Die Lizenz zum Geld drucken

Transcription

Die Lizenz zum Geld drucken
FINE TIME
Die Lizenz zum Geld drucken
Kunstmarkt vs. Geldmarkt
von Dr. Klaus Irle
A
m 11. November 2009 wurden in Manhattan beim Auktionshaus Sotheby's Andy
Warhols 200 One Dollar Bills aus dem Jahr
1962 für die Summe von 43.762.500 $
(rund 29 Mio. EUR) versteigert. Die fast
sechs Quadratmeter messende DollarOrgie zählt zu den frühesten Siebdrucken des exzentrischen Pop-Art-Künstlers. Vor der Auktion wurde das für
die Pop-Art-Entwicklung bahnbrechende Werk auf acht
bis zwölf Mio. $ geschätzt. Der Käufer hatte telefonisch
geboten und wurde namentlich nicht bekanntgegeben.
Dieselben 200 One Dollar Bills hatte Sotheby's gut zwei
Jahrzehnte zuvor schon einmal versteigert. Damals für
300.000 $ (The Wallstreet Journal, 11. November 2009).
Der alte Preis hat sich also um den Faktor 145,875 vervielfacht.
Während der Wertzuwachs von Warhols Pop-Art-Dollars durch die Decke gerauscht ist, haben wir uns daran
gewöhnt, dass unser Geld immer weniger wert ist. Das
liegt auch daran, dass mehr und mehr davon in Umlauf
gelangt. Geld wird, vereinfacht formuliert, nach Bedarf
gedruckt. Die Lizenz zum Geld drucken besitzen die
Zentralbanken, in den USA die Fed (eigentlich Federal
Reserve System, allgemein US-Notenbank genannt) und
in der europäischen Währungsunion die Europäische
Zentralbank (EZB).
« Meine Bilder sind zeichenhafte Aussagen über die grellen unpersönlichen Produkte und diese aufgemotzten
materialistischen Objekte, auf denen Amerika heutzutage
aufgebaut ist. Sie sind Projektion all dessen, was gekauft
und verkauft werden kann: praktische, aber vergängliche
Symbole, die uns in Schwung halten.»
Andy Warhol, 1980
Die Lizenz zum Geld drucken ist mit der Tatsache verbunden, dass Banknoten längst nicht mehr durch Edelmetallschätze gedeckt sind. Die emittierende Zentralbank steht in keiner Pflicht, ihre Scheine in Edelmetall
oder Kurant einzulösen. Bei Dollar und Euro sprechen
wir von Fiat-Geld (lat. fiat, es sei, es geschehe), das dort
entsteht, wo eine Geschäfts- oder Zentralbank einen
Sotheby's New York (11. Nov. 2009) – Der in Frankfurt
geborene Tobias Meyer, Worldwide Head of Contemporary Art und Principal Auctioneer bei Sotheby's, eröffnete die Versteigerung von Warhols 200 One Dollar Bills
bei sechs Mio. $. Fünf Bieter konkurrierten. Der Hammer fiel erst bei fast 44 Mio. $. Das Objekt der Begierde
ist links im Hintergrund zu erkennen. Oben rechts ein
Selbstportrait von Andy Warhol.
Kredit gewährt. Die mit der Buchung an den Kreditnehmer neu geschaffene Summe ist allein durch dessen
Verpflichtungen gedeckt.
Wie der bis 1971 an den Goldpreis gebundene US-Dollar zum Fiat-Geld wurde, hatte sich angebahnt, als Andy
Warhol in New York seinen Dollar-Rapport druckte.
(Der beeinflusste allerdings nur den Kunstmarkt, nicht
den Geldmarkt.) Schon seit den Fünfzigerjahren hatten
die Vereinigten Staaten die Dollargeldmenge über ihre
Goldbestände hinaus erhöht. Ab 1965 belastete der
Vietnamkrieg den Staatshaushalt. 1970 verzeichneten
die USA erstmals zugleich ein Haushalts- und Leistungsbilanzdefizit. Die Notenbank erhöhte die Geldmenge um
10 Prozent und pumpte sie in Uncle Sams Taschen. Die
Golddeckung der Leitwährung war offenkundig dahin.
Nun wollten andere Länder Teile ihrer Dollarvorräte
bei US-Präsident Nixon in Gold umtauschen, doch der
schlug ihnen das Gold-Fenster vor der Nase zu. Mit der
Dollar-Konvertierbarkeit in Gold war es vorbei.
Silver Certificate
und Federal
Reserve Note
Die Dollarnoten der Serie von 1957
(links) waren noch Silberzertifikate, betitelt mit "Silver Certificate". Über und
unter George Washingtons Kopf wur-
68
FiNetworker
A|M|J 2013
de ausdrücklich bescheinigt, dass der
Besitzer dieser Banknote von den Vereinigten Staaten einen Dollar in Silber
verlangen konnte. Die Silberdeckung
endete 1968. Wo zuvor "Silver Certificate" stand, las man ab 1968, wie beim
rechts abgebildeten Exemplar, die Zeile "Federal Reserve Note".
200 mit Tusche
auf Leinwand gedruckte 1-DollarNoten vereinte
Andy Warhol
auf 2 × 2,4 Meter.
Dem Käufer, der
Warhols Siebdruck
2009 ersteigerte,
war jeder
einzelne "Buck“
218.812,50 $
wert, rechnete
das Wall Street
Journal noch am
Tag der Versteigerung nach
Zum Siebdruck wird eine Schablone
benutzt, die von einem feinmaschigen Gewebe (Sieb) getragen wird.
Die Schablone enthält das Druckbild.
Dieses kann mit verschiedenen Schablonen auch mehrfarbig gestaltet
werden. Die Druckfarbe wird auf die
Flächen, die nicht von der Schablone abgedeckt sind, aufgetragen und
mithilfe einer Rakel durch das Gewebe
hindurch auf einen Gegenstand (Papiererzeugnis, Holz- oder Kunststoffplatte, Textilien, Gerätegehäuse, Glasflasche u. a.) gewalzt.
Die Pop Art (engl. popular, populär)
entstand Mitte der Fünfzigerjahre in
England und den USA. Künstler wie
Andy Warhol, Robert Indiana und Roy
Lichtenstein machten die Pop Art in
den Sechzigern zur vorherrschenden
Kunstrichtung. Sie zeigt Gegenstände
aus der Konsumwelt, den Massenme-
dien oder der Werbung, also eigentlich
Triviales, in plakativer und oft überdimensionierter Darstellung. Auch
berühmte Persönlichkeiten wurden
zu "Ikonen" der Pop Art. Bekannte Beispiele sind die Siebdruckserien, für die
Warhol berühmte Fotos von Marylin
Monroe, Elvis Presley, Mao Zedong und
Jackie Onassis als Vorlage verwendete.
Andy Warhol
* 1928 in Pittsburgh
†1987 in New York City
Bevor Andy Warhol in den 60er Jahren
zum bedeutendsten Vertreter der USamerikanischen Pop Art aufstieg, arbeitete er als Illustrator für Mode- und
Lifestyle-Magazine. Sein Gesamtwerk
als Künstler umfasst Grafiken, Siebdrucke, Gemälde, Fotos und Filme. Warhols Marilyn-Monroe-Siebdruckserie
zählt zu den bekanntesten Werken
der Kunstgeschichte überhaupt, und
Dabei hatte der US-Dollar so ruhmreich begonnen: Einst
bescheinigten die Noten mit Nennwert 20 und höher,
dass man für sie die dem Nennwert entsprechende Anzahl Golddollar-Münzen verlangen konnte. Dieser Goldstandard fiel 1933 der Weltwirtschaftskrise zum Opfer.
Der Silberstandard – für die kleineren Nennwerte eins,
fünf und zehn – galt noch bis 1968. Bereits vier Jahre
zuvor endete das Rückkaufrecht für Silberdollar-Münzen. 1963 wurden die letzten Dollarnoten gedruckt, auf
denen "Silver Certificate" zu lesen war, was aber eben
nur noch fünf Jahre gelten sollte.
Ein Silver Certificate, einer aus der 1957er Serie, gab
auch die Vorlage für Warhols wandfüllenden Dollar-
wenn es eine Art kollektives Bildgedächtnis gibt, finden sich dort auch
Warhols Campbell's Suppendosen.
Diese 32 Abbilder einer marktführenden Konserve wurden 1962 vom Galleristen erworben, der sie ausgestellte;
1996 wurden sie für 15 Mio. Dollar an
das New Yorker Museum of Modern
Art veräußert.
Ab 1962 richtete Warhol in New York
in verschiedenen Fabrikhallen Ateliers
(von Warhol "Factories" genannt) ein,
die er zeitweilig in Party-Locations,
Filmstudios oder Proberäume für
Rockbands (The Velvet Underground)
verwandelte.
So wurde aus Andy Warhol (gebürtig
Andrej Warhola), dessen Eltern aus
einem slowakischen Karpartendorf
nach Pittsburgh immigriert waren, zu
einem Fixstern der kreativen Szene
der "City That Never Sleeps" und in
den Siebzigern – als Stammgast des
legendären Studio 54 – ein Exponent
ihrer Party- und Glamour-Szene.
Druck ab. Dieser war übrigens ein Novum: Abbilder
von Banknoten, ohne irgendetwas anderes daneben,
hatte es bis dahin in der Geschichte der Kunst nicht
gegeben.
Ob die 200 One Dollar Bills als Statement zur Geldtheorie gedacht waren, ist unwahrscheinlich. Viel eher
beantworten sie unverblümt die Frage, was die Welt
regiert, und regen kaum dazu an, nach Alternativen
zu suchen. «Geld zu machen ist Kunst, zu arbeiten ist
Kunst, und gute Geschäfte sind die beste Kunst,» war
Warhols Meinung. Das Versteigerungsergebnis bei
Sotheby's gibt ihm und dem Vorbesitzer der 200 One
Dollar Bills recht. ■
A|M|J 2013
FiNetworker
69