Keep on movin` don`t you ever stop
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Keep on movin` don`t you ever stop
“Keep on movin' don't you ever stop” Geschichte und Entwicklung der New York City underground dance music Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt für die Sekundarstufe II ggf. mit Zusatzprüfung für die Sekundarstufe I, dem Staatlichen Prüfungsamt für Erste Staatsprüfungen für Lehrämter an Schulen in Köln vorgelegt von: Autor: Björn Klein Datum: Köln, den 04.04.2007 Gutachter: Professor Michael Rappe Institut: Hochschule für Musik Köln, Fachbereich 4 This book is a publication of Dobijazz Music Publishing Palanterstr. 9a 50937 Cologne, Germany Copyright © 2007 by Björn Klein All rights reserved. No parts of this book may be reproduced or utilized in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopying and recording, or by any information storage and retrieval system, without the prior written permission of the copyright owner. Manufactured in Germany Dobijazz Music Publishing Cologne Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 1 1.1. Themenfindung 1 1.2. Forschungsstand 2 1.3. Aufbau der Arbeit 5 1.4. On academic writing 6 2. Musik im Kontext – Sozialpsychologischer, technischer und 8 struktureller Rahmen von UDM 2.1. Sozialpsychologischer Rahmen – UDM als Bewegung 2.1.1. Black and gay underground – Stonewall Rebellion and Gay 10 10 Liberation 2.1.2. The message is love – The spirit of UDM 14 2.1.3. Active participation – Die Bedeutung des Tanzens und der 18 Spiritualität in UDM 2.2. Technischer und struktureller Rahmen von UDM 2.2.1. Die ersten DJs und die Entwicklung von DJ-Techniken & 26 26 -Equipment 2.2.2. Entwicklung der Soundsystems 37 2.2.3. Lightingsystems und sonstiges Equipment in Clubs 41 2.2.4. Einschub: UDM und der Gebrauch von Drogen 46 2.2.5. Specialty retail stores und der erste Recordpool 49 2.2.6. Remix und 12-inch Single 56 3. Der Sound von UDM 64 3.1. Die Wurzeln des UDM-Sounds – Ein Stil entsteht 64 3.1.1. Der fließende Übergang – Von Funk bis Motown 64 3.1.2. Philly Sound & Salsoul 74 3.2. 79 Instrumente in UDM und die Art ihres Einsatzes 3.2.1. Drums & Perkussion 79 3.2.2. Bass 89 3.2.3. E-Gitarre 96 3.2.4. Bläser 97 3.2.5. Orgel, Piano & Synthesizer 98 3.2.6. Streicher 102 3.2.7. Vibraphon 106 3.2.8. Vocals & Lyrics 108 3.3. Formaler Aufbau von UDM-Songs 121 3.4. Effekte in UDM-Songs – Das Konzept des Dub-Mixes 129 3.5. Epische Formen – Der Mix des DJs & der Aufbau von DJ-Sets 132 4. Schlussteil – “Where do we go from here?” 137 5. Verzeichnis der verwendeten Materialien 142 6. Trackliste 150 7. Anhang – Interview mit dance music-Produzent Jonothan 153 Podmore 1 1. Einleitung 1.1. Themenfindung Meine erste Berührung mit 'dance music' fand im Alter von 19 Jahren und damit relativ spät statt. Sie war geprägt von der Gruppe Jamiroquai und ihrem 1999 veröffentlichten Album Synkronized. Zuvor fühlte ich mich eher von Funk, Jazz, Klassik und Rock-/Songwriter-Künstlern wie Billy Joel, Jimi Hendrix oder Bob Dylan angesprochen. Doch mit Jamiroquai's Musikvideo zur Synkronized-SingleAuskopplung Canned Heat änderte sich das schlagartig. Mit seinem unglaublichen funky-feeling, der Rhythmuslastigkeit und der exaltierten Soulstimme des Leadsängers, trat dieser Song ein regelrechtes Tanz- und Clubfieber bei mir los und meine Hörgewohnheiten sollten sich immer mehr in Richtung Earth, Wind & Fire, Bee Gees und Gloria Gaynor verschieben. Diese erste Begegnung mit 'dance music' war allerdings noch vollständig dem Mainstream verhaftet. Weder war mir zu diesem Zeitpunkt spezielle 'underground dance music' bekannt, noch war mir bewusst, dass es im New York der 1970er/1980er Jahre kulturelle Gruppierungen gegeben hatte, die sich beinahe ausschließlich über das Phänomen DJ-/Danceculture definierten und welche den eigentlichen innovativen Ursprung der Musik darstellten, für die ich gerade ein Faible entwickelte. Dies sollte sich erst ändern, als ich im Rahmen eines Seminars von Professor M. Rappe an der Kölner Hochschule für Musik auf eben dieses Phänomen aufmerksam gemacht wurde und mich in einer anschließenden Arbeit über Disco und house music mit der historischen Entwicklung dieser 'underground dance music'-culture1 beschäftigte (vgl. Jamiroquai 2000: 3). Die Überlegung, diese Forschungen in meiner Examensarbeit zu vertiefen, reifte auf Grund meines Interesses an dieser Kultur und besonders deren Musik, schnell zur konkreten Idee aus. Allerdings stellte sich die Frage, welche Aspekte dieser Kultur ich genauer untersuchen wollte. Neben bereits erwähnten historischen Aspekten, boten sich in erster Linie Untersuchungen auf sozialer (genderspezifischer) und musikalischer Ebene an. Letztlich entschied ich mich für die musikalische Untersuchung und zwar aus zwei Gründen: Erstens: Es war die Musik, die mein Interesse an der Kultur geweckt hatte und ihr galt nach wie vor mein Hauptinteresse. 1 Die wir im Folgenden der Kürze wegen UDM-culture nennen wollen. Unter 'underground dance music' (UDM) soll in dieser Arbeit tatsächlich die Musik verstanden werden, die ab den späten 1960ern bis Ende der 1980er in den New Yorker Underground Discos gespielt wurde. Ausdrücklich ausschließen möchte ich dabei house music, sowie sämtliche später folgende elektronische dance music. 2 Zweitens: Bei meinen anfänglichen Recherchen musste ich feststellen, dass es, obwohl es sich bei der UDM-culture um eine Kultur handelt, die sich über die Musik und das Tanzen definiert, nahezu keine Literatur über die Musik selbst gibt. Zwar ist hinreichend Literatur über die historischen, sozialen und technischen Aspekte der UDM-culture vorhanden, aber Untersuchungen zur Musik per se sind tatsächlich nur sporadisch zu finden. Der Ehrgeiz dies Lücke zu füllen, genährt durch das Anliegen etwas Eigenes zur Forschung der UDM-culture beizutragen, bekräftigte mich somit in meiner Entscheidung für eine Fokussierung auf die musikalischen Aspekte der UDM-culture. Selbstverständlich bedeutet dies nicht, dass andere Faktoren gänzlich unberücksichtigt bleiben, insbesondere dort, wo es sich um bedingende Faktoren handelt. Soziale, genderspezifische, technische, etc. Aspekte haben einen enormen Einfluss auf die Musik selbst und müssen damit auch in der musikalischen Analyse Berücksichtigung finden. 1.2. Forschungsstand Wie bereits angedeutet, gibt es durchaus eine ganze Reihe ansprechender Literatur zu dem Forschungsgebiet UDM-culture. Allerdings sind Forschungen auf diesem Gebiet noch sehr jung und de facto vor dem Jahre 1995 nahezu nicht existent. Ernsthafte wissenschaftliche Forschungen finden somit erst seit ca. 10 Jahren statt. Einige Bereiche sind daher noch sehr wenig oder gar nicht erforscht, andere dagegen schon recht ausführlich behandelt worden. Vor 1995 gab es lediglich Albert Goldman's 1978 veröffentlichtes Buch Disco welches vermittelte, dass 'Disco' mehr ist als Saturday Night Fever, Celebrities, Glamour und Studio 54, sondern dass das Mainstreamphänomen 'Disco' seine Wurzeln in einer afroamerikanischen und homosexuellen Undergroundszene hat. Es ist wohl auch das erste Buch das anerkennt, dass frühe DJs, wie Francis Grasso oder David Mancuso, mit ihren innovativen Ideen entscheidenden Anteil an der Entstehung von 'Disco' als Stil hatten. Viele wichtige Themen der UDM-Szene schneidet Goldman's Buch allerdings lediglich an und es entsteht der Eindruck, dass sich ein Großteil des Buches eher mit Anekdoten und skandalösen Geschichten rund um Celebrities befasst, wenn dies auch in einem weitaus erträglicheren Maße als beispielsweise in Kitty Hanson's Disco Fieber geschieht. Einen bitteren Beigeschmack hinterlässt zudem Goldman's oft anmaßende und wertende Herangehensweise an die UDM-culture, die er häufig aus einer homophoben und 3 rassistischen Sichtweise heraus darstellt. Zitate, in denen er beispielsweise David Mancuso's Loft beschreibt, können aus neutraler Sicht bestenfalls noch als peinlich eingestuft werden: “The moment you hit the room, your nostrils were distended by the stench of black sweat ... Many of the scruffy boys from the East Village hadn't washed or run a comb through their hair in weeks ... The infrared rays that were broiling all this dark meat were ultrahigh frequencies” (Goldman 1978: 119). “When the speakers blared Love Is the Message, the boys would sing along; only they didn't sing the namby-pamby words of the original. They chanted the classic gay line of the guy who has picked some trashy little fag out of the gutter, taken him home, screwed him and then ended the evening by yelling, 'Throw the motherfucker out!' At this moment, perhaps, all the lights would go out. Then, it was ass-grabbing time” (Goldman 1978: 120). Goldman's Disco kann aus wissenschaftlicher Sicht nur unter Vorbehalten herangezogen werden. Nichtsdestotrotz musste es vor 1995 schon deshalb als Standardwerk betrachtet werden, weil schlichtweg kaum Alternativen vorhanden waren. Kitty Hanson's Disco Fieber (1979) beispielsweise liest sich, mit seinen Stories über Celebrities, Ratschlägen zur neuesten Discomode und Tanzanleitungen für den Hustle, eher wie ein Boulevardmagazin oder Fanzine, denn eine fundierte wissenschaftliche Untersuchung und beschäftigt sich ausschließlich mit dem Mainstreamphänomen 'Disco'. Dough Shannon's Off the record (1982), sowie Radcliff Joe's This business of Disco (1980) hingegen sind aus wissenschaftlicher Sicht wesentlich ernster zu nehmen und leisten einen angemessenen Beitrag zur Forschung der Disco-Kultur. Sie beschränken sich jedoch zu einem Großteil auf den Businessbereich von Mainstream-Disco2. Auch wenn sie die UDM-Szene als Forschungsfeld überwiegend außen vor lassen, bieten die beiden Bücher dennoch gute Einblicke beispielsweise in die Arbeitsweise von Recordpools. Doch erst 1995, mit Ulf Poschardt's Buch DJ-Culture, wurde die UDM- und DJculture ernsthaft als wissenschaftliches Forschungsfeld entdeckt. Auch wenn sich Poschardt's Kapitel über Disco an manchen Stellen unglücklicher Weise noch sehr an Albert Goldman's Buch orientiert, muss DJ-Culture dennoch als echter Meilenstein in der Erforschung der UDM-culture gesehen werden3. Als erster Autor im Kontext 2 Shannon und Joe sprechen beispielsweise Aspekte Urheberrechtsfragen und ähnliches an. 3 Vor allem der Abschnitt über house music ist exzellent. wie erfolgreiche Clubführung, 4 einer größeren Forschungsarbeit zu diesem Thema zeigt Poschardt ein angemessenes Verständnis für die Wurzeln und ästhetischen Aspekte der Kultur, stellt diese knapp aber prägnant dar und weist auch bewusst auf die große soziale Bedeutung von UDM hin, die diese zweifelsohne für ihre Anhänger hat. Zwar ist Poschardt's Buch angesichts späterer Veröffentlichungen wie Bill Brewster und Frank Broughton's Last Night A DJ Saved My Life (2000) oder des neuesten Referenzwerkes von Tim Lawrence, Love Saves The Day (2003), sowohl in seiner Ausführlichkeit, als auch Aktualität des Forschungsstandes an vielen Stellen inzwischen überholt, dennoch war DJ-Culture ein wichtiger Schritt für die Erforschung der UDM-culture und bildete eine Art Wegweiser für darauf folgende Veröffentlichungen. Seit 1995 hat sich mittlerweile einiges im Forschungsbereich UDM-culture getan. Kai Fikentscher's 2000 erschienenes Buch “You better work!” ist eine ansprechende Arbeit, deren Schwerpunkt auf der Erforschung des komplexen Zusammenspiels von Musik, Tänzern und DJ liegt und welches auf diesem Gebiet der Erforschung der sozialen Aspekte der UDM-culture einen guten Beitrag leistet. Neue Maßstäbe in Bezug auf die historische Sichtweise setzten die beiden bereits erwähnten Bücher Last Night A DJ Saved My Life und Love Saves The Day, sowie – mit Abstrichen – das 2005 erschienene Turn the beat around von Peter Shapiro. Auf technische Aspekte und Entwicklungen gehen vor allen Dingen Tim Lawrence und Brewster/Broughton sehr gut ein. Ergänzend ist hierzu noch David Cross's 2003 erschienene Doktorarbeit A history of the development of DJ mixer features zu nennen, welche gut vermittelt, wie sich der DJ-Mixer im Laufe der Zeit den Bedürfnissen der DJs entsprechend weiterentwickelt hat. Einzig und allein auf musikalischem Sektor gibt es bisher kaum Material. Brewster/Broughton, Lawrence und auch andere gehen zwar immer wieder auf bestimmte Merkmale der Musik ein, eine tiefere Analyse der Musik bietet allerdings keiner der bisher erwähnten Autoren. Lediglich Mark Butler's 2006 erschienenes Unlocking the groove bietet eine ansprechende Analyse elektronischer dance music. Allerdings bezieht sich diese ausschließlich auf elektronische dance music (mit Schwerpunkt auf Techno), weshalb das Buch für meine Examensarbeit zwar wertvolle Anregungen gab, dessen Ergebnisse sich aber größtenteils nicht auf die Analyse von UDM übertragen lassen. Zu guter Letzt wäre noch die 2005 erschienene underground dance musicDokumentation Maestro zu erwähnen, welche einen Querschnitt durch die 5 wichtigsten Entwicklungen und Aspekte der UDM-culture bietet, ausgezeichnet recherchiert ist, ästhetisch äußerst ansprechend aufgebaut ist und auf Grund der Möglichkeiten des Mediums Film über das Zusammenspiel von Interviews, Originalaufnahmen von Larry Levan's Paradise Garage, Musik und anderem Material mitreißend die Stimmung dieser Zeit einfängt. 1.3. Aufbau der Arbeit Der Hauptteil dieser Arbeit ist in zwei große Teile untergliedert. Im ersten Teil soll auf die sozialen, technischen und strukturellen Faktoren eingegangen werden, welche die Entwicklung der UDM beeinflussten, bzw. aus denen sich die UDM-culture langsam entwickelte. Dies beginnt unter Punkt 2.1. mit der Eruierung des sozialpsychologischen Kontextes in dem UDM stand. Hier wird ein Überblick gegeben wie sich die UDM-culture in einer überwiegend homosexuellen und afroamerikanischen Szene herausbildete, die – angetrieben durch die Stonewall Rebellion 1969, sowie der darauf folgenden gay liberation-Bewegung – begann, sich Rechte zu erkämpfen und daraufhin zu zelebrieren. Dabei soll aufgezeigt werden, dass eine Kultur entstand, die sich nahezu gänzlich über die Musik und das Tanzen definierte, wobei hedonistische Aspekte und offenes Ausleben der homosexuellen Neigungen genauso betont wurden, wie eine idealistische Philosophie, die sich um Gemeinschaft, Zusammengehörigkeit und die demokratische Gleichheit aller Tanzenden drehte. Gleichzeitig soll die enorme soziale Reichweite deutlich werden, welche UDM für seine Anhänger beinhaltete. Unter Punkt 2.2. werden dann Entwicklungen technischer und struktureller Art, welche modernes DJing, Clubbing, als auch moderne UDM-Produktionen erst ermöglichten und prägten, thematisiert. Dies beinhaltet die Evolution bestimmter DJTechniken (slip-cueing, Beat-mixing, etc.) und die Entwicklung technischer Innovationen, sowohl im Bereich DJ-Equipment (DJ-Mixer mit KopfhörerVorhöroption, Turntables mit Pitchcontrol, etc.), als auch auf dem Gebiet von Club Sound- und Lightingsystems. Dabei soll erläutert werden, wie all diese Faktoren dem DJ dazu dienen, eine spezifische außerweltliche Traumwelt zu erzeugen, welche über die Einnahme von Drogen zusätzlich verstärkt werden kann. Anschließend wird die Wichtigkeit der Gründung des ersten Recordpools besprochen und seine Bedeutung als neues strukturelles Bindeglied zwischen DJs und Plattenfirmen. Zum Abschluss von Teil 1 dieser Arbeit wird schließlich die revolutionäre Entstehung spezifischer, 6 ausschließlich auf den Dancefloor ausgerichteter musikalischer Produktions- und Tonträgerformate erörtert, nämlich der Remix, so wie die 12-inch Single, die den für dance music-Produktionen gewünschten größeren Produktionsplatz, als auch bessere Soundqualität bot. Teil 2 dieser Arbeit beschäftigt sich im Anschluss ausschließlich mit der musikalischen Entwicklung und dem musikalischen Aufbau der New Yorker UDM in den Jahren 1969-1987. Dabei wird zunächst unter Punkt 3.1. dargelegt, welche musikalischen Stile die DJs zu Beginn der UDM-Szene in ihre DJ-Sets einbezogen, bevor sich ein eigenes Genre daraus entwickelte. In diesem Zusammenhang werden deren charakteristische musikalische Eigenheiten erläutert, um in der darauf folgenden Analyse von UDM deutlich zu machen, wie UDM diese Merkmale aufgriff und in ihre Klangästhetik einwob. Diese Analyse beginnt unter Punkt 3.2. mit der Besprechung der Instrumentierung von UDM und der Erläuterung typischer Spielweisen und Einsatzzwecke der Instrumente. Kapitel 3.3 widmet sich schließlich dem formalen Aufbau von UDM-Songs, bevor im folgenden Abschnitt, über das Konzept des Dub-Mixes, auf das Einfügen von Effekten und dem Spiel mit klanglichem Raum auf UDM-Platten eingegangen wird. Im abschließenden Kapitel wird der Aufbau längerer DJ-Sets aufgezeigt und dessen Funktion, bzw. Wirkung auf die Tänzer erläutert werden. 1.4. On academic writing Wie schreibt man über Musik? Ein großes Manko vieler musikwissenschaftlicher Arbeiten ist sicherlich deren ausschließliche Beschränkung auf das Medium Schrift4. Bei rein historischen oder empirischen Arbeiten, die sich nicht direkt mit musikalischen Phänomenen beschäftigen mag dies als ausreichend erscheinen. Doch wie kann man ernsthaft die Meinung vertreten, bei Arbeiten, die sich primär mit Musik befassen, wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen, wenn man lediglich 4 Problematisch ist in diesem Kontext insbesondere auch die Tatsache, dass das Aufbrechen dieser ungeschriebenen und vollkommen inadequaten wissenschaftlichen Konventionen an Universitäten nicht gerade gefördert wird. Vielmehr hält man bevorzugt an alten Standards fest, die im Zeitalter von digitalen Ton- (und auch Bild-) Trägern schlichtweg überholt sind. Es wäre ein Klima an Universitäten wünschenswert, das die Studenten auch dazu ermutigt starre wissenschaftliche Konventionen neu zu definieren; dazu ermutigt andere Medienarten in Arbeiten mit einzubeziehen und die Studenten nicht zur Eigeninitiative auf eigenes Risiko hin verdammt, denn nur so kann wissenschaftliches Schreiben wieder innovativ und kreativ werden; und nur so kann das Lesen wissenschaftlicher Arbeiten auch dem außer-universitären Leser wieder Spaß machen und aus seinem stiefmütterlichen 'ausschließlich-für-den-Universitätsgebrauch-produziert'-Status ausbrechen. 7 über dieselbe schreibt, ohne dem Rezipienten eine Möglichkeit zu geben, sie auditiv zu erfassen? Ohne dass man Hörbeispiele beifügt, die Erstens das klangliche Phänomen, welches man beschreiben möchte, viel besser verdeutlichen können, als dies über Beschreibungen jemals möglich wäre und Zweitens den Leser in eine emotionale Atmosphäre einbetten, von deren Kontext Musik niemals los zu lösen ist und von deren Kontext Musik niemals losgelöst werden sollte? Viele Wissenschaftler werden vermutlich argumentieren, dass es unwissenschaftlich sei beim Rezipienten einer wissenschaftlichen Arbeit bewusst Emotionen auslösen zu wollen. Ich würde aber im Gegenteil argumentieren, dass gerade dieses emotionale Hören ganz im Sinne des wissenschaftlichen Interesses steht, denn die Wirkung der Musik ist ja auch im ursprünglichen Kontext an Emotionen gebunden. Um die Musik also überhaupt adäquat begreifen zu können, darf deren wissenschaftliche Untersuchung nicht in der absurden Abstraktheit einer emotionslosen Blase stattfinden. Musik ist ein Phänomen, das von jedem Hörer individuell wahrgenommen wird. Natürlich kann man immer Kriterien finden, die charakteristisch für musikalische Stile sind. Aber da Musikhören nicht nur faktisches, sondern immer auch emotionales und kontextuales Hören ist, wird die Musik jedem Hörer auch immer etwas anderes vermitteln. Daher sollte es geradezu als verpflichtend betrachtet werden, Klangbeispiele zu geben. Somit würde auch verhindert, dass ein wissenschaftlicher Text ein starres, fixes Medium bleibt, in welchem die Musik in ein statisches deskriptives Raster gepresst wird. Vielmehr würde dem Leser, durch die größere Unmittelbarkeit des Mediums Tonträger, ermöglicht die musikalischen Interpretationen des Autors (welche ohnehin nur als Angebote an den Leser gewertet werden können, die dieser aufgreifen, neu deuten und auch verwerfen kann und soll) augenblicklich zu verwerten. Damit blieben die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse in einem konstanten Fluss und wissenschaftliches Arbeiten würde seinen Absolutheitsanspruch verlieren, der ohnehin nie erfüllt werden kann. Musik selbst ist schließlich kein starres Medium, sondern lebt erst und ausschließlich von den Interpretationen ihrer Rezipienten. Im Rahmen dieses wissenschaftlichen Denkens (mit all seinen Vor/Nachteilen und Gefahren5) soll die vorliegende Arbeit verstanden werden. Sie soll den Leser auf eine 5 Auch Gefahren für den Autoren selbst. Es ist durchaus kein geringes Risiko in seiner Examensarbeit scheinbar feste wissenschaftliche Normen bewusst anzugreifen und wissenschaftliche Arbeitsweisen zu hinterfragen. Doch hier zeigt sich eine interessante Parallele 8 musikalische Reise mitnehmen, welche sich an der Ästhetik der UDM-culture orientiert, deren beste DJs es schafften die Tänzer im Laufe eines Abends auf einen musikalischen Trip durch verschiedene Stimmungen zu schicken. Gerade die Musik der UDM-culture ist eng an den Kontext des Clubs, der musikalischen Partizipation (sprich des Tanzens) und der Musik selbst gebunden. Mir der Tatsache bewusst, dass im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit der Kontext der ersten beiden Faktoren nicht herzustellen ist, soll zumindest der musikalische Kontext angemessen in die Arbeit integriert werden. Dies soll einerseits dadurch erreicht werden, dass Klangbeispiele zur Beschreibung spezifischer musikalischer Details angeboten werden, andererseits aber auch durch die Verwendung von Hörpassagen, deren Zweck es ist, den Leser emotional in die Arbeit hinein- und wieder herauszugeleiten. 2. Musik im Kontext – Sozialpsychologischer, technischer und struktureller Rahmen von UDM Bevor Sie nun weiter lesen, möchte ich Sie bitten, Track 1 der dieser Arbeit beigefügten CD1 einzulegen. Falls wider Erwarten Probleme hinsichtlich des Hörverstehens auftreten sollten, ist es möglich den Text anhand des folgenden Zitates nachzuverfolgen. “I’m gonna tell you about walking into an oasis [der Club Paradise Garage] … Feeling like I just walked into my family’s living room. It was more than just walking into their living room, it was about completely being safe from the social restrictions of the outside. Everything that the moral majority told you you couldn’t do … it didn’t exist anymore. It was … it was a family that had only one rule: to love thy brother – and that was O-K. When I think about this oasis, this place of total freedom, I can’t help the feel like I lost a part of myself [da die Paradise Garage 1987 schließen musste], a part of my family. That’s why it’s not about the space itself. It’s about the community that’s inside the space that helps you bring you back zur UDM-culture auf, deren Innovationen dadurch vorangetrieben wurden, dass es DJs wie David Mancuso, David Rodriguez oder Larry Levan gab, die bereit waren Risiken einzugehen; bereit waren Songs zu spielen, die andere DJs nicht bereit waren aufzulegen, da die Songs so andersartig klangen, dass das Publikum den Dancefloor beim ersten mal komplett verließ; die jedoch beharrlich den Song im Laufe des Abends und weiterer Abende spielten und somit das Publikum so lange 'erzogen' bis sie letztendlich den Song akzeptierten (vgl. Brewster/Broughton 2000: 177, Cheren 2000: 274). Ebenso wie diese frühen dance music-Innovatoren bin ich auch bereit im Rahmen dieser Arbeit Risiken einzugehen, in der (naiven?) Hoffnung, dass die gewählte wissenschaftliche Vorgehensweise vielleicht einen gewissen Fortschritt im Umgang mit wissenschaftlichem Arbeiten bringen wird. 9 to that moment. When you, the DJ, and everybody involved … It was you and them against the world. And we survived together.” (Ramos 2005: DVD 1, chapter 1) So beginnt die dance music-culture-Dokumentation Maestro. Wir sehen die Welt aus der Sicht des Sprechers. Es ist tiefschwarze Nacht. Der Sprecher läuft durch die Straßen von New York, über große Pflastersteine, vorbei an schemenhaften Häuserzeilen und parkenden Autos, die nur von vereinzelten Straßenlaternen spärlich beleuchtet werden, seinem ersehnten Zielort immer näher kommend. Dabei erzählt er eine Geschichte. Er berichtet von der Paradise Garage, einem New Yorker Undergroundclub, der – geöffnet von 1977-1987 – einer der wichtigsten 'Zufluchtsorte' für ein überwiegend schwarzes und homosexuelles Publikum war. Er berichtet von 'diesem' Gefühl absoluter Freiheit und Geborgenheit, das ihn umgab, sobald er die 'Außenwelt' hinter sich gelassen hatte und in die 'paradiesische' Welt der Garage eintauchte. Eine Welt, in der ethnische und sexuelle Minderheiten fernab von den Restriktionen der Außenwelt einfach nur sie selbst seien konnten. Eine Welt, in der auf der Basis von Musik und gemeinsam geteilten Problemen ein starkes Gefühl von Familie entstand; eine Familie, deren Angehörige sich stärker miteinander verbunden fühlten und verstanden wussten, als sie dies innerhalb ihrer leiblichen Familie je hätten erfahren können (vgl. Lewis 1998, Ramos 2005: DVD 1, chapter 1). In vollkommener Dunkelheit, nur von kleinen flackernden Lichtern umgeben, läuft der Sprecher am Ende seines Berichts die steile Eingangsrampe der Paradise Garage hoch. Es folgt ein Schnitt auf die riesige Menschenmenge innerhalb der Garage. Hunderte von Menschen tanzen Körper an Körper auf engstem Raum auf dem Dancefloor, die Hände über die Köpfe gestreckt, umspült von buntem Lichtspiel. Plötzlich peitscht die Bass Drum durch die Lautsprecher, druckvoll und unnachgiebig und wir hören Eddie Grant's Time Warp. Ein Song, der die Aussage obigen Zitats auf den Punkt bringt, denn die Tänzer der Garage haben in der Tat einen (Zeit)sprung gemacht. Einen Sprung in eine Welt, in der sie das ausleben können, was ihnen von der kulturellen Mehrheit außerhalb der Garage versagt wird: einfach nur sie selbst zu sein (vgl. Ramos 2005: DVD 1, chapter 1). 10 2.1. Sozialpsychologischer Rahmen – UDM als Bewegung 2.1.1. Black and gay underground – Stonewall Rebellion and Gay Liberation Disco hat seine Wurzeln im afroamerikanischen und homosexuellen Underground. Ohne das subversive Klima der 1960er, welches – angetrieben vom Civil Rights Movement, der Frauenbewegung, sowie einer (im Zuge der Legalisierung der Abtreibung und der Einführung der Antibaby-Pille) generellen neuen liberalen Einstellung gegenüber Sex, gepaart mit der propagierten Hippie-'Love & Peace'-Ethik – 1969 schließlich auch der Gay Liberation Momentum verlieh, wäre die ästhetische Entwicklung von Disco mit Sicherheit anders verlaufen. Disco hätte sich nicht zu DEM Lebensgefühl und DER kulturellen Ausdrucksform einer ganzen Generation homosexueller und afroamerikanischer Minderheiten entwickelt. Disco hätte niemals mit dieser Macht und Schnelligkeit im Mainstream eingeschlagen, wäre die Musik nicht so stark mit Dekadenz, Party, Drogen und Sex in Verbindung gebracht worden – hedonistischen Aspekten der Underground-Kultur, die von Stonewall und der Gay Liberation-Bewegung sprichwörtlich ausgelöst wurden, da Homosexuelle nach Jahrzehnten der Restriktionen begannen ungehemmt ihre Identität und Sexualität, sowie die errungenen Erfolge von (scheinbarer?) Gleichheit zu zelebrieren, was in einer unglaublichen Energieexplosion und Intensität auf dem Dancefloor resultierte. Aspekte, die der Mainstream gerne aufgriff, während er die weitere soziale Bedeutung von Disco für die Underground-Kultur – dieses 'Discoals-Bewegung'-Denken, welches tief im neu gefunden 'gay pride' verankert saß, sowie das idealistische Streben nach Einheit und Community – entweder nicht erkannte, oder auf Grund der homosexuellen Konnotationen geflissentlich ignorierte (vgl. Brewster/Broughton 2000: 136-39,183, Fikentscher 2000: 11, Lawrence 2003: 28-29, Shapiro 2005: 26,161-162,286 & Wilson 2006: 41). Um die Tragweite der Stonewall-Zeit zu verstehen, sollten wir einmal betrachten wie das Leben für Homosexuelle vor Stonewall aussah. In seiner Autobiographie Keep on dancing legt Mel Cheren6 dar, dass es für ihn und andere homosexuelle Männer prinzipiell drei Zeitrechnungen gibt: die Zeit vor Stonewall, die Zeit nach Stonewall, sowie die Zeit nach AIDS. Wir wollen uns für den Moment mit der Zeit vor und um Stonewall herum beschäftigen. Cheren berichtet von der Zeit vor Stonewall als “... a time before you could dance with another man in a dance club, or walk down a gay 6 Disco-Anhänger und Clubgänger der ersten Stunde, sowie Mitbesitzer des von ihm und Ed Kushins Mitte der 1970er gegründeten disco independent labels West End Records (vgl. Cheren 2000: 175 ff.). 11 street in a gay neighborhood, ... or list your lover on your mailbox, or in your obituary. A time when everything was a scary, sexy, secret code ...” (Cheren 2000: xv). Vor Stonewall war homosexuelles Tanzen gesetzlich untersagt. Die diskriminierenden Gesetze schrieben klar vor, dass auf Disco-Tanzflächen mindestens ein Drittel Frauen anwesend sein mussten. Das gemeinsame Tanzen zweier Männer zog Verhaftungen nach sich, und polizeiliche Razzien in Schwulenklubs waren streng und fanden relativ häufig statt – oftmals nur um Homosexuelle Erniedrigung spüren zu lassen. Dies ging so weit, dass Besitzer von Diskotheken und Bars homosexuelle Tänzer zwangen, den Dancefloor zu verlassen, wenn sie nicht eine Frau in ihrer Mitte hatten. Ebenso war es in Bars und Restaurants gesetzlich untersagt, alkoholische Getränke an Homosexuelle auszugeben und obwohl dieses Gesetz offiziell 1967 außer Kraft gesetzt worden war, änderte dies de facto nichts daran, dass die Polizei nach wie vor an der Praxis festhielt, dieses Gesetz mit Hilfe von Razzien durchzusetzen. Die ständige Furcht vor Razzien beeinflusste ganz klar die Überlegungen, bzw. war der bestimmende Faktor für Homosexuelle wohin und ob sie überhaupt ausgehen sollten (vgl. Cheren 2000: 58,60,78, <http://www.keconnect.co.uk/...> 2006, Jones/Kantonen 2000: 96 & Lawrence 2003: 28-29,31,39ff.,189, Shapiro 2005: 62). Das Problem vor Stonewall war, dass Homosexuelle mehr oder weniger diese Erniedrigungen stillschweigend hinnahmen. Sie akzeptierten, dass sie sich bei jeder Razzia durch den Hintereingang der Bars stehlen mussten, gewarnt von extra für den Fall bevorstehender Razzien installierten Alarmsystemen. Sie akzeptierten, dass sie ihr homosexuelles Leben abgeschottet in Scham leben mussten, isoliert und unsichtbar, und zu diesem Zweck eine von der Gesellschaft anerkannte Fassade aufrecht erhielten. Sie akzeptierten ihren Status als Bürger zweiter Klasse und kaum einer kämpfte gegen diesen Zustand an, bis zu diesem 17. Juni 1969 im Stonewall Inn, einem Pub auf der Christopher Street 53 in New York 7. An diesem Tag kam für die homosexuelle Gemeinschaft einfach alles zusammen. Das Maß schien voll zu sein nach jahrelanger Unterdrückung und Erniedrigung durch die Polizei und Gesellschaft, und als eine erneute Razzia ausgerechnet an dem Tag von Judy Garland's Beerdigung – die eine verehrte Ikone in der homosexuellen Community war – das Stonewall Inn traf, kochte die Stimmung schlichtweg über. Als die Polizei 7 Das genaue Datum scheint etwas unklar zu sein. Tim Lawrence verweist auf den 17.Juni (2003: 28), Peter Shapiro auf den 27. Juni (2005: 62), während Brewster/Broughton den 21.Juni als den ersten Tag der Stonewall-Unruhen angeben (2000: 136-37). 12 einige Drag Queens abführte, wehrte sich eine Lesbierin namens Stormé DeLarverie und löste damit einen öffentlichen Aufruhr aus, der darin gipfelte, dass die Homosexuellen die Polizisten mit Steinen und Flaschen bewarfen und offene Feuer entzündeten. Was mit einer üblichen Polizeirazzia begonnen hatte, weitete sich schließlich zu einem mehrere Tage andauernden Aufruhr aus, an dem tausende von Homosexuellen teilnahmen und welcher in die Geschichte eingehen sollte als die Geburtsstätte des 'gay pride' und der vor allem dadurch an Bedeutung gewann, dass er so öffentlich war und eine nicht zu unterschätzende Medien-Aufmerksamkeit erfuhr. Homosexuelle erkannten nun, dass sie gemeinsam eine nicht zu unterschätzende Macht hatten und als Folge der Stonewall-Aufstände formulierte eine neue Gruppe, die 'Gay Liberation Front', eine offizielle Erklärung der Homosexuellen zu den Aufständen, welche Mel Cheren als den offiziellen Beginn der Schwulenbewegung ansieht. Jedoch erst Ende 1971 sollten schließlich Erfolge erzielt werden, die sich in gelockerten Gesetzen gegenüber Homosexuellen widerspiegelten. Im Oktober 1971 erklärte der damalige New Yorker Bürgermeister John Lindsay öffentlich, dass die bestehenden Gesetze gegen Homosexuelle nicht haltbar seien und dass Homosexuelle ein Recht darauf hätten, sich an öffentlichen Plätzen zu treffen, zu trinken und zu tanzen. Vorschläge, die im Dezember des selben Jahres auch umgesetzt wurden und Homosexualität zu einem großen Teil legalisierten (vgl. Brewster/Broughton 2000: 137, Cheren 2000: 78-80, Collin 1997: 10, Garratt 1999: 8, Jones/Kantonen 2000: 96, Lawrence 2003: 28,63,74, Shapiro 2005: 62-64). Dies alles gab der homosexuellen underground dance-Szene einen enormen Schub und Homosexuelle begannen ihren neu gewonnen Stolz und ihre Rechte in New Yorker Clubs auszuleben und zu zelebrieren. Nach Stonewall herrschte eine solch euphorische Stimmung geprägt von Idealismus, herausforderndem Hedonismus, Wut, sowie vormals unterdrückter Energie, welcher nun auf einen Schlag freien Lauf gelassen wurde, was in einem, die UDM und UDM-Kultur enorm prägenden, kreativen Entwicklungsprozess und einem nie dagewesenen Sinn für Gemeinschaft mündete. Es begann sich eine Identität schwuler Lebensweise zu bilden, welche sich im wesentlichen um das Tanzen, die Musik und Sex als zentrale Mittelpunkte drehte, wie auch in Andrew Holleran's realistischen Homosexuellen-Roman Tänzer der Nacht immer wieder deutlich wird: 13 “... der einzige Grund, weshalb er [ein homosexueller Tänzer namens Malone, Figur des Romans] zu dieser Zeit überhaupt noch herkam, nachdem er sich von Frankie getrennt hatte ... war der verrückte Drang, mit dem wir alle die aufgestauten Aggressionen unseres täglichen Lebens lösten – das Bedürfnis zu tanzen“ (Holleran 1985: 36), und weiter: “In diesem Raum waren die romantischsten Seelen der Stadt versammelt. Wenn sie auch ihre Tage in Banken und Bürohäusern verbrachten, egal: Ihr wirkliches Leben begann, sobald sie durch diese Tür [einer New Yorker Diskothek] schritten – und sie waren alsbald getauft in einem neuen Glauben, wie durch wunderbares Untertauchen zum Leben erwacht. Sie lebten nur für die Nacht“ (Holleran 1985: 37), “... ihr eigentliches Glück bestand aus Musik und Sex“ (Holleran 1985: 103; vgl. Goldman 1978: 107,112-114, Holleran 1985: 36-37, Lawrence 2003: 42,60-64,104, Poschardt 2001: 112-113). Musik, Tanzen und Sex wurden für unterdrückte Minderheiten entscheidende Ventile, um die restriktivierenden Hemmungen endlich fallen lassen zu können und die alltäglichen Sorgen zu vergessen. Sie waren Möglichkeiten um die eigene Identität frei und expressiv in den Discos auszudrücken und zu erkunden, in deren offenem Ambiente die Identitäten, laut Tim Lawrence, auf Grund der Experimentierfreude der Klientel, in der Tat in ständiger Fluktuation waren8. Der offene, militante homosexuelle Hedonismus fand seinen exaltierten Ausdruck in Clubs wie dem Sanctuary, in dem der DJ Francis Grasso Platten auflegte, dem Tamburlaine, in dem Steve D'Acquisto DJ war, oder dem Continental Baths, einem 8 Es ist wichtig festzuhalten, dass diese Ergründung von Identität nicht nur individueller Art ist, sondern dass Homosexuelle durch das Teilen eines gemeinsamen sozialen Konzepts, eines gemeinsamen eigenen kulturellen Ausdrucks (in diesem Falle Disco mit all seinen kulturellen Charakteristika), gleichzeitig eine Art kollektive Identität konstruieren (und von der Gesellschaft konstruiert werden, da die Gesellschaft dazu neigt in sozialen Kategorien zu denken), welche durch eine bestimmte Art sich zu bewegen, sich zu kleiden, zu leben etc., ausgedrückt wird und welche die üblichen Definitionen der Geschlechterrollen untergräbt, indem mit scheinbar festen Normen weiblicher und männlicher Identität gespielt wird. Dies muss durchaus auch als sozialpolitisches Instrument verstanden werden, denn in dem Moment in dem Homosexuelle die Geschlechteridentitäten verwirren, unterwandern sie das kulturelle System und bringen die machtpolitische Sicherheit normierter Geschlechteridentitäten ins wanken und stärken die eigene kollektive und individuelle Identität auf der Suche nach einem Platz im gesamtkulturellen Gefüge. Kollektive Identität bedeutet Macht und Stärke, denn einerseits wird durch das Teilen gemeinsamer Belange das Gefühl von Unsicherheit und Einsamkeit, welches einem die kulturelle Mehrheit auf Grund der Andersartigkeit vermittelt, aufgefangen, da die Probleme nicht mehr nur Einzelschicksale sind, sondern kollektiv von der Community geteilt werden. Andererseits beeinflusst man durch kollektive Handlung und verschafft sich Aufmerksamkeit. Wie Peter Shapiro treffend feststellt: “... disco culture was the most effective tool in the struggle for gay liberation” (2005: 65) und in der Tat hatte einige intensive Jahre lang die Gesellschaft Discos Maxime von offenem Verlangen, Sexualität und Vergnügen des Vergnügens willen adaptiert, was über konventionelle politische Mittel mit Sicherheit niemals erreicht worden wäre (vgl. Dyer 1992: 159,164-166, Fikentscher 2000: 11,26, Shapiro 2005: 65). 14 Badehaus für Homosexuelle, welches neben einer Sauna, einem Swimmingpool und einem Restaurant auch eine Diskothek beherbergte und in dem der spätere Paradise Garage-DJ Larry Levan seinen ersten DJing-Job erhielt. Neben dem Tanzen war Sex eine der Triebfedern in diesen Etablissements und Beteiligte berichten, dass dies oftmals in regelrechten Orgien mündete, bei denen offen und freizügig Geschlechtsverkehr vollzogen wurde und sämtliche gesellschaftlichen Tabus unter den Tisch fielen. Das stolze, ungehemmte Ausleben der homosexuellen Sexualität gehörte nach Jahren des Versteckens und der Scham schlichtweg zum Feiern in den Clubs dazu, was sich in den darauf folgenden Jahren auch in der Produktion der Musik widerspiegeln sollte, welche – sowohl in den Lyrics als auch in der auf Körperlichkeit zielenden Verwendung der Musik selbst – auf Sexualität anspielende Züge trägt, wie wir in der musikalischen Analyse der UDM noch feststellen werden. Doch während, wie bereits erläutert, der Mainstream lediglich die Merkmale von Dekadenz, offener Sexualität und Drogen dieser Underground-Kultur registrierte, barg die UDM-culture für seine Anhänger auch überaus wichtige soziale Ideale in sich: Ideale von Zusammengehörigkeit und Familie, gemeinsamer Identität und der Vision von sozialem Fortschritt. Eine Vision, der der Wunsch zu Grunde lag, kulturelle Gruppierungen – homosexuell, heterosexuell, männlich, weiblich, wohlhabend, arm; afroamerikanischen, lateinamerikanischen oder mitteleuropäischen Ursprungs – zusammenzubringen. Diese fand in David Mancuso's Loft ihre zentrale Formulierung und sollte im Anschluss viele wichtige Clubs wie The Gallery und Paradise Garage prägen (vgl. Brewster/Broughton 2000: 171-172, Collin 1997: 1011, Goldman 1978: 107,112-114, Holleran 1985: 36-37, 103-107, Lawrence 2003: 42,60-64,104, Podmore 2006: xx, Poschardt 2001: 112-113, Ramos 2005: DVD1, chapter 2 & Shapiro 2005: 27,57-59). 2.1.2. The message is love – The spirit of UDM Gab es in Clubs wie dem Sanctuary, dem Tamburlain oder dem Continental Baths die extremsten Formulierungen von Sex und Dekadenz, bildete David Mancuso's Loft einen eher moderaten Ruhepol des Underground, in dem Sex zwar dazu gehörte, aber Musik, Tanzen und progressive Ideale die determinierende Rolle spielten. Mancuso prägte einen Party-Ethos, durch den er es vollbrachte, über das Schaffen einer intimen, privaten Atmosphäre und das gemeinsame intensive Erleben und Teilen von Musik und Tanzen, verschiedene soziale Gruppen zusammenzubringen. 15 Dies ist um so bemerkenswerter, wenn man sich die schwerwiegenden Segregationsprobleme Amerikas vor Augen führt. Amerika war – trotz der propagierten Hippie-Floskeln von Liebe und Toleranz der 1960er Jahre – insbesondere auch im Schwarz-Weiß-Denken des Musikbusiness und des Landes generell, sowie den strengen Gesetzen gegenüber Homosexuellen von einem Zustand der kulturellen Apartheid geprägt, auch wenn sich dies im kulturell aufgeschlossenen New York nicht ganz so stark äußerte, wie in anderen Teilen Amerikas. Für David Mancuso jedoch waren Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Geschlecht, sowie sozialer Status vollkommen irrelevant. Ihm war es wichtig, dass die privaten Partys, die er einmal wöchentlich Samstags in seinem Loft gab, einen Bereich kultureller Sicherheit und Zuflucht darstellten und dass jeder, der daran teilnahm sich willkommen und integriert fühlte und die Teilnahme unabhängig von seiner finanziellen Situation war9. Er schuf einen demokratischen sozialen Raum, in dem keine Person einen höheren Stellenwert hatte als eine andere und der ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer großen Familie vermittelte, welche im Loft ihr neues Zuhause gefunden hatte. Dieses familiäre Klima wurde unter anderem dadurch genährt, dass Mancuso's Loft keine kommerzielle Diskothek war, sondern dort Privatpartys stattfanden, zu denen man nur durch persönliche Einladung oder das Begleiten eines Eingeladenen Zutritt erlangen konnte, oder empfohlen werden musste. Somit entstand ein Netzwerk, welches sich nahezu ausschließlich auf freundschaftlicher Basis gründete, und welches zwar ständig durch neue Leute bereichert wurde, aber dennoch einen Kreis darstellte, in dem beinahe jeder jeden kannte (vgl. Brewster/Broughton 2000: 156,158,160-161,183,207, Cheren 2000: 59,105-106, Fikentscher 2000: 10,12,95, Garratt 1999: 14, Lawrence 2003: 12,22- 27,48,197,342,402, Lopez 2003, Podmore 2006: ii,ix, Poschardt 2001: 113, Ramos 2005: DVD 1, chapter 2, Shapiro 2005: 31-32,283, <http://www.djhistory.com/...> (Vince Aletti) 2006). Zudem schaffte es Mancuso, wie kein Zweiter, Menschen in eine Stimmung der vollkommenen Entspannung zu versetzen, was er über die Verkettung vieler kleiner, 9 Mit einem Betrag von anfangs lediglich $2.50, welches kostenlose Getränke und ein Buffet miteinschloss, war das Loft in der Tat an der absoluten Untergrenze des Eintrittsgeldes angesiedelt. Doch selbst wenn jemand diesen geringen Beitrag nicht bezahlen konnte, war Mancuso aus seinem Idealismus heraus bereit demjenigen Einlass zu gewähren, denn er war weniger darauf aus einen kommerziellen Erfolg zu erzielen, sondern durch das Teilen von Musik und Atmosphäre mit Freunden und Gleichgesinnten die bestmögliche Party zu feiern (vgl. Brewster/Broughton 2000: 156, Lawrence 2003: 49, Ramos 2005: DVD 1, chapter 2). 16 aber überaus wichtiger Details schaffte: “... it really felt like a lot of friends hanging out. David had a lot to do with creating that atmosphere. Everybody who worked there was very friendly. There were people putting up buffets and fruit and juice and popcorn and all kinds of stuff. It did feel like going to someone's party, yet you were completely welcome at it” (<http://www. djhistory.com/...> (Vince Aletti) 2006). Neben dem angesprochenen freundlichen Personal und dem Aufstellen eines Buffets mit Essen und Getränken, gehörte auch das Dekor aus zahllosen Luftballons und Girlanden, sowie der gezielte Einsatz von Licht und das kunstvolle Aufbauen einer musikalischen Dramaturgie dazu, die schon damit begann, dass Mancuso die ersten Gäste nicht augenblicklich mit dance music empfing, sondern mit atmosphärischer Jazz- oder Weltmusik begann, um die Stimmung des Abends ganz allmählich die Besucher ergreifen zu lassen und sie nicht direkt mit dem Vorschlaghammer der Bass Drum zu erschlagen, wie es in nahezu allen kommerziellen Diskotheken geschieht. Vor allem aber vermittelte David Mancuso auch eine positive Botschaft durch die Auswahl der Songs, die er spielte, denn er legte großen Wert darauf Songs zu spielen deren Lyrics, oder deren zugrunde liegende Stimmung, Gefühle der Liebe, Hoffnung und Erlösung transportierten, wie ein Besucher des Loft bekräftigt: “With David it was a mood story. David in general was always about love, and he'd always try to stay with that” (Brewster/Broughton 2000: 162). Nicht aus Zufall wurde der Song Love Is The Message von MFSB schließlich zu einer die Underground-Szene definierenden Hymne, denn er symbolisierte genau dieses Denken eines sozialen Utopias voller Idealismus, Liebe und Hoffnung (vgl. Brewster/Broughton 2000: 158162,197, Lawrence 2003: 24-25, Shapiro 2005: 31, Tremayne 2005, <http://www.djhistory.com/...> (Vince Aletti) 2006). Mit seiner beinahe schon mystisch-religiösen Aura schlug David Mancuso seine Besucher ausnahmslos in Bann und beeinflusste eine ganze Generation, sowohl von Party-Gängern, als auch DJs – allen voran Nicky Siano und Larry Levan, welche Mancuso's einflussreichem Vorbild folgen sollten. Beide versuchten in ihren jeweiligen Clubs The Gallery, bzw. Paradise Garage, dieselbe Fürsorge gegenüber den Tänzern und die selbe intime Atmosphäre aufzubauen, die sie im Loft kennen gelernt hatten. Auch wenn dies nun vor einem kommerziellen Hintergrund geschah – was Mancuso, im Falle der Paradise Garage, teilweise kritisch betrachtete, da es seiner Meinung nach in gewissen Belangen den Underground unterwanderte –, muss man nichtsdestotrotz feststellen, dass Siano und Levan es schafften das Party-Ethos 17 und den Kern der Ideale, welche das Loft betonte, in ihren Clubs weiterleben zu lassen. Das Konzept Mancuso's kopierend, waren Getränke und Essen in The Gallery und der Paradise Garage ebenfalls im Eintritt enthalten, und Siano und Levan maßen gleichermaßen jedem noch so kleinen Detail höchste Bedeutung zu. So hing über Siano's DJ Booth beispielsweise ein kleines Schild mit der Aufschrift “Welcome Home”, oder Larry Levan richtete die Lautsprecher der Garage jede Woche stundenlang neu aus, um den Besuchern jedesmal ein neues, klangliches Erlebnis zu bieten. Zudem folgten sie in ihrem DJing-Stil ganz klar der von Mancuso geprägten Ästhetik, positive Botschaften von Liebe und familiärer Gemeinschaft zu vermitteln und schafften es über die Lyrics zu ihrem Publikum zu sprechen. Dieses starke Gemeinschaftsgefühl, ungeachtet welcher ethnischen oder sexuellen Gruppierung man angehörte, war auch in The Gallery und der Paradise Garage vorzufinden, denn dort trafen ebenso sämtliche kulturellen, sozialen und sexuellen Strömungen zusammen wie im Loft und, auf Grund eines ähnlichen Einlass-Systems, war sicher gestellt, dass beide Clubs in der Tat intime (wenn auch im Vergleich mit dem Loft größere), freundschaftliche Schmelztiegel blieben: “If there were 2,000 people in there every Saturday, a good thousand of them knew each other by name” (ein Mitarbeiter der Garage über dessen Besucher; Lewis 1998; vgl. Bidder 2001: 68, Brewster/Broughton 2000: 162,166,168,295,301, Garratt 1999: 20, Lawrence 2003: 100-104,342,352-353, Lewis 1998, Ramos 2005: DVD 1, chapter 1, DVD 2, chapter 6, Tremayne 2005). Solchen Underground-Lokalitäten kam bezüglich ihres sozialen Stellenwerts eine besondere Bedeutung zu, die über das bloße Ausgehen in eine Diskothek am Wochende weit hinausging. Besucher des Loft betonen immer wieder, dass Mancuso's Partys ihr Leben vollkommen verändert und ihren Geist geöffnet haben und für viele trugen die Underground-Partys des Loft, der Gallery und der Paradise Garage durchaus religiöse Züge. Tänzer der Garage bezeichneten die allwöchentlichen Samstags beginnenden und bis spät in den Sonntag hineingehenden Partys sogar als ihre 'Saturday Mass' (Lewis 1998) und DJ Larry Levan folgte Sonntag morgens tatsächlich einer fast schon sakralen Dramaturgie: “On Sunday mornings at around 7:00 A.M., Larry would stop all the dancing by putting on Aretha Franklin singing 'Mary Don't You Weep'. We knew he was giving us church. But then he would take us from [a Black] church to his church! After Aretha was done with her song, he would serve us fiercely! And he didn't do this just once, but for 18 several weeks.” (Fikentscher 2000: 105; vgl. Bidder 2001: 6-8, Brewster/Broughton 2000: 162,166,168,295,301, Garratt 1999: 20, Lawrence 2003: 100-104,342,352353, Lewis 1998, Ramos 2005: DVD 1, chapter 1, DVD 2, chapter 6, Tremayne 2005) 2.1.3. Active participation – Die Bedeutung des Tanzens und der Spiritualität in UDM Die Tatsache, dass UDM-Tänzer der Erfahrung solcher UDM-Partys eine spirituelle Dimension zuschreiben, liegt sowohl an der individuellen, als auch der gemeinschaftlichen Grenzerfahrung beim Tanzen, sowie daran, dass die UDM-Szene tief in der Tradition afroamerikanischer Musik (vor allem des Gospels, sowie des Souls und des Funk) verwurzelt ist, was zu einem kulturellen Diskurs über Gospel und dessen Konzepte von Spiritualität und Erlösung auffordert, wie ich in diesem Kapitel darstellen werde. Afroamerikanische Musik, UDM einschließend, ist Performance-Musik, welche ihren Sinn dadurch entfaltet, dass jeder innerhalb des momentan geteilten sozialen Raumes (in unserem Falle also dem dance club) an der Gestaltung der Performance (Auflegen von Platten von Seiten des DJs, Tanzen von Seiten der Tänzer) teilnimmt. Anders als in unserem westlich-europäischen Denken sind Komposition und Performance in afroamerikanischer Musik nicht zwei voneinander getrennte, fixe Entitäten, sondern Teile eines sich bedingenden kreativen Ganzen, welches von allen Teilnehmenden im Laufe der Performance aktiv geformt und interpretiert wird (d.h. die Tänzer beeinflussen durch ihr Tanzen die Performance gleichermaßen wie der DJ durch sein Plattenauflegen). Musik wird nicht als starres, autarkes Medium aufgefasst, sondern als aktiver Prozess, während dessen die Musik ständig neugestaltet und im Idealfall von allen gemeinsam gefühlt wird. Dieses gemeinsame Fühlen ist wichtig, denn die Musik wird nicht kognitiv analysiert, sondern aufkommende Emotionen werden direkt über die Performance ausgedrückt: “what we feel about the music is what it means”, wie Simon Frith (1996: 139) die Bedeutung von Musik für Afroamerikaner herausstreicht. Im Sinne dieser Idee, welche sich vor allem über den Rhythmus und über die emotionale und inspirierende Kapazität der vom Gospel abgeleiteten Gesangstechnik (welche das emotionale Involviert-sein des Sängers/Sängerin auf der Platte ausdrückt) in UDM als bedeutende expressive Stilmittel artikuliert, auf welche die Tänzer über ihre Bewegungen direkt mit ihren Emotionen antworten, bekommt die Partizipation durch 19 das Tanzen in UDM eine soziale Dimension, welche sowohl auf individueller, als auch kollektiver Ebene ein bedeutsames und wirkungsvolles Instrument ist, um Identitäten und Beziehungen zu erforschen, zu bestätigen und zu feiern, sowie sozialkritisch gesellschaftliche Normen zu hinterfragen. Zudem finden die Tänzer ein Ventil, über das sie ihre aufgestauten alltäglichen Sorgen und Probleme abbauen und vergessen können, was einen der Hauptgründe darstellt weshalb das Tanzerlebnis im UDM Club, als auch in der afroamerikanischen Kirche, die Verbindung zum Begriff Erlösung trägt (vgl. Brewster/Broughton 2000: 314, Butler 2006: 72-73,91,256, Fikentscher 2000: 8-9,13,58-61,93,106-107, Frith 1981: 16-17, Frith 1996: 135,137139,142, Lawrence 2003: 104, Lewis 1998, Maultsby 1985: 45-46, Podmore 2006: vii-viii,xxi, Poschardt 2001: 261, Rietveld 1998: 164,191-193, Rietveld 2004: 46). Die Musik und das Tanzen werden darüber hinaus zu einem direkten Mittel der Kommunikation zwischen DJ und Tänzern und zwischen Tänzern untereinander, wie Paradise Garage Tänzer bestätigen: “... to ME we [were] telling a story [through our dancing] ... We knew we were telling a story, we were talking to one another” (Ramos 2005: DVD 2, chapter 2). Das Kommunikationspotential ist dabei den polyrhythmischen, als auch polyphonen/polyinstrumentalen Feinheiten der Texturen und Schichten der Songs, welche der DJ spielt, inhärent, welche Tänzer interpretativ aufgreifen10. Über die Auswahl der Platten und über die, in den Lyrics aber auch im Feeling und der Polyrhythmik der Songs zugrunde liegenden Botschaften, gibt der DJ die Entfaltung der Performance vor und spricht förmlich zu 10 Wie ich im zweiten Teil dieser Arbeit weiter ausführen werde, ist diese polyrhythmische und polyinstrumentale Anlage, sowie der formale Aufbau von UDM ein ganz wichtiger Faktor für das interpretative Ausgestalten der Musik durch die Tänzer. Durch dieses komplexe strukturelle Ineinandergreifen verschiedener instrumentaler Elemente steht den Tänzern eine breite Palette interpretativer Möglichkeiten zur Verfügung, auf die sie individuell reagieren können (einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch Mark Butler in Bezug auf elektronische dance music. Allerdings beschränkt sich bei dieser Form von Musik die interpretatorische Möglichkeit auf das komplexe Zusammenspiel rhythmischer Patterns, da in elektronischer dance music andere Instrumente zumeist fehlen). Durch den repetitiven Aufbau von UDM und dem zielgerichteten Ansteuern gewisser Spannungselemente auf einen bestimmten Punkt hin, erwartet der erfahrene Tänzer zudem an gewissen Stellen der Musik gewisse Elemente, bzw. können selbst unerfahrene Tänzer die Momente, in denen sich die musikalische Spannung löst, instinktiv vorausahnen und ihre Bewegungen darauf ausrichten. So wird der Tänzer beispielsweise nach dem Breakdown (in dem bis auf die perkussiven Elemente des Songs alle Instrumente aufhören zu spielen) den Wiedereintritt der Bassline antizipieren und daraufhin mit gesteigerter Energie die Bewegungen seines Tanzens auf das Zurückkommen der Bassline ausrichten. Gleichzeitig wird durch die Kontinuität bestimmter repetitiver Elemente (wie die konstant durchgehende, auf jeden Viertelschlag kommende Bass Drum) ein Rahmen aufgestellt, der die Tänzer bis zu einem gewissen Grade auch synchronisiert und es entsteht eine Überblendung individueller als auch kollektiver Performance, die in ständigem Wechsel ist, auch dadurch, dass Tänzer auf die Bewegungen der Anderen reagieren, diese abschauen, neu interpretieren oder ein Gegenangebot bieten (vgl. Butler 2006: 4,74,90-95,242,256, Fikentscher 2000: 58-59,80-81, Gerard 2004: 176,178, Rietveld 2004: 55). 20 seinen Tänzern. Die Tänzer greifen das Angebot des DJs auf und bringen dieses in expressiven tänzerischen Bewegungen zum Ausdruck, welche eine Art rhythmischen Kontrapunkt zur komplexen musikalischen Matrix entfalten. Darüber hinaus beziehen UDM's Tänzer neben ihrem Körper auch Instrumente wie Tamburins, Pfeifen oder Maracas, sowie ihre eigene Stimme (einfaches Mitsingen der Lyrics bis hin zur gesanglichen Improvisation) in die tänzerische Performance ein, wie man es beispielsweise im Loft oder in der Paradise Garage beobachten konnte. An diese Rückmeldung der Tänzer knüpft nun wiederum der DJ an und so findet ein ständiger Austausch und Fluss kommunikativer und körperlicher Energien statt – Tänzer sprechen im Zusammenhang dieses kollektiven Teilens von Energien, diesem Versuch die mentalen Energien jedes einzelnen Tänzers und des DJs Eins werden zulassen, davon, eine Art “vibe” zu schaffen –, welche sich im Laufe eines Abends in Verbindung mit körperlicher Erschöpfung, sensorischer Überstimulation, der Repetitivität und Expressivität der Musik, sowie dem Gebrauch von Drogen11, so hochspielen und solch eine Spannung aufbauen können, dass das Ganze in einer Art spirituellen Klimax oder 'peak-experience', wie es die Amerikaner nennen, enden kann (vgl. Brewster/Broughton 2000: 166-167, Butler 2006: 72-73,93-95,256, Fikentscher 2000: 41-42,58-59,63,80-81, Frith 1981: 16, Frith 1996: 135,137-138, Gerard 2004: 177, Goldman 1978: 119, Lawrence 2003: 26,37-38,424, Lewis 1998, Maultsby 1985: 45-46, Poschardt 2001: 126,252,262, Rietveld 1998: 190-192, Rietveld 2004: 47,53-54). Es ist dabei wichtig zu erkennen, dass das Spiel zwischen Spannung und Erlösung essentiell für das Aufbauen dieser 'peak-experience' ist. In UDM vollzieht sich dieser Wechsel zwischen Spannung und Entspannung unaufhörlich, sowohl auf einem Mikro-, als auch auf einem Makrolevel12. Auf einem Mikrolevel heißt dies, dass in einzelnen musikalischen Teilen und Abschnitten eines Songs und im Song als Ganzem immer wieder Spannung aufgebaut und wieder gelöst wird. Ein Beispiel hierfür können wir an dem Song Ten Percent betrachten (vgl. CD1, Track 2). Für UDM-Songs ist es typisch, dass vor den Übergängen von einem Teil eines Songs (im Falle des betrachteten Songs Ten Percent der Refrain) in den anderen Teil (in unserem Beispiel die 2.Strophe) häufig eine Verdichtung der Instrumente, sowie ein 11 Bezüglich der Verwendung von Drogen vgl. Kapitel 2.2.4. 12 Ich werde darauf in der späteren Besprechung der musikalischen Eigenheiten von UDM immer wieder darauf zurückkommen, daher soll der Aspekt der Spannung und Entspannung in diesem Kapitel nur angeschnitten werden. 21 kurzfristiges statisches Verharren innerhalb dieser Verdichtung stattfindet, so dass die Rückkehr in die Strophenstruktur verzögert wird und damit für kurze Zeit eine enorme Spannung aufgebaut wird, die sich mit dem Eintritt der Strophe auflöst. Der Aufbau der Spannung auf diesem Mikrolevel lässt den Tänzer, metaphorisch gesprochen, für kurze Zeit ungewiss über der Klippe hängen, bevor die Erlösung in Form der Strophe folgt. Der Moment des Übergangs von Spannung zur Erlösung ist dabei der entscheidende, denn der Tänzer übersetzt die Spannungsauflösung in eine Energieexplosion beim Tanzen und setzt dieses daraufhin für gewisse Zeit mit gesteigertem energetischen Engagement fort (vgl. Brewster/Broughton 2000: 160, Butler 2006: 92,251, Fikentscher 2000: 41-42,83-85, Gerard 2004: 176-177, Lawrence 2003: 22,55,66,225-226,235, Poschardt 2001: 126,261-262, Rietveld 2004: 52). Auf dem Makrolevel läuft dies nach denselben Prinzipien – Spannungsaufbau und Spannungsauflösung – ab, jedoch über die Spanne mehrerer Songs und ganzer DJSets hinweg. Man muss dabei bedenken, dass diese DJ-Sets in der New Yorker UDM-Szene von enormer Länge waren. Wir sprechen hierbei im Schnitt von 6-7 Stunden und länger. Die Organisation von Anspannung und Entspannung in solchen Sets muss also mit Bedacht angeordnet sein, denn wenn der DJ sein Publikum über einen langen Zeitraum unentwegt puscht und einem hohen Intensitätslevel aussetzt, wird das unweigerlich dazu führen, dass die Tänzer nach einer Stunde komplett ausgepowert sind. Deshalb ordnen die meisten UDM-DJs, wie David Mancuso, ihre Sets in einer wellenförmigen Form an (andere sprechen auch von einem 'peak-andvalley'-Verlauf): “I like to do it kind of ... like, peaks and valleys ... like, bring it up slowly. So you'll kind of start out slow – sometimes ... sometimes I just bang it – [and] kind of pick them up; let them down; pick them up higher; let them down. Yeah – I like to ... midway through the set I just want them to be out of their minds” (DJ Shiva über die Anordnung ihrer Sets, Butler 2006: 251; vgl. Brewster/Broughton 2000: 160, Butler 2006: 92,251, Fikentscher 2000: 41-42,83-85, Gerard 2004: 176177, Lawrence 2003: 22,55,66,225-226,235, Poschardt 2001: 126,261-262, Rietveld 2004: 52). Die Tänzer werden über einen gewissen Zeitraum immer wieder von musikalischen Spannungswellen erfasst, fort getragen und wieder heruntergebracht. Dies wiederholt sich kontinuierlich, wobei die Tänzer bei jeder neuen Spannungswelle in der Intensität ein wenig höher gespült werden, bis schließlich die spirituelle Klimax 22 erreicht ist (bei einer längeren Nacht ist es auch möglich, dass der DJ auf mehr als eine Klimax hinarbeitet). In diesem Stadium angekommen, transzendiert der Tänzer die Grenzen des individuellen Selbst, als auch konzeptueller Konstrukte wie Raum und Zeit. Das 'Sich-bewusst-sein' des eigenen Selbst, sowie der weltlichen Umgebung, löst sich zunehmend auf. Sämtliche Alltagssorgen des Tänzers fallen von ihm ab und er verschmilzt mit den anderen Tänzern zu einer spirituellen und körperlich äußerst intimen Einheit, in welcher die individuellen Unterschiede verschwinden. Intim deshalb, weil die Tänzer in diesem Moment des spirituellen Höhepunkts empfänglich und verletzlich zugleich sind. Das Hinarbeiten auf eine 'peak-experience' stellt eine komplette leidenschaftliche Hingabe und Demontage des inneren Selbst, inklusive seiner Hemmungen, Vorbehalte und seiner Schutzschilde dar. Intim auch im Hinblick auf die lustvoll ansprechende körperliche Nähe der anderen Tänzer, denn der Dancefloor beispielsweise des Loft oder des Sanctuary, war bei jeder Party so dicht gedrängt, dass Körperkontakt unumgänglich war und in der Tat auch ein intimes körperliches Verschwimmen der Grenzen zwischen Individuum und Kollektiv stattfand. Erst durch Verletzbarkeit und Öffnung entsteht schließlich ein geteiltes energetisches Band und ein geteiltes energetisches Feeling zwischen den Tänzern. Somit bildet sich ein starkes Gefühl des gegenseitigen Verstehens und der Gemeinschaft auf einer existenziellen Ebene heraus, welches in seiner Summe größer ist als die Energie jedes Einzelnen und welches dabei diese spirituelle Dimension der 'peak-experience' annehmen kann (vgl. Brewster/Broughton 2000: 314, Butler 2006: 251, Fikentscher 2000: 41,80-81, Gerard 2004: 173,177, Lawrence 2003: 25,38,104,288-289,424, Lewis 1998, Poschardt 2001: 252-253, Rietveld 1998: 164,192, Rietveld 2004: 46-50,53). Die Parallele, die sich hier zwischen der Bedeutsamkeit der afroamerikanischen Kirche und der Bedeutsamkeit des UDM-Clubs für die afroamerikanische Kultur zeigt, ist bemerkenswert, denn für Afroamerikaner stehen beide Institutionen, genauso wie die Black Music Tradition von den ersten Spirituals bis hin zu Disco und elektronischer house music, im Zusammenhang eines ungebrochenen kulturellen Kontinuums. Wenn man so will, ist das Erleben von Spiritualität und Erlösung im UDM-Club, eine konsequente Fortsetzung der sakralen Praxis spirituellen Feierns auf säkularer Ebene. Die afroamerikanische Kirche muss mit Sicherheit als eine der zentralen Institutionen in der Geschichte afroamerikanischer Kultur gesehen werden, welche in ihrer Entstehung in der 23 Unsichtbarkeit des Undergrounds zu Zeiten der Sklaverei, als Ort der kulturellen Sicherheit und des autonomen kulturellen Ausdrucks gegenüber der Dominanz der weißen 'Herren' und der puritanischen Kirche dient(e). Die dominante puritanische Kirche sah es vor, dass man die Predigt des Priesters stillsitzend und stillschweigend verfolgte. Dies widersprach jedoch vollkommen dem kulturellen Verständnis der afroamerikanischen Gemeinschaft und deshalb suchte diese nach einem eigenen Ort, an dem sie die heilige Messe in einer Art und Weise zelebrieren konnte, die für sie von kultureller Bedeutung war. Einen Ort, an dem sie über die Musik der Spirituals und des Gospels, sowie über Tanzen und Partizipation an der Gemeinschaft frei ihre Gefühle ausdrücken konnten. Gefühle des Schmerzes und der Sorgen, aber auch der Freude und Liebe, welche sie in der Gemeinschaft teilen konnten und durch das Loslassen derer sie Hoffnung auf Erlösung und Inspiration fanden. Einen Ort, an dem sie ihre afroamerikanische Identität und gemeinsamen Werte feiern, erforschen und bestärken konnten und sowohl spirituelle Einheit, als auch einen gemeinsamen Weg der (Massen)-Kommunikation fanden (vgl. Burnim 1985: 149, Burnim 2001: 625, Fikentscher 2000: 91-94,100,102-105, Lawrence 2003: 424, Maultsby 1985: 4546, Podmore 2006: vii-viii). Genau solch einen Ort fanden auch die afroamerikanischen und homosexuellen Minderheiten seit den 1970er Jahren in der Form des dance clubs. Wie wir bereits festgestellt haben, folgt die UDM-culture in ihrer Essenz den Kernprinzipien dieser kulturellen Praxis, bzw. die spirituelle Bedeutung dieser beiden Institutionen ähnelt sich doch sehr. New Yorker UDM-DJs, wie Larry Levan oder Frankie Knuckles13, sprachen immer wieder davon, dass sie mit den Songs und der Performance, die sie selbst boten, ihre Tänzer inspirieren wollten. Für sie waren dance clubs in der Tat mit Kirche gleichzusetzen – an beiden Orten wurde gleichermaßen spirituelle Einheit und Erlösung erreicht. Gleichzeitig vermischte sich aber diese spirituelle Dimension, welche sie für die Kultur zweifelsohne hatte, mit einer Dialektik der offen zur Schau gestellten Körperlichkeit und Sexualität, welche sich aus dem homosexuellen Kontext herausgebildet hatte, sowie mit einer Dialektik der Andersartigkeit der Club music, woraus sich neue interessante eigene Formen der expressiven Ausdrucksweise, sowohl in Hinblick auf das Tanzen, als auch im Hinblick auf das Erforschen und zur Schau tragen der eigenen Identität entwickelten, welche jedoch 13 Knuckles begann seine DJing Karriere in New York im Club Better Days und legte später im Continental Baths auf, bevor er 1977 nach Chicago zog und dort maßgeblich an der Entstehung von house music beteiligt war (vgl. Bidder 1999: vii, Garratt 1999: 15-17). 24 an essentiellen Prinzipien der sakralen Tradition, wie dem kommunikativen Prinzip des 'call-and-response' des Gospels festhalten. Hierzu möchte ich zum Abschluss des Kapitels zwei Praktiken herausgreifen und dem Leser näher bringen, welche sich im Kontext des dance clubs entwickelt haben, nämlich das 'dancing in circles' und das 'vogueing' (vgl. Brewster/Broughton 2000: 314, Fikentscher 2000: 60,91-94,102-103, Garratt 1999: 15, Lewis 1998, Poschardt 2001: 261-263, Ramos 2005: DVD 2, chapter 2, Rietveld 2004: 57). Das 'dancing in circles' entstand in der Paradise Garage und diese Praxis entwickelte sich in der dortigen Szene bald schon zu einem beständigen Ritual, in welches eine große Anzahl der Besucher integriert wurden. Dieses Ritual lief so ab, dass die Tänzer sich zu einem großen Kreis versammelten und ein Tänzer nach dem anderen in den Kreis hineintrat, eine kurze persönliche Tanz-Performance ablieferte und wieder aus dem Kreis heraustrat, um einem anderen Tänzer Platz zu machen. Das Tanzen und die Körperbeherrschung der Tänzer waren dabei in höchstem Maße entwickelt und die Performances fanden auf einem durchaus akrobatischen Niveau statt – Tänzer bauten Saltos, Spagat, schnelle Rotationen um die eigene Achse, und komplexeste Bewegungsmuster in ihre Performances ein. Das 'dancing in circles' hatte allerdings trotz des hohen tänzerischen Levels keinen Wettbewerbscharakter, wie die Tänzer betonen, sondern es ging darum einen persönlichen Beitrag zu leisten, in einer Atmosphäre, welche eher auf den Grundfesten einer großen freundschaftlichen Familie beruhte, denn kompetitiver Rivalerie: “Jumping in the circle has to do with the cameraderie, it's a cameraderie thing ... You're giving it all and it doesn't matter if your moving isn't as nice as the other kid ... It doesn't matter who's better ... You were in there, you gave your best” (Ramos 2005: DVD 2, chapter 2). Es ging, wie in der afroamerikanischen Kirche, um emotionale Teilnahme und ein Gemeinschaftsgefühl. Die dabei zu beobachtende call-and-response Struktur, in der ein Tänzer ein expressives Statement macht, auf welches der nächste Tänzer, der in den Kreis tritt antwortet, leitet sich direkt aus der Tradition des Gospels ab und wie wir im zweiten Abschnitt dieses Kapitels festgestellt haben, ist dieses call-and-response nicht nur figurativ zu verstehen, sondern ist ein ausdrucksstarkes Mittel tatsächlicher Kommunikation (vgl. Ramos 2005: DVD 2, chapter 2). Aus derselben call-and-response Tradition heraus, muss auch das 'vogueing' begriffen werden. Anders als das 'dancing in circles' jedoch, ist 'vogueing' eine 25 Tanzform, welche unübersehbar auf Wettbewerb beruht. Das 'vogueing' entstand in einem New Yorker dance club namens Footsteps. Als sich dort einige afroamerikanische Drag Queens gegenseitig 'shade' zuwarfen14, reagierte eine der Drag Queens mit dem Namen Paris Dupree darauf, indem sie eine Ausgabe des Modemagazins Vogue aus ihrer Tasche zog und in Abstimmung mit dem Beat der Musik, die Posen der Models aus dem Magazin nachstellte. Andere Drag Queens folgten ihrem Beispiel und antworteten in derselben Art und Weise. War es zu Anfang noch das bloße Einfrieren bestimmter Posen, bauten die Tänzer mit der Zeit immer mehr tänzerische Elemente aus Ballett, Jazztanz und Akrobatik ein. Darüber hinaus integrierten sie Bewegungen aus allen möglichen Bereichen, welche in ihrem ästhetischen Fluss zu den Bewegungen der Performance passten, so zum Beispiel aus dem martial arts-Bereich, aus Modeshows oder pantomimische Aspekte und es entwickelte sich in der Folge eine neuartige Kunstform des Tanzens, welche die Tänzer, in Anlehnung an das Magazin Vogue, 'vogueing' nannten. Diese neuartige Kunstform verbreitete sich vornehmlich im afro- und lateinamerikanischen homosexuellen Underground, sowohl auf Schwulenbällen, als auch in UDM clubs, wie dem Better Days oder der Paradise Garage, und stellte ein weiteres Beispiel dar, für das innovative Fortbestehen afroamerikanischer Traditionen in einem frischen kulturellen Kontext, worüber nun diese 'doppelten' Minderheiten auf eine für sie kulturell bedeutsame Weise ihre Identität erforschten, bekräftigten und feierten (vgl. Brewster/Broughton 2000: 176, Cheren 2000: 339, Lawrence 2003: 46-47, Livingston 1990, Ninja 1994: 160-161, Poschardt 2001: 263, Rose 1994: 167). 14 Sich 'shade' zuwerfen kommt aus der afroamerikanischen Homosexuellenszene und bedeutet soviel wie 'sich gegenseitig Beleidigungen zuwerfen', allerdings auf einer nonverbalen Ebene und auf eine äußerst affektierte Art und Weise. Der Vogue-Tänzer Willi Ninja gibt für das Konzept des 'throwing shade' folgende Definition: “Shade is basically a nonverbal response to verbal or nonverbal abuse. Shade is about using certain mannerisms in battle. If you said something nasty to me, I would just turn to you, and give you a look like: 'Bitch please, you're not even worth my time, go on.' All with a facial expression and body posture, that's throwing shade” (Rose 1994: 174; vgl. Livingston 1990). 26 2.2. Technischer und struktureller Rahmen von UDM 2.2.1. Die ersten DJs und die Entwicklung von DJ-Techniken & -Equipment Das Konzept der Diskothek15 hat seinen Ursprung in Frankreich, zur Zeit der deutschen Besetzung im 2.Weltkrieg. Um das Verbot der Nationalsozialisten zur Live-Musik von Jazzbands zu tanzen zu umgehen, behalf man sich damit, in Undergroundlokalitäten die Musik über Plattenspieler und Boxen zu generieren. Nach dem Krieg behielten viele Clubs dieses Konzept bei, da es eine äußerst ökonomische Alternative zur bisherigen Verpflichtung von Live-Bands darstellte. Vor allen Dingen die Musik amerikanischer Rock'n'Roll-Bands, die sich in den 1950er Jahren größter Beliebtheit beim Tanzpublikum erfreute, konnte so schnell und billig in den Clubs gehört werden; Bands, die für europäische Clubs live kaum oder nur sehr teuer zu bekommen waren. Die ersten amerikanischen Discos gab es seit Anfang der 1960er Jahre, als immer mehr New Yorker Nachtclubs, wie Le Club oder The Shepheard's, begannen besagtes Konzept des DJing als Quelle für musikalische Tanzunterhaltung zu entdecken. In den meisten Fällen tanzte das New Yorker Publikum noch zu Live-Musik, wie in der Peppermint Lounge, doch unter den ersten DJs wie Slim Hyatt – ein ehemaliger Butler, der in Le Club auflegte und als erster DJ Amerikas angesehen wird – begann sich das DJ-Konzept in Clubs langsam durchzusetzen, auch wenn der DJ zu diesem Zeitpunkt als nicht mehr angesehen wurde, als ein billiger Live-Musik-Ersatz. Der DJ war eigentlich noch kein 'richtiger' DJ im Sinne der künstlerischen Profession, die man ihm heute zuschreibt und die sich in der darauf folgenden Zeit langsam zu entwickeln begann, sondern lediglich ein 'Plattenaufleger', der noch ohne zu mixen eine Platte nach der anderen ein- und aus-fadete und manchmal sogar mit lediglich einem Turntable spielte. Die meisten frühen Discos waren elitäre Nobelklubs, in denen Sehen-undgesehen-werden wichtiger war, als die Musik des DJs, die weiter unten auf der Agenda stand und sich konservativ an den Charts des Mainstream orientierte (vgl. Brewster/Broughton 2000: 140-142, Cheren 2000: 95-96,98, Goldman 1978: 2324,42-46, Joe 1980: 17, Poschardt 2001: 103-08, Rietveld 1998: 102, Shannon 1982: 48). Die frühen amerikanischen Discos waren somit alles andere als ein fruchtbarer Ort, an dem DJs bereit waren musikalische Risiken einzugehen, sowie neue DJ15 Das Wort Diskothek setzt sich aus den griechischen Wörtern 'dískos' (Scheibe) und 'theke' (Behältnis) zusammen und bezeichnet somit einen Club, in dem zu Platten statt zu Live-Musik getanzt wird (vgl. Poschardt 2001: 103). 27 Techniken zu entwickeln und zu verwenden. Dies änderte sich erst mit zwei DJs, nämlich mit Terry Noël und vor allen Dingen Francis Grasso. Beide waren selbst Tänzer und hatten damit ein Verständnis dafür, auf welche Platten das Publikum reagieren würde, im Gegensatz zu Hyatt, dem das musikalische Gespür und der Background dafür fehlte. Terry Noël begann im 1965 eröffneten Arthur aufzulegen und war einer der ersten DJs, die begannen das DJing als künstlerisch kreative Betätigung zu sehen. Die meisten DJs zuvor hatten Platten noch nicht ineinander gemischt und Noël kritisierte vor allem die Sprunghaftigkeit in der Auswahl der Songs dieser frühen DJs. Der DJ-Stil in Discos wie Le Club baute noch nicht kontinuierlich und schrittweise auf einen Höhepunkt hinzielend die Energie der Tänzer auf, sondern es war gängige Praxis eine langsame Ballade zu spielen, dann einen schnellen Soul-Song, wieder eine Ballade, usw., so dass die Tänzer, auf Grund des Fehlens eines dramaturgischen Set-Aufbaus, jedesmal vollkommen aus der Stimmung herausgerissen wurden. Terry Noël begann das zu ändern: Er prägte einen DJ-Stil, der mit langsamen Songs begann und sich dann kontinuierlich in der Geschwindigkeit und dem Energielevel steigerte, bis schließlich ein Höhepunkt erreicht war. Song für Song aufeinander aufbauend und, mittels zweier Turntables, ineinander gemischt, so dass keine unnötigen Pausen entstanden, wobei Noël versuchte sich an der Rückmeldung des Dancefloors zu orientieren (vgl. Brewster/Broughton 2000: 140-43,156,158, Cheren 2000: 96,98,106, Cross 2003: 41, Goldman 1978: 46-51, Joe 1980: 17-18, Katigbak 2006, Lawrence 2003: 10,1617,19-20,102, Poschardt 2001: 106-108, Ramos 2005: DVD 1, chapter 2, Shapiro 2005: 21-22). Doch auch wenn Noël dem DJing erste kreative Impulse gab, das Arthur war ebenso ein Laden für den Jet Set wie Le Club und dies spiegelte sich auch in Noël's Songauswahl wieder, die, obwohl er hin und wieder auch neue Songs integrierte und damit experimentierte, doch noch sehr auf den Mainstream konzentriert war. Viel schwerwiegender ist jedoch, dass Noël und andere DJ-Kollegen den DJ-Job so verstanden, dass sie nicht nur dazu dar waren, die Tänzer zu einem energetischen Höhepunkt zu führen, sondern sie mit langsamen Songs auch wieder von der Tanzfläche herunterzuholen, um den Alkoholverkauf an der Bar anzukurbeln. Das unterschiedliche Verständnis des DJings in kommerziellen Clubs wie dem Arthur und in Underground-Clubs in denen Francis Grasso aufzulegen begann, wird besonders deutlich, wenn man sich Dough Shannon's Ausführungen über die 28 Aufgaben eines guten DJs durchliest, welche durchweg von Bussiness-Aspekten geleitet sind. Shannon zitiert den DJ einer kommerziellen Clevelander Diskothek folgendermaßen: “The main purpose of the disco DJ, besides just making people dance and party, is to make them thirsty. When they're thirsty they will naturally want to quench their thirsts, presumably by going to the bar and ordering a drink, and not just a glass of water. This puts money in the cash register ...” (Shannon 1982: 176). Ein Club wie das Arthur drehte sich zwar mehr ums Tanzen, als die meisten anderen High Society-Clubs, aber die Entwicklung einer Hardcore dance-Szene, welche wiederum in der kreativen Entwicklung der UDM mündete, wurde in dieser Art von Lokalität nicht verfolgt (vgl. Brewster/Broughton 2000: 140-43,156,158, Cheren 2000: 96,98,106, Cross 2003: 41, Goldman 1978: 46-51, Joe 1980: 17-18, Katigbak 2006, Lawrence 2003: 10,16-17,19-20,102, Poschardt 2001: 106-108, Ramos 2005: DVD 1, chapter 2, Shapiro 2005: 21-22). Dies geschah außerhalb des Mainstreams in der Underground-Szene, in Örtlichkeiten wie David Mancuso's Loft (in dem Mancuso seit 1970 regelmäßig Partys veranstaltete), Nicky Siano's Gallery (geöffnet seit 1972) oder später in Larry Levan's Paradise Garage (geöffnet seit 1977), in denen sich alles um die Musik und das Tanzen drehte und auch kein Alkohol ausgeschenkt wurde, sondern Fruchtsäfte, Nüsse und andere Erfrischungen für die Tänzer bereitstanden, um die leeren Akkus für das Tanzen aufzuladen. Fragt man DJs dieser Zeit, wie Francois Kevorkian, warum dort kein Alkohol ausgeschenkt wurde, fällt die Antwort vergleichsweise simpel aus: “That was not what it was about.” (Lewis 1998); und Steve D'Acquisto, einflussreicher DJ und 'Schüler' von Francis Grasso, beschreibt in der Dokumentation Maestro die unterschiedliche Party-Ästhetik sehr treffend: “At the Loft the music and the sound was the party. That was the event ... At nightclubs you had a bar with liquor and you had to deal with all kinds of things but at the Loft there was no liquor. So basically people were just expressing themselves in a whole different way. It was ... the tightness and the oneness with the music was just amazing” (Ramos 2005: DVD 1, chapter 3; vgl. Brewster/Broughton 2000: 14043,156,158, Cheren 2000: 96,98,106, Cross 2003: 41, Goldman 1978: 46-51, Joe 1980: 17-18, Katigbak 2006, Lawrence 2003: 10,16-17,19-20,102, Poschardt 2001: 106-108, Ramos 2005: DVD 1, chapter 2, Shapiro 2005: 21-22). In dieser Underground-Szene trieb vor allem Francis Grasso als Vorreiter die Entwicklung der UDM und die Entwicklung der DJ-Culture weitaus 29 radikaler voran, als Terry Noël, zunächst im Salvation und später u.a. auch im bereits erwähnten Sanctuary. Zum einen zeigte Grasso eine Vorliebe für eine andere Art von Musik, als Terry Noël, der vor allem Rock'n'Roll-Songs und auch gerne langsame Songs von Elvis spielte, wohingegen Grasso Soul-, Funk-, als auch Rock-Songs bevorzugte, die sehr percussion-lastig waren. Zum anderen entwickelte, bzw. griff Grasso gewisse DJ-Techniken auf und entwickelte diese weiter, um im Endergebnis einen möglichst ungebrochenen Beatfluss zu garantieren, wonach die mit mehr Energie tanzenden Underground-Tänzer verlangten und hob dabei das Mixen von Platten auf eine vollkommen neue Ebene. Eine Technik, die Francis Grasso entwickelte und zur Perfektion führte um diesen Nonstop-Beatfluss zu gewährleisten war das Beat-mixing. DJs wie Terry Noël hatten einfach nur zu einem beliebigen Zeitpunkt den einen Song beendet und den neuen Song eingeblendet, nicht darauf achtend, dass der Beat des neuen Songs auch nahtlos in den Beat des alten Songs übergehe. Grasso ging einen Schritt weiter. Er blendete die Beats zweier Platten so ineinander, dass ein perfekter, nahezu nicht hörbarer Übergang von einem Song zum nächsten entstand. D.h. der Zuhörer hörte noch die Zählzeit 4 eines Taktes des alten Songs und exakt auf die Zählzeit 1 des nächsten Taktes begann der Beat des neuen Songs. Dazu war es nötig, die neue Platte auch genau im richtigen Moment starten zu können, wobei das Problem war, dass der Turntable immer eine gewisse Anlaufzeit brauchte um auf Geschwindigkeit zu kommen. Dieses Problem löste Grasso, indem er eine Technik namens slip-cueing verwendete, eine Technik die vor ihm bereits Radio-DJs verwendet hatten16 und die es erlaubt die Platte punktgenau und bereits in der richtigen Geschwindigkeit zu starten. Bei dieser Technik lässt der DJ den Plattenteller des zweiten Turntables, auf dem der neue Song hereingebracht werden soll, bereits vorher rotieren, hält die Platte mit dem Finger an der Stelle fest, an der die Platte später starten soll und lässt dann im richtigen Moment los. Damit der Antrieb des Plattenspielers auf Grund des hohen Reibungswiderstandes dabei nicht durchbrennt, legt der DJ eine Filzmatte zwischen Plattenteller und Schallplatte (vgl. Brewster/Broughton 2000: 143-145,148-49, Butler 2006: 55, Cross 2003: 41-44, Goldman 1978: 112-115, Jones/Kantonen 2000: 215, Lawrence 2003: 19,35,86, Poschardt 2001: 109-110, Shannon 1982: 257-62, Shapiro 2005: 28-29). 16 Der weitläufigen Meinung vieler Autoren widersprechend, die behaupten, dass Grasso slip-cueing erfunden habe (vgl. z.B. Goldman 1978: 115), belegen u.a. Cross (2003: 22,42) und Brewster/Broughton (2000: 149), dass diese Technik bereits im Radiodeejaying gängige Praxis war. 30 Das Problem, das allerdings Grasso zu Beginn seiner DJ-Zeit noch hatte war, dass er dieses Beat-mixing noch ohne Kopfhörer-Vorhöroption (cueing system) durchführen musste. Er musste die Platten daher äußerst genau, Takt für Takt, kennen, um die Stellen, an denen die Beats auf Taktschlag 1 anfangen, zu finden und die Nadel darauf zu platzieren. In Maestro erklären Grasso und D'Acquisto, dass sie ohne Kopfhörer gezwungen waren die Rillen der Platten zu 'lesen', um die passenden Stellen zu finden: hellere Stellen auf der Platte bedeuteten, dass an diesen Stellen Vokalparts begannen, während dunklere Stellen instrumental waren. Jedoch war dieses Beat-mixing noch äußerst rudimentär und eingeschränkt und die Fehlerwahrscheinlichkeit die nächste Platte nicht auf Beat 1 zu erwischen war äußerst hoch. Somit wurde es nötig, DJ-Equipment zu entwickeln, das es dem DJ ermöglichte bereits den neuen Song zu hören, während die Tänzer noch den alten Song über das Soundsystem hörten. Hierzu erfand Alex Rosner, ein Sound-Engineer, extra für Grasso den ersten DJ-Mixer, Rosie genannt. Dieser Mixer besaß u.a. drei Lautstärke-Schieberegler, mit denen drei Quellen angesteuert werden konnten – zwei Turntables und eine andere Audioquelle, z.B. ein Kassettendeck –, sowie einen Kippschalter, um wahlweise eine der drei Audioquellen über Kopfhörer zu hören. Somit konnte Grasso nun im Vorhörmodus (auch cueing-Modus genannt) über Kopfhörer mit dem einen Ohr den neuen Song vorbereiten, während er mit dem anderen Ohr auf den Song hörte, der über das Soundsystem lief; er konnte den Kippschalter drücken, damit das Audiosignal des zweiten Turntables wieder über das Soundsystem läuft und die Platte dann im richtigen Moment auf die 1 des neuen Taktes loslassen (vgl. Brewster/Broughton 2000: 153, Butler 2006:55, Cross 2003: 14-15,41-44, Lawrence 2003: 35-37, Poschardt 2001: 110, Ramos 2005: DVD 1, chapter 3, Shannon 1982: 251-53,257). Doch Grasso nutzte nicht nur das Beat-mixing als bloßen Übergang von einem Song zum anderen. Er benutzte auch Platten in Kombination miteinander und schuf somit neue Songs. Grasso nahm beispielsweise 2 Kopien derselben 45er Platte (z.B. You're the one von Little Sister) und dehnte dabei den ursprünglichen Song, indem er immer wieder einzelne Parts des Songs auf den beiden Turntables aneinanderreihte, was einen frühen Blueprint für das spätere Studio-Remixen17 darstellte. Auch blendete er zwei gleiche Platten, jeweils um einen Bruchteil versetzt, übereinander, so dass ein beeindruckender Echoeffekt entstand. Solche langen Überblendungen (overlay 17 Zum Remixen siehe Punkt 2.2.6. 31 blends) waren ein Markenzeichen Grassos und er ließ diese 2 Minuten oder noch länger gleichzeitig spielen, auch mit unterschiedlichen Platten. So legte er z.B. Robert Plant's laszives Stöhnen von Led Zeppelin's Song Whole Lotta Love über den Latin-Drum Break von Chicago Transit Authority's I'm a Man und formte damit aus zwei verschiedenen einen neuen, dritten Song, was für die Entwicklung der DiscoMusik ein äußerst wichtiger Meilenstein war: Vom Prinzip waren solche frühen Mixes Disco-Musik, bevor die Plattenindustrie überhaupt daran dachte solche Musik zu produzieren und Grasso prägte mit der Auswahl solcher Kombinationen die Stilästhetik von Disco, wie z.B. mit der Kombination Whole Lotta Love/I'm a Man, die eine Vorlage für spätere Discoproduktionen darstellte, mit ihrem Drum Break, den Latinperkussionelementen und dem sexuell aufgeladenen Gesangsgestöhne. DJs erfanden diesen Musikstil, indem sie mit neuen DJ-Techniken und Soundcollagen experimentierten (vgl. Brewster/Broughton 2000: 148-150, Cheren 2000: 119, Goldman 1978: 115, Jones/Kantonen 2000: 215, Lawrence 2003: 35-36, Poschardt 2001: 110, Shannon 1982: 250,256, Shapiro 2005: 28-29). Doch bei diesen langen overlay blends, die Grasso machte, ergaben sich neue Probleme. Natürlich hatten die meisten Songs verschiedene Tempi und da auf den Platten echte Schlagzeuger spielten und keine Drum-machines, gab es auch in den Songs selbst Temposchwankungen, die es äußerst schwierig machten, zwei Platten in Synchronisation zu halten. Grasso's Turntables hatten noch keine Pitchcontrol, mit der man das Tempo der Platten hätte anpassen können18. Zudem konnte man bei diesen Turntables auch nicht, während die Platten gespielt wurden, das Tempo nachjustieren, indem man mit der Hand den drehenden Plattenteller verlangsamte. Dies alles erlaubte die Technik noch nicht und Grasso's Kreativität beim Mixen waren noch erhebliche Grenzen gesetzt, denn somit waren längere overlay blends nur möglich, wenn der Beat der beiden Platten und die Länge der gewählten Abschnitte exakt übereinstimmten, wie es bei der Kombination Whole lotta love/I'm a Man der Fall war; und wenn man den richtigen Moment in dem die Beats zweier Platten gleichzeitig begannen verpasste, war der Mix gelaufen. Das Risiko solche Mixes zu machen war also extrem hoch, doch Grasso war, mehr noch als andere DJs, bereit, dieses Risiko einzugehen: “Nobody mixed like me. Nobody 18 Goldman (1978: 115) und Poschardt (2001: 110) schreiben zwar, dass Grasso's ThorensTurntables eine Pitchcontrol gehabt hätten. Sowohl Brewster/Broughton (2000: 149), als auch Lawrence (2003: 36) zitieren Grasso jedoch, dass er mit seinen Thorens-Turntables noch nicht die Geschwindigkeit anpassen konnte. 32 was willing to hang on that long. Because if you hang on that long, the chances of mistakes are that much greater” (Brewster/Broughton 2000: 148-149; vgl. Brewster/Broughton 2000: 148-150, Cheren 2000: 119, Goldman 1978: 115, Jones/Kantonen 2000: 215, Lawrence 2003: 35-36, Poschardt 2001: 110, Shannon 1982: 250,256, Shapiro 2005: 28-29). In der Folge machten technische Fortschritte im Bereich DJ-Equipment, das Mixen immer einfacher, kreativer und weniger fehleranfällig. War Grasso der erste gewesen der durch das Überblenden unterschiedlicher Platten mit identischer oder ähnlicher Beat-Geschwindigkeit, die Turntables als kreative Instrumente entdeckte hatte, knüpften seine 'Schüler' Michael Cappello und Steve D'Aquisto, denen Grasso seine DJ-Techniken beibrachte, an Grasso's Mixing-Techniken an und zeigten ein saubereres und schnelleres Mixen. Nichtsdestotrotz behielt das Mixen einen gewissen 'Hit-and-hope'-Charakter wie Nicky Siano feststellt: “Michael [Cappello] would put the needle down and hope for the best. Seventy percent of the time he would get there but 30 percent of the time it just didn't work out. I started doing it scientifically so I was there 90 percent of the time” (Lawrence 2003: 108). Siano legte seit 1972 in seiner eigenen Disco The Gallery auf. Um das Beat-mixing zu perfektionieren beauftragte er Alex Rosner, seine Turntables mit einer Pitchcontrol zu versehen, so dass Siano die Geschwindigkeit der Platten anpassen konnte. Siano konnte nun auch Platten mischen und übereinanderlegen, die in ihrer ursprünglichen Geschwindigkeit nicht zu synchronisieren gewesen waren, was wiederum neue kreative Möglichkeiten eröffnete, mit Musik und Sound zu experimentieren, zumal Siano 1974 den dritten Turntable im DJing einführte. Er nutzte ihn dazu, Soundeffekte, wie die Geräusche eines Flugzeugs, über die Anlage einzuspielen und dadurch seine Tänzer in noch größere Ekstase zu versetzen. Ein Problem das die Pitchcontrol allerdings mit sich brachte war – wie der Name schon sagt – die Tatsache, dass neben der Geschwindigkeit gleichzeitig auch die Tonhöhe (pitch) verändert wurde. Je schneller man die Geschwindigkeit einstellte, desto höher wurde die Tonhöhe der Platte und umgekehrt, und ab einem gewissen Faktor auch so, dass dieser Tonhöhenunterschied für die Tänzer hörbar wurde. Um dem entgegenzuwirken, konnte der DJ mit Hilfe der EQing-control auf seinem DJ-Mixer (zur Funktionsweise vergleiche die letzten beiden Abschnitte dieses Kapitels) die Tonhöhe ausgleichen, indem er je nach Geschwindigkeit mehr Bass, bzw. Höhen hinein, oder heraus mischte (vgl. Brewster/Broughton 2000: 150-152,166-167, Butler 33 2006: 55, Cheren 2000: 112-113, Cross 2003: 16-17, Lawrence 2003: 107-109,125, Shannon 1982: 252-253, Shapiro 2005: 37-38). Ein weiteres Problem der Turntable-Technologie war, dass durch die enorme Lautstärke und der damit verbundenen Vibration in Clubs, die tracking ability (d.h. die sichere Führung der Plattennadel durch die Plattenrillen) litt und die Nadel durchaus nicht selten aus der Rille sprang. Um dies zu verhindern, suchte David Mancuso nach Möglichkeiten die tracking ability von Turntables, sowie den Klang der Turntables zu verbessern. Ein Baustein hierzu wurde von Mitch Cotter erfunden, der an Mancuso's Turntable das konventionelle Gehäuse entfernte und durch ein 1.125 inch (~ 2,86 cm) dickes und 150 Pfund (~ 68 kg) schweres Fundament aus verschiedenen Metall- und Plastikschichten ersetzte, welches den Turntable vor akustischen Vibrationen abschirmte. Ein weiterer Baustein war, dass Mancuso den herkömmlichen Tonarm seines Turntables durch einen hochwertigen Fidelity Research-Tonarm ersetzte, der eine um 40% reduzierte 'lateral tracking error'-Rate (d.h. die Wahrscheinlichkeit, dass die Nadel aus der Spur läuft) hatte und besten, unverzerrten Sound selbst an den innersten Rillen der Platte, wo die Wahrscheinlichkeit von Führungsfehlern der Nadel am größten ist, gewährleistete. Zusätzlich verwendete Mancuso eine Art 'Stopfen', den er von oben auf den Stift des Plattentellers steckte, um die Stabilität der Platte zu erhöhen und er benutzte teure handgemachte Koetsu Onyx Sapphire-Plattennadeln. All diese Bausteine verbesserten das sichere Abspielen von Platten erheblich und sorgten für den erstklassigen Sound nach dem DJs wie David Mancuso suchten (vgl. Brewster/Broughton 2000: 157-58, Lawrence 2003: 237-39, Ramos 2005: DVD 2, chapter 1, Shapiro 2005: 33). Auch der bereits thematisierte DJ-Mixer erfuhr im Jahr 1971 eine Weiterentwicklung, welche den Mixing-Stil von UDM-DJs enorm beeinflusste. In diesem Jahr erschien der Bozak CMA-10-2DL, welcher der erste kommerziell erwerbbare DJ-Mixer war und der absolute Standard im Club-Betrieb wurde. Unter Mithilfe von Alex Rosner und Richard Long19 von Louis Bozak konstruiert, war dieser Mixer radikal anders, als der von Rosner entworfene Rosie. Während wichtige Merkmale, wie die Vorhöroption via Kopfhörer beibehalten wurden, wartete der Bozak mit Drehknöpfen (2 Drehknöpfe für die Turntables, 2 für Kasettendecks, sowie 2 für Mikrophone) an Stelle der Schieberegler (sliders) des Rosie-Mixers für 19 Neben Rosner DER Innovator und Tüftler in Bezug auf UDM-Soundsystems. 34 die Lautstärkeregelung auf, was sich charakteristisch auf das Mixing von UDM-DJs auswirkte, denn die Verwendung von Drehknöpfen drängte die DJs dazu langsame Übergänge zu machen, Musikschicht für Musikschicht schrittweise ineinander und übereinander zu mischen (sog. smooth slow mixing), während Schieberegler dafür prädestiniert sind abrupteres Mixing durchzuführen (sog. fast cutting, welches sich im HipHop durchsetzen sollte). Während sich heutzutage bei den meisten DJ-Mixern die Schieberegler wieder durchgesetzt haben, waren nahezu sämtliche wichtigen New Yorker Underground-Discos der 1970er Jahre mit Drehknopf-DJ-Mixern ausgestattet, so dass sich im Club-Betrieb dieses langsame Mixen durchsetzte und somit die Entwicklung der UDM grundlegend beeinflusste (vgl. Brewster/Broughton 2000: 153-154, Cross 2003: 16-28, Fikentscher 2000: 37,45, Rietveld 1998: 109, Shannon 1982: 247). Der ursprüngliche Grund, warum Bozak/Rosner/Long Drehknöpfe verwendeten, war, dass sie nach der bestmöglichen Audioqualität suchten. Wie David Mancuso waren diese drei Sound Engineers Audiophile und an perfektem Klang interessiert. Das Problem von Schiebereglern war, dass über den langen Spalt, durch den der Regler geschoben wurde, Schmutz eindrang und so die Schaltkreise des Mixers, und damit die Audioqualität, beeinflusst wurden. Zudem war die Lebensdauer von Drehknöpfen weitaus höher, als die von damaligen Schiebereglern, die im häufigen Gebrauch schnell verschlissen. Aus diesen Gründen kam die Verwendung von Schiebereglern für den Bozak-Mixer genauso wenig in Frage, wie die Verwendung eines Crossfaders, einem horizontal verlaufenden Schieberegler, der zusätzlich die Audioqualität beeinflusste, da das Audiosignal einen anderen Weg gehen musste. Der Crossfader fand vor allem Verwendung bei DJ-Mixern die im HipHop-Bereich eingesetzt wurden und ist dazu da, dem DJ den Übergang von einer Platte zur anderen zu erleichtern und schneller zu machen. Ohne Crossfader wird der Ablauf beim Mixen ungleich komplizierter: der DJ muss die zweite Platte starten, dabei langsam den Lautstärkeregler des ersten Turntables herunterdrehen, gleichzeitig den Lautstärkeregler des zweiten Turntables langsam aufdrehen, während er die Lautstärkebalance zwischen den beiden Songs beachten muss, so dass die Tänzer nicht durch einen zu abrupten Übergang gestört werden. Der Crossfader macht aus diesem Ablauf eine einzige Aktion, indem er die Lautstärke beider Turntables mit einem einzigen Regler verändert. D.h. verschiebt man den Crossfader, wird die Lautstärke des einen Turntables lauter, während die des Anderen leiser wird. Im 35 UDM-Mixing, bei dem langsame Übergänge gefragt sind, war allerdings der schnelle, unkomplizierte Übergang nicht so wichtig. Viel Wert legte man jedoch auf gute Audioqualität und darin waren der Bozak, sowie sein später erschienener Klon, der Urei 1620, die Flagschiffe auf dem Markt, weshalb im UDM-Kontext diese DJMixer Standard wurden – und somit auch eine andere Art zu mixen als beispielsweise im HipHop –, die zwar aufwändiger zu bedienen waren, aber besseren Sound boten (vgl. Brewster/Broughton 2000: 153-154, Cross 2003: 16-28, Fikentscher 2000: 37,45, Rietveld 1998: 109, Shannon 1982: 247). Der letzte wichtige Aspekt der bezüglich der Entwicklung von DJEquipment noch fehlt, ist das EQing. Der Bozak-Mixer hatte – neben den oben beschriebenen Funktionen – Drehknöpfe, mit denen sich Bass- und Höhenfrequenzen der gespielten Songs beeinflussen ließen (EQing controls). In Verbindung mit dem sog. Crossover in Club-Soundsystems, standen dem DJ nun ungeahnte Manipulationsmöglichkeiten zur Verfügung. Laut Nicky Siano wurde einer der ersten Crossover, der in Discos Verwendung fand, von Alex Rosner in Siano's Club The Gallery gebaut, nachdem er Rosner dazu aufgefordert hatte, ihm etwas zu bauen, womit er die einzelnen Soundbestandteile von Platten verändern könne20. Dieser Crossover funktioniert folgendermaßen: In einer herkömmlichen HiFi-Anlage sind Hochtöner, Mitteltöner und Tieftöner in ein Boxengehäuse integriert, in dessen hinterem Teil ein Kasten ist, den man den Crossover nennt. Dieser trennt bei einem ankommenden Audiosignal, bis zu einem gewissen Grad, die einzelnen Frequenzen (Bass, Mitten, Höhen) auf. Im modernen Club-Kontext muss man sich jedoch vor Augen führen, dass die einzelnen Töner nicht mehr in einen Speaker integriert, sondern separat sind. Es gibt mehrere Speaker für hohe Frequenzen (Tweeter), mehrere für mittlere Frequenzen, mehrere für tiefe Frequenzen (Woofer) und mehrere für Subbassfrequenzen (Subwoofer)21 und alle Speaker haben ihren eigenen 20 Siano behauptet sogar, er wäre der erste überhaupt gewesen der einen Crossover besaß. Dem widerspricht Tim Lawrence allerdings in seinem Buch, in dem er darlegt, dass Rosner und Long um 1972 herum bereits in Mancuso's Loft einen Crossover für Tweeter und für Subwoofer gebaut hatten und dieser wohl kurz darauf von Rosner ebenfalls in Siano's Club installiert wurde. Doch auch wenn Mancuso wahrscheinlich den allerersten Crossover hatte, es war mit Sicherheit Siano, der diesen zu seinem vollen Potential ausschöpfte, denn Mancuso war an möglichst purer Soundwiedergabe interessiert und verzichtete meistens vollkommen auf EQing (zumeist mixte er noch nicht einmal Platten), da er darauf Wert legte, dass der Song so gehört werde, wie der Künstler dies ursprünglich geplant habe (vgl. Brewster/Broughton 2000: 154,158, Katigbak 2006, Lawrence 2003: 90,102). 21 Allerdings hatten Siano und Mancuso zu Beginn lediglich separate Boxen für die hohen Frequenzen (Tweeter) und tiefen Frequenzen (Subwoofer), weshalb nur diese Frequenzen über den Crossover zu steuern waren. Eine Weiterentwicklung des Crossovers wurde von Richard Long Ende der 1970er in der Paradise Garage installiert. Dieser war ein 4-way-crossover und konnte 36 Verstärker; und man hat von den Boxen separate Crossover, welche die einzelnen Frequenzen eines Songs trennen und an die für das jeweilige Frequenzspektrum zuständigen Boxensets senden. Manipuliert man nun z.B. die Höhen und Tiefen am eigenen Ghettoblaster, oder an einem Autoradio, ist der Effekt lediglich der, dass der Gesamtsound des Songs ein wenig höher bzw. tiefer wird, denn alles läuft durch eine Box und einen Verstärker, und die Frequenzen werden nur bis zu einem bestimmten Maß verändert. Wenn der DJ allerdings den Crossover über die EQ-Knöpfe seines DJ-Mixers manipuliert (oder sogar manche Boxen ganz aus- und später wieder einschaltet), so ist der Effekt der, dass er ganze Songbestandteile komplett ausblenden kann (z.B. im Falle der tiefen Frequenzen die Bass Drum und den Bass), (vgl. Brewster/Broughton 2000: 167, Butler 2006: 53-54, Cheren 2000: 145, 209, Cross 2003: 16-17, Katigbak 2006, Lawrence 2003: 107-109, Podmore 2006: xxiiixxiv, Poschardt 2001: 243-44, Shannon 1982: 253-254, Shapiro 2005: 38-39). Dies ließ sich nun einerseits dazu verwenden um, wie bereits erwähnt, den Effekt der Pitchcontrol auf die Tonhöhe des Songs auszugleichen, oder um den Sound verschiedener Platten anzugleichen. Andererseits war nun im DJing ein Punkt erreicht, an dem der DJ Songs so manipulieren konnte, dass nahezu eigenständige neue Songs entstanden. Wie Grasso und andere DJs vor ihm griff Siano die Techniken, wie lange Overblends oder das ständige Vor- und Zurückspringen zwischen zwei gleichen Songs auf, nutzte aber zusätzlich die EQingcontrol bis zum Äußersten: “I would turn everything off except the tweeter arrays and have them dancing to tss, tss, tss, tss, tss, tss, tss, tss [d.h. die Hi-Hat, deren Frequenzen über den Hochtöner laufen] for a while. Then I would turn on the bass, and then I'd turn on the main speakers. When I did that the room would just explode.” (Lawrence 2003: 108). Dabei prägte Siano etwas, was zu einem definierenden Soundcharakteristikum der UDM werden sollte, nämlich den Break22. Einerseits war Siano immer auf der Suche nach Songs, die solche Breaks enthielten und verlängerte diese, indem er zwischen zwei gleichen Platten hin- und her mixte. Andererseits produzierte er mit Hilfe der EQing-control selbst solche Breaks, wie aus dem obigen Interviewausschnitt deutlich wird und beinflusste damit die Entwicklung der UDM in nicht unwesentlichem Maße (vgl. Brewster/Broughton 2000: 167, Butler somit nun Subbass-, Bass-, Mittel- und Höhenfrequenzen separat ansteuern (vgl. Lawrence 2003: 90, 102, Katigbak 2006, <http://www.agaragetribute.com/tech.html> 2007). 22 Der Break (oder Breakdown) ist der Moment in einem Song, bei dem sämtliche Instrumente aufhören zu spielen und (meistens) lediglich die Drum-/Perkussion-Instrumente weiterspielen, bis dann irgendwann wieder der Bass und die restlichen Instrumente dazu kommen. 37 2006: 53-54, Cheren 2000: 145, 209, Cross 2003: 16-17, Katigbak 2006, Lawrence 2003: 107-109, Podmore 2006: xxiii-xxiv, Poschardt 2001: 243-44, Shannon 1982: 253-254, Shapiro 2005: 38-39). 2.2.2. Entwicklung der Soundsystems Mit der Einführung der im letzten Kapitel angesprochenen DJ-Techniken und der Entwicklung des DJ-Equipments standen den UDM-DJs bis ca. 1973/74 nahezu alle wichtigen technischen Möglichkeiten zur Verfügung, die modernes DJing ausmachen. Doch auch im Bereich Club-Soundsystems gab es revolutionäre Entwicklungen, welche den UDM-Sound prägten. Viele dieser Innovationen gingen von David Mancuso aus, der eine klare Vision einer gewissen Klangästhetik hatte, die er mit Hilfe von Alex Rosner und Richard Long umzusetzen versuchte. Das Resultat dieser Zusammenarbeit stellte ein Soundsystem in Mancuso's erstem Loft23 (in 647 Broadway) dar, das neue Standards für Clubsystems setzte und dessen Konzept in der Folge von Rosner und auch Long in zahlreichen anderen New Yorker Discos umgesetzt wurde (z.B. in Nicky Siano's Gallery, oder 143 Reade Street, der Club in dem Larry Levan auflegte bevor Paradise Garage eröffnete). DJ Nicky Siano erinnert sich noch an seinen ersten Loft-Besuch und an die Außergewöhnlichkeit von Mancuso's Soundsystem: “I was 15 the first time I went to the Loft. I never heard a soundsystem before or since THAT good. And I'm not talking about 99 Prince Street, I'm talking about 647 Broadway, the original Loft” (Ramos 2005: DVD 1, chapter 6). Nun, was macht ein Soundsystem so besonders, dass ein DJ wie Nicky Siano, der in seinem Leben seitdem zahllose andere Clubs besucht und deren Soundsystems gehört hat, ca. 30 Jahre später behauptet, er habe niemals nach dem Besuch von David Mancuso's erstem Loft je wieder ein so gutes Soundsystem gehört? (vgl. Lawrence 2003: 89,102,197, Ramos 2005: DVD 1, chapter 2 & chapter 6). David Mancuso's erstes HiFi-Equipment, das er sich zulegte, nachdem er 1965 in das Loft in 647 Broadway eingezogen war, waren Klipschorn-Lautsprecher24, sowie ein McIntosh-Verstärker und AR Turntables – für die damalige Zeit eine Heim-HiFiAnlage bester Qualität. Doch erst als Mancuso die Zusammenarbeit mit Alex Rosner 23 Mancuso zog 1974 in ein anderes Loft in 99 Prince Street um (vgl. Lopez 2003). 24 Welche für ihre glasklare Soundwiedergabe geschätzt wurden und die er von Richard Long kaufte, mit dem ihn ein Freund namens Jimmy Miller bekannt gemacht hatte, was später in besagter Zusammenarbeit mündete (vgl Lawrence 2003: 6-7). 38 begann (etwa um 1971), sollte sich die Soundqualität herauskristallisieren, die Nicky Siano so bewunderte. Rosner hatte in den frühen 1960er Jahren als ein Hobby begonnen, an Stereo-Soundsystems herumzubasteln. Diesem Hobby ging er so erfolgreich nach, dass er beauftragt wurde, für zwei Stände der Weltausstellung 1964-65 die ersten Stereo-Disco-Soundsystems der Welt zu bauen (Soundsystems zuvor waren, laut Rosner's Aussage, ausschließlich Mono) und er begann auch bald New Yorker Clubs, wie das Haven (ein weiterer Club in dem Francis Grasso auflegte), oder das Sanctuary mit solchen Stereo-Soundsystems auszustatten. Rosner hatte also die Erfahrung die es brauchte, um aus Mancuso's Heimanlage ein HighEnd-Discosoundsystem zu machen: “I knew where to put the loudspeakers. I knew how many to use and how to make it sound good” (Brewster/Broughton 2000: 157). Er versorgte Mancuso nur mit den besten Audiokomponenten, verkaufte an ihn seine Cornwalls-Lautsprecher (Klipschorns, die so gebaut sind, dass sie genau in die Ecke einer Wand passen) und platzierte diese so, dass sie nicht nur den Sound abgaben, sondern dieser gleichzeitig reflektiert wurde, so dass der ganze Raum mit Klang ausgefüllt wurde, wofür Mancuso's Broadway Loft, mit einer Größe von etwa 7,60m x 30,50m und 4,25m hohen Decken, besonders gut geeignet war, wie Nicky Siano berichtet. Dies war wohl einer der Gründe, warum der Klang für Siano so einzigartig und nicht kopierbar war, denn jeder Raum hat eigene Klangeigenschaften und die Kombination Soundsystem/Raum des Loft schien quasi füreinander geschaffen25 (vgl. Brewster/Broughton 2000: 153, 156-158, Lawrence 2003: 7-10,88, Lopez 2003). 1972 nahm die Soundsystem-Revolution, welche Siano so beeindruckt hatte, mit Mancuso's visionärer Idee weitere Hochtöner (Tweeter) zu installieren, Gestalt an. Er forderte Rosner auf, ihm 8 zusätzliche separate Hochtöner für sein Soundsystem zu installieren (herkömmliche Lautsprecher haben lediglich einen einzigen integrierten Hochtöner), um mehr Schärfe in die hohen Frequenzen zu bekommen, die nach Mancuso's Ansicht auf manchen Platten schlichtweg zu flach klangen und auf Grund des Geräuschpegels während der Party oftmals geschluckt wurden. Rosner dachte zu 25 Ein Beispiel dafür, dass jede Räumlichkeit ihr spezifisches, perfekt auf den Raum abgestimmtes Soundsystem braucht, ist Nicky Siano's Gallery, welches von der Räumlichkeit wesentlich größer war als Mancuso's Loft und deshalb mehr Hall erzeugte. Somit wurde es nötig das revolutionäre Soundsystemkonzept des Lofts (welches im nächsten Abschnitt erklärt wird) leicht zu modifzieren: Während die Tweeter-Gruppen, die Subwoofer, sowie der Crossover ohne Probleme übernommen werden konnten, waren die Klipschorn-Lautsprecher nicht ausreichend für die Größe des Raumes, weshalb Rosner in der Gallery stattdessen mehrere ALTEC Lansing Voice-Lautsprecher benutzte (vgl. Lawrence 2003: 102). 39 Beginn, dass diese Idee nicht funktionieren würde, da der Gesamtklang zu viele Höhen bekommen würde. Doch Mancuso setzte sich durch und als Rosner später das Ergebnis hörte, musste er einräumen, sich geirrt zu haben. Rosner installierte in Mancuso's Loft 8 JBL Tweeter, die er, nach Mancuso's Vorstellung, genau über dem ca. 5,80m x 13,10m großen Dancefloor anordnete. Doch nicht etwa so, dass die Lautsprecher direkt nach unten gerichtet waren und somit den Klang unmittelbar auf die Tänzer projizierten, sondern Rosner ordnete die Tweeter kreuzförmig an, so dass jeweils zwei Paare den Klang in jede Himmelsrichtung nach außen abstrahlten. Durch diese Anordnung wurde die Illusion erzeugt, dass das komplette Soundspektrum (nicht nur die Höhen) einer Platte direkt vom Zentrum der Tanzfläche käme, was die Klangintensität enorm erhöhte (vgl. Brewster/Broughton 2000: 157-158, Lawrence 2003: 10,87-91, Ramos 2005: DVD 1, chapter 6, Shapiro 2005: 33). Allerdings stellte sich nun das Problem, dass manche Platten, die mit wenig Bassfrequenzen aufgenommen worden waren, mit der Tweeter-Anordnung zu höhenlastig klangen, weshalb sich Mancuso dazu entschied, Richard Long damit zu beauftragen ihm Vega Bass Bottom Speaker (in anderen Worten separate Subwoofer) zu kaufen und in sein Soundsystem zu integrieren. Diese Basslautsprecher hatten einen solch enormen Effekt, dass sie nicht nur akustisch zu hören, sondern auch physisch wahrzunehmen waren und trugen zu einer Klangästhetik von UDM bei (einerseits bereits auf Produktionsebene, indem Bass Drum und Bass in der Folge verhältnismäßig laut aufgenommen wurden, als auch im späteren Klubkontext), die darauf zielte Bass und Bass Drum körperlich spürbar zu machen. Zudem waren Woofer und Tweeter nun nicht mehr standardmäßig in ein Boxenset integriert, sondern sie waren nun separate Bausteine, wodurch das im letzten Kapitel angesprochene Spiel mit dem Crossover erst ermöglicht wurde. Mancuso hatte nun ein Soundsystem, welches im Nachtleben New Yorks seines Gleichen suchte und dieses Soundsystem bescherte Mancuso und seinen Tänzern, dass man Songs in Mancuso's Loft anders wahrnahm, als beim bloßen Abspielen auf irgendeinem qualitativ minderwertigem Disco-Soundsystem. Dies führte dazu, dass Mancuso Song-Juwelen auf seinem Soundsystem entdeckte, die sonst kaum jemandem zu Gehör gekommen wären, da sie auf anderen Anlagen einfach nicht gut klangen, was wiederum der Entwicklung der UDM andere Wege eröffnete (vgl. 40 Brewster/Broughton 2000: 157-158, Lawrence 2003: 10,87-91, Ramos 2005: DVD 1, chapter 6, Shapiro 2005: 33). Der Standard für Soundsystems war gesetzt und in den folgenden Jahren trieben vor allen Dingen Nicky Siano, mit seiner Art und Weise die Subwoofer durch EQing in seinem DJing einzusetzen und Richard Long als Soundsystem-Designer besagte Klangästhetik, welche die Bassfrequenzen in den Vordergrund stellte, weiter voran. In David Mancuso's Loft hatte diese Ästhetik ihren Anfang genommen, mit der Installation separater Subwoofer und Siano und Long forcierten sie in der Folge konsequent weiter. Long experimentierte seit 1974 in seinem eigenen Club, SoHo Place mit Larry Levan als DJ, an der Entwicklung eigener SoundsystemKomponenten mit einer speziellen (beiderseitigen) Vorliebe für Bassfrequenzen. Seine Vorstellung war die eines physischen Bass-Sounds und er vermittelte dieses Ideal auch den DJs mit denen er zusammenarbeitete: “Bass should be felt and not heard”, wie er Larry Levan immer sagte (Fikentscher 2000: 85). Da SoHo Place sein eigener Club war, war dies der ideale Ort, um ständig neue Entwicklungen an den Soundsystems zu testen und laut Richard Long's damaligen Freund Mike Stone wurde Long ab Mitte der 1970er der gefragteste Mann im Soundsystembusiness (vgl. Brewster/Broughton 2000: 167, Cheren 2000: 145, 169, Lawrence 2003: 133-34, Shapiro 2005: 38-39). Mit Long's Konstruktion des Soundsystems der Paradise Garage fand die SubbassÄsthetik schließlich ihre extremste Formulierung. Extra für diesen Club designte Long spezielle Subbass-Lautsprecher, die Levan Horns, welche ein zuvor nie da gewesenes Drucklevelspektrum im Subbassbereich bis 30Hz produzieren konnten und mehr Power besaßen als 4 Klipschorn-Lautsprecher zusammen. Zeitweilig (auf Grund ständiger Umbauten der Garage zu Anfangszeiten änderte sich das Soundsystem ständig) hatte die Paradise Garage eine Soundsystemkonfiguration von 4 Levan Horns, sowie zusätzlich 4 kleineren Subwoofern und 4 WalldorfBasslautsprechern – diese Lautsprecher für Subbass- und Bassfrequenzen wurden ergänzt durch 4 Ultima-Lautsprecher, welche das volle Frequenzspektrum repräsentierten und 6 Tweeter-Gruppen mit je 4 JBL-Hochtönern, d.h. 24 Tweeter insgesamt. Zudem installierte Long für Levan eine sog. DBX Boom Box, um dem Bass am Abend noch einen zusätzlichen Schub geben zu können26. Dies alles 26 Die DBX Boom Box erlaubt es dem DJ, die Bassfrequenzen einer Platte um noch einmal eine komplette Oktave unter der sonstigen Klangausgabe des Soundsystems zu spielen (vgl. Shannon 1982: 159). 41 resultierte in einem extrem physisch spürbaren Sound, der sogar schon an der Eingangsrampe der Paradise Garage zu spüren war und die Lust zu tanzen bei den Ankömmlingen verstärkte, wie eine Besucherin berichtet: “The music was so loud, louder than anything I had ever heard. I felt the bass register of sound reverberating through my chest, had felt it since I began walking up the entrance ramp. I wanted to dance” (Fikentscher 2000: 86). Hierzu ist zu ergänzen, dass tiefe Frequenzen offenbar einen Stimulus für das Tanzen darstellen. UDM-Tänzer reagieren bevorzugt auf die Bassfrequenzen der Bassline und der Drums wie ein weiterer Tänzer erklärt: “What gets me are the drums and basslines ... What propels me are the syncopations between the drums and the bass” (Fikentscher 2000: 87; vgl. Fikentscher 2000: 8587, Garratt 1999: 28, Shannon 1982: 159, Shapiro 2005: 267, <http://www.agaragetribute.com/tech.html> 2007). 2.2.3. Lightingsystems und sonstiges Equipment in Clubs Das Ziel eines guten DJs ist es, die Tänzer auf eine musikalische und atmosphärische Reise zu nehmen. Eine Reise in ein Traumland, ein Land abseits der profanen Alltagswelt, welches die Tänzer allen Druck und alle Sorgen ihres Alltags vergessen lässt27. Eine Reise auf welcher UDM's herausragendste DJs wie David Mancuso oder Larry Levan versuchten verschiedene Stimmungen zu erzeugen (daher auch häufig die Bezeichnung des DJs als 'mood manipulator', vgl. Rietveld 1998: 109), Botschaften über die Auswahl und die Verknüpfung bestimmter Songs zu vermitteln, und für jeden Song eine eigene Atmosphäre zu schaffen. Mancuso als auch Levan waren Meister darin, die Tänzer über verschiedenste Mittel in eine aural, visuell und taktil ansprechende Umgebung zu entführen28. Diese Mittel sind natürlich die Musik selbst (aural), die bereits angesprochene physische Fühlbarkeit der Musik (taktil)29, 27 In Clubs wie dem Loft oder der Paradise Garage waren auch keine Uhren aufgehängt und in der Garage oder dem Continental Baths gab es nicht einmal Fenster durch die Tageslicht hätte einfallen können, so dass man in diesen Clubs vollkommen das Zeitgefühl und die äußere Welt vergaß und in die Traumwelt verführt wurde: “Once you walked into the Loft you were cut off from the outside world. You got into a timeless, mindless state” (Mancuso über sein Loft, Lawrence 2003: 24; vgl. Bidder 2001: 4, Lawrence 2003: 24,129). 28 Dazu ist es natürlich nötig, dass der DJ die komplette Kontrolle über das Clubumfeld besitzt (d.h. Kontrolle über das Soundsystem, die Lichtanlage, etc.), um atmosphärische Kontrolle über die Tänzer (crowd control) zu erlangen. Über diese Möglichkeiten verfügten DJs wie David Mancuso oder Larry Levan und damit standen ihnen ganz andere Wege offen die Tänzer zu beeinflussen, als sie beispielsweise einem Gast-DJ in einem Kölner Club offen stehen, der in den 1-2 Stunden die er spielt wahrscheinlich lediglich die Kontrolle über seine eigenen Turntables und evtl. über das Soundsystem hat (vgl. Brewster/Broughton 2000: 300, Lawrence 2003: 100, Tremayne 2005). 29 Diese physische Fühlbarkeit wird zudem durch den Einsatz entaktogener Drogen verstärkt. D.h. Drogen, welche die Empfänglichkeit des menschlichen Körpers für taktile Reize erhöhen, wie z.B. 42 als auch der Einsatz von Lichteffekten (visuell) und anderer Stimuli, wie Videoscreens oder die Manipulation der Raumtemperatur, wie im letzten Teil dieses Kapitels beschrieben wird. Im Kontext einer Clubnacht wird die Umgebung dabei so erzeugt, dass aurale und taktile Reize dominieren, während dem visuellen Sinn eher eine untergeordnete Stellung zukommt. Dieser wird sogar vielmehr durch Lichteffekte verschleiert und die herkömmliche, visuelle Alltagsumgebung verliert sich vollkommen in einer solchen Traumwelt. Es ist wichtig zu erkennen, dass UDM zumeist innerhalb dieses vielströmigen Clubumfeldes stattfindet, bzw. konsumiert wird, denn das Erleben der Musik wird dadurch entscheidend geprägt. Die Erfahrung einer Clubnacht für den Tänzer kommt dabei einer ständigen sensorischen Überstimulation gleich, welche in Zusammenhang mit anderen Faktoren, wie zu wenig Schlaf und Drogen, den Körper an seine Grenzen heranführt und in einem tranceartigen Zustand resultieren kann und mit ein Grund ist für die Verbindung, die viele Tänzer zwischen Tanzen und Spiritualität ziehen (vgl. Cheren 2000: 110, Fikentscher 2000: 23, Lawrence 2003: 86,100,289, Ramos 2005: DVD 1, chapter 1, Rietveld 1998: 100,109,166,172,176, Rietveld 2004: 53,212, Tremayne 2005). Die anfängliche 'Lightshow' in Underground-Discos fiel zumeist noch äußerst spartanisch aus. Frühen DJs, wie Terry Noël, standen lediglich ein paar bunte Glühbirnen zur Verfügung, die sie in Sequenzen wie z.B. Grün-RotGrün-Rot-Gelb passend zur Musik ablaufen ließen. Auch David Mancuso's Loft hatte keine professionelle Lichtanlage. Doch die Art und Weise wie diese frühen DJs es verstanden, aus ihren geringen Mitteln eine Atmosphäre zu erzeugen, indem sie im richtigen Moment die richtige Kombination von Effekten zusammenlegten, ist bemerkenswert, wie DJ Frankie Knuckles berichtet: “David would get very atmospheric. He could have the most incredible energy going on in the room, and then all of a sudden he would create a tropical rainstorm. The room would be completely blacked out, and you would hear [über das Soundsystem] this crackling of thunder and rain, which became louder and louder. It was hot, and everybody would be standing there, some half-naked, whistling and screaming. Then you heard this wind blowing, and after a short while you would also start to feel it because he turned these fans on ... and if you were on acid it wasn't your imagination – this shit was real” (Lawrence 2003: 86). Ein ganz wichtiges Accessoire, welches auch schon MDMA (heute eher unter dem Namen Ecstasy bekannt). Mehr hierzu unter Punkt 2.2.4. (vgl. Rietveld 1998: 166). 43 David Mancuso zur Verfügung stand war zudem der Mirror Ball, welcher zu einem der wichtigsten Symbole der 1970er Jahre Disco werden sollte. Ein Mirror Ball besteht aus zahlreichen Licht reflektierenden Fragmenten, welche jedwedes auf sie gestrahlte Licht aufspalten und, während der Ball sich dreht, unzählige sanfter Lichtschnuppen über den Raum verteilen, so dass die Tänzer in einem elegant fließenden, verträumten Licht gebadet werden. Die Rotationsgeschwindigkeit des Mirror Balls kann dabei variiert werden, was sich Mancuso zunutze machte, indem er, je nachdem auf welchem Energielevel oder in welcher atmosphärischen Phase der Party man sich gerade befand, den Mirror Ball entweder still stehen, langsam oder schnell rotieren ließ, oder in einen automatischen Modus umschaltete (vgl. Goldman 1978: 51, Joe 1980: 18-19, Lawrence 2003: 26,86, Rietveld 1998: 103). Einer der ersten Underground-Clubs, der auf professionelle Lichtsysteme zurückgriff, war Nicky Siano's Gallery, dessen Lichtanlage von Robert DeSilva mit Unterstützung von Siano selbst designt wurde. Dieses Lichtsystem kontrollierte Siano innovativer Weise über in der DJ-Booth installierte Fußpedale und neben den obligatorischen Mirror Balls, besaß es unter anderem auch eine bahnbrechende 3lagige Lichtinstallation, welche vom Dancefloor aus gesehen einen imposanten räumlichen Effekt produzierte, da man den Eindruck hatte als verschwinde das ausgestrahlte Licht geradewegs in der Decke. Die Eröffnung der Paradise Garage 1977 schließlich setzte mit seinem ausgereiften Lichtsystem nicht nur im Bereich Undergroundclubs Maßstäbe, sondern laut der Aussage eines der Lichttechniker der Garage im gesamten Nachtleben New Yorks. Auf Grund des Ausmaßes und der damit verbundenen Komplexität des Systems (alleine die Lichtausstattung des Dancefloors setzte sich aus 730 einzelnen Beleuchtungsbausteinen zusammen), wurde die Beleuchtungsanlage zumeist von Robert DeSilva – dem früheren Designer von Nicky Siano's Lichtsystem – bedient. Levan hatte jedoch ein zweites Kontrollsystem in seiner DJ-Booth und wenn er gerade in der Stimmung dazu war, übernahm er die Kontrolle der Lichter von DeSilva und führte die Tänzer eigenhändig durch das Lichterspiel der Garage (vgl. Brewster/Broughton 2000: 167, Lawrence 2003: 134-135, 359, Shapiro 2005: 37, <http://www.agaragetribute.com/tech.html> 2007). Die Haupteffekte dieses Lichtsystems lassen sich in 4 Kategorien einteilen: Color Washes (farbige Lichtflutungen), Streak Effects (d.h. Spotlight Effekte), Psych Effects (psychodelische Lichteffekte), sowie Mood Lighting (atmosphärische 44 Effekte). Die Color Washes wurden mittels 32 farbiger, ca. 4,26m großer Fluter produziert, deren Aufgabe es war, eine möglichst große Fläche des Dancefloors in ein Farbenmeer zu hüllen. Im Gegensatz dazu dienten die (ebenfalls bunten) Spotlight Effekte dazu, mittels kurzer Lichtstöße das Farbenspiel der Color Washes komplementär zu akzentuieren, oder auch um bestimmte Bereiche des Dancefloors direkt anzustrahlen und hervorzuheben. Zu diesem Zweck hatte die Garage unter anderem 9 große ringförmige Konstruktionen solcher Spotlight-Strahler (diese waren fest fixiert und konnten also nur auf einen bestimmten Punkt gerichtet werden) über die Decke verteilt, um auf dem gesamten Dancefloor bestimmte Bereiche direkt anstrahlen zu können. Zudem wurden so genannte 'Spinner' verwendet. Diese produzierten, wie die fixen Spotlight-Strahler, einen intensiven direkten Strahl, konnten aber (wie das englische Wort to spin=drehen schon andeutet) um 360 Grad um die eigene Achse rotieren. Die Psych Effects wurden mittels Stroboskop-Licht 30 hergestellt. Hierfür gab es zum Einen 12 so genannter 'Super Strobes', welche einen besonders lichtintensiven Effekt hatten und in den Farben weiß und gelb zur Verfügung standen. Zum Anderen standen in der Garage 'Egg Strobes' zur Verfügung, die feiner waren und nicht ganz so viel Lichtintensität erzeugen konnten (vgl. Brewster/Broughton 2000: 167, Lawrence 2003: 134-135, 359, Shapiro 2005: 37, <http://www.agaragetribute.com/tech.html> 2007). Unter die letzte Kategorie, das Mood Lighting, fallen die ca. 75cm großen Mirror Balls, welche große Strahler in 6 verschiedenen Farben auf sich gerichtet hatten, die bei Bedarf einzeln angeschaltet wurden und den Dancefloor mit tausenden bunter, langsam dahingleitender Lichtschnuppen bedeckte. Weitere atmosphärische Effekte waren die Black Lights, sowie die Gobo-Rotators. Das Schwarzlicht ist nahezu selbsterklärend und lässt sich am besten als eine Art bläuliches/ultraviolettes Neonglühen beschreiben. Die Gobo-Rotators dagegen waren breit gefächerte, farbige Spotlights, die in einem sehr langsamen Tempo hin und her schwangen und dabei bestimmte Teile des Dancefloors elegant mit verschiedenfarbigem Licht bedeckten. Somit standen dem Team der Paradise Garage eine Unmenge an Möglichkeiten und Lichtkombinationen zur Verfügung, die sie einsetzen konnten, um zum Gesamterlebnis beizutragen und die Musik effektvoll zu unterstützen (vgl. 30 Stroboskop-Licht wird mittels ganz schnell hintereinander geschalteter Lichtblitze erzeugt und hat den Effekt, dass sich Menschen, die sich innerhalb dieses Lichts bewegen, in Zeitlupe zu bewegen oder ganz still zu stehen scheinen. 45 Brewster/Broughton 2000: 167, Lawrence 2003: 134-135, 359, Shapiro 2005: 37, <http://www.agaragetribute.com/tech.html> 2007). Levan baute in der Paradise Garage jedoch nicht nur über das Spiel mit Sound und Licht eine ekstatische Atmosphäre auf, sondern er ließ auch über einen installierten Videoscreen Filmausschnitte ablaufen, die thematisch mit dem gerade gespielten Song korrespondierten: “He [Levan] was playing [the song] Release ... And, yo, the crowd gonna, I'll never forget this, the crowd just gonna crazy. And it was like: 'Release yourself, re-re-re-re-re-re-re-re-release', and everybody screaming. And then he had like this big screen and he had the beginning part of [the movie] When doves cry, and he had the dove, and the music going like: 'Release yourself', and you'd see the dove crashing through the door and ... then it'd go right back in and the door is shutting ... And he did this for a long time to the point where everybody started screaming ... 'Let it go, let it go' ... because the bird wanted to get released ... Yo, it was crazy man, it was just beautiful to watch” (DJ Antonio Ocasio über eines seiner Erlebnisse als Besucher der Paradise Garage; Ramos 2005: DVD 1, chapter 1). DJs verwendeten zudem auch unkonventionellere Methoden als Videoscreens, um dem Publikum im wahrsten Sinne des Wortes einzuheizen. Als letztes Beispiel dafür soll ein weiteres Mal Larry Levan dienen. In dem Club 143 Reade Street (der sich in einer ehemaligen Fabrik befand und dessen Dancefloor in dem alten Kühlraum der Fabrik errichtet worden war), in welchem Levan auflegte, bevor er DJ der Paradise Garage wurde, begann er die Temperaturkontrolle des Kühlraums für sich zu entdecken. Diese erlaubte es ihm innerhalb weniger Minuten die Temperatur des Raumes auf tropische Hitze ansteigen oder arktische Kälte fallen zu lassen. In Verbindung damit verwendete er eine Soundeffektplatte namens Four Seasons von Walter Carlos, welche Windgeräusche und ähnliche Effekte beinhaltete. Mit diesen ungewöhnlichen Maßnahmen schaffte es Levan ein ums andere Mal seine Tänzer, sowohl akustisch als auch klimatisch, auf eine imaginäre Reise durch die Jahreszeiten zu schicken. In der Tat die Schaffung einer ekstatischen, alle Sinne ansprechenden Traumwelt, die über das bloße Hörerlebnis weit hinausging (vgl. Cheren 2000: 145, Garratt 1999: 17, Lawrence 2003: 197, Ramos 2005: DVD 1, chapter 1, Shapiro 2005: 269). 46 2.2.4. Einschub: UDM und der Gebrauch von Drogen Durch den exzessiven Gebrauch aller denkbarer Drogen, wurden die visuellen, akustischen und taktilen Reize, die in Underground Clubs herrschten, noch verstärkt und bei den meisten Tänzern waren sie willkommene Hilfsmittel, um Alltag und Realität hinter sich zu lassen und in die gewünschte Traumwelt zu gelangen. Der Genuss von Alkohol wurde in Underground Clubs vermieden, da dessen Wirkung die Körperkoordination auf unerwünschte Weise beeinflusst und dem Bestreben, die Tänzer auf emotionaler Ebene gleichzuschalten eher entgegen wirkt, sowie die Dehydrierung31 des Körpers beschleunigt32. Demgegenüber wurden Drogen in sämtlichen bekannten Underground Clubs von Tänzern benutzt, da sie ihnen ein illusionäres Gefühl der geistigen Offenheit, der Intensivierung und des emotionalen Miteinanders verschaffen konnten, wie der Clubber Jorge La Torre bestätigt: “If other people were high then you could tap into this source and make it a shared experience” (Lawrence 2003: 290). Egal ob im Sanctuary, welches laut Albert Goldman einem Supermarkt für Drogen glich, oder im The Gallery, im Loft und der Paradise Garage (in denen es auch üblich war den kostenlosen Fruchtpunsch mit LSD anzureichern) – in den Underground Clubs waren nahezu alle Arten von Drogen vertreten: Cannabis, LSD, Kokain, Speed, Poppers, MDA, Quaaludes (beide der Droge Ecstasy sehr ähnlich) und in den 1980ern Ecstasy selbst (vgl. Bidder 2001: 5, Cheren 2000: 106,133, Garratt 1999: 14-15,22-23, Goldman 1978: 116, Lawrence 2003: 67,135,198,290, Lewis 1998, Rietveld 1998: 112-113,164,176,179,185,187, Shapiro 2005: 29-31, Wilson 2006: 45). Um die von La Torre angesprochene gemeinsame Erfahrung hervorzurufen, ging Nicky Siano in seinem Club The Gallery sogar so weit, dass er die späteren DJs Frankie Knuckles und Larry Levan (die anfangs beide in The Gallery als Helfer arbeiteten) am Eingang des Clubs jedem Besucher einen Streifen LSD 25 in den Mund legen ließ, um zu gewährleisten, dass jeder auf demselben Drogentrip war. Frankie Knuckles schildert in diesem Zusammenhang die wahrnehmungsverändernde Wirkung der Droge auf die Sinnesorgane, welche sich bei ihm bemerkbar machte, obwohl er sie gar nicht selbst eingenommen hatte, sondern diese 31 Um der Dehydrierung vorzubeugen, wurden statt dessen in Clubs, wie der Paradise Garage oder dem Loft, kostenlos Fruchtsäfte, Wasser, Obst, Doughnuts und ähnliches angeboten (vgl. Garratt 1999: 22, Rietveld 1998: 183-184). 32 Clubs umgingen zudem mit dem Verzicht auf Alkoholausschank die gesetzlichen Regelungen der Liquor Comission der Stadt New York, wodurch sie die ganze Nacht über geöffnet bleiben konnten (vgl. Cheren 2000: 106). 47 lediglich im Verlauf der Nacht, über Haut und Schweiß absorbierte: “Halfway through the night, all of a sudden I just got this rush, and everything just completely turned around. The music amplified, the feeling of the music amplified, and just visually everything had intensified” (Garratt 1999: 15). Viele der angesprochenen Drogen haben solche bewusstseinsverändernde Wirkungen, aber sie dienen auch schlichtweg dazu Hemmungen abzubauen, sowie neue Energie zu geben. Im folgenden Teil dieses Kapitels sollen die Wirkungsweisen der angesprochenen Drogen näher erläutert werden (vgl. Bidder 2001: 5, Cheren 2000: 106,133, Garratt 1999: 14-15,22-23, Goldman 1978: 116, Lawrence 2003: 67,135,198,290, Lewis 1998, Rietveld 1998: 112-113,164,176,179,185,187, Shapiro 2005: 29-31, Wilson 2006: 45). Cannabis wird in der UDM-Szene in erster Linie während der 'Chill out'-Phasen geraucht. Es wird der Droge nachgesagt, dass sie sowohl die Wahrnehmung von Farben, als auch von Musik beeinflussen und intensivieren soll, was im akustischen und visuellen UDM-Umfeld selbstredend eine besondere Wirkung entfaltet. In Synergie mit Ecstasy stellt sich zudem ein Gefühl der inneren Gelassenheit und gegenseitigen Verbundenheit ein. Das bereits besprochene LSD beeinflusst die sensorische Wahrnehmung noch wesentlich mehr, als das vergleichsweise moderat ansprechende Cannabis. Je nach Dosis kann der bewusstseinsverzerrende Effekt der Droge gewohnte Wahrnehmungsstrukturen gänzlich auflösen und den Tänzer in eine surreale, psychedelische Traumwelt versetzen. In Verbindung mit Ecstasy lässt sich der halluzinatorische Effekt noch verstärken und der Konsument so stark beeinträchtigen, dass er seine Umgebung nur noch als eine bizarr fragmentierte, wie durch ein Kaleidoskop betrachtete, glückselige Cartoonlandschaft wahrnimmt. Sämtliche Hemmnisse fallen ab und der Clubgänger ist bereit, sich vollkommen der Musik hinzugeben und sich von ihr leiten zu lassen. Darüber hinaus sind sowohl Cannabis, als auch LSD verhältnismäßig billig33 und der Effekt von LSD hält mit einer Dauer von 6-12 Stunden sehr lange an (vgl. Cheren 2000: 106, Collin 1997: 2731,37, Garratt 1999: 23, Rietveld 1998: 166,176-181,185-187). Kokain hingegen verschafft dem Konsumenten einen kurzweiligen Energieschub von 20-30 Minuten, indem es das Nervensystem zeitweilig betäubt und 33 Um ein Verhältnis herzustellen, in den späten 1980ern kostete ein Streifen LSD (der zudem ausreicht um zwischen 4 Personen geteilt zu werden) umgerechnet ca. £5, während z.B. Kokain mit einem Preis von £50 pro Gramm um ein vielfaches teurer war, weshalb es im Kontext von UDM sicherlich eher selten konsumiert wurde, aber nichtsdestotrotz in Clubs wie dem Loft vertreten war, wie Mel Cheren attestiert (vgl. Cheren 2000: 106, Rietveld 1998: 178-179). 48 so dem Körper vorgaukelt, er habe endlose Energiereserven zur Verfügung. Als Alternative wurde zumeist das wesentlich billigere (zwischen £8-£12 pro Gramm) und in der Wirkung sehr viel länger (ca. 8 Stunden) andauernde Speed genommen. Mit Hilfe von Speed gelingt es dem Tänzer über einen langen Zeitraum auf die latenten Energiereserven des Körpers zurückzugreifen, da Speed – wie Adrenalin – dem Körper suggeriert, er wäre in einer Stress- oder Angstsituation; als Reaktion darauf werden die Energiereserven des Körpers angezapft. Die sog. Poppers (eine chemische Droge aus Amyl-, Butyl-, oder Isobutyl-Nitraten) erfreuten sich in der homosexuellen dance music-Szene besonderer Beliebtheit und Mel Cheren berichtet, dass die Tanzfläche des Loft häufig mit den kleinen Behältern, in welchen die zu inhalierende Droge geliefert wurde, übersät war. Die Wirkung der Droge ist nur von äußerst kurzer Dauer und versetzt den Konsumenten in einen ausgeprägten Zustand emotionaler und sexueller Erregung, in welchem die Wahrnehmung intensiviert wird und der Clubgänger sich förmlich eins fühlt mit der Umgebung (vgl. Cheren 2000: 106, Collin 1997: 27-31,37, Garratt 1999: 23, Rietveld 1998: 166,176-181,185-187). Zu guter Letzt wären noch die mit Ecstasy vergleichbaren Quaaludes und MDA, sowie Ecstasy selbst (oder auch MDMA genannt) zu betrachten. Seit den 1980ern im Umlauf, ist Ecstasy eine auf Amphetaminen basierende Droge, welche bestimmte Nervenenden dazu veranlasst den Neurotransmitter Serotonin auszuschütten, der den Menschen in Euphorie versetzt. MDMA hat zudem ausgesprochen starke emphatische und entactogene Effekte auf den Konsumenten. Entactogen heißt, dass der Körper auf Berührungsreize bewusster und empfänglicher reagiert, was im Clubkontext wesentlich stärker zum tragen kommt, als anderswo. Laut Hillegonda Rietveld werden zudem vermutlich polymorphe sexuelle Gefühle induziert (vgl. 1998: 181). Mit anderen Worten, Clubber scheinen offener dafür zu werden mit geschlechtsspezifischen Identitäten zu spielen, und in der Gemeinschaft aufzugehen und sich zu verlieren. Damit haben wir auch bereits den zweiten Effekt der Droge angeschnitten – die emphatische Wirkung. Matthew Collin gibt die Bedeutung des Wortes 'Emphatie' als “... the sensation of experiencing someone else's feelings as your own“ an (Collin 1997: 27). Das bedeutet, dass sich die eigene Identität zunehmend mit denen Anderer vermischt und quasi ein unsichtbares Band von Zusammengehörigkeit, Intimität und Liebe zwischen den Konsumenten gespannt wird, welches einen Kontext schafft, in dem Gleichheit und Andersartigkeit in einem 49 repressionsfreien, verständnisvollen Umfeld erlebt werden können. Abschließend sei auch noch auf die die musikalische Wahrnehmung beeinflussende Wirkung von Ecstasy hingewiesen. Konsumenten berichten, dass sie in ihrem euphorischen Zustand nach Einnahme der kleinen Pille offensichtlich vollkommen affirmativ auf sämtliche Musik, die in Clubs gespielt wurde, ansprachen: “I remember when it first hit me for the first time, the euphoria of the first Ecstasy I ever took, [...] It was incredible. We [...] went out, to Studio 54 I think, dancing – and every record I heard I wanted to buy, because it was fantastic and the best record I'd ever heard“ (Collin 1997: 37; vgl. Cheren 2000: 106, Collin 1997: 27-31,37, Garratt 1999: 23, Rietveld 1998: 166,176-181,185-187). 2.2.5. Specialty retail stores und der erste Recordpool Als ein enorm wichtiger Schritt für die Entwicklung der UDM muss die Gründung des ersten Recordpools angesehen werden. Mit diesem im Sommer 1975 ins Leben gerufenen ersten Recordpool (mit dem schlichten Namen The Record Pool oder manchmal auch New York Record Pool genannt), schafften es dessen Gründer – die DJs David Mancuso, Steve D'Acquisto und Eddie Riviera – erstmals in der Geschichte, der zu dieser Zeit noch sehr jungen Profession des DJings, New Yorks DJs unter einer organisatorischen Struktur zu vereinen und ihnen somit Macht und eine gewisse Legitimität gegenüber den Plattenlabeln zu verleihen, von denen sie kostenlose Platten beziehen wollten und denen sie im Gegenzug ein direktes Feedback gaben, wie die Tänzer auf einzelne Songs reagierten, was sich wiederum in der verbesserten Produktion neuer Songs widerspiegelte (vgl. Brewster/Broughton 2000: 145,163-164,200-201, Fikentscher 2000: 47, Goldman 1978: 131, Joe 1980: 78,81-84,91, Lawrence 2003: 115,124,162, <http://www.djhistory.com/...> (Vince Aletti) 2006). Zur Anfangszeit des DJings waren DJs gezwungen sich sämtliche Platten, die sie spielen wollten, selbst zu kaufen was – angesichts eines verhältnismäßig bescheidenen Einkommens von ca. 25-30 Dollar pro Nacht und der Menge an benötigten Platten – eine nicht unwesentliche finanzielle Belastung für diese DJs darstellte. Um an die neuesten Platten, als auch an obskure Importe heranzukommen, bezogen UDM's erste DJs ihre Platten zumeist aus speziellen 'underground specialty retail stores' (z.B. Downstairs Records, Colony Records, sowie Record Haven). In diesen wurden auch die ersten tatsächlichen 'Disco'-Produkte vertrieben und dies zu 50 einer Zeit, als dieser Musikstil von anderen Plattenläden lediglich als vorübergehender Modetrend angesehen wurde. Schon zu diesem Zeitpunkt allerdings war die kleine DJ-Szene mehr, als nur eine bloße Ansammlung von Einzelkämpfern. Vieles drehte sich noch um das Ideal, gute, aber unbekannte Musik zu finden und zu verbreiten34. Zu diesem Zweck trafen sich DJs, wie Nicky Siano, David Rodriguez und Michael Cappello, regelmäßig, um Ideen zu diskutieren und Platten auszutauschen. Man könnte solche Treffen durchaus als frühe, auf Kameradschaft gegründete 'DJ-Netzwerke' bezeichnen. Der Idealismus der involvierten DJs ging im Falle David Mancuso sogar so weit, dass er sich von der Debut-LP einer spanischen Afro-Latino Rock-Band namens Barrabas (die in Amerika nicht zu beziehen war), mehrere Kisten direkt von der spanischen Plattenfirma der Band zuschicken ließ und diese dann zum Einkaufspreis an seine Loft-Gäste verkaufte (vgl. Brewster/Broughton 2000: 145,163-164,200-201, Fikentscher 2000: 47, Goldman 1978: 131, Joe 1980: 78,81-84,91, Lawrence 2003: 115,124,162, <http://www.djhistory.com/...> (Vince Aletti) 2006). Informelle Strukturen innerhalb der DJ-Szene waren also durchaus vorhanden. Was DJs zumeist jedoch fehlte, waren Kontakte zu den Recordlabels. Einige wenige TopDJs, wie David Rodriguez und Nicky Siano, hatten zwar 1973 bereits ziemlich ausgeprägte Kontakte zu Plattenfirmen und suchten diese regelmäßig auf, um sich kostenlos Platten abzuholen, aber dies war eher die Ausnahme und Siano/Rodriguez nahmen in dieser Hinsicht eine Pionierstellung ein. Steve D'Acquisto bringt auf den Punkt, was deshalb zu Beginn eine der wesentlichen Aufgaben eines DJs war: “That is what it was all about – the quest to find new records” (Lawrence 2003: 112). Die Plattensammlung ist schließlich mit das Wichtigste für einen DJ, denn es ist das Rohmaterial, mit dem er einen Abend gestaltet und über die Auswahl der gespielten Songs steht und fällt seine Performance. Doch der Markt für DJ dance music war noch neu und unkultiviert und die Recordlabels waren sich der Wichtigkeit, die der DJ für den Verkauf von Platten spielen konnte, noch nicht bewusst. Dies änderte sich erst, als sie realisierten, dass es Platten gab, die hohe Verkaufszahlen erzielten, obwohl sie weder besonders häufig von Radiostationen gespielt, noch in sonstiger 34 Das sog. 'white labeling' (d.h. DJs überkleben die Originallabels mit neutralen weißen Labeln, so dass andere nicht mehr erkennen können, wie die Platte, die sie gerade spielen, heißt), welches heutzutage weit verbreitet ist, sollte erst später auftauchen, als DJs versuchten sicherzustellen, dass sie möglichst die Einzigen waren die gewisse Platten spielten und somit ein Geheimnis darum machten, welche Platte sich gerade auf dem Turntable drehte (vgl. <http://www.djhistory.com/...> (Vince Aletti) 2006). 51 Art und Weise von den Medien gepuscht worden wären (vgl. Aletti 1976: 18, Brewster/Broughton 2000: 164-165, 188-189, Lawrence 2003: 112-116,125,142-144, <http://www.djhistory.com/...> (Vince Aletti) 2006). Einer der ersten Songs, bei dem die Musikindustrie dieses Phänomen feststellen musste, war Manu Dibango's Soul Makossa. Diese Platte war ein völlig unbekannter Import, den einmal mehr David Mancuso 1973 in einem kleinen jamaikanischen Laden entdeckte und ihn an andere DJs weitergab. Innerhalb weniger Wochen wurde Soul Makossa nur aus dem Grund, dass der Song so häufig in einigen wenigen Underground-Clubs gespielt wurde, zu einer der meist gesuchtesten Platten überhaupt, bis sich das Recordlabel Atlantic schließlich entschloss, die amerikanische Lizenz für die Vermarktung des Songs zu erwerben und Soul Makossa in den Charts nach oben kletterte. Ein weiteres Beispiel dafür, dass UDMDJs maßgeblich dafür verantwortlich waren, dass Platten bekannt wurden und sich verkauften, war der Song Love's Theme von Barry White und dem Love Unlimited Orchestra. Von White's Recordlabel 20th Century als 'dead record' (man könnte dies evtl. als 'Ladenhüter' übersetzen) angesehen, bewiesen die DJs, welche Macht sie als musikalischer Trendsetter ausübten, indem sie Love's Theme durch exzessives Spielen in den Clubs, gänzlich ohne Radiounterstützung, 1974 auf Platz 1 der nationalen Single Charts katapultierten: “Love's Theme was in the top twenty before it even got any airplay. The power we had was phenomenal”, kommentierte Nicky Siano den Erfolg von Love's Theme (Lawrence 2003: 143). Weitere Songs folgten im Laufe des Jahres mit Hues Corporation's Rock the boat und George McCrae's Rock your baby, die beide dank der Unterstützung der DJs Platz 1 der Charts einnahmen. Auf Grund solcher nicht zu übersehender Erfolge und auch dank einer entgegenkommenden Medienberichterstattung von Seiten wichtiger Musikmagazine, wie Rolling Stone und Billboard, die im Anschluss an den Erfolg von Soul Makossa richtungsweisende Artikel mit Schlagzeilen wie “Discotheques Break Singles” veröffentlichten35, begann die Musikindustrie langsam sowohl das Promotionspotential des DJs, als auch das Genre 'Disco' als investitionswürdigen Markt anzuerkennen (vgl. Aletti 1976: 18, Brewster/Broughton 2000: 164-165, 188189, Lawrence 2003: 112-116,125,142-144, <http://www.djhistory.com/...> (Vince Aletti) 2006). 35 'to break' heißt in diesem Zusammenhang soviel wie 'Durchbruch verschaffen'/'zum Durchbruch verhelfen'. 52 Mit der Zeit versuchten immer mehr DJs Nicky Siano's und David Rodriguez's Beispiel zu folgen und direkt zu den Plattenfirmen zu gehen, um kostenloses Promotionsmaterial zu bekommen. Doch auch wenn viele Plattenfirmen mittlerweile begonnen hatten, das Marketingpotential der DJs zu erkennen, in der Praxis war die Vergabe von kostenlosen Platten problematisch, denn auf Grund mangelhafter Kommunikation zwischen DJs und Mitarbeitern der Recordlabels und fehlender organisatorischer Strukturen herrschten Chaos und Willkür über die Entscheidung, wer letztendlich kostenlose Promos bekam. Die meisten Plattenlabels waren durchaus bereit den DJs kostenlos Platten zukommen zu lassen, fühlten sich aber mit der Situation überfordert, denn der Ansturm auf die Plattenfirmen nahm teilweise bizarre Formen an. An manchen Tagen wurden die Labels von an die hundert Leuten belagert, von denen jeder behauptete er wäre DJ. Das Hauptproblem lag darin, dass es den DJs gegenüber den Recordlables an Legitimität mangelte, denn das DJing war zu diesem Zeitpunkt noch kein anerkannter Beruf und die Labels wussten oftmals nicht, ob jemand überhaupt DJ war, oder nicht. Es bildete sich eine Art Kastensystem, in dem die Top-DJs kostenlose Platten bekamen, während unbekanntere DJs von den Labels abgewiesen wurden (manchmal traf dies selbst bekanntere DJs wie Steve D'Acquisto). Zudem war es gängige Praxis, dass jeder DJ individuell bei den Labels vorstellig wurde, was bei der inzwischen großen Anzahl an DJs, sowohl für Plattenfirmen, als auch DJs unpraktikabel wurde. Man brauchte eine Lösung, die die Vergabe von Platten zentralisierte (vgl. Brewster/Broughton 2000: 200, Cheren 2000: 154-155, Lawrence 2003: 152-153,156-157, Lopez 2003, <http://www.djhistory.com/...> (Vince Aletti) 2006). Diese Lösung kam in Form der Gründung eines Recordpools, um das Verhältnis zwischen Recordlabels und DJs in organisierte Strukturen zu lenken. The Record Pool nahm am 2.Juni 1975 offiziell seine Arbeit auf. Dieser Recordpool umfasste zu Beginn 65 DJs (bis Ende Juli 1975 waren daraus bereits 183 DJs geworden), unter ihnen Michael Cappello, Steve D'Acquisto, Walter Gibbons, Larry Levan, David Mancuso, David Rodriguez und Nicky Siano, welche an diesem 2. Juni übereinkamen, dass The Record Pool von diesem Zeitpunkt an als “... a central point to exchange information about up-coming releases, present releases, and who's playing what and where” dienen sollte (Lawrence 2003: 158). Um die Aufgaben des Recordpools schriftlich zu fixieren, formulierten die anwesenden DJs eine 53 'Declaration of Intent', welche die folgenden Eckpunkte umfasste (vgl. Lawrence 2003: 158-163): “We the undersigned have agreed to become associated in the RECORD POOL which has been established for the mutual benefit of discotheque DJs and record companies. The RECORD POOL will be a self-service, selfregulated, independent calm center which will act as a point of exchange between record companies and discotheque DJs. The POOL will take responsibility for establishing the absolute legitimacy of the DJs involved. The POOL will be a place to receive and distribute recordings and information pertaining to recordings. The RECORD POOL will enhance rapport among the participants. The benefits to the record companies would be a direct and efficient means of distributing their product to the discotheque DJs. In turn, we as a group and individually will inform the record companies about the progress of their products. This will result in our being able to devote more time and energy to the creative aspects of listening and presenting music” (Lawrence 2003: 158-159) Die Vorteile des Record Pools lagen auf der Hand. DJs und Record Companies bekamen eine zentrale Anlaufstelle (David Mancuso's Loft in 99 Prince Street, dessen Räumlichkeiten Mancuso kostenlos zur Verfügung stellte), wo die Recordlabels die kostenlosen Promotionsplatten direkt abliefern und die DJs diese in extra für sie eingerichteten Regalfächern abholen konnten. Die chaotischen Zeiten der Belagerung von Recordlabels waren somit vorbei und DJs mussten nicht mehr Zeit und Energie dafür opfern, Platten hinterherrennen zu müssen. Darüber hinaus diente das Loft auch als soziales Zentrum, in dem die DJs Neuigkeiten und Informationen austauschten. Vor allem war nun aber die Legitimität der DJs gegenüber den Recordlabels sichergestellt, denn wer Mitglied des Recordpools war, konnte sicher sein, dass die Recordlabels ihn auch als DJ anerkannten. Egal ob Neuling oder Top-DJ – man bekam nun die gleichen Platten und auf unkomplizierte Art und Weise nahezu sämtliche Neuerscheinungen kostenlos. Die Recordlabels bekamen im Gegenzug kostenlose Promotionsträger, die ihre Produkte bekannt 54 machten und den Labels direktes Feedback gaben, wie die jeweiligen Platten bei den Tänzern ankamen und was verbessert werden könnte36. David Mancuso bestätigt: “[It was] straight up feedback and no bull shit. The feedback would be just two things, personal reaction and floor reaction. From that the record label would go back and redo it or whatever until they got it right” (Lopez 2003). Dieser Punkt war für die Recordlabels entscheidend, denn im Gegensatz zu Radiostationen war dieses Feedback viel unmittelbarer, da die DJs die Reaktionen der Tänzer ad hoc beobachten konnten. Zudem waren DJs im Gegensatz zu Radiostationen bereit, mehr Risiken einzugehen und völlig unbekannte Songs zu spielen, während das Radio sich zumeist auf bewährte Hits verließ und nur ab und an neue Songs einstreute. Der DJ war für die Labels ein potentieller Hitmaker und Discos wurden zu einer Art Testareal für die Recordlabels, die Promotionsmaterial schon Wochen vor dem geplanten offiziellen Release-Datum an die DJs herausgaben und mit deren Hilfe abschätzen konnten, ob sich das Produkt wirklich verkaufen würde (vgl. Brewster/Broughton 2000: 165, 200-201, Cheren 2000: 155, Goldman 1978: 131132, Joe 1980: 81, Lawrence 2003: 157-159,162,164, Lopez 2003, Shannon 1982: 218-219, 274-275, Shapiro 2005: 36, <http://www.djhistory.com/...> (Vince Aletti) 2006). Doch die Probleme waren vor allem von Seiten der Plattenlabels noch nicht zur vollen Zufriedenheit gelöst. Die Labels zeigten sich in erster Linie mit zwei Tatsachen unzufrieden: zum Einen waren sie davon überzeugt, dass einige DJs, wie Steve D'Acquisto, überschüssige Promotionsplatten zur Seite schafften, um sie gewinnbringend zu verkaufen (obwohl diese mit Aufklebern wie “Not For Sale” oder “For Disco DJs Only” versehen waren), zum Anderen waren sie mit dem informellen Feedback, das DJs gaben, unzufrieden. Das zweite Problem wurde gelöst, als sich DJs und Plattenfirmen im September 1975 darauf einigten sog. 'feedback sheets' einzuführen. Auf diesen sollten DJs beispielsweise festhalten, welche der neuen Platten ihre persönlichen Favoriten waren, oder sie sollten jeden Titel einzeln auf einer abgestuften Skala als gut oder schlecht bewerten und kommentieren. Sie wurden von den Plattenfirmen zu jeder Plattenlieferung mitgeliefert und die Plattenfirmen schickten nur dann die nächste Ladung Promotionsplatten an den 36 Wie beispielsweise die Ausweitung der Spielzeit der Songs, auf die DJs immer wieder hinwiesen, da die üblichen 2:30-3:00 Minuten-Songformate die noch aus Radioformatzeiten stammten für den Clubkontext schlichtweg viel zu kurz waren (vgl. Brewster/Broughton 2000: 190, Lawrence 2003: 153, Ramos 2005: DVD 1, chapter 3). 55 Record Pool, wenn die DJs sämtliche 'feedback sheets' ausgefüllt zurückgaben. Das erste Problem ließ sich allerdings nicht ganz so gütlich lösen, denn Plattenfirmen wie United Artists drohten damit, ihre Lieferungen einzustellen, sollte der Record Pool es nicht schaffen, die illegitimen Plattenverkäufe zu stoppen und David Mancuso sah sich schließlich dazu gezwungen Steve D'Acquisto, dem unzulässige Plattenverkäufe nachgewiesen worden waren, darum zu bitten, von seinem Posten als geschäftsführender Assistent zurückzutreten, woraufhin dieser verärgert aus dem Recordpool austrat und sein Posten von Eddie Riviera übernommen wurde (vgl. Goldman 1978: 131, Lawrence 2003: 208-211, Shannon 1982: 220-222). In der Folgezeit etablierte sich das Konzept des Record Pools auch in anderen amerikanischen Städten wie Atlanta, Boston und Chicago (bis 1979 gab es ca. 125 Recordpools in den USA) und auch in New York gründete Eddie Riviera nach einem Streit mit David Mancuso einen eigenen Record Pool namens International Disco Record Center. Mancuso hingegen entschloss sich, aus finanziellen und zeitlichen Gründen, im Dezember 1977 den New York Record Pool zu schließen. Das Vakuum, welches sich daraus ergab (über 200 DJs waren somit einstweilig ohne Recordpool), war nur vorübergehender Natur, denn Judy Weinstein (sie hatte beim New York Record Pool zwischenzeitlich den abgewanderten Eddie Riviera ersetzt) entschloss sich dazu, die Arbeit des Record Pools unter dem Namen For The Record fortzuführen und nachdem sie die passenden Räumlichkeiten gefunden hatte, öffnete For The Record am 1.Februar 1978. Die Record Pools hatten sich seit 1975 zu einem wichtigen Vermittler zwischen DJs und Recordlabels erwiesen und waren mittlerweile nicht mehr weg zu denken. David Mancuso ist sich sicher, dass auf Grund dieses neuen Miteinander die Plattenveröffentlichungen zwischen 1975-1980 qualitativ die besten gewesen wären: “The music that came out when we had the record pool in existence was the best. Most of the classics are right there” (Brewster/Broughton 2000: 201). Durch den sich ständig innovativ befruchtenden Kreislauf zwischen Publikum/DJ, DJ/Plattenlabels und wieder zurück, hatte sich mittlerweile ein ausgeprägter Stil entwickelt – das Disco-Genre –, sowie ein eigener Disco-Markt, mit dem DJ als zentraler Figur, der seit 1974 parallel zur Entwicklung der Record Pools für die Musikindustrie (vor allem für independent labels wie Salsoul, Scepter oder Roulette, welche das Potential des DJs früh erkannten) auch als Produzent/Remixer von Musik immer wichtiger wurde und durch die Einführung des Remixes bzw. der B-Side-Disco-Mixes (d.h. eine neu 56 erscheinende Single würde einerseits auf der A-Seite den herkömmlichen VocalSong haben und auf der B-Seite einen speziell von DJs für DJs gemachten längeren Remix bzw. eine Version des Songs bei der die Vocals gelöscht waren und eine Instrumentalversion übrig blieb), sowie der 12-inch Single und dem Disco-MedleyAlbum37 eigene Formate prägte (vgl. Aletti 1976: 18, Brewster/Broughton 2000: 194,199-201,207-208,212-213, Cheren 2000: 175, de Narp/Tassinari 2006: 15-20, Fikentscher 2000: 47-49, Joe 1980: 70, Lawrence 2003: 145-146,208,211,337-339, Lopez 2003, Shapiro 2005: 44-45, Ramos 2005: DVD 1, chapter 4). 2.2.6. Remix und 12-inch Single Der Remix und die 12-inch Single waren für UDM eine logische Entwicklung aus der Notwendigkeit heraus, über einen möglichst langen Zeitraum den Beatfluss aufrecht zu erhalten und bestimmte Soundkriteria herausarbeiten zu wollen. Frühe DJs, wie Francis Grasso oder Nicky Siano, hatten den Weg gezeigt, indem sie mit Hilfe von Beat-Mixing und zwei Exemplaren der selben 45er Platte bestimmte Abschnitte des Songs immer wieder hintereinander hängten und somit eine längere 'live'-Version des ursprünglichen Titels formten, um die den Tänzern zu kurze Originallänge der Songs zu erhöhen. Zudem prägten DJs durch die Auswahl der Abschnitte, die sie verlängerten (das Intro, den Break, sowie die Instrumentalparts) und die Art und Weise, wie sie aus der endlosen Aneinanderreihung dieser Abschnitte wieder austraten (indem sie nach dem Endlosbreak mittels EQing effektvoll den Bass wieder zurückbrachten) auch den formalen Aufbau von UDMSongs (vgl. hierzu Kapitel 2.2.1. und den zweiten Teil dieser Arbeit38). Vom Prinzip kann man dieses experimentelle Verknüpfen und Wiederholen gewisser Songabschnitte als 'live'-Edits von DJs ansehen. Was jedoch noch fehlte, war diese Praxis auch ins Studio zu holen und solche Edits auf Platten zu übertragen und somit längere Tracks zu produzieren, anstatt sie mühsam 'per Hand' an den Turntables 37 Während Remix und 12-inch Single im nächsten Kapitel untersucht werden, soll das Konzept des Disco Medleys hier nur kurz Erwähnung finden. Das erste Disco Medley wurde 1975 von Tom Moulton erstellt, der von einem Plattenlabel dazu aufgefordert worden war, Gloria Gaynor's Debütalbum zu produzieren. Dabei transferierte Moulton die Idee eines Nonstop-Mixes vom Dancefloor auf Vinyl, indem er die drei Songs Never Can Say Goodbye, Honeybee und Reach Out, I'll Be There hintereinander blendete, so dass ein 18 minütiger, ununterbrochener Musikmix heraus kam (vgl. Brewster/Broughton 2000: 193-194, Cheren 2000: 151, de Narp/Tassinari 2006: 20, Shapiro 2005: 44, <http://www.djhistory.com...> (Tom Moulton) 2006). 38 In diesem Kapitel werden vor allem die historische Entwicklung und die technischen Aspekte des Remixes und der 12-inch Single besprochen. Wie diese Konzepte genau den Aufbau der Musik beeinflussen wird in Teil 2 dieser Arbeit behandelt. 57 erstellen zu müssen. Zwar hatten einige DJs bereits damit gearbeitet, solche 'live'-Mixes auf Tapes zu bannen, doch noch hatte keiner den Schritt ins Studio gemacht, um solche Re-Edits39 auch auf Vinyl zu produzieren (vgl. Brewster/Broughton 2000: 149,190-192, deNarp/Tassinari 2006: 5, Garratt 1999: 18, Karnik (3) 1989: 164-165, Poschardt 2001: 125, Ramos 2005: DVD 1, chapter 3). Ironischer Weise war der erste Studioremixer kein DJ, sondern Model und ehemaliger Angestellter der Promotionsabteilung einer Plattenfirma. Parallel zu der Praxis von DJs 'live' längere Versionen von Songs zu kreieren, hatte Tom Moulton 1971 ebenfalls begonnen Songs auf Tape hintereinander zu mischen. Als er bei einem Besuch einer Party auf Fire Island40 beobachtete, wie die Tänzer jedesmal, wenn eine neue Platte aufgelegt wurde, vollkommen aus ihrer energetischen Extase herausgerissen wurden (ca. alle drei Minuten), kam ihm die Idee eines Endlos-Tapes, um die Tänzer auf der Tanzfläche zu halten und zu energetischen Höhepunkten zu führen. Nachdem Moulton seine erste 45 minütige Nonstop-Aufnahme erstellt hatte, gab er das Tape an den Besitzer einer Diskothek auf Fire Island weiter und nach anfänglichen Startschwierigkeiten fand es bald so großen Anklang, dass der Diskotheksbesitzer Moulton darum bat, ihm für spezielle Anlässe 3 weitere Tapes zu je eineinhalb Stunden anzufertigen. Um für diese Tapes neues Rohmaterial zu bekommen, mit dem er die Aufnahmen extendieren konnte, ging Moulton von Plattenlabel zu Plattenlabel und fragte nach, ob sie nicht geeignete Produktionen für ihn hätten. Nachdem er sich über solche Re-Edits mit der Zeit einen gewissen Namen in der New Yorker UDM-Szene gemacht hatte, fragte ihn 1973 ein 39 Bei diesen Tapes bereits von Remixen zu sprechen wäre zu weit gegriffen, denn letztendlich reihten DJs zu diesem Zeitpunkt lediglich vorhandene Bausteine von Platten hintereinander, weshalb der Begriff Re-Edit angemessen erscheint. Die Bezeichnung Remix jedoch ist enger zu verstehen und bedeutet, dass dem Remixer eine Multitrack-Aufnahme (eine Multitrack-Aufnahme ist eine Aufnahme, bei der die einzelnen Tonspuren noch nicht zusammen gemischt sind, sondern einzeln vor liegen und somit auch einzeln bearbeitet werden können) zur Verfügung steht, mit der er ganz andere Möglichkeiten hat den Song zu bearbeiten. Denn mit der Multitrack-Aufnahme kann der Remixer den Song gänzlich neu strukturieren, einzelne Instrumente herausnehmen und an anderen Stellen einsetzen, oder komplett neue Instrumente aufnehmen und hinzufügen. Ein Prozedere, welches über das bloße Aneinanderreihen von Re-Edits weit hinausgeht. Es muss in diesem Zusammenhang festgehalten werden, dass die revolutionäre Entwicklung von MultitrackAufnahmegeräten in den 1950er Jahren (und deren weitläufige Verbreitung in Tonstudios in den 1960er Jahren) das Konzept des Studio-Remixens erst ermöglichte, da erst mit dieser Technologie die Aufnahmespuren einzeln bearbeitet werden konnten (vgl. Berk 2000: 191, Brewster/Broughton 2000: 192-193, Butler 2006: 70, Cheren 2000: 146-147). 40 Fire Island ist eine kleine Insel vor der Küste New Yorks, südlich von Long Island. Auf Grund der Abgeschiedenheit der Insel hatte sich dort, abseits der strengen Gesetze der Stadt New York bezüglich Homosexualität, über Jahrzehnte hinweg eine florierende Homosexuellenszene entwickelt, was sich Ende der 1960er Jahre auch in der Entwicklung einer ausgeprägten PartySzene äußerte (vgl. Brewster/Broughton 2000: 184-185, de Narp/Tassinari 2006: 8, Shapiro 2005: 40). 58 Mitarbeiter des independent labels Scepter, ob er die Idee nicht auch einmal im Studio umsetzen wolle, woraus schließlich der erste auf Vinyl produzierte Remix wurde, Do It ('Til You're Satisfied) von der Gruppe B.T.Express, deren Originalsong Moulton von ursprünglich 3:30min auf 5:35min verlängerte (vgl. Brewster/Broughton 2000: 190-193, Cheren 2000: 124, de Narp/Tassinari 2006: 8,13-15, Karnik (3) 1989: 164, Lawrence 2003: 70-72,146, Poschardt 2001: 125, Shapiro 2005: 40-43, <http://www.djhistory.com...> (Tom Moulton) 2006). Sofort nach Do It ('Til You're Satisfied) bekam Moulton von Mel Cheren, der zu diesem Zeitpunkt bei Scepter angestellt war, eine weitere Möglichkeit einen Remix41 zu produzieren, nämlich Dreamworld von Don Downing. Bei seinen Versuchen diesen Song auszudehnen, stieß Moulton allerdings auf ein musikalisches Problem. Kurz vor Schluss modulierte der Song in eine andere Tonart, womit es für Moulton unmöglich wurde vom Ende des Songs direkt wieder in den Anfangsteil zu springen. Deshalb baute Moulton aus der Not heraus geboren einen Drum Break ein: Er blendete sämtliche Tonspuren der Multitrack-Aufnahme aus und ließ eine Zeit lang nur noch die Schlagzeug- und Percussion-Spur weiterlaufen. Anschließend brachte er Tonspur für Tonspur, d.h. Instrument für Instrument, nach und nach wieder zurück, bis schließlich erneut der komplette Song zu hören war, womit er wieder in den Anfangspart des Songs gelangt war, ohne dass die beiden Tonarten miteinander kollidierten. Tom Moulton prägte so ein für UDM essentielles formales Prinzip – den Drum Break (oder Breakdown). Einige DJs experimentierten damit zwar auch in den Clubs und der Drum Break war durchaus schon in einzelnen Songs, wie Chicago Transit Authority's I'm a man, die in Discos gespielt wurden, zu finden, doch während Songs wie I'm a Man auf den Pop-Markt ausgerichtet und nicht direkt darauf konzipiert waren, die Tanzbarkeit zu erhöhen, betrat Tom Moulton's Version von Dreamworld neues Territorium, denn erstmals fand der Drum Break in einem Song Verwendung, der ausschließlich für den Dancefloor produziert worden war. Auch wenn Moulton durch Zufall darauf gestoßen war, erkannte er schließlich schnell, dass der Break die Tanzbarkeit des Songs erhöhen und die Tänzer in schiere Ekstase treiben würde, so dass er konsequent den Break bis zum Wiedereintritt des Basses und der anderen Instrumente ausbaute. In der Folge wurde der Drum Break beinahe schon obligatorisch für sämtliche UDM-Produktionen und 41 In der Tat muss man bei Tom Moulton's Studioproduktionen von Remixen sprechen, denn ihm standen bei Scepter nun die Multitrack-Aufnahmen zur Verfügung (vgl. Cheren 2000: 149, de Narp/Tassinari 2006: 15). 59 ist seitdem ein nicht mehr weg zu denkendes Charakteristikum jeglicher dance music (vgl. Brewster/Broughton 2000: 191, Cheren 2000: 149-150, de Narp/Tassinari 2006: 6,15-16, Lawrence 2003: 145-146, Shapiro 2005: 43-44,243). Auf Grund des exzessiven Club-Gebrauchs solch spezieller Remixes verkauften sich viele Platten gleich nochmal so gut: Von Don Downing's Dreamworld wurden 10000 Exemplare abgesetzt, bevor der Song überhaupt das erste Mal im Radio gespielt wurde, Do It ('Til You're Satisfied) schaffte es sogar bis an die Spitze der amerikanischen Charts. Der Remix begann sich als neues bedeutsames Konzept der Musikindustrie durchzusetzen und nahezu alle Platten, die einen A Tom Moulton Mix-Aufkleber trugen, kamen einem sicheren Erfolgsversprechen gleich. Moulton war in der Musikindustrie bald nur noch als 'The Doctor' bekannt, der es schaffte einen mittelmäßigen Originalsong zu beleben. Was jedoch noch fehlte, war das passende Tonträgerformat, denn durch das alte 7-inch Single-Format waren Remixer in ihren kreativen Möglichkeiten noch erheblich eingeschränkt. Zum einen bot die 7inch Single lediglich Platz für eine maximale Songlänge von ca. 6:30min., zum anderen ging bereits diese Länge deutlich auf Kosten der Soundqualität des Tonträgers, da die Plattenrillen näher zusammengelegt werden mussten. Bereits bei seinem ersten Remix – Do It ('Til You're Satisfied) – sah sich Tom Moulton mit diesem Problem konfrontiert, denn er war selbst schon bei der Länge des Songs von 5:35min. dazu gezwungen, den Remix mit weitaus weniger tiefen Frequenzen abzumischen, als er es ursprünglich wollte (die tiefen Frequenzen beanspruchen am meisten Platz auf der Platte), (vgl. Brewster/Broughton 2000: 193,195, Cheren 2000: 152-153, Collin 1997: 13, de Narp/Tassinari 2006: 14-15,17-18, Garratt 1999: 18, Goldman 1978: 132, Lawrence 2003: 145-146,212, Shannon 1982: 204-205, Shapiro 2005: 45). Über die Lösung stolperte Moulton, wie schon beim Drum Break in Don Downing's Dreamworld, durch Zufall. Moulton wollte sich von seinem Mastering Engineer Jose Rodriguez im Tonstudio kurzfristig noch eine Reference Disc (eine Art Test-Disc, die Moulton an befreundete DJs weitergab, um unfertige Versionen von Songs zu testen) für den Remix des Songs I'll Be Holding On von Al Downing anfertigen lassen42. Dem Engineer waren allerdings die 7-inch Rohlinge ausgegangen, auf denen 42 An diesem Punkt wird die Quellenlage vollkommen unklar, vor allem auch weil Originalinterviewausschnitte mit Tom Moulton unterschiedlich zitiert werden. In einem Interview auf der Webseite <http://www.djhistory.com...> (Tom Moulton), wird Moulton beispielsweise folgendermaßen zitiert: “The first 12-inch was 'I'll Be Holding On' by Al Downing ... The seveninch blanks, they were out of them. So he [the mastering engineer] had to give me a twelve-inch”. 60 normalerweise die Singles produziert wurden und er schlug Moulton deshalb vor, 12inch Platten zu verwenden, die sonst nur für Alben Verwendung fanden. Um nicht den ganzen Platz mit nur einem einzigen Song zu verschwenden, setzte Rodriguez die Plattenrillen extrem weit auseinander und verteilte sie auf der ganzen Platte. Das Ergebnis war, dass die Soundqualität und Lautstärke sich um ein vielfaches verbesserte und UDM hatte sein Tonträgerformat gefunden – die 12-inch Single, das erste neue Tonträgerformat seit ca. 30 Jahren. Mit ihm standen Remixern, wie Tom Moulton, einerseits ausreichend Platz für ihre ausgedehnten Remixes und andererseits eine Soundqualität zur Verfügung, die gerade über ein großes ClubSoundsystem überwältigend war (vgl. Brewster/Broughton 2000: 193,195, Cheren 2000: 152-153, Collin 1997: 13, de Narp/Tassinari 2006: 14-15,17-18, Garratt 1999: 18, Goldman 1978: 132, Lawrence 2003: 145-146,212, Shannon 1982: 204-205, Shapiro 2005: 45, <http://www.djhistory.com...> (Tom Moulton) 2006). Von Al Downing's I'll Be Holding On wurden allerdings nie mehr, als diese wenigen Testpressungen hergestellt und Chess records (der Rechteinhaber des Songs) gab den Song schließlich Ende 1974 als 7-inch Platte heraus. Einige independent labels waren dennoch auf das Potential der 12-inch Single aufmerksam geworden, darunter Mel Cheren vom Plattenlabel Scepter, dessen Plattenfirma im Juni begann, 12-inch Singles als 'DJ only'-Promotionsplatten herauszugeben. Die erste, dieser nicht im Handel erwerbbaren, 12-inch Singles war (höchstwahrscheinlich) Bobby Moore's Call Me Your Anything Man43, welche De Narp/Tassinari zitieren ein offensichtlich ähnliches Interview folgendermaßen: “... the first 10inch was 'I'll Be Holding On' by Al Downing ... What happened was that the studio ran out of 7inch blanks so José had to give me a ten-inch” (2006: 18). Mel Cheren wiederum gibt an, dass Tom Moulton für Al Downing's Song auf 12-inch Platten zurückgreifen musste, da dem Mastering Engineer die 10-inch Acetat-Discs ausgegangen waren (2000: 153); und Tim Lawrence zitiert Moulton, dass der Mastering Engineer 12-inch Platten für den Al Downing Song verwendete, weil ihm die 7-inch Platten ausgegangen waren (2003: 212). Auch über den ersten Song auf einer 12inch herrscht Uneinigkeit. Während die meisten Autoren Al Downing's I'll Be Holding On angeben (z.B. Cheren 2000: 153, Lawrence 2003: 212), geben Brewster/Broughton (2000: 195) und de Narp/Tassinari (2006: 18) an, dass die erste 12-inch Single So Much For Love von der Gruppe Moment of Truth gewesen wäre. Um unnötige Verwirrung zu vermeiden, habe ich mich deshalb entschlossen im Haupttext an einer Version, nämlich der von Tim Lawrence, festzuhalten. Letztendlich ist es auch nicht wirklich entscheidend, ob dem Mastering Engineer die 7-inchRohlinge oder die 10-inch-Acetat Discs ausgingen, sondern es ist wichtig zu erkennen, dass im Endeffekt eine 12-inch Platte für eine Single verwendet wurde, welche normalerweise auf einem kleineren Tonträgerformat produziert worden wäre. 43 Auch diesbezüglich sind die Meinungen wieder geteilt. Tim Lawrence, Peter Shapiro und de Narp/Tassinari geben Call Me Your Anything Man als erste lediglich für DJs erhältliche 12-inch Single an (de Narp/Tassinari geben allerdings fälschlicherweise an, dass dies die erste kommerziell erwerbbare 12-inch gewesen wäre. Sie werden jedoch in dieser Hinsicht klar von sämtlichen Autoren widerlegt, die darlegen, dass die ersten 12-inch Singles allesamt nur als PromotionsVeröffentlichungen an DJs herausgegeben wurden). Brewster/Broughton hingegen behaupten, dass Dance, Dance, Dance von der Band Calhoon die erste Promo 12-inch gewesen wäre. Diese 61 Scepter im Juni 1975 an UDM-DJs herausgab. Vollends durchzusetzen begann sich die 12-inch Single allerdings erst, als das kleine independent label Salsoul Records im Mai 1976 den Schritt wagte, kurz nach der Veröffentlichung des 4 minütigen Originalsongs Ten Percent von Double Exposure auf dem gebräuchlichen 7-inch Format, auch einen Re-Edit44 des Songs als erstmals kommerziell erwerbbare 12-inch Single herauszugeben. Als Remixer für dieses Projekt engagierte Salsoul einen jungen DJ namens Walter Gibbons, der in der New Yorker Disco Galaxy 21 auflegte. Wie Nicky Siano und einige andere DJs war auch Walter Gibbons ein enthusiastischer Verfechter eines DJing Stils, welcher die Drum- und PercussionInstrumente in den Vordergrund stellte. Ähnlich seinem Gallery DJ-Kollegen war Gibbons immer auf der Suche nach Songs mit exponierten Schlagzeug-Intros und -Breaks, welche er live im Club, durch Beat-Mixing zweier Exemplare der jeweiligen Platte, ins Unendliche verlängerte und oftmals bis in die Unkenntlichkeit verzerrte, wie Francois Kevorkian, ehemaliger Angestellter bei Galaxy 21 bemerkt: “You would never hear the actual song. You just heard the drums. It seemed like he kept them going forever ...” (Lawrence 2003: 216). Gibbons's mixtechnische Fähigkeiten waren dabei so nahe an der Perfektion dran (viele DJ-Kollegen sind der Ansicht, dass er technisch wohl der am höchsten entwickelte DJ war), dass bei seinen Mixes die Songs förmlich ineinander verschmolzen und absolut keine Übergänge zu hören waren: “[His mixing was so] smooth and seamless that you couldn't even tell that he was mixing records. You thought the version he played was actually on the record, but in fact he was taking little 10-second pieces” (Kevorkian über Gibbons's DJ-Künste; Brewster/Broughton 2000: 174), (vgl. Brewster/Broughton 2000: 172174,195, Collin 1997: 13, de Narp/Tassinari 2006: 18, Garratt 1999: 18, Goldman 1978: 132, Lawrence 2003: 212-213,216,218, Lawrence 2006, Shannon 1982: 206, Shapiro 2005: 45-46). Beeindruckt von dieser technischen Perfektion, beauftragte Ken Cayre – Leiter von Salsoul – Gibbons schließlich damit, ihm einen Re-Edit von Ten Percent zu erstellen. Behauptung widerlegen wiederum Tim Lawrence und Peter Shapiro die das Erscheinungsdatum von Dance, Dance, Dance (welches Brewster/Broughton als den Frühling 1975 angeben) auf den Juli 1975 datieren, also einen Monat nach der Veröffentlichung von Call Me Your Anything Man. Es ist somit relativ sicher, dass Call Me Your Anything Man wohl die erste erhältliche Promotions 12-inch Single war (vgl. Brewster/Broughton 2000: 195, Cheren 2000: 153, de Narp/Tassinari 2006: 18, Lawrence 2003: 212, Shapiro 2005: 45). 44 Hier müssen wir erneut von einem Re-Edit sprechen, denn Salsoul vertraute seinem Remixer (oder Re-Editor?) Walter Gibbons für diesen Song noch nicht die für einen Remix nötige MultitrackAufnahme an (vgl. Lawrence 2003: 263). 62 Er sollte diese Entscheidung nicht bereuen. Gibbons bearbeitete den Song (obwohl seine Möglichkeiten auf Grund der fehlenden Multitrack-Aufnahme noch eingeschränkt waren) extrem und weitete ihn auf über 9 Minuten aus, indem er die Drumparts länger und länger dehnte. Mit seiner Art und Weise den Song substantiell auf seine elementare perkussive Basis herunterzubrechen, arbeitete Gibbons genau die Teile des Songs heraus, von denen er wusste, dass Tänzer darauf ansprechen würden. Der Erfolg gab ihm recht – der Re-Edit verkaufte sich gleich innerhalb der ersten Woche 110 000mal und stach die kurz zuvor erschienene 7-inch Single, deren Verkauf schlecht lief, um Längen aus45. War Tom Moulton der Pionier des Remixens gewesen, der als erster Songs im Tonstudio bearbeitete, sollte Walter Gibbons derjenige werden, der das kreative Potential des Remixens am radikalsten erforschte. Während Moulton noch verhältnismäßig konservativ an das Remixen heranging und zumeist lediglich Parts verlängerte, nahm Gibbons, sobald ihm die MultitrackAufnahmen zur Verfügung standen (zu Beginn des Jahres 1977 mit dem Song Hit And Run von Loleatta Holloway), die Originalsongs vollkommen auseinander und strukturierte sie grundlegend um. Holloway's Song war ein demonstratives Beispiel für diese radikale Herangehensweise: Gibbons schnitt einen Großteil der Streicherund Bläser-Tonspuren, sowie die ersten 2½ Minuten von Loleatta Holloway's Gesang komplett heraus, und verschob den Fokus des Songs vollständig auf die Drum- und Perkussionelemente und den zweiten improvisierten Teil von Holloway's Gesangspart, in dem sie in der Tradition des Gospel- und Funk-Gesangsstils unentwegt exaltierte Schreie und Seufzer eingebaute hatte. Auf dem endgültigen Remix war von Holloway schließlich, bis auf dieses Zwischending aus Gesang und Stöhnen, nicht mehr viel zu hören. Viele der ursprünglichen Elemente des Originalsongs, sowie dessen struktureller Aufbau, mussten zugunsten Gibbons's Vision, die maximale Effektivität für den Dancefloor aus dem Song herauszuholen, weichen und übrig blieb ein nahezu vollkommen neuer Song, wie Moulton in einem Artikel für das Musikmagazin Billboard konstatierte: “This version is really so different from the original, that it must be classified as a new record” (Lawrence 2003: 264). Gibbons hob mit solch kompromisslosen Restrukturierungen das Remixen auf ein neues Level und etablierte damit die neue Rolle des DJ, als 45 Durch diesen Erfolg der ersten im Handel erhältlichen 12-inch Single aufmerksam gemacht, folgten kurz darauf auch weitere independent labels, wie Scepter und Roulette, dem Beispiel von Salsoul und begannen spezielle dance music Remixes für den öffentlichen Handel herauszugeben (vgl. Lawrence 2003: 220). 63 wichtiges Bindeglied zwischen Produzent und Dancefloor, in der Musikindustrie. Etliche seiner DJ-Mitstreiter wie Larry Levan, Shep Pettibone oder Jim Burgess folgten ihm. Die DJs der UDM hatten somit ihre Werkzeuge gefunden. Der Remix und die 12-inch Single waren Formate, welche aus dem direkten Bedürfnis heraus entstanden waren, den Anforderungen des Dancefloor gerecht zu werden, für den die DJs nun maßgeschneiderte dance music-Produktionen fabrizierten (vgl. Brewster/Broughton 2000: 194,196, Jones/Kantonen 2000: 12, Karnik (3) 1989: 173, Lawrence 2003: 218-220,263-264 Lawrence 2006, Shapiro 2005: 46-47).