Zusammengeschrieben?

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Zusammengeschrieben?
Universität Potsdam
Institut für Germanistik
Wintersemester 2007/08
Grundkurs III Geschichte der deutschen Sprache (Teil 2)
Seminarleiter: Prof. Dr. Joachim Gessinger
Referatsthema: Die Rechtschreibreform von 1996
Abgabedatum: 10.04.2008
Wortanzahl: 4574
Zusammengeschrieben?
Die Rechtschreibreform von 1996 und die Kritik daran.
Lena Simon
Matrikelnummer: nice try
5. Fachsemester, Magister
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Julia Heidinger
Matrikelnummer: nice try
5. Fachsemester, Magister
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1
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung........................................................................................................................3
2 Die Rechtschreibreform und ihre Kritik.........................................................................4
2.1 Die Reform 1996....................................................................................................4
2.1.1 Stammprinzip..................................................................................................4
2.1.1.1 's' – 'ß'......................................................................................................4
2.1.1.2 Dreifachkonsonanten und ­vokale...........................................................5
2.1.1.3 Neue Doppelkonsonanten........................................................................5
2.1.1.4 'ä' und 'e'..................................................................................................6
2.1.2 Fremdwörter ..................................................................................................6
2.1.3 Groß­ und Kleinschreibung.............................................................................7
2.1.3.1 Allgemeines............................................................................................7
2.1.3.2 Substantive und Adjektive.......................................................................7
2.1.3.3 Eigennamen............................................................................................8
2.1.4 Getrennt­ und Zusammenschreibung..............................................................8
2.1.4.1Verb als zweiter Bestandteil......................................................................9
2.1.4.2 Partizipiales Adjektiv als zweiter Bestandteil..........................................9
2.1.4.3 Andere Formen als zweite Bestandteile...................................................9
2.1.5 Silbentrennung..............................................................................................10
2.1.6 Kommaregelung............................................................................................10
2.2 Die Kritik an der 96er Reform..............................................................................11
2.2.1 Stammprinzip................................................................................................12
2.2.2 Fremdwörter..................................................................................................13
2.2.3 Groß­ und Kleinschreibung............................................................................14
2.2.4 Getrennt­ und Zusammenschreibung.............................................................15
2.2.5 Silbentrennung...............................................................................................17
2.2.6 Kommaregelung............................................................................................18
2.3 Die Neuerungen von 2006....................................................................................19
3 Fazit..............................................................................................................................21
Literatur:..........................................................................................................................24
2
1 Einleitung
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts gab es Bestrebungen, die Rechtschreibung des
Deutschen zu vereinheitlichten, bis die Diskussionen schließlich 1876 zur 1.
Orthographischen
Konferenz
in
Berlin
führten,
auf
der
weitgehende
Reformvorschläge beschlossen wurden. Diese wurden jedoch von den einzelnen
Staaten und damit ihrer Verwaltung, ihrem Schulwesen und der Öffentlichkeit
nicht angenommen und nicht umgesetzt. Vorher gab es in den deutschen
Kleinstaaten keine vereinheitlichte Schreibweise, es gab folglich unterschiedliche
Schulgrammatiken, nach denen gelehrt wurde. Erst das 1880 von Konrad Duden
verfasste „Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache –
Nach den neuen preußischen und bayerischen Regeln“ schaffte es, einheitliche
Regelungen über die einzelnen Staatsgrenzen hinaus durchzusetzen. Schon
damals bestand der erste Teil des Dudens aus einem Regelwerk und der zweite
Teil aus einem Wörterverzeichnis.
Auf der 2. Orthographischen Konferenz 1901 wurde die Rechtschreibung von
verschiedenen staatlichen Vertretern, auch aus Österreich und der Schweiz,
normiert und standardisiert, allerdings wurden kaum Neuerungen eingeführt, so
dass die Bezeichnung als Reform zumindest fragwürdig ist. Erst die 1996
geplanten Änderungen sind definitiv als Reform anzusehen, da sie weitreichend
in die Struktur der Schriftsprache eingreift.
Die
1994
veröffentlichte
Rechtschreibreform
hatte
und
wie
1996
schon
eingeführte
die
früheren
1.
Fassung
zur
Bestrebungen
eine
Vereinheitlichung und eine Vereinfachung zum Ziel, stieß jedoch auf vielfache
und vielfältige Kritik von verschiedenen Seiten, so dass 2001 eine 2. Fassung
und schließlich 2006 eine bis heute gültige 3. Fassung eingeführt wurde.
In dieser Arbeit möchten wir insbesondere die Reform von 1996 und die Kritik
daran betrachten. Hierzu werden wir zunächst die Veränderungen der
grammatikalischen Regeln im Vergleich zur alten Rechtschreibung vor 1996
erläutern, indem wir näher auf Stammprinzip, Fremdwortschreibung, Groß- und
Kleinschreibung, Getrennt- und Zusammenschreibung, Silbentrennung und
Zeichensetzung eingehen. Hierbei orientieren wir uns an der Broschüre „Die
neue Rechtschreibung. Das Wichtige kurz und bündig“ von Peter Eisenberg1.
Danach werden wir die Kritik an den oben genannten Punkten weitgehend aus
linguistischer Sicht beschreiben, politische, gesellschaftliche und didaktische
Aspekte stehen dabei an zweiter Stelle. Im Anschluss daran geben wir einen
kurzen Überblick über die Neuerungen von 2006. Dabei ziehen wir neben der
1
Eisenberg: Rechtschreibung, 1996.
3
überarbeiteten Fassung des amtlichen Regelwerks 2004 die Extra-Ausgabe des
Sprachreports „Zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung ab 1. August
2006“2 vom Juli 2006 und eine Übersicht zu den Neuerungen von
www.wissenmedia.de heran. Zuletzt werden wir eine eigene Einschätzung
abgeben und versuchen, einen Blick in die Zukunft zu werfen.
2 Die Rechtschreibreform und ihre Kritik
2.1 Die Reform 1996
Bei der Rechtschreibreform von 1996 wurden folgende grammatikalischen
Regeln überarbeitet: Stammprinzip, Groß-Kleinschreibung, Getrennt- bzw.
Zusammenschreibung Silbentrennung, Fremdwörter und Kommasetzung.
2.1.1 Stammprinzip
2.1.1.1 's' – 'ß'
Traditionell (also vor 1996) wurde in Deutschland immer noch nach der so
genannten „Adelungschen Schreibweise“ festgestellt, ob ein Wort mit 'ss' oder 'ß'
geschrieben wird.
Danach schreibt man im so genannten Silbengelenk, also nach kurzem Vokal
und unmittelbar vor einem Vokal 'ss'. Bei einer Silbentrennung wird das Wort
zwischen den beiden 's' getrennt (Mas-se, küs-sen, müs-sen). In allen anderen
Fällen, in denen kein Vokal folgt oder die auf einen langen Vokal folgen, schreibt
man 'ß'. Dies soll verdeutlichen, dass 'ss' nicht getrennt werden kann (Maß, Kuß,
Stra-ße, küß-te).
Diese Regelung führte an vielen Stellen zu Verwirrung. So war es schwer zu
verstehen, weshalb der Kuß mit 'ß' und die Mehrzahl, die Küsse oder das
Küssen mit 'ss' geschrieben werden sollten. Denn anders als andere deutsche
Konsonanten verhielt sich das 's' wenig intuitiv (fassen – er faßt, aber hoffen – er
hofft).
In Deutschland wurde sie mit der Reform von 1996 durch die so genannte
„Heysesche Schreibweise“ ersetzt. Hier bestimmt nur noch der voranstehende
Vokal die Schreibweise. Nach langem Vokal oder Diphthong (was in der
Aussprache einem langen Vokal entspricht) folgt 'ß' und nach kurzem Vokal 'ss'.
Hier stimmt die Mehrzahlbildung des Wortes Kuss zu Küsse mit der sprachlichen
Intuition überein.
2
www.rechtschreibrat.de
4
2.1.1.2 Dreifachkonsonanten und -vokale
Nach alter Schreibweise wurden Dreifachkonsonanten nur geschrieben, wenn
darauf ein weiterer Konsonant folgte (Fetttropfen aber Schiffahrt). Mit der Reform
von 1996 werden die Regeln für Dreifachkonsonanten vereinfacht und
Dreifachvokale eingeführt. Das bedeutet, dass nun alle aufeinandertreffenden
Konsonanten bzw. Vokale ausgeschrieben werden. So wird aus der oben
erwähnten Schiffahrt die Schifffahrt und aus dem Seelefant der Seeelefant.
2.1.1.3 Neue Doppelkonsonanten
Bei Wörtern, deren Konsonant sich früher verdoppelte - durch ein Suffix (tippen
aber Tip) oder in ihrer Ableitung (Nummer aber numerieren), wird immer der
Konsonant verdoppelt (also Tipp und nummerieren). Fremdwörter und Suffixe
selbst bleiben von der Verdoppelung jedoch unbetroffen (numerisch, Zeugnis
trotz Zeugnisse).
2.1.1.4 'ä' und 'e'
In einigen Wörtern wird das 'e' zu einem 'ä'. Meist wird das 'ä' an solchen Stellen
neu verwendet, an denen das abgeleitete Wort eine reale oder zumindest
assoziative Verwandtschaft zu einem mit 'a' geschriebenen Wort hat. Ein Beispiel
hierfür ist der Stängel (vorher Stengel), dessen Verwandtschaft zur Stange die
Schreibweise mit 'ä' nahelegt. Außerdem wird das 'e' unter anderem bei
belämmert (Lamm), Bändel (Band) und aufwändig (Aufwand – aber: aufwenden)
durch ein 'ä' ersetzt.
Nicht alle 'e' werden durch ein 'ä' ersetzt. Sehr alte Wortverwandtschaften (Eltern
– alt; England – Angelsachsen) werden ignoriert. Außerdem alle Fälle, in denen
das 'a' der abgeleitete Buchstabe und 'e' die Grundform ist (setzen --> Satz).
2.1.2 Fremdwörter
Aus dem Bureau hat sich mittlerweile selbstverständlich das Büro entwickelt, und
keiner wärmt seinen Hals mehr mit einem Shawl, sondern doch eher mit einem
Schal, während wir Baby immer noch nicht mit ‚i’ und fair nicht mit ‚ä’ schreiben.
Die Rechtschreibreform hat aus diesem Grund neue Schreibungen von
Fremdwörtern zugelassen, indem die Laut-Buchstaben-Beziehung an die
deutsche
Schreibweise
angepasst
wurde.
Diese
gilt
jedoch
nur
als
Nebenvariante zur alten Rechtschreibung, allerdings ist es möglich, dass sich
das Verhältnis von Haupt- und Nebenvariante umkehrt.
Das in der deutschen Sprache untypische 'ti' für den Laut 'zi' darf vor den
5
Fremdwortendungen '-iös’‚ '-ios’‚ '-ial’ und '-iell’ durch ein 'zi' ersetzt werden
(pretiös – preziös, substantiell – substanziell, Differential – Differenzial).
Außerdem kann das 'ph' in Wörtern mit den Endungen '-phon', '-graph', oder 'phot' grundsätzlich mit einem 'f' geschrieben werden. Doch nicht jedes 'ph' kann
ersetzt werden. Steht das 'ph' an einer anderen Stelle kann es manchmal ersetzt
werden (Delphin – Delfin) und manchmal nicht (Alphabet, Philosophie).
Weitere mögliche Konsonantersetzungen gibt es u.a. von ‚gh’ zu ‚g’ (Ghetto –
Getto, Joghurt – Jogurt), ‚y’ zu ‚j’ (Yacht - Jacht), ‚c’ zu ‚ss’ (Facette - Fassette),
‚ch’ zu ‚sch’ (Ketchup – Ketschup) und ‚th’ zu ‚t’ (Thunfisch – Tunfisch, Panther –
Panter).
Auch Vokale können bei Fremdwörtern ersetzt werden, wie ‚ai’ zu ‚ä’
(Mayonnaise – Majonäse), ‚é’ zu ‚ee’ (Exposé – Exposee, Varieté – Varietee) und
‚ou’ zu ‚u’ (Nougat – Nugat).
2.1.3 Groß- und Kleinschreibung
2.1.3.1 Allgemeines
An jedem Satzanfang wird groß geschrieben. Folglich auch nach einem
Doppelpunkt.
Anredepronomina, die zuvor (als Höflichkeitsbekundung) großgeschrieben
wurden, werden mit Ausnahme des Sie und Ihr ab nun kleingeschrieben.
Zeitangaben,
die
zusammen
mit
Zeitadverbien
stehen,
werden
jetzt
großgeschrieben (aus heute morgen wurde heute Morgen). Dies korrigiert die
Fehlannahme, dass die Zeitangaben selbst Adverbien seien. Dementsprechend
werden die Adverbien morgens, nachts usw. weiterhin kleingeschrieben.
In Fügungen, wie sie meist bei Fremdwörtern auftreten, werden alle
substantivischen Bestandteile großgeschrieben (Heavy Metal, Ultima Ratio, LastMinute-Flug, E-Mail). Nicht substantivische Bestandteile werden demzufolge
kleingeschrieben (Status quo).
2.1.3.2 Substantive und Adjektive
Substantivierte Adjektive werden vereinheitlicht großgeschrieben. Zusätzlich zu
den „unzweifelhaften Substantivierungen“3 (das Alte, alles Gute) werden nun
auch „vergleichbare Wörter in festen Wendungen und bei übertragender
Bedeutung als substantiviert angesehen“4 und deshalb großgeschrieben (des
3
4
Eisenberg, Rechtschreibung, 1996, S. 13.
Ebd., S. 13f.
6
Weiteren, ins Schwarze, im Folgenden).
Bezeichnungen von Sprachen, die nicht eindeutig adverbial oder adjektivisch
gebraucht werden, werden großgeschrieben (ich lerne Englisch, der englische
Fußball, aber ich spreche Englisch und ich spreche englisch).
Unbestimmte Zahlwörter werden großgeschrieben, aber Mengenadjektive wie
viel, wenig, ein, andere werden weiterhin kleingeschrieben.
Substantivierte Ordnungszahlen und vergleichbare Adjektive (der Dritte, als
Letzte, der Folgende) werden großgeschrieben.
2.1.3.3 Eigennamen
„Bei den Eigennamen hat sich in Hinsicht auf die Schreibung wenig, in Hinsicht
auf
die
Regelformulierung
jedoch
geändert.“5
Wesentliches
Mit
der
Rechtschreibreform 1996 werden Sachgruppen von Eigennamen eingeführt, die
eine bessere Orientierung zur Definition von Eigennamen geben sollen. „Die
Bestimmung dessen, was ein Eigenname ist, lässt sich [...] grammatisch nicht
fassen.“6
2.1.4 Getrennt- und Zusammenschreibung
Der Grundsatz „Schreibe im Zweifel getrennt“ besitzt auch nach der Reform 1996
weiterhin seine Gültigkeit. Dadurch ergeben sich auch Auswirkungen auf die
Groß- und Kleinschreibung, da substantivische Bestandteile von ehemals
zusammengeschriebenen
Wörtern
nach
der
Getrenntschreibung
konsequenterweise groß geschrieben werden müssen.
2.1.4.1Verb als zweiter Bestandteil
Verben mit so genannten trennbaren Partikeln als erstem Bestandteil wie her,
hin,
vorbei,
zurück,
zusammen,
usw.
werden
grundsätzlich
zusammengeschrieben.
Ist der erste Bestandteil ein Substantiv, wird ausschließlich bei 'heim-ʹ, 'irre-ʹ‚
'preis-ʹ, 'stand-ʹ, 'statt-ʹ, 'teil-ʹ, 'wunder-ʹ und 'wett-ʹ zusammengeschrieben.
Verbindungen aus zwei Verben werden grundsätzlich getrennt geschrieben
(kennen lernen, stehen lassen) und zwar auch bei einer übertragenen Bedeutung
wie im Fall von sitzen bleiben, das sowohl nicht aufstehen als auch eine Klasse
wiederholen bedeuten kann.
5
6
Ebd., S. 14.
Ebd., S. 15.
7
Generell getrennt geschrieben werden außerdem alle Verbindungen mit sein (da
sein, beisammen sein) mit Adverb als erstem Bestandteil (auseinander gehen)
und mit Adjektiv als erstem Bestandteil (bekannt machen).
2.1.4.2 Partizipiales Adjektiv als zweiter Bestandteil
Formen mit einem Partizip I oder einem Partizip II als zweitem Bestandteil
werden grundsätzlich auseinandergeschrieben (Feuer speiend, Rat suchend,
abhanden gekommen, sitzen geblieben), außer wenn der erste Bestandteil für
eine Wortgruppe steht (freudestrahlend – vor Freude strahlend, herzerquickend –
das Herz erquickend).
2.1.4.3 Andere Formen als zweite Bestandteile
Alle
Pronomina
mit
'irgend-'
als
erstem
Bestandteil
werden
zusammengeschrieben.
Zusammengesetzte Konjunktionen wie anstatt, indem, inwiefern, sobald, sofern,
solange, sooft, soviel und soweit werden zusammengeschrieben, nur bei
sodass / so dass gelten beide Schreibweisen.
Bei den zusammengesetzten Präpositionen müssen anhand, anstatt, infolge,
inmitten, zufolge und zuliebe zusammengeschrieben werden, während bei
anstelle / an Stelle, aufgrund / auf Grund, mithilfe / mit Hilfe, vonseiten / von
Seiten, zugunsten / zu Gunsten und zulasten / zu Lasten beide Varianten
zulässig sind.
2.1.5 Silbentrennung
Trennungsregeln sollen mit der neuen Rechtschreibung vereinheitlicht werden,
sodass eine Trennung nach Silben immer möglich ist. Daraus ergibt sich, dass
auch 'st' getrennt (Lis-te), einzelne Vokale abgetrennt (A-meise, Ju-li-a),
Fremdwörter unabhängig von ihrer ursprünglichen Morphologie getrennt (Mikros-kop) und vor Sonoranten (Mag-net, kom-pa-tib-les) getrennt werden darf.
Auch mehrsilbige Adverbien und Pronomina können nach dieser Regel getrennt
werden (da-ran, ei-nan-der, hi-nauf). Das 'ck' wird nun wie das 'ch' und das 'sch'
als ein Laut behandelt und deswegen nicht mehr als 'k-k' getrennt (Tak-ker wurde
zu Ta-cker).
2.1.6 Kommaregelung
In einigen Fällen wird die Kommasetzung zur Vereinfachung oder zur
Vereinheitlichung freigestellt, sie ist also erlaubt, aber nicht verpflichtend. Bei den
8
Konjunktionen und, oder, beziehungsweise, sowie, wie, entweder … oder, nicht
… noch, sowohl … als auch, sowohl … wie auch und weder … noch muss kein
Komma gesetzt werden. Des Weiteren fällt das Komma bei Infinitiv-. Partizip- und
vergleichbaren Adjektivgruppen weg, sofern diese nicht von einem Verweiswort
abhängen.
Im Sinne der Vereinheitlichung soll nach der direkten Rede ein Komma stehen,
wenn der übergeordnete Satz weitergeführt wird, unabhängig von dem
Satzzeichen in der direkten Rede.
2.2 Die Kritik an der 96er Reform
Die Rechtschreibreform von 1996 erfuhr heftige Kritik und Gegenwehr. So wurde
ihr in erster Linie vorgeworfen, widersprüchlich, unsystematisch, alogisch,
überhastet und inkonsequent zu sein.7
Außerdem bemängelten die Kritiker und Kritikerinnen Willkür, neue Ausnahmen
und für eine Orthografiereform unzulässige Änderungen der Phonologie.8
Insbesondere
im
Quervergleich
der
einzelnen
Gebiete
wurden
viele
Inkonsistenzen aufgedeckt. Dementsprechend gerieten auch Regelungen, die in
sich konsistent waren, im Vergleich mit anderen in die Kritik.
Den Regeln wurde vorgeworfen zu spitzfindig und in benutzerfeindlichem
Deutsch formuliert und für den Schreibenden kaum nachvollziehbar zu sein.9
Weiterer Kritikpunkt war, dass es in der Reform zu viele Ausnahmen gebe. So
wurde gespottet, dass mit der Reform von 1996 die Ausnahmen zur Regel
würden. Beispielsweise bestand die Getrennt- und Zusammenschreibung allein
aus 253 Anwendungsbestimmungen, davon 45 Unterregeln, 2 Spezifikationen,
15 Kannbestimmungen, 123 Bedingungen, 33 Listen und 28 Verweisen.10
Viele Autoren kritisierten, dass die Reform eine zu starke Veränderung von Sinn
vornehme und Sprachgefühl und Stilästhetik entgegenliefe.11
Manche gingen so weit zu argumentieren, die Reform sei ein Eingriff in das
Grundrecht. Die geschriebene Sprache zu ändern sei neurologisch mit einer
„Aussprachereform“ vergleichbar. Im Gehirn würden bei einer Veränderung der
Buchstabenfolge ähnliche Vorgänge geschehen wie bei einem Eingriff in die
7
8
9
10
11
Vgl. Veith: Das Wahre Gesicht der Reform, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 244.
Vgl. Krieger: Wachstumslogik und Regulierungswahn, in: Eroms, 1997, S. 125.
Vgl. Veith: Das Wahre Gesicht der Reform, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997,S. 244
und Krieger: Wachstumslogik und Regulierungswahn, in: Eroms,Munske (Hrsg.),
1997, S.126.
Vgl. Veith: Das Wahre Gesicht der Reform, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 244.
Vgl. ebd. und Gelberg: Konsequenzen, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 58.
9
Aussprache, welcher offensichtlich unvertretbar sei.12
Eine Regulierung, so ein weiterer Kritikpunkt, schränke natürliches Wachstum
der Sprache ein.13 Die 'E-Mail' wurde ohnehin immer häufiger so geschrieben,
wie
von
der
Reform
vorgeschlagen.
Neue
Regeln
entstünden
durch
Sprachentwicklung. Das Regelwerk der Rechtschreibung habe sich der
Sprachentwicklung anzupassen. Dies sei überhaupt der einzige Grund für einen
Eingriff in die Rechtschreibregeln. Mit der Reform von 1996 sei jedoch genau das
Gegenteil passiert. Hier habe sich die Sprache den Regeln anzupassen.
Die Reformbefürworter hielten dagegen, dass die tatsächlichen Veränderungen
stark überschätzt würden.14 Die Kritiker verfügten nicht über ausreichendes
Wissen und würden damit die Verwirrung selbst verursachen. Ihr Widerstand
vergrößere das Chaos unnötig. Die Sprache selbst werde durch die Reform der
Rechtschreibung nicht beeinflusst.15
Der Duden vertrat die Ansicht, dass die sprachwissenschaftliche Begründung zur
Veränderung der Rechtschreibung weniger wichtig sei als die Erprobung in
Schreib- und Lesepraxis.16
2.2.1 Stammprinzip
Häufig kritisiert wurde die aus dem Stammprinzip gezogene Konsequenz,
bestimmte Wörter anzugleichen. Fuhrhop/ Steinitz/ Wurzel warfen die Frage auf,
wer bestimme, ob zwei Wörter zu einer Wortfamilie gehörten oder nicht. Dabei
entwarfen sie zwei mögliche Definitionen. Selbst die engere Definition, dass die
nach dem Stammprinzip orientierte Angleichung nur sprachhistorisch abgeleitete
Wörter betreffe, werde nach dem Vorschlag jedoch nicht konsequent angewandt.
In diesem Fall müsste man nämlich den Gletscher (von alemannisch Glatsch
=Eis) mit 'ä' schreiben.17 Die etwas weitere Definition setzt nur eine
Wortverwandtschaft voraus. So verwendet müsste jedoch konsequenterweise
auch sprechen (verwandt mit Sprache) mit 'ä' (also *sprächen) geschrieben
werden. Außerdem sei in vielen Fällen die Abstammung eines Wortes unklar
(belemmert/ belämmert – Lamm; Quentchen/ Quäntchen – Quantum; verbleuen/
verbläuen
–
blau).
Wiederum
seien
andere,
tatsächlich
gegebene
Verwandtschaften heutzutage nur noch für wenige erkennbar (behende – Hand).
Eine vereinheitlichende Definition des Stammprinzips ist also nicht gegeben, da
12
13
14
15
16
17
Vgl. Gröscher: Verfassungswidrigkeit, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 76
und Denk: Desinformationskampagnen, in: Eroms, Munske (Hrsg.),1997, S. 43.
Vgl. Krieger: Wachstumslogik und Regulierungswahn, in: Eroms, Munske (Hrsg.),
1997, S. 117.
Vgl. Eroms: Die öffentliche Diskussion, in: Eroms, Munske (Hrsg.),1997, S. 51.
Vgl. Menzel: Vorurteile ausräumen, in: Eroms, Munske (Hrsg.),1997, S. 135 f.
Vgl. Scholze-Stubenrecht: Duden, in: Eroms, Munske (Hrsg.),1997, S. 205.
Vgl auch Ickler: Die verborgenen Regeln, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 101.
10
sowohl die engere als auch die weitere Definition der Wortverwandtschaft
entweder nicht konsequent umgesetzt worden oder gar nicht konsequent
umsetzbar sind. All diese ungeklärten Fragen sowie die mangelnde Konsequenz
verhindern einen intuitiven Umgang mit der Orthografie auch nach der
Rechtschreibreform. Demnach gebe die Angleichung an das Stammprinzip keine
Orientierung für die richtige Schreibweise.18
So schreibt man zwar Ass wegen Asse, aber nicht *Kürbiss trotz Kürbisse und
auch nicht *Packet trotz packen und Päckchen.
Innere Konsequenz vermissen Fuhrhop/ Steinitz/ Wurzel auch bei der
Beseitigung
bzw.
Einführung
des
'h'.
Hier
kollidieren
tatsächlich
das
Stammprinzip und die Aufrechterhaltung der Lautstruktur. Im Sinne des
Stammprinzips wird das 'h' nach einem langen Vokal eingeführt, nach einem
Diphthong jedoch abgeschafft. Phonologisch seien Langvokale und Diphthonge
jedoch „äquivalent“.19
2.2.2 Fremdwörter
Ebenfalls inkonsequent angewandt sei die Eindeutschung von Fremdwörtern. So
sei unersichtlich, warum 'ph' nur manchmal durch 'f' ersetzt werde und nach
welchem Muster ein 'h' nach dem 't' weggelassen werden dürfe. Warum
Megafon, aber nicht *Fonologie? Und ganz konsequent wäre dann auch die
Schreibweise *Filosofie. Und warum Panter und nicht *Teater?20
Für andere bedeutete die Angleichung der Fremdwörter einen zu großen Eingriff
ins Schriftbild.21
2.2.3 Groß- und Kleinschreibung
Ein Großteil der Kritik an der Groß- und Kleinschreibung bezog sich auf Fälle, die
in Verbindung mit der Getrennt- und Zusammenschreibung standen (siehe
2.2.4.).
Stark kritisiert wurde die Kleinschreibung von du, ihr, euer usw. in Briefen.22
Wieso sollte die Ehrerbietung durch die Großschreibung nur Fremden zuteil
werden, nicht aber Freunden und Verwandten?
„Die Scheinsubstantivierung durch den Artikel, das ist das eigentliche Problem
der Substantivgroßschreibung.“23 In dem Konzept der Artikelprobe kommt „eine
grobe Fehleinschätzung der textgrammatischen Funktion von Artikeln zum
18
19
20
21
22
23
Vgl. Fuhrhop, Steinitz, Wurzel: Aufwändiger Zierrat?, 1995, S. 202.
Vgl. Fuhrhop, Steinitz, Wurzel: Aufwändiger Zierrat?, 1995, S. 203.
Vgl. ebd.
Vgl. Denk: Desinformationskampagnen, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 43.
Vgl. Fuhrhop, Steinitz, Wurzel: Aufwändiger Zierrat?, 1995, S. 205.
Augst: Problem des Regelaufbaus, in: Augst (Hrsg.), 1997, S. 395.
11
Ausdruck“24. Nach diesem Konzept sollte großgeschrieben werden, was einen
Artikel haben kann. Allerdings kann man auch vor Mengenadjektive einen Artikel
setzen (die vielen), die dennoch kleingeschrieben werden, sodass auch hier ein
Widerspruch entsteht.
Eine weitere Unstimmigkeit liegt darin, dass Ordnungszahlen groß- aber
Kardinalzahlen
kleingeschrieben
und
damit
„orthographisch
verschieden
behandelt“ werden sollten: Er kam als Dritter ins Ziel, aber Die zwei gehen
spazieren.25 Auch hier greift die Artikelprobe nicht.
Augst stellt dazu abschließend fest: „[E]s sei denn, man entschließt sich dann
doch
zur
Lösung
[...],
die
alle
diese
Probleme
nicht
kennt,
-
der
Getrennt-
die
Substantivkleinschreibung!“26
2.2.4 Getrennt- und Zusammenschreibung
Von
vielen
Seiten
in
Kritik
geriet
die
Regelung
und
Zusammenschreibung. Dieser wurde vorgeworfen, semantische und syntaktische
Differenzierungen zu beseitigen (u.a. *bewusstmachen versus bewusst machen).
Die Neuregelung stehe „im Widerspruch zur Gesamtgrammatik“27.
Die Regelung der Getrennt- und Zusammenschreibung war schon vor der
Reform von 1996 kein einfaches Unterfangen. Im Rechtschreibduden von 1986
heißt es: „Im Bereich der Zusammen- und Getrenntschreibung gibt es keine
allgemeingültige Regel“28.
Günther kommt zu dem Schluss, dass die Regeln im Duden „schlechterdings
unbrauchbar“29 seien und formuliert folgende Regel für Verbindungen von
Substantiv und Verb: „Trennbare Verben mit einem Substantiv als Erstglied
werden zusammengeschrieben, weil das nominale Glied kein syntaktisches Wort
bildet.“30 Außerdem gebe es im Deutschen die Entwicklung hin zur Univerbierung
und
Inkorporierung,
„d.h.
des
Löschens
ursprünglich
syntaktischer
Verhältnisse“31. Darum müssten auch Schreibungen wie lippenlesen oder
rätselraten zugelassen werden, da die Bestandteile lippen und rätsel „syntaktisch
(!) keine Nomina sind, sondern einen ähnlichen Status haben wie Verbpartikel“32.
Daraus folgert Günther, dass je nach syntaktischer Analyse ein Ausdruck sowohl
getrennt als auch zusammengeschrieben werden könne, z.B. Ich bin 800km Auto
24
25
26
27
28
29
30
31
32
Munske: Wie wesentlich ist die Reform?, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 150.
Vgl. ebd.
Augst: Problem des Regelaufbaus, in: Augst (Hrsg.), 1997, S. 395.
Günther: Alles Getrennte, in: Eroms, Munske (Hrsg.),1997, S. 91.
Ebd., S. 87.
Ebd., S. 88.
Ebd., S. 89.
Günther: Alles Getrennte, in: Eroms, Munske (Hrsg.),1997, S. 91.
Vgl.ebd.
12
gefahren/autogefahren. Im ersten Fall sei Auto eine Art Objekt zu fahren, im
zweiten Fall sei autofahren ein intern nicht strukturierter Ausdruck.33
„Entscheidend aber ist die Perspektive, dass die Entscheidung über die
Zusammen-
oder
Getrenntschreibung
nicht
über
die
Wortliste
im
Rechtschreiblexikon gefällt wird, sondern über die syntaktische Organisation der
Wörter im Satz.“34.
Die Reform von 1996 weitet nun entgegen der Sprachentwicklung der letzten 500
Jahre hin zur Univerbierung systematisch die Getrenntschreibung aus.35 Bis auf
die in 2.1.4.1 beschriebenen acht Ausnahmen wird immer getrennt geschrieben.
In der Ausnahmeliste, „die ja vollständig sein soll“36, ist zwar haushalten
enthalten, aber nicht hofhalten, so dass es er hält haus, aber er hält Hof hieße.
„Wo
ist
denn
da
die
Logik
und
wo
bleibt
die
Vereinfachung
der
37
Rechtschreibung?“ . Die angestrebte Vereinheitlichung, die an dem Beispiel
Auto fahren – Rad fahren festgemacht wurde, wird nicht erreicht.
Grundsätzlich sei „eine Vereinheitlichung der gegenwärtigen inkonsistenten
Schreibung [...] angeraten“, allerdings gehe diese „gerade in die verkehrte
Richtung“38. So sind er fährt rad und er fährt das Rad weder syntaktisch noch
semantisch identisch. Die Getrenntschreibung führt dazu, dass syntaktische
Analysierbarkeit signalisiert wird, wo gar keine besteht, dass also z.B. Eis in Eis
laufen ein Substantiv sei und damit eine syntaktische Beziehung zum finiten Verb
habe. Auch müsse jetzt Staub saugen geschrieben werden, womit „sich mir eine
höchst unästhetische Assoziation verbindet“39. Hier besteht jedoch keine
syntaktische Beziehung zwischen Substantiv und Verb. Wären Eis und Staub
Substantive, dann müssten sie sowohl artikel- als auch attributfähig sein, (*Ich
laufe das feste Eis). Des Weiteren haben sich einige Verben wie staubsaugen zu
untrennbaren Verben entwickelt (ich habe gestaubsaugt). Es ist ein Widerspruch,
dass man zwar er saugt Staub, aber er hat gestaubsaugt schreiben muss, da *er
hat ge Staub saugt im Deutschen unmöglich ist.
Substantivierte Adjektiv- und Partizipialgruppen müssen nach der Reform von
1996 auseinandergeschrieben werden, z.B. Besorgnis erregend, tief schürfend.40
Diese Formen sind laut Ickler jedoch echte Komposita, wie schon ihre
Steigerbarkeit und Intensivierbarkeit beweise. Demnach müsse es weitaus
tiefschürfender (nicht *weitaus tief schürfender) und am besorgniserregendsten
33
34
35
36
37
38
39
40
Ebd.
Ebd.
Vgl. ebd., S. 90.
Fuhrhop, Steinitz, Wurzel, Aufwändiger Zierrat?, 1995, S. 204.
Ebd.
Ebd.
Günther: Alles Getrennte, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 90.
Vgl. Ickler: Die verborgenen Regeln, in: Eroms, Munske (Hrsg.),1997, S. 102.
13
(nicht *am Besorgnis erregendsten) heißen.41 Die vorhandenen Ausnahmen (z.B.
freudestrahlend) komplizieren den Sachverhalt und die Erklärung, es handele
sich um eine feste Wendung (vor Freude strahlen) ist unklar. Auch hier wird
entgegen dem Trend zur Univerbierung die Getrenntschreibung als das Normale
angesehen.
In einer Gesamtbewertung ist festzustellen, dass die neue GZS quantitativ und
qualitativ außerordentlich folgenreiche Eingriffe vorsieht, die weit über
orthographische Fragen im engeren Sinne hinausgehen. Die Neuregelung greift
mit dem Instrument orthographischer Normierung massiv in die Entwicklung und
differenzierte Gestalt des deutschen Wortschatzes ein. [...] Damit ist die GZS
zum Hauptsorgenkind der Rechtschreibreform geworden. Eine gründliche und
sorgfältige Überarbeitung ist unerläßlich.42
2.2.5 Silbentrennung
Allgemein wurde kritisiert, dass durch eine Vermehrung der Trennstellen beim
Lesen die Prognose erschwert werde, wie das Wort weitergehe.
Die Aufhebung der „trenne-nie-st“-Regel wurde weitgehend als sinnvoll erachtet.
Lediglich bei einigen Wörtern wurde kritisiert, dass bei Endungen und
Steigerungen nicht beide Schreibweisen erlaubt seien (dreißig-ste/dreißigs-te;
Lieb-ste/Liebs-te).
Auch mit der Trennung der Fremdwörter waren einige unzufrieden: Diese werde
von den Herkunftssprachen abhängig gemacht, wodurch die Anwendung der
Regeln von Fremdsprachenkenntnissen und damit vom Bildungsgrad abhängig
sei. Außerdem verändere die Trennung nach dem Silbenprinzip häufig die
Morphologie, was die Ursprungsbedeutung des Wortes verschleiere.43
Am meisten kritisiert wurde die Behandlung des 'ck' als Digraph, welches jedoch
ein Silbengelenk darstelle. Diese Regel bedeute die Einführung der 'st'-Regel an
anderer Stelle. Die bisherige Lösung würde der Grundregel gerecht und hätte
daher nicht verändert werden müssen.44
2.2.6 Kommaregelung
Die Änderungen bei der Zeichensetzung sind gering. Bei Reihungen mit und,
oder etc. und bei Infinitiv- Partizip- und Adjektivgruppen kann, aber muss kein
Komma gesetzt werden. Munske sieht das Problem in den Auswirkungen dieser
Regelung auf die Norm der gesamten Sprachgemeinschaft. Für ihn „stellt diese
Liberalisierung einen sehr erheblichen Eingriff in die syntaktisch geprägte
Kommasetzung des Deutschen dar“45. Er befürchtet, dass sich ohne eindeutige
41
42
43
44
45
Vgl. ebd.
Munske: Wie wesentlich ist die Reform?, in: Eroms, Munske (Hrsg.),1997, S. 153.
Vgl. Veith: Das Wahre Gesicht der Reform, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 244.
und Denk: Desinformationskampagnen, in: Eroms, Munske (Hrsg.),1997, S. 42.
Vgl. Ickler: Die verborgenen Regeln, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 109.
Munske: Wie wesentlich ist die Reform?, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S. 151.
14
Regelung kein sinnvoller Gebrauch des Kommas erhalten wird und dass durch
unterschiedlichen Kommagebrauch das Textverständnis erschwert wird.46
Gallmann ist der Ansicht, dass die Kommaregeln schlecht formuliert waren und
sind, da mit den Begriffen einfacher und erweiterter Infinitiv nicht die „eigentlichen
syntaktischen Gesetzmäßigkeiten“47 erfasst werden. Er schlägt deswegen eine
Regelung auf der Grundlage der syntaktischen Parameter von Kohärenz und
Satzwertigkeit vor. Auch Baudusch findet, dass um „die zweifellos immer noch
komplizierte Kommaregelung des Reformvorschlags [...] durch eine klare
Gliederung
nach
den
Grundfunktionen
des
Kommas
einsehbarer
und
überschaubarer präsentieren zu können, [...] nochmaliges Nachdenken über
theoretische Grundpositionen notwendig“48 wäre.
Primus räumt ein, dass die neue Kommaregelung zwar an den richtigen Stellen
ansetze, dass aber bei dem Kommagebot bei Hauptsätzen nur „halbherzig“
verfahren worden sei, da die alte Norm nicht komplett abgeschafft wurde, und
dass bei Infinitiv- und Partizipkonstruktionen „über das Ziel hinausgeschossen“
worden sei, da diese nicht weiter unterschieden würden.49
Weiterhin wird die Setzung des Kommas nach direkter Rede kritisiert. Die
Häufung von drei Satzzeichen führe zu Verwirrung und sei eine Fehlerquelle.50
Diese Vereinheitlichung läuft nach Baudusch in die verkehrte Richtung, da durch
das „Kontraktionsgesetz [...] das Komma durch die drei Satzschlußzeichen
(Punkt, Frage- und Ausrufezeichen) aufgehoben“51 werde.
2.3 Die Neuerungen von 2006
Nachdem 2004 der öffentliche Protest gegen die Neuregelung seinen Höhepunkt
erreicht
hatte und
einige
Zeitungs-
und
Zeitschriftenverlage
zur
alten
Schreibweise zurückgekehrt waren, wurde als Reaktion darauf der Rat der
deutschen Rechtschreibung eingerichtet, dessen Ziel es war, „eine konsensuelle
Lösung auf der Basis des Regelwerks 2004 zu entwickeln“52. Im Jahr 2006 wurde
diese überarbeitete und bis heute gültige Fassung der Rechtschreibreform
amtlich. In den Bereichen Getrennt- und Zusammenschreibung, Groß- und
Kleinschreibung, Zeichensetzung und Silbentrennung wurden Änderungen
vorgenommen.
46
47
48
49
50
51
52
Vgl. Munske: Wie wesentlich ist die Reform?, in: Eroms, Munske (Hrsg.), 1997, S.
151.
Gallmann: Komma bei Infinitivgruppen, in: Augst (Hrsg.), 1997, S. 455.
Baudusch: Vorschläge zur Zeichensetzung, in: Augst (Hrsg.), 1997, S. 493.
Primus: Satzbegriffe und Interpunktion, in: Augst (Hrasg.), 1997, S. 486.
Baudusch: Vorschläge zur Zeichensetzung, in: Augst (Hrsg.), 1997, S. 494.
Ebd.
Sprachreport, 1996, S. 2.
15
Bei der Getrennt- und Zusammenschreibung gibt es die meisten Neuerungen.
Verbindungen aus Partikel und Verb dürfen zusammengeschrieben werden,
wenn die Zusammensetzung einen Hauptakzent hat. Werden die beiden
Bestandteile gleich betont, schreibt man wie zuvor getrennt (wiederbeleben –
wieder beleben).
Schreibungen aus Adjektiv und Verb werden jetzt bei übertragener Bedeutung
zusammengeschrieben: krankschreiben (= für arbeitsunfähig erklären). Handelt
es sich um resultative Verben, dann kann zusammengeschrieben werden (kaputt
machen/ kaputtmachen).
Substantive
und Verben
werden
auch weiterhin grundsätzlich getrennt
geschrieben. Die Ausnahmeliste ist um vier Verben mit verblasstem Substantiv
erweitert worden: eislaufen, nottun, leidtun, kopfstehen. In folgenden Fällen sind
beide Schreibweisen zulässig, da es sich nicht entscheiden lässt, ob eine
Zusammensetzung oder eine Wortgruppe vorliegt: maßhalten/ Maß halten,
achtgeben/ Acht geben, achthaben/ Acht haben, haltmachen/ Halt machen,
danksagen/ Dank sagen, gewährleisten/ Gewähr leisten, brustschwimmen/ Brust
schwimmen, delfinschwimmen/ Delfin schwimmen, marathonlaufen/ Marathon
laufen, staubsaugen/ Staub saugen.
Verbindungen aus zwei Verben schreibt man getrennt außer bei Verbindungen
mit lassen und bleiben. Das Verb kennenlernen/ kennen lernen bildet eine
Ausnahme und darf sowohl zusammen als auch getrennt geschrieben werden.
Partizipformen werden zusammengeschrieben, wenn auch die Infinitivform
zusammengeschrieben wird (abhandengekommen von abhandenkommen).
Schreibt man die Infinitvform getrennt, ist beides möglich (ratsuchend/ Rat
suchend von Rat suchen). Steigerungen werden zusammengeschrieben
(schwerwiegenderer).
Gleichrangige Adjektive
bedeutungsstärkend
und
oder
solche,
bei
denen
der
erste
Bestandteil
bedeutungsschwächend
ist,
werden
zusammengeschrieben. Tritt ein einfaches unflektiertes Adjektiv als graduierende
Bestimmung zu einem Partizip auf, sind beide Schreibungen erlaubt. Hier ergibt
sich eine unterschiedliche Betonung (allgemeingültig/ allgemein gültig).
Auch bei der Schreibung von Fremdwörtern aus Substantiv und Adjektiv kommt
es
auf
die
Betonung
an.
Wird
nur
ein
Bestandteil
betont,
wird
zusammengeschrieben, werden beide betont, wird getrennt geschrieben
(Longdrink, Smalltalk/ Small Talk, Open Air). Fremdwörter aus Substantiv und
Substantiv werden entweder zusammen oder mit Bindestrich geschrieben
(Airbag/ Air-Bag).
Die Änderungen bei der Groß- und Kleinschreibung sind überschaubar. In
16
Verbindung mit den Verben sein/werden/bleiben sind einige Substantive
verblasst und werden deswegen klein geschrieben: angst, bange, recht, unrecht,
feind, freund, gram, klasse, spitze, schuld, schnuppe, wurst/wurscht, leid, not,
pleite.
Treten
recht
und
haben/behalten/geben/bekommen/tun
unrecht
auf,
darf
in
Verbindung
sowohl
klein-
als
mit
auch
großgeschrieben werden (rechthaben/ Recht haben).
In festen Verbindungen aus Adjektiv und Substantiv mit Eigennamencharakter
wird
großgeschrieben.
Ohne
Eigennamencharakter
wird
grundsätzlich
kleingeschrieben, allerdings gibt es Ausnahmen, wenn eine übertragene
Bedeutung vorliegt (das Schwarze Brett) und wenn es sich um Titel, Amts- und
Funktionsbezeichnungen,
Klassifikationsbezeichnungen
oder
besondere
Kalendertage handelt (Heiliger Vater, Technischer Direktor, Fleißiges Lieschen,
Erster Mai).
In Briefen dürfen die Anredepronomina du und ihr mit den dazugehörigen
Possessivpronomen dein und euer wieder großgeschrieben werden.
Bei der Kommaregelung darf nach der Version von 2006 bei Sätzen mit und,
oder, etc. nur noch bei einer Reihung von Hauptsätzen ein Komma gesetzt
werden, um die Gliederung des gesamten Satzes zu verdeutlichen.
Infinitivgruppen müssen jetzt auch mit Komma abgetrennt werden, wenn sie mit
um, ohne, als, anstatt, außer oder statt eingeleitet werden oder wenn sie von
einem Substantiv abhängen (Er fasste den Plan, heimlich abzureisen.). Bei
bloßen Infinitiven, die von einem Substantiv abhängen, ist die Setzung des
Kommas fakultativ (Den Plan(,) abzureisen(,) hatte er schon lange gefasst.).
Die Abtrennung am Zeilenende einzelner Vokale am Wortanfang oder in der
Wortmitte ist nicht mehr zulässig (Bio-müll, Esel, Fei-er-abend).
3 Fazit
Grundsätzlich stehen wir einer Reformierung der Rechtschreibung offen
gegenüber. Da Sprache ein lebendiger Prozess ist muss hin und wieder die
Rechtschreibung an den Sprachgebrauch angepasst werden. Das größte
Problem hierbei ist, dass verschiedene Absichten zueinander konträr liegen
können und daher Diskussionen und Kritik provozieren. So gibt es beispielsweise
bei der Fremdwortschreibung auf der einen Seite Bestrebungen nach
Vereinheitlichung
und
Vereinfachung,
auf
der
anderen
Seite
soll
die
etymologische Herkunft erkennbar bleiben und nicht zu stark ins Schriftbild
eingegriffen werden. Dieser Konflikt tritt u.a. am Beispiel der Philosophie auf, die
im Sinne der durchaus sinnvollen Vereinheitlichung einerseits angepasst werden
müsste und andererseits in unserem Sprachgefühl nicht verändert werden sollte,
17
und erscheint uns schwer lösbar.
Über die Änderungen von 1996 sind wir geteilter Meinung. Die Einführung der
Heyseschen s-Schreibung halten wir genauso wie die Anpassung einiger
Fremdwörter (so wie Megafon) an deutsche Schreibweisen für sinnvoll. Ebenso
unterstützen wir den Versuch, eine weitgehende Einheitlichkeit mit dem
Stammprinzip anzustreben. Wir sind uns der Schwierigkeit bewusst, dass häufig
die Grundform unklar ist oder Wortverwandtschaften nicht mehr erkennbar sind,
weshalb eine konsequente Vereinheitlichung nicht möglich ist.
Problematisch finden wir die Kommaregelung bei Infinitivgruppen und die
Regelung zur Getrennt- und Zusammenschreibung, da diese tiefer in die
Grammatik eingreift.
Unserer Ansicht nach muss sich Rechtschreibung der
Grammatik, Semantik und Lautstruktur anpassen und nicht umgekehrt.
Rechtschreibung sollte das Werkzeug der Verschriftlichung von Sprache und
nicht die Sprache selber sein.
Auf die vielen kritischen Stimmen und die vielfältige Kritik an dem Regelwerk von
1996 wurde hier bei der Neufassung von 2006 – zumindest teilweise –
eingegangen, indem einiges zurückgenommen wurde und in vielen Fällen
mehrere Schreibweisen zugelassen wurden.
Daher stimmen wir mit den erneuten Änderungen von 2006 überein, auch wenn
sie uns im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung nicht weitreichend
genug erscheinen.
Welche Änderungen sich nach der Rechtschreibreform tatsächlich dauerhaft
durchsetzen werden, wird man wohl erst in einigen Jahren feststellen können.
Nämlich dann, wenn man die alltägliche Schreibpraxis der derzeitigen
Schülergenerationen hinreichend untersuchen kann. Letztlich aber erst, wenn die
nächste Rechtschreibreform – vielleicht in hundert Jahren? – ansteht.
18
Literatur:
–
Augst,
Gerhard:
Das
Regeloperationalisierung, in:
Sitta, Horst (Hrsg.): Zur
Begründung und Kritik (=
Tübingen 1997, S. 113-134.
Problem
des
Regelaufbaus
und
der
Augst, Gerhard; Blüml, Karl; Nerius, Dieter;
Neuregelung der deutschen Orthographie.
Reihe Germanistische Linguistik, Bd. 179),
–
Baudusch, Renate: „Die unproblematischen Vorschläge sind die zur
Zeichensetzung“, in: Augst, Gerhard; Blüml, Karl; Nerius, Dieter; Sitta, Horst
(Hrsg.): Zur Neuregelung der deutschen Orthographie. Begründung und Kritik
(= Reihe Germanistische Linguistik, Bd. 179), Tübingen 1997, S. 463-488.
–
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Hans-Werner; Munske, Horst Haider (Hrsg.): Die Rechtschreibreform: Pro
und Kontra, Berlin 1997, S. 41.
–
Eisenberg, Peter: Die neue Rechtschreibung. Das Wichtige kurz und bündig,
Hannover 1996.
–
Eroms, Hans-Werner: Die öffentliche Diskussion um die Rechtschreibreform,
in: Eroms, Hans-Werner; Munske, Horst Haider (Hrsg.): Die
Rechtschreibreform: Pro und Kontra, Berlin 1997, S. 51.
–
Fuhrhop, Nanna; Steinitz, Renate; Wurzel, Wolfgang Ullrich: Tut das wirklich
Not? oder: Aufwändiger Zierrat? Zur geplanten Rechtschreibreform, in:
Zeitschrift für germanistische Linguistik, 1995, Bd. 23, S. 202-206.
–
Gallmann, Peter: Zum Komma bei Infinitivgruppen, in Augst, Gerhard; Blüml,
Karl; Nerius, Dieter; Sitta, Horst (Hrsg.): Zur Neuregelung der deutschen
Orthographie. Begründung und Kritik (= Reihe Germanistische Linguistik, Bd.
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–
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Hans-Werner; Munske, Horst Haider (Hrsg.): Die Rechtschreibreform: Pro
und Kontra, Berlin 1997, S. 57.
–
Gröscher, Rolf: Zur Verfassungswidrigkeit der Rechtschreibreform, in: Eroms,
Hans-Werner; Munske, Horst Haider (Hrsg.): Die Rechtschreibreform: Pro
und Kontra, Berlin 1997, S. 69.
–
Günther, Hartmut: Alles Getrennte findet sich wieder. Zur Beurteilung der
Neuregelung der deutschen Rechtschreibung, in: Eroms, Hans-Werner;
Munske, Horst Haider (Hrsg.): Die Rechtschreibreform: Pro und Kontra,
Berlin 1997, S. 81.
–
Ickler, Theodor: Die verborgenen Regeln, in: Eroms, Hans-Werner; Munske,
Horst Haider (Hrsg.): Die Rechtschreibreform: Pro und Kontra, Berlin 1997, S.
101.
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Krieger, Hans: Wachstumslogik und Regulierungswahn,in: Eroms, HansWerner; Munske, Horst Haider (Hrsg.): Die Rechtschreibreform: Pro und
Kontra, Berlin 1997, S. 117.
–
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–
Munske, Horst Haider: Wie wesentlich ist die Rechtschreibreform? in: Eroms,
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–
Scholze-Stubenrecht, Werner: Warum der Duden die Rechtschreibreform
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–
Veith, Werner H.: Das wahre Gesicht der Reform, in: Eroms, Hans-Werner;
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