Die Villa Romana von ihrer Gründung bis zum Ausbruch des Ersten
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Die Villa Romana von ihrer Gründung bis zum Ausbruch des Ersten
Die Villa Romana von ihrer Gründung bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges PHILIPP KUHN 1 Zitat nach: Barlach 1997, S. 62. 2 Vgl. zum Werk von Tuch die Monographie: »Es hat sich hier eine ganze Reihe Leute zusammengefunden, Kurt Tuch, hrsg. v. Kunsthandlung Bilder Die von wenig leben, aber leben – Philipp: Das Jahr 1905. eine Art Refugiés, geflohen vor dem barbarischen officiellen Berlin-Wien […]. für ihre Art und eigne Mode.« Ernst Barlach an Reinhard Piper, 27. Februar 19091 Fuchs, Ausst. Fulda 2003; dort: Kuhn, Kurt Tuch und die Villa Romana in Florenz, S. 16–19. 3 Elf Briefe Tuchs im SA/N, Nachl. Klinger. Zur Förderung Tuchs vgl.: Unveröffentlichte Die Anfänge 1905/06 Die wundersame Verwandlung der Villa Romana in ein Künstlerhaus durch Max Klinger während lediglich zweier Aufenthalte im Juli und Oktober des Jahres 1905 hatte zwei Seiten. Erstaunlich ist das Gelingen der fast vollständigen Renovierung und der Einrichtung des Hauses mit dem notwendigsten Mobiliar, dazu die Beinahe-Fertigstellung der Konstruktion des heute so genannten Ateliers Villetta Erinnerungen von Kurt Tuch, Privatbesitz Schweiz u. VRA/F. 4 Kat. der 11. Ausst. der Berliner Secession, Berlin 1906; dort zeigten auch Georg Kolbe seine beiden Florentiner Plastiken und Ulrich Hübner ein Bild Frühling in Florenz. 5 Vgl. zu Kolbe allg.: Berger 1990, dort zur über der ehemaligen Wagenremise. Als Max Klinger und Elsa Asenijeff die Villa Romana am 30. Villa Romana S. 30–33. Viele Hinweise und Klinger zuversichtlich gewesen sein, was den Fortgang der begonnenen Verwandlung anging. Die des Georg-Kolbe-Museums zu verdanken, November 1905 verließen, waren die Arbeiten jedoch längst noch nicht abgeschlossen, dennoch dürfte maßgeblich von ihm und Georg Hirzel betriebene Wahl des ersten Preisträgers, des Malers Kurt Tuch, war nämlich nicht ganz uneigennützig geschehen.2 Tuch war schon seit einiger Zeit von Klinger systematisch gefördert worden, und Georg Hirzel hatte ihm erst kurz zuvor einen längeren Parisaufenthalt Materialien sind Frau Berger, der Direktorin insbes. auch der zur Verfügung gestellte unveröffentlichte Briefwechsel Kolbe/Herrmann Schmitt. 6 Das geht aus zwei Briefen Klingers an Hir- finanziert. So war es beinahe nicht unanständig, daß man den 28jährigen Tuch bat, die Fortführung der zel hervor: 20.1.1903 u. Jan. 1904, VRA/F; aus dieser Zeit zeugen von größten Mühen und vielen Ärgernissen, und sie lassen den Schluß zu, daß (wie Anm. 5): »Klinger und Hirzel sandten Arbeiten in der Villa, ja sogar die Leitung des Hauses vor Ort zu übernehmen. Seine Briefe an Klinger ihm nicht viel Freiraum für die eigene Arbeit geblieben sein kann.3 Als die quälende Kälte des Florenti- ner Winters vorüber war, kam Tuch dann doch zu eigener Arbeit. In der Ausstellung der Berliner Secession des gleichen Jahres konnte er mit guter Resonanz ein großformatiges, stark an Marées erinnerndes vgl. auch: Kolbe an Schmitt, Anfang 1903 mir je 500 Mark. Von Klinger freilich soll ich schweigen.« Tuch und Kolbe waren übrigens seit ihrer gemeinsamen Studienzeit an der Münchner Akademie (1896) eng miteinan- Bild mit drei Akten zeigen, das im Garten der Villa Romana entstanden war (ABB. 019).4 der befreundet. Auch Georg Kolbe5 gehörte seit seinem Leipziger Jahr (ab Ende 1902) zum Kreis der jüngeren Künst- vom 6.2. und 23.2.1906 (wie Anm. 5). Nach etwa drei Wochen, am 15. Dezember 1905, traf der zweite Preisträger in Florenz ein. 7 Beide Briefe: Kolbe an Schmitt in Berlin ler, die von Max Klinger und Georg Hirzel gefördert wurden.6 Kolbe kam mit seiner holländischen Frau Benjamine und seiner kleinen Tochter in die Villa Romana. Nach zwei Monaten berichtete Kolbe nach Berlin: »Florenz macht uns gewiss viel Vergnü- gen. Michelangelo und auch Donatello üben grosse Macht auf uns aus und sind künstlerisch das, was mich aufrecht erhält.« Aber Kolbes Stimmung war höchst schwankend. Gerade zwei Wochen später schrieb er im gleichen Zusammenhang: »Michelangelo bewundere ich über alle Massen und dann komme ich so klein und zaghaft nach unserer sonderbaren Villa zurück – Begreifst Du, dass das nicht das rechte ist? Auch die vielen herrlichen Frühlingstage, an denen man sich nur der Sonne aussetzen sollte, fördern die Arbeit nicht – […].«7 Während seines knapp fünfmonatigen Aufenthaltes entstanden zwei aus dem Block geschlagene Skulpturen (ABB. 020).8 »Die ganze Einrichtung ist fabelhaft geschmacklos. Das ist trübselig, dies sagen zu müssen. Hätte er [Klinger] nur einen Menschen um Rat gefragt, so wäre Alles erträglich geworden«, schimpfte Kolbe bald nach seiner Ankunft.9 Überhaupt hielt er sich mit Kritik nicht zurück und gebärdete sich schon vor seiner Abreise aus Deutschland, als hätte man ihn zu seinem Glück gezwungen. Diese Haltung erscheint aber aus dem Rückblick stark von seinem ehrgeizigen und durchaus selbstkritischen Ringen um den Weg der eigenen Arbeit bestimmt. Aus dem Abstand von 30 Jahren machte Kolbe dann der Villa das schönste Kompliment. Seinem jungen Bildhauerkollegen, dem Villa Romana-Preisträger von 1935, Philipp Harth, schrieb er nach Florenz: »Das Haus, in dem Sie jetzt, hoffentlich mit Genuß wohnen, kenne ich ja so gut u. liebe alles Erinnern an diese Zeit.«10 Die beiden Landsmänner Klingers erhielten im Dezember Gesellschaft durch den Berliner Ulrich Hübner, einen impressionistisch orientierten Maler, der bei der Berliner Secession von Beginn an dabei war und schon seit einigen Jahren größeren Erfolg genoß.11 Hübner richtete sich sogleich großzügig in der Villa ein und berichtete im Januar an Klinger: »Ich persönlich finde es wundervoll hier – So schön, daß man sich fast gar nicht getraut etwas zu malen! Aber grade mal auszuspannen – und Kurt Tuch, Drei Akte, Florenz 1906, Öl/Lwd., 115 x 90 cm, Privatbesitz ABB. 019 draußen oder in der Stadt herum bummeln in irgend einen der Höfe hineingehn – oder in Gallerien u. 8 Zunächst eine elegante, »sehr kleine Sammlungen – gehört ja mit zum Schönsten, was man Thun kann!« weibliche Figur in griechischem Marmor«, Gründern gewünschten Preisträgers Gustav Klimt kam Max Kurzweil mit seiner französischen Frau urteilte: »Die Arbeit ist nicht schlecht aber 12 Gewissermaßen als Vertreter der Wiener Secession, und an Stelle des ursprünglich von den Martha nach Florenz.13 Er gehörte zu den maßgeblichen Mitbegründern der Wiener Secession und auch wenn er einer Ornamentalisierung des Bildes, wie Klimt sie entwickelt hatte, bei weitem nicht folgte, ist doch seine Arbeit unverkennbar mit den Formabsichten der Secession verbunden. Sein tragischer Selbstmord im Jahr 1916 führte zur weitgehenden Zerstreuung seines Werkes, so daß sich die zahlreichen Arbeiten, die in der Villa Romana entstanden, leider nicht lokalisieren ließen. 14 Als letzter dieses ersten Preisträger-Jahrganges traf erst Ende April 1906 der Münchner Maler Richard Pietzsch gemeinsam mit seiner schwedischen Frau, der Malerin Fanny Westberg, in Florenz ein.15 Er kam anstelle des aufsässigen Thomas Theodor Heine, dessen Ruf als scharfer Kritiker der bestehenden Verhältnisse sich Klinger für sein Haus so gerne zunutze gemacht hätte. Pietzsch war als Ersatzkandidat der Tribut der Gründer an die Münchner Secession, und er war ein Protegé des einflußreichen Hugo von Habermann. Diesem gegenüber äußerte sich Pietzsch auch in einem langen Beschwerdebrief über die Verhältnisse in der Villa Romana.16 Er hatte wohl einigen Grund dazu, denn mit der vorzeitigen Abreise Tuchs waren ihm dessen unerfreuliche Aufgaben zugefallen: »Kam ich vor lauter Mal- und Verwaltungssorgen wirklich dann mal zur Stadt in die berühmten Museen so musste ich leider vor den Werken Michelangelos oder Giottos daran denken, dass Kleiderschränke oder Wasser- deren Qualität Kolbe nur zurückhaltend be- auch kein Fortschritt. Höchstens bringt sie Geld.« Gegen Ende Februar begann er die zweite Plastik: »Nun habe ich noch einen Block Kalkstein da stehen, der sehr presto bearbeitet werden soll.« In kurzer Zeit entwickelte er einen männlichen Akt, der ganz andere Züge trägt und deutlich von seiner Michelangelo-Faszination kündet. Der Verbleib der Skulpturen ist lt. Auskunft von Ursel Berger, Georg-Kolbe-Museum Berlin, ungeklärt; zeitgenössische Photographien der beiden Arbeiten befinden sich im dortigen Archiv. 9 Kolbe an Schmitt vom 31.12.1905 (wie Anm. 5). 10 Tiesenhausen 1987, Zitat in der Anm. zum Brief Harth an Kolbe vom 22.10.1935, Nr. 181, S. 147. Die kritische Haltung eimer etc. noch für die Villa zu bestellen seien und was alles an sonstigem Kleinkram noch zu machen Kolbes über den Preis im Vorfeld geht u.a ner Gereiztheit nennen, und die bezog sich, wie Pietzsch es umschrieb, auf die »geschäftstüchtigen Anfang Nov. 1905 und 6.12.1905 (wie Anm. war.« In seinen Erinnerungen ist aber noch ein anderer Aspekt gewichtig. Man könnte es eine MünchHerren Berliner Stipendiaten«. Nachdem Klinger mit größter Mühe versucht hatte, jeden Ansatz von Verstimmung, jedes Gefühl einer Benachteiligung der Münchner Künstlergrößen Stuck, Habermann und Uhde zu vermeiden, hatte er nun einen Botschafter in der Villa, der die Nord-Süd-Spannungen nur noch verschärfte. Pietzsch war dennoch produktiv in Florenz und malte u.a. drei großformatige Land17 schaften. Sein Resümee jedoch blieb negativ: »Meiner nordischen Frau bekam das Florentiner Klima nicht recht und mir der Verwaltungskram nicht. So waren wir froh, als zu Sylvester 1906 endlich die Verwaltung an den neuen Stipendiaten Schlittgen übergeben werden konnte.«18 hervor aus den Briefen Kolbes an Schmitt, 5): »Ich thue es nur mit dem Gefühl eines ganz abhängigen Menschen der verschickt wird. Und eklig ist mir, dass meine Freunde mich beglückwünschen.« 11 Kat. Ulrich Hübner (1872–1932): in Berlin und an der See – Bilder des Impressionismus, bearbeitet v. Andreas Blühm, Ausst. Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck, 1988, Lübeck 1988. Der zweite Jahrgang, 1906/07: Max Beckmann, Dora Hitz und Hermann Schlittgen Die dritte Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes fand vom 1. Juni bis 10. Oktober 1906 in Weimar statt. Nach den Wirren der ersten Preisträgerauswahl in der Gründungsphase wurde hier erstmals nach den inzwischen entstandenen Statuten gewählt. Auch konnte man nun offiziell die mit dem Preis ver- bundene Geldunterstützung von 2000 Mark ausloben. Im ersten Jahr war das noch eine etwas undurchsichtige Angelegenheit, bei der verschiedene der Gründer tief in die eigene Tasche greifen mußten.19 Am 11. Juni 1906 wurden dann in der Weimarer Ausstellung die drei Preise verteilt. Bereits vor der Eröffnung jedoch hatte sich unter den Juroren ein junger Favorit abgehoben. Max Klinger schrieb hierzu am 5. Juni an Harry Graf Kessler: »Der von Ihnen vorgeschlagene M. Beckmann steht bereits auf der Liste, die wir in Weimar am Donnerstag [dem 31. Mai] ganz vorläufig und unverbindlich aufstell- ten.« In einem Nachsatz fügte er an: »Ich bin sehr für Beckmann.«20 Hinzugewählt wurde die Berliner Malerin Dora Hitz.21 Mit ihr kürte man nicht nur eine der ersten Frauen, die bereits in der anbrechenden Berliner Moderne der 1890er Jahre eine wichtige Mitstreiterin war, sondern man setzte auch ein deutliches Zeichen, daß der neugeschaffene Preis auch für Frauen galt; dies zu einem Zeitpunkt, als man Frauen fast überall in Deutschland noch aus der staatlichen Künstlerausbildung und Förderung ausschloß. In Weimar zeigte die Hitz ihr faszinierendes, mit großer Dynamik gemaltes, in den Farben flirrendes Porträt von Frau M. H. (d.i. Margarete, die Frau Gerhart Hauptmanns).22 Hermann Schlittgen, den man als dritten Preisträger wählte, war wohl eine der originellsten Figuren der damaligen Kunst- szene. Schlittgen genoß allgemeine Bekanntheit durch seine kritischen und amüsanten Zeichnungen in 23 den berühmten Fliegenden Blättern und in Albert Langens Simplicissimus. Die Wahl des urwüchsigen Bayern dürfte zunächst einmal die Münchner Gemüter beruhigt haben, andererseits konnte man sich von Schlittgen aber durchaus Verbindendes erhoffen. Er hatte zehn Jahre in Paris und mehrfach in Berlin gelebt, er war ein alter Freund von Liebermann und Leistikow und hatte um 1893 im legendären Georg Kolbe, Vornübergebeugter Akt, aufgenommen in der Villa Romana, April 1907, Standort unbekannt ABB. 020 12 Hübner an Klinger vom 14.1.1906, SA/N, zur Villa Romana: S. 295–302. 24 seinem Aufenthalt zeugen, waren leider nicht Begegnung im Café Reininghaus lesen: »Da sa- Realität der Träume in den Bildern. Aufsätze und auffindbar, jedoch lassen sich einige anhand von ßen die Berliner Kunstgelehrten am Nebentisch, Vorträge. Aus Tagebüchern, Briefen, Gesprächen Titeln nachweisen, u.a. zwei Bilder im Kat. DKB, und wir hörten, wie sie laut von der ›Florentina 1903–1950, Leipzig 1984, S.106. Weimar 1906 (Florentinerin und San Ilario bei Kultua‹ redeten […], die sich spreizten und taten, 37 Florenz); vgl. auch Anm. 4. als wären sie allein auf der Welt.« Minna Tube, verwiesen auf: Kollwitz 1989, dort auch ihre gedruckt bei: Pillep, Rudolf: Max Beckmann. Die Aus der Fülle der Kollwitz-Literatur sei hier die Frau Max Beckmanns beschrieb das hier auf- Erinnerungen von 1941 mit einer längeren ph, Hubert: Max Kurzweil. Ein Maler der Wiener scheinende Problem konkreter: »Dann erschien Passage über den VR-Aufenthalt, S. 736–744, Secession, Wien/München 1969. der Zeichner Schlittgen […]« und »beehrte uns hier S. 743f. mit seinem aufrichtigen Haß.« Sie berichtet, 38 Ausstellung in Weimar zeigte Kurzweil ein Bild daß er »ständig auf die Berliner schimpfte, die Nachl. Lehrs. Sie fügte dort an: »Ich kenne Non omnis moriar (Kat. DBK, Weimar 1906). den dummen Jungen [Beckmann] bereits mit 25 Italien noch gar nicht, […] Jetzt nach Florenz zu Der Bildtitel ist die damals allgemein bekannte Jahren in die Villa Romana schickten«. Und sie kommen ist wunderschön! Sicher geh ich auch Inschrift über dem Grab Arnold Böcklins auf resümierte über diese Spannungen: »Schade, ich nach Rom […].« Konkrete Pläne gab es auch zu dem Friedhof ›Agli Allori‹ in der Nähe der Villa hatte schon früher unter der Antipathie der Bay- ihrer Arbeit, und offenbar war sie sich bereits vor Romana. ern gegen die Preussen zu leiden gehabt, aber der Abfahrt darüber im klaren, daß sie in Florenz ich hoffe, das hat sich jetzt etwas gebessert. nicht zu viel kommen würde: »Doch muß ich vor Zeitgeschichte; Kat. Richard Pietzsch. Arbeiten Vielleicht haben wir doch noch eine Aussicht auf der Reise noch die 5. Bauernkriegplatte fertig auf Papier, Galerie Abercron, München 1987 u. ein geeintes Europa.« haben, an der ich jetzt arbeite. Es bleiben mir 1992. 25 13 14 15 16 Vgl. zum Werk Kurzweils: Novotny, Fritz/Adol- Wo seine Antipathien lagen, läßt sich aus einer Piper-Verlages »zum 19. Mai 1924« ist u.a. ab- Nachl. Klinger. Arbeiten von Hübner, die von Ebd., Nr. 23–25 (mit Abb.). Auf der DKB- Vgl. Kat. Richard Pietzsch. Gemälde als Pietzsch an Habermann vom 17.9.06, Städti- Lenz, Christian: Max Beckmann und Italien, Frankfurt/M. 1976. Kollwitz an Lehrs vom 14.2.1907, BSH/M, für nachher noch 2 Platten denn in Florenz selbst werde ich wohl kaum daran arbeiten. Vor allem sche Galerie Würzburg, Nachl. Habermann, HA 26 DL/M, Tagebuch Kessler vom 1.6.1906. will ich mich doch umschaun.« 0954.004. Kenntnis des VR betreffenden Brief- 27 Ebd., 3.6.1906. 39 Konvolutes durch Vermittlung von Herrn Andreas 28 Beckmann-Tube 1985, S. 172. Beckmann an den 20.4. reiste auch ihr Mann, der Arzt Karl Meyer, Würzburg. Kessler vom 12.6.1906, in: Beckmann 1993, Nr. Kollwitz nach Florenz. Das geht u.a. hervor aus 26, S. 33f. dem Brief an den Sohn Hans, 27.4.1907, Stif- 17 Das wird z.B. deutlich in den Briefen Klingers an Stuck von Ende Februar 1905 sowie vom 29 5.4.1905, Städtische Galerie Würzburg, Nachl. in: Beckmann 1993, Nr. 33, S. 49f. Habermann, HA 0631.011 und 0631.001. Vgl. 30 auch: Kalckreuth an Habermann vom 28.5.1905, rungen scheinen an vielen Stellen mit Irrtümern 13.5.1907. ebd., HA 0584.001. behaftet zu sein. So ist es etwa nicht möglich, 41 daß Beckmann in Florenz mit Malern der Brücke Sohn Hans vom 20.4.1907; »Berlin-W.«: Kollwitz Ein deutscher Maler. Lebenserinnerungen von zusammentraf (S. 174), da nachweislich keiner an die Schwester Lise vom 13.5.1907. Richard Pietzsch, Typoskr., zur Villa Romana S. dieser Maler im Frühjahr 1907 in Florenz war. Zu 42 164–171, GNABK/N, Nachl. Pietzsch. Minna Tube, die selbst zunächst Malerin war, vgl.: Barlach 1968, S. 315. Die Zusammenhänge und 18 Dieses und die beiden Zitate zuvor aus: Beckmann an Kunwald, 8. oder 9.[11.]1906, Sie war in Begleitung ihres Sohnes Peter, um Vgl. Beckmann-Tube 1985, S. 172f. Die Erinne- tung Archiv der Akademie der Künste, Abteilung bildende Kunst, Teilnachl. Käthe Kollwitz. 40 Ebd., Kollwitz an die Schwester Lise vom Ebd., der Plan der Wanderung: Kollwitz an Barlach an Luise Barlach vom 13.5.1909, in: Das wird vor allem deutlich bei der Un- Kat. Minna Beckmann-Tube, Ausst. Staatsgalerie das Zitat zuvor bei: Bonus-Jeep 1948, S. 78f. terstützung Georg Kolbes: »Kl[inger] – der Moderner Kunst, München 1998 (Hefte des Max- Die Autorin gibt vielen Personen Pseudonyme; liebe gute Mensch will einstweilen immer aus Beckmann-Archivs 2), München 1998. die Namen werden jedoch aus den Briefen der seiner eigenen Tasche zahlen (was ich Dich zu 31 verschweigen bitte)«, Kolbe an Schmitt vom 1985, S. 174. Die Bezeichnung Cassirers in der Dokumentation zu: Kollwitz 1989. 6.12.1905. Die ursprüngliche Überlegung von gebrauchte Beckmann in einem Brief vom 43 jährlich sechs Preisträgern hatte man inzwischen 9.6.1906, in: Beckmann 1993, S. 44; Zitate zu anhand von Briefberichten, ausführlich be- auf vier reduziert. Etwas verwirrend ist, daß Beckmann nach der Ausstellungsdokumentation schrieben: Bonus-Jeep 1948, S. 86–91. Von der man in Weimar nur drei Preisträger kürte. Dies in: Gäßler, Ewald: Studien zum Frühwerk Max Wanderung existieren zwei Briefe vom 10.6.1907 lag ganz einfach daran, daß der vierte zu diesem Beckmanns. Eine motivkundliche und ikonogra- an die Söhne Hans und Peter (wie Anm. 39). Zeitpunkt schon, oder besser: noch feststand. phische Untersuchung zur Kunst der Jahrhun- 44 VR-Vereinsbericht 1908, S. 2, VRA/F. Es war Henry van de Velde, auf den man immer dertwende, Diss. phil. Göttingen 1974, S. 315 f. 45 Vgl. Hübner an Klinger vom 19.4.07, SA/N, noch und – wie sich erweisen sollte – letztlich 32 vergeblich wartete. Brief Klingers an Seemann vom 20.1.1907, Sin- schlagewerken gibt es keine nennenswerte ger-Abschriften, Nr. 928, Museum der Bildenden Literatur über Brandenburg. Kessler; ebd., Tagebuch vom 11.6.1906: »Die Künste Leipzig. 45 Preise verteilt: Dora Hitz, Schlittgen, Beckmann. 33 An Beckmann telegraphiert«. American Art, Smithsonian Institute, Washington schlagewerken gibt es keine nennenswerte D.C. Dank an Maya Beckmann für eine Kopie. Literatur über Brandenburg. Bröhan, Margrit: Dora Hitz (1856–1924). Male- 34 Göpel, Erhard und Barbara: Max Beckmann, 46 rin, in: Kat. Profession ohne Tradition. 125 Jahre Kat. der Gemälde, Bern 1976, Bd. I, S. 71, zu sage: Corinth an Hübner vom 16.8.1907, Privat- Verein Berliner Künstlerinnen, Ausst. Berlinische Nr. 66. Viele Autoren haben sich mit Beckmanns besitz, Kopie im Archiv des Autors. Der Brief ist Galerie 1992, Berlin 1992, S. 49–57. Selbstporträt befaßt. Die überzeugendste Deu- kürzlich bei Stargardt auktioniert worden (Berlin, tung stammt immer noch von Lenz 1976 (wie 23./24. März 2004, Nr. 616). Klinger vermeldet Anm. 25), S. 11f. die Absage am 3.9.1907 an Hirzel, VRA/F. 19 20 21 22 Klinger an Kessler vom 5.6.1906, DL/M, Nachl. Vgl. zu Dora Hitz den detailreichen Aufsatz: Ausst. DKB, Weimar 1906, Nr. 83, Farbabb. bei Bröhan (wie Anm. 21), S. 53. 23 Zu seinem Werk gibt es leider keine nennens- 35 Zitat zum Berlin-Besuch: Beckmann-Tube Der Besuch Beckmanns wurde erwähnt im Die Bilderliste befindet sich in: Archives of Reifenberg, Benno: Max Beckmann, München werte Literatur. Eine wichtige Quelle sind aber 1949, S. 14. seine Lebenserinnerungen: Schlittgen 1926, dort 36 Die Autobiographie für den Privatdruck des Kollwitz deutlich und lassen sich weiter verfolgen Beate Bonus hat die Wanderung, teilweise Nachl. Klinger. Neben den einschlägigen Nach- Vgl. Hübner an Klinger vom 19.4.07, SA/N, Nachl. Klinger. Neben den einschlägigen Nach- 47 Klinger an Hirzel vom 18.8.1907, VRA/F. Ab- VR-Vereinsbericht 1908, S. 3, VRA/F. Berliner Kreis des ›Schwarzen Ferkels‹ engsten Kontakt zu Strindberg und Munch gepflegt. Ein be- sonderes Zeugnis der hohen Wertschätzung Schlittgens und Beleg seiner imposanten Erscheinung ist Munchs Monumentalporträt, das auch unter dem Titel Der Deutsche bekannt ist. Es entstand im Jahr 1904 im Hotel Elephant in Weimar, wo Munch für längere Zeit wohnte und arbeitete (ABB. 021). Schlittgen reiste mit seiner Frau und seinem Sohn, einem angehenden Bildhauer, nach Florenz. Er spazierte mit Hund und Melone im Villengarten und wurde bald allgemein »il Direttore« genannt. Das von ihm erhoffte ›Verbindende‹ jedoch stellte sich nicht ein.24 Im Jahr 1906 überschritt der 21jährige Max Beckmann in mehrfacher Hinsicht die Schwelle zu seiner großen Künstlerkarriere.25 In der Weimarer Ausstellung zeigte er sein erstes großformatiges Figurenbild Junge Männer am Meer (KAT. 024). Die Resonanz darauf spiegelt sich in der treffenden Notiz Harry Graf Kesslers am Tag der Eröffnung: »Das Interessanteste in der Ausstellung das Bild eines ganz jungen Künstlers, der zum ersten Mal ausstellt: Max Beckmann, Nackte Jungen am Strande, Sigorellisch und mit Qualitäten von Courbet und Cézanne, aber von starker Eigenart im Rhythmus der Akzente und in der Tonalität, die eine bewundernswerte Einheit hat. Mich Beckmann vorgestellt und ihm gratuliert.«26 Schon zwei Tage später war Kessler in Beckmanns Atelier in Berlin und hielt fest: »Ich fragte ihn, ob er gern nach Florenz gienge. Er sagte, grade das brauche er.«27 Die Verteilung der Preise am 11. Juni hatte Resonanz in ganz Deutschland. In einem überschwenglichen Brief richtete Beckmann seinen Dank an Kessler, und seine Freude wird noch deutlicher in der Erinnerung Minna Tubes: »Max fuhr nach Leipzig, um sich bei Klinger und Dr. Friedrich, den Stiftern des Villa Romana- Preises, zu bedanken. Als ich ihn auf dem Anhalter Bahnhof abholte, war so etwas Strahlendes an ihm, daß ich auf dem düstern Bahnhof vielleicht den sonnigsten Augenblick meines Lebens hatte.«28 Die Quellenlage über Max Beckmanns Aufenthalt in der Villa Romana ist leider relativ schlecht, vor allem, da seine Tagebücher aus dieser Zeit nicht erhalten sind. Ein einziger Brief von seinem Aufenthalt in Florenz ist bekannt. Er kündet knapp von der Ankunft, Anfang November 1906: »[…] Die Qual der Reise und der Einquartierung war groß. Florenz ist wunderschön und die Villa Romana ist es ebenfalls. Von Bildern habe ich noch nichts gesehen habe auch kein großes Verlangen danach. […]«29 Der einzige Bericht über den Aufenthalt sind die erst aus größerem Abstand verfaßten Erinnerungen von Minna Beckmann-Tube, die unmittelbar nach der Heirat und einem gemeinsamen Parisaufenthalt mit Beckmann nach Florenz gefahren war.30 Der auf ein Jahr geplante Aufenthalt sollte auch bei Beckmann sehr viel kürzer ausfallen. Das hing sicher zum Teil mit dem sich rasch ausweitenden Erfolg des Künstlers zusammen. Bereits im Januar 1907 hatten sich für ihn die Türen »zum Cassirerschen Paradies« geöffnet. In der legendären Berliner Galerie fand in Kombination mit dem Bildhauer Georges Minne eine Aus- stellung statt, zu der die Beckmanns kurzzeitig aus Florenz zurückkehrten, »auch, um Max’ Beziehun- gen wieder ein bißchen aufzufrischen.« Erneut war die Resonanz beachtlich. Man titulierte den Jungstar »den brutalsten, durchgängerischsten, unter den jüngeren Adepten des Deutschen Künstlerbundes« und Karl Scheffler attestierte ihm gar »Kraftgenialisches« und merkte an: »Seine Rohheiten können so gut die der Flegeljahre sein wie die eines jungen Helden.«31 Auf der Rückfahrt nach Florenz machte Beck- mann noch Station bei Max Klinger in Leipzig. Sein Bericht muß positiv ausgefallen sein, denn Klinger stellte als Fazit des Besuchs anschließend freudig über die Villa fest: »wir sind auf dem ganz richtigen Weg und die Sache ist gut.«32 Obwohl Minna notierte, »Florenz ist eine wundervolle Stadt, aber eine Rose mit vielen Dornen«, war Max Beckmann ausgesprochen fleißig in der kurzen Villen-Zeit von nicht ganz sechs Monaten. Seine handschriftliche Bilderliste vermerkt unter den Rubriken »Herbst und Winter Florenz 1906« sowie »Winter und Frühlingsanfang Florenz 1907« jeweils drei Bilder.33 Erstaunlicherweise listet er sein bei weitem berühmtestes Bild aus der Villa Romana, das Selbstporträt (KAT. 026), nicht auf. Sieht man heute darin den Inbegriff des jugendlichen Selbstverständnisses des Künstlers, ist beachtlich, daß das Bild fast ein halbes Jahrhundert öffentlich gar nicht bekannt war.34 Beachtlich ist aber vor allem eine besondere Kuriosität der Darstellung, die bislang nie bemerkt wurde. Beckmann benutzte bei der Herstellung einen Spiegel, ein Hilfsmittel, das bis zur Erfindung der Photographie beim Erarbeiten eines Selbstporträts zwingend notwendig war. Das Kuriose daran ist, daß er ihn vorwiegend gerade dort verwendete, wo er ihn gar nicht brauchte, nämlich beim Hintergrund des Bildes. Obwohl er die topographische Situation bis ins Detail entzifferbar wiedergibt, macht er sie durch die Spiegelung eigentlich unlesbar. Zudem hat er den Ausschnitt so gewählt, daß man zwar den Campanile von Santo Spirito und die Kuppel der Mediceer-Gräber sieht, aber gerade nicht die alles überragende prägnante Edvard Munch, Der Deutsche (Porträt Hermann Schlittgen), 1904, Öl/Lwd., Munch-Museum Oslo ABB. 021 Domkuppel. Auch der malerische Hügel von Fiesole taucht dadurch nicht im Hintergrund auf, wie in der Literatur allgemein behauptet, sondern nur der große Schwung des nach Westen aufsteigenden, kargen und nichtssagenden Monte Morello. Das Bild zeigt den selbstbewußten jungen Beckmann vor der reduzierten Kulisse eines jeden Spektakels beraubten Florenz’, das er, wie sich selbst, nur durch den Spiegel betrachtete. Die Darstellung seines Gesichts kehrte Beckmann übrigens ins Seitenrichtige. Hilfreich dürften ihm dabei die vermutlich kurz zuvor bei den berühmten Fratelli Alinari angefertigten Photographien gewesen sein; sie zeigen ihn im selben Anzug wie auf dem Gemälde (ABB. 022). Selbst wenn überliefert ist, daß Beckmann später »kaum etwas« über seinen Florenzaufenthalt berichtete, gibt es doch ein schönes Zeugnis von ihm selbst, aus dem ersichtlich ist, daß diese Etappe durchaus größe- ren Stellenwert in seinen – wie er selber sagt – »Lehrjahren« hatte.35 In seiner amüsanten Zehn-PunkteAutobiographie von 1924, die mit dem Satz beginnt, »Beckmann ist ein nicht sehr sympathischer Mensch«, stellte er fest: »Beckmann hat in Weimar, Florenz, Paris und Berlin seine Erziehung zum europäischen Bürger in Angriff genommen.«36 Anfang des Jahres 1907 war man durch die endgültige Absage van de Veldes, die verspätete Ankunft von Dora Hitz und möglicherweise auch durch die bereits angekündigte frühere Abreise der Beckmanns zum Handeln gezwungen. Man entschloß sich, anläßlich der 1. Graphischen Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes in Leipzig im Februar einen weiteren Preis zu vergeben. Die Wahl fiel auf Käthe Kollwitz.37 Begeistert schrieb sie am 14. Februar 1907 an ihren Förderer Max Lehrs: »Ich freu mich ganz toll auf Florenz. Bewerben darum tat ich mich nicht, weil ich glaubte, es wäre damit ein volles Jahr Leben in Florenz verbunden und das wäre mir unmöglich gewesen. Bis ich durch Leisti- kow teleph. hörte, ich könne mich dort aufhalten so lange es mir paßte.«38 Sie muß etwa Anfang April 1907 in der Villa eingetroffen sein.39 Nach sechs Wochen berichtete sie an ihre Schwester Lise: »An Arbeiten ist hier gar nicht zu denken. Ich will noch möglichst viel ansehn und dann nach Haus kommen ABB. 022 und arbeiten, aber ordentlich dann.« Die Wirkung von Florenz war für sie »immer duster« und die der Max Beckmann, Florenz 1906 Architektur »unliebenswürdig«. Von Donatello und Masaccio war sie begeistert, aber sie haderte mit Botticelli: »der Verzückungsausdruck erinnert direkt an die Heilsarmee mitunter.«40 Der Zufall führte Käthe Kollwitz – die große Kämpferin für die Rechte der Frauen – in der Villa mit der elf Jahre älteren Dora Hitz zusammen, die sie bereits aus Berlin kannte und die selbst der Inbegriff einer emanzipierten und selbständigen Künstlerin war. Die beiden haben sich zu Anfang offenbar sehr gut verstanden. Man plante sogar gemeinsam das wagemutige Unternehmen, zu Fuß von Florenz nach Rom zu pilgern, was sich jedoch zerschlug. Dies lag zum einen wohl an Käthe Kollwitz, die klagte, Dora Hitz würde in Florenz mit in »mehrzahl Berlin-W Leute[n]« verkehren, die ihr nicht lägen.41 Zum anderen tauchte plötzlich eine schillernde, zwanzigjährige Person auf, die Käthe Kollwitz in ihren Bann zog. Sie hieß Constance Harding, genannt Stan, war Engländerin und verheiratet mit einem schwäbischen Arzt namens Krayl. Die Italiener nannten sie »la bocca nera«, sie trug eine Pagenkopf- Frisur und bisweilen einen Revolver mit zugehörigem Waffenschein. Die Kollwitz »weidete sich in der Vorstellung an dem Anblick dieses verwegenen, unabhängigen jungen Menschenkindes«, und sie brachte die neue Bekanntschaft mit zu ihrer alten Freundin Emma Jeep, die sich als Schriftstellerin Beate Bonus nannte und mit ihrem Mann, dem alternativen Ex-Pfarrer und ›Mythenforscher‹ Arthur Bonus in Fiesole lebte. Amüsanterweise begegnete zwei Jahre später auch Ernst Barlach in den Künstlerkreisen des Café Reininghaus in Florenz der in dieser Zeit so exotisch anmutenden Stan und notierte darüber: »Läuft zu Fuß mit ihrem Köter und Revolver allein durch ganze Länder (sagt sie) und ist eben sozu- sagen ein halber Mann, was ja nicht viel sagen will.«42 Der abenteuerliche Marsch der merkwürdigen Freundinnen kam Mitte Juni 1907 tatsächlich zustande. Es dürfte Käthe Kollwitz’ prägendstes Erlebnis des Italienaufenthaltes gewesen sein.43 1907/08: Martin Brandenburg, Georg Burmester und Fritz Mackensen Nach der Auszeichnung von Käthe Kollwitz Anfang 1907 entstand im gerade erst handlungsfähig gewordenen Villa Romana-Verein (Gründung am 16. Dezember 1906) eine erste Verlegenheit. Die ursprünglich geplante weitere Ausstellung des Künstlerbundes noch im selben Jahr kam nicht zustande. Man entschloß sich daraufhin, Vorschläge von Künstlerbundmitgliedern einzuholen und die Preisverteilung für das folgende Jahr innerhalb des Vereinsvorstandes selbst zu bestimmen.44 Der Preisträger von 1905, Ulrich Hübner, der in Berlin über viele Verbindungen verfügte, schlug mit Erfolg den Maler Martin Brandenburg in seinem Atelier in der Villa Romana, 1907 ABB. 023 Martin Brandenburg vor.45 »Der Berliner Poet des Bizarren, Dämonischen und Geheimnisvollen«, wie 48 Kat. Georg Burmester und die Schles- Karl Scheffler ihn 1909 charakterisierte, war eine stille Größe in Berlin. 1897, im selben Jahr wie Dora wig-Holsteinische Kunstgenossenschaft: Seine Malerei ist von einer singulären, mystisch-symbolistischen Figuration bestimmt. Außer einer beitet v. Sabine Behrens u. Bärbel Manitz, Hitz, war er zur Gruppe der XI gestoßen, und im Jahr darauf wurde er Mitbegründer der Secession. Photographie ist über seinen Aufenthalt in Florenz nichts bekannt (ABB. 023). Hübner brachte übrigens noch einen zweiten Mann für die Villa ins Spiel – Lovis Corinth. Klinger sah das als möglichen Gewinn für »das Prestige der VR« und plädierte »für ein Mehr-Opfer des Vereins […] wenn noethig«. Der vielbeschäftigte Maler sagte jedoch höflich dankend ab: »Mein Zustand in Berlin ist nicht derartig, daß ich von heute zu morgen meine Zelte abbrechen kann.« 46 Der zweite vom Vorstand erbetene Vorschlag führte dann erstmals zu einer Berücksichtigung der Norddeutschen. Mit der Betonung, nun auch Anregungen und Kandidaten aus anderen deutschen »Kunstzentren«47 zu berücksichtigen, hatte man damit – wenn auch nur vorübergehend – das leidige Problem des Nord-Süd-Konfliktes in der Villa ausgeschlossen. Hans Olde, der Direktor der Weimarer Kunstschule, schlug den jungen, noch weitgehend unbekannten Holsteiner Maler Georg Burmester vor.48 Außerdem brachte er einen der namhaften Vertreter der Worpsweder-Künstlergemeinschaft ins Spiel, den bereits etablierten Maler Fritz Mackensen.49 Ging es zu Anfang um ein Entweder-Oder, schrieb Klinger am 19. September 1907 an Olde: »Wenn die Herren Ihnen ›ja‹ sagen ist die Sache complett und ich würde mich sehr freuen und Ihnen sehr danken.«50 Georg Burmester fuhr Anfang November 1907 mit seiner Frau Anna und seinen beiden Kindern nach Florenz. Fritz Mackensen war gemeinsam mit seiner Frau Herta im Sommer 1908 in 51 der Villa. In seinem Werk, mit dem er später selbst nicht genug die Verbundenheit mit dem Nordischen betonen konnte, lassen sich keine Spuren des Aufenthaltes im Süden nachweisen. In Florenz ereilte ihn der Ruf von eben jenem Olde, der ihm schon den Preis verschafft hatte, zu einer Professur an die Kunstschule. »Nehme endgültig an«, telegraphierte er am 18. Juni 1908 aus Florenz nach Weimar und brach bald darauf seinen Aufenthalt ab.52 Eine für die Situation in Klingers Künstlerhaus in jener Zeit signifikante Episode stellt das kurzzeitige Exil des exzentrischen Bildhauers und Malers Sascha Schneider in der Villa dar.53 Kurz bevor man Mackensen nach Weimar berief, hatte Schneider die Stadt unter Aufgabe seines Lehramtes fluchtartig verlassen. Der kleinwüchsige Künstler betrieb in seiner Kunst einen geradezu manischen Kult um die Schönheit des Körpers. Er pflegte höchst eigensinnige Ansichten, und als er es wagte, anläßlich eines Essens bei Kessler eine kleine Terrakotta Maillols als »plump und unfähig« zu bezeich- nen, notierte Kessler in sein Tagebuch: »Er ist in Geist und Manieren die vollkommenste Verkörperung dessen, was der Franzose ›une brute‹ nennt«.54 Klinger hatte Schneider seit Mitte der 1890er Jahre systematisch gefördert55 und stand seiner Neigung zu schönen Knaben stets tolerant gegenüber. Im Frühsommer 1908 entbrannte aufgrund eben jener Neigung in Weimar ein Verleumdungsskandal,56 worauf Schneider aus Angst vor Strafverfolgung nach Italien flüchtete. Klinger gewährte Schneider sofort Schleswig-Holstein Bildumschlungen, bear- Ausst. Künstlermuseum Heikendorf – Kieler Förde 2005, Kiel 2005, mit der Abbildung des Bildes Im Garten der Villa Romana, S. 30 (Kat. 6). 49 Zu Mackensen vgl.: Hamm, Ulrike/Küs- ter, Bernd: Fritz Mackensen. Mit einem Verzeichnis der Gemälde von Ulrike Hamm, Worpswede 1990, dort S. 111 wenige, teilw. unkorrekte Hinweise zur Villa Romana. 50 Klinger an Olde vom 19.9.1907, Schles- wig-Holsteinisches Landesmuseum, Schloß Gottdorf, Schleswig, Nachl. Olde. 51 Zeugnis seines Aufenthaltes ist u.a. ein überschwenglicher Dankesbrief an Klinger vom 2.1.1908, SA/N, Nachl. Klinger. 52 ThHStA/W, Kunstschule 185. Mackensen trat im Oktober seine Professur in Weimar an. 53 Vgl. zu Schneider die Dissertation: Range 1999. 54 Tagebuch Kessler, Bd. 3, 7.7.1905, S. 789. 55 Zur Vermittlung von Stipendien an Schneider vgl. Klinger an Marie Meyer vom 12.11.1894, BSH/M, Cqm 8038, Nr. 8. 56 Range 1999, beschreibt S. 109–112 die Hintergründe des Skandals. 57 Schneider an Olde, August 1908 (wie Anm. 50). 58 »Das Haus des Teufels«, Schneider an Klinger, 15.9.1909, SA/N, Nachl. Klinger, Nr. 329. 59 Die Zusammenhänge und Zitate aus: Schneider an Klinger vom 22.9.1908, SA/N, Nachl. Klinger, Nr. 330. Zuflucht in der Villa Romana. Im August schrieb dieser an seinen zweiten Freund und Förderer Olde: »Endlich, wie Odysseus, im buon rifugio angelangt, sage ich Ihnen herzlich Dank für Ihr Eintreten bei Klinger. Ich geniesse nun dies palastartige Haus ohne all Verdienst und Würdigkeit.«57 Es sollte aber nicht viel Zeit vergehen, bis der selbstbesessene Schneider seinem Gönner Klinger überwiegend Schwierigkeiten bereitete. Zunächst wollte er sich »nicht dem lächerlichen Regolamento des Hauses unterwerfen«. Dann berichtete er, daß die Villa aufgrund interner Querelen nur noch »la casa del diavolo« genannt werde.58 Als Klinger ihm zum weiteren Verbleib in der Villa das Atelier Villetta anbot, lehnte Schnei- der das ab – die Räume seien ihm »zu klein«. Zugleich eröffnete er Klinger den utopischen, aber de- tailliert überlegten Plan, »im Campo ein brauchbares Atelier auf mein conto« zu bauen, um darin selbst wohnen und arbeiten zu können. Einen willigen Mäzen versprach er auch zu organisieren. Im gleichen Zuge machte er den durchaus zweckmäßigen Vorschlag, im ganzen Haus die »elende Petroliumbe- leuchtung« durch elektrisches Licht zu ersetzen.59 Klinger, der bekanntlich Utopien nie abgeneigt war, zögerte in diesem Fall. Als Schneider dann im Herbst schließlich in einer nun wirklich in seinem Sinne geräumigen Renaissance-Villa in Florenz gelandet war, dürfte Klinger aufgeatmet haben. Das betraf aber nicht die ungeordneten Verhältnisse in der Villa, über die Schneider geklagt hatte. Diese spitzten sich derart zu, daß Klinger und Hirzel im April 1909 Paul Hartwig aus Rom zu einem Kontrollgang in die Villa schickten. Der Auftrag war eindeutig: »Jeder in der Villa soll bei Ihnen zur Beichte gehen, und dann – Himmel oder Fegefeuer!« Trotz der Bemühungen setzten die Querelen Wilhelm Groß, Porträt Minna Tube, 1908, Terrakotta, Standort unbekannt ABB. 024 sich fort. Ernst Barlach klagte z.B. noch im April 1909: »Es ist schon fast so weit, daß es zu Thaten 60 kommt – nämlich zu Prügeln. Da wird man, ›um einige Zeit in Ruhe zu arbeiten‹ – in einen Hexenkessel von Unfrieden gesteckt!«60 Barlach an Piper vom 12.4.1909, in: Barlach 1997. Aus keiner der vielen Quellen wird wirklich deutlich, worum es sich im Detail handelte. Im Zentrum der Querelen schien stets die Leiterin des Hauses, Marie Ehrenberg, zu stehen. 1908/09: Heinrich Tscharmann, Richard Dreher, Wilhelm Groß und Ernst Barlach 61 Vgl. zuletzt über Dreher: Kat. Richard Dreher 1875–1932, Ausst. Galerie Neue Das Jahr 1908 erbrachte erneut eine Entscheidungsfindung für den Villa Romana-Preis, die nicht den Meister im Albertinum, Dresden/Galerie lung kam nicht zustande, das heißt, es kam nur zu einer Beteiligung im Rahmen der jährlichen Großen nitz 2002, Dresden/Pulsnitz 2002 sowie angestrebten Regelmäßigkeiten entsprach. Die ursprünglich in Dresden geplante Künstlerbund-AusstelKunstausstellung in Dresden (Mai bis Oktober 1908). Vermutlich wurde aus politischen Gründen die breite Teilnahme der Mitglieder des Deutschen Künstlerbundes an der Ausstellung auch nicht öffentlich deklariert. Dennoch kam es am 18. April zu einer Villa Romana-Jurierung in Dresden. Es wurden le- im Geburtshaus Ernst Rietschels in Pul- Gedächtnisworte für Richard Dreher gesprochen v. Ludwig von Hofmann am 19.4.1933 im Sächsischen Kunstverein anläßlich der Eröffnung der Richard-Dreher-Gedächtnis- diglich zwei Preise vergeben, den dritten – man hatte sich inzwischen auf die Vergabe von drei Preisen ausstellung, 1933. Dresdner Maler Richard Dreher erzielt.61 Dessen farbintensive, stark an van Gogh orientierte Arbeiten Willy: Wilhelm Groß, in: Westermanns pro Jahr geeinigt – hielt man zurück. Einigung wurde über den am Beginn seines Erfolges stehenden beeindruckten die Jury ebenso wie die Legende, er sei reiner Autodidakt. Man vergab den Preis außer- dem an den 25jährigen Bildhauer Wilhelm Groß, einen Tuaillon-Schüler, der seit kurzem systematisch von dem Villa Romana-Förderer Eduard Arnhold unterstützt wurde.62 Groß war übrigens ein enger 62 Zum Frühwerk von Groß vgl.: Ganske, Monatshefte, Bd. 126, H. 755, S. 457–465. Zum weiteren Werk: Hanisch, Günter/Kallensee, Kurt: Die zu Gott rufen. Weg und Werk des Bildhauers Freund Max und Minna Beckmanns. Von ihr hat er 1908 ein Terrakotta-Porträt geschaffen, das er im Wilhelm Groß, Berlin 1962. ist eng verknüpft mit der bedeutendsten Stiftung, die die Villa Romana erhalten hat. Die Dresdener Brief Klingers an die Mäzenin Marie Meyer selben Jahr in der Berliner Secession zeigte (ABB. 024). Die Vergabe des zurückgestellten dritten Preises Architektenwitwe Pauline Weichardt hatte kurz zuvor 100000 Mark zum Andenken ihres Mannes Carl gestiftet. Dabei hatte man offenbar eine alte Idee Klingers wieder aufgegriffen, der sich schon bei der 63 Die Absicht geht u.a. hervor aus einem vom 9.4.1905: »[…] wir hoffen später auch Musikern, Architekten und Kunstgelehrten mitgeniessen lassen zu können.« BSH/M, Gründung der Villa auch Architekten als Preisträger gewünscht hatte.63 Um dem Wunsch der Stifte- Cqm 8038, Nr. 31. rin nachzukommen, waren Zeitpunkt und Ort bestens geeignet. Im August 1908 wurde in einer Jury 64 unter dem Vorsitz des Stadtplaners Fritz Schumacher der Dresdner Architekt Heinrich Tscharmann als dritter Preisträger dieses Jahres gewählt.64 Die Sache war aber offenbar nicht gut abgesprochen, denn Tscharmann konnte oder wollte sich Florenz nur für drei Monate gönnen. Dieser Zufall führte dazu, daß Klinger im November 1908 über ein freies Atelier in der Villa verfügte, als er einen Brief von Lieber- mann erhielt: »ich komme heut mit dem Klingelbeutel […]. Es handelt sich um den Bildhauer Barlach, Die Entscheidung geht hervor aus: Klinger an Hirzel vom 11.8.1908, VRA/F. Tscharmann war durch seine Kompendien zur zeitgenössischen Architektur bekannt, die er mit Erich Haenel gemeinsam herausgab: Das Einzelwohnhaus, Das Kleinwohnhaus, Das Mietwohnhaus, etc., alle Leipzig den wir Alle für ein besonderes Talent halten und für dessen Entwicklung ein Aufenthalt in Florenz 1913, jew. mit dem Untertitel: der Neuzeit. zur Pflicht.« Liebermann drängte auf »schleunige, hoffentlich zusagende Antwort«.65 Klinger zögerte SA/N, Nachl. Klinger, Nr. 252. riesig vortheilhaft wäre. Die eigenthümlichen Verhältnisse Barlach’s machen schnelles Eingreifen uns nicht lange, die Finanzierung wurde über Paul Cassirer geregelt, und Barlach bekam die Zusage für das Atelier Villetta.66 Er sollte einer der produktivsten Bewohner werden, die die Villa je gesehen hat, und er blieb mit neun Monaten länger als manch ein Preisträger. Wegen des merkwürdigen Umstandes aber, 65 66 Liebermann an Klinger vom 9.11.1908, »Indessen habe ich Hilfe an einem Berli- ner Kunsthändler, dem ich meine Arbeiten gegen ein festes Jahresgehalt übergeben muß.« Barlach an Gustav Moeller vom der ihm zum Aufenthalt im Künstlerhaus verholfen hatte, wurde er nie unter den Preisträgern der Villa 18.2.1909, in: Barlach 1968, S. 305. lich dokumentiert in: Kat. Barlach, Güstrow geführt. Ernst Barlach kam am 7. oder 8. Februar 1909 nach Florenz.67 Nach drei Monaten hatte er 67 Der Villa Romana-Aufenthalt ist ausführ- 1995. sich akklimatisiert und vor allem die Vorzüge begriffen, die ein längerer Aufenthalt in Vertrautheit 68 mit der Stadt bieten konnte: »Florenz ist ein Kosmos, Erbarmen über alle, die im Schweiße ihres Barlach an Charitas Lindemann, Florenz, vom 21.4.1909, in: Barlach 1968, S. 312. Angesichts mit dem Baedeker herumlaufen und alles sehen müssen. Wir Glücklichen, unserer Arbeit 69 Barlach an Piper vom 17.5.1909, in: entronnen, schlendern gelassen durch die Straßen, Kirchen und Museen und schöpfen den Rahm ab.« Barlach 1997, S. 69. Lucca bemerkte er im Mai: »Ich weiß immer nicht, geht der Mensch durch die Welt oder geht die Welt sches Café mit deutschen Zeitungen, von 68 Die Intensität seines Schauens sollte sich noch steigern, und anläßlich eines Besuchs in Pistoia und durch den Menschen. Ich muß entsetzlich große Augen machen, um diese Malerei und Architektur zu betrachten.«69 70 »Indessen gibt es in Florenz ein deut- denen auch ein gut Teil im Hause selbst aufliegt. Da gibt es Gelegenheit, Bekanntschaften zu machen, immer trifft man Bummler, Schon bald nach seiner Ankunft lernte Barlach das berühmte Café Reininghaus kennen, be- kannter unter seinem heutigen Namen Giubbe Rosse, das Generationen von Künstlern und Schriftstel- lern beherbergte. In dieser nur in Italien üblichen Kombination von Café- und Bierhaus entstand bald 70 auch jene Bekanntschaft, die für Barlach in Florenz die wichtigste und prägendste war. In seinen spä- teren Erinnerungen schildert er das mit kraftvollen Worten: »Eines schönen Tages lag die majestätische, vielpfündige Inkarnation des Däublerschen Sterngeistes hinter den schmierigen Marmortischen des Café Reininghaus, lag da wie ein ausladendes Inkognito eines exotischen Machthabers breit im halb- mehr Literaten als Künstler.« Barlach an Georg Lindemann vom 23.2.1909, in: Barlach 1968, S. 306. dunkeln Hinterhalt, im Versteck vor Hetze und Qual des Daseins, ein Alleswisser und Nichtsbesitzer, in seiner Höhle voll trauriger Behaglichkeit des Lebens ohne Lebensnotdurft froh.« Dieser vollbärtige und wortgewaltige Koloß, ein Vielverschlinger und heftiger Zecher wurde während der gesamten Zeit zum häufigen Begleiter Barlachs (KAT. 038).71 In der Villa Romana pflegte Barlach mit Richard Dreher und dessen Familie freundschaft- lichen Umgang. Dreher war mit seiner Frau Selma und seinen beiden kleinen Kindern nach Florenz gekommen (ABB. 025). Barlach hingegen hatte seinen Sohn Nicolaus, um dessen Sorgerecht er kurz zuvor lange und bitter gestritten hatte, bei seiner Mutter in Güstrow zurückgelassen. Zu den Dreher-Kindern entwickelte Barlach ein besonders liebevolles Verhältnis, das sicher auch von der latenten Sehnsucht nach dem eigenen Sohn geprägt war. Ende März kam es in der Villa zu einer nicht unbedeutenden 72 Begegnung. Richard Dreher erhielt Besuch des vermögenden Sammlerehepaares Erwin und Ida Bienert Richard Dreher mit seinem Sohn Edde vor der Villa Romana, Frühjahr 1909, im Hintergrund Ernst Barlach ABB. 025 aus Dresden. Erwin Bienert war Mühlenbesitzer, und es war vorwiegend seine Frau, die ab etwa 1905 eine Kunstsammlung aufbaute, die zu den bedeutendsten gehörte, die in Deutschland je entstanden.73 Einer ihrer wichtigsten Berater wurde wenig später Theodor Däubler, den sie über Barlach und Dreher in der Villa Romana kennenlernte.74 71 Vgl. zur Freundschaft Barlach/Däubler allg. die Dokumentation: Kat. Ernst Barlach, Theodor Däubler. Die Welt versöhnt und Ernst Barlach war, wie bereits erwähnt, in Florenz außerordentlich produktiv. Allein der übertönt den Geist, hrsg. v. Volker Probst u. Güstrower Nachlaß bewahrt 64 Zeichnungen und sechs Skizzenbücher, die von seinem neunmona- Helga Thieme, Ausst. Ernst Barlach Stiftung eine Terrakotta-Skulptur. Außerdem arbeitete Barlach während seines Aufenthaltes an einem größeren gen wir zusammen durchs toskanische Land tigen Villa Romana-Aufenthalt stammen. Es entstanden vier größere Holzplastiken und mindestens Dramenprojekt.75 Knapp drei Wochen nach seiner Ankunft hatte er »plastische u. zeichnerische Arbeiten begonnen«, und »ein solider Holzblock steht bereit, der so schwer [ist], daß ich Bedenken trage ihn in mein im ersten Stock liegendes Atelier zu bringen.« Nach einem Monat berichtete Barlach, daß er die 76 Güstrow, 2001, Güstrow 2001. »Öfter zo- und ›arbeiteten‹, wie Däubler das nannte, uns durch die Städte und ihre Offenbarungen.« (Vgl. Barlach 1928; am 27. Februar erwähnte Barlach Däubler erstmals in Arbeit »ziemlich in seiner Form« habe, und weitere vierzehn Tage später schickte er an Reinhard Piper einem Brief.) In seinem aus der Rückschau lehnt u vermutlich schon beim zehnten Krug ist.«77 Es ist die wohl bedeutendste Arbeit seines Aufent- auch eine Szene in der Villa Romana: »Wir eine vor der Villa aufgenommene Photographie (ABB. 026): »Soll ein Zecher sein, der selig hintüber- haltes. Sie ist von starker Expressivität ebenso gekennzeichnet wie von einer großartigen Vereinfachung der Form. Die bärtige und leibesvolle Erscheinung der Figur läßt eindeutig an Barlachs neuen Freund Theodor Däubler denken – gemeinsame Gelage im Café Reininghaus mögen weitere Anregung gege- entstandenen ›Diario Däubler‹ findet sich marschieren von Florenz bei Mondschein ab, irgendwo wird Marsaillaise gesungen, da schwenkt er begeistert den Hut; wir steigen zu Berg im blanken Schimmer, […] wir kom- ben haben. men an die Villa Romana und stehn noch Florenz, nach Forte dei Marmi. Richard Dreher kam mit seiner Familie hinzu, und Theodor Däubler und schmausen Trauben.« (Zit. nach einer Um den 17. Mai 1909 fuhr Barlach in die traditionelle Sommerfrische der Deutschen in vervollständigte den Florentiner Kreis, der sich nun mehrere Wochen vorwiegend am Strand aufhielt.78 Dreher begann eine große Serie an Meeresbildern, die er später in Fiascherino noch fortsetzte. Barlach zog mit Däubler den schnurgeraden Strand entlang und machte Zeichnungen des Ruhenden Däubler die später Basis seiner gleichnamigen Skulptur wurden (KAT. 036, 037). lange im Mondschein spät Nachts im Campo Neutranskription des Ms., in: Kat. Barlach, Güstrow 1995, S. 30). 72 Erinnerungen der Tochter Marianne Dreher. Typoskript im Archiv des Autors, Original in Privatbesitz, München. Bereits ab Mitte September wird aus Barlachs Briefen deutlich, daß er sich zunehmend mit dem Scheiden aus Italien auseinandersetzte: »mehr als je beschließe ich bei mir den Zusammenhang mit dem Norden«, bemerkte er, schränkte aber gleich ein: »Nun, das sind so Reaktionen gegen die italienische Bummelei, man wird schon sein Teil Dankbarkeit spüren, denn es hat einem doch sehr viel gegeben.«79 Dieses Spiel der Abnabelung setzte sich fort. Barlach bot Gründe auf, die gegen seine still entwickelte Neigung zu Italien sprachen, und gestand sich doch immer wieder ein, wie wohl er sich dort fühle: »Daß man ins ›Freie‹ kommt, giebts kaum, überall Mauern u Kulturen, immer Häuser u Kultur – Wälder schlägt man sich überhaupt aus dem Bewußtsein u. – damit basta. Aber daß ich die Fresken u Bauten nicht wieder sehen soll, will mich doch bedenklich machen.«80 Wie wegweisend der Abschied dann letztlich für ihn war, hat er aus der Rückschau eindrücklich formuliert: »– aber an einem düsteren Dezembermorgen desselben Jahres stand ich seltsam ernüchtert wieder auf dem Potsdamer Platz. Es fröstelte mich vor der Unliebsamkeit von Ort und Stunde, aber ich spürte in ihrem Anhauch eine Aufforderung und Verheißung.«81 Barlach kehrte nie mehr nach Italien zurück. 1909/10: Paul Baum, Willi Geiger und Adolf Schinnerer Im Mai 1909 fand die 2. Graphische Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes in der Avantgarde- Galerie Arnold von Ludwig Gutbier in Dresden statt. Am 21. und 22. März wurde dort für die Villa Romana aus mehr als 70 Einsendungen juriert, und es wurden erstmals wieder alle drei Preise gleichzeitig Ernst Barlach, Der Zecher, Florenz 1909, Nußbaum, Höhe 56 cm, Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum, Duisburg ABB. 026 73 Von Renoir und Cézanne tastete sie sich dort zu Gast. 90 zu Kandinsky, Klee und Lissitzky vor und erwarb tington, die Frau Graf Harrachs, Helene, geb. 104 jeweils ganze Werkgruppen. Vgl. zur Sammlung Gräfin Arco-Zinneberg, Gräfin Robiland-Moce- ner Annonce für seine Malschule in Berlin (»von Bienert zuletzt: Herbstreuth, Peter: Dresden nigo, Marchesa Elisa de Nobili. Vgl.: Schreyl, März ab in Florenz«), abgedruckt im Kat. der privat. Die Kunst des Sammelns, Dresden 2002, Karl Heinz: Willi Geiger. Exlibris, hrsg. v. d. Winterausstellung der Berliner Secession 1911. S. 12–21. Stadtgeschichtlichen Museen Nürnberg 1979, 105 Nr. 129–152. Kalckreuth den Hintergrund: »wir vom Vorstand 74 Im Kreis aller Künstler der Villa wurde mit Man findet u.a.: den Sammler Lord Hun- Rhein vgl. auch Kat. Herrmann, Berlin 1989, S. langsam zu van Gogh, Gauguin, Picasso, später Die späte Ankunft Rheins geht hervor aus ei- In einem Brief erklärte Klinger seinem Freund den Bienerts im Garten gefeiert, und es wurden 91 Wanderungen in die Umgebung bis auf den München, August 1910, Selbstverlag des Atelier einrichten. Es ist uns schon von Seiten Monte Morello unternommen, wovon sich viele Künstlers. Arnholds, Fräulein Königs, von anderen Herren Photos aus der Bienertschen Kamera erhalten 92 üaben: Nachlaß Barlach, Ratzeburg; Teilnachl. vom 18.4.1910, VRA/F. Zu Meid vgl. die große Und ich selbst weiß, erst nach dem ersten Jahre Dreher, München. Weiterer Kontakt der Bienerts Monographie: Meid 1987. hat man sich in die neuen Verhältnisse eingelebt zu Barlach ist nicht nachweisbar. Von Dreher 93 erwarben die Bienerts zumindest einen toska- des Deutschen Künstlerbundes, in: Kunst und haben wir damit einmal ostentativ praktisch nischen Zeichnungszyklus (heute Stadtmuseum Künstler, 8, 1910, H. 12, S. 614–617, hier: S. angefangen.« Die Sammler Eduard Arnhold und Dresden). Zeugnis des Engagements Däublers 616. Vgl. an gleicher Stelle auch die Eloge auf Elise Koenigs gehörten zu den maßgeblichen ist sein großer Aufsatz: den Preisträger Otto Höger. Förderern der Villa Romana. Klinger an Kalck- Die Sammlung Bienert, in: Das Kunstblatt, II, 94 1919, S. 161–167. ist die kleine Broschüre: Otto Höger. Gedächt- in: BSH/M, Kalckreuthiana II. nis-Ausstellung, Kunstverein zu Kassel. Mit 106 Nachweise bei Knop 1981, S. 36. einem Text v. Georg Gronau, Kassel 1919. 107 Vgl. zu Brockhusen: Kat. Brockhusen, Re- 75 Vgl. die detaillierte Dokumentation in: Kat. Barlach, Güstrow 1995, S. 53–84. 76 Barlach an Piper vom 27.2.1909, in: Barlach 1997, S. 64. 95 Geiger, Willi: Radierungen Bd. IV, Florenz/ 456–462. Die Wahl geht hervor aus: Klinger an Hirzel Schölermann, Wilhelm: Die Ausstellungen Einzige nennenswerte Publikation zu Höger Zu Albiker vgl. zuletzt den Katalog mit um- möchten sehr gern überhaupt ein zweijähriges und vielen Künstlern dies nahe gelegt worden. und kann anfangen sie zu verwerthen. Und so reuth, Pfingsten 1911, gensburg 1999. fangreicher Dokumentation: Kat. Karl Albiker 108 (1878–1961). Plastik – Zeichnung, bearbeitet von dem engagierten Gerbig-Forscher Wolfgang 1997, S. 67. Barlachs Plan, die Arbeit noch auf v. Sigrid Walter, Ausst. Georgenbau des Dresd- Knop aus Suhl gegenüber dem Autor alle Bitten die Frühjahrsausstellung zu schicken, gelang. ner Schlosses/Neuer Sächsischer Kunstverein um Abbildungs- und Quellenmaterial über Ale- Der Zecher (heute Stiftung Wilhelm Lehmbruck e.V., Dresden 1996, Dresden 1996. xander Gerbig verweigert. Museum, Duisburg) ist dort im Kat. aufgeführt 96 (Katalog der achtzehnten Ausstellung der Berli- 15. Mai 1911 erhielt Karl Albiker Besuch von te Literatur. Zu erwähnen ist aber die ergiebige ner Secession, Berlin 1909). seinem Ettlinger Freund, dem später renom- Quelle: Greve-Lindau, Georg: Erinnerungen mierten Philosophen Leopold Ziegler. Frucht aus meinem Leben. Erinnerungen und Briefe, Florenz mit. Barlach wohnte in der Künstler- dieses Aufenthaltes war eine hymnische Schrift zusammengestellt v. [der Tochter] Eva Hohage, pension Fossi. Der deutsche Kreis in Forte geht auf die Kunst von Florenz, die im Jahr darauf Typoskript 1979. Zit. nach dem_Exemplar im übrigens zurück auf Adolf von Hildebrand und unter dem Titel Florentinische Introduktion, zu VRA/F. Dem Enkel des Künstlers, Florian Müller- die Schriftstellerin Isolde Kurz, die sich dort einer Theorie der Architektur und der bildenden Goldenstedt (Emden), Hüter eines Teilnachlasses als erste Häuser gebaut hatten. Später kamen Kunst in Leipzig erschien. Das Buch trägt die und Ersteller eines Werkkataloges, sind viele zu- die Witwe und der Sohn Arnold Böcklins, der gedruckte Widmung: »Dem Bildhauer Karl Albi- sätzliche Informationen zu verdanken. Beleg für Bildhauer Paul Peterich und der Germanist Carlo ker zur Erinnerung an die Villa Romana-Tage«. die Preisvergabe: Telegramm von Fritz Macken- Fasola hinzu, um nur einige zu nennen, um die Wiederveröffentlicht unter dem gleichen Titel sen aus Chemnitz an die Kunstschule in Weimar sich in Forte ganze Kreise scharten. in der Reihe Bauwelt Fundamente 68, hrsg. v. vom 19.4.1912, ThHStA/W, Kunstschule 250. Ulrich Conrads u. Peter Neitzke, Braunschweig/ 110 Wiesbaden 1989. 1999, S. 21; Brockhusen an Klinger vom 77 78 79 Barlach an Piper vom 12.4.1909, in: Barlach Das teilte er seiner Mutter am 13.5.1909 aus Barlach an Elisabeth Beuthien vom 14.9.1909, in: Barlach 1968, S. 319. 80 Barlach an Piper vom 2.11.1909, in: Barlach 1997, S. 70. 97 Vgl. Meid 1956, S. 27f. Vom 19. April bis Albiker, Carl: Karl Albiker Werkbuch, 109 Vgl. zu Gerbig: Knop 1981. Leider wurden Zu Greve-Lindau existiert keine nennenswer- Angaben in: Kat. Brockhusen, Regensburg 29.1.1912, SA/N, Nachl. Klinger. Karlsruhe 1978, S. 38f. Die für den VR-Preis 111 Vorstehende Zusammenhänge und Zitate 81 Barlach 1928, S. 69. ausschlaggebende Skulptur ist: Erschreckte nach Greve-Lindau 1979 (wie Anm. 109), S. 82 Klinger an Hirzel vom 23.3.1909, VRA/F. Susanne, 1910, ebd., S. 37. 201f. 83 Das zentrale Werk über Baum ist das monu- 98 mentale Werkverzeichnis Hitzeroth 1988. 84 Vgl. zu Geiger allg.: Petzet, Wolfgang: Willi Geiger. Der Maler und Graphiker, München 1960. 85 Zu Schinnerer vgl. zuletzt: Schinnerer, Anna (Hrsg.): Adolf Schinnerer, München 1999. 86 In der Sammlung Burmeister, Florenz, befin- den sich acht Arbeiten aus dieser Zeit. Meid 1956. Der Othello-Zyklus umfaßt neun 112 Ebd., S. 200f., 203. Blätter und wurde von Jaques Caspar in Berlin 113 Dokumentation von Florian Müller-Golden- verlegt; vgl. auch Meid 1987, S. 104, 107. stedt im Archiv des Autors; verschiedene histori- 99 Meid 1956. 100 Die Juryentscheidung geht hervor aus sche Photographien in: VRA/F. 114 Vgl. zu Wächter die umfangreiche Untersu- einem Brief von Theodor Brodersen, dem chung: Grauvogel, Gerd Wilhelm: Theodor von Sekretär des Künstlerbundes, an Karl Caspar Wächter. Christ und Sozialdemokrat. Ein soziales vom 30.4.1911, Archiv Haus-Caspar-Filser, Gewissen in kirchlichen und gesellschaftlichen Konflikten, Stuttgart 1994 (Diss. phil. Saarbrü- 87 Hitzeroth 1988, S. 384f. Brannenburg. 88 Geiger 1996, S. 81. 101 89 Ebd., S. 85, Kolbe und Beckmann gehörten 217–266. Zu Ludwig Cauer vgl. Masa 1989, S. zu Harrachs alten und engen Freunden und 102 Ebd., hier ist auf S. 223 lediglich von einer sie zählten ebenso zu seinen Besuchern, wie »Florenzreise« die Rede. Harry Graf Kessler, Eberhard von Bodenhausen 103 und viele andere in diesen Jahren. Als Geiger Arbeiten aus Florenz ist: Sauvage, Marcel: Fritz Harrach aufsuchte, war gerade Wilhelm Bode Rhein, Kat. Les Écrivans Réunis, Paris 1928. Zu Die einzige Publikation mit einigen Abb. von cken 1993), S. 230–236, 258–260. vergeben.82 Die Preise erhielten der schon seit längerer Zeit von einem breiteren Publikum geschätzte, in Berlin lebende, neoimpressionistische Maler Paul Baum,83 der Münchner Maler und Graphiker Willi Geiger84 und der in Karlsruhe lebende Franke, der Maler und Graphiker Adolf Schinnerer.85 Bei den letzten beiden Künstlern wurde die Wahl offenbar sehr dem Gegenstand der Ausstellung gemäß getroffen, denn beide waren bislang vor allem wegen ihrer graphischen Arbeiten aufgefallen. Schinnerer und Geiger kamen bereits im Oktober 1909 in der Villa an und begegneten noch Barlach. Während sich im Verhältnis Geigers zu Barlach sofort der schon bekannte Nord-Süd-Konflikt entfaltete, befreundeten sich Schinnerer und Barlach, und der geknüpfte Kontakt wurde sporadisch, aber lebenslang gehalten. Schinnerer wurde während seines Jahres zum Bild-Chronisten der näheren Umgebung der Villa und fertigte eine große Zahl charmanter Radierungen.86 Für Paul Baum wurde der Aufenthalt in Florenz zu einer lebensprägenden Offenbarung. Von der Villa Romana selbst zeugen allerdings lediglich zwei Zeichnungen, die den klassischen Blick auf die Stadt thematisieren (KAT. 044, 045). Seine eigentliche Entdeckung machte Baum aber bei seinen Motiv-Wanderschaften in der südlichen Umge- bung von Florenz. Die kleine mittelalterliche Stadt San Gimignano wurde der Ort, der ihn sein Leben lang nicht mehr losließ. Bis zum Ausbruch des Krieges sollte er seine überwiegende Zeit dort verbrin- Willi und Rupprecht Geiger in der Villa Romana, Frühjahr 1910 ABB. 027 gen. Schließlich brach er 1924 seine Zelte in Deutschland endgültig ab und ließ sich in San Gimignano nieder.87 Willi Geiger kam mit seiner Frau und seinem knapp zweijährigen Sohn Rupprecht – der später be- kanntlich selbst Maler werden sollte – in die Villa (ABB. 027). Die Geigers waren offenbar sehr mondän eingestellt, sie suchten Gesellschaft, und es fiel ihnen leicht, sie zu finden. »Über meinem Aufenthalt in dieser Stadt liegt der Schatten einer allzu häufigen, selbst verschuldeten Ablenkung von ernster Arbeit«, stellt Geiger in seinen Erinnerungen fest und benennt auch einen nicht selbst verschuldeten Hintergrund von Zerstreuung: »Es hatte sich eingebürgert, daß kunstinteressierte deutsche Italienreisende in der Villa Romana ihre Visitenkarte abgaben.«88 Zu diesen Überraschungsbesuchern gehörte zum Beispiel Heinrich Mann, der eines Tages plötzlich in Geigers großem Parterre-Atelier stand. Geiger besuchte auch häufig den Bildhauer Hans Albrecht Graf Harrach, der seit vielen Jahren in einer prachtvollen Mediceervilla bei Marignolle, südlich der Villa Romana lebte und für florenzreisende deutsche Kunstkreise beinahe eine selbstverständliche Anlaufstation darstellte.89 Im literarischen Salon der Gräfin Blandine Gravina, der Tochter des Wagner-Dirigenten Hans von Bülow, begegnete Geiger unter vielen anderen Siegfried Wagner und lernte Gabriele d’Annunzio kennen. Der Florentiner Gesellschaftsrei- gen Geigers setzt sich fort, schaut man nur auf die große Zahl an Exlibris, die er in Florenz angefertigt hat.90 Zwischen Februar und Juli 1910 entwickelte Willi Geiger in der Villa Romana eine zehn Blätter umfassende Mappe mit großformatigen Radierungen in Strichätzung, die er im August in München herausgab.91 Im souveränen Umgang mit den Möglichkeiten des Mediums betrieb Geiger hier im besten Sinne eine sehr eigene Fortführung surrealistischer Ansätze Max Klingers. 1910/11: Karl Albiker, Hans Meid und Otto Höger Am 17. April 1910 fand in der Hamburger Galerie Commeter die Jury für die 3. Graphische Aus- stellung des Deutschen Künstlerbundes statt. Im Rahmen dieser Sitzung wurde auch einer der Villa Romana-Preise vergeben. Unter 81 Bewerbern wurde der in Berlin lebende Badener Maler und Gra- phiker Hans Meid ausgezeichnet.92 Es war die erste Teilnahme des 27jährigen an einer überregionalen Ausstellung und gleich ein großer Erfolg. Auch wenn man ihm in einer Kritik boshaft »Spättechnik eines Frühreifen« unterstellte,93 nahm er anschließend ebenfalls erstmalig und mit guter Resonanz an einer Ausstellung der Berliner Secession teil. Die beiden verbleibenden Preise wurden kurz darauf im Vorfeld der großen Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes auf der Darmstädter Mathildenhöhe vergeben. Der Ludwig von Hofmann-Schüler Otto Höger, ein im Ansatz deutlich an Marées und seinem Lehrer orientierter Maler, war einer der Glücklichen.94 Der in Ettlingen lebende Bildhauer Karl Albiker vervollständigte den Jahrgang.95 Die Konstellation der Personen scheint erneut glücklich gewesen zu sein, denn Meid und Albiker waren seit dem Jahr 1900, ihrem gemeinsamen Studium an der Karlsruher Akademie, eng miteinander befreundet. In der Villa Romana sollten die Familien täglich intensiven Kontakt pflegen (ABB. 028). Albiker reiste im Oktober 1910 mit seiner Frau, der aus Prag stammenden Malerin Helene Klingen- stein, und seinen beiden kleinen Kindern in die Villa. Hans Meid kam mit seiner Frau Eve und ebenfalls Villa Romana, Frühjahr 1911: Vor dem Eingang der Limonaia, v.l.n.r.: Eve Meid, Karl Albiker, Theodor von Wächter, Helene Albiker ABB. 028 mit seinen beiden Kindern. Zurückschauend skizzierte Meid die Atmosphäre: »Wir lebten wie Gott in Frankreich. Morgens zum Kaffee tranken wir schon unseren Chianti und aßen dazu rohen Schinken mit frisch gepflückten Feigen. Die Abende bis spät in die Nacht verbrachte ich meist mit Albiker […].«96 Während des Aufenthaltes in der Villa Romana verfolgte Karl Albiker seine bildhauerischen Ansätze konsequent weiter und überwand endgültig die Reste klassisch-statuarischer Ansätze. Er entwickelte die elegante Bewegtheit seiner Figuren, die schon die in Darmstadt ausgezeichnete Arbeit bestimmt hatten, in Florenz mit Erfolg weiter. Es sind vier größere Arbeiten bekannt, die – alle in Gips – in der Villa entstanden. Die kleine Ganzfigur Bewegung belegt die genannte Entwicklung ebenso, wie das vielleicht wichtigste Werk des Florentiner Jahres, der Torso Trauernde (KAT. 050).97 Sein Freund Hans Meid arbeitete in der Villa vorwiegend graphisch. Es entstand sein Othello-Zyklus, in dessen phantasiereiche Visi- onen viele Florentiner Eindrücke einflossen. Er wurde noch im selben Jahr in Berlin verlegt und auf der Herbstausstellung der Secession gezeigt.98 Eine der poetischsten Arbeiten, in die konkrete Topographie der Villa Romana einfloß, ist Meids Springbrunnen vor der Limonaia, den er mit nackten, einen Knaben lockenden Nymphen bevölkerte (KAT. 048). Eine damit eng zusammenhängende Arbeit zeigt Badende vor einer angedeuteten toskanischen Landschaft. Meid war seit seinem Florenzaufenthalt eng mit Italien verbunden. Aus dem Rückblick von fast 50 Jahren notierte er über sein Villa Romana-Jahr: »Meine künstlerische Entwicklung ist für mich ohne den Aufenthalt in Florenz überhaupt nicht denkbar.«99 1911/12: Ludwig Cauer, Fritz Rhein und erneut Otto Höger Von 10. Mai bis 10. August 1911 fand die Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes im Rahmen der Leipziger Jahresausstellung statt. Am 25. April 1911 veranstaltete man während des Aufbaus die Jury der Villa Romana. Es wurden vorerst nur zwei Preise vergeben.100 Eigenartigerweise erhielt einen davon der in Berlin lebende Bildhauer Ludwig Cauer, ein Sproß der berühmten Bildhauer-Dynastie, den man eigentlich eher der wilhelminischen Kunst zuordnen würde.101 Da zu diesem Zusammenhang offenbar keine Quellen existieren, kann man nur vermuten, daß Cauer seinen ursprünglich eher den zeitgenössischen Vorstellungen der Staatskunst entsprechenden Stil gewandelt hatte – was sich auch in seinem plötzlichen Auftauchen bei der Berliner Secession im Jahr 1908 manifestiert.102 Der zweite in Leipzig Gewählte war der in Berlin lebende Maler Fritz Rhein, der bislang vor allem als Porträtist Erfolg hat- te.103 Rhein unterhielt in Berlin eine Malschule und konnte deshalb erst im März nach Florenz reisen.104 Der dritte Preis dieses Jahrganges wurde dann kurz vor Pfingsten 1911 vergeben. Es ergab sich der erstmalige Fall der erneuten Wahl eines Preisträgers, die aber einer Verlängerung des Stipendiums gleichkam. Otto Höger hatte sich nochmals beworben, und man war sich daraufhin im Vorstand einig, Höger hätte von der Villa »am meisten und am augenfälligsten profitiert«.105 Von Otto Höger, der kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges zu den tragischen Opfern der spanischen Grippe gehörte, haben sich offenbar alle Spuren verloren. Die Familie Greve-Lindau vor dem heutigen Atelier Giardino im Frühjahr 1913, v.l.n.r.: Georg, Peter, Lisel und Eva ABB.029 1912/13: Theo von Brockhusen, Alexander Gerbig und Georg Greve-Lindau Im Jahr 1912 war der Deutsche Künstlerbund bei seinem Mitbegründer Gustav Pauli in der Kunsthalle Bremen zu Gast (1. Februar bis 31. März). Im Vorfeld der Ausstellung wurden am 26. Januar in Bremen zwei Preise vergeben.106 Der Berliner Maler Theo von Brockhusen,107 ein unübersehbar an van Gogh orientierter Neoimpressionist, der seit 1906 bei Paul Cassirer unter Vertrag stand, erhielt den Preis ebenso wie der Thüringer Alexander Gerbig.108 Mit ihm wählte man erstmals einen gemäßigten Expressio- nisten. Seit seiner Ausbildung als Dekorationsmaler in Dresden im Jahr 1900 war er mit dem zunächst im gleichen Beruf ausgebildeten Max Pechstein eng befreundet. Der dritte Preisträger wurde am 19. April im Rahmen der 4. Graphischen Ausstellung des Künstlerbundes in Chemnitz hinzugewählt. Man entschied sich für den bereits der Jury in Bremen aufgefallenen, in Weimar lebenden Maler und Kalck- In der Villa Romana-Wohnung Theodor von Wächters: Wächter, Georg Greve-Lindau und Alexander Gerbig ABB. 030 reuth-Schüler Georg Greve-Lindau, einen am französischen Impressionismus geschulten Realisten, der schon seit 1907 regelmäßig beim Künstlerbund ausstellte.109 Brockhusen, der sich gleich nach Erhalt des Preises bei Klinger mit geradezu militärischer Strenge »gehorsam« bedankte, reiste erst im Frühjahr 1913 mit seiner Frau Hildegard nach Florenz.110 Vor seiner Ankunft traf in der Villa eine kaum bewegbare, riesige Kiste ein, in der der Hausmeister Eisen vermutete. Brockhusen hatte aber nur seine fertig bespannten Keilrahmen platzsparend ineinander gestapelt, und direkt nach der Ankunft begann er, nach kurzem Umschauen, ein Bild nach dem anderen zu malen. Greve-Lindau erkannte darin »das Geheimnis des praktischen, zeitsparenden Berliners«. Über Brockhusens Arbeit urteilte Greve in einer Mischung aus Bewunderung und Kritik: »Er hatte eine bestimmte, feststehende Form in seiner Malerei, […] kühl und überlegen in Aufbau und Kolorit. Man hatte nichts daran auszusetzen. Er blieb immer in der gleichen Art, auch wenn er Stilleben mit Riesenfrüchten und Melonen« malte.111 Greve selbst war bereits seit November mit seiner Frau Lisel und seinen beiden Kindern in der Villa (ABB. 029). Ihm fiel die Arbeit weitaus schwerer als Brockhusen: »Es war der Wechsel von Licht und Farben und das viele Neue, das auf mich einströmte zu plötzlich. […] Vor allem aber ließen die Museen und die vielen Fresken und Bilder in den Kirchen mich nicht zur Ruhe kommen.«112 Dennoch war seine Ausbeute reichlich. Es sind über zwanzig Arbeiten nachweisbar, mit Motiven, die sich – wie bei kaum einem anderen Künstler dieser Zeit – so gut wie ausschließlich auf die Villa und ihren Garten beziehen.113 Auch Alexander Gerbig nutzte seine Auszeichnung intensiv. Allein sieben Ölbilder aus der Umgebung der Villa lassen sich nachweisen. Darunter befinden sich zwei Max Pechstein, Toskanische Landschaft (Blick vom Dach der Villa Romana Richtung Bellosguardo), Florenz 1913, Aquarell, 29,5 x 41,5 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett ABB. 031 Bilder, die zechende und Karten spielende Personen in einer Kneipe zeigen. Vermutlich handelt es sich um das berühmte Lokal Lapi in den Substruktionen des Palazzo Antinori, das heute noch besteht – al- lerdings als feines Restaurant. Neben dem Café Reininghaus war es der Haupttreffpunkt der deutschen Kunstkreise in diesen Jahren. Schon Käthe Kollwitz (»Ich esse abends meist bei Lapi.«) hatte den weiten Weg durch die ganze Stadt auf die andere Seite des Arnos nicht gescheut. Willi Geiger berichtete von einer heftigen Schlägerei bei Lapi, und auch bei Greve-Lindau (»Die Sitzungen bei Lapi waren meistens sehr ausgedehnt.«) findet sich eine Schilderung von den üppigen Eß- und Trinkgelagen, die dort regelmäßig stattfanden. Auch in diesem Jahr scheint eine harmonische Atmosphäre im Haus geherrscht zu haben (ABB. 030). Entscheidenden Anteil hatte hieran der Herr des Hauses, der Theologe und ehemalige SPDPolitiker Theodor von Wächter, der die Villa Romana seit Spätsommer 1909 erfolgreich leitete.114 Er gehörte seit 1897 zu jenem in dieser Zeit nicht kleinen Kreis an Männern, die aufgrund ihrer gleichge- schlechtlichen Neigungen in Italien Exil suchten. Der aus gleichen Gründen in Italien lebende KlingerFreund und Entdecker der Villa Romana, Paul Hartwig, hatte nach den Querelen des Jahres 1909 den Kontakt zu dem in Rom lebenden Wächter hergestellt. Seine Liebenswürdigkeit und sein vermittelndes Wesen haben viel zur guten Atmosphäre des Hauses bis 1914 beigetragen. Anfang Juli 1913 erhielt Alexander Gerbig in der Villa Romana Besuch von seinem alten Freund Max Pechstein. Er hielt sich offenbar zwei Monate in Florenz auf, und direkt anschließend waren die beiden Maler für sechs Wochen gemeinsam in Monterosso al Mare, einem kleinen Fischerort an der ligurischen Küste.115 Der Aufenthalt war an beiden Orten außerordentlich produktiv. Im sehr verstreut publizierten Werk Pechsteins lassen sich viele Arbeiten aus der Villa, ihrer direkten Umgebung und aus der toskanischen Landschaft bis nach Fiesole nachweisen (ABB. 031).116 Das anschließende Mittelmeererlebnis geriet Pechstein zum unmittelbaren Vorläufer seiner Südseereise im Jahr darauf. Später sollte er bezeichnenderweise Arbeiten von diesen beiden doch sehr unterschiedlichen ArkadienFluchten in einer Litho-Mappe vereinen, die 1919 bei Cassirer erschien.117 Frucht des Aufenthaltes in Erich Stephani, Akt, 1913, Terrakotta farbig gefaßt, 81 x 37 x 31 cm, Kunsthalle Mannheim ABB. 032 Monterosso ist auch das monumentale Bild Fischerboot, das Pechstein unmittelbar nach seiner Rück- 115 Der Aufenthalt in Monterosso dürfte kehr im Berliner Atelier malte. In seinen Erinnerungen bezeichnete er es als »eine meiner wichtigsten von Ende August (vgl. Anm. 119) bis kurz Max Klinger bedankt: »Es sind mir diese 2 Monate ein wesentlicher Nutzen geworden, denn bis jetzt haben (vgl. Knop 1981, S. 44). In seinen Arbeiten« (KAT. 055).118 Bereits Ende August hatte sich Pechstein noch aus Florenz überschwenglich bei mußte ich mich auf meinen früheren Reisen nur auf Sehen und kleine Skizzen beschränken, ganz ab- gesehen, von der äußersten Bequemlichkeit, welche die Villa zum Arbeiten bietet, daß sich der Garten zum Freilichtstudium vorzüglich verwenden läßt. Es zeichnet mit dem Ausdruck größter Dankbarkeit und höflichster Ergebenheit Hochachtend HMPechstein«. Daraufhin sandte Klinger an Kalckreuth die amüsante Anmerkung: »P.S. Gestern schickte mir Max Pechstein einen Brief aus Villa Romana, wo er ohne daß ich eine Ahnung hatte, 2 Monate Gast war. Weisst Du da hab ich mich gefreut. Eine Besenstielschrift wie seine Malerei. Aber er schreibt über die frühen Italiäner und die Landschaft, daß man fühlt: es hat gewirkt.«119 vor dem 27. September 1913 gedauert 1945 niedergeschriebenen Erinnerungen (Pechstein 1960) berichtet er S. 52–54 leider fast ausschließlich von Monterosso. Ohne jede Erörterung ist dort aber auf S. 53 eine Zeichnung mit der Limonaia im Villa Romana-Garten abgebildet. 116 Einige der Arbeiten sind publiziert in: Moeller, Magdalena M.: Max Pechstein. Sein malerisches Werk, München 1996, Kat. 81–84. 117 Reisebilder, XV. Werk der PAN-Presse, Berlin: Paul Cassirer 1919. 1913/14: Karl Caspar, Moriz Melzer und Erich Stephani Die Künstlerbund-Ausstellung des Jahres 1913 fand vom 4. Mai bis 30. September in der Kunsthalle Mannheim statt. Am 20. und 21. April wurde dort juriert, und es kam zur Verteilung von zwei Villa Romana-Preisen.120 Mit dem 35jährigen Münchner Maler Karl Caspar121 wählte man einen Kandidaten, der schon zwei Jahre zuvor in Leipzig in die engere Wahl gekommen war. 122 Caspar gehört zu den wenigen Künstlern der Moderne, die sich überwiegend christlicher Motive annahmen.123 Seine Arbeit ist zwischen Cézanne und dem aufkommenden Expressionismus Münchener Prägung anzusiedeln. Der zweite Preis wurde dem Bildhauer Erich Stephani verliehen, der mit seinen polychrom gefaßten Skulpturen in Mannheim Aufsehen erregte (ABB. 032).124 Ein anderer Bildhauer gehörte zu den Enttäuschten. Er schrieb am 3. Mai aus Paris an Kalckreuth und teilte mit, er hätte auf Kalckreuths Einladung 118 Pechstein 1960, S. 54. 119 Pechstein an Klinger, Ende August 1913, SA/N, Nachl. Klinger, Nr. 239. Klinger an Kalckreuth vom 6.9.1913, in: BSH/M, Kalckreuthiana II. 120 Telegramm Klingers an Kalckreuth, Kunsthalle Mannheim vom 19.4.1913 mit der Vorgabe »zwei villa romanapreise«, in: BSH/M, Kalckreuthiana II. 121 Glückwunschtelegramm Klinger/Kalck- reuth an Caspar vom 21.4.1913, Archiv Haus-Caspar-Filser, Brannenburg. Zu Caspar allg. vgl.: Kat. Karl Caspar 1879–1956. »mehrere Plastiken« nach Mannheim geschickt und befürchte nun, sie seien dort verspätet eingetroffen. Zum hundertsten Geburtstag, Ausst. noch an. Doch es war zu spät, der für einen Bildhauer zur Verfügung stehende Preis war vergeben – der E.M. Köster, die Enkelin des Künstlers, hat »Auf beiden Ausstellungen beabsichtige ich mich um den Villa-Romana-Preis zu bewerben«, fügt er Verfasser dieses Briefes war Wilhelm Lehmbruck125. Der noch verbleibende Preis wurde am 17. Mai 1913 auf der 5. Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes in Hamburg vergeben, die erneut in der Galerie Commeter stattfand. Klinger berichtet, es habe »135 Bewerber mit 1330 Sachen« allein für Villa Romana gegeben, und vermeldet: »Gekriegt hats Melzer. Und der wirkt mit seinen Sachen hier auf’s Leipziger Publicum wie Bonbon mit Rici- nus.«126 Moriz Melzer, ein Schüler Ludwig von Hofmanns in Weimar, lebte seit 1908 wieder in Berlin. 1910 gehörte er zur Gruppe der von der Secession Abgewiesenen, die daraufhin die Neue Secession gründeten. In diesen Jahren entwickelte er eine eigene Form der Monotypie, die sein Werk für viele Jahre bestimmte. Diese starkfarbigen, expressiv gestimmten, aber in ihrer Figuration deutlich auf den Lehrer von Hofmann weisenden Blätter waren es sicher auch, die auf der graphischen Ausstellung in Hamburg den Ausschlag für Melzer gaben. Museum Langenargen 1979. Frau Felicitas über Jahre immer wieder mit Materialien und Photos die Forschungen über die Villa Romana unterstützt; ihr und ihrer Mutter sei herzlich gedankt. 122 Das geht hervor aus einem Brief von Theodor Brodersen, dem Sekretär des Deutschen Künstlerbundes, an Caspar vom 30.4.1911, Archiv Haus- Caspar-Filser, Brannenburg. 123 Kat. ›München leuchtete‹. Karl Caspar und die Erneuerung christlicher Kunst in München um 1900, hrsg. v. Peter-Klaus Schuster, Ausst. Staatsgalerie moderner Der rührend um seine Gäste bemühte Theodor Wächter schrieb am 22. November 1913 an Karl Caspar: »Alles ist bereit, auch die Fiaschi’s warten schon. Wollen Sie mir bitte mitteilen, mit welchem Zug und an welchem Tag Sie ankommen, daß ich mit dem Hausmann am Bahnhof sein kann.«127 Der Villa Romana-Preis Karl Caspars galt in der Realität einem Künstlerpaar, denn Maria Caspar-Filser war seit einigen Jahren schon weit über München hinaus als Malerin aufgefallen; seit 1909 stellte sie regelmäßig auch beim Deutschen Künstlerbund aus.128 Beide führten eine sehr ungewöhnliche Künstlerehe, die – trotz des Druckes beider Karrieren – standhielt. In der Villa Romana füllten sich im gemeinsamen Atelier bald die Wände (ABB. 033). Obwohl sich keine ausführlicheren Quellen darüber erhalten haben, belegen Photos die Harmonie dieses Jahres (ABB. 034). Nach mehr als 30 Jahren schrieb Moriz Melzer an Caspar: »Für mich ist dieser Jahrgang immer noch einer der schönsten des Lebens.«129 Irgendwann im Sommer 1914 war Moriz Melzer am Meer, vielleicht in Forte dei Marmi. Es hat sich ein expressives und starkfarbiges Blatt mit zechenden Fischern erhalten, wie fast alle Arbeiten Melzers ist es nicht datiert.130 Ein anderes Aquarell trägt jedoch das Datum von Melzers Villa Romana-Jahr: 1914. In fahlen Tönen sind dort Soldaten an Kanonen wiedergegeben (KAT. 059) – die arkadischen Träume Melzers waren Ende August des Jahres schlagartig beendet. In Karl Caspars Reisepaß findet sich ein vielsagender amtlicher Eintrag: »Paßinhaber, welcher seit 15. Dezember 1913 sich hier aufgehalten hat, Karl Caspar, Akte, Florenz 1914, Öl/Lwd., 58 x 45 cm, Landkreis Ravensburg, Landratsamt ABB. 033 tritt die Rückreise nach Deutschland an, um sich den Militärbehörden zu stellen. Florenz 21. August 1914« – Siegel, Stempel und Unterschrift: »Der Kaiserliche Konsul«. 131 Trotz des Krieges gab der Villa Romana-Verein Anfang des Jahres 1916 noch einmal einen Jahresbe- richt heraus. Dort ist ein langer Brief Theodor von Wächters vom Dezember 1915 abgedruckt, der über das weitere Schicksal der Villa genaue Auskunft gibt. Voller Hoffnung, der Spuk würde bald ein Ende haben, das Haus würde bald unversehrt zurückgegeben werden, und man möge in Deutschland den Haß auf den neuen Kriegsfeind Italien nicht auf die Villa Romana übertragen, schrieb Wächter seinen Kunst München 1984, München 1984. 124 Vgl. zu Erich Stephani die kurze Selbstbiographie in: Gurlitt, Fritz: Das graphische Jahr, Berlin 1921, S. 131; und den anonymen Beitrag in: Farbe und Form. Monatsschrift für Kunst und Kunstgewerbe. 10, H. 4, April 1925, S. 49ff. 125 Der Brief ohne Quellenangabe abge- Bericht: »[Ich] schlug deshalb dem Vorstand vor, die Villa während der Kriegszeit dem italienischen druckt bei: Schubert, Dietrich: Die Kunst der Bevölkerung eine gewisse Sympathie für den ›großmütigen Feind‹ zu erwecken. Als der Vorstand 289f. Roten Kreuz zu übergeben, zugleich um dadurch bei etwaiger späterer Wiedereröffnung der Villa bei einwilligte, und ich den Vorsitzenden des Florentiner Roten Kreuzes, Marchese Torrigiani, aufsuchte, empfing er mich sofort persönlich, war äußerst dankbar, meinte, Verwundeten gegenüber höre doch aller nationale Gegensatz auf, […] und [in] diesen schönen Räumen würden die Verwundeten ja von Lehmbrucks, Worms/ Dresden 1990, S. 126 Max Klinger an Georg Hirzel vom 18.5.1913, VRA/F. 127 Archiv Haus-Caspar-Filser, Brannenburg. 128 Zu der Malerin vgl.: Kat. Maria Caspar- selbst gesund. […] Wir verpackten nun alle Bücher, […] Teppiche, Wäsche, usw. und brachten auch Filser (1878–1968), Ausst. Galerie der Lan- Abschied bat der Hausmann Comparini mich noch um meinen Revolver: er wollte mir wohl seine 1986, mit einer umfangreichen Dokumenta- alle Möbel in die Räume über der Remise […] und dieser Teil des Hauses wurde abgeschlossen. Beim Bereitschaft zu Verteidigung der Villa beweisen!«132 desgirokasse, Stuttgart 1986–87, Stuttgart tion, dort zur Villa Romana: S. 18, 51. 129 Melzer an Caspar, o.D. [um 1950], Archiv Haus- Caspar-Filser, Brannenburg. 130 Die Chianti-Flasche und der auf der Rückseite dargestellte Umzug von Mönchen lassen das Blatt eindeutig dem Italienaufenthalt Melzers zuordnen (Kunstmuseum Luzern, Inv.-Nr. 95.138y). 131 Archiv Haus-Caspar-Filser, Brannenburg. 132 Villa Romana-Jahresbericht 1916: Die Villa Romana in Florenz, Leipzig, im Januar 1916, S. 1f., VRA/F. Der dem Bericht Wächters teilweise zugrunde liegende Brief des Hausmeisters der Villa, Eugenio Comparini, vom 23.10.1915 hat sich in übersetzter Abschrift im Archiv Haus-Capar-Filser, Brannenburg, erhalten. Dieser Beitrag versucht einen Überblick der Entwicklung der Villa Romana seit ihrer Gründung zu vermitteln. Der einzige Vorläufer hierzu ist der grundlegende Aufsatz des Leiters der Villa, Joachim Burmeister aus dem Jahr 1988 (vgl. Burmeister 1988, Vor der Villa Romana im Frühjahr 1914: Maria Caspar-Filser, Erich Stephani, Moriz Melzer, Otto Höger, Carl Caspar und (vermutl.) Frau Stephani ABB. 034 dort zum vorliegenden Thema S. 101–129). Burmeister ist auch der Schöpfer des Villa Romana-Archivs, denn sämtliche Unterlagen zur Geschichte der Institution sind im letzten Weltkrieg untergegangen. Gemeinsam mit dem Autor konnte das Archiv ab 1990 maßgeblich erweitert werden. Joachim Burmeister ist ein mehr als 15jähriger intensiver und freundschaftlicher Gedankenaustausch herzlichst zu danken. Thomas Föhl, Weimar, hat nicht nur diese Ausstellung ermöglicht, sondern auch viele zentrale Anregungen und Materialien beigetragen. Dutzende von Archiven und Künstlernachlässen haben entscheidende Hinweise zur Verdichtung der Materie beigesteuert. Es sei dem Autor verziehen, daß hier nur wenige namentlich genannt werden konnten, gerade den Ausgelassenen sei aber ausdrücklich für ihre Hilfsbereitschaft gedankt.