Tour ULM 2006 – mit dem Kiebitz auf der Tour - Helmuts UL

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Tour ULM 2006 – mit dem Kiebitz auf der Tour - Helmuts UL
Tour ULM 2006
mit dem Kiebitz auf der Tour de France
Anfang August war es wieder so weit, Frankreich - die Tour ULM 2006 - 11. Ausgabe - für mich
die zweite, lockte zum Anflug. Dank früher Anmeldung bereits im Februar hatte ich mir einen der
begehrten Teilnehmerplätze gesichert und tauschte meine Kennung D-MALM für die Tour in
M24 - was für "multiaxe no. 24" steht. Die Streckenführung der Tour ist jedes Jahr anders und
war vielversprechend, zumal sie dieses Mal auch über das Rhônetal in bergiges Gelände führte.
Es war bereits Freitag Nachmittag, als ich endlich die Bürotür hinter mir schloss. Am Flugplatz
Günzburg (nähe dem Freizeitpark Legoland zwischen Ulm und Augsburg) war gerade ein
heftiges Gewitter niedergegangen. Der helle Horizont im Westen zeigte fliegbares Wetter und so
sattelte ich meinen Kiebitz mit Rucksack, Zelt, Isomatte, Klopapier, Werkzeug, Radkeile,
Abdeckmatte und startete mit Ziel Schweighofen, einem gemütlichen Flugplatz südwestlich von
Karlsruhe, direkt an der Grenze nach Frankreich. Das Regenradar voraussagte lokale Gewitter
und Schauer nördlich von Stuttgart, die ich problemlos umflog, ohne nass zu werden.
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Am Abend meldete ich einer
freundlichen Flugleiterin meine
Position und setzte den Kiebitz
sanft nach Anweisung hinter der
Landebahnmitte auf, um den
vorgewarnten Wirbeln durch die
Hallen zu entgehen. Am Platz
fand ein deutsch-französisches
Fallschirmspringerlager statt und
so zeltete ich nicht alleine. Für
wenig
Geld
gab
es
eine
Riesenportion Nudeln in der
Kneipe der Springer.
In der Nacht regnete es und am
Morgen waren die Berge des
nahen Pfälzer Waldes dicht –
aufliegende Bewölkung.
Ein Blick auf den Regenradar
meines Handy-PDA versprach
Besserung von Nordwesten her
und so verwarf ich den am
Vorabend aufgegebenen Flugplan, nach Südwesten über Saare
Union weiterzufliegen.
Der neue Flugplan über Saar
Louis-Düren nach Thionville war
fernmündlich
schnell
und
problemlos umgemeldet.
Nachdem die Wolken die ersten
Pfälzer Bergspitzen frei gaben,
startete ich und tastete mich unter
der Wolkenbasis in Richtung
Zweibrücken, möglichst wenig
hinunterschauend in Ermangelung
von geeigneten Landeplätzen.
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Kaum war der Pfälzer Wald überquert,
lockerte die Bewölkung auf und "on top" bei
10 Grad Frische ging es nach Saar-LouisDüren zum Tanken.
Der Flugleiter aktivierte meinen Flugplan und
5 Minuten später überflog ich bereits die
Grenze nach Frankreich. 20 Minuten später
war ich das einzig bewegte Flugzeug am
riesengroßen Grasplatz in Thionville, schloss
den Flugplan und konnte jetzt „frei" fliegen.
Nach Tankstopp in Sedan brummelte mein
Sauer-Motor monoton über
langweiliges
Flachland nach Westen zum Sammel- und
Startflugplatz Amiens, als mein Kiebitz
plötzlich mit Vollgas röhrte. Als ich das Gas
zurücknahm, tat sich zunächst nichts, bis
dann plötzlich der Flug mit Standgas bremste.
Ich konnte das Gas nicht mehr fein dosieren
und
dachte
an
einen
klemmenden
Bowdenzug, der sich durch Vibration wieder
freilöst. Nachdem der Kiebitz nicht vom
Himmel fiel und die Landschaft unter mir aus
abgeernteten Getreidefeldern bestand und
mögliche Notlandefelder waren, flog ich mit
guter Höhe weiter, erreichte 80 km weiter den
Flugplatz Amiens und landete ohne
Schleppgas auf einer ewig langen Grasbahn.
Da es schon spät war, lief ich gleich zur
Halle, meldete mich an und war erstaunt
über eine Traube von Interessierten, die um
meinen Flieger herumstanden. Als mich
einer fragte, ob das so gehöre und am
Propeller wackelte, schreckte ich auf und
wurde bleich, als ich eine gebrochene
Motorbefestigungsschraube entdeckte. Da
der Motor nur noch an zwei Schrauben hing
und sich dadurch ca. 3 cm nach vorne
bewegen konnte, erklärten sich die
variablen Gasstellungen von selbst. Der
abgerissene Schraubenstummel steckte
bündig im Motorblock! Die Tour kann ich
vergessen - schoss es mir durch den Kopf.
Doch es wäre nicht die Tour ULM - gäbe es da nicht einen exzellenten Mechaniker mit
Werkstattwagen, der es schaffte, den Schraubenstummel unter Beifall der Zuschauer
herauszubringen, eine Schraube M10x80 entsprechender Festigkeit zu besorgen und noch eine
Bohrung für den Sicherungsdraht anzubringen. Der Rest war Routinearbeit unter
Taschenlampenbeleuchtung und ein Verzicht auf die Begrüßungsfeier. Hauptsache, der Flieger
war wieder flugklar und ich war dabei!
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Am Sonntag Morgen um 6 Uhr begann die
täglich selbe Abfolge: Aufstehen – Morgentoilette - und beim Rasieren gleich kräftig in
die Lippe geschnitten! Was muss den noch
alles kommen? - Zelt ausräumen - Zelt
abbauen - alles im Rucksack verpacken Rucksack auf Lkw verstauen - Frühstücken General Briefing - anschließend Wettbewerbsbriefing - und dann ab ca. 9 Uhr im
Halbminutentakt losstarten - als einer von 120
gleichgesinnten Piloten mit ihren Flugzeugen.
Das erste Ziel war Sedan - die Landschaft
kannte ich vom herfliegen bereits - mit einer
Navigationsaufgabe (Punkte suchen und auf
einer vorgegebenen Strecke möglichst exakt
fliegen - ein GPS-Empfänger dokumentierte
die Strecke und am PC wurde später der SollIst-Vergleich punktemäßig bewertet). In
Sedan war Tankstopp mit Mittagspause. Die
Landung bei 90 Grad Seitenwind war nicht
ganz ohne und kostete einem Piloten seine
nagelneue FK9.
Gestärkt ging es weiter über Fains Veel,
einem familiären privaten UL-Platz auf einer
Anhöhe, an dem ein Ziellandewettbewerb
angesagt war. Der freundliche Flugplatzchef
spendierte Getränke und bald ging es wieder
weiter südwärts nach in Dijon, dem Zielplatz
der ersten Tagesetappe.
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Beim Anflug auf den Flugplatz Dijon-Darois war
der angekündigte Mistral bereits deutlich zu
spüren. Die Landung gegen den laminaren Wind
war jedoch unproblematisch.
Mit Rucksackholen, Zeltaufbauen, Tanken,
Briefing, Abendessen ging es. Als Tagessieger
erhielt ich von der Bürgermeisterin einen riesigen
Glaspokal überreicht, der natürlich mit meinen
Freunden Niki und Klaus, einem deutschen
EURO-Star-Team aus Baden-Oos, das letztes
Jahr schon dabei war und dem CT-Piloten Claas
aus Braunschweig, der dieses Jahr sein Debut
gab, begossen werden musste. Die Nacht war
kurz, wie so oft (man könnte ja etwas
versäumen) und der Rotwein, den es als "flat
rate" jeden Abend gab, trug seinen Teil dazu bei.
Montag, 6 Uhr - same procedure - heute sollte es
über den Flugplatz Bellegarde in den Bergen
nach Montelimar im Rhônetal gehen. Die
vormittägliche Wettkampfaufgabe mit „Kreuze
suchen“ und „Kurvenlinien in Michelin-Karte
abfliegen“ war bei Wind aus NW mit 30 km/h gar
nicht so einfach, zumal beim Kiebitz die Sicht
nach vorne und unten bescheiden ist und man
die Schnauze zur Flugrichtung deutlich versetzen
muss, um etwas am Boden zu erkennen, wobei
die Kompassnadel sich dann auch mitdreht und
nichts mehr stimmt. Aber irgendwie fand ich den
Endpunkt der Wettbewerbsstrecke, einen
Friedhof,
drehte
eine
Linkskurve
zum
nochmaligen Überflug und konnte mein TracingGPS abschalten.
Etwas entspannter ging es in geringer Höhe
(wegen der Tiefflugkorridore - und davon gibt es
in Frankreich viele) weiter südostwärts in das
Bergland und ich musste den Motor plagen, um
über die Hangkanten zu kommen. Mit geringen
Steigwerten kämpfte ich mich hoch an die
Wolkenbasis, deren blaue Locher immer weniger
wurden. Die Landeplätze wurden rarer, viel Wald
und unwegsames Gelände lenkten von der Kälte
unter der Wolkenbasis ab. Endlich, ein tiefer
Bergeinschnitt in Sicht, dahinter sollte laut Karte
der Flugplatz Bellegarde liegen. Mit gut 1000 m
über Platzhöhe ging ich den Sinkflug über und
ordnete mich brav in den Platzverkehr ein,
meldete meine "Mike 24" im Gegenanflug und
arbeitete mich von Rangnummer 8 ins Endteil.
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Die Landung passte und beim Rollen
schüttelte es, was sich als Plattfuß heraus
stellte. Die Mittagspause war ich mit
Reifenflicken beschäftigt – hatte aber auch
fleißige Helfer. Ein Dorn hatte ein kleines
Loch in den Schlauch gestochen. Zum
Relaxen auf dem schönen Flugplatz war
leider wenig Zeit.
Aufgrund starkem Mistral, der mit 70 km/h
das Rhônetal hinunter pfiff und leider auch
am Abend nicht einschlief, war an ein
Landen in Montélimar nicht zu denken.
Die Verantwortlichen gaben den ca. 60 km
entfernten Flugplatz "La Tour du Pin" als
Tagesziel vor und so erlebten wir einen
herrlichen Abendflug das Tal an den
Bergkämmen entlang zum Lac du Bourget
und weiter westwärts zum Flugplatz.
Nachdem sich da Feld nach der kurzen
Distanz kaum entflochten hatte, war
Gedränge und stellenweise Chaos im
Landeanflug angesagt. Bis zu fünf
vergebliche Anflugversuche waren keine
Seltenheit. Auch mir war die Luft zu
aluminium- und kunststoffhaltig und so
genoss ich die Abendstimmung bei
Nordwind von immerhin noch 50 km/h und
landete als einer der letzten. Beim letzten
Sonnenstrahl waren alle heil unten und
warteten auf das Gepäck, das bereits 150
km weiter gereist war. Auch die Feldküche
musste umdisponieren und gegen 23 Uhr
gab es endlich die erste warme Mahlzeit
des Tages. Ein Glück dass in Bayern das
Bier als Grundnahrungsmittel zählt und ich
so überleben konnte.
Dienstag Morgen ging es früh raus - Start
ab 8 Uhr - Zwischenziel Millau und
Tagesziel Montpezat, diesmal ohne Wettbewerbsaufgaben wegen des starken Mistrals.
Der Bodennebel bei Sonnenaufgang lieferte
interessante Fotomotive, aber auch nasse
Füsse.
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Kurz nach dem Start begann der Mistral
kräftig zu schieben und mit 170 km/h
Groundspeed „schoss“ der Kiebitz das
breite Rhônetal hinunter.
Vor Montélimar ging es westwärts im
Tiefflug über aktives Militärgebiet weiter
über die Ardèche und über die
stellenweise unwegsame, schluchtenreiche Gegend des Massiv Central nach
Millau, einem Flugplatz mit langer
Asphaltbahn auf einer windigen Hochebene, den ich vom letzten Jahr noch
kannte.
Der starke Mistral hatte sich in mäßigen
Nordwestwind transformiert und so führte
die Strecke nach ausgiebiger Siesta
vorbei am Viadukt, dem weltbekannten
Brückenbauwerk bei Millau, ein Stück die
Tarn begleitend, westwärts an die Lot,
einem langsam fließenden, geschwungenen Fluss in einer lieblichen Weingegend.
Die tiefstehende Abendsonne lies die
Landschaft mit ihren langen Schatten
goldig glänzen und verhalf zu einigen
schönen Fotos.
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Montpezat, ein UL-Platz, aber was für einer!
Zwei gekreuzte Landebahnen, geteerte
Rollwege, eingesäumt von Backerseen, auf
denen Wasserstarts mit UL durchgeführt
werden, ein Restaurant mit Bar, Fliegerboutique, Turm mit Terrasse für Zuschauer,
großen Campingplatz mit voller Infrastruktur
usw. Das UL-Paradies auf Erden - und das in
sehr schöner Landschaft mit Wein- und
Pflaumenanbau. Nach einer 3-Punkt-Landung
mit Beifall der Zuschauer und Lob über Funk
vor der Controllerin aus Paris, die sonst
gewohnt ist, Jumbos abzufertigen, wurde der
Kiebitz eingeparkt und verzurrt, das Zelt
schnell aufgebaut, ein frisches T-Shirt
angezogen und los ging es.
Der Flugplatz feierte sein 20-jähriges
Bestehen und dementsprechend fehlte es an
nichts: Bar, Musikpodium, Rock´n Roll Band,
am Platz tanzte der Bär! Und auch die
Franzosen verstehen es, zu feiern. Ein Glück,
dass der kommende Tag der Ruhetag der
Tour war! Und so floss der Wein, hatten alle
viel Spass, schwangen das Tanzbein und
erfuhren mit allen Sinnen, was „Leben wie Gott
in Frankreich“ heißt. Und einen Pokal für den
Tagessieg in meiner Klasse „multiaxe
monoplace“ gab es auch noch überreicht - was
wollte ich mehr!
Als ich all meinen Mut zusammen nahm und
eine hübsche Frau mit "Voulez vous dancez
avec moi?" ansprach, entgegnete mir ein "ja,
gerne" und ich erfuhr, dass meine
Tanzpartnerin eine Trike-Copilotin war, aus
Köln stammte, seit 19 Jahren mit ihrem Mann
jedes Jahr für drei Wochen zum Fliegen und
Motorradfahren hierher kommt und sogar im
Club Mitglied ist.
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Am Mittwoch startete der Tag etwas später.
Ein Wochenmarkt war am Flugplatz
aufgebaut und Pendelbusse boten Ausflüge
in einen nahegelegenen Ort und in ein
Pflaumenmuseum.
Bei mir war Waschtag angesagt und die
Kleidungsstücke baumelten lustig an der
Kiebitzverspannung und sorgten für einige
Touristenfotos.
Den Abend krönte ein sehr ruhiger
Genussflug mit Klaus entlang der Lot bis zu
einem nahegelegenen Flugplatz direkt am
Fluss. Über flaches Hügelland ging es zurück
und wir umzirkelten eine restaurierte Mühle
auf einer Anhöhe, die wir nachmittags zuvor
erwandert hatten, bevor wir zum Landeanflug
einschwebten.
Klaus, der das erste Mal einen Kiebitz
pilotierte und das über einer Traumlandschaft
bei Idealbedingungen, war mehr als
begeistert, ließ sich natürlich nicht lumpen
und gab sofort mehrere Einstandsbiere an
der Fliegerbar aus.
Abends nach dem Essen war wieder Party
angesagt. Ein Liedersänger mit Elektrogitarrenbegleitung
trällerte
französische
Volkslieder und Hits und schaffte damit eine
Bombenstimmung, zu der der Landwein
ebenfalls beitrug. Und die Nacht war diesmal
sehr kurz.
Donnerstag morgens ging es bei blauem
Himmel nordwestwärts mit Mittagsziel
Flugplatz Jonzac.
Auf dem Hinweg lockte mich das Flussbett
der Garonne zu einem Tiefstflug zwischen
den Mosquittos und Anglern.
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Auf
einem
zwischen
Maisfeldern
versteckten UL-Platz gab es einen
Präzisionslandewettbewerb, wobei es galt,
hinter einer Linie so nah wie möglich zu
landen – sch....ss Bodeneffekt! Vielleicht
war bei mir auch der fehlende Schlaf
ursächlich für meine Treff(un)sicherheit.
Anschließend gab es eine interessante
Navigationsaufgabe. Nach einem Startpunkt, einer Brücke, die überflogen werden
musste, galt es, innerhalb einer Stunde
möglichst viele Ziele auf einer Straßenkarte
zu finden, zu überfliegen und einen
Endpunkt zu erreichen, ohne das Zeitlimit
zu überschreiten und irgendwie zurückzufliegen. Das ganze noch durchzogen von
in einem militärischen Tiefflugkorridor, der
entweder bodennah unterflogen oder hoch
überflogen werden musste. Ich wählte
wegen der „Kurzsichtigkeit“ die Low-LevelVariante und war mit dem Suchen und
Navigieren so beschäftigt, dass jegliche
Motorausfallszenarien verdrängt wurden.
Die Strecke führte über riesige Weinanbauflächen mit bescheidenen Landeflächen nach Jonzac, einem gigantisch
großen Grasplatz mit zwei gekreuzten
Landebahnen und sonst nichts los. Große
Flugplätze - ohne Leben - traf ich übrigens
öfters in Frankreich an.
Von Jonzac ging es nach ausgiebiger
Mittagspause weiter nach Couhé. Da wir nur
ca. 80 km vom Atlantik entfernt waren,
lockte das Wasser und so flogen einige
Maschinen, darunter auch meine D-MALM
auf die Insel d´Oleron.
Über Wasser zu fliegen und bei Motorausfall
nasse Füsse bekommen zu können, hatte
selbst für mich, der auf viele interessante
Flugjahre
zurückblicken
kann,
einen
besonderen Reiz. Ein anderer Kiebitz-Pilot
sagte einmal: „Dem Motor ist es egal, was
unter ihm liegt“ – worüber wir nachdenken
sollten.
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Am Flugplatz auf dieser Insel ist ein
„automatischer Flugleiter" installiert, der QNH,
Landerichtung, Wind usw. runterspult, sobald
man sich im Funk meldet. Man schaut auf die
anderen in der Luft, überfliegt den Platz mittig
über der Landebahn und dreht dann in den
Gegenanflug.
Am Abstellplatz sind Ketten am Boden, um die
Flugzeuge festzuzurren, denn der Wind pfiff
richtig. Wir bummelten ins nahe gelegenen
Städtchen und genossen das von Niki
spendierte Landebier, denn keiner wollte ihm so
recht glauben, dass beim Seitenwindlanden
plötzlich der Rollweg von bösen Mächten unter
seinen Flieger geschoben wurde.
Um 19.30 Uhr starteten wir wieder und
überflogen ein Gefängnis im Meer, das als
Notlandefeld nicht geeignet gewesen wäre.
Nach ca. 10 km Wasser hatten wir wieder Land
unter den Flächen, was ich mit einem steilen
Aufschwung mit Turn feierte.
Vom Rückenwind geschoben ging es in
herrlicher Abendstimmung ostwärts nach
Couhé. In meinem GPS habe ich auch die
französischen
UL-Plätze
drin
und
so
"hummelte" (soll bedeuten: wie eine Hummel
brummend hin und her fliegend) ich alle am
Weg gelegenen Plätze ab, deren Pisten oftmals
nur schwer zu erkennen waren.
Als vorletzter Flieger landete ich in Couhé und
erhielt meinen Stellplatz am Bahnende, eine
Ewigkeit vom Tanklastzug, Gepäckwagen
Toiletten und Hangar entfernt. Und 40 Liter
Treibstoff werden dann schon arg schwer. Das
Zelt schlug ich diesmal nicht wie gewohnt
zwischen Tragfläche und Leitwerk auf, sondern
nahe der Zivilisation und Entsorgungsanlagen.
Während die anderen bereits beim Briefing
waren, betankte ich den Kiebitz romantisch bei
Mondschein. So soll der Kiebitz angeblich
besonders gut fliegen, munkelt man.
Das Abendessen der Feldküche oder besser
gesagt dem mobilen Restaurantservice war wie
immer sehr köstlich. Ein letztes Absacker-Bier
am Tresen bei den französischen UL-Kollegen
am Platz sorgte für die notwendige Bettschwere.
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Freitag Morgen wieder die gewohnte Prozedur.
Mit extrem lauten Gebrummel schrecken sechs
spanische UL-Gyrokopter, die ebenfalls am
Platz übernachtet hatten, die letzten Schläfer
aus ihren Träumen.
Heute ging es nach Montreville als Tagesziel
mit Zwischenlandung auf den UL-Platz Granges
Dieu mit 700 m Graspiste, drei UL-Hallen und
einem vorbildlichen Vereinsheim.
Das Wetter wurde schlechter, die begleitende
Meteorologin warnte vor lokalen Gewittern und
Regenschauern
bei
fast
geschlossener
Bewölkung und Wind mit 25 kts. Wettbewerbsmäßig war wegen des Windes nichts
angesagt. Auf dem Weg lag ein riesiges
Waldstück, das ich links herum in Richtung
Blois umflog. Die Wahl entpuppte sich als
richtig, da ich so nicht wie die „Rechtsherumflieger“ gewaschen wurde. Nach 2 1/2
Stunden
stand
ich
mit
Minimalfluggeschwindigkeit fast über dem UL-Platz und
bereitete mich auf eine 90-Grad-Seitenwindlandung mit 28 kts Wind vor. Mein Endteil
aus den Gegenanflug begann ich zu hoch
slippte zum Landebalken, um die Höhe zu
vernichten. Als ich den Kiebitz gerade ziehen
wollte, sackte ich durch und setzte schon mit
den Vorderrädern auf, hüpfte wie ein Gummiball
hoch und wurde von Seitenwind von der
Landebahn
geweht.
Gas
rein,
kurzes
Zurechtziehen und dann landete ich hoppelnd
auf der Piste - und alle schauten zu. Tja, die
Flugeigenschaften hängen auch stark von der
Windrichtung ab. Aber eine Landung ohne
Bruch zählt noch als Landung und beim zweiten
Landebier hatte ich auch diese wieder verdaut.
Ich bekam einen Platz in Hangarnähe und
verzurrte Zelt und Kiebitz fest am Boden. Dann
wieder das gleiche Procedere. Beim Briefing
wurde mitgeteilt, dass es um 5:30 Uhr
Frühstück gibt und bereits um halb 8 gestartet
werden soll, wegen des aufkommenden,
starken Windes. Die Nacht war wieder einmal
sehr kurz, diesmal wegen des Dieselaggregates, das ab 3 Uhr loslief für die
Küchenvorbereitung. Um 6 Uhr hatte ich bereits
mein Zelt abgebaut, war gewaschen und beim
Frühstück, als plötzlich dichter Nebel aufkam.
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Gestartet wurde erst kurz vor Mittag und im
Tiefflug unter Wolkenfetzen ging es rechts an
Paris mit seinen vielen Flugbeschränkungen
vorbei mit möglichem Tankstopp in Chateau
Thierry. Nach ca. 60 km wurde die Bewölkung
immer dichter und niedriger und so ging es im
Tiefstflug mit 50 bis 100 m über die hügelige
Gegend,
immer
nach
Stromleitungen
ausschauend, die in den französischen
Fliegerkarten eingetragen sind. Irgendwann
begann es dann zu noch regnen und ich
beschloss, in Thierry zwischenzulanden und
den Regen abzuwarten.
Drei Stunden später lichtete sich die Bewölkung
etwas und so startete ich zur letzten Etappe
gegen den Wind zum Start-/Zielflugplatz
Amiens. Einigen heftigen Regenschauer
ausweichend
erreichte
ich
nach
zwei
Flugstunden Amiens, reihte mich in den
Platzverkehr ein und war bereits im langen
Endteil auf die Graspiste, als mein Vorausflieger
plötzlich beim Aufsetzen einen "Kopfstand"
machte.
Per Funk kam die Meldung: "turn right, make a
360 and take runway right concrete". Gesagt getan setzt mein Kiebitz diesmal bei Gegenwind
wieder sehr sanft auf dem Asphalt auf.
Ein seitlicher Blick zum aussteigenden CrashPiloten zeigt nur Materialschaden und schon
eilten fleißige Helfer her, die Maschine mit
geknicktem Bugfahrwerk und gestutztem
Propeller von der Bahn zu ziehen.
Ich rollte zum Vorfeld und wurde zum
Abstellplatz gewunken. Niki und Klaus köpften
kurzerhand eine Flasche Champus und wir
feierten das Ankommen.
Das Zelt war schnell aufgebaut und es fing
immer stärker zu regnen an. Nach und nach
kamen die restlichen Flugzeuge an. Im
nahegelegenen Hypermarkt mit 35 Kassen
deckte ich mich noch mit Wein und Käse ein –
das muss auch sein.
Abends war ein langer, offizieller Teil mit
Ansprachen und Danksagungen von und an
Politiker und wichtige Persönlichkeiten, die vom
französischen UL-Verbandspräsidenten clever
in die Öffentlichkeitsarbeit eingebunden werden.
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Neben der Siegerehrung, die mir einen weiteren Pokal
als Sieger in meiner Klasse brachte, wurde die
erfolgreiche Jugendarbeit des französischen ULVerbandes herausgestellt. Mit einem 16-jährigen
Trikeflieger, der mit seiner zwei Jahre jüngeren
Freundin die Tour bereits letztes Jahr schon mitflog
und einige Preise einheimste, darunter auch einen
Fluggutschein von der AirFrance, hat der Verband
einen
sympatischen
Werbeträger
für
die
Nachwuchsarbeit. Apropos Nachwuchsarbeit: Der
Verband setzt sich stark dafür ein, junge Piloten für die
UL-Fliegerei zu gewinnen. Es war eine Gruppe
Jugendlicher in einer Art Fliegerlager dabei, die kräftig
mithalfen und streckenweise selbst oder als Copilot
mitflogen. Einige der Jugendlichen suchten regen
Kontakt zu den „alten Füchsen" und überraschten uns
mit sehr guten Deutschsprachkenntnissen. Auch
Frankreich scheint Probleme mit dem UL-Nachwuchs
zu haben. Doch die im französischen Verband
verstehen es, mit solchen Programmen die Jugend zu
animieren. Für nächstes Jahr ist sogar eine eigene
Jugendklasse geplant.
Fliegende „Rollies" (Rollstuhlfahrer) kannte
ich von der letzten Tour und gibt es auch in
Deutschland. Blinde Piloten im Sinne von
Rücksichtslosigkeit
oder
mangelnder
Umsicht kenne ich auch einige. Dass aber
nicht Sehende selber ein Flugzeug
pilotieren können, faszinierte mich.
„Les Mirauds volants“, Piloten, die sich am
Boden mit weißem Stock den Weg ertasten
oder Brillen tragen, die Vergrößerungsgläsern gleichen, fliegen mit DreiachsULs, die mittels spezieller Orientierungselektronik ausgestattet sind, die ganze Tour
mit! Klar, dass der Copilot auch Pilot ist und
erforderlichenfalls eingreifen kann. Aber
allein die Vorstellung, nur nach akustischen
Signalen ein Flugzeug von A nach B zu
pilotieren und dabei Turbulenzen auszugleichen, finde ich großartig und eine
starke Leistung!
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Der für Sonntag geplante Rückflug fiel im
wahrsten Sinn des Wortes ins Wasser. So nass
wurde mein Kiebitz noch nie. Literweise saugte
ich das Wasser mit Lumpen vom Rumpf und dem
unteren Flügel auf. Da halfen auch die
Abdeckplanen wenig.
Viele Piloten waren mit dem Fahrzeug
gekommen und zogen ihre Fliegedinger nach
Hause. Einige starteten im Regen in Richtung
Süden, wo das Wetter besser war.
Um dem nassen Trübsal zu entkommen, fuhren
Klaus, Claas, Niki und ich an den nahen Atlantik
zum „Muschel-satt-essen“.
Am Montag war es dann stark bewölkt, aber noch
trocken. Ich studierte die Wettervorhersage und
Regenradargebiete im Internet am Flugplatz und
beschloss, noch vor einem von Nordwesten
kommenden Regengebiet ostwärts in Richtung
Heimat zu fliegen. Und so schob mich die
Regenfront in Richtung Deutschland. Diesmal
entschied ich mich, südlich des Pfälzer Waldes
zu bleiben und lernte durch einen Tankstopp in
Sarre-Union einen schönen Flugplatz mit
gastfreundlichen Piloten kennen.
Weiter ging es in Richtung Flugplatz Baden-Oos,
wo Niki stationiert ist. Eine schwarze Regenfront
über dem Schwarzwald und vor Pforzheim
erleichtern mir die Entscheidung, dort eine
Sicherheitslandung durchzuführen. Den Flieger
durfte ich in die Halle stellen und ich entschied
mich für die Übernachtung in einem Gasthaus,
mit richtigem Bett, Wanne und so anstelle
feuchtem Zelt, Isomatte und Schlafsack.
Am nächsten Vormittag ging es dann die letzte Etappe südlich von Stuttgart über die
Schwäbische Alb nach Günzburg zum „heimatlichen Stall“. Endlich wieder daheim – und vorerst
einmal fluggesättigt!
Rückblickend war die zweite Teilnahme an dieser Tour kein zweiter Abklatsch vom letzten Jahr,
sondern wieder ein einzigartiges Erlebnis in größtenteils unbekannter Landschaft und neuen
fliegerischen Herausforderungen.
Besonders erfreulich war es für mich, dass der Kontakt zu den französischen Nachbarn, den ich
letztes Jahr noch als „vorsichtig vortastend“ bezeichnen würde, ich dieses Jahr als „familiär und
vertraut“ empfand.
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Fliegerisch habe ich bei den über 45 Flugstunden und ca. 4000 km, die ich bei dieser Tour
zusammenbrachte, wieder dazugelernt. Die Tour ist keine Erholung – sie ist „action pur“, vor
allem, wenn man den Wettbewerb mitfliegt. Lästig ist das frühe Aufstehen, aber über 120
Flugzeuge und Gyrokopter wollen täglich mehrmals gestartet, gelandet und aufgetankt sein.
Aber die Tour ist ein einzigartiges Erlebnis und vermittelt Eindrücke, die ich nicht missen will.
Anmeldungen zur nächsten Tour können von der französischen Web-Seite des FFPLUM ab
Januar heruntergeladen werden. Eine baldige Anmeldung ist erforderlich, da die Plätze schnell
vergeben sind.
Vielleicht trifft man sich nächstes Jahr, so wie den Claas aus Braunschweig, der sich bei der
diesjährigen Tour seinen Traum erfüllte.
Happy landings
Haxxler, alias Wolfgang Theisinger
mit seiner D-MALM
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