LM oder Q: Die vergessene Potenz
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LM oder Q: Die vergessene Potenz
Thema Christine Buschhaus LM oder Q: Die vergessene Potenz Geist und Gemüt (Teil 5) Für alle Behandler sind psychische Erkrankungen eine große Herausforderung. Das gilt auch für klassische Homöopathen. Zu der Zeit von Samuel Hahnemann war es üblich, Geistes- und Gemütskranke zu verwahren, nicht aber, sie zu heilen. Dagegen hat Hahnemann mit seinem humanen Umgang mit den Patienten und den homöopathischen Mitteln Zeichen gesetzt. Hahnemann geht in seinem „Organon der Heilkunst“ in verschiedenen Paragraphen auf Geistes- und Gemütskrankheiten ein. Er vertritt dabei die Theorie, dass es sich bei ihnen eigentlich um körperliche Erkrankungen handelt, die sich „fast wie ein Local-Übel in die unsichtbar feinen Geistes- oder Gemüths-Organe“ verlagern (§ 215). Aber Hahnemann sieht auch den umgekehrten Weg: „Es giebt dagegen … allerdings einige wenige GemüthsKrankheiten, welche nicht bloß aus KörperKrankheiten dahin ausgeartet sind, sondern auf umgekehrtem Wege, bei geringer Kränklichkeit, vom Gemüthe aus, Anfang und Fortgang nehmen, durch anhaltenden Kummer, Kränkung, Ärgerniß, Beleidigungen und große, häufige Veranlassungen zu Furcht und Schreck. Diese Art von Gemüths-Krankheiten verderben dann oft mit der Zeit, auch den körperlichen Gesundheits-Zustand in hohem Grade“ (§ 225). Samuel Hahnemann ist zuversichtlich, was die Behandlung von „Gemüths-Krankheiten“ anbelangt. Er setzt auf „Zutraulichkeit, gütliches Zureden“, aber natürlich auch auf die homöopathische Therapie, von der er in § 230 schreibt: „Ja, ich kann aus vieler Erfahrung behaupten, dass sich der erhabne Vorzug der homöopathischen Heilkunst vor allen denkbaren Curmethoden, nirgend in einem so triumphierenden Licht zeigt, als in alten Gemüthsund Geistes-Krankheiten, welche ursprünglich aus Köper-Leiden oder auch nur gleichzeitig mit denselben entstanden waren“. Die Homöopathie ist nach Hahnemann eine geeignete Therapiemethode bei psychologischen Auffälligkeiten. Bleibt die Frage, warum die Homöopathie oft nur als Mittel dritter Wahl nach Psychopharmaka und Psychotherapie in Anspruch genommen wird. Schließlich gibt es Dokumentationen, die gute Ergebnisse homöopathischer Behandlungen bei psychischen Erkrankungen belegen. Der Konstanzer Homöopath Werner Dingler berichtete beispielsweise in einem Vortrag anlässlich des Kongresses 11/05 zum 250. Geburtstag Hahnemanns am 2. April 2005 in Leipzig von einer schizophrenen Psychose (s. Kasuistik 1), die er homöopathisch in seiner Praxis behandelt hatte. Von dem Oberhausener Heilpraktiker Michael Terlinden stammt der Fall einer schweren Angstneurose (s. Kasuistik 2). Kasuistik 1: Schizophrene Psychose Der damals 17-jährige große, kräftige, aber depressiv wirkende Patient wurde Anfang November 2000 in der Praxis von Werner Dingler vorstellig. Der junge Mann war im Vorjahr nach einem Zusammenbruch in die Psychiatrie eingeliefert worden, wo er ein halbes Jahr mit Risperdal behandelt wurde. Noch immer bekomme er täglich 7,5 mg Zyprexa, sei aber nicht in der Lage, ein normales Leben zu führen. Er sei nicht belastbar, leide an Versagensängsten und habe kein Selbstwertgefühl, so die Eltern. Auslöser seiner Erkrankung sei eine MobbingSituation in der Schule gewesen, die ihn schulisch ins Defizit brachte und depressiv machte. Schlussendlich habe der Patient nur noch im Bett gelegen und, wie er dem Therapeuten unter vier Augen gestand, Cannabis konsumiert. Dabei habe er immer mehr den Bezug zur Realität verloren, sei verwirrt und spreche gelegentlich unverständliches Zeug. Er fühle sich als Versager und habe Suizidgedanken. Dingler behandelte den 17-jährigen „nach gründlicher Überlegung“ mit Anac LM 6 (drei Tropfen, halber Messlöffel täglich). Gleichzeitig riet er ihm, das vom Arzt verordnete Zyprexa in der gleichen Dosis weiter einzunehmen, „um etwaige Veränderungen und Reaktionen nicht falsch zu interpretieren“. Nach zwei Wochen fühlte sich der Patient sicherer, voller Energie und hatte Appetit. In den folgenden Monaten bekam er Anac in aufsteigenden Potenzen bis LM 27 (fünf Tropfen, ein Messlöffel täglich), teilweise nur noch jeden zweiten Tag. Damit ging es dem Patient immer besser, so dass die Zyprexa-Dosis reduziert und später ganz weggelassen werden konnte. Da der Patient mit dem Ergebnis der Therapie zufrieden war, wollte er dann die Tropfen nicht mehr weiter einnehmen. Um den Therapieerfolg zu festigen, gab ihm der Therapeut noch einen Globulus Anac C 200, der gut und ohne Erstverschlimmerung vertragen wurde. Gerne hätte er noch eine antimiasmatische Therapie angeschlossen, doch der Patient war zu diesem Zeitpunkt nicht bereit dazu. Kasuistik 2: Schwere Angstneurose Eine 41-jährige Patientin kam Anfang September 1991 in die Praxis von Michael Terlinden. Sie litt unter Depressionen und „Nervosität“. Bisher war sie mit IMAP-Spritzen und Demetrin behandelt worden, was ihr jedoch kaum geholfen habe. Begonnen hatten ihre Beschwerden bei den Untersuchungen vor einer Stimmbandpolypen-Operation. Hier hatte sie erste Ängste und Erstickungsgefühle entwickelt. Nach der Operation wurden die Angstzustände stärker und paarten sich mit einer Depression. Die Patientin hatte ausgeprägte Suizidgedanken, litt an einer Klaustrophobie, konnte nicht mehr fernsehen und auch nicht mehr unter Menschen. Beides machte sie nervös. Die Depressionen verschlimmern sich zwischen 16 und 17 Uhr. Um das richtige Mittel für die Patientin zu finden, waren für Terlinden jedoch andere Symptome leitend. So bezeichnete sich die Frau vor ihrer Regel als „ruhelos“, war kleinlich und penibel und ließ keine andere Meinung als die eigene gelten. Zudem hatte sie ein großes Verlangen nach Süßigkeiten, fühlte sich oft aufgebläht und mochte dann keine enge Kleidung. Terlinden verschrieb Lycopodium LM 3 (nach zehnmaligem Schütteln fünf Tropfen in ein Glas Wasser, davon einmal täglich einen Esslöffel). Sechs Wochen später kam die Patientin erneut in die Praxis. Es ging ihr gut, sie war nicht mehr nervös und hatte auch keine Angst mehr. Die Klaustrophobie war verschwunden, die Stimmung besser. Manchmal blähte sich der Bauch noch, daher verordnete Terlinden zweimal wöchentlich Lycopodium LM 5. Nach weiteren drei Monaten hatte die Patientin keine Angst und keinen Blähbauch mehr. 1 Thema ist Diplom-Chemikerin und Heilpraktikerin und betreibt eine Naturheilpraxis mit Schwerpunkt Klassische Homöopathie in Karlsruhe. Schon bei ihrer Ausbildung begeisterte sie sich für diese Therapieform und ihren ganzheitlichen Ansatz. Für Christine Buschhaus ist die Homöopathie eine tiefgreifende Heilmethode, die den Menschen mit all seinen Facetten wahrnimmt und mit der schonend Heilprozesse eingeleitet werden können. Zugang zur Naturheilkunde fand sie über Ihr Interesse an Heilpflanzen und wild wachsenden Kräutern (www.kraeuterwanderung.de). Kontakt: Oberwaldstr. 7, D-76227 Karlsruhe Wenn sich das Wetter änderte, spürte sie im Bauch eine leichte Unruhe. Ihr wurde nochmals Lycopodium LM 7 (ebenfalls zweimal wöchentlich) verordnet. Vier Wochen später war sie völlig beschwerdefrei. Kasuistik 3: ADHS bei einem 7-jährigen Jungen Über diesen Fall berichtete der Heilpraktiker Bernhard Jochem. Im Mai 2004 lernte er seinen 7-jährigen Patienten kennen. Der Erstklässler wirkte intelligent und aufgeweckt und war in der Schule einer der ersten. Kummer machten seinen Eltern seine unmäßige Unruhe, seine extreme Konzentrationsschwäche sowie seine geringe Frustrationstoleranz. Er konnte nicht spielen, schon gar nicht verlieren, musste in ständiger Bewegung sein und konnte weder in der Schule noch bei den Hausarbeiten sitzen bleiben. In Konfliktsituationen warf er alles vom Tisch, war jedoch nicht übermäßig aggressiv. Da der Junge diese Symptome seit seiner Geburt zeigte, stellte sein Kinderarzt die Diagnose „Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom“. Die Eltern lehnten es ab, ihn mit Ritalin® zu behandeln. Doch in den letzten Monaten hatte der Junge weitere Symptome und Tics entwickelt: seine Hände und sein Kopf kribbelten, weshalb er sie ständig bewegte und mit dem Kopf wackelte oder mit den Augen zwinkerte, um die Spannung zu lösen. Dabei schlug er auch schon mit dem Kopf gegen die Wand oder sich selbst. Ruhig wurde er nur beim Computerspiel oder bei Musik und Tanz. Die Anamnese ergab, dass er einige Tage nach einer komplikationslosen Geburt wegen eines Infekts Antibiotika bekam. Immer wieder leidet er unter Infekten und Reizhusten, doch er hatte nur selten Fieber und wenn, dann war es nie allzu hoch. Probleme hatte der Junge vor allem mit der Haut: es plagten ihn eine Neugeborenenakne und als 6-jährigen juckende Quaddeln. Am rechten Unterarm hatte er Café-au-lait-Flecken. Seit dem Babyalter 2 schwitzt er im Schlaf sehr stark am ganzen Körper. Seine Entwicklung lief unauffällig, bis auf die Tatsache, dass er mit fünf Jahren noch einnässte. Er hatte guten Appetit, wenn auch vor allem auf Süßes, und eine unauffällige Verdauung. Zudem war er gegen Diphtherie, Polio, Tetanus, Pertussis, HiB, Masern, Mumps, Röteln, FSME und Hepatitis B geimpft worden. Bei der Keuchhustenimpfung hatte er mit Fieber reagiert, sonst zeigte er keine offensichtlichen Reaktionen auf die Impfungen. Bernhard Jochem sah bei dem Jungen zwei Miasmen aktiv: Die Carcinose mit Café-au-laitFlecken und wenig Fieber und die Tuberkulinie mit Infektanfälligkeit, Nachtschweiß, Unruhe und Zähneknirschen. Doch den aktuellen Symptomen (extreme Unruhe, Konzentrationsschwierigkeiten, Besserung durch Musik und Tanzen) gab er unabhängig von miasmatischen Überlegungen den Vorzug und verschrieb: Tarentula hispanica LM 6, einmal pro Woche einen Schluck aus der wässrigen Lösung. Seitdem das Medikament abgesetzt wurde, ist der Zustand des Jungen stabil und erscheint wenig behandlungsbedürftig. Wegen des immer noch vorhandenen Nachtschweißes und dem Zähneknirschen wird er als nächstes Mittel bei dem Jungen Tuberkulinum wählen – vorausgesetzt, eine weitere Therapie wird überhaupt nötig. Literatur Christine Buschhaus Archiv für Homöopahtik, DynamisVerlag, ACD Bd. 1, III/1992 Homöopathie-Forum e.V. (Hrsg.): Homöopathie Zeitschrift, Bd. I/02 Hahnemann, Samuel: Organon der Heilkunst. Hahnemann, Samuel: Die chronischen Krankheiten“ Barthel, Horst: Synthetisches Repertorium Bd. I und II Weitere Literaturempfehlungen auf Anfrage von der Autorin 86 mm Eine Hautreaktion in Form einer Nesselsucht verschwand nach kurzer Zeit wieder, die Tics wurden zunächst deutlich schlimmer, ließen dann nach und pendelten sich auf das Niveau wie vor der Behandlung ein. Schlaf war unter Tarentula schwierig, hatte sich dann aber wieder normalisiert. In der Schule ging es leidlich, doch der Junge war nach wie vor unruhig und unkonzentriert. Das Mittel schien zu oberflächlich gewählt worden zu sein, daher ließ Bernhard Jochem bei der zweiten Verordnung miasmatische Überlegungen einfließen und verordnete wegen der Café-au-lait-Flecken, den Tics und dem fehlenden Fieber Carcinosum LM 18, ebenfalls einmal pro Woche einen Schluck der wässrigen Lösung. Drei Monate später meldete sich die Mutter des Jungen und berichtete, dass die Tics als auch die Unruhe vergangen wären, aber sich der Nachtschweiß verstärkt habe. Jochem setzte das Mittel ab. Acht Wochen danach berichtete die Mutter, dass sich die Problematik in den letzten zwei Wochen wieder verstärkt hätte. Jochem empfahl, das Mittel erneut zu nehmen. Bei einem Praxisbesuch zeigte sich dem Therapeuten eine deutliche Besserung der Symptome. Der Junge wurde in der Schule eher als verträumt denn als störend bezeichnet, er arbeitete gut und konzentriert mit. Das Kribbeln in den Händen und im Kopf war verschwunden. Seine Essgewohnheiten hatten sich verlagert, und statt Süßem aß er nun auch Salat oder Eier. Allerdings war sein Nachtschweiß noch sehr stark. 11/05