Stand der Umsetzung des BEM aus Sicht der Rentenversicherung

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Stand der Umsetzung des BEM aus Sicht der Rentenversicherung
Symposium des Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbundes
Freiburg/Bad Säckingen (RFV) am 22. Februar 2008
Betriebliches Eingliederungsmanagement –
Schnittstelle zur medizinischen Rehabilitation
Stand der Umsetzung des BEM aus
Sicht der Rentenversicherung
Dr. Barbara Kulick
Deutsche Rentenversicherung Rheinland-Pfalz
Inhalte
¾ Einleitung:
Relevanz für die Rentenversicherung und Erwartungen
¾ BEM – Organisation und Umsetzungsverfahren
¾ Angebote der DRV und BEM-Umsetzung seit 2004
- BAR-Ebene
- Rentenversicherungsträger als Partner
¾ Modellprojekte der Rentenversicherung
- Zentrale Erkenntnisse und neue Ansätze
¾ Abschließende Bilanz und Optimierungsempfehlungen
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Lebenswelt Arbeitsplatz
Gegenwart und Zukunftstrends
Gesellschaftsproblem: demografischer Wandel mit Verschiebung
der Alterspyramide
Erhöhung des Renteneintrittsalters: verlängerte Lebensarbeitszeit
Arbeitsplatzabbau/-verdichtung
(weniger Jobs für Geringqualifizierte)
Hohe Leistungsanforderungen
(soziale Kompetenz, Flexibilität, Fachkräftemangel)
Chronische Krankheiten, insbesondere psychische
Beeinträchtigungen, steigen, erhöhte Erfordernis für
Gesundheitsprävention und Rehabilitation/BEM
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Rehabilitationsauftrag der Rentenversicherung
Versicherte im
Erwerbsleben
Leistungen zur
Teilhabe am
Arbeitsleben
z. B. berufliche Bildung
Leistungen an Arbeitgeber
Medizinische
Rehabilitation
- stationär/ambulant
- Nachsorge
- STWE
Ziel nach SGB VI
Erhalt/Wiederherstellung der erheblich
gefährdeten Erwerbsfähigkeit
„Rehabilitation vor Rente“
Prognose bis 2010 Bedarfssteigerung um 9 % bei medizinischen
Rehabilitationsleistungen
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Rehabilitation in Zahlen
Leistungen der DRV zur Teilhabe 2006
medizinische Rehabilitation (stationär und ambulant)
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
Summe:
Gesamtaufwendungen ca. 4,5 Mrd. Euro
818.433
104.159
922.592 Leistungen
Rest
20%
Hauptdiagnosegruppen
ortho
36%
kardio
9%
pyscho
16%
onko
19%
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BEM – Erwartungen und Ziele der DRV
Arbeitsunfähigkeit verkürzen und überwinden
Erwerbsfähigkeit langfristig erhalten (Rentenprävention)
Arbeitsplatz nachhaltig sichern (Beitragsleistungen)
gesundheitliche Förderung älterer Arbeitnehmer
(Rente mit 67 und Bedarf an Fachkräften)
Früherkennung gesundheitlicher Beeinträchtigungen
Verbesserte Kooperation und Abstimmung zwischen Betrieb,
Leistungsträger und Reha-Einrichtung als win-win-Situation
Volkswirtschaftlicher Nutzen durch Senkung von Krankengeld,
Lohnnebenkosten und des Risikos der Frühverrentung
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BEM als Teil betrieblicher Gesundheitspolitik
Betriebliches Gesundheitsmanagement /
Betriebliche Gesundheitspolitik
Betriebliche
Gesundheitsförderung
(BGF)
Ziele:
- Prävention
- Gesunderhaltung
Betriebliches:
Eingliederungsmanagement
(BEM)
Ziele:
- Eingliederung kranker
Arbeitnehmer
- "Reha vor Entlassung"
Arbeits- und
Unfallschutz
Ziele:
- Unfallverhütung
- Vermeidung von Berufskrankheiten
Lawall (2007)
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BEM – Betriebliches Eingliederungsmanagement
Zur Organisation:
Ablauf des BEM wird im Betrieb abgestimmt
Koordination übernimmt der Arbeitgeber (BEM-Beauftragte)
Regelungen im Einzelnen - auch zur Einhaltung des
Datenschutzes - durch Betriebsvereinbarung
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aus: DRV Bund, Modellprojekt zum BEM, Abschlussbericht 2007
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BEM-Ablauf „klassisch“
Betrieb
Gemeinsame
Servicestelle
• Initiative i.d.R
Personalabteilung
• Info-Gespräch
durch BEMBeauftragten
• Betriebsrat
Servicestellenmitarbeiter
berät und koordiniert
Teilhabeleistungen, z. B.
Stufenweise Wiedereingliederung und Nachsorge
Integrationsamt
• Schwerbehindertenbeauftragten
• Betriebsarzt
Eingliederungsgespräch unter
Beteiligung des Betriebsrats, ggf.
Schwerbehindertenbeauftragten
und Betriebsarzt
Beteiligung bei
schwerbehinderten
Mitarbeitern
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Angebote der DRV zur Unterstützung beim BEM
Beratung bei Etablierung eines BEM
(insbesondere Mittel- und Kleinbetriebe) Ansprechpartner u. a. Gemeinsame
Servicestelle/Experten bei Träger
Prüfung, Einleitung und Durchführung von Rehabilitation
(medizinische Rehabilitation und LTA)
- Früherkennung Reha-Bedarf
- Auswahl geeigneter Reha-Einrichtungen
- Sicherstellung des Fokus BEM und Nachhaltigkeit
- ggf. Einschaltung weiterer Reha-Träger
Unterstützung beim Aufbau präventiver betrieblicher Maßnahmen
(z. B. Gesundheitstrainings)
Möglichkeit zu Prämien- und Bonuszahlung gemäß § 84 Abs. 4 SGB IX
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Sachstand zur Umsetzung des BEM seit 2004
Vorbehalte auf Seiten der Arbeitgeber Æ Info-Defizit und
Zurückhaltung bei Realisierung, besonderes Problem in
Kleinbetrieben
Zahlreiche regionale Initiativen und Kooperationsprojekte von KV,
RV und Bfwe, Reha-Einrichtungen mit Betrieben unterschiedlicher
Größe
Fehlen struktureller Vorgaben wie Handlungsleitlinien,
Qualitätskriterien, Assessmentverfahren, Dokumentation und
Evaluationshinweise
Positive Entwicklungen:
- Verständigung der Reha-Träger auf BAR-Ebene
- Regionale Lösungen und Modelle
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Initiativen auf der Ebene „Bundesarbeitsgemeinschaft für
Rehabilitation“
Gemeinsamer Entwurf eines Handlungsleitfadens
„Hilfestellung für Unternehmen“
Integration von Aufgaben im BEM in die neue
„Rahmenvereinbarung Gemeinsame Servicestellen für
Rehabilitation“ (01.01.2008)
Abstimmung von Regelungen zur Bonus- und Prämienzahlung:
keine trägerübergreifende Lösung in Sicht
Erarbeitung von Qualitätsmerkmalen eines BEM als Hilfestellung
für Arbeitgeber in Vorbereitung
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BEM-Projekte unter Beteiligung der Rentenversicherung
Alle Rentenversicherungsträger setzen regionale Projekte um,
in der Regel mit Großbetrieben
Ausgewählte Projekte mit Evaluation
- Modellprojekt der DRV Bund zum BEM (2006 bis 2007)
- Arbeitgeberbefragungen
- Arbeitgeberberatungen
- Ärzte- und Patientenbefragungen
- Kooperationen (Assessments, sozialmedizinisches Konsil)
- KoRB-Kooperation Rehabilitation und Betrieb
Projekt der DRV Westfalen / Institut für Rehabilitationsforschung
Norderney (2005 bis 2007)
- Analyse von Kooperationsmöglichkeiten zwischen AG und RV
durch Befragungen
- Handlungsempfehlungen
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Zentrale Erkenntnisse aus den evaluierten Projekten
KoRB
§ 84 SGB IX inhaltlich in Betrieben (KMU) kaum bekannt,
in Großbetrieben als bürokratische Hürde betrachtet
Informationsstand bei Betrieben zu Rehabilitation in der Regel gering
- Inhalte und Leistungen zur Teilhabe überwiegend unbekannt
- Gemeinsame Servicestellen unbekannt
Wenig prägnante oder ambivalente Erfahrungen der Betriebe mit
Rehabilitation
- Rehabilitation punktuelle Maßnahme ohne Nachhaltigkeit (Duldung)
- Rehabilitation schafft betriebliche Probleme: „Jobkiller“
- Gute Erfahrungen mit arbeitsplatzbezogener Rehabilitation
Früherkennung von Rehabilitationsbedürftigkeit nicht in Betrieb leistbar
- Betriebsärzte haben fehlende Kapazitäten
- Personalverantwortliche in der Regel ohne Sachkenntnis zur Rehabilitation
- Betriebsärzte wünschen enge Kooperation mit den Reha-Einrichtungen
zwecks zielgenauer Rehabilitation
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KoRB - Handlungsempfehlungen
Informationen und Ansprache zielgruppenspezifisch (AG, AN,
Betriebsarzt) ausrichten
Bereitstellen eines persönlichen Ansprechpartners (Gemeinsame
Servicestelle, Hausarzt, Betriebsrat, Reha-Klinik) = „Allrounder“
Stärkung der Nachhaltigkeit durch Nachsorgeprogramme
Arbeitsplatzspezifische soziale Leistungsbeurteilung
(Arbeitsplatzbeschreibung, routinisierte ärztliche Kooperation)
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Modellprojekt der DRV Bund – Zentrale Ergebnisse
Großer Bedarf bei Arbeitgebern an professioneller und
kompetenter Beratung
Bereitstellung von Assessmentverfahren zur Früherkennung und
Diagnostik wird von Betriebsärzten begrüßt („sozialmedizinisches
Konsil“)
Prämien und Boni spielen für Arbeitgeber bei der Umsetzung
untergeordnete Rolle! Serviceleistungen gefragt!
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Projekte der DRV
Rheinland-Pfalz
Modell „Stärke durch Vernetzung“ mit Großbetrieben
•
•
Daimler AG, Mercedes Benz Werk Wörth
SCHOTT AG in Mainz
BEM-Partnerschaft mit Klein- und Mittelbetrieben im
Großraum Koblenz/Bad Kreuznach
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Stärke durch Vernetzung
Krankenkassen: AOK Rheinland-Pfalz und
BKK Daimler AG
Rehabilitations- Orthopädie (3), z. B.
einrichtungen:
Rheumaklinik Bad Säckingen
Psychosomatik (3), z. B.
Psychosomatische
Fachklinik Bad Dürkheim
Alkoholabhängigkeit (1)
Fachklinik Eußerthal
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Ablaufschema „Stärke durch Vernetzung“
Krankenkasse
Antragstellung des Versicherten
Betriebsärztlicher
Dienst /
Sozialberatung
Daimler AG
Ärztlicher Dienst der DRV
Rheinland-Pfalz
begleitendes
Fallmanagement der
DRV Rheinland-Pfalz
Ansprechpartner
“Kümmerer”
stationäre / ambulante
Rehabilitationseinrichtungen
- Orthopädie
- Psychosomatik
- Abhängigkeit
Arbeitsplatzbeschreibung
Einschätzung der
Reha-Fähigkeit
Stufenweise
Wiedereingliederung/
Nachsorge
LTA
betriebliche
Eingliederung
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Modell „Stärke durch Vernetzung“
Charakteristika
Intensivierte Reha-Vorbereitung mit Arbeitsplatzbeschreibung
zeitnahe Bewilligung durch RV-Träger
begleitendes Fallmanagement („Kümmerer“)
Kontakt und Abstimmung zwischen Reha-Arzt und Werksarzt während
der Rehabilitation verpflichtend
Entlassungsbericht innerhalb von 5 Werktagen bei RV-Träger und
Werksarzt (mit Einverständnis des Versicherten)
Werksarzt überwacht Stufenweise Wiedereingliederung, Nachsorge und
Arbeitsintegration
regelmäßige Projekttreffen mit Klinik- und Werksbesichtigungen
schriftliche Kooperationsvereinbarung
wissenschaftliche Begleitevaluation
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Modellprojekt „Stärke durch Vernetzung“ (N=186)
Nachbefragung, 3 Monate nach Entlassung (Rücklaufquote 74,2%)
Zustimmend positive Beurteilungen der Reha-Vorbereitungsphase
90,0%
81,9%
80,4%
81,2%
80,0%
68,8%
69,6%
70,0%
56,2%
Häufigfkeit (%)
60,0%
50,0%
40,0%
30,0%
20,0%
10,0%
0,0%
Erläuterung von Vorteilen
(N=135)
Umfassende Informationen
im Vorfeld (N=134)
Antragsentsc heidung gut
überlegt (N=133)
Erläuterung von
Zusammenhang von
arbeitsbezogenen
Besc hwerden und RehaMöglic hkeiten (N=134)
Dauer bis zur Bewilligung
(N=134)
Dauer bis zur Aufnahme
(N=133)
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Modellprojekt „Stärke durch Vernetzung“ (N=186)
Nachbefragung, 3 Monate nach Entlassung (Rücklaufquote 74,2%)
Zustimmend positive Beurteilungen des Reha-Prozesses
77,5%
78,0%
76,0%
74,0%
71,1%
71,0%
Häufigkeit (%)
72,0%
70,0%
68,0%
65,9%
65,9%
66,0%
64,0%
62,0%
60,0%
Auf Arbeitsplatzanforderungen
vorbereitet (N=135)
Zurechtkommen mit Arbeitsbelastungen
(N=134)
Einbezug von Arbeitsplatzproblemen
(N=136)
Individuelle arbeitsbezogene
Behandlungsangebote (N=136)
Aufrechterhalten der Reha-Ergebisse
(N=136)
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Stufenweise Wiedereingliederung und Nachsorge
der Deutschen Rentenversicherung Rheinland-Pfalz im Verlauf
Anteil Stufenweiser Wiedereingliederung
9,1%
10,0
9,0
7,8%
8,0
6,0%
Häufigkeit (%)
7,0
6,0
5,0
3,5%
4,0
3,0
2,7%
2,1%
1,0%
2,0
0,5%
0,6%
1,0
0,0
STW
Nachsorge
2005 (N=16.762)
2006 (N=22.892)
STW + Nachsorge
2007 (N=26.288)
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Modellprojekt „Stärke durch Vernetzung“ (N=186)
Stufenweise Wiedereingliederung und Nachsorge
Verlauf Stufenweiser Wiedereingliederungen
30,0
26,7%
25,0
20,7%
Häufigkeit (%)
20,0
15,0
11,8%
10,0
5,2%
5,0
0%
0%
0%
0%
0%
0,0
STW
Nachsorge
2005 (N=58)
2006 (N=68)
STW & Nachsorge
2007 (N=60)
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Stärke durch
durch Vernetzung
Vernetzung
Stärke
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Modellprojekt
Kooperation beim BEM mit Kleinund Mittelbetrieben (KMU)
Betrieb
KMU
Arbeitnehmer
AOK
DRV
ausgewählte
Reha-Einrichtungen
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Modellprojekt BEM
Service Angebote an Klein- und Mittelbetriebe
im Großraum Koblenz/Bad Kreuznach
¾ Identifikation betroffener Mitarbeiter durch AOK Rheinland-Pfalz
¾ Beratungsgespräch zum BEM durch Krankengeldfallmanager
der AOK Rheinland-Pfalz
¾ Klärung des Rehabilitationsbedarfs durch Gemeinsame Servicestelle
der DRV Rheinland-Pfalz
¾ Arzt der trägereigenen Reha-Klinik ersetzt Betriebsarzt bei
Begutachtung, Feststellung des Reha-Bedarfs und Einleitung
weiterführender Maßnahmen
(Stufenweise Wiedereingliederung, Nachsorge, Antrag auf LTA)
¾ Bevorzugte Aufnahme in Rehabilitation (kurze Wartezeiten)
¾ Fokus auf arbeitsbezogene Reha-Angebote
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Bilanzierung bisheriger Erfahrungen
mit BEM-Kooperationen
Erfolge
- BEM kommt in Gang
- Vielzahl innovativer Projekte/Kooperationen
- Strukturierte Unterstützung durch Gemeinsame Servicestelle gebahnt
- Erste Lösungsansätze für KMU in Sicht
Stolpersteine
- Info-Defizit bei KMU zu BEM und Rehabilitation
- KMU ohne Betriebsarzt
- Früherkennung wie?
- Vorbehalte bei Arbeitgeber und Arbeitnehmer
- Reha-Einrichtungen im Dornröschenschlaf (?)
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Optimierungsbedarf und Empfehlungen
Aktives Beratungsangebot zum BEM für Betriebe ausweiten
Assessmentverfahren entwickeln
(Screening, Früherkennung Reha-Bedürftigkeit, psychische Beeinträchtigung,
Diagnoseverfahren)
Arbeitsplatzbezogene Rehabilitation in medizinischen Einrichtungen
verstärken
Qualifizierung des BEM:
Qualitätsstandards, Fortbildung, Qualitätssicherung und Zertifizierung,
Evaluationsstudien
Regionale Kooperationen (Leistungsträger, Betriebe, Werksärzte, RehaEinrichtungen) mit Bedarfsanpassungen (Arbeitsplatzbeschreibung,
Abstimmung zwischen Werksarzt und Klinikarzt)
Ausbau betrieblicher Prävention mit Unterstützung durch Leistungsträger
und Reha-Einrichtungen
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Ausblick:
Wandel durch Annäherung?
BEM als Impulsgeber für Rehabilitation und Wiedereingliederung
behinderter Menschen
Sensibilisierung und Anstoß für Arbeitgeber, Arbeitsplätze für Ältere
und Leistungsgeminderte zu erhalten?
Chance für Reha-Einrichtungen, mit Assessments und strukturierten
BO-Maßnahmen arbeitsweltbezogen zu rehabilitieren?
Vision:
Reha-Einrichtungen als regionale Kompetenzzentren für
Rehabilitation und Prävention und Dienstleister für
Betriebe der Region
(Beratung, Assessment, umfassende Leistungen, Fallmanagement,
Integrationskompetenz fördern, Fortbildungsangebote)
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„Wenn der Wind der Veränderung weht,
bauen die Einen Mauern
und die Anderen Windmühlen“.
Chin. Sprichwort
Vielen Dank!
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