Zusammengeschrieben?
Transcription
Zusammengeschrieben?
Universität Potsdam Institut für Germanistik Wintersemester 2007/08 Grundkurs III Geschichte der deutschen Sprache (Teil 2) Seminarleiter: Prof. Dr. Joachim Gessinger Referatsthema: Die Rechtschreibreform von 1996 Abgabedatum: 10.04.2008 Wortanzahl: 4574 Zusammengeschrieben? Die Rechtschreibreform von 1996 und die Kritik daran. Lena Simon Matrikelnummer: nice try 5. Fachsemester, Magister nice try nice try nice nice try nice nice try nice try Julia Heidinger Matrikelnummer: nice try 5. Fachsemester, Magister nice try nice try nice try nice nice try nice try 1 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung........................................................................................................................3 2 Die Rechtschreibreform und ihre Kritik.........................................................................4 2.1 Die Reform 1996....................................................................................................4 2.1.1 Stammprinzip..................................................................................................4 2.1.1.1 's' – 'ß'......................................................................................................4 2.1.1.2 Dreifachkonsonanten und vokale...........................................................5 2.1.1.3 Neue Doppelkonsonanten........................................................................5 2.1.1.4 'ä' und 'e'..................................................................................................6 2.1.2 Fremdwörter ..................................................................................................6 2.1.3 Groß und Kleinschreibung.............................................................................7 2.1.3.1 Allgemeines............................................................................................7 2.1.3.2 Substantive und Adjektive.......................................................................7 2.1.3.3 Eigennamen............................................................................................8 2.1.4 Getrennt und Zusammenschreibung..............................................................8 2.1.4.1Verb als zweiter Bestandteil......................................................................9 2.1.4.2 Partizipiales Adjektiv als zweiter Bestandteil..........................................9 2.1.4.3 Andere Formen als zweite Bestandteile...................................................9 2.1.5 Silbentrennung..............................................................................................10 2.1.6 Kommaregelung............................................................................................10 2.2 Die Kritik an der 96er Reform..............................................................................11 2.2.1 Stammprinzip................................................................................................12 2.2.2 Fremdwörter..................................................................................................13 2.2.3 Groß und Kleinschreibung............................................................................14 2.2.4 Getrennt und Zusammenschreibung.............................................................15 2.2.5 Silbentrennung...............................................................................................17 2.2.6 Kommaregelung............................................................................................18 2.3 Die Neuerungen von 2006....................................................................................19 3 Fazit..............................................................................................................................21 Literatur:..........................................................................................................................24 2 1 Einleitung Seit Mitte des 19. Jahrhunderts gab es Bestrebungen, die Rechtschreibung des Deutschen zu vereinheitlichten, bis die Diskussionen schließlich 1876 zur 1. Orthographischen Konferenz in Berlin führten, auf der weitgehende Reformvorschläge beschlossen wurden. Diese wurden jedoch von den einzelnen Staaten und damit ihrer Verwaltung, ihrem Schulwesen und der Öffentlichkeit nicht angenommen und nicht umgesetzt. Vorher gab es in den deutschen Kleinstaaten keine vereinheitlichte Schreibweise, es gab folglich unterschiedliche Schulgrammatiken, nach denen gelehrt wurde. Erst das 1880 von Konrad Duden verfasste „Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache – Nach den neuen preußischen und bayerischen Regeln“ schaffte es, einheitliche Regelungen über die einzelnen Staatsgrenzen hinaus durchzusetzen. Schon damals bestand der erste Teil des Dudens aus einem Regelwerk und der zweite Teil aus einem Wörterverzeichnis. Auf der 2. Orthographischen Konferenz 1901 wurde die Rechtschreibung von verschiedenen staatlichen Vertretern, auch aus Österreich und der Schweiz, normiert und standardisiert, allerdings wurden kaum Neuerungen eingeführt, so dass die Bezeichnung als Reform zumindest fragwürdig ist. Erst die 1996 geplanten Änderungen sind definitiv als Reform anzusehen, da sie weitreichend in die Struktur der Schriftsprache eingreift. Die 1994 veröffentlichte Rechtschreibreform hatte und wie 1996 schon eingeführte die früheren 1. Fassung zur Bestrebungen eine Vereinheitlichung und eine Vereinfachung zum Ziel, stieß jedoch auf vielfache und vielfältige Kritik von verschiedenen Seiten, so dass 2001 eine 2. Fassung und schließlich 2006 eine bis heute gültige 3. Fassung eingeführt wurde. In dieser Arbeit möchten wir insbesondere die Reform von 1996 und die Kritik daran betrachten. Hierzu werden wir zunächst die Veränderungen der grammatikalischen Regeln im Vergleich zur alten Rechtschreibung vor 1996 erläutern, indem wir näher auf Stammprinzip, Fremdwortschreibung, Groß- und Kleinschreibung, Getrennt- und Zusammenschreibung, Silbentrennung und Zeichensetzung eingehen. Hierbei orientieren wir uns an der Broschüre „Die neue Rechtschreibung. Das Wichtige kurz und bündig“ von Peter Eisenberg1. Danach werden wir die Kritik an den oben genannten Punkten weitgehend aus linguistischer Sicht beschreiben, politische, gesellschaftliche und didaktische Aspekte stehen dabei an zweiter Stelle. Im Anschluss daran geben wir einen kurzen Überblick über die Neuerungen von 2006. Dabei ziehen wir neben der 1 Eisenberg: Rechtschreibung, 1996. 3 überarbeiteten Fassung des amtlichen Regelwerks 2004 die Extra-Ausgabe des Sprachreports „Zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung ab 1. August 2006“2 vom Juli 2006 und eine Übersicht zu den Neuerungen von www.wissenmedia.de heran. Zuletzt werden wir eine eigene Einschätzung abgeben und versuchen, einen Blick in die Zukunft zu werfen. 2 Die Rechtschreibreform und ihre Kritik 2.1 Die Reform 1996 Bei der Rechtschreibreform von 1996 wurden folgende grammatikalischen Regeln überarbeitet: Stammprinzip, Groß-Kleinschreibung, Getrennt- bzw. Zusammenschreibung Silbentrennung, Fremdwörter und Kommasetzung. 2.1.1 Stammprinzip 2.1.1.1 's' – 'ß' Traditionell (also vor 1996) wurde in Deutschland immer noch nach der so genannten „Adelungschen Schreibweise“ festgestellt, ob ein Wort mit 'ss' oder 'ß' geschrieben wird. Danach schreibt man im so genannten Silbengelenk, also nach kurzem Vokal und unmittelbar vor einem Vokal 'ss'. Bei einer Silbentrennung wird das Wort zwischen den beiden 's' getrennt (Mas-se, küs-sen, müs-sen). In allen anderen Fällen, in denen kein Vokal folgt oder die auf einen langen Vokal folgen, schreibt man 'ß'. Dies soll verdeutlichen, dass 'ss' nicht getrennt werden kann (Maß, Kuß, Stra-ße, küß-te). Diese Regelung führte an vielen Stellen zu Verwirrung. So war es schwer zu verstehen, weshalb der Kuß mit 'ß' und die Mehrzahl, die Küsse oder das Küssen mit 'ss' geschrieben werden sollten. Denn anders als andere deutsche Konsonanten verhielt sich das 's' wenig intuitiv (fassen – er faßt, aber hoffen – er hofft). In Deutschland wurde sie mit der Reform von 1996 durch die so genannte „Heysesche Schreibweise“ ersetzt. Hier bestimmt nur noch der voranstehende Vokal die Schreibweise. Nach langem Vokal oder Diphthong (was in der Aussprache einem langen Vokal entspricht) folgt 'ß' und nach kurzem Vokal 'ss'. Hier stimmt die Mehrzahlbildung des Wortes Kuss zu Küsse mit der sprachlichen Intuition überein. 2 www.rechtschreibrat.de 4 2.1.1.2 Dreifachkonsonanten und -vokale Nach alter Schreibweise wurden Dreifachkonsonanten nur geschrieben, wenn darauf ein weiterer Konsonant folgte (Fetttropfen aber Schiffahrt). Mit der Reform von 1996 werden die Regeln für Dreifachkonsonanten vereinfacht und Dreifachvokale eingeführt. Das bedeutet, dass nun alle aufeinandertreffenden Konsonanten bzw. Vokale ausgeschrieben werden. So wird aus der oben erwähnten Schiffahrt die Schifffahrt und aus dem Seelefant der Seeelefant. 2.1.1.3 Neue Doppelkonsonanten Bei Wörtern, deren Konsonant sich früher verdoppelte - durch ein Suffix (tippen aber Tip) oder in ihrer Ableitung (Nummer aber numerieren), wird immer der Konsonant verdoppelt (also Tipp und nummerieren). Fremdwörter und Suffixe selbst bleiben von der Verdoppelung jedoch unbetroffen (numerisch, Zeugnis trotz Zeugnisse). 2.1.1.4 'ä' und 'e' In einigen Wörtern wird das 'e' zu einem 'ä'. Meist wird das 'ä' an solchen Stellen neu verwendet, an denen das abgeleitete Wort eine reale oder zumindest assoziative Verwandtschaft zu einem mit 'a' geschriebenen Wort hat. Ein Beispiel hierfür ist der Stängel (vorher Stengel), dessen Verwandtschaft zur Stange die Schreibweise mit 'ä' nahelegt. Außerdem wird das 'e' unter anderem bei belämmert (Lamm), Bändel (Band) und aufwändig (Aufwand – aber: aufwenden) durch ein 'ä' ersetzt. Nicht alle 'e' werden durch ein 'ä' ersetzt. Sehr alte Wortverwandtschaften (Eltern – alt; England – Angelsachsen) werden ignoriert. Außerdem alle Fälle, in denen das 'a' der abgeleitete Buchstabe und 'e' die Grundform ist (setzen --> Satz). 2.1.2 Fremdwörter Aus dem Bureau hat sich mittlerweile selbstverständlich das Büro entwickelt, und keiner wärmt seinen Hals mehr mit einem Shawl, sondern doch eher mit einem Schal, während wir Baby immer noch nicht mit ‚i’ und fair nicht mit ‚ä’ schreiben. Die Rechtschreibreform hat aus diesem Grund neue Schreibungen von Fremdwörtern zugelassen, indem die Laut-Buchstaben-Beziehung an die deutsche Schreibweise angepasst wurde. Diese gilt jedoch nur als Nebenvariante zur alten Rechtschreibung, allerdings ist es möglich, dass sich das Verhältnis von Haupt- und Nebenvariante umkehrt. Das in der deutschen Sprache untypische 'ti' für den Laut 'zi' darf vor den 5 Fremdwortendungen '-iös’‚ '-ios’‚ '-ial’ und '-iell’ durch ein 'zi' ersetzt werden (pretiös – preziös, substantiell – substanziell, Differential – Differenzial). Außerdem kann das 'ph' in Wörtern mit den Endungen '-phon', '-graph', oder 'phot' grundsätzlich mit einem 'f' geschrieben werden. Doch nicht jedes 'ph' kann ersetzt werden. Steht das 'ph' an einer anderen Stelle kann es manchmal ersetzt werden (Delphin – Delfin) und manchmal nicht (Alphabet, Philosophie). Weitere mögliche Konsonantersetzungen gibt es u.a. von ‚gh’ zu ‚g’ (Ghetto – Getto, Joghurt – Jogurt), ‚y’ zu ‚j’ (Yacht - Jacht), ‚c’ zu ‚ss’ (Facette - Fassette), ‚ch’ zu ‚sch’ (Ketchup – Ketschup) und ‚th’ zu ‚t’ (Thunfisch – Tunfisch, Panther – Panter). Auch Vokale können bei Fremdwörtern ersetzt werden, wie ‚ai’ zu ‚ä’ (Mayonnaise – Majonäse), ‚é’ zu ‚ee’ (Exposé – Exposee, Varieté – Varietee) und ‚ou’ zu ‚u’ (Nougat – Nugat). 2.1.3 Groß- und Kleinschreibung 2.1.3.1 Allgemeines An jedem Satzanfang wird groß geschrieben. Folglich auch nach einem Doppelpunkt. Anredepronomina, die zuvor (als Höflichkeitsbekundung) großgeschrieben wurden, werden mit Ausnahme des Sie und Ihr ab nun kleingeschrieben. Zeitangaben, die zusammen mit Zeitadverbien stehen, werden jetzt großgeschrieben (aus heute morgen wurde heute Morgen). Dies korrigiert die Fehlannahme, dass die Zeitangaben selbst Adverbien seien. Dementsprechend werden die Adverbien morgens, nachts usw. weiterhin kleingeschrieben. In Fügungen, wie sie meist bei Fremdwörtern auftreten, werden alle substantivischen Bestandteile großgeschrieben (Heavy Metal, Ultima Ratio, LastMinute-Flug, E-Mail). Nicht substantivische Bestandteile werden demzufolge kleingeschrieben (Status quo). 2.1.3.2 Substantive und Adjektive Substantivierte Adjektive werden vereinheitlicht großgeschrieben. Zusätzlich zu den „unzweifelhaften Substantivierungen“3 (das Alte, alles Gute) werden nun auch „vergleichbare Wörter in festen Wendungen und bei übertragender Bedeutung als substantiviert angesehen“4 und deshalb großgeschrieben (des 3 4 Eisenberg, Rechtschreibung, 1996, S. 13. Ebd., S. 13f. 6 Weiteren, ins Schwarze, im Folgenden). Bezeichnungen von Sprachen, die nicht eindeutig adverbial oder adjektivisch gebraucht werden, werden großgeschrieben (ich lerne Englisch, der englische Fußball, aber ich spreche Englisch und ich spreche englisch). Unbestimmte Zahlwörter werden großgeschrieben, aber Mengenadjektive wie viel, wenig, ein, andere werden weiterhin kleingeschrieben. Substantivierte Ordnungszahlen und vergleichbare Adjektive (der Dritte, als Letzte, der Folgende) werden großgeschrieben. 2.1.3.3 Eigennamen „Bei den Eigennamen hat sich in Hinsicht auf die Schreibung wenig, in Hinsicht auf die Regelformulierung jedoch geändert.“5 Wesentliches Mit der Rechtschreibreform 1996 werden Sachgruppen von Eigennamen eingeführt, die eine bessere Orientierung zur Definition von Eigennamen geben sollen. „Die Bestimmung dessen, was ein Eigenname ist, lässt sich [...] grammatisch nicht fassen.“6 2.1.4 Getrennt- und Zusammenschreibung Der Grundsatz „Schreibe im Zweifel getrennt“ besitzt auch nach der Reform 1996 weiterhin seine Gültigkeit. Dadurch ergeben sich auch Auswirkungen auf die Groß- und Kleinschreibung, da substantivische Bestandteile von ehemals zusammengeschriebenen Wörtern nach der Getrenntschreibung konsequenterweise groß geschrieben werden müssen. 2.1.4.1Verb als zweiter Bestandteil Verben mit so genannten trennbaren Partikeln als erstem Bestandteil wie her, hin, vorbei, zurück, zusammen, usw. werden grundsätzlich zusammengeschrieben. Ist der erste Bestandteil ein Substantiv, wird ausschließlich bei 'heim-ʹ, 'irre-ʹ‚ 'preis-ʹ, 'stand-ʹ, 'statt-ʹ, 'teil-ʹ, 'wunder-ʹ und 'wett-ʹ zusammengeschrieben. Verbindungen aus zwei Verben werden grundsätzlich getrennt geschrieben (kennen lernen, stehen lassen) und zwar auch bei einer übertragenen Bedeutung wie im Fall von sitzen bleiben, das sowohl nicht aufstehen als auch eine Klasse wiederholen bedeuten kann. 5 6 Ebd., S. 14. Ebd., S. 15. 7 Generell getrennt geschrieben werden außerdem alle Verbindungen mit sein (da sein, beisammen sein) mit Adverb als erstem Bestandteil (auseinander gehen) und mit Adjektiv als erstem Bestandteil (bekannt machen). 2.1.4.2 Partizipiales Adjektiv als zweiter Bestandteil Formen mit einem Partizip I oder einem Partizip II als zweitem Bestandteil werden grundsätzlich auseinandergeschrieben (Feuer speiend, Rat suchend, abhanden gekommen, sitzen geblieben), außer wenn der erste Bestandteil für eine Wortgruppe steht (freudestrahlend – vor Freude strahlend, herzerquickend – das Herz erquickend). 2.1.4.3 Andere Formen als zweite Bestandteile Alle Pronomina mit 'irgend-' als erstem Bestandteil werden zusammengeschrieben. Zusammengesetzte Konjunktionen wie anstatt, indem, inwiefern, sobald, sofern, solange, sooft, soviel und soweit werden zusammengeschrieben, nur bei sodass / so dass gelten beide Schreibweisen. Bei den zusammengesetzten Präpositionen müssen anhand, anstatt, infolge, inmitten, zufolge und zuliebe zusammengeschrieben werden, während bei anstelle / an Stelle, aufgrund / auf Grund, mithilfe / mit Hilfe, vonseiten / von Seiten, zugunsten / zu Gunsten und zulasten / zu Lasten beide Varianten zulässig sind. 2.1.5 Silbentrennung Trennungsregeln sollen mit der neuen Rechtschreibung vereinheitlicht werden, sodass eine Trennung nach Silben immer möglich ist. Daraus ergibt sich, dass auch 'st' getrennt (Lis-te), einzelne Vokale abgetrennt (A-meise, Ju-li-a), Fremdwörter unabhängig von ihrer ursprünglichen Morphologie getrennt (Mikros-kop) und vor Sonoranten (Mag-net, kom-pa-tib-les) getrennt werden darf. Auch mehrsilbige Adverbien und Pronomina können nach dieser Regel getrennt werden (da-ran, ei-nan-der, hi-nauf). Das 'ck' wird nun wie das 'ch' und das 'sch' als ein Laut behandelt und deswegen nicht mehr als 'k-k' getrennt (Tak-ker wurde zu Ta-cker). 2.1.6 Kommaregelung In einigen Fällen wird die Kommasetzung zur Vereinfachung oder zur Vereinheitlichung freigestellt, sie ist also erlaubt, aber nicht verpflichtend. Bei den 8 Konjunktionen und, oder, beziehungsweise, sowie, wie, entweder … oder, nicht … noch, sowohl … als auch, sowohl … wie auch und weder … noch muss kein Komma gesetzt werden. Des Weiteren fällt das Komma bei Infinitiv-. Partizip- und vergleichbaren Adjektivgruppen weg, sofern diese nicht von einem Verweiswort abhängen. Im Sinne der Vereinheitlichung soll nach der direkten Rede ein Komma stehen, wenn der übergeordnete Satz weitergeführt wird, unabhängig von dem Satzzeichen in der direkten Rede. 2.2 Die Kritik an der 96er Reform Die Rechtschreibreform von 1996 erfuhr heftige Kritik und Gegenwehr. So wurde ihr in erster Linie vorgeworfen, widersprüchlich, unsystematisch, alogisch, überhastet und inkonsequent zu sein.7 Außerdem bemängelten die Kritiker und Kritikerinnen Willkür, neue Ausnahmen und für eine Orthografiereform unzulässige Änderungen der Phonologie.8 Insbesondere im Quervergleich der einzelnen Gebiete wurden viele Inkonsistenzen aufgedeckt. Dementsprechend gerieten auch Regelungen, die in sich konsistent waren, im Vergleich mit anderen in die Kritik. Den Regeln wurde vorgeworfen zu spitzfindig und in benutzerfeindlichem Deutsch formuliert und für den Schreibenden kaum nachvollziehbar zu sein.9 Weiterer Kritikpunkt war, dass es in der Reform zu viele Ausnahmen gebe. So wurde gespottet, dass mit der Reform von 1996 die Ausnahmen zur Regel würden. Beispielsweise bestand die Getrennt- und Zusammenschreibung allein aus 253 Anwendungsbestimmungen, davon 45 Unterregeln, 2 Spezifikationen, 15 Kannbestimmungen, 123 Bedingungen, 33 Listen und 28 Verweisen.10 Viele Autoren kritisierten, dass die Reform eine zu starke Veränderung von Sinn vornehme und Sprachgefühl und Stilästhetik entgegenliefe.11 Manche gingen so weit zu argumentieren, die Reform sei ein Eingriff in das Grundrecht. Die geschriebene Sprache zu ändern sei neurologisch mit einer „Aussprachereform“ vergleichbar. Im Gehirn würden bei einer Veränderung der Buchstabenfolge ähnliche Vorgänge geschehen wie bei einem Eingriff in die 7 8 9 10 11 Vgl. Veith: Das Wahre Gesicht der Reform, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 244. Vgl. Krieger: Wachstumslogik und Regulierungswahn, in: Eroms, 1997, S. 125. Vgl. Veith: Das Wahre Gesicht der Reform, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997,S. 244 und Krieger: Wachstumslogik und Regulierungswahn, in: Eroms,Munske (Hrsg.), 1997, S.126. Vgl. Veith: Das Wahre Gesicht der Reform, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 244. Vgl. ebd. und Gelberg: Konsequenzen, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 58. 9 Aussprache, welcher offensichtlich unvertretbar sei.12 Eine Regulierung, so ein weiterer Kritikpunkt, schränke natürliches Wachstum der Sprache ein.13 Die 'E-Mail' wurde ohnehin immer häufiger so geschrieben, wie von der Reform vorgeschlagen. Neue Regeln entstünden durch Sprachentwicklung. Das Regelwerk der Rechtschreibung habe sich der Sprachentwicklung anzupassen. Dies sei überhaupt der einzige Grund für einen Eingriff in die Rechtschreibregeln. Mit der Reform von 1996 sei jedoch genau das Gegenteil passiert. Hier habe sich die Sprache den Regeln anzupassen. Die Reformbefürworter hielten dagegen, dass die tatsächlichen Veränderungen stark überschätzt würden.14 Die Kritiker verfügten nicht über ausreichendes Wissen und würden damit die Verwirrung selbst verursachen. Ihr Widerstand vergrößere das Chaos unnötig. Die Sprache selbst werde durch die Reform der Rechtschreibung nicht beeinflusst.15 Der Duden vertrat die Ansicht, dass die sprachwissenschaftliche Begründung zur Veränderung der Rechtschreibung weniger wichtig sei als die Erprobung in Schreib- und Lesepraxis.16 2.2.1 Stammprinzip Häufig kritisiert wurde die aus dem Stammprinzip gezogene Konsequenz, bestimmte Wörter anzugleichen. Fuhrhop/ Steinitz/ Wurzel warfen die Frage auf, wer bestimme, ob zwei Wörter zu einer Wortfamilie gehörten oder nicht. Dabei entwarfen sie zwei mögliche Definitionen. Selbst die engere Definition, dass die nach dem Stammprinzip orientierte Angleichung nur sprachhistorisch abgeleitete Wörter betreffe, werde nach dem Vorschlag jedoch nicht konsequent angewandt. In diesem Fall müsste man nämlich den Gletscher (von alemannisch Glatsch =Eis) mit 'ä' schreiben.17 Die etwas weitere Definition setzt nur eine Wortverwandtschaft voraus. So verwendet müsste jedoch konsequenterweise auch sprechen (verwandt mit Sprache) mit 'ä' (also *sprächen) geschrieben werden. Außerdem sei in vielen Fällen die Abstammung eines Wortes unklar (belemmert/ belämmert – Lamm; Quentchen/ Quäntchen – Quantum; verbleuen/ verbläuen – blau). Wiederum seien andere, tatsächlich gegebene Verwandtschaften heutzutage nur noch für wenige erkennbar (behende – Hand). Eine vereinheitlichende Definition des Stammprinzips ist also nicht gegeben, da 12 13 14 15 16 17 Vgl. Gröscher: Verfassungswidrigkeit, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 76 und Denk: Desinformationskampagnen, in: Eroms, Munske (Hrsg.),1997, S. 43. Vgl. Krieger: Wachstumslogik und Regulierungswahn, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 117. Vgl. Eroms: Die öffentliche Diskussion, in: Eroms, Munske (Hrsg.),1997, S. 51. Vgl. Menzel: Vorurteile ausräumen, in: Eroms, Munske (Hrsg.),1997, S. 135 f. Vgl. Scholze-Stubenrecht: Duden, in: Eroms, Munske (Hrsg.),1997, S. 205. Vgl auch Ickler: Die verborgenen Regeln, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 101. 10 sowohl die engere als auch die weitere Definition der Wortverwandtschaft entweder nicht konsequent umgesetzt worden oder gar nicht konsequent umsetzbar sind. All diese ungeklärten Fragen sowie die mangelnde Konsequenz verhindern einen intuitiven Umgang mit der Orthografie auch nach der Rechtschreibreform. Demnach gebe die Angleichung an das Stammprinzip keine Orientierung für die richtige Schreibweise.18 So schreibt man zwar Ass wegen Asse, aber nicht *Kürbiss trotz Kürbisse und auch nicht *Packet trotz packen und Päckchen. Innere Konsequenz vermissen Fuhrhop/ Steinitz/ Wurzel auch bei der Beseitigung bzw. Einführung des 'h'. Hier kollidieren tatsächlich das Stammprinzip und die Aufrechterhaltung der Lautstruktur. Im Sinne des Stammprinzips wird das 'h' nach einem langen Vokal eingeführt, nach einem Diphthong jedoch abgeschafft. Phonologisch seien Langvokale und Diphthonge jedoch „äquivalent“.19 2.2.2 Fremdwörter Ebenfalls inkonsequent angewandt sei die Eindeutschung von Fremdwörtern. So sei unersichtlich, warum 'ph' nur manchmal durch 'f' ersetzt werde und nach welchem Muster ein 'h' nach dem 't' weggelassen werden dürfe. Warum Megafon, aber nicht *Fonologie? Und ganz konsequent wäre dann auch die Schreibweise *Filosofie. Und warum Panter und nicht *Teater?20 Für andere bedeutete die Angleichung der Fremdwörter einen zu großen Eingriff ins Schriftbild.21 2.2.3 Groß- und Kleinschreibung Ein Großteil der Kritik an der Groß- und Kleinschreibung bezog sich auf Fälle, die in Verbindung mit der Getrennt- und Zusammenschreibung standen (siehe 2.2.4.). Stark kritisiert wurde die Kleinschreibung von du, ihr, euer usw. in Briefen.22 Wieso sollte die Ehrerbietung durch die Großschreibung nur Fremden zuteil werden, nicht aber Freunden und Verwandten? „Die Scheinsubstantivierung durch den Artikel, das ist das eigentliche Problem der Substantivgroßschreibung.“23 In dem Konzept der Artikelprobe kommt „eine grobe Fehleinschätzung der textgrammatischen Funktion von Artikeln zum 18 19 20 21 22 23 Vgl. Fuhrhop, Steinitz, Wurzel: Aufwändiger Zierrat?, 1995, S. 202. Vgl. Fuhrhop, Steinitz, Wurzel: Aufwändiger Zierrat?, 1995, S. 203. Vgl. ebd. Vgl. Denk: Desinformationskampagnen, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 43. Vgl. Fuhrhop, Steinitz, Wurzel: Aufwändiger Zierrat?, 1995, S. 205. Augst: Problem des Regelaufbaus, in: Augst (Hrsg.), 1997, S. 395. 11 Ausdruck“24. Nach diesem Konzept sollte großgeschrieben werden, was einen Artikel haben kann. Allerdings kann man auch vor Mengenadjektive einen Artikel setzen (die vielen), die dennoch kleingeschrieben werden, sodass auch hier ein Widerspruch entsteht. Eine weitere Unstimmigkeit liegt darin, dass Ordnungszahlen groß- aber Kardinalzahlen kleingeschrieben und damit „orthographisch verschieden behandelt“ werden sollten: Er kam als Dritter ins Ziel, aber Die zwei gehen spazieren.25 Auch hier greift die Artikelprobe nicht. Augst stellt dazu abschließend fest: „[E]s sei denn, man entschließt sich dann doch zur Lösung [...], die alle diese Probleme nicht kennt, - der Getrennt- die Substantivkleinschreibung!“26 2.2.4 Getrennt- und Zusammenschreibung Von vielen Seiten in Kritik geriet die Regelung und Zusammenschreibung. Dieser wurde vorgeworfen, semantische und syntaktische Differenzierungen zu beseitigen (u.a. *bewusstmachen versus bewusst machen). Die Neuregelung stehe „im Widerspruch zur Gesamtgrammatik“27. Die Regelung der Getrennt- und Zusammenschreibung war schon vor der Reform von 1996 kein einfaches Unterfangen. Im Rechtschreibduden von 1986 heißt es: „Im Bereich der Zusammen- und Getrenntschreibung gibt es keine allgemeingültige Regel“28. Günther kommt zu dem Schluss, dass die Regeln im Duden „schlechterdings unbrauchbar“29 seien und formuliert folgende Regel für Verbindungen von Substantiv und Verb: „Trennbare Verben mit einem Substantiv als Erstglied werden zusammengeschrieben, weil das nominale Glied kein syntaktisches Wort bildet.“30 Außerdem gebe es im Deutschen die Entwicklung hin zur Univerbierung und Inkorporierung, „d.h. des Löschens ursprünglich syntaktischer Verhältnisse“31. Darum müssten auch Schreibungen wie lippenlesen oder rätselraten zugelassen werden, da die Bestandteile lippen und rätsel „syntaktisch (!) keine Nomina sind, sondern einen ähnlichen Status haben wie Verbpartikel“32. Daraus folgert Günther, dass je nach syntaktischer Analyse ein Ausdruck sowohl getrennt als auch zusammengeschrieben werden könne, z.B. Ich bin 800km Auto 24 25 26 27 28 29 30 31 32 Munske: Wie wesentlich ist die Reform?, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 150. Vgl. ebd. Augst: Problem des Regelaufbaus, in: Augst (Hrsg.), 1997, S. 395. Günther: Alles Getrennte, in: Eroms, Munske (Hrsg.),1997, S. 91. Ebd., S. 87. Ebd., S. 88. Ebd., S. 89. Günther: Alles Getrennte, in: Eroms, Munske (Hrsg.),1997, S. 91. Vgl.ebd. 12 gefahren/autogefahren. Im ersten Fall sei Auto eine Art Objekt zu fahren, im zweiten Fall sei autofahren ein intern nicht strukturierter Ausdruck.33 „Entscheidend aber ist die Perspektive, dass die Entscheidung über die Zusammen- oder Getrenntschreibung nicht über die Wortliste im Rechtschreiblexikon gefällt wird, sondern über die syntaktische Organisation der Wörter im Satz.“34. Die Reform von 1996 weitet nun entgegen der Sprachentwicklung der letzten 500 Jahre hin zur Univerbierung systematisch die Getrenntschreibung aus.35 Bis auf die in 2.1.4.1 beschriebenen acht Ausnahmen wird immer getrennt geschrieben. In der Ausnahmeliste, „die ja vollständig sein soll“36, ist zwar haushalten enthalten, aber nicht hofhalten, so dass es er hält haus, aber er hält Hof hieße. „Wo ist denn da die Logik und wo bleibt die Vereinfachung der 37 Rechtschreibung?“ . Die angestrebte Vereinheitlichung, die an dem Beispiel Auto fahren – Rad fahren festgemacht wurde, wird nicht erreicht. Grundsätzlich sei „eine Vereinheitlichung der gegenwärtigen inkonsistenten Schreibung [...] angeraten“, allerdings gehe diese „gerade in die verkehrte Richtung“38. So sind er fährt rad und er fährt das Rad weder syntaktisch noch semantisch identisch. Die Getrenntschreibung führt dazu, dass syntaktische Analysierbarkeit signalisiert wird, wo gar keine besteht, dass also z.B. Eis in Eis laufen ein Substantiv sei und damit eine syntaktische Beziehung zum finiten Verb habe. Auch müsse jetzt Staub saugen geschrieben werden, womit „sich mir eine höchst unästhetische Assoziation verbindet“39. Hier besteht jedoch keine syntaktische Beziehung zwischen Substantiv und Verb. Wären Eis und Staub Substantive, dann müssten sie sowohl artikel- als auch attributfähig sein, (*Ich laufe das feste Eis). Des Weiteren haben sich einige Verben wie staubsaugen zu untrennbaren Verben entwickelt (ich habe gestaubsaugt). Es ist ein Widerspruch, dass man zwar er saugt Staub, aber er hat gestaubsaugt schreiben muss, da *er hat ge Staub saugt im Deutschen unmöglich ist. Substantivierte Adjektiv- und Partizipialgruppen müssen nach der Reform von 1996 auseinandergeschrieben werden, z.B. Besorgnis erregend, tief schürfend.40 Diese Formen sind laut Ickler jedoch echte Komposita, wie schon ihre Steigerbarkeit und Intensivierbarkeit beweise. Demnach müsse es weitaus tiefschürfender (nicht *weitaus tief schürfender) und am besorgniserregendsten 33 34 35 36 37 38 39 40 Ebd. Ebd. Vgl. ebd., S. 90. Fuhrhop, Steinitz, Wurzel, Aufwändiger Zierrat?, 1995, S. 204. Ebd. Ebd. Günther: Alles Getrennte, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 90. Vgl. Ickler: Die verborgenen Regeln, in: Eroms, Munske (Hrsg.),1997, S. 102. 13 (nicht *am Besorgnis erregendsten) heißen.41 Die vorhandenen Ausnahmen (z.B. freudestrahlend) komplizieren den Sachverhalt und die Erklärung, es handele sich um eine feste Wendung (vor Freude strahlen) ist unklar. Auch hier wird entgegen dem Trend zur Univerbierung die Getrenntschreibung als das Normale angesehen. In einer Gesamtbewertung ist festzustellen, dass die neue GZS quantitativ und qualitativ außerordentlich folgenreiche Eingriffe vorsieht, die weit über orthographische Fragen im engeren Sinne hinausgehen. Die Neuregelung greift mit dem Instrument orthographischer Normierung massiv in die Entwicklung und differenzierte Gestalt des deutschen Wortschatzes ein. [...] Damit ist die GZS zum Hauptsorgenkind der Rechtschreibreform geworden. Eine gründliche und sorgfältige Überarbeitung ist unerläßlich.42 2.2.5 Silbentrennung Allgemein wurde kritisiert, dass durch eine Vermehrung der Trennstellen beim Lesen die Prognose erschwert werde, wie das Wort weitergehe. Die Aufhebung der „trenne-nie-st“-Regel wurde weitgehend als sinnvoll erachtet. Lediglich bei einigen Wörtern wurde kritisiert, dass bei Endungen und Steigerungen nicht beide Schreibweisen erlaubt seien (dreißig-ste/dreißigs-te; Lieb-ste/Liebs-te). Auch mit der Trennung der Fremdwörter waren einige unzufrieden: Diese werde von den Herkunftssprachen abhängig gemacht, wodurch die Anwendung der Regeln von Fremdsprachenkenntnissen und damit vom Bildungsgrad abhängig sei. Außerdem verändere die Trennung nach dem Silbenprinzip häufig die Morphologie, was die Ursprungsbedeutung des Wortes verschleiere.43 Am meisten kritisiert wurde die Behandlung des 'ck' als Digraph, welches jedoch ein Silbengelenk darstelle. Diese Regel bedeute die Einführung der 'st'-Regel an anderer Stelle. Die bisherige Lösung würde der Grundregel gerecht und hätte daher nicht verändert werden müssen.44 2.2.6 Kommaregelung Die Änderungen bei der Zeichensetzung sind gering. Bei Reihungen mit und, oder etc. und bei Infinitiv- Partizip- und Adjektivgruppen kann, aber muss kein Komma gesetzt werden. Munske sieht das Problem in den Auswirkungen dieser Regelung auf die Norm der gesamten Sprachgemeinschaft. Für ihn „stellt diese Liberalisierung einen sehr erheblichen Eingriff in die syntaktisch geprägte Kommasetzung des Deutschen dar“45. Er befürchtet, dass sich ohne eindeutige 41 42 43 44 45 Vgl. ebd. Munske: Wie wesentlich ist die Reform?, in: Eroms, Munske (Hrsg.),1997, S. 153. Vgl. Veith: Das Wahre Gesicht der Reform, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 244. und Denk: Desinformationskampagnen, in: Eroms, Munske (Hrsg.),1997, S. 42. Vgl. Ickler: Die verborgenen Regeln, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 109. Munske: Wie wesentlich ist die Reform?, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 151. 14 Regelung kein sinnvoller Gebrauch des Kommas erhalten wird und dass durch unterschiedlichen Kommagebrauch das Textverständnis erschwert wird.46 Gallmann ist der Ansicht, dass die Kommaregeln schlecht formuliert waren und sind, da mit den Begriffen einfacher und erweiterter Infinitiv nicht die „eigentlichen syntaktischen Gesetzmäßigkeiten“47 erfasst werden. Er schlägt deswegen eine Regelung auf der Grundlage der syntaktischen Parameter von Kohärenz und Satzwertigkeit vor. Auch Baudusch findet, dass um „die zweifellos immer noch komplizierte Kommaregelung des Reformvorschlags [...] durch eine klare Gliederung nach den Grundfunktionen des Kommas einsehbarer und überschaubarer präsentieren zu können, [...] nochmaliges Nachdenken über theoretische Grundpositionen notwendig“48 wäre. Primus räumt ein, dass die neue Kommaregelung zwar an den richtigen Stellen ansetze, dass aber bei dem Kommagebot bei Hauptsätzen nur „halbherzig“ verfahren worden sei, da die alte Norm nicht komplett abgeschafft wurde, und dass bei Infinitiv- und Partizipkonstruktionen „über das Ziel hinausgeschossen“ worden sei, da diese nicht weiter unterschieden würden.49 Weiterhin wird die Setzung des Kommas nach direkter Rede kritisiert. Die Häufung von drei Satzzeichen führe zu Verwirrung und sei eine Fehlerquelle.50 Diese Vereinheitlichung läuft nach Baudusch in die verkehrte Richtung, da durch das „Kontraktionsgesetz [...] das Komma durch die drei Satzschlußzeichen (Punkt, Frage- und Ausrufezeichen) aufgehoben“51 werde. 2.3 Die Neuerungen von 2006 Nachdem 2004 der öffentliche Protest gegen die Neuregelung seinen Höhepunkt erreicht hatte und einige Zeitungs- und Zeitschriftenverlage zur alten Schreibweise zurückgekehrt waren, wurde als Reaktion darauf der Rat der deutschen Rechtschreibung eingerichtet, dessen Ziel es war, „eine konsensuelle Lösung auf der Basis des Regelwerks 2004 zu entwickeln“52. Im Jahr 2006 wurde diese überarbeitete und bis heute gültige Fassung der Rechtschreibreform amtlich. In den Bereichen Getrennt- und Zusammenschreibung, Groß- und Kleinschreibung, Zeichensetzung und Silbentrennung wurden Änderungen vorgenommen. 46 47 48 49 50 51 52 Vgl. Munske: Wie wesentlich ist die Reform?, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 151. Gallmann: Komma bei Infinitivgruppen, in: Augst (Hrsg.), 1997, S. 455. Baudusch: Vorschläge zur Zeichensetzung, in: Augst (Hrsg.), 1997, S. 493. Primus: Satzbegriffe und Interpunktion, in: Augst (Hrasg.), 1997, S. 486. Baudusch: Vorschläge zur Zeichensetzung, in: Augst (Hrsg.), 1997, S. 494. Ebd. Sprachreport, 1996, S. 2. 15 Bei der Getrennt- und Zusammenschreibung gibt es die meisten Neuerungen. Verbindungen aus Partikel und Verb dürfen zusammengeschrieben werden, wenn die Zusammensetzung einen Hauptakzent hat. Werden die beiden Bestandteile gleich betont, schreibt man wie zuvor getrennt (wiederbeleben – wieder beleben). Schreibungen aus Adjektiv und Verb werden jetzt bei übertragener Bedeutung zusammengeschrieben: krankschreiben (= für arbeitsunfähig erklären). Handelt es sich um resultative Verben, dann kann zusammengeschrieben werden (kaputt machen/ kaputtmachen). Substantive und Verben werden auch weiterhin grundsätzlich getrennt geschrieben. Die Ausnahmeliste ist um vier Verben mit verblasstem Substantiv erweitert worden: eislaufen, nottun, leidtun, kopfstehen. In folgenden Fällen sind beide Schreibweisen zulässig, da es sich nicht entscheiden lässt, ob eine Zusammensetzung oder eine Wortgruppe vorliegt: maßhalten/ Maß halten, achtgeben/ Acht geben, achthaben/ Acht haben, haltmachen/ Halt machen, danksagen/ Dank sagen, gewährleisten/ Gewähr leisten, brustschwimmen/ Brust schwimmen, delfinschwimmen/ Delfin schwimmen, marathonlaufen/ Marathon laufen, staubsaugen/ Staub saugen. Verbindungen aus zwei Verben schreibt man getrennt außer bei Verbindungen mit lassen und bleiben. Das Verb kennenlernen/ kennen lernen bildet eine Ausnahme und darf sowohl zusammen als auch getrennt geschrieben werden. Partizipformen werden zusammengeschrieben, wenn auch die Infinitivform zusammengeschrieben wird (abhandengekommen von abhandenkommen). Schreibt man die Infinitvform getrennt, ist beides möglich (ratsuchend/ Rat suchend von Rat suchen). Steigerungen werden zusammengeschrieben (schwerwiegenderer). Gleichrangige Adjektive bedeutungsstärkend und oder solche, bei denen der erste Bestandteil bedeutungsschwächend ist, werden zusammengeschrieben. Tritt ein einfaches unflektiertes Adjektiv als graduierende Bestimmung zu einem Partizip auf, sind beide Schreibungen erlaubt. Hier ergibt sich eine unterschiedliche Betonung (allgemeingültig/ allgemein gültig). Auch bei der Schreibung von Fremdwörtern aus Substantiv und Adjektiv kommt es auf die Betonung an. Wird nur ein Bestandteil betont, wird zusammengeschrieben, werden beide betont, wird getrennt geschrieben (Longdrink, Smalltalk/ Small Talk, Open Air). Fremdwörter aus Substantiv und Substantiv werden entweder zusammen oder mit Bindestrich geschrieben (Airbag/ Air-Bag). Die Änderungen bei der Groß- und Kleinschreibung sind überschaubar. In 16 Verbindung mit den Verben sein/werden/bleiben sind einige Substantive verblasst und werden deswegen klein geschrieben: angst, bange, recht, unrecht, feind, freund, gram, klasse, spitze, schuld, schnuppe, wurst/wurscht, leid, not, pleite. Treten recht und haben/behalten/geben/bekommen/tun unrecht auf, darf in Verbindung sowohl klein- als mit auch großgeschrieben werden (rechthaben/ Recht haben). In festen Verbindungen aus Adjektiv und Substantiv mit Eigennamencharakter wird großgeschrieben. Ohne Eigennamencharakter wird grundsätzlich kleingeschrieben, allerdings gibt es Ausnahmen, wenn eine übertragene Bedeutung vorliegt (das Schwarze Brett) und wenn es sich um Titel, Amts- und Funktionsbezeichnungen, Klassifikationsbezeichnungen oder besondere Kalendertage handelt (Heiliger Vater, Technischer Direktor, Fleißiges Lieschen, Erster Mai). In Briefen dürfen die Anredepronomina du und ihr mit den dazugehörigen Possessivpronomen dein und euer wieder großgeschrieben werden. Bei der Kommaregelung darf nach der Version von 2006 bei Sätzen mit und, oder, etc. nur noch bei einer Reihung von Hauptsätzen ein Komma gesetzt werden, um die Gliederung des gesamten Satzes zu verdeutlichen. Infinitivgruppen müssen jetzt auch mit Komma abgetrennt werden, wenn sie mit um, ohne, als, anstatt, außer oder statt eingeleitet werden oder wenn sie von einem Substantiv abhängen (Er fasste den Plan, heimlich abzureisen.). Bei bloßen Infinitiven, die von einem Substantiv abhängen, ist die Setzung des Kommas fakultativ (Den Plan(,) abzureisen(,) hatte er schon lange gefasst.). Die Abtrennung am Zeilenende einzelner Vokale am Wortanfang oder in der Wortmitte ist nicht mehr zulässig (Bio-müll, Esel, Fei-er-abend). 3 Fazit Grundsätzlich stehen wir einer Reformierung der Rechtschreibung offen gegenüber. Da Sprache ein lebendiger Prozess ist muss hin und wieder die Rechtschreibung an den Sprachgebrauch angepasst werden. Das größte Problem hierbei ist, dass verschiedene Absichten zueinander konträr liegen können und daher Diskussionen und Kritik provozieren. So gibt es beispielsweise bei der Fremdwortschreibung auf der einen Seite Bestrebungen nach Vereinheitlichung und Vereinfachung, auf der anderen Seite soll die etymologische Herkunft erkennbar bleiben und nicht zu stark ins Schriftbild eingegriffen werden. Dieser Konflikt tritt u.a. am Beispiel der Philosophie auf, die im Sinne der durchaus sinnvollen Vereinheitlichung einerseits angepasst werden müsste und andererseits in unserem Sprachgefühl nicht verändert werden sollte, 17 und erscheint uns schwer lösbar. Über die Änderungen von 1996 sind wir geteilter Meinung. Die Einführung der Heyseschen s-Schreibung halten wir genauso wie die Anpassung einiger Fremdwörter (so wie Megafon) an deutsche Schreibweisen für sinnvoll. Ebenso unterstützen wir den Versuch, eine weitgehende Einheitlichkeit mit dem Stammprinzip anzustreben. Wir sind uns der Schwierigkeit bewusst, dass häufig die Grundform unklar ist oder Wortverwandtschaften nicht mehr erkennbar sind, weshalb eine konsequente Vereinheitlichung nicht möglich ist. Problematisch finden wir die Kommaregelung bei Infinitivgruppen und die Regelung zur Getrennt- und Zusammenschreibung, da diese tiefer in die Grammatik eingreift. Unserer Ansicht nach muss sich Rechtschreibung der Grammatik, Semantik und Lautstruktur anpassen und nicht umgekehrt. Rechtschreibung sollte das Werkzeug der Verschriftlichung von Sprache und nicht die Sprache selber sein. Auf die vielen kritischen Stimmen und die vielfältige Kritik an dem Regelwerk von 1996 wurde hier bei der Neufassung von 2006 – zumindest teilweise – eingegangen, indem einiges zurückgenommen wurde und in vielen Fällen mehrere Schreibweisen zugelassen wurden. Daher stimmen wir mit den erneuten Änderungen von 2006 überein, auch wenn sie uns im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung nicht weitreichend genug erscheinen. Welche Änderungen sich nach der Rechtschreibreform tatsächlich dauerhaft durchsetzen werden, wird man wohl erst in einigen Jahren feststellen können. Nämlich dann, wenn man die alltägliche Schreibpraxis der derzeitigen Schülergenerationen hinreichend untersuchen kann. Letztlich aber erst, wenn die nächste Rechtschreibreform – vielleicht in hundert Jahren? – ansteht. 18 Literatur: – Augst, Gerhard: Das Regeloperationalisierung, in: Sitta, Horst (Hrsg.): Zur Begründung und Kritik (= Tübingen 1997, S. 113-134. Problem des Regelaufbaus und der Augst, Gerhard; Blüml, Karl; Nerius, Dieter; Neuregelung der deutschen Orthographie. Reihe Germanistische Linguistik, Bd. 179), – Baudusch, Renate: „Die unproblematischen Vorschläge sind die zur Zeichensetzung“, in: Augst, Gerhard; Blüml, Karl; Nerius, Dieter; Sitta, Horst (Hrsg.): Zur Neuregelung der deutschen Orthographie. Begründung und Kritik (= Reihe Germanistische Linguistik, Bd. 179), Tübingen 1997, S. 463-488. – Denk, Friedrich: Eine der größten Desinformationskampagnen, in: Eroms, Hans-Werner; Munske, Horst Haider (Hrsg.): Die Rechtschreibreform: Pro und Kontra, Berlin 1997, S. 41. – Eisenberg, Peter: Die neue Rechtschreibung. Das Wichtige kurz und bündig, Hannover 1996. – Eroms, Hans-Werner: Die öffentliche Diskussion um die Rechtschreibreform, in: Eroms, Hans-Werner; Munske, Horst Haider (Hrsg.): Die Rechtschreibreform: Pro und Kontra, Berlin 1997, S. 51. – Fuhrhop, Nanna; Steinitz, Renate; Wurzel, Wolfgang Ullrich: Tut das wirklich Not? oder: Aufwändiger Zierrat? Zur geplanten Rechtschreibreform, in: Zeitschrift für germanistische Linguistik, 1995, Bd. 23, S. 202-206. – Gallmann, Peter: Zum Komma bei Infinitivgruppen, in Augst, Gerhard; Blüml, Karl; Nerius, Dieter; Sitta, Horst (Hrsg.): Zur Neuregelung der deutschen Orthographie. Begründung und Kritik (= Reihe Germanistische Linguistik, Bd. 179), Tübingen 1997, S. 435-462. – Gellberg, Hans-Joachim: Konsequenzen der Rechtschreibreform, in: Eroms, Hans-Werner; Munske, Horst Haider (Hrsg.): Die Rechtschreibreform: Pro und Kontra, Berlin 1997, S. 57. – Gröscher, Rolf: Zur Verfassungswidrigkeit der Rechtschreibreform, in: Eroms, Hans-Werner; Munske, Horst Haider (Hrsg.): Die Rechtschreibreform: Pro und Kontra, Berlin 1997, S. 69. – Günther, Hartmut: Alles Getrennte findet sich wieder. Zur Beurteilung der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung, in: Eroms, Hans-Werner; Munske, Horst Haider (Hrsg.): Die Rechtschreibreform: Pro und Kontra, Berlin 1997, S. 81. – Ickler, Theodor: Die verborgenen Regeln, in: Eroms, Hans-Werner; Munske, Horst Haider (Hrsg.): Die Rechtschreibreform: Pro und Kontra, Berlin 1997, S. 101. – Krieger, Hans: Wachstumslogik und Regulierungswahn,in: Eroms, HansWerner; Munske, Horst Haider (Hrsg.): Die Rechtschreibreform: Pro und Kontra, Berlin 1997, S. 117. – Menzel, Wolfgang: Vorurteile ausräumen, Fehleinschätzungen beseitigen, in: Eroms, Hans-Werner; Munske, Horst Haider (Hrsg.): Die Rechtschreibreform: Pro und Kontra, Berlin 1997, S. 135. – Munske, Horst Haider: Wie wesentlich ist die Rechtschreibreform? in: Eroms, Hans-Werner; Munske, Horst Haider (Hrsg.): Die Rechtschreibreform: Pro und Kontra, Berlin 1997, S. 143. – Primus, Beatrice: Satzbegriffe und Interpunktion, in: Augst, Gerhard; Blüml, Karl; Nerius, Dieter; Sitta, Horst (Hrsg.): Zur Neuregelung der deutschen 19 Orthographie. Begründung und Kritik (= Reihe Germanistische Linguistik, Bd. 179), Tübingen 1997, S. 489-495. – Scholze-Stubenrecht, Werner: Warum der Duden die Rechtschreibreform befürwortet, in: Eroms, Hans-Werner; Munske, Horst Haider (Hrsg.): Die Rechtschreibreform: Pro und Kontra, Berlin 1997, S. 205. – Veith, Werner H.: Das wahre Gesicht der Reform, in: Eroms, Hans-Werner; Munske, Horst Haider (Hrsg.): Die Rechtschreibreform: Pro und Kontra, Berlin 1997, S. 241. http://www.wissenmedia.de/fileadmin/Inhalte/downloads/107-121_WDR_wasistne u_01.pdf Letzter Zugriff am 24. Februar 2008 http://www.ids-mannheim.de/reform/ http://www.rechtschreibrat.com/ Letzter Zugriff am 24. Februar 2008 Letzter Zugriff am 24. Februar 2008 20