Die Frage ist nur:
Was können Männer fahren, wenn es kein Sportwagen und auch kein SUV sein darf?
FULLAND
im Maserati
BELLBERG
im Bentley
Fotos
JOHANNES ARLT
SEITE 7
BRODER
im Rolls-Royce
Womit macht man auf dem
Campingplatz genauso eine gute
Figur wie auf der Auffahrt zum
Luxushotel? Und zu guter Letzt:
Wo bekommt man Kind und Hund
ebenso ansprechend untergebracht
wie die neue Flamme – und zwar
ohne dass der Fahrspaß leidet?
Eine wirklich schwierige Aufgabe,
die wir deshalb gleich drei Autoren
gestellt haben, die nur zwei Regeln
beherzigen mussten: Der Blick in die
Bedienungsanleitung ist verboten,
und die Autos müssen es von 0 auf
100 km/h in 5 Sekunden schaffen.
Dolce Velocità
K
Von
ANSGAR FULLAND
eine Kompromisse! Für Spaß habe
ich einen luftgekühlten Oldtimer aus Zuffenhausen,
dessen Motorsound ein mittelgroßes Orchester auf
Absinth ersetzt. Wenn ich befördert werden will, nehme
ich den skischanzentauglichen Familien-Quattro und
höre Radio. Jetzt stehe ich vor einem Auto, das angeblich beides und mehr kann: dahingleiten und herumrasen, Familien transportieren und erste Reihe Golfplatz. Der Maserati Quattroporte S Q4 ist ein Alleskönner. Wenn nur Herr Bellberg nicht die Bedienungsanleitung eingesackt hätte ...
Kurz vor Mecklenburg-Vorpommern: 14.46 Uhr
„Sind das eure Autos?“ Willi (52, Wohnwagengespann) hebt fragend die Augenbrauen, während er Bentley, Rolls und Maserati beäugt. Ein Bewunderer! Welcome and Bienvenue! Wir stehen nämlich an der Autotanke und warten auf Claqueure. Jetzt Bauch einziehen,
„Der Pate“-Blick aufsetzen und noch mal kurz die technischen Daten memorieren. 410 PS, Vierradantrieb,
Luxusleder von Poltrona Frau. Maserati macht dir ein
Angebot, das du nicht ablehnen kannst. Willi wirkt jetzt
ungeduldig. „Das ist korrekt“, entgegne ich huldvoll in
Erwartung bewundernder Worte und neugieriger Fachfragen. „Könnt ihr die mal wegfahren, ich brauch’ Luft!“
Willi deutet auf die Reifendruckstation, die wir komplett zugeparkt haben. Ups.
Ein unmittelbarer Publikumserfolg ist unsere Luxusausfahrt an die Ostsee jetzt nicht wirklich. Aber wir
fangen ja gerade erst an.
Zehn Minuten später sind wir wieder auf der Bahn.
Meck-Pomm, wir kommen. Bellberg hat zu viele WoolfBarnato-Biografien gelesen und zieht röhrend links an
mir vorbei. Shocking. Ich klemme mich in den hausbreiten Windschatten des Engländers. Die MaseratiAutomatik quittiert den Kick-down mit einem wohligdezenten Fchchchch und 550 Newtonmeter Schub. Das
ist in etwa so viel, wie die Russen damals brauchten, um
Laika, die Hündin an Bord der Sputnik, in die Umlaufbahn zu befördern. Es reicht, um Bentley-Boy Bellberg nicht entkommen zu lassen. Dicht hintereinander
schießen wir mit knapp 200 an Willis wankendem
Wohnwagen vorbei. Jetzt Bellberg ärgern und links
blinken? Besser nicht. Ich bin erst seit fünfzig Minuten
Maserati-Fahrer. Der S Q4 und ich sind noch nicht ganz
per Du. Dabei unterscheidet er sich kaum vom heimischen Quattro. Na gut – der Italiener hat unbestreitbar den besseren Sound, wenn man zutritt. Er hat 260
PS mehr als meiner. Und er schaltet automatisch. So
wie jetzt gerade wieder. Auf „N“. Habe ich irgendwas
angefasst? Der S Q4 verliert an Geschwindigkeit. Vor
mir im Mäusekino (ital.: „cinema topolino“) erscheint
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG, 7. JUNI 2015
SEITE 8
Schön britisch:
Der Regenschirm ist
in die Türe integriert
Kein Autotest ohne
Fassungsvermögen.
Nur: Wer legt sich
freiwillig in den Kofferraum?
Alles über 400 PS macht Männer
einfach schneller glücklich
So lässt es sich leben:
Inneneinrichtung auf
Bentley-Art
ein Hinweis. „Bitte Knopf drücken zur Gangwahl“. Wie
jetzt Knopf? Welchen? Und wo ist die verd... Bedienungsanleitung?
Die liegt in Bellbergs Handschuhfach. Und Bellberg
verschwindet gerade in einer Staubfahne hinter einem
Spargelfeld am Horizont. Die Luft über Meck-Pomm
flirrt. Ich koche. Der Q4 rollt grollend auf dem Standstreifen aus. Im selben Moment werde ich von der Bugwelle des Rolls erfasst. Herr Broder fliegt mit 190 km/h
an mir vorbei. Den Indiana Jones Fedora entspannt in
den Nacken geschoben, telefoniert er mit seinem Verleger oder Daniela Katzenberger. Wer weiß. Mit der
rechten Hand tätschelt er entspannt seinen Hund Chico. Ganz England fährt. Italien steht. „Bitte Knopf drücken zur Gangwahl“ (ital.: „che cazzo fai?“) leuchtet es
mir entgegen. Ich bereue, sonst niemals Automatik zu
fahren. WROOAH. Noch eine Bugwelle. Willis Wohnwagen zieht mit 90 an mir vorbei. „RÜGEN!“ pappt
hinten drauf. Genau.
Dann entdecke ich die Paddelschaltung am Lenkrad.
Ein Paddel zum Hochschalten. Eines zum Runterschalten. So geht das also mit der luxuriös sportiven Fortbewegung. Der Q4 schießt nach vorn. Im Auspuff macht
es „POCK!“ beim Gangwechsel. Großartig. Bis 260
bekomme ich das debile Grinsen nicht mehr aus dem
Gesicht. Und dabei könnte ich mit zwei Fingern lenken.
Lässig überhole ich einen Rolls. Möglicherweise den
von Herrn Broder. Das ist bei der Geschwindigkeit nur
noch schwer auszumachen. Bis später! (engl.: „eat
this“).
Am Horizont taucht der Bentley auf und wird schnell
größer. Wahrscheinlich blinkt im Bentley-Display gerade die „Tanken“-Anzeige (engl.: „please refuel, my
dear“). Nach der Beschleunigungsorgie von eben nicht
unwahrscheinlich. Doch Bellbergs Bentley blinkt. Wir
müssen runter von der Bahn und Richtung Ostsee. Ich
paddle ein wenig enttäuscht in den Zweiten und röhre
in die Ausfahrt. Kurven kann der Q4 auch gut.
Am Hotel angekommen, parken wir dort, wo zufällig
Platz ist: direkt vor dem Eingang. Das ist nicht sozialverträglich. Doch niemand traut sich, was zu sagen.
Vielleicht sind wir ja Scheichs. Die Motoren knacken
leise beim Abkühlen. Zwischen seinen englischen Kollegen kauert der Maserati flach und unauffällig. Ich
tätschle die warme Motorhaube. Maserati Quattroporte
S Q4. Passt zu mir. Ein wenig bescheiden. Ein wenig
geräumig. Gerade ausreichend motorisiert. Nur der
nötigste Luxus. Wo ist mein Louis V.-Golfbag? Das
Handy klingelt. „Denk dran, dass du am Wochenende
den Keller aufräumen musst!“ Ja Schatz. Bellberg grinst
hämisch und winkt mit den Bentley-Schlüsseln. Danke
für den Hinweis! Realtà 1 – Dolce Vita 0.
MASERATI QUATTROPORTE S Q4
Leistung: 410 PS
Hubraum: 3 l
Motor: V6 Biturbo
Beschl.: 0–100 km/h in 4,9 Sek.
VMax: 284 km/h Höchstgeschwindigkeit (abgeriegelt)
Grundpreis: 109.480,- €
Special Feature: Leder von Poltrona Frau®
Maserati Quattroporte S Q4
E
Von
GUIDO BELLBERG
s ist absurd genug, mit einem RollsRoyce, einem Bentley und einem Maserati auf einer der
engsten Straßen Berlins zu rangieren, aber vollkommen
seltsam wird es, wenn man dabei von einem Ewok beobachtet wird. Ich schwöre, dass ich das nicht erfunden
habe, aber Henryk M. Broder hat einen kleinen „Hund“
dabei, den ich schon einmal in „Star Wars“ gesehen
habe. Egal, keine Zeit für Vierbeiner, ich muss meine
tapferen Mitstreiter aus dem Moloch der Großstadt in
die Freiheit der ostdeutschen Ostseeküste führen. Ohne
Navigation oder etwas zu trinken (im Büro vergessen).
Momentan bewege ich mich allerdings überhaupt
nicht, da ich den Taxistand direkt vor dem Haus blockiere. Zählt das schon als Fahrstrecke? Technisch gesehen ja, aber faktisch betrachtet, ist die bislang zurückgelegte Strecke kürzer als der Bentley selbst. Das muss
besser werden. Sowohl Henryk M. Broder als auch Ansgar Fulland haben es geschafft, mich beim Abbiegen aus
der Tiefgarage zu übersehen, obwohl ich in einem Auto
sitze, das auf dieser Straße so unauffällig ist wie eine
Yacht im Supermarkt. Ich bin als Einziger nach rechts
abgebogen, alle anderen nach links (Herdentrieb). Inklusive Kameramann und Fotografenwagen habe ich,
streng genommen, also schon nach zwei Metern vier
Autos verloren und als Rudelführer total versagt. Also
warte ich, bis irgendwann irgendjemand wieder auftaucht.
Und tatsächlich, Broder kommt mir aus einer Seitenstraße
entgegen, die anderen vier folgen ihm – oder dem Ewok –
brav. Niemand hat ein Navi programmiert, alle vertrauen
auf die Intelligenz des Schwarms. Broder stoppt seinen
Rolls-Royce neben meinem Bentley, fährt die Seitenscheibe
herunter und fragt nach dem Weg. Der Verkehr bricht
endgültig zusammen.
Unser Tross hat endlich meine Führungsqualitäten erkannt und fährt noch einmal um den Block, um richtig
herum hinter mir zu stehen, während ich beschließe, dass
eine Viertelstunde Taxis ärgern genug ist, die Straße überquere, nach links abbiege und dort auf der rechten Seite
wieder in „P“ gehe. Die ersten 200 Meter sind geschafft. Es
dauert ewig – nicht zuletzt dank dreier Radfahrerinnen, die
die Kreuzung ebenfalls queren möchten, aber lieber nebeneinander stehen bleiben, weil sie sich nicht so recht trauen.
Was soll’s, ohne die anderen kann ich sowieso nicht los.
Ich ernte, obwohl ich weder dicht auffahre noch hupe,
böse Blicke der Radfahrerinnen. Wahrscheinlich stresse ich
sie durch meine bloße Anwesenheit, aber was soll ich ma-
Typisch Engländer,
fahren einfach auf
den Strand
chen, ich bin nicht zu übersehen, das Auto ist groß. Und
auffällig. Vielleicht ist das aber auch einfach nur der berühmte Berliner Sozialneid.
Endlich! Im Rückspiegel taucht wieder H. M. („His Majesty“) Broder auf, dahinter erkenne ich schemenhaft den
schwarzen Maserati von Ansgar Fulland. Das Team formiert sich zum nächsten Angriff auf den Berliner Verkehr.
Als Broder die Kreuzung ebenfalls passiert hat, starte ich
den Motor und gleite in die zäh fließende Masse. An der
Ausfallstraße circa 500 Meter nach der Tiefgaragenausfahrt
wird es noch schwergängiger. Schritttempo wäre jetzt
schön. Im Rückspiegel grinst Broder, der sich eben noch
darüber beschwert hat, dass er seine Lieblingsradiostation
nicht finden kann. Das Problem scheint jetzt behoben. Der
Maserati ist schon wieder verschwunden, zum zweiten Mal
auf 500 Metern, das ist neuer Rekord. Nach dem ersten
Kilometer habe ich nur noch zwei Autos, aber immerhin
die teuersten, im Rudel, und es hagelt Anrufe. Fulland will
wissen, wo er hinmuss. Na, immer geradeaus, wo er denn
sei? „Ich sehe einen Fernsehturm, links ist der Alexanderplatz.“ – „Super“, sage ich, „du musst auf eine der linken
Spuren in den Tunnel runter, Richtung Hamburg.“ Fulland
bestätigt Tunnel und Schildbeschriftung und fährt dann im
Tunnel an Broder und mir vorbei. Verdammt, wie kann
man uns übersehen? Aber man kann, denn der Kamerawagen, der offensichtlich nach dem Maserati Ausschau hält,
würdigt uns ebenfalls keines Blickes.
Endlich, die Verkehrslage wird besser, wir fressen nun
Ostberlin in großen Bissen. Fulland ruft wieder an und will
wissen, ob er Richtung Wedding muss. Hamburg, Herrgott
noch mal! Wir kriechen die ersten Meter Autobahn mit 90
km/h entlang, einfach um zu testen, wie das ist, wenn ei-
Eine gründliche Einweisung ist unbedingte Voraussetzung für sicheres Fahren
nen polnische Lkw-Fahrer wütend anstarren, und um den
anderen Gelegenheit zu geben, zu uns aufzuschließen. Viel,
sehr viel später ist Berlin geschafft und das Team wieder
vereint. Wir geben Gas, aber nur fünf Minuten, dann muss
der Ewok unbedingt anhalten.
Endlich bietet sich eine gute Gelegenheit, die Autos der
Kollegen herunterzumachen und höflich, aber mit Nachdruck auf die eindeutige Überlegenheit meines Bentleys
hinzuweisen. Die anderen Rastplatzbesucher starren uns
an. Broder ist bester Laune und hört Musik. Außerdem hat
SEITE 9
H. M. Broder erklärt geduldig, warum
er der beste Fahrer im besten Auto ist
er das Schiebedach offen, sehe ich. So wird das nichts mit
einem anständigen Reisetempo. Endlich geht es weiter,
aber der Kamerawagen hat kein Benzin mehr, und auf unserem Rastplatz gibt es auch keines. Also halten wir am
nächsten erneut und betanken das Auto. Als wir nun endlich und wahrhaftig Richtung Küste rollen, klingelt das
Telefon schon wieder. Fulland hat heute noch nicht gefrühstückt. „Herr Broder auch nicht“, antworte ich. Ja, und der
Fotograf habe eben auch angemerkt, dass er ebenfalls einen Happen vertragen könne, bemerkt Ansgar. Jesus.
Viele Pommes und Softdrinks später kommen wir endlich richtig ins Rollen. Kein Tempolimit mehr, und ich
beschließe, die erste Team-Building-Maßnahme durchzuführen und zu testen, wie meine Männer reagieren,
wenn ich sie ohne klare Zielangabe allein im brandenburgischen Asphaltdschungel zurücklasse. Ich gebe Gas, Kickdown. Oh ja. Sehr gut, beeindruckend. Von 100 auf 200 in
wenigen Sekunden, so soll es sein. Und der Motor klingt
gut, wenn man ihm einmal etwas zu tun gibt. Und arbeiten
kann er durchaus auf Sportwagenniveau. Mit einem kernig
röhrenden Sound, der beim Erreichen der Zielgeschwindigkeit wieder in ein sanftes Säuseln fällt. Eine fantastische
meine Richtung: „Typisch Engländer, fahren einfach auf
unseren Strand.“ Nun ja, soll ich die guten Leute darauf
hinweisen, dass das „GB“ auf meinem Kennzeichen natürlich für meine Initialen steht und ich gar kein echter Engländer bin? Oder darauf, dass ich mit einem Auto, das über
2,5 Tonnen wiegt und Hinterradantrieb hat, bestimmt
nicht in den Sand fahre? Ich nehme stattdessen die Sonnenbrille ab und grüße freundlich. Ausdauernd und so nett,
wie ich nur kann. Es nutzt nichts, bei den meisten Passanten herrscht eisiger Sauertopf im Gesicht. Schon erstaunlich: Drei wunderschöne Autos in einer wunderschönen
Landschaft bei wunderschönem Wetter – wie kann man da
nicht gut gelaunt sein oder wenigstens neutral? Ist das das
preußische Deutschland? Oder eine Spätfolge von zu viel
Sozialismus? In Italien oder Australien wäre jetzt FamilienParty am Strand. Menschenauflauf, Fragen, Begeisterung,
Diskussionen, Zustimmung. Hier dagegen wird man maximal geduldet. So gerade eben noch.
Endlich, zwei Mädchen haben gute Laune. Ich frage sie,
welches Auto ihnen am besten gefällt. „Der schwarze, der
in der Mitte“, sagen sie. „Falsche Antwort“, entgegne ich
und zeige auf den Bentley. „Oh ja, der ist auch super, aber
Aufforderung den Halteplatz gleich vor dem Hoteleingang.
Das passiert zweimal. Daran kann man sich schnell gewöhnen. Ich bedanke mich natürlich höflich, denn ich finde,
Luxuslimousinen und Unfreundlichkeit passen nicht zusammen, sondern sind ein Zeugnis engherziger Kleingeister. Aber es ist schon erstaunlich, wie viel respektvoller
Abstand einem gewährt wird, wenn man mit solchen Autos
auftaucht. Das ist auch den anderen aufgefallen. Aber darüber möchten sie lieber beim Essen reden. Komm, kleiner
Ewok, das Buffet ist eröffnet.
BENTLEY MULSANNE SPEED
Leistung: 537 PS
Hubraum: 6,8 l.
Motor: V8 Biturbo
Beschl.: 0–100 km/h in 4,9 Sek.
VMax: 305 km/h
Grundpreis: 323.918,- €
Special Feature: Beleuchteter Kühlschrank hinter der Armlehne der Rücksitzbank (Sonderausstattung)
Bis zum
nächsten Mal!
Besser kann
Hund nicht reisen
Sowohl Vierbeiner als auch Fahrzeuge
brauchen Nährstoffe und Streicheleinheiten
Maschine und definitiv ein Männerauto. Außerdem: Endlich ein Viertürer, der auch mir gefällt. Ich bremse auf
Lieferwagentempo herunter, beschleunige dann wieder auf
Sportwagenniveau. Hoch, runter, hoch, runter, Gott, ist das
Ding gut.
Endlich Mecklenburg-Vorpommern. Wenig bis keine
Autos, schöne Landschaften. Am Abend ist Fotosession auf
einer Strandzufahrt, der Kurdirektor hat es erlaubt. Schon
auf der Zufahrt, circa 200 Meter vom eigentlichen Strand
entfernt, hagelt es Kommentare der Einheimischen in
umweltfreundlich ist der auch nicht gerade, oder?“ Ich
schlage ein Gedankenexperiment vor: Wenn der Mulsanne
365 Tage im Jahr acht Stunden am Tag mit Vollgas fährt,
um wie viel Prozent erhöht sich dann der deutsche CO2Ausstoß? Die Mädchen lachen und ziehen weiter. Sie interessieren sich nicht für Mathematik.
Auch angenehm: Neue und hochglanzpolierte Kombis
deutscher Herkunft, deren Fahrer an der westdeutschen
Küste ja nicht selten mit hanseatischer Arroganz und unhöflichem Benehmen nerven, überlassen uns ohne jede
A
Von
PS WELT
n dieser Stelle stünde eigentlich ein
toller Text von Henryk M. Broder, lustig wäre er und vielleicht ein wenig provokant, auf jeden Fall lesenswert wie
immer. Leider hat es Herrn Broder aber gesundheitlich
unschön erwischt. Schade, denn wie gern würden wir lesen, welches Fazit Henryk M. Broder nach der Testfahrt
mit den anderen Autoren gezogen hat.
So können wir leider nur vermuten, was Herr Broder
sagen würde, aber ziemlich sicher, dass der Rolls-Royce
einfach das beste Auto war. Und wahrscheinlich stimmt das
auch, zumindest auf ihn bezogen. Broder im Rolls – das ist
in der Tat schwer zu toppen. Intellektuelle Überlegenheit,
die ihre automobile Entsprechung gefunden hat. Sehr cool.
Ziemlich sicher ist auch, dass er sich darüber beschwert
hätte, dass die Herren Fulland und Bellberg einfach nicht
Auto fahren können. Der eine verfährt sich immer, der
andere auch, und am Ende will es keiner gewesen sein.
Und obwohl sie doch jünger sind als Broder selbst, konnte
augenscheinlich keiner der beiden ein Navigationsgerät
bedienen. Der Alte musste es wieder richten.
Vielleicht hätte er auch über die Fallen geschrieben, die
diese Testfahrt für ihn bereithielt. Zum Beispiel die Wendeaktion in Brandenburg, die selbst mit einem geschrumpften Clio nur schwer zu bewältigen gewesen wäre
und die er, ohne ein Wort darüber zu verlieren, mit seinem
englischen Schlachtross wie ein wahrer Gentleman bewältigte. „Stiff upper lip.“
Oder dass die vermeintliche Nettigkeit der beiden anderen, ihm den einzigen Parkplatz vor der Herberge zu überlassen, damit er nicht so weit laufen und Gepäck schleppen
musste, in Wahrheit bedeutete, einen ausgewachsenen
Rolls-Royce zwischen gigantischen Findlingen, Baumwurzeln und Gartenzäunen einzuparken. Im Dunkeln. Nach
einem langen Arbeitstag. In einem Gewitter wenig hilfreicher Kommentare. Und unter jeder Menge Im-WegHerumgestehe und wildem Gestikulieren. Hat er sich beschwert? Kein bisschen.
Nur mit der Schaltung im Rolls-Royce hatte Herr Broder
es nicht so, ständig schaltete er die Scheibenwischer ein,
wenn er eigentlich den Rückwärtsgang einlegen wollte.
Behaupten jedenfalls die anderen. Aber genau das ist Bellberg auch passiert, und hat Broder vielleicht geflucht wie
ein cholerischer Rohrspatz? Oder lachend danebengestanden wie Fulland? Nein, hat er alles nicht.
Wie gesagt, wir können nur abwarten, was Herr Broder
uns am Ende berichten wird. Was wir aber ganz genau
wissen, ist, dass wir seine Geschichte mit Sicherheit nachreichen und was wir jetzt sagen: Danke Henryk, gute Besserung und bis zum nächsten Mal!
PS: Den Strandurlaub von Henryk M. Broder und den
anderen beiden Autoren können Sie auch als
kleinen Kurzfilm erleben – auf welt.de
ROLLS-ROYCE GHOST
Leistung: 571 PS
Hubraum: 6,6 l
Motor: V12 Biturbo
Beschl.: 0–100 km/h: 4,9 Sek.
VMax: 250 km/h (abgeriegelt)
Grundpreis: 272.837,- €
Special Feature: teflonbeschichteter Regenschirm in Fahrertür
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG, 7. JUNI 2015
SEITE 10
Die fliegende
Faust von N.Y.
Peter Richter ist gebürtiger Dresdner, Rammstein-Fan, eine
der kraftvollsten Stimmen der deutschen Literatur. Für ihn gibt
es nichts Schöneres als am Steuer eines BMW zu
Von
ULF POSCHARDT
sitzen. Auch und erst recht, seit er in New York lebt
PETER RICHTER
Schon mit dem Namen. BMW, BeEm-We, Bayerische Motoren Werke: Ich
bin vor lauter Entzücken oft versucht,
selbst das kleine e hinter dem y mitzusprechen. Christian Kracht und Rafael Horzon wollten, glaube ich, im Deutschen Theater sogar mal ein Stück
unter diesem Namen aufführen. Ich
konnte den Wunsch nachvollziehen. Ich
finde, der Name ist so kraftvoll, weil er
so lapidar und sachlich ist, anders als
VW zum Beispiel, was ja ein Marketingbegriff ist, eine Behauptung. Ich war als
Kind mal mit meinem Vater im Automobilmuseum in Eisenach und habe
mir BMWs angeschaut. Die Leute, die
dort später die Wartburgs bauen mussten, hatten vor dem Krieg ja BMWs
gebaut und damit hinterher einfach
weitergemacht, bis über die Gründung
der DDR hinaus, dann schrieben sie
noch eine Weile lang Eisenacher Motoren Werke drauf, mit rotem Propeller.
Später wurden sie zum Bau von Zweitaktern verdonnert, was denen ganz
schön an die Ehre gegangen sein muss.
Es begann also schon tief in der
DDR?
Dass in der DDR kaum BMWs herumfuhren, hat nicht verhindert, dass man
die Mythen kannte. Eines Tages parkte
mal ein 328i genau vor unserem Haus
auf der Straße. Westautos sah man bei
uns in der Gegend eigentlich relativ oft.
Da am Elbhang in Dresden hatten die
Leute in der Regel ganz gute WestKontakte, viele bekamen regelmäßig
Besuch von drüben, oder sie hatten
irgendwo ein Westgeldkonto und ließen
sich über die Außenhandelsgesellschaft
Genex einen sogenannten Genex-Golf
kommen. Der Sänger Peter Schreier, der
um die Ecke wohnte, hatte einen weißen Mercedes vor der Tür stehen. Nur
BMWs sah man selten. Denen ging
dafür kopfschüttelnde Bedenkenträgerei
voraus: Zu teuer, zu unvernünftig, zu
eng, zu sportlich, ein Auto für Raser und
aggressive Karrieristen ...
meldet, wegen der Wartezeiten. Die
Fahrschule in Dresden wurde von
Heinz Melkus betrieben, dem Rennfahrer und Konstrukteur. Und als ich
dann dran gewesen wäre, gab es sie
nicht mehr, denn Melkus hatte, weil er
ja nun wirklich Ahnung hatte und Geschmack besaß, noch vor der Wiedervereinigung das erste ostdeutsche Autohaus welcher westdeutschen Marke
aufgemacht?
Na?
Opel war es jedenfalls nicht.
In Ihrem gerade erschienenen Wende-Roman schreiben Sie rührend
über das Autoknacken: „Ein schöner BMW zum Beispiel wurde nicht
bei Austausch der Nummernschilder
absolut auch Brandenburg sein.
Es wurden damals im Osten ja auch
die „Car-Freitag“-Gebräuche fast so
schnell und gern angenommen wie die
D-Mark. Die berüchtigten illegalen
Rennen auf dem ehemaligen Großdeutschlandring in der Sächsischen
Schweiz waren, wenn man so will, ein
frühes Nebenprodukt der deutschen
Einheit: ein vergessener, ins schlaglöchrige Straßennetz aufgelöster GrandPrix-Kurs traf auf Kohle für Teerfahrbahn nach westlichen Standards. Ansonsten: Auf der Ebene der Produktion
ist es so, dass West-Autos heute zum
großen Teil im Osten hergestellt werden. BMW baut seine Wagen wesentlich
in Leipzig, aus meiner Sicht praktisch
›› Wer behauptet,
in New York brauche
man kein Auto,
hat keine Ahnung ‹‹
Wer erzählte denn so was?
Westdeutsche, die selbst im Opel
saßen oder im Audi 80. Mich hat das
schon deswegen sofort affiziert. Ich war
aber auch gerade dabei, Punk für mich
entdecken. Und dass die BMWs auch
filmikonografisch so etwas wie die
Cowboys mit den schwarzen Hüten
waren, konnte man sich in jedem französischen Film auf DDR 2 ansehen:
Sobald da einer ins Bild gerollt kam,
wusste man, gleich gibt es Ärger. Den
KFC hören ...
geknackt, um ihn zu zersemmeln,
ein BMW wurde geknackt, um ihn
zu fahren. Nie geknackt wurde nur
der Jaguar XJ6, obwohl es damals
das schönste Auto in der ganzen
Stadt war, mit dem R. aus der Elften
in jenem Frühjahr eines Tages vor
der Schule vorfuhr.“ Wie autobiografisch ist das – keine Sorge, es
wäre ja verjährt?
Es ist, wie gesagt, ein Roman. Aber
gab es auch in der Wirklichkeit die
Jungs, die nach der Wende die neuen
West-Autos aufbrachen, die ja in der
Regel eher recht alte West-Autos waren? Ja. Wurden die mitunter aus purem Mutwillen gegen die Mauer gesetzt? Ja. Waren das in jugendlicher
Anmaßung auch Strafaktionen dafür,
wie würdelos unserer Meinung nach die
Revolution von den dauergewellten
Zonen-Gabis beider Geschlechter aus
der Hand gegeben wurde, um sich stattdessen schrottreife West-Autos andrehen zu lassen? Ja. Und dann auch
noch die falschen, Opel Kadett und
Ford Escort. Ich habe das damals so
mitbekommen. Aber der Autor haftet
hier nicht für seine Erzählerfigur. Der
Autor hat in solchen Nächten, offen
gesagt, manchmal lieber in dem herrlichen Jaguar seines Schulfreundes aus
der Elften die Beine ausgestreckt –
etwas, das man in einem BMW ja nun,
zugegeben, oft nicht so gut kann.
... den KFC hören?
... diese frühe Punkband aus Düsseldorf, große, minimalistische Meister der
Provokation – die also hören und einen
BMW fahren, das kam mir synästhetisch stimmig vor. Ich war da erst 14
oder so, aber immerhin schon seit ein
paar Jahren bei der Fahrschule ange-
Waren Autos und Techno die beiden
Jugendkulturen, die Ost und West
zusammengebracht haben?
Es gibt von dem Künstler Tobias
Zielony diese wunderbare Fotoserie
über Jugendliche, die, Musik hörend, in
ihren getunten Karren an einer Tankstelle im Rheinland rumhängen. Könnte
in einem Vorort von Dresden. Da kam
natürlich auch wieder was dahin zurück, wo es hingehörte: Das, was man
Mitteldeutschland nennt, ist eine traditionelle Wiege der Mechanik und der
Fummelei.
Welcher BMW hat Sie als Erster
begeistert und warum?
Als Kind natürlich der M1, typisches
Autoquartett-Auto, der böse Gegenspieler des Superstechers. Im wirklichen Leben aber der E30. Der 80erJahre-Dreier. Das war also die Schuld
des Designs von Claus Luthe und seines
Vorgängers Paul Bracq. Danach fand ich
damals aber auch den Rest der Familie
sehr attraktiv. Den Fünfer vor allem.
Heute noch überlege ich manchmal, ob
ich mir mal den Siebener kaufen soll,
wie er auf dem Cover von „Head On“
der Band Die Haut zu sehen ist. Ich
glaube, in so einem habe ich vor Jahren
mal Rainald Goetz im Rückspiegel auftauchen sehen, der Wagen war weiß, ein
dramatisch schönes Bild.
Und was war am Dreier so speziell?
Dem Dreier fühlte ich mich rein
generationsmäßig damals am nächsten.
Ich mochte enge Jeans und kraftvolle
Stiefel wegen Punk. Der E30 war eng
geschnitten, ohne dass er das Gefühl
Wann haben Sie sich Ihren ersten
BMW gekauft?
Als ich Anfang der Nullerjahre mal
ein bisschen Geld zusammenhatte,
habe ich mir nicht ein teures, sondern
drei relativ günstige Autos gekauft,
nämlich kurz nacheinander zwei E30
und einen 911 3,2 Carrera. Die BMWs
waren eine Limousine von 1990 und ein
Cabrio von 1989, beides nur 320i. Bei
allem, was im Hubraum darüberlag,
hatte man damals schon das Problem,
dass die meistens zu runtergerockt
waren; der BMW-Fahrer hat seinen
zweifelhaften Ruf ja nicht immer ganz
zu Unrecht, und je stärker der Motor,
gerade beim Dreier, desto größer das
Problem. Deswegen habe ich auch nie
einen brauchbaren Fünfer aus der Zeit
gefunden, und ich hätte gern einen
gehabt. Zum Ausgleich hatte ich dann
noch den Porsche angeschafft, und
zwar statt eines etwa gleich teuren
1986er BMW 635CSI M, um den ich
damals im Meilenwerk auch sehr rumgeschlichen bin. War ein Fehler, ich
hätte den nehmen sollen. Der 911er war
zwar auch herrlich. Aber der hat letztlich mehr bei dieser Porsche-Werkstatt
rumgestanden – da, im Süden von Zehlendorf, wo es nur noch Kopfsteinplasterstraßen gibt, die einem Auto
endgültig den Rest geben. Der war auch
Baujahr 1986. Wahrscheinlich war ich
damals schon fixiert auf die automobile
Kulisse von 89/90. Das Cabrio aus dem
Wendejahr hab ich bis heute.
Ich war irritiert, als Sie mit einem
3er BMW auftauchten, für mich,
gerade aus München entflohen, ein
PETER RICHTER
PS WELT: Wie ging das alles los mit
Ihrer Begeisterung für BMWs?
vermittelte, man dürfe die Pedale nur in
zierlichen Loafers bedienen, wie gewisse italienische Marken. Ich liebe bis
heute die Idee des fahrerorientierten
Cockpits, das Beifahrer psychologisch
sogar vom Hineinfummeln ins Radioprogramm abschreckt, wie ich mir einbilde. Später hat mich auch der ganze
Geburtsmythos fasziniert. Dass man
sich vor der Pleite wegen Fettleibigkeit
dadurch rettet, dass man radikal abspeckt, aus barocken Blechtorten diese
kargen Dinger macht, den 1600, den
2002 und wie die Vorläufer der DreierReihe alle so heißen, die „neue Klasse“;
und dass diese Askese-Leistung aber
eben nicht Entsagung bedeutet, sondern im Gegenteil ein Mehr an Lust,
Spaß, „driving pleasure“, also Modernisierung im Dienste des Hedonismus.
Diese Geschichte könnte man in Poesiealben schreiben, finde ich.
Dr. Peter Richter: BMW-Fan, Familienvater und Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ in New York
Auto mit schwierigsten sozialen
Konnotationen. Ich fragte mich,
was ein Rammstein-Fan damit will.
Was wollten Sie damit?
In erster Linie wollte ich, glaube ich,
das Auto fahren, das ich gut fand. Wenn
ich Sie damit irritiert habe, tut mir das
natürlich leid, aber da sind Sie – bitte
nicht böse sein – wirklich das Opfer
Ihrer ganz eigenen Projektionen. Welche schwierigen sozialen Konnotationen denn eigentlich konkret? Mir haben
meine Leute aus München immer erzählt, sie könnten keinen Dreier fahren,
weil dort so aufstiegsorientierte Jüngelchen aus dem damals noch existierenden Kirch-Imperium damit durch die
Stadt heizten. Mich wundert, dass ausgerechnet Ihnen das solche Probleme
gemacht haben soll.
Keine Probleme, lieber Herr Richter.
Es hat irritiert. Mehr nicht.
Diese vielen Münchner, die Anfang
der Nullerjahre wie Sie nach Berlin
kamen, waren aber auch generell einfach zu irritieren. Die haben ja dann
auch mein berufliches Umfeld gebildet.
Bei einigen stand man damals schon
wegen eines Poloshirts von Fred Perry
unter Faschismusverdacht. Dabei konnte man ihnen das wiederum fast schon
als Homophobie ankreiden. Die Rechten liefen zu dem Zeitpunkt längst rum
wie Linksautonome, wenn man in Berlin mal einen Skinhead in Fred-PerryShirt sah, dann konnte man fast sicher
sein, der war auf dem Weg in die Darkrooms vom „Ostgut“, dem VorgängerClub des „Berghain“. Warum ich nun
wirklich keine Sympathien für Rechtsradikale hege, erzähle ich auf rund 400
Seiten in meinem Buch. Schwul bin ich
auch nicht, aber was manche Homosexuelle am Skinhead-Look interessiert
hat, das finde ich schon interessant.
Was ich mit dieser kleinen Abschweifung sagen will: Konnotationen, selbst
schwierige, sind nichts, wovon man sich
nicht auch frei machen, nichts, was
man nicht ändern und umkodieren
könnte. Dass dabei gleichsam an der
Unterseite eine gewisse Idee von Aggressivität immer weitergetragen wird
wie bei einer warburgschen Pathosformel, das ist dafür vielleicht sogar eine
Vorraussetzung. Und so extrem dürften
die Konnotationen des Dreier BMW ja
noch nicht mal für Sie gewesen sein.
Ich habe mich mit meinem Dreier in
Berlin eigentlich immer ziemlich passend angezogen gefühlt, und zwar vor
dem Stadion vom BFC im Osten genauso wie bei den Türken in Kreuzberg, vor
SEITE 11
einem Club in Mitte, vor der Philharmonie oder da, wo im Grunewald die
Männer auf die Hunderunde gehen, die
sich über das Berliner Privileg eines „B
MW“-Kennzeichens noch freuen können. Ich habe den Dreier also eher als
sozial integrativ erlebt. Die Rolle von
BMW-Fahrzeugen als bundesdeutschem
Wert für die Integration von Immigranten wäre mal gutes Thema für eine
soziologische Dissertation. Die kategorisierenden Zuschreibungen von anderen beißen sich bei dieser Bandbreite.
Ich würde bereits zurückweisen, hier
als Rammstein-Fan hingestellt zu werden. Zum Fansein fehlt mir die Beschränkung des Fanatismus. Kein Platz
in meinem Herzen hat bei BMW zum
Beispiel alles, was ein Z oder eine 1 im
Namen führt.
Okay, und was ist mit Rammstein?
Mit Rammstein verbindet mich vor
allem die Vorgeschichte, die Erfahrung
von Punk in der DDR. Ich muss die
jetzt nicht täglich hören, um mich
trotzdem daran zu freuen, dass die in
der Rezeption offensichtlich genauso
funktionieren wie Dreier-BMWs: Man
selbst durchschaut selbstverständlich
das Ganze, findet es vielleicht sogar
die zur Verfügung stehenden Spuren
der Autobahn. Eine Werbefrau hat mir
in Bezug auf BMW-Fahrer mal den
schönen Begriff „Social Overtaker“
genannt. Das war schön, weil es das oft
als Von-oben-herab-Behandlung benörgelte Drängen und Wegblinken als
Durchsetzung sozialer Offenheit von
unten nach oben uminterpretiert.
Also war das BMW-Drängeln eine
emanzipatorische Praxis?
Gibt es eine emanzipatorische
Praxis, die vom jeweiligen Establishment nicht als unangenehmes, präpotentes Gedrängel
empfunden würde?
Solange die RAF-Leute in einem
BMW saßen und sich schätzungsweise
vorkamen wie Outlaws auf einem besonders rasanten Pferd, waren sie vermutlich am meisten „in tune“ mit dieser
sozialliberalen Gesellschaft, gegen die
oder für deren Befreiung sie kämpften.
Ich vermute, sie hatten in den Momenten auch den meisten Spaß. Für den
Mythos in der Szene ihrer linksradikalen
Anhänger hatte das aber meiner Beobachtung nach weniger Bedeutung,
ihre Begeisterung für BMWs hat einige
vielleicht sogar eher irritiert, im klassi-
›› Das Cabrio aus
dem Wendejahr hab
ich bis heut ‹‹
auch ganz unterhaltsam, hat aber
schwerste Bedenken gegenüber Gesinnung und Gesittung aller anderen.
Was für ein Paternalismus.
schen Hausbesetzermilieu schien mir
eher ausgerechnet der Mercedes-Benz in
hohen Ehren zu stehen, das natürliche
Automobil der RAF-Opfer.
Wer ist jetzt paternalistisch: Rammstein, BMW-Fahrer oder die Irritationen?
Die Irritation natürlich, der man
anmerkt, dass sie in Wirklichkeit eine
gerümpfte Nase, also Dünkel ist. Abgesehen davon ist Rammstein, so weit ich
weiß, eine ziemliche Fahrradfahrerband.
Nur Flake, der Keyboarder, ist sehr
automobilaffin. Dessen Autobiografie
„Der Tastenficker – An was ich mich so
erinnern kann“ handelt zu 80 Prozent
von einer tiefen und rührenden Liebe
zu Old- und Youngtimern, zu 20 Prozent von lustigen, aber konstruktiven
Missgeschicken und praktisch zu null
Prozent von Rammstein. Ein sehr gutes
Buch. Noch viel besser als meines.
Sie leben jetzt in New York. Wie
sieht Ihr Fuhrpark dort aus?
Subway, Fahrrad und ein 2007er
BMW X5 4.8i. Die kosten ja hier vergleichsweise wenig. Alle, die behaupten,
in New York brauche man kein Auto,
haben keine Ahnung, wovon sie reden.
Allein die Fahrt über die Brücken und
den FDR-Drive nordwärts, wo es einen
Moment gibt, in dem es aussieht, als
würde man dem UN-Gebäude genau in
die Schmalseite fahren, gehören zu den
aufregendsten Erfahrungen, die diese
Stadt heute zu bieten hat. Außerdem
kommt man ohne Auto schlecht an die
guten Strände, und New York ist ja
nicht zuletzt ein wunderbarer Badeort.
Allerdings nimmt man bei dem mondmäßigen Zustand der Fahrbahnen tatsächlich am besten etwas Hochbeiniges.
In Berlin war der X5 für mich ein Auto,
mit dem Rechtsanwaltsgattinnen ihre
Kinder zum Hockeytraining fahren.
Aber irgendwann im Leben muss man
sich mit der Unterbringung von Kinderwagen und dergleichen befassen, und
Kombis erinnern mich zu sehr an Leichenwagen. Verglichen mit den Trucks
hier wirkt der X5 tatsächlich eher wie
im deutschen Verkehr, sagen wir, ein
Golf GTI. Außerdem sticht einem inmitten der recht groben amerikanischen Designs noch deutlicher ins Auge, dass der X5 von vorn eine fliegende
Faust ist, jedenfalls der E70. Gegen die
Panzer-Ästhetik eines Ford F150 wirkt
das erstaunlicherweise wie eine demilitarisierte Form der Aggressivität, wie
Sport im Gegensatz zum Krieg. Der
Kontext verändert die Dinge: Der VW
Jetta gilt hier zum Beispiel auch nicht
als Onkelauto mit Wackeldackel, sondern als flotter Wagen für junge Leute.
Ist der BMW das definitive AntiIntellektuellen-Auto?
Das hieße, dass zum Beispiel Rem
Koolhaas, der große M1-Fahrer, der
definitive Anti-Intellektuelle unter den
Architekten wäre. Das Gegenteil ist der
Fall. Es gibt sicherlich Fahrzeuge, die
sich eher als Intellektualitätsattrappe
eignen, so wie sich ein bestimmter
Proseminaristensound besser zur Vorspiegelung von Intellektualität eignet
als die schnörkellose Sprache von Emeritierten. Aber wenn es wirklich so ist,
dass man so denkt, wie man fährt, dann
folge ich lieber den schnellen, sportlichen Spurwechseln eines BMW-Fahrers als dem geruhsamen Geradeauslauf
eines Intellektuellen-Darstellers im
Saab oder Volvo. Man könnte sich natürlich immer darauf einigen, dass das
die apollinischeren Vehikel sein mögen
und der BMW dionysischere Sphären
anspricht. Das Rasen hat man den Mänaden schon genauso übel genommen
wie heute dem unruhigen Geist in seinem Dreier.
Wie wichtig ist der Mythos des
BMW als Baader-Meinhof-Wagen?
Die RAF wäre wohl bei mehr Markentreue nicht so schnell verhaftet
worden – da waren ein 911 S Targa
und ein Iso Rivolta schuld.
Wenn Herr Baader und Frau Meinhof
ihre Tage theoretisierend miteinander
verbringen mussten, werden sie vermutlich beide froh gewesen sein, wenn
sie in einem schönen BMW mal ein
bisschen zur Praxis des linksradikalen
Fahrens schreiten konnten. Dabei bezieht sich der spezielle Linksradikalismus des BMW-Fahrens ja vor allem auf
Projektleiter Martyn
Hollingsworth putzt
„Car Zero" fürs Foto
Kinderfrage: Ein Lottogewinn erwischt Sie. Welches Auto würden
Sie kaufen, sofort?
Sicher keine Ming-Vase auf Rädern.
Lieber so viele gut erhaltene BMWs,
Porsches, Maserati Quattroportes und
von mir aus auch Mercedes aus den
Achtzigern und frühen Neunzigern, wie
noch zu haben sind, und eine schöne
Halle dazu. Wenn sich in ein paar Jahren die Segnungen von vernetzten und
selbstfahrenden Vehikeln flächendeckend durchgesetzt haben, würde ich
dann da sein für alle, die sich nach
Autos zum unüberwachten Selberfahren und Selberschrauben sehnen. Ich rieche da ein Business.
„Car Zero“ ist mit
mechanischer LucasEinspritzung ausgestattet, man kann
auch Weber-Doppelvergaser haben
Während „Car Zero“ bei
Jaguar bleibt, sind
„Car Four“ (rechts unten)
und die anderen Lightweight-Modelle schon vor
Fertigstellung verkauft
Text und Fotos
Von
STEFAN ANKER
Der heilige Gral
des Motorsports
Jaguar hat der PS WELT
exklusiven Zutritt in
sein Allerheiligstes verschafft.
In Browns Lane entsteht in
Handarbeit der E-Type neu
Es ist ja immer so: Man kann noch so willkommen sein und von höchster
Stelle eingeladen, zunächst muss man am Pförtner vorbei. Der Mann in
Browns Lane, dem früheren Stammwerk von Jaguar, erweist sich als Meister
seines Fachs in der Disziplin, dem Gast ein mulmiges Gefühl zu geben. Die
„Welt“? „A dodgy paper“, sagt er, ein zwielichtiges Blatt. Er habe 16 Jahre in
Deutschland gelebt, sei verheiratet gewesen dort. Aber die Ehe kann nicht
gut ausgegangen sein. Was er dem Besucher noch auf Deutsch mit auf den
Weg gibt, klingt unverständlich und nicht nett.
Vielleicht hat es den Mann an der Pforte gestört, dass ausgerechnet ein
Vertreter der PS WELT Zutritt erhält, wo englische Medien nie waren: in der
Endmontage des Jaguar E-Type Lightweight. Moment: Sind die nicht alle
längst zu Ende montiert? Zwölf Rennwagen von 1963 – elf existieren noch,
und wenn sie gehandelt werden, dann um fünf Millionen Pfund.
In Browns Lane jedoch wird man Zeuge einer Wiederauferstehung.
Längst werden hier keine neuen Jaguar mehr produziert, aber Jaguar Heritage, eine Abteilung der Jaguar Land Rover (JLR) Special Operations, hat
hier Quartier genommen. Betritt man die Halle, sieht man feinste Oldtimer,
die auf Restaurierung oder Inspektion warten, ein XJ 220 steht auf der Hebebühne, zwei private Oldtimer von JLR-Chef Ralf Speth sind auch da. Doch
jetzt geht es um die kleine Ecke hinten rechts, hinter der weißen Stellwand.
Hier sind drei Autos zu sehen, in verschiedenen Stadien der Montage.
„Car Zero“, die Nullnummer, ist fertig, kann auch schon fahren, wird auch
schon gefahren. Wenn Projektleiter Martyn Hollingsworth von seinen Testrunden am Bilster Berg Drive in Deutschland erzählt, dann strahlt er nicht
einfach, dann leuchtet sein ganzes Gesicht. „165“, raunt ein anderer Ingenieur dem Besucher zu. 165 Meilen schnell sei das nur 1000 Kilogramm
schwere „Car Zero“ neulich gewesen. Goodness gracious, das sind 273 km/h!
Überprüfen wird das nur können, wer eines der Autos zwischen „Car
One“ und „Car Six“ kauft, besser: gekauft hat. Hollingsworth sagt, dass es
wohl fünf, sechs Interessenten pro Auto gegeben habe. Eine Million Pfund
musste jeder bezahlen, circa 1,4 Millionen Euro. „Car One“ steht fertig da,
dunkelgrau lackiert, aber sein Besitzer möchte nicht, dass es fotografiert
wird. Also schieben Hollingsworth und seine Kollegen „Car One“ weg und
rangieren „Car Zero“ neben „Car Two“. Da sieht man wenig mehr als Chassis und Karosserie. „Zwei Tage“, sagt Hollingsworth, „dann kann es lackiert
werden.“ Es sei ja schon fast alles dran an dem Wagen, viel mehr Innenausstattung als Sitze und Lenkrad gebe es nicht.
Der E-Type Lightweight war ein reinrassiger Rennwagen, auf Basis des
Cabrios mit Hardtop, bei dem sein Hersteller damals den Stahl durch Aluminium ersetzt hat. Das war eine ziemlich große Sache in den Sechzigern,
und heute positioniert sich JLR ja ebenfalls als Alu-Spezialist: Kein neues
Auto, das nicht in Aluminiumbauweise die Fabriken verlässt.
So hätte Martyn Hollingsworth vielleicht schon ahnen können, dass es
mit dem Ruhestand nichts werden würde, als erstmals die Idee aufkam, den
E-Type Lightweight neu aufzulegen. Nicht einfach so, sondern gewissermaßen aus historischer Notwendigkeit: 1963 waren 18 Stück geplant, aber man
kam nur bis Nummer zwölf. „Unser Designer David Fairbairn fand heraus,
dass Jaguar 18 Seriennummern reserviert hatte, und die restlichen sechs
waren noch da.“ So wurde der Ehrgeiz angefacht. „Ich wollte eigentlich
gerade in Rente gehen“, erzählt Hollingsworth, der bis Ende 2013 den Jaguar-Prototypenbau geleitet hatte. „Aber dann kam ein Anruf von John Edwards, dem Chef der Special Operations. Und eine Woche später hatten wir
ein Dinner mit Mr Speth.“ Hollingsworth nahm zunächst offiziell seinen
Abschied, blieb ein Wochenende und einen Montag zu Hause und kam dann
wieder. Weil der JLR-Chef seinen Leuten diese Aufgabe stellte: Baut das
Auto. Und baut es so, dass wir dabei kein Geld verlieren.
Ob ein Umsatz von sechs Millionen Pfund ausreicht für den Aufwand?
Der Lightweight ist nicht nur eine schöne Hülle. Auch der 3,8-Liter-Reihensechszylinder wird original nachgebaut (mit 330, 340 PS statt damals 292,
wie Hollingsworth lächelnd zugibt), vor allem ist der Unterbau so, wie er
war. Jaguar hat darauf verzichtet, dem Auto eine modernere Struktur zu
geben, alle Chassis- und Karosserieteile des zwölften und am weitesten
entwickelten Ur-Lightweight wurden per Laserscan vermessen und nachgefertigt. Auch die Verbindungstechnik: Im Werk Whitley wurden vier Mitarbeiter rekrutiert, die Beschäftigungen in der Flugzeugindustrie nachweisen konnten, und sie setzen nun Nieten ins Blech – historisch korrekt.
„Anders hätten wir keine FIA-Homologation für das Auto bekommen“,
sagt Hollingsworth. Mit dem neuen E-Type Lightweight wird man an Rennen der historischen Motorsportszene teilnehmen können, zwei Besitzer
haben schon angekündigt, genau das zu tun. Während solcher Veranstaltungen habe dann und wann auch JLR Zugriff auf die Autos, nicht zum Fahren,
aber zu Werbezwecken. Und so, nur so, rechnet sich dann auch die Investition: Jaguar will in Sachen Traditionspflege aufschließen zu den Konkurrenten aus Deutschland, der E-Type Lightweight ist eine Art Beweis für die
Ernsthaftigkeit dieses Plans. Und nicht etwa nur ein „dodgy classic car“.
SEITE 12
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG, 7. JUNI 2015
SEITE 13
Die Geschichte der
lässigen Fortbewegung
Gestaltung:
ANDRÉ M. WYST
Auswahl:
PS-WELT AUTOREN
Ein subjektives Strukturdiagramm
SEITE 14
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG, 7. JUNI 2015
ZUM GLÜCK!
Für Autoverliebte gibt es nichts Aufregenderes als die Mille Miglia. Einmal im Jahr werden
in Italien alle Regeln der Straßenverkehrsordnung ausgesetzt und durch Regeln des Respekts,
der Schönheit und der Euphorie ersetzt. Unser Autor setzt sich an der Seite von
Porsche-Chef Matthias Müller, nun ja, eine Überdosis Benzin. Ein wunderbarer Rausch!
SEITE 15
Markus Leser
Von
ULF POSCHARDT
Fotos
MARKUS LESER
FERDINAND PORSCHE
RÈMI DARGEGEN
FEDERICO BAJETTI
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG, 7. JUNI 2015
SEITE 16
L
Markus Leser
Markus Leser
Souveräner Sieger:
Bugatti T 40 von 1927 (oben),
Begeisterung mit Kamera und Pinsel (mitte),
roter Maserati A6 GCS/53 Fantuzzi
von 1954 (rechts)
Liter-Vierzylinder. Der Ingenieur Ernst Fauhrmann sollte als Heiliger verehrt werden, so unglaublich drehfreudig ist dieser Antrieb, begleitet von
einem beeindruckenden Geheule beim Hochdrehen und einem Jubeln beim
Gaswegnehmen. Unter 3500 Umdrehungen hustet und spuckt der Rennmotor seine Verachtung für den lahmarschigen Piloten heraus.
Der Motor hat einen klaren kategorischen Imperativ: Sei schnell, stets so
schnell es geht! Das ist mitunter nicht
einfach, führt die Mille Miglia doch
1600 Kilometer lang über öffentliche
Straßen – mal abgesehen von ein paar
Sonderprüfungen auf abgesperrten
Straßen. Und diese situationistische
Umwidmung des öffentlichen Raums zu einem abwechslungsreichen Racetrack klappt nur, weil die Italiener Autos lieben. Und zwar so sehr, dass sie
ertragen, wenn Klapperkisten ohne Schallschutz mit über 130 Kilometer pro
Stunde durch eine geschlossene Ortschaft krachen. Es ist nicht zu glauben.
Überall lachende Gesichter, Klatschen, Daumen nach oben, Fahnen, Fanclubs und 98,7 Prozent aller „normalen“ Autofahrer, die bereitwillig Platz
›› Die Regel der Gentlemen
Drivers: Jeder passt
auf den anderen auf ‹‹
Federico Bajetti
Logischerweise geht es um die Fahrer, die
Autoren der schnellsten Linie. Zu denen kommen wir gleich. Dass es im
Herrschaftsbereich der EU, der Brüsseler Ultrabürokraten, der verbots- und
verordnungsverliebten Feinde der Freiheit, so etwas wie die Mille Miglia gibt,
kann nicht anders als ein Wunder bezeichnet werden. Es ist den Italienern
zu danken, ihrer grenzenlosen Liebe zu Anarchie und Schönheit, ihrer Hingabe an alles, was mit Leidenschaft und Euphorie geschaffen und gelebt wird.
Hunderttausende haben auch dieses Jahr die Mille Miglia bejubelt, saßen bis
tief in die Nacht vor ihren Häusern und winkten den vorbeirasenden Fahrern
zu. In den Parks applaudierten Jogger und Fahrradfahrer, auch Ökobauern in
der Toskana nickten grinsend, als die PS-Monster ohne Kat vorbeischepperten. Warum? Weil selbst die Grünen in Italien wissen, wie einzigartig die
Ökobilanz dieser automobilen Kulturgüter ist. Man möchte sich nicht vorstellen, welche Art von Ökoterror und Sozialneidexzess eine Prozession von
zumeist braun gebrannten Multimillionären in Deutschland auslösen würde.
Gedankenexperiment beendet: Es wäre unmöglich.
Dann die Carabinieri, die bestaussehenden, stolzesten, lässigsten Cops
der Welt. In ihren strahlenden Uniformen, die Pistolen in den Lederstiefeln. Am allercoolsten sind die Jungs auf den Motorrädern, zum Teil darauf
stehend, mit einer Hand lenkend, mit der anderen Hand die entgegenkommenden Fahrzeuge für die heranrasenden Temposünder an den Straßenrand drängend. Die Polizei ist während der Mille Miglia das bewaffnete
Unterstützerkommando der Drängler, Raser, Rotsünder, Standstreifenüberholer, Fußgängerzonenbesetzer. Eine ideale Welt. Die herrische Art, mit der
sie in den vier Tagen die Schleicher, Bremser anraunt und mit abwertenden
Gesten bedeckt: ein Vergnügen.
Kommen wir zu den Mechanikern. Morgens gegen halb sechs wachen die
Petrolheads von den Fehlzündungen der ersten warmlaufenden, einzustellenden Vorkriegsmodelle auf. Es ist ein Operngeräusch. Tritt der Gearhead
auf den Balkon, sieht er zumeist die Hinterteile hoch konzentriert schraubender Mechaniker, die zum Teil tief in den Schlund des Motorraums gebeugt sind. In der Regel erzeugt die Vorfreude auf den anbrechenden Tag
und das einsetzende Rennen einen derartigen Adrenalinkick, dass der stets
bombenstark dosierte Espresso gar nicht nötig wäre. Im Laufe der vier
Tage kann er aber als Droge der Wahl selten schaden.
Am Donnerstagmittag wird das Rennen gestartet, die ältesten Autos
zuerst (der Fiat 501 S ist 93 Jahre alt), die jüngsten zum Schluss. Unser
Auto, ab sofort das beste Auto aller
Zeiten genannt, ist ein 54er-Porsche
550 Spyder RS. Ein legendäres Rennauto, dessen Einzigartigkeit nur
schwer durch seinen aktuellen
Marktwert von circa drei Millionen
Euro erklärt werden kann. Der 550,
in dem James Dean tödlich verunglücken sollte, war das erste Rennauto
von Porsche. Obwohl winzig klein
und mit einem zierlichen Motor ausgestattet, machte es der größeren und
mächtigeren Konkurrenz stets zu schaffen. Auf der Mille Miglia 1954 wurde
der 550 Kult, weil er so flach war, dass der Rennfahrer Hans Herrmann in
ihm unter einer sich schließenden Bahnschranke hindurchrasen konnte. In
diesem Geist haben wir das Auto auch bewegt. Es ist ein extrem leichtes
Renngerät mit für heutige Verhältnisse läppischen 110 PS aus einem 1,5-
Remi Dargegen
Schön und schnell:
Alfa Romeo 1900 C Sprint vom Team der
Briten David Wells und Marian Walecki
machen, manche winken sogar die Horde Wildgewordener vorbei. Natürlich gibt es auch Protest, darüber wurde im Vorfeld geschrieben, aber er ist
für die meisten Teilnehmer kaum sichtbar. Da in unserem Spyder, einem
Stahlrohrskelett mit ein bisschen Alu herum, weder Sicherheitsgurte noch
sonst was für auch nur einen Hauch Sicherheit sorgen, ist die Umsicht der
anderen Straßenverkehrsteilnehmer überlebenswichtig. Noch essenzieller
und existenzieller ist das filigrane, intuitive Regelwerk der Gentlemen
Drivers, das nur so heißt, weil es früher nicht so fantastische Fahrerinnen
wie Jodie Kidd (Ex-Supermodel, Polospielerin und heimliche Kandidatin
für die Clarkson-Nachfolge bei „Top Gear“) gab. Jeder passt auf den anderen auf. Jeder achtet nicht nur auf sein Leben, sondern auch auf das des
anderen. Wenn es eng wird, lässt jeder Teilnehmer eine Lücke für den Hooligan, der im letzten Wimpernschlag reinziehen muss. In den vier Tagen
Mille Miglia sieht man viele Lederhandschuhe, die mit der Linken sanft den
Schnelleren vorbeiwinken oder mit der Rechten in den Roadstern die Hand
nach vorn werfen. Was heißt: Überholspur frei!
Jeder, aber wirklich jeder, der hier mitfährt, ist ein exzellenter Fahrer. Pro
Tag erleben die Piloten und Co-Piloten ein bis zwei Dutzend Szenen ( je
nach Fahrstil), die einen normalen Autofahrer überfordern würden, noch
dazu mit Autos, deren Getriebe nicht synchronisiert sind, mit direkten
SEITE 17
Markus Leser
Egal wie eilig es ist, die italienischen
Expertinnen laden zum Plausch.
Porsche-Chef Müller studiert derweil das
Roadbook im Porsche 550 Spyder 1500 RS
Lenkungen, die Oberarme und Bauchmuskeln trainieren. Der Spyder lässt
sich auf faszinierende Art auch im Grenzbereich noch korrigieren. Auch bei
engen Kurvendurchfahrten kann bei leichtem Lupfen des Gasfußes die
Linienführung korrigiert werden. In den Bergen findet der Fahrer seinen
Rhythmus und lässt den Spyder, dessen Heck in der Tendenz stets ein wenig nach außen zieht, durch die Pässe tanzen. Der Fahrer gerät in einen
Rausch, und vielleicht liegt es auch an dem intensiven Benzingeruch aus
den Rennantrieben vor ihm, dass am dritten und längsten Tag in einem
langen Tunnel mit minimalistischer Beleuchtung der Fahrer eine Transzendenzerfahrung macht. Er fühlt sich von allem entrückt. Glücklich, selig,
berauscht. Gleichzeitig wächst die Hochachtung vor den Rennfahrern, die
mit diesen Schüsseln in den 50er-Jahren die Carrera Panamericana gefahren
sind, eine gnadenlose Rallye über 3456 Kilometer, die nach nur vier Jahren
wegen zu vieler Todesfälle eingestellt wurde. Die Kondition der Teams muss
stimmen, die Tage zwei und drei sind 15-Stunden-Monster – nicht für alle,
die Speedheads kommen gern ein bis zwei Stunden früher als vorgesehen.
„No penalty for early arrival“, erklären die Stewards und Streckenmarshalls am Freitagabend bei der Einfahrt ins Olympiastadion in Rom, bis
dorthin wurden die einzelnen Renntrosse von Carabinieri durch die Ewige
Stadt begleitet, in zum Teil abenteuerlichen Geschwindigkeiten.
Wer wissen will, warum erfolgreiche Menschen erfolgreich sind, findet
beim Teilnehmerfeld der Mille Miglia Anschauungsmaterial. Da die Teilnahme an der „Mille“ ein kostspieliges Unterfangen ist (8450 Euro Anmeldegebühr pro Auto), besteht das Starterfeld in der Regel aus wohlhabenden und sehr wohlhabenden Menschen. Kaum Neureiche, eher Leute,
die nichts mehr zeigen wollen, weil sie in sich selbst ruhen und ihre Leidenschaften ausleben können. Sie sind beeindruckend angstfrei und begeisterungsfähig, regressionsfähig und hochvernünftig, wenn es sein muss.
Der Machismo der Fahrer wird abgemischt mit Selbstironie.
Am Ende der 1600 Kilometer, mitten in der Innenstadt von Brescia, sind
die Ohne-Pause-Heizer an einem kleinen, heruntergekommen Grünfleck
vereint, der ältere Herr mit den langen, grauen Locken hat den roten Rennanzug aufgeknöpft, uriniert und raucht eine dicke Havanna. „Good race!“ –
„Yeah.“ Mehr gibt’s nicht zu sagen. Ohne die Hände zu waschen, gratuliert
man sich mit Handschlag zur bestandenen Tortur und geht seines Weges.
Überhaupt: Für die vier Tage sind die Fahrer mit den umliegenden Startnummern Freunde und Verwandte. Jeden Morgen, vor jeder Zeitprüfung, am
Abend, stets wird sich erkundigt, wie’s läuft, ob noch alle Zylinder Leistung
bringen, ob es auf der Stadtmauer von Luca schöner war oder auf der Piazza
del Campo in Siena. Vor uns, in einem dunkelgrünen Rover, zwei Holländer,
so lustig, freundlich, filmen uns, machen Fotos, mailen sie dann. Totale Autoverrückte. „Hm, den Porsche hatte ich auch.“ – „Ja, beim Maranello [Ferrari]
bevorzuge ich den Handschalter.“ – „Ja, furchtbar, dass es so grandiose Lancia und Alfa nicht mehr gibt.“ Hinter uns zwei italienische Nobelmänner,
stets in frisch gebügelten Hemden und Hosen, Loafern, die so aussehen, als
hätten sie schon in Fellini-Filmen mitgespielt. Ihr Alfa schafft es am Ende
nur knapp ins Ziel. Dahinter Jodie Kidd, stets umringt von Fans, und das
wohl berühmteste Männermodel David Gandy, der erstaunlich kompetent
fährt. Es gibt Autos zu entdecken wie den Healy des (unglaublich elegant
pilotierenden) Schweizers Daniel Schlatter („Ich lebe jetzt vor allem in Marrakesch, bin eigentlich fertig mit Europa“) oder einen Zagato von Dr. Arno
Schenk aus Küsnacht. Wie Mitglieder einer Boygroup wirken die beiden Italiener in dem eierschalenfarbenen 356er. Brutal schnell die Armada von Jaguar und Aston Martin, mit den vielen Zylindern und dem massiven Hubraum!
Das Team des Autors, ein Traum. Ultrafamiliär. Im wahrsten Sinne des
Wortes. Wolfgang und Ferdinand Porsche bilden ein Vater-und-Sohn-Team
der Extraklasse. Der Vater ein Kompendium der guten Laune; egal wie
beschwerlich der Tag, stets ist er mit Anekdoten, Witzen und abgefahrenen
Handyvideos in der Lage, das Team zu unterhalten. Selbstverständlich auch
ernstere Themen (und da gibt es im Augenblick im VW-Porsche-Reich jede
Menge) nüchtern und abgeklärt zu verhandeln. Der Sohn ist ein sympathischer, bescheiden und unbeschwert auftretender 22-Jähriger, gern bei den
Mechanikern, seinen Vater liebevoll aufziehend (und der ihn), und ein
verdammt schneller Fahrer. Die
Hardcore-Porsche-Fans haben
keine Scheu, „Herrn Doktor
Porsche“ anzusprechen, sie
bringen Modellautos ihrer Lieblingsporsche mit, die „WoPo“
Matthias Müller ist neben Martin Wintersignieren soll, fragen freundlich,
korn und Audi-Entwicklungsvorstand
ob sie sich mit ihm fotografieren
Ulrich Hackenberg der am besten verlassen dürfen, sie bringen Bünetzte Manager im VW-Konzern. Gecher zum Unterschreiben, Fotos,
boren am 9. Juni 1953 in Limbach-OberT-Shirts, Caps. Für jeden hat der
frohna zogen seine Eltern früh von SachSohn von Firmen-Gründer Ferry
sen nach Bayern. In Ingolstadt lernte
Porsche ein paar nette Worte.
Müller Werkzeugmacher bei Audi, machte
Nur wenn er von einigen
danach Abitur und studierte Informatik.
Schnauzbärten allzu vertraulich
1978 ging Müller zurück zu Audi und
geduzt wird, scheinen Grenzen
verließ seither die Volkswagen-Welt nur
der Geduld auf. Erkennbar aber
noch für ein Volontariat am japanischen
sind sie nur für jene, die in dem
Ministerium für Internationalen Handel
stets freundlichen Gesicht des
und Transport. Müller ist seit 2010 PorAufsichtsratsvorsitzenden auch
sche-Vorstandsvorsitzender, zuvor leitete
kleinere Veränderungen wahrer das Produktmanagement des VWnehmen. Wolfgang Porsche muss
Konzerns, und gilt als intimer Kenner
sich gar nicht verstellen, die
aller strategischen Entscheidungen. Seit
Fan-Pflege ist ihm ein Anliegen.
Anfang 2015 ist der kantige Perfektionist
Ferdinand steht schmunzelnd
auch Mitglied des Konzernvorstandes.
daneben, die jungen Mädchen
schmachten ihn an. Auch er
steht selbstverständlich für Fotos zur Verfügung. Auch nach 15
Stunden hinter dem Steuer eines Porsche-Racers werden beim ziemlich
gemütlichen Nachtessen mit Handyfotos Lieblingsautos, Felgen, CarreraSchriftzugfarben erörtert – und bei welcher Oldtimer-Rallye man demnächst mitfährt. Die Familie Porsche ist Markenbotschafter aus Obsession.
Das harmoniert auch ganz gut mit dem Porsche-CEO Matthias Müller, der
wirklich jedem Freund der Mille Miglia zuwinkt, wenn er den Spyder nicht
gerade um ein Eck drechseln muss. Müller ist seit knapp fünf Jahren Porsche-Chef, und der Erfolg hat auch gusseiserne Skeptiker schnell überzeugt. Da hat einer seine Berufung gefunden. Die aber könnte noch einmal
eine neue Wendung bekommen. Insidern gilt er als sicherster Tipp für eine
Winterkorn-Nachfolge, falls dieser eher als gedacht an die Spitze des Aufsichtsrates rutscht. Die Diskussion um sein Alter belustigt den bei der Mille
62-Jährigen. Wer ihn aus dem ziemlich engen Spyder hüpfen sieht, würde
dementieren, dass dieser Mann auch nur in Sichtweite einer Verrentung ist.
Markus Leser
Matthias Müller
Fortsetzung auf Seite 20 N-20
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG, 7. JUNI 2015
SEITE 18
arturo rivas gonzalez
Jodie Kidd und Männermodel
David Gandy im Jaguar XK 120 OTS
Roadstar von 1953
Pier Marco Tacca/Getty Images
Fuhr alleine:
Sylvia Oberti im S.I.A.T.A. 300 BC von 1951
Eine Frau
brennt ihren Namen
in den Asphalt
Jodie Kidd ist nicht nur ehemaliges Super-
arturo rivas gonzalez
model und moderiert eine eigene Fernsehshow
(über Autos), sie fuhr dieses Jahr auch wieder
bei der Mille Miglia mit. Schneller und härter
als die meisten Männer. Gott, wie wir diese
Frau lieben! Grund genug, einmal ein ernstes
Wörtchen mit ihr zu reden …
PS WELT
Jodie, wir alle bei der PS WELT kennen Sie, obwohl Sie nicht mehr
modeln und Ihre TV-Sendung, die „Classic Car Show“ ja noch nicht
einmal in Deutschland läuft – was übrigens eine Schande ist.
Es werden langsam mehr: Frauen, die ans
Limit gehen – in Autos, die die meisten
Männer überfordern.
Hier Annemarie und Loes van de Velde im
blauen Talbot-Lago T-26 (oben).
Das polnische Model Kasia Smutniak
fuhr einen Lancia Ardea von 1939 (rechts)
Sind Sie eine reine Oldtimer-Frau oder mögen Sie auch moderne
Autos?
Natürlich liebe ich moderne Autos! Ich fahre momentan einen Jaguar
und habe schon viele Supersportwagen besessen. Diese ganze OldtimerSzene ist für mich relativ neu, ich bin ja erst seit ein paar Jahren dabei,
aber es ist etwas, in das ich mich komplett verliebt habe. Eine Reise im
Auto, bei der man von A nach B fährt, ist für mich etwas, bei dem man am
Punkt B glücklicher aussteigen sollte. Leider sind viele moderne Autos ein
wenig seelenlos und bringen einen einfach von A nach B. Ich möchte aber
jede Fahrt genießen und mit einem breiten Grinsen aussteigen.
LaPresse/Spada/action press
JODIE KIDD
Ich glaube, die Produzenten haben die Serie gerade nach Deutschland
verkauft! Das sind im Prinzip 13 einstündige Episoden, die sich alle mit
klassischen Autos beschäftigen. Ich darf dabei all die spaßigen Sachen machen, zum Beispiel einen Ferrari California oder einen Bugatti 35Cs fahren
bis hin zu völlig abgefahrenen Autos. Außerdem haben wir eine Sektion, die
sich „Future Classics“ nennt und sich mit den Autos der 70er- und 80erJahre beschäftigt, die gerade preislich am Tiefpunkt angelangt sind und das
Zeug haben in zehn Jahren recht wertvoll zu sein. Im Prinzip geht es darum, dass alle Zuschauer sich wieder in klassische Autos verlieben.
Ausgerechnet …
Genau! Ich hatte natürlich von „Top Gear“ gehört, aber selbst noch
keine Sendung gesehen, also sagte ich: „Du bist doch dieser Auto-Typ“,
und erzählte ihm von meiner Gumball-Erfahrung und den tollen Autos, die
ich da erlebt hatte. Und Clarkson sagte: „Oh, du klingst wie jemand, der
Autos wirklich liebt.“ Und er schlug vor, dass ich in seine Show kommen
sollte, um eine Runde auf der Strecke zu drehen. Ich sagte zu, und zwei
Monate später setzten sie mich für drei Runden zu Stig (Der anonyme
Rennfahrer von „Top Gear“, Anm. d. Red.) und der sagte (Also kann er
doch reden, Anm. d. Red.) „Prima, das reicht, du wirst gut klarkommen.
Du hast es drauf.“
Jaguar
Ein Mann, der Sie bei der Mille Miglia hat fahren sehen, hat mir erzählt, dass sie schneller waren als die meisten Männer, er Sie auch
Und dann haben Sie ja auch alle anderen Promis von der Bestennicht abhängen konnte und Sie abends auch noch fitter aussahen
liste gefegt …
als alle anderen. Wie machen Sie das?
Ja, irgendwie liegt mir das Rennfahren im Blut. Es ist etwas, das sich für
Ich weiß nicht, ich bekomme ja so langsam schon einen Ruf. Am Anfang
mich einfach natürlich anfühlt. Ich hatte vor der Show mit
war das anders: Nun ja, Blondine, Model, bla, bla, bla.
Jamie Oliver gesprochen, der bereits dort gewesen war, und
Und nach zwei Jahren, in denen ich die Mille gefahren
er hatte mir erklärt, dass man ungefähr zehn Runden Zeit
bin, kamen auf einmal die älteren Gentlemen auf mich
habe, um die Strecke kennenzulernen und seine persönlizu und sagten: „Ich möchte einfach einmal Ihre Hand
che Bestzeit aufzustellen. Aber nach drei Runden sagten die
schütteln. Ich habe 300 Kilometer lang versucht, Sie zu
„Top Gear“-Leute zu mir: „So, du musst jetzt aufhören.“
überholen, aber es war unmöglich.“ Ich weiß auch
Ich antwortete: „Nein, nein, ich hatte in der einen Kurve
nicht, ich liebe Straßenrennen einfach. Ich habe ja auch
nicht genug Schwung und könnte noch ein wenig schneller
mit der Gumball-Rallye von New York nach Los Angesein!“ Und sie antworteten: „Nein, nein, nein, das reicht.“
les angefangen. Einige Freunde fragten mich, ob ich
Und dann fand ich heraus, dass ich schon mit meiner ersnicht Lust hätte, dabei zu sein, und wir fuhren so einen
ten Runde alle geschlagen hatte. Bei der zweiten und dritgroßen Mercedes. Ich hatte gerade erst meinen Führerten Runde wurde ich immer besser. Also sagten sie: „Los,
schein gemacht, und am Ende fuhr ich die meiste Zeit
raus jetzt!“ Das gefiel mir natürlich alles sehr, und so fing
und begann mich ernsthafter für Autos zu interesich an, bei kleineren Rennen in England zu fahren, und
sieren, auch weil da einige Hammerautos am Start
wurde dann von Maserati angesprochen, für die ich dann
waren, F50, alte Porsches und so weiter. Dann flog ich
vier oder fünf Jahre lang Rennen fuhr. Aber auf der Straße
zurück nach London zu den GQ Awards, und sie setzen Fokussierter Blick ins Roadbook:
Jodie Kidd
zu fahren ist einfach anders, ich mag das Rennfahren, aber
mich an einen Tisch direkt neben Jeremy Clarkson …
am liebsten bei Straßenrennen. Da geht es viel mehr um Durchhaltevermögen, es gibt viel mehr Variablen, die man beachten muss. Du musst
auch bei hohen Geschwindigkeiten die ganze Zeit alles im Auge behalten,
musst versuchen, kleinste Lücken zu finden. Das ist etwas, was mir wirklich liegt.
Klingt, als hätte es Sie wirklich gepackt …
Ich liebe es, ich liebe es total! Ich bin fest entschlossen, die „beste“ Frau
zu werden, die jemals bei der Mille Miglia gefahren ist, die Frau mit den
meisten Zielankünften. Ich werde das wirklich versuchen und wäre sehr
gern die „Mille Lady“.
Ja, wo sind eigentlich die Frauen? Sie fahren als eine der wenigen
bei der Mille selbst und sind nicht nur hübsche Deko. Oder?
Es gibt nur sehr wenige. Ich glaube, ich sah zwei Frauen in einem Porsche 1500. Aber die starteten immer vor mir, und jeden Tag habe ich sie
überholt. Was ich meine, ist, sie fuhren zwar sehr gut und schnell, aber
waren keine echten Racer.
Was ist mit Ihren Freundinnen? Auch autoverrückt?
Nein, und ganz ehrlich, ich hätte auch große Sorgen, die in einem Umfeld
wie der Mille zu sehen. Weil man vom Einsteigen bis zu dem Moment, in
dem man abends wieder aussteigt, nonstop denken und sich fokussieren
muss. Bei hohen Geschwindigkeiten durch enge Ortschaften, da muss man
sehr gut schauen und aufmerksam sein. Ich glaube nicht, dass das eine meiner Bekannten durchhalten würde. Schnell fahren können die, aber Straßenrennen? Aber mal von Rennen abgesehen: Klassische Autos sind definitiv im
Kommen. Zumindest in England sehe ich jeden Tag mehr Oldtimer auf den
Straßen. Triumph TR7, Mercedes SLS, alles Mögliche. Es scheint, als sei die
Zeit gekommen, neben den modernen Fahrzeugen auch noch etwas zu besitzen, in dem man unkompliziert viel Spaß haben kann. Jetzt ist wirklich
eine super Zeit, um in der klassischen Szene unterwegs zu sein. Aufregend!
SEITE 19
Jaguar
Unvergessene Ikone
vor fantastischer Kulisse: Jaguar D-Type
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG, 7. JUNI 2015
SEITE 20
Fortsetzung von Seite 16 N-16
Da der Autor schon vor vier Jahren mit Müller die Mille Miglia in Angriff genommen hat, lässt sich gut konstatieren, wie sehr sich Müller mit
fast oberbayerischer Sturheit selbst treu geblieben ist. Show, Tamtam, der
gesamte Medienzirkus bleiben ihm fremd. Seine kerzengerade Art, Dinge
anzusprechen, erscheint wenig kompatibel mit dem Winkelzüglerischen
vieler Gerüchteküchen und Halbinformationszentralen. Er bleibt dem
fern, um den Autos näher zu sein. Seinen eigenen Fahrstil nennt er „zügig“, den des Autors „aggressiv“ (dabei lachend). Das Wechseln der Gänge
finde bei ihm – so Müller über Müller – „im Sportmodus manuell“ statt
und beim Autor im „Sport-plus-Modus“. Wieder lautes Lachen. Auch der
Mechaniker rundherum.
Das Porsche-Team ist – wenn nicht gelacht wird – ein stilles Team. Während Luxusmarken aus Süddeutschland und England mit beeindruckendem Tross und entsprechendem Hospitality-Aufwand arbeiten, gibt es am
Ende des ersten Abends in Rimini, direkt vor dem Hotel, aus dem Kofferraum eines Panamera Pizzen aus dem Karton und eisgekühltes Bier aus
der Flasche. Einigen Fans, die um die Autos herumschleichen, sieht man
die Irritation an. Ist das wirklich Wolfgang Porsche, der Enkel von Ferdinand, Sohn von Ferry, Cousin von Ferdinand Piëch? Und stößt der da mit
der Bierflasche mit Matthias Müller an? Beide feixend, immer wieder den
schmachtenden Blick über die drei Oldtimer werfend. Auch an den nächsten Abenden oder bei den kurzen Mittagspausen setzt das Team des rollenden Museums auf schwäbische Bescheidenheit und Minimalismus. In Parma gab es
den bekannten Schinken und den nicht
minder bekannten Käse, dazu ein paar
Scheiben Salami und Brotstangen. Auch die
drei weißen Service-Cayenne waren Meister
der Tarnung. Sie blieben stets in der Nähe
und dennoch weitgehend unsichtbar. Bei
anderen großen Marken waren die Oldtimer
eingerahmt von schwer bepackten SUVs,
die mit eingeschalteter Warnblinkanlage und zum Teil barocken Lenkbewegungen nicht alle Rallye-Teilnehmer begeisterten. Für Matthias Müller,
den Kantigen, auch ein Grund, ab und an für ein paar Zehntelsekunden die
oberbayerische Fundamentalruhe zu verlieren. Kurz vor der Einfahrt in
Siena war er derart genervt von den Lokalrivalen und ihrem hollywoodesken Filmteam, dass er in einer Kurve ein Überholmanöver vollendete,
das die Untertürkheimer beim Dreh schachmatt setzte. Eine Revanche für
das Werbefoul an dem Porsche 911 in einem AMG-GT-Spot? Kopfschütteln.
Kein Wort darüber. Weiterfahren! Müller ist seit der letzten Mille-MigliaTour mit diesem Co-Driver berühmter, mächtiger und einflussreicher
geworden, aber keinen Hauch eitler. Während um jedes drittklassige Fernsehsternchen bei den Stadtdurchfahrten vor den Tribünen ein riesiges
Bohei veranstaltet wird, bevorzugt Müller den Low-key-Auftritt. Er macht
von sich kein Aufhebens.
Müller redet von Tag zu Tag weniger, und dennoch wird die Kommunikation zwischen Pilot und Co-Pilot besser. Aus dem Roadbook wird ein
Lyrikband, und am Schluss sind es nur noch zwei oder drei Finger, die
dem Fahrer ins Sichtfeld gereckt werden. „Unser Head-up-Display“,
flachst Müller. Was die Finger bedeuten? Sie stehen dafür, welche Abfahrt
bei den Hunderten von Rondellen genommen werden muss. Wenn der
übermüdete Co-Pilot, mit dem Tripmaster überfordert, zu komischen
Redewendungen findet („Ich bin heute morgen noch nicht richtig kalibriert“), darf er sich der spöttischen Anerkennung des Piloten sicher sein.
Und wenn der euphorisierte Petrolhead in einen manischen Race-Modus
zu rutschen droht, genügt ein kleiner Hinweis auf die Drehzahlgrenze zur
Mäßigung. Das geschieht wechselseitig und auf Augenhöhe, die bei einem
550 Spyder RS denkbar tief liegt.
Was hätte Beckett aus diesem Stoff machen können! Zwei ausgewachsene Männer, aneinandergeschweißt in einem Auto so groß wie ein Kinderplanschbecken. Wir sprechen über alles, über die schönen Kleider, die italienische Frauen am Sonntag tragen, egal wie alt oder wie groß oder wie
reich sie sind. Über die Anmut der italienischen Dörfer und Hügel, wir
lernen Regenwolken als solche zu erkennen und während der Fahrt uns
umzuziehen, wir sprechen ein wenig über Politik und am Ende doch vor
allem über Autos. Alle Autos, jedes Auto, die vor uns, die hinter uns und
natürlich am liebsten über Porsche. Und dann bricht es aus Müller oft
genug heraus, wie glücklich er in Zuffenhausen ist und wie schön die Strecken mit seinem Dienstelfer sind, wenn er nach Weissach fährt, wo die
Ingenieure die Zukunft seiner Marke und immer ein wenig die Zukunft des
Genres Sportwagen weiterdrehen. Unter Müller ist die Tradition zurückgekehrt. Man sieht das beim Targa, aber auch beim kernigeren Charakter
der 991-Modelle, vom Carrera S bis zum GT3 RS. Und man hat den Eindruck, als lade sich Müller bei Veranstaltungen wie der Mille Miglia mit der
historischen DNA seiner Marke auf. Und auch mit der Begeisterung, die
diese Marke auslöst. Wenn er von Fans erkannt wird, freut er sich beim
Selfie-Duett über die Verehrung, wenn er spürt, dass eigentlich nicht er,
sondern die Autos gemeint sind. Hinter die soll stets alles zurücktreten.
Gelöst ist Müller, wenn sein Sohn mit seiner Clique am Ortsausgang von
Pescara wartet oder die Schwester via SMS erklärt, dass sie seinen Ritt
dank Periscope-Übertragungen und Tweets seines Beifahrers gut verfolgen
könne. Kommen die Mechaniker am Abend in seine Richtung, steht er auf
und bedankt sich für das super Auto. Am Ende der Rallye ist er nicht nur
stolz auf das Ankommen, sondern auch auf die Perfektion der Oldtimer.
Der 550 RS hat nicht die kleinste Macke. „Bitte schaut doch mal, ob was am
ersten Gang ist“, sagt er freundlich. „Der ist mir ein-, zweimal rausgerutscht. Wahrscheinlich habe ich ihn nicht richtig dringehabt. Einfach nur
nachsehen.“ Die Mechaniker haben einen selbstverständlichen Umgang mit
ihrem Chef und auch mit Wolfgang Porsche. Und wer einmal Ferdinand
Piëch erlebt hat, weiß, wie himmelweit der Unterschied ist.
Die Mille Miglia ist für Autoliebhaber das, was die Art Basel für Kunstsinnige ist: eine Art Kirchentag der Anbetung ihrer Götzen. Kaum eine
automobile Kostbarkeit aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die bei
dieser wohl berühmtesten Oldtimer-Rallye nicht an den Start geht. Vorkriegs-Alfa, die Ur-Testarossa von Ferrari, Bentley-Panzer aus den 20erJahren, Cisitalia, Aston und – so snobistisch ist man bei der Mille Miglia –
der „Golf der MM“: die Flügeltürer von Mercedes, Marktwert ab 800.000
Euro aufwärts. Zudem jede Menge ehemalige Rennfahrer wie Jochen Mass,
Karl Wendlinger, Bernd Mayländer, Derek Bell, Stirling Moss, Ralf Schumacher und viele andere.
Die Rückkehr ins normale Leben fällt schwer. Es war ein wenig wie im
Paradies, wenn man denn einen Autoknall hat. Und nur wer einen Autoknall
hat, wird sich die Strapazen antun. Geschafft, aber glücklich muss sich der
MM-Racer dann wieder in die StVO resozialisieren. Die vier Tage im Spyder,
mit den Porsches und den Porsche bleiben in ihrem Glanz unwirklich. Aber alles war wahr. Unglaublicherweise.
Markus Leser
Remi Dargegen
›› Die Mille Miglia ist für
Autoliebhaber ein Kirchentag ‹‹
ferdinand porsche
Voller Einsatz für Porsche: Die Mechaniker
umsorgen den Spyder und Ferdinand und
Wolfgang Porsche geben Autogramme – zur
Not auch auf dem blanken Bauch. Porsche
ist eben ein Stück Popkultur.
Oben: ein Rudel blitzschneller Jaguars
SEITE 21
Markus Leser
Der Kenner erkennt es am Vorderrad,
das fast abhebt: hier wird ernst gemacht
Remi Dargegen
Atemraubend schön:
der Ferrari 500 Mondial Spider Pininfarina
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG, 7. JUNI 2015
SEITE 22
Aufa
Heimfahrt
Tucholsky im
Kofferraum
Landpartie nach Rheinsberg im Porsche Macan!
Den ganzen Sommer im Gepäck. Claire und
Wölfchen machen sich auf den Weg.
Seinen eigentlichen Anfang nahm das Abenteuer erst, als sie in den Porsche Macan einstiegen. „Wölfchen“, sie rieb sich verwundert die
Augen, „bissu sicher, das ist unsere Zeit? Sach
ma', das Auto, es funkelt so.“ Sie fuhren ins
Brandenburgische … Nach Rheinsberg.
Wie alle Großstädter bewunderten sie alles
auf dem Weg. Ein Feld, in dem Arbeiter Spargel
stachen. Sie überschätzten die Schönheit von
einfachen Flüsschen, von Windrädern, die nur
wiederwillig ihre sisyphoschen Runden drehten,
das Auto kaum zu hören. Draußen versprach die
Sonne ihnen Ewigkeit …
„So ein schöner Mercedes!“
Die Claire drückte die Knöpfe, während er
fuhr. Sie stellte die Sitze nach vorn und hinten,
die Lautstärke hoch und runter.
„Ist gar kein Mercedes. Ist ein Porsche. Der
Porsche Macan.“
Wolfgang ließ die Fenster ganz hinunter. Die
Haare von der Claire lösten sich. Ihr Lachen
kugelte bis an die Küste. „Hach! Is doch ein
Mercedes! Wer weiß das besser als ich.“ Der
Sommer war noch so lang ...
„Herrgott, Claire! Siehst du denn nicht, links
steckt der Schlüssel, hier das Wappen mit dem
Pferd, steht sogar hinten drauf!“
„Is aber ’n Mercedes.“
„Automatik. Halb SUV, halb Sportwagen. 258
PS. In 6,3 Sekunden auf hundert. Kann nur ein
Porsche Macan sein.“
Sie fuhren weiter. Die Autobahn lag nutzlos
vor ihnen und tat ganz wichtig. Sie brauchten sie
nicht. Sie brauchten gar nichts. Die Claire verband ihr Telefon mit dem Auto. Sie hörten jetzt,
was ihr gefiel, und kaum ein Lied zu Ende,
schnell schaltete sie weiter, sie wollte alle Lieder
hören, solange sie verliebt war ...
Es musste etwas gegessen werden! Vor dem
Schloss Rheinsberg parkten sie das Auto. Es gab
Bockwurst und Bier und eine Menge Leute, die
gute Miene spazieren trugen, an der Uferpromenade.
„Prost, Wolf!“
Dann aßen sie, und hernach rauchte die Claire. Sie guckte ganz konzentriert in die Luft.
„Clairchen, was konzentrierst du dich so?“
„Ich muss mich alles einprägens. Isso schön.“
Er hielt sie.
Später wollte die Claire fahren. Sie setzte
sich hinter das Steuer und tat sehr ernsthaft. Sie
ließ den Fahrersitz nach vorn und hinten gleiten. Sie wollte einen Markt suchen, sie wollte
picknicken. Die Claire fuhr einen Waldweg entlang. Empörung! Dem nassen Waldboden hatte
man noch nicht Bescheid gesagt, dass der Winter vorbei war.
„Wölfchen?“
„Claire?“
„Ich möchte nur einmal ...“ Sie versuchte
einen träumerischen Blick.
„Was nur, Claire?“
„Darfs ich nur einmal?“
„Was denn, was nur, Kind?“
„Durch den Matsch fahren! Ganz schnell!
Oder müssen wir dann stecken bleibens?“
Sie legte den Kopf ganz schief. Er erlaubte es
ihr. Sie zog an, der Porsche gehorchte aufs Wort,
und der Wald sauste an ihnen vorbei, und die
Blätter flogen dahin, das ganze Glück in diesem
Wagen, und schon kam die große Pfütze … Die
Claire stieg aus dem Auto und besah es streng.
Überall war es gesprenkelt von Dreck und ihrem
Übermut.
„Wir müssens dich waschen“, sagte sie.
Aber zuerst picknickten sie im Raps. Der
Macan wartete geduldig im Feld und besah sich
die beiden. Es gab Käse und Brot und Erdbeeren, und Wolfgang ließ sich rückwärts in die
Blumen fallen.
„Ob sich die Rapsflecken wohl wieder aus
dem Mantel waschen lassen?“
Es war egal.
Dann kam die Zeit zu gehen und klopfte auf
die Taschenuhr. Die Claire fuhr jetzt ganz ruhig,
die Rückkamera führte sie ganz sicher aus dem
Feld. Draußen das Dämmern. Zurück in die
große Stadt, wo sie den Wagen wieder abgeben
mussten, schreiben mussten, die Erinnerungen
an die Landpartie verteidigen gegen die Mühen
des Alltags. Rückweg. Die Sommer würden enden. Aber diesen hatten wir gelebt.
Ein Bilderbuch
für Verliebte
„Rheinsberg“ ist eine wunderbare Liebesnovelle
von Tucholsky. Wie einst Clärchen und Wolf reisen
unsere Autorinnen nach Brandenburg.
Romantische Prosa und desillusionierte Dichtung –
eine Liebeserklärung an den deutschen Publizisten
Fotos
JAKOB HOFF
PORSCHE MACAN S DIESEL
Leistung: 258 PS, Hubraum: 3 l, Motor: V6 Turbo, Beschl.: 0–100
km/h in 6,3 Sek., VMax: 230 km/h, Grundpreis: 53.442,- €
LAND ROVER DISCOVERY SPORT
Leistung: 190 PS, Hubraum: 2,2 l, Motor: Reihenvierzylinder mit Turbo,
Beschl.: 0–100 km/h in 10,4 Sek., VMax: 230 km/h 188 km/h,
Grundpreis: Ab 41.000,- €
Was danach mit Wölfchen und der Claire geschah (weil die meisten Gedichte Tucholskys
desillusionierter sind als seine wunderschöne
Sommerliebesgeschichte „Rheinsberg“) …
Du Wölfchen, sachte, dit Lenkrad,
So wird dit aber nüscht
Sie nahm’s ihm wech und sachte:
So fahr’n wa aba schlecht.
An der Tankstelle wechseln sie, im Auto
waren sie zu zweit.
Du Wölfchen, sacht se, dit Fenstah,
kannste dit och drinne sehn?
Ach Clairchen, sacht er, dit leuchtet,
dit hat nüscht zu sagen, bleib stehn.
Da siehste die Kilometer, dit kann nur der
Fahrer sehn,
Wolltest ja extra ans Steuer,
bleib stehn, bleib stehn.
Clairchen die hat schon gesoffen
Sie fahren hinab in dem Raps,
Die Fenster ließen se offen
Und später tranken se Schnapps.
Warum sie beide auf einmal in einem seltsamen Idiom sprachen, das sie nicht eindeutig
als Berlinerisch ausweisen konnten, verstanden
beide nicht. Clairchens Deutsch war bekanntlich
ein wenig aus der Art geschlagen. Sie hatte sich
da eine Sprache zurechtgemacht, die im Prinzip
an das Idiom erinnerte, in dem kleine Kinder
ihre ersten lautlichen Verbindungen mit der
Außenwelt herzustellen suchen; sie wirbelte die
Worte so lange herum, bis sie halb unkenntlich
geworden waren, ließ hier ein „T“ aus, fügte da
ein „S“ ein, vertauschte alle Artikel, und man
wusste nie, ob es ihr beliebte, sich über die Unzulänglichkeit einer Phrase oder über die andern
lustig zu machen.
Es war das erste Mal, dass Wölfchen sich
nicht mehr amüsierte über seine Claire. Es war
das erste Mal, dass er gern allein schlief in dieser Nacht.
Danach
Es wird nach einem Happy End
Im Film jewöhnlich abjeblendt
Mit Wolfgang und Claire aber ging es weiter,
zurück in der großen Stadt, wo Clairchen, die
Medizinerin war, und Wölfchen, welcher der
Juristerei nachging, sich beide wieder ihrer Tätigkeit widmeten. Manchmal fragten sie sich,
woran es gelegen hatte, dass sie hatten so glücklich sein dürfen. War es die Unbeschwertheit des
Alltags, das kleine billige Glück und die Möglichkeit, überall mit wenig Geld durchzukommen?
Sie hatten die Erdbeeren für zwei Euro fuffzig beim Aldi gekauft, und die Blumen, die Wolfgang der Claire in den Schoß gelegt hatte, waren
auch spottbillig gewesen, aber damals hatte
ihnen das noch nichts ausgemacht. Die Autos,
das war schön gewesen, das glänzende Grün der
Gräser, die weißen Wolkenbänke, der Raps.
Wölfchen ging dazu über, Lyrik zu verfassen.
Clairchen hat Wölfchen betrogen
Dit fand er nich weiter schlimm
Drum issa denn och losjezogen
– da war der Herbst schon dahin.
Sein Glück fand Wolf dann im Kornfeld
Mit eena anderen
Und Clairchen ging lieber wandern
Ohne dit Navi, mit Zelt.
Dit Rapsfeld war schön und dit flutschte
Aber irgendwann is auch mal jut,
– sagte sich Claire.
Da fand se denn bald auch nen andern
Und dachte nicht mehr an Wolf
Der andere nannte sich Panter
Jut, dachte se, mir is det gleich
Und als dann dit olle Wölfchen aus Jewohnheit ein bisschen noch schrie
Dachte unser Clärchen
Zurück an den SUV.
Der hat zwar ne jute Verkleidung
’n bisschen wie Mad Max two
Aber die Entscheidung
Mit ’m Wolf
Dit bleibt jetzt so.
Sagte sich die Claire. Er behielt den Porsche,
sie den SUV.
Die Claire ging ebenfalls dazu über, Lyrik zu
verfassen, Wolf fuhr eine Zeit lang des Nachts in
seinem Porsche spazieren, wenn die Straßen
nass glänzten. Allein, traurig waren sie doch.
Eine leichte Verletzlichkeit blieb. Und dann kam
der nächste Sommer, und die ersten dicken
Hummeln summten träge im Gras vor Claires
Mietwohnung. Claire schrieb ein letztes Gedicht
(sie war gut im Adaptieren und hatte in letzter
Zeit, traurig wie sie war, viel Tucholsky gelesen):
„In stiller Nacht und monogamen Betten
denkst du dir aus, was dir am Leben fehlt.
Die Nerven knistern. Wenn wir das doch
hätten,
was uns, weil es nicht da ist, leise quält“
Und dann legte sie den Laptop beiseite und
wählte die Nummer von Wolf.
SEITE 23
1733 PS für unter 250 000€!
Von
PROF. LUTZ FÜGENER
Illustration
TRICIA LE HANNE
„...auch zum Einkaufen in Schrittgeschwindigkeit ruckfrei zu fahren“. Mit diesem
Satz fühlte sich die VW-Werbeabteilung Ende der Siebziger genötigt, der eher vernunftgeleiteten Kundin die Angst vor dem politisch unkorrekt motorisierten ersten
Golf GTI als Familienauto zu nehmen. Das vermeintliche Monster hatte 110 PS und
war unbestritten der Urvater dessen, was die Briten als „Hot Hatch“ bezeichnen. Er
war das emanzipatorische Werkzeug, die bis dahin zementierte Vorherrschaft der
großen Wagen auf der linken Spur zu brechen. Die Idee des üppig motorisierten
Golf und seiner Klassenkameraden hat sich gehalten und mittlerweile auch die
kleineren Brüder infiziert.
Der Kraftzwerg an sich ist jedoch kein Auto der Superlative, kein Universaljoker
im Autoquartett. Und das ist nicht der einzige Widerspruch, mit dem er zu kämpfen hat. Gelten die moderat motorisierten Basismodelle eher als Objekte feminin-
PS starken Clio offensichtlich auch Fahrer mit der rückwärts gedrehten Basecap ins
bunte Cockpit locken. Vieles, was Zubehörkataloge mit sehr sommerlich bekleideten Damen auf Kühlerhauben anbieten, hat der Clio serienmäßig an Bord. Dabei
schafft er es jedoch immer, ein sehr ansehnliches Auto zu bleiben. Für 22.990 Euro.
Der Peugeot 208 GTI ist zweifellos die Überraschung in diesem Vergleich. Spitzenplätze in Leistungsgewicht und PS-Preis (200 PS für 23.300 Euro) lassen sein
Potenzial als Garant für fröhliche Stunden im Straßenverkehr erahnen. Das Cockpit-Layout mit kleinem Lenkrad und darüberliegenden Instrumenten passt zur
sportlichen Auslegung besonders gut. Dass wegen der störenden Sonnenreflexe
eher kein Chrom in einen Sportwagen gehört, ist bei Peugeot ebenfalls bekannt.
Beim Bau des Seat Ibiza Cupra wird in dasselbe Regal gegriffen wie für den VW
Polo GTI und den Škoda Fabia RS. Bei der Justierung seiner Eigenschaften zwi-
dells, die sich hinter dem Namen Abarth verbirgt. Die Rechnung scheint aufzugehen. Wer sich mit all diesen Marketingkonstruktionen abfinden kann und ein glückliches Auge bei der Auswahl der Farben hat, bekommt für 23.250 Euro tatsächlich
eine hübsche kleine und als solche durchaus ernst zu nehmende Rennsemmel.
Die Traditionsmarke Alfa Romeo stellt derzeit lediglich drei verschiedene Modelle her. Eigentlich nur zwei, denn der hochgelobte Sportwagen 4C ist auch mengenmäßig eher ein Nischenprodukt. Was Alfa baut, ist aber immer typisch Alfa.
Obwohl die Leistung von 170 PS den MiTo Quadrifoglio Verde im unteren Teil der
Tabelle ansiedelt, gehört er unzweifelhaft in diese Liste. Bei keinem anderen Modell
passen Kleinwagenimage und Sportambition besser zusammen, denn es ist das
grundsätzliche Selbstverständnis der Marke, ja sein Kern. Mit dem Top-MiTo für
23.700 Euro ist man vorn dabei und auch noch gut angezogen – italienisch eben.
rationalen Vernunftkaufes, folgt das Prinzip der Übermotorisierung einem alten
maskulinen Beuteschema. Einen Superlativ kann man an den Kraftzwergen aber
ausmachen: den rechnerischen Wert Euro pro PS. Hier zehn Autos für Genießer der
wuseligen Stadt- und dynamischen Landstraßenfahrt, die das Potenzial haben, manchem Premium-Piloten die Schweißperlen auf die Stirn zu treiben.
Der Caterham Seven 160 ist die große Ausnahme in der Reihe, sollte als Referenz jedoch nicht fehlen. Folgen alle anderen Probanden dem technischen Konzept
des Ur-Mini mit quer liegendem Frontantrieb und Platz für vier Personen, wurzelt
der Caterham in der einst in Großbritannien steuerlich begünstigten Kategorie der
Kitcars. Er macht alles anders: null Alltagstauglichkeit, Platz für nur zwei Personen
und der Wert von 276 €/PS scheinen ihn chancenlos abzuschlagen, doch Hinterradantrieb, extrem niedriger Schwerpunkt und die Tatsache, dass jedes der 80 PS nur
gute sechs Kilogramm bewegen muss, sprechen die Wahrheit über dieses Spaßmobil. Dazu erntet man mit seinem Auftritt ausnahmslos Lächeln.
Die Krone der Volkswagen-Derivate gebührt immer dem VW-Modell. So darf der
VW Polo GTI 192 PS haben und nicht nur 180 wie die Verwandten aus Tschechien
und Spanien. Ansonsten gab man sich Mühe, eher ein Alltagsgefährt als eine Rennsemmel zu schaffen. Im Innenraum des 22.275 Euro teuren GTI ist der überwiegende Teil des im Polo-Prospekt erhältlichen Zierrats ausgestellt. So wirkt das Auto
wegen der vielen Chromapplikationen eher als Luxus- denn als Sportmobil.
Der Renault Clio R.S. folgt einer langen Reihe von sportlichen Ahnen. Während
VW seine Rennzwerge eher auf Zurückhaltung ausrichtet, will das Design des 200
schen Sport und Alltag ähnelt er seinen Verwandten ebenfalls. Leider entwickelt
das eigentlich elegante Exterieurdesign von Seat auf einem derart kurzen und hohen Auto nicht seine volle Kraft. Das Interieur strahlt den Charme eines Agrarflugzeugs aus, was hier aber wenig stört – die Beschränkung auf das Wesentliche in
Form und Material tut dem Auto in dieser Version wegen seiner sportlichen Attitüde sogar recht gut. 180 PS, 23.760 Euro.
Im Autoquartett der kleinen Schnellen setzt sich der Opel Corsa OPC auf den
ersten Platz in Sachen Leistung (207 PS), kann wegen seines etwas höheren Gewichts diese Position jedoch nicht in jeder Hinsicht verteidigen. Die Ernsthaftigkeit
der Entwickler, ihn ganz vorne mitspielen zu lassen, ist jedoch deutlich abzulesen.
Im Rückspiegel erkennt man den beschleunigten Corsa (24.395 Euro) am Luftschlitz über dem lächelnden Kühlergrill. Innen fallen die herrlichen Sportsitze auf.
Den im Vorgängermodell noch üppig verwendeten Chromzierrat hat man zu seinem Vorteil weitestgehend entfernt. Das ESP ist hier – wie sonst nur bei wenigen
Modellen in dieser Liste – abschaltbar.
Der Abarth 500 aus dem Hause Fiat ist in dieser Liste das Auto der Gegensätze.
Schon das Basismodell Fiat 500 ist die Anwendung eines Heckmotordesigns auf ein
technisches Layout mit Frontmotor. Dazu muss bei diesem Modell noch die Metamorphose von der rollenden Einkaufstasche zum ernsthaften Sportler gemeistert
werden. Mit 160 PS geht man in Italien zu Werke, und gäbe es einen Preis für das
beste Design eines Retroautos, wäre der 500 ganz sicher ein Anwärter. Die über
diese Antagonismen gesetzte Klammer ist die rennsportliche Historie des Urmo-
Der MINI Cooper S (der JWC würde unser preisliches Limit von 25.000 Euro
überschreiten) bezieht sich auf seinen erfolgreichen historischen Vorgänger und
zeigt mit 192 PS deutlich sportliche Ambitionen. Während diese beim Ur-Mini mit
keiner anderen Markenstrategie kollidierten, verhalten sie sich bei der 24.000 Euro
teuren Wiederauflage mit dem betont lustig-peppigen Lifestyle-Image (vor allem
im Innenraum) zum Anspruch eines echten Sportlers wie Öl zu Wasser. Böser
Clown oder spaßiger Rennfahrer – positiv gedacht hat man zwei Autos in einem.
Der Ford Fiesta ST ist ein Auto für alle, die es wirklich ernst meinen. Schon die
Zahlenwerte setzen ihn an die Spitze der Liste. Jedes seiner 182 PS kostet gerade
mal 112 Euro (zusammen 20.390 Euro) und muss dann auch nur sechs Kilo bewegen. Dazu ist bekannt, dass Ford sich in Sachen Fahrwerk bei seinen Kompakten
selten Schwächen erlaubt. Äußerlich wirkt hier sogar der sonst etwas prahlerische
Grill im Aston-Martin-Stil angemessen – den elektronischen Soundgenerator hingegen hätte es hier nicht gebraucht. Im Innenraum ist auch alles hinter dem Sportlenkrad in Ordnung, solange man den Blick nicht über das Ford-typische, aber in
diesem Umfeld sehr befremdliche Triptychon aus Schaltern und Luftdüsen in der
Mitte des Armaturenbretts schweifen lässt. Also: Augen auf die Straße!
Nur der Vollständigkeit halber: Alle Autos in unserer Liste sind auch zum Einkaufen in Schrittgeschwindigkeit ruckfrei zu fahren.
Der Autor leitet den Studiengang Transportation Design an der Hochschule
Pforzheim – eine bekannte Kaderschmiede für Autodesigner
www.volkswagen.de
2
SERI EN
NMÄ
ÄSS
SIG
G1
www.klingt-gut.de
WIE GUT KLINGT DAS DENN.
Die CLUB & LOUNGE Sondermodelle.
Beim neuen Scirocco CLUB ist jeder Regler voll aufgedreht: Lackierung in „Bright
Yellow Perlmutteffekt“ und 18-Zoll-Leichtmetallräder. Abgerundet wird das
Gesamtpaket mit Navigationssystem „Discover Media“, Klimaanlage „Climatronic“
und ParkPilot. Nur den Preis haben wir deutlich runtergedreht, um bis zu 2.900 ¤.
1 Über
die Einzelheiten zur Garantie informiert Sie Ihr Volkswagen Partner gern. 2 Maximaler Preisvorteil von bis zu 2.900 ¤ am Beispiel des Sondermodells Scirocco
CLUB in Verbindung mit dem optionalen R-Line „Exterieur CLUB“ gegenüber der unverbindlichen Preisempfehlung des Herstellers für einen vergleichbar ausgestatteten Scirocco. Abbildung zeigt Sonderausstattung gegen Mehrpreis.