Skript der Vorlesung - Fakultät Wirtschafts

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Skript der Vorlesung - Fakultät Wirtschafts
1
Universität Hamburg
Institut für Politische Wissenschaft
Prof. Dr. Cord Jakobeit
Wintersemester 2008/2009
Sprechstunde: Di, 14-16
IPW, R 207
Vorlesung 22-111.10: Einführung in die Politikwissenschaft
Do, 14.30-16.00 Uhr, Chemie A
Skript der Vorlesung
1. Vorlesung (30.10.) – Einführung und Semesterplan
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Termine und Themen
Literaturempfehlungen
Geschichte des Faches
Politikbegriffe
Selbstverständnis
Fragestellungen
Verhältnis zu den Nachbardisziplinen
Zusammenfassung: Drei Erkenntnisse
Termine und Themen:
1) 30.10.:
2) 06.11.:
Überblick und Vorgehensweise
Politische Theorie und Ideengeschichte I: Gegenstand, Fragestellungen
und Methoden, MINK-Schema: Macht (Weber, Machiavelli, Morgenthau)
Ideologie (Interesse und Identität)
13.11. fällt leider aus!
3) 20.11.:
Politische Theorie und Ideengeschichte II: MINK-Schema: Normen
(Frieden: Kant; Konflikt: Czempiel vs. Konsens: Dahrendorf; Freiheit: Mill;
Demokratie: Tocqueville; Klassenkampf: Marx) Kommunikation (Deutsch,
Easton)
4) 27.11.:
Regierungslehre Bundesrepublik Deutschland I: Gegenstand,
Fragestellungen und Methoden; Verfassung (Kaiserreich, Weimar, NS,
Grundgesetz)
5) 04.12.:
Regierungslehre Bundesrepublik Deutschland II: Föderalismus – Entscheidungsebenen, Politikverflechtung, Vor- und Nachteile des Föderalismus,
Föderalismusreform
6) 11.12.:
Vergleichende Regierungslehre I: Gegenstand, Fragestellungen und
Methoden; parlamentarische vs. präsidentielle Regierungssysteme,
Typologien von Wahlsystemen und Parteien
7) 18.12.:
Vergleichende Regierungslehre II: Transitionsforschung (Merkel)
8) 08.01.:
Europäische Integration: Integrationstheorien (Föderalismus,
Funktionalismus, Institutionalismus, Policy-Forschung, Kritische
Integrationstheorie, Mehrebenenpolitik, aktuelle Probleme der EU
9) 15.01.:
Internationale Politik I: Gegenstand, Fragestellungen und Methoden;
Theorien der Internationalen Beziehungen (Realismus vs. Idealismus;
Regimetheorien, Konstruktivismus und Postmoderne)
10) 22.01.:
Internationale Politik II: Entwicklungstheorien und Entwicklungspolitik;
Internationale Organisationen, aktuelle Debatten
11) 29.01.:
Internationale Politik III: Kriegsursachenforschung, Außenpolitik,
Globalisierung, Global Governance, postnationale Konstellation
12) 05.02.:
Abschlussklausur
90-minütige Klausur; 8 Fragen insgesamt, davon 2
Mulitple-Choice-Fragen, 4 Wissensfragen und 2
Essayfragen; 60 Punkte insgesamt, mindestens 30
2
für das Bestehen notwendig
Materialien/Skript jeweils nach der Vorlesung unter:
http://www.sozialwiss.uni-hamburg.de/Ipw/personal/jakob.html#lehre
Literaturempfehlungen:
Einführungen in die Politische Wissenschaft:
Hofmann, Wilhelm et al. (2007): Politikwissenschaft. Konstanz: UTB, € 17,90.
Mols, Manfred; Lauth, Hans-Joachim; Wagner, Christian (Hrsg.) (2007): Politikwissenschaft.
Eine Einführung, 6. Aufl., Stuttgart: UTB, € 21,90.
Patzelt, Werner J. (2007): Einführung in die Politikwissenschaft. Grundriss des Faches und
studiumbegleitende Orientierung, 6. Aufl., Passau: Wissenschaftsverlag Richard
Rothe.
Politische Theorie und Ideengeschichte:
Fenske, Hans et al. (2003): Geschichte der politischen Ideen: von der Antike bis zur
Gegenwart, Frankfurt/Main: FTB, € 14,95.
Maier, Hans / Denzer, Horst (Hrsg.) (2001): Klassiker des politischen Denkens, 2 Bd.,
München: Beck TB, je € 12,50.
Regierungslehre Bundesrepublik Deutschland:
Schmidt, Manfred G. (2007): Das politische System Deutschlands: Institutionen,
Willensbildung und Politikfelder, München: Beck, € 12,90 (BpB).
Hesse, Joachim Jens / Ellwein, Thomas (1997): Das Regierungssystem der Bundesrepublik
Deutschland, 8. Aufl., Opladen: Westdeutscher Verlag.
Rudzio, Wolfgang (2006): Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl.,
Wiesbaden: VS Verlag, € 14,90.
Vergleichende Regierungslehre:
Berg-Schlosser, Dirk / Müller-Rommel, Ferdinand (Hrsg.) (2006): Vergleichende
Politikwissenschaft, 4. Aufl., Stuttgart: Uni-TB, € 16,90.
Lauth, Hans-Joachim (Hrsg.) (2006): Vergleichende Regierungslehre: Eine Einführung, 2.
Aufl., Wiesbaden: VS Verlag, € 26,90.
Europäische Integration:
Katharina Holzinger et al. (2005): Die Europäische Union: Theorien und Analysekonzepte,
Paderborn: UTB, € 19,90.
Brunn, Gerhard (2002): Die Europäische Einigung von 1945 bis heute, Stuttgart: Reclam, €
9,90.
Jachtenfuchs, Markus / Kohler-Koch, Beate (Hrsg.) (2006): Europäische Integration, 2. Aufl.,
Opladen: Leske + Budrich, € 14,90.
Internationale Politik:
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List, Martin (2006): Internationale Politik studieren: Eine Einführung, Wiesbaden: VS Verlag,
€ 29,90.
Knapp, Manfred / Krell, Gert (Hrsg.) (2003): Einführung in die Internationale Politik.
Studienbuch, 4. Aufl., München: Oldenbourg, € 44,80.
Krell, Gert (2004): Weltbilder und Weltordnung, 3. Aufl., Baden-Baden: Nomos, € 24,90.
Lexika und Nachschlagewerke:
Schubert, Klaus / Klein, Martina (Hrsg.) (2006): Das Politiklexikon, 2. Aufl., Bonn: Dietz, €
15,20 (BpB).
Nohlen, Dieter (Hrsg.) (2007): Kleines Lexikon der Politik, 4. Aufl., München: Beck, € 16,90.
Nohlen, Dieter und Schultze, Rainer-Olaf (Hrsg.) (2005): Lexikon der Politikwissenschaft.
Theorien Methoden Begriffe, 2 Bd., 3. Aufl., München: Beck, je € 19,90.
Weidenfeld, Werner und Wessels, Wolfgang (Hrsg.) (2007): Europa von A - Z. Taschenbuch
der europäischen Integration, 10. Aufl., Bonn: Europa Union Verlag, € 19,00 (BpB).
Politikdimensionen:
Dimension
‚polity‘
Grundbedeutung
Auseinandersetzung mit
Ordnungs- bzw.
Handlungsrahmen von
Politik: Form
Merkmale
Normen
Institutionen
Politische Kultur
‚politics‘
Auseinandersetzung mit
Willensbildungs- und
Entscheidungsprozessen:
Interesse
Konflikt
Macht
Prozess
Konsens
Auseinandersetzung mit
Ursachen, Inhalten und
Folgen staatlicher
Handlungsprogramme:
Inhalt und Felder
Aufgabenerfüllung
Planung
Intervention
Gestaltung
‚policy‘
Politikkunde vs. Politikwissenschaft
Geschichte des Fachs Politische Wissenschaft:
(nach Bleek, Wilhelm (2001): Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland, München:
Beck)
1. Phase: 1871-1918
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„Allgemeine Staatslehre“ (Polizey-Wissenschaft) - Hilfswissenschaft des Staatsrechts
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Der Staat (gemeint war der preussische Staat) wird verstanden als Sachwalter
allgemeiner Interessen
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Der liberale Politiker Friedrich Naumann fordert Staatsbürgerkunde und eine
überparteiliche Hochschule für Politik
2. Phase: 1920-1933
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Deutsche Hochschule für Politik in Berlin: Die Erziehung der Masse zu Demokraten
•
Propagierung der Republik als Staatsform, des Parlamentarismus und der Parteien
4
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Politikwissenschaft als Oppositionsunternehmen
3. Phase: 1949-1967
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(Re)konstituierung der westdeutschen Politikwissenschaft als
Demokratiewissenschaft, der ostdeutschen als Schulungswissenschaft für
Marxismus-Leninismus (ML)
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Gründung der Deutschen Hochschule für Politik/Otto-Suhr-Institut (OSI) an der FU
Berlin
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Drei zentrale Arbeitsbereiche: Analyse des totalitären Staates, der westlichen
Demokratien (Verfassungsmodelle), der Weltpolitik (Kalter Krieg)
•
Unterschiedliches Selbstverständnis des Fachs: Pol. Wiss. als Integrationswiss.
(Fraenkel); als synoptische Wiss. (Bergstraesser); als normative Wissenschaft
(Oberndörfer, Hennis)
4. Phase: 1968-1989
•
Repolitisierung des Faches (Vietnamkrieg, Studentenrevolte) und Spaltung in
bürgerliches (parlamentarische Demokratie mit Parteien- und Verbandsprinzip) und
linkes Lager (Überwindung des Kapitalismus und 3. Weg), Spaltung der
Verbandsorganisationen (DVPW und DGfP ab 1983)
•
Ausbau des Faches durch zahlreiche universitäre Neugründungen, dann ab Ende der
1970er Jahre allgemeine Sparzwänge
•
Ausdifferenzierung des Faches - Beginn der Friedens- und Konfliktforschung und der
Dritte-Welt-Forschung
5. Phase: 1990 bis heute
•
Abwicklung der ML-Lehrstühle in den neuen Bundesländern und Übernahme der
Strukturen des Faches aus dem Westen (53 neu eingerichtete Professuren)
•
Neue Themen: Soziale Bewegungen, Umweltpolitik, Gender, Postmoderne,
Transition, Staatszerfall, Konfliktprävention, Intervention - Terrorismus
•
Anstehender Generationswechsel bei den Lehrstühlen
•
Umbruch in der Lehre (BA/MA) und Besoldung (von C zu W)
Drei Kernfragen der Politikanalyse:
1.
2.
3.
Entstehung:
Wie ist ein System / Problem / Idee etc. entstanden? (historische Hintergründe)
Interessen:
Welche partikularen wirtschaftlichen und sozialen Interessen verbergen sich hinter
einer bestimmten („Gemeinwohl“-) Politik?
Cui – bono – Frage:
Wem nützt eine Politik?
γ Verlierer ⎠ Gewinner
γ Kosten ⎠ Nutzen
Zusammenfassung:
1.
2.
3.
Während im Deutschen der Begriff „Politik“ viele Dimensionen umfasst, ist das
Englische mit der Unterscheidung in polity, politics und policy präziser
Gute politikkundliche Kenntnisse sind die Voraussetzung für Politikwissenschaft, aber
ersteres sollte nicht mit letzterem verwechselt werden
Eine der zentralen Fragen der Politikwissenschaft ist die nach den Gewinnern und
Verlieren einer politischen Entscheidung
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2. Vorlesung (06.11.: Politische Theorie und Ideengeschichte I)
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Politische Theorie und Ideengeschichte
Politische Theorien der Klassiker
Das MINK-Schema
Der Machtbegriff
Die „drei Gesichter“ der Macht
Zentrale Fragen der politikwissenschaftlichen Analyse
Grundlagen der Macht eines Staates in der internationalen Politik
Sechs Grundsätze des Realismus in der internationalen Politik
Zusammenfassung
Politische Theorien der Klassiker:
Name
Nicollo Machiavelli (1467-1527)
„Il Principe“ und
„Discorsi“ 1513
Problem
Machterhalt
Antwort
Skrupelloser Fürst
Thomas Hobbes
(1588-1679)
„Leviathan“ 1651
Bürgerkrieg
Gesellschaftsvertrag
und staatliches Gewaltmonopol
John Locke
(1631-1704)
„Two Treaties on
Government“ 1651
Steuerstreit zwi- Parlamentarisierung,
schen König
Eigentum, Menschenund Parlamen
rechte
Charles de Monte- Absolute Monarsqieu (1689-1757) chie
„Vom Geist der Gesetze“
Gewaltenteilung
Jean Jacques
Rousseau (1712„Contract
Social“ 1762
Sittlicher Zerfall, „Zurück zur Natur“, DiUnfreiheit
rekte Demokratie, 1778)
Volkssourveränität,
„volonté générale“
Immanuel Kant
(1724-1804) „Kritik der praktischen
Vernunft“
Normen des
friedlichen Zusammenlebens
Alexis de Tocqueville (1805-1859)
Demokratie und
Freiheit, „Tyran-
Erziehung zur Demokratie, zivilisatori-
„Demokratie in
Amerika“ 1841
nei der Mehrheit“
scher Fortschritt (USA)
John Stewart
Mill (1806-1873)
„On Liberty“ 1859
Freiheit und
Rede und PressefreiGleichheit der
heit; repräsentative
Menschen in der Demokratie
Industriegesellschaft
Kategorischer Imperativ
6
Karl Marx (18181883) „Das Kapital“ 1867
Armut, Verelendung, soziale
Frage
Klassenkampf, Revolution, klassenlose
Gesellschaft
Max Weber
Rolle der Wis-
Wertungsfreiheit der
(1864-1920) „Wirtschaft und Gesellschaft“ 1922
senschaft in der
bürgerlichen Gesellschaft
empirischen Sozialwissenschaften, Rationalisierung
Politische Theorie und Ideengeschichte - Das MINK-Schema:
Macht
Interesse (Ideologie, Ideen)
Politik
Formen-Prozesse-Inhalte
Kommunikation
Normen
Der Machtbegriff:
„Seen from any particular perspective,
power seems to always be elsewhere.“
Bertrand Russell
Macht als instrumentell verstärkte praktisch-technische Wirkmöglichkeit
(handlungstheoretisch, hierarchisch):
„Macht bedeutet jede Chance,
innerhalb einer sozialen Beziehung
den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht.“
Max Weber (Wirtschaft und Gesellschaft)
Macht als instrumentell verstärkte praktisch-technische Wirkmöglichkeit:
Macht als die „gegenwärtigen Mittel(n)
zur Erlangung eines zukünftigen anscheinenden Guts.“
Thomas Hobbes (Leviathan)
Macht ist dann am größten, wenn sie allein aufgrund der Möglichkeit eines effektiven
Handelns wirksam wird.
Der Machtbegriff der Moderne (funktional-strategisch):
Dynamische und bewegliche Netzwerke der Macht. Diese „Dispositive“ (Sexualität,
Pädagogik, Psychiatrie etc.) durchdringen die einzelnen Menschen und bestimmen deren
Existenzweise, ja Identität. Macht funktioniert in den Dispositiven nicht mehr repressiv,
sondern vor allem produktiv.
Michel Foucault (Dispositive der Macht, Gouvernementalität)
„Gross power“ = rein auf Außenwirkung orientierte lernunfähige Macht vs. „net power“ = sich
im Informationsaustauch entfaltende lernfähige Macht
Karl. W. Deutsch (Politische Kybernetik)
Hard power = Materielle Ressourcen und Kapazitäten der Machtausübung und
Machtprojektion (Waffen, Geld etc.)
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Soft power = Die Macht, andere zu überzeugen durch Werte, Ideen und Verhalten (weiche
Formen von Macht wie Vorbildfunktion, Leadership etc.)
Die „drei Gesichter“ der Macht:
1.Der eigene Wille wird gegen Widerstreben durchgesetzt. Bsp.: Der Irak wurde im zweiten
Golf-Krieg gegen seinen Willen militärisch gezwungen, sich aus Kuwait zurückzuziehen.
2.Es gelingt, eine Entscheidung zu verhindern bzw., in anderer Formulierung, eine NichtEntscheidung herbeizuführen. Bsp.: Konträre Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat bei
zustimmungspflichtigen Gesetzesvorhaben.
3.Es gelingt, die Agenda des öffentlichen Meinungsstreits zu beeinflussen bzw. zu
kontrollieren oder die Begriffe und Symbole des Nachdenkens und Streitens über
anstehende Entscheidungen zu besetzen oder zu prägen. Bsp.: „Lufthoheit über den
Stammtischen“.
Zentrale Fragen der politikwissenschaftlichen Analyse:
Wer hat welche und worauf gründende Chancen, was gegen wen durchzusetzen? Wo wurde
bzw. wird tatsächlich von wem gegen Widerstreben wessen was durchgesetzt, und wo
werden von wem zu wessen Nachteil welche Entscheidungen verhindert? Wer steigert durch
Prägung welcher Durchführungsmittel politischen Streits die Chance, welche Position gegen
wen durchzusetzen, oder versucht dies wenigstens? Wem wurden wie und zu welchen
Zwecken Machtbefugnisse übertragen? Wie steht es für wen um den Zugang zu
Machpositionen? Wie und von wem wird Machtausübung begrenzt und kontrolliert? Und
welche Rolle spielen Öffentlichkeit und politische Kommunikation als Machtressourcen?
Grundlagen der Macht eines Staates in der internationalen Politik:
Geographische Lage, natürliche Ressourcen, wirtschaftliche Kapazität, Militärpotenzial,
Bevölkerungsgröße, politische Kultur, Qualität der Diplomatie, Stabilität des
Regierungssystems
sowie
Qualität der Argumente, Bezug zu internationalen Normen (Völkerrecht),
Kreativität (neue Ideen), Kommunikations- bzw. Überzeugungsfähigkeit
Sechs Grundsätze des Realismus in der internationalen Politik:
nach Hans Morgenthau (1904-1980), in bzw. nach: Politics Among Nations (Macht und
Frieden, Gütersloh 1963):
1) Politik - wie auch Gesellschaft - wird von objektiven Gesetzen beherrscht. Ihr Ursprung
liegt in der menschlichen Natur. Diese wird durch drei Triebe bestimmt: Selbsterhaltung,
Fortpflanzung, Macht. Der Machttrieb ist das konstitutive Element der Politik (wie Energie für
die Physik).
2) Menschen (und Staaten) handeln rational. Nur so kann man Politik erklären und
voraussehen: „Tatsachen feststellen und ihnen durch Vernunft Sinn verleihen.“
3) Macht und Interesse sind die beiden zentralen Begriffe des Realismus - basierend auf den
Definitionen von Max Weber. Politisches Interesse ist Staatsinteresse. Es geht um
„Staatsräson“ (Friedrich Meinecke) im Sinne der Behauptung und Vermehrung von Macht.
Der Staat ist nicht „die Wirklichkeit der sittlichen Idee“ (Hegel), von Freiheit und Fortschritt.
Politik soll sich von Vernunft und Erfahrung leiten lassen.
4) Allgemein sittliche Grundsätze können auf politisches Handeln nicht angewandt werden =
Trennung von Ethik und Moral (Machiavelli). Die höchste Tugend sei politische Klugheit
(nicht Moral), d.h. das Abwägen der Folgen alternativer politischer Handlungen.
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5) Der Realismus lehnt es ab, das sittliche Streben einer Nation mit den sittlichen Gesetzen,
die die Welt beherrschen (sollen), gleichzusetzen = Verzicht auf universell gültige Ideologien
(um moralische Exzesse und politische Torheiten zu vermeiden).
6) Die Politik darf die gleiche Eigengesetzlichkeit beanspruchen wie Ökonomie (Wohlstand),
Jurisprudenz (Rechtmäßigkeit) ...: „Welche Wirkungen hat eine Politik auf die Macht des
Staates?“
Zusammenfassung:
1.
Die großen Theoretiker der Ideengeschichte haben Antworten auf Fragen und
Probleme ihrer Zeit gefunden, die bis heute Gültigkeit für demokratisch verfasste
Staaten haben.
Das MINK-Schema umfasst die zentralen Begriffe, mit denen sich Politikwissenschaft
auseinandersetzt: Macht, Interesse (Ideologie), Norm, Kommunikation.
Eine zentrale Rolle spielt der Machtbegriff z.B. im klassischen Realismus, bei dem
Macht als zentrale Kategorie das außenpolitische Verhalten von Staaten bestimmt,
das analog zum Verhalten der Menschen gesehen wird.
2.
3.
Achtung: Vorlesung am 13.11.08 muss leider ausfallen.
3. Vorlesung (20.11.): Politische Theorie und Ideengeschichte II
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MINK-Schema: Ideologie (Interesse, Identität, Ideen)
Beispiel: Totalitarismus
MINK-Schema: Normen
Beispiel: Internationale Regime
MINK-Schema: Kommunikation
Drei Schulen der Politikwissenschaft
Politisches System und Politikfeldanalyse
Grundzüge des deutschen Verfassungssystems
Vier Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes
Zusammenfassung
MINK-Schema: Ideologie (Interessen, Identität, Ideen):
„Interessen (materielle und ideelle), nicht Ideen,
beherrschen unmittelbar das Handeln der Menschen.
Aber die ´Weltbilder`,
welche durch Ideen geschaffen wurden,
haben sehr oft als Weichensteller
die Bahnen bestimmt,
in denen die Dynamik der Interessen
das Handeln fortbewegte.“
Max Weber
Weiter Ideologiebegriff: Weltbild oder Weltanschauung - die vereinfachende und selektive
Weise der Wahrnehmung des Umfelds
Enger Ideologiebegriff: Operationswirklichkeit (die Wirklichkeit in der wir handeln) und
Perzeptionswirklichkeit (die selektive Abbildung der Operationswirklichkeit beim Individuum)
Ideologie im Sinne „falschen Bewusstseins“ ist eine Perzeptionswirklichkeit, welche die
Operationswirklichkeit unrichtig wiedergibt.
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Thomas Theorem: Wenn Menschen eine Situation als so oder anders beschaffen definieren
und dementsprechend handeln, dann sind die Folgen solchen Handelns real, ganz gleich wie
irreal die Situationsdefinition war. Politisches Handeln verursacht regelmäßig unerwartete
Nebenwirkungen = Eigendynamik politischen Handelns.
Fragen: Wie ist die Perzeptionswirklichkeit der Akteure? Aus welchen Gründen weicht sie
von der Operationswirklichkeit ab? Wie lassen sich die Abweichungen vermindern?
Beispiel: Totalitarismus:
Sechs Systemmerkmale:
1. Eine umfassende politische IDEOLOGIE
2. Eine hierarchische Einheits-PARTEI mit einem autoritären FÜHRER – der Bürokratie
übergeordnet
3. Terror und TERRORSYSTEM gegen „feindliche“ Gruppen bzw. „Rassen“
(Sündenböcke)
4. Staatliches NACHRICHTENMONOPOL (Propaganda)
5. Staatliches WAFFENMONOPOL
6. Zentrale Kontrolle der WIRTSCHAFT
(Nach: Friedrich/Brzezinski (1956): Totalitarian Dictatorship and Autocracy)
MINK-Schema: Normen:
Normen sind einerseits konkrete Regelungen, die das Leben und Zusammenleben von
Menschen prägen, indem sie dem sozialen bzw. politischen Handeln zugrunde gelegt
werden. In dieser Rolle sind sie teils Ausdruck von Werten, deren Verwirklichung sie
ermöglichen sollen (Normen als Bestandteile von Ethos, Ethik und Moral), teils Folgen von
Zweckmäßigkeitsüberlegungen (Normen als Konkretisierung von Taktik und Strategie).
Beispiele: Gesetze und Höflichkeitsregeln, Verwaltungsvorschriften und Tabus
Andererseits sind Normen Interpretationshilfsmittel. Anhand von Wissen über verfügbare
und geltende Regeln interpretieren Menschen das Handeln anderer Menschen und stellen
ihr eigenes Handeln darauf ab. Normen sind ein wichtiger Faktor der Konstruktion sozialer
wie politischer Wirklichkeit.
Beispiele: Kopfnicken als Grußritual, Oppositionsattacken im Parlament, Händeschüttlen
Fragen: Welche Regeln werden von den politischen Akteuren erwartet, welche werden
befolgt und inwiefern beeinflussen sie den Prozess der Hervorbringung, Aufrechterhaltung,
Veränderung oder Zerstörung politischer Wirklichkeit? Welche Wertvorstellungen und
Regelungsbedürfnisse werden für das Ziel der ´guten´ Ordnung von Staat und Gesellschaft
benötigt?
Beispiel: Internationale Regime:
„Regimes can be defined as sets of implicit or explicit principles, norms, rules, and decisionmaking procedures around which actors´ expectations converge in a given area of
international relations.“
(Quelle: Stephen D. Krasner (1983): International Regimes)
Ziel: Erforschung von formeller und informeller Kooperation im Umfeld internationaler
Verträge und Organisationen
1. Prinzipien (Grundsätze und Ziele)
2. Normen (Wertvorstellungen)
3. Regeln (Vertragliche Vorschriften und Bestimmungen)
10
4. Entscheidungsverfahren (Modalitäten der Entscheidungsfindung und des Umgangs
mit Dissens
Beispiel: Welthandelsregime (WTO)
MINK-Schema: Kommunikation:
Definiert als der Austausch von Informationen und Sinndeutungen durch persönliches
Gespräch oder über Medien aller Art
Neue Qualität für kommunikative Grundlagen von Staat und Gesellschaft durch das
Aufkommen der Massenkommunikationsmittel Presse, Hörfunk, Fernsehen und Internet.
Die Prozesse der Konstruktion politischer Wirklichkeit sind im Kern
Kommunikationsprozesse (kommunikatives Handeln als ´Kitt, der eine Gesellschaft
zusammenhält´). Folglich muss jede Betrachtung von Politik auch die Untersuchung von
Inhalten, Prozessen und Strukturen der Kommunikation beinhalten.
Gegenstände der politikwissenschaftl. Kommunikationsanalyse: die Inhalte personaler
oder massenmedialer Kommunikation, Nachrichtenwerte und Themenkarrieren,
Schweige- und Redespiralen, die unmittelbaren und langfristigen Wirkungen von
Massenmedien; die Selektion und Aufbereitung von Informationen in den Massenmedien,
das Vokabular und die Verwendung politischer Sprache in privater und öffentlicher Rede,
in Alltag, Literatur und Theater; die Nutzung von politischen Symbolen (Fahnen, Wappen,
Architektur, Bilder, Plakate, Statuen, Filme, Musik, Denkmale und Erinnerungsstätten).
Politikwissenschaftl. Forschungsbereiche: Systemtheorie, Diskursanalyse,
Sprachanalyse, politische Symbolforschung, politische Ikonographie und Ikonologie,
politische Propaganda, politische Kultur, praktische Geschichts- und Erinnerungspolitik
Fragen: Wer kommuniziert mit wem auf welchen ´Kanälen´, worüber, aus welchem
Grund, mit welchem Zweck und mit welcher Wirkung?
Drei Schulen der Politikwissenschaft:
1) Die normativ-ontologische Schule
Andere Bezeichnungen: Essentialistische oder praktisch-philosophische Schule - Suche
nach den ´guten´ Normen
Selbstverständnis: Politische Wissenschaft als Orientierungswissenschaft für die politische
Praxis
Gegenstandsbereich: Gedankliche Durchdringung und argumentative Rechtfertigung des
demokratischen Verfassungsstaates
Methode: Philosophische Analyse, Arbeit mit den „Klassikern“ der Ideengeschichte, eigene
Theoriebildung
2) Die empirisch-analytische Schule
Andere Bezeichnung: Rationalistische Schule - logisch richtige Problemlösungen erarbeiten
Selbstverständnis: Anders als ideologisch angeleitete Politik durch empirische Analyse die
Probleme der Operationswirklichkeit lösen (Problemlösungswissenschaft)
Gegenstandsbereich: Praxisnützliche Analysen politischer Probleme und daraus abgeleitete
Empfehlungen
Methode: Empirische Sozialwissenschaft, Rationalitätsannahme, Werturteilsfreiheit,
Statistische Verfahren
3) Die historisch-dialektische Schule
Andere Bezeichnungen: Kritisch-dialektische oder kritisch-praktische Schule - die
Wechselwirkungen von Einzelprozessen und Einzelstrukturen im historischen Kontext
erkennen und daraus Folgerungen ableiten
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Selbstverständnis: Emanzipationswissenschaft
Gegenstandsbereich: Kritik an den bestehenden wirtschaftlichen, politischen, sozialen und
kulturellen Verhältnissen
Methode: Dialektischer bzw. historischer Materialismus, politische Ökonomie, kritische
Theorie
Politisches System und Politikfeldanalyse: Abhängige und unabhängige Variable:
1) Politisches System als abhängige (zu erklärende) Variable:
• Erklärungsgegenstand ist die spezifische Ausformung des bestimmten politischen
Systems
• Das Zustandekommen des spezifischen politischen Systems soll erklärt werden
• Durch welche Faktoren wird das politische System bestimmt? Durch die
Verfassungen, Institutionen und realen Prozesse und Prozeduren in Vergangenheit
und Gegenwart?
2) Politisches System als unabhängige (erklärende) Variable (=
Politikfeldanalyse):
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•
•
Erklärungsgegenstand ist die Leistungsfähigkeit des politischen Systems in
unterschiedlichen Bereichen
Die Auswirkungen des politischen Systems auf unterschiedliche Bereiche
Welche Wirkungen hat das politische System in den verschiedenen Politikfeldern?
Welche konkreten Politikinhalte, Leistungen und Ergebnisse werden vom politischen
System erbracht?
Zielsetzung für die Analyse des politischen Systems:
Die Darstellung des politischen Systems muss mehr sein als eine solche der staatlichen
Institutionen, andererseits weniger als eine der gesamten Gesellschaft. Sie hat diejenigen
Akteure und Handlungszusammenhänge vorzustellen, über die gesamtgesellschaftlich
verbindliche Entscheidungen bewusst beeinflusst, legitim herbeigeführt und in der
Gesellschaft durchgesetzt werden.
Grundzüge des deutschen Verfassungssystems:
Zum Verständnis einer Verfassungsordnung müssen die historischen Konstellationen
während der Entstehung und die prägenden Einflussfaktoren beachtet werden.
Historische Konstellationen:
• Gründungsanstoß und Vorbehalt der Genehmigung durch westliche
Besatzungsmächte vor dem Hintergrund der totalen Niederlage und des beginnenden
Ost-West-Konflikts
• Vorgabe der Prinzipien von Demokratie und Föderalismus durch die
Besatzungsmächte
• Folgerungen aus dem Scheitern der Weimarer Republik
Prägende Einflussfaktoren:
• Bundesstaatlichkeit (Delegierte zum Herrenchiemsee-Konvent kamen aus den seit
1946/47 bestehenden Ländern)
• Einfluss der politischen Parteien
Verfassungskern erklärbar aus der doppelten Konfrontation mit dem
Nationalsozialismus der Vergangenheit und dem Kommunismus der Gegenwart
Verfassungskern des GG:
12
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Festschreibung der unabänderlichen, d.h. durch keine Mehrheit aufhebbaren
Verfassungsprinzipien: Prinzip der Menschen- und Grundrechte, der Demokratie,
des Rechts-, des Bundes- und des Sozialstaates (Art. 79 Abs. 3 in Verbindung mit
Art. 1 und Art. 20 GG)
Zusammenfassung:
1. Die Perzeptionswirklichkeit erfolgloser Politiker entspricht nicht der
Operationswirklichkeit der Politik.
2. Die drei Schulen der politikwissenschaftlichen Analyse beschreiben unterschiedliche
Vorstellungen von der Disziplin sowie von den Aufgaben der Disziplin.
3. Für die sozial- und politikwissenschaftliche Analyse ist die Unterscheidung in
abhängige (zu erklärende) und unabhängige (erklärende) Variablen elementar.
Beides sollte nicht vermischt werden.
4) Vorlesung (27.11.): Regierungslehre Bundesrepublik Deutschland I
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Vier Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes
Föderalismus
Spektren des Föderalismus
Probleme und Entwicklungstendenzen des Föderalismus
Politikverflechtungsfalle
Föderalismusreform
Probleme des bundesdeutschen politischen Systems: „Kommissionitis“
Policy-Analyse
Zusammenfassung
Vier Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes:
1) Parlamentarisches Regierungssystem
nur der Bundestag verfügt im Bund über eine direkt auf das Volk zurückgehende
Legitimation (Weimar: Parlamentarismus, Plebiszit, Präsidialmacht)
2) Primat individualbezogener Grundrechte
Grundrechte- statt lediglich Rechtsstaat (Unabhängigkeit der Gerichte, Gleichheit vor
dem Gesetz, Gesetzesbindung der Behörden, Willkürverbot), unmittelbar geltende
Grundrechte, starke Verfassungsgerichtsbarkeit
3) Föderalismus
Rückkehr zur deutschen Verfassungstradition nach dem Einheitsstaat während der
nationalsozialistischen Herrschaft, aber auch Machtstreuung, um freiheitliche
Demokratie zu stützen und den Sicherheitsbedürfnissen der Nachbarn
entgegenzukommen; Mitwirkung der Landesregierungen bei der
Bundesgesetzgebung und Ausführung von Bundesgesetzen durch die Bundesländer
4) Sozialstaatspostulat
Sozialbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2) und Möglichkeit der Sozialisierung von
Produktionsmitteln gegen Entschädigung (Art. 15) legen GG nicht auf eine bestimmte
Wirtschafts- und Sozialordnung fest (Weimar: Ankündigung von Wirtschaftsräten enttäuschte Erwartungen bei der Linken, Aversionen bei der Rechten)
DRIS – Demokratischer Rechts- und Interventionsstaat
Föderalismus:
Ziel:
Gewisse Einheit mit gewisser Vielfältigkeit verbinden. Machtaufgliederung mittels vertikaler
Gewaltenteilung (und Schutz von Minoritäten mittels territorialer Eigenständigkeit) und
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Integration heterogener Gesellschaften, wobei meist ökonomische (aber auch politische und
militärische) Integration bei gleichzeitiger soziokultureller Eigenständigkeit und/oder
politischer Autonomie der Gliedstaaten/Provinzen/Länder angestrebt wird.
Definition:
Man kann verfassungsrechtlich-institutionell von Föderalismus sprechen, wenn in einem
politischen System die entscheidenden Strukturelemente des Staates (Exekutive,
Legislative, Gerichtsbarkeit, Bürokratie, Polizei etc.) auf beiden Regierungsebenen
vorhanden sind, ihre Existenz verfassungsrechtlich geschützt ist und durch Eingriffe der
jeweils anderen Ebene nicht beseitigt werden kann.
Spektren des Föderalismus:
Föderation als bipolares Kontinuum:
Die Extreme sind die Allianz bzw. der Einheitsstaat.
zentrifugaler
Föderalismus
Eigenständigkeit
und Vielfalt als
oberste Ziele
Staaten- konföderaler
unitarischer
bund
Bundesstaat
Bundesstaat
zentripetaler
Integration und
Gleichheit als
oberste Ziele
dezentraler
Einheitsstaat
Probleme und Entwicklungstendenzen des Föderalismus:
Ausdehnung der Staatstätigkeit im Zuge der Entwicklung zum sozialen Wohlfahrts- und
Leistungsstaat (DRIS) führte bis zum Beginn der 80er Jahre zu:
•
Konflikten um die Finanzverfassung, die Verteilung der Steueraufkommen und den
Finanzausgleich - vertikal zwischen Bund und Ländern/Kommunen sowie horizontal
zwischen den Ländern (Länderfinanzausgleich)
•
Einflussverlust der einzelstaatlichen Parlamente
•
Zunahme der Kooperation und Verflechtung der von der Exekutive beschickten
Systemebene (Konferenzen und Gremien auf der Minister- wie BürokratenExpertenebene)
Politikverflechtungsfalle:
Fritz W. Scharpf (1988): The Joint-Decision Trap
Einerseits war die Verflechtung im bundesrepublikanischen Föderalismus besser als bei
zentralistischen politischen Systemen dazu in der Lage, durch institutionelle Fragmentierung
und vertikale Differenzierung die Kosten zu verteilen und die unlösbaren Probleme durch
„Bearbeitung“ und Verschiebung von einer Systemebene zur anderen zu entschärfen.
Andererseits führt der Aushandlungszwang in der Form des Allparteienkompromisses
(Vermittlungsausschuss) zu Konfliktvermeidung, Innovationsstau und zur politischen
Immobilität, woraus sich mittelfristig Legitimationsprobleme ergeben können.
Föderalismusreform:
„Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen
Ordnung“ seit 07.11.2003
•
Ziel: Antworten auf die Frage, wer für was zuständig ist und wer für welche
Entscheidungen die Verantwortung trägt
•
Kontinuierlicher Trend zur Ausweitung der Zuständigkeiten des Bundes (verkappter
Einheitsstaat)
14
•
Bund dominiert auch durch die Gemeinschaftsaufgaben bzw. die Mischfinanzierung
(Hochschulbau, Küstenschutz, Wirtschafts- und Forschungsförderung)
„Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen
Ordnung“ seit 07.11.2003
•
Der Finanzausgleich bestraft die erfolgreichen Länder und begünstigt die Länder, die
sich selbst an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht haben
•
Problem eines übermächtigen Bundes bei Gesetzgebung und Finanzen (Haushalts-,
Konjunktur- und Steuerpolitik)
•
Der spezifisch deutsche Kooperativ- oder Verbundföderalismus
•
•
•
•
Mängel des Kooperativföderalismus: 1) Undurchdringliches Geflecht der BundLänder-Zusammenarbeit, bei der die Verantwortlichkeiten verschwimmen; 2) Zerstörung des Gleichgewichts zwischen Bundesstaat und Gliedstaaten, weil
Länderparlamente entmachtet werden, während die Länderregierungen mehr
Mitwirkungsrechte über den Bundesrat gewannen (= Trend zum Exekutivföderalismus)
Bundesratsblockaden verzögern das Regierungshandeln, verschärfen den
Reformstau und verschleiern die politische Verantwortung, die in das hinter
verschlossenen Türen tagende Ersatzparlament namens Vermittlungsausschuss
verlegt wird
Gegenmodell zum deutschen Kooperativföderalismus ist der
Wettbewerbsföderalismus: USA, Schweiz, Kanada, Australien haben saubere
Trennung der Länder- von der Bundesebene mit klaren Kompetenzzuweisungen und
Verzicht auf das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse
Im Wettbewerbsföderalismus gibt es eigene Besteuerungsrechte der Länder
(stärkeres Selbstbewusstsein und Eigenverantwortung, aber auch Akzeptanz der
Unterschiede in der wirtschaftlichen und fiskalischen Leistungsfähigkeit - der Preis
der Freiheit: Unterschiedliche Bezahlung der Länderbediensteten und schwankende
Steuertarife) und Gesetzesautonomie (Subsidiaritätsprinzip wird ernst genommen)
Föderalismusreform I: Die Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung (in Kraft am
01.09.2006):
•
Polizei ist grundsätzlich Ländersache (für die Abwehr der Terrorgefahr bleibt das BKA
zuständig)
•
Naturschutz und Landschaftspflege werden von der Rahmengesetzgebung in die
konkurrierende Gesetzgebung verlagert (wenn der Bund kein Bundesgesetz erlässt,
haben die Länder das Gesetzgebungsrecht)
•
Hochschulrecht wird auf die Länder übertragen (außer Hochschulzulassung und
Hochschulabschlüsse)
•
Beamtenrecht für Landes- und Kommunalbeamte geht in die Kompetenz der
einzelnen Bundesländer über
Föderalismusreform II: Die Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen (noch
offen):
•
Stärkung der Eigenverantwortung der Gebietskörperschaften und ihrer
aufgabenadäquaten Finanzausstattung
•
Wie mit dem Nord-Süd-Gefälle umgehen? Wie die annähernd gleichen
Lebensverhältnisse sicherstellen?
Probleme des bundesdeutschen politischen Systems: „Kommissionitis“:
15
Zunahme der „Expertenkommissionen“ als Problem mangelnder demokratischer
Legitimation?
•
Vielzahl der „Expertenkommissionen“ – Weizsäcker, Hartz, Rürup etc.
•
Unterscheidung von Input- und Output Legitimität
•
Demokratietheoretische (Intransparenz) und effizienzorientierte (Politikverflechtung)
Einwände
•
Begründung: Nur beratende Gremien können die legitime Partizipation der Bürger
und Interessengruppen einerseits und die notwendige fachliche Expertise
andererseits organisieren
•
Das Modell einer diskursiven Politikgestaltung zur Modernisierung der politischen
Entscheidungsvorbereitung in der entstehenden Bürgergesellschaft
•
Von der „Berater- und Verbandsrepublik“ zum organisierten Dialog
Policy-Analyse:
Analyse der politischen Geschehnisse in einem bestimmten Politikfeld in zeitlicher Sequenz:
•
Problemdefinition
•
Agenda-Setting
•
Entscheidung
•
Implementierung
•
Evaluierung
•
(Wiederholung)
Zusammenfassung:
1.
Auch die vier zentralen Verfassungsprinzipien des GG sind als Reaktion auf die
Probleme bzw. das Scheitern der Weimarer Republik sowie auf die Exzesse der NaziDiktatur zu verstehen
Als föderaler Staat ist Deutschland eher dem Kooperativ- als dem
Wettbewerbföderalismus zuzuordnen. Daran hat auch die Föderalismusreform nichts
geändert.
„Expertenkommissionen“ beinhalten immer die Gefahr der mangelnden
demokratischen Legitimation, da auf diese Weise das Parlament zu leicht
übergangen werden kann.
2.
3.
5) Vorlesung (04.12.): Regierungslehre Bundesrepublik Deutschland II
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Funktionen des Parlaments
Funktionen moderner politischer Parteien
Typen politischer Parteien
Kritik am Parteiensystem
Die Bundesrepublik als „Kanzlerdemokratie“
Perspektiven des politischen Systems der Bundesrepublik
Forschungsfelder der vergleichenden Regierungslehre
Methoden der vergleichenden Regierungslehre
Typen politischer Systeme
Begriffe in der Transitionsforschung
Drei Wellen der Demokratisierung
Das Beispiel Afrika
Zusammenfassung
16
Funktionen des Parlaments:
1.
2.
3.
4.
5.
Artikulationsfunktion
Wahlfunktion
Kontrollfunktion
Legislativfunktion
Initiativfunktion
(nach Walter Bagehot, Uwe Thaysen)
Funktionen moderner politischer Parteien:
1.
2.
3.
4.
Zielfindungsfunktion (Programmatik)
Artikulations- und Aggregationsfunktion
Mobilisierungs- und Sozialisationsfunktion
Elitenrekrutierungs- und Regierungsbildungsfunktion
(nach Klaus von Beyme)
Funktionswandel oder Funktionsverlust der politischen Parteien?
Typen politischer Parteien:
1. Liberale Parteien (gegen feudalistisch-aristokratische Regierungen)
2. Konservative Parteien (gegen Veränderungen, pro status quo)
3. Arbeiterparteien (gegen bürgerlich-kapitalistisches System)
4. Agrarparteien (gegen Industrialisierung)
5. Regionale Parteien (gegen Zentralismus)
6. Religiöse Parteien (gegen Laizismus)
7. Kommunistische Parteien (gegen Sozialdemokratie)
8. Faschistische Parteien (gegen Demokratie)
9. Protestparteien (gegen bürokratische Wohlfahrtsstaaten)
10. Umweltparteien (gegen Wachstumsgesellschaft)
Kritik am Parteiensystem:
1. Die politischen Parteien wirken nicht nur an der politischen Willensbildung mit (Art. 21
GG), sondern sind vielmehr zu Monopolisten der Politik geworden
2. Sie nehmen für sich in Anspruch, für das Ganze und nicht nur für einen Teil der
Gesellschaft zu sprechen
3. Selbstbedienungsmentalität der Parteien (Parteienfinanzierung)
4. Parteien haben sich abgekoppelt und führen ein von der gesellschaftlichen
Wirklichkeit isoliertes Leben
Die Bundesrepublik als „Kanzlerdemokratie“:
Institutionelle Voraussetzungen:
Art. 65 GG: „Richtlinienkompetenz“ des Kanzlers
Art. 67 GG: „Konstruktives Mißtrauensvotum“
•
Verschiebung der Kompetenzen von den Ministern und dem Kabinett zum Kanzler –
Bundeskanzleramt als Steuerungszentrale der Regierungspolitik
Aber:
• Abhängigkeit von Koalitionspartnern, Probleme des Föderalismus, parlamentarische
und verfassungs-rechtliche Kontrolle, starke Stellung der Europäischen Zentralbank
17
Perspektiven des politischen Systems der Bundesrepublik:
Wandel von Staat und Gesellschaft: Der Staat ist nicht mehr nur Schiedsrichter und
alleiniger Inhaber legitimer politischer Gewalt, sondern Gestalter des gesellschaftlichen Zusammenlebens – Scharnier- bzw. Mediatorenfunktion
• Nicht allein der Wähler, sondern gesellschaftliche Gruppen in Form von Verbänden,
pressure groups, Nicht-Regierungsorganisationen und „sozialen Bewegungen“
bestimmen wesentliche Inhalte und Ziele der Politik
• Bewahrung des Bewährten oder Reformunfähigkeit?
• Kritik an der Macht der Verbände und organisierten Interessen,
Politikverflechtungsfalle im kooperativen Föderalismus, „Parteienstaat“, fehlende
direkte Beteiligung der Bürger etc.
Dennoch:
• Konsolidierte Demokratie, die Belastungs- und Anpassungsfähigkeit in zahlreichen
Krisen und Umbruchsituationen unter Beweis gestellt hat
• Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft: Wandel der Wirtschaftsstrukturen
und der sozialen Sicherungssysteme, TOK, transnationaler Terrorismus, europäische
Einigung etc.
•
Forschungsfelder der vergleichenden Regierungslehre:
1. Politische Soziologie
2. Erforschung politischer Kommunikation, Propaganda und Sprache
3. Erforschung politischer Kultur
4. Politische Psychologie
5. Erforschung politischer Sozialisation
6. Elitenforschung
7. Erforschung sozialer Bewegungen
8. Verbändeforschung
9. Parteienforschung
10. Wahlforschung
11. Parlamentarismusforschung
12. Regierungslehre
13. Politische Verwaltungsforschung
14. Erforschung ‚lokaler Politik‘
15. Föderalismusforschung
16. Politische Rechtslehre
17. Theoriebildung
18. Transitionsforschung
Methoden der vergleichenden Regierungslehre:
Definiton: Die vergleichende Methode
• “Die Vergleichende Methode bezeichnet die bewusste, explizite und systematischr
empirische Untersuchung von mindestens zwei natürlichen Fällen hinsichtlich eines
bestimmten Zwecks.”
• Was kein Vergleich ist:
Äpfel und Birnen
•
•
Vergleichen bedeutet nicht Gleichsetzen in jeder Hinsicht
Jeder gute Vergleich ist eine Mischung aus Ähnlichkeit und Differenz (i.d.R. mehr
Ähnlichkeit besser)
Spannbreiten der sozialwissenschaftlichen Untersuchung:
18
•
•
•
•
•
•
N = 1 (Einzelfallstudie)
Small N (Qualitativer Vergleich – vergleichende Methode im engeren Sinne, i.d.R. 2
bis 6 Fälle)
Large N (Quantitativer Vergleich – sehr große Zahl von Daten und möglichst wenige
Variablen zur Bestimmung von Korrelationen)
Achtung: Korrelation ist nicht gleich Kausalität!
Experiment (künstliche Bedingungen)
Theoretische Reflektion (normativ-ontologisch ohne systematische empirische
Überprüfung
Nur Small N-Studien und als Ausnahmefall N = 1-Studien, wenn sie diachron angelegt sind,
gelten als Vergleiche
Differenzmethode (MSSD – most similar systems design):
Auswahlkriterien:
• Ähnlichkeit bei Kontextvariablen
• Differenz in der Ausprägung der operativen Variablen (AV/UV)
Vorteile:
• Isolierung von Kausalbeziehungen
• Generierung und Modifizierung von Hypothesen
Nachteile:
• Entsprechende Bedingungen liegen sehr selten vor
Beispiel: Vergleich im frankophonen Afrika von Ländern, deren Kontext ähnlich ist, die aber
bei Parteiensystem (UV) und Demokratieentwicklung (AV) Unterschiede aufweisen
Konkordanzmethode (MDSD – most different systems design):
Auswahlkriterien:
• Ähnlichkeit bei den operativen Variablen (AV/UV)
• Differenz bei Kontextvariablen
• Suche nach weiteren erklärenden Gemeinsamkeiten
Vorteile:
• Gewisse Fähigkeit zur Isolierung von Kausalbeziehungen
• Generierung und Modifizierung von Hypothesen
• Bedingungen liegen häufiger vor als bei MSSD
Nachteile:
• Wie der Name sagt – geeignet nur für Ausnahmen
• Entsprechende Bedingungen liegen selten vor
Beispiel: Frankophone, anglophone und lusophone Staaten Afrikas, die einen
unterschiedlichen Kontext haben, die aber hinsichtlich der schwachen wirtschaftlichen
Entwicklung (AV) und der dafür geltend gemachten Erklärungen wie Lage in den Tropen,
ethnische Heterogenität etc. (UV) ähnlich sind
Schlussfolgerungen aus den Überlegungen zur Vergleichsmethode:
• Es gibt kein universales „best design“
• Nur Annäherungen an die beiden Ideale sind möglich
• Das Forschungsdesign muss der Fragestellung und der empirischen Lage angepasst
werden
• Verschiedene Forschungsstrategien haben verschiedene Vor- und Nachteile
• „Für einen Hammer sind alle Probleme Nägel.“
Kombinationen verschiedener Strategien im Forschungsprozess (dabei zahlreiche
Varianten) möglich und sinnvoll
Das Gleichnis
Wie wenn da einer, und er hielte
ein frühgereiftes Kind, das schielte,
19
hoch in den Himmel und er bäte:
„Du hörst jetzt auf den Namen Käthe!“ –
Wär‘ dieser nicht dem Elch vergleichbar,
der tief im Sumpf und unerreichbar
nach Wurzeln, Halmen, Stauden sucht
und dabei stumm den Tag verflucht,
an dem er dieser Erde Licht...
Nein? Nicht vergleichbar? Na, dann nicht!
Robert Gernhardt
Typen politischer Systeme:
Ideale Demokratie
vs.
Perfektes totalitäres System
Kontinuum politischer Systeme
Demokratie Autoritäre Systeme Totalitäre Systeme
Vollkommene Demokratie
Polyarchie
Defekte Demokratie
Realtypen:
Mehrheitsdemokratie
Konsensdemokratie
Autoritäre Systeme:
Semiautoritäre Systeme
Autoritäre Systeme
Prätotalitäre/Posttotalitäre Systeme
Realtypen:
Kommunistisch-autoritäre Regime
Faschistisch-autoritäre Regime
Militärregime
Korporatistisch-autoritäre Regime
Rassistisch-autoritäre Regime
Autoritäre Modernisierungsregime
Theokratisch-autoritäre Regime
Dynastisch-autoritäre Regime
Begriffe in der Transitionsforschung:
1.
2.
3.
4.
Systemwandel (evolutionärer Wandlungsprozess)
Systemwechsel (Entstehung eines anderen Systemtypus)
Transition (Wandlungsprozess in Richtung Demokratie)
Doppelte Transition (Übergang zur Demokratie und von der sozialistischen
Planwirtschaft zur kapitalistischen Marktwirtschaft)
5. Transformation (Oberbegriff für alle Formen und Aspekte des Systemwandels und
des Systemwechsels)
Zusammenfassung:
1. Die politischen Parteien haben zwar eine im Grundgesetz bewusst verankerte Rolle
im politischen System der Bundesrepublik, sie werden aber aufgrund der
Selbstbedienungsmentalität und der ständigen Gefahr der Abkopplung von den
realen Lebensverhältnissen kritisiert.
20
2. Die Bundesrepublik verfügt über eine konsolidierte Demokratie, die schon in vielen
Krisen- und Umbruchsituationen ihre Belastbarkeit und Anpassungsfähigkeit
bewiesen hat.
3. Der Vergleich ist als zentrale Methode der Analyse politischer Systeme immer nur als
Annäherung an ein anspruchsvolles Ideal vorstellbar.
6. Vorlesung (11.12.): Vergleichende Regierungslehre
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Drei Phasen in der Transition
Drei Wellen der Demokratisierung
Beispiel: Transition in Afrika südlich der Sahara
Transformationstheorien
Die Lipset-These: Wohlstand und Demokratie
Demokratieförderung USA und EU im Vergleich
Zentrale Herausforderungen der Konsolidierung
Defekte Demokratien
Hybride Regime
Erklärungsvariable Neopatrimonialismus
Zusammenfassung
Drei Phasen in der Transition:
1.
2.
3.
Ende des autokratischen Regimes und Beginn der Liberalisierung
Institutionalisierung der Demokratie durch Verfassungskonferenz und freie Wahlen
(= Transition im engeren Sinne, Gründungswahlen)
Konsolidierung der Demokratie (Nach zweiten erfolgreichen Wahlen? Nach
zweimaligem Regierungswechsel? Nach Erstarken der Zivilgesellschaft?)
Drei Wellen der Demokratisierung:
Erste Welle: 1828-1922 (19. Jahrhundert bis Ende des Ersten Weltkriegs)
Zweite Welle: 1943-1962 (Ende des Zweiten Weltkriegs bis Ende der ersten Phase der
Entkolonialisierung)
Dritte Welle: 1974-(1993) (Transition in Südeuropa bis Ende der Euphorie nach Ende des
Ost-West-Konflikts)
Beispiel: Transition in Afrika südlich der Sahara:
Entwicklung der politischen und bürgerlichen Freiheitsrechte, Anzahl der Länder
85/86 80/91 95/96 99/00 2003 2004 2005 2006
Frei
2
4
9
8
11
11 11 11
Teilw.
Frei
13
15
19
24
22
21 23 22
Unfrei 31
28
20
16
15
16 14
15
Quelle: Freedom House Index
Transformationstheorien:
1.Systemtheorien (Talcott Parsons, Niklas Luhmann)
21
2.Modernisierungstheorien (S. M. Lipset)
3.Strukturtheorien (neomarxistische, Barrington Moore)
4.Kulturtheorien (S. Huntington: „Clash of Civilizations“, P. Bourdieu: „Soziales Kapital“)
5.Akteurstheorien: Ansatzpunkt auf der Mikroebene der handelnden Akteure, zwei Hauptströmungen
•
eskriptiv-empirische: Die Liberalisierung ist Resultat rationaler Kostenkalküle seitens der
Regierung (O´Donnell/Schmitter)
•
rational-choice Ansätze: Transition entsteht nicht allein aufgrund von Interessen und
Strategien der Akteure, sondern als eine Abfolge strategischer Situationen; Demokratie ist
kontingentes Ergebnis politischer Konflikte (Przeworski)
Die Lipset-These: Wohlstand und Demokratie
Seymour Martin Lipset: „Political Man“ (1960) - ein modernisierungstheoretischstrukturalistischer Ansatz zur Erklärung der Entstehung und zum Erhalt von Demokratie:
„The more well-to-do a nation,
the greater the chances
that it will sustain democracy“
Die Stabilität einer Demokratie hängt ab von
•
dem wirtschaftlichen Entwicklungsstand,
•
der Effektivität der Regierung (gemessen an der Ansprüchen der Mehrheit) und
•
der Legitimität der Regierung (Fähigkeit zur Bewältigung von Strukturkonflikten in der
Gesellschaft)
Es gibt sechs begünstigende Faktoren von Demokratie:
1.
ein relativ hohes Niveau sozioökonomischer Entwicklung in einer kapitalistischen
Marktökonomie (Indikatoren: BSP und Massenkommunikation, Industrialisierung,
Ausbildungsstand und Urbanisierung);
2.
eine große und wachsende Mittelklasse sowie eine Unterschicht, die auf ein hohes
Maß sozialer und wirtschaftlicher Sicherheit zählen kann;
3.
eine relativ offene Klassenstruktur mit mannigfachen Aufstiegschancen (vertikale
Mobilität);
4.
eine hoch entwickelte Beteiligung der Bürger in Verbänden und Vereinen;
5.
ein relativ hoher Ausbildungsstand und
6.
ein relativ egalitäres System von Werten.
Ist all dies gegeben, herrschen günstige Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung einer
funktionsfähigen Demokratie. Diese stabilisiert ihrerseits die zugrundeliegenden
Voraussetzungen und somit entsteht ein sich selbst verstärkender Kreislauf.
Die aktuelle Debatte:
Die VR China vs. Indien: Setzt wirtschaftliches Wachstum Demokratie voraus oder nicht?
•
Die VR China als attraktives Modell für viele autoritäre Staaten in der
Entwicklungsländerweilt – Einparteienherrschaft und wirtschaftlicher Erfolg
(Entwicklungsdiktatur)
•
Indien als „alte“ Demokratie, bei der Massenarmut und wirtschaftlicher Erfolg
nebeneinander existieren
Demokratieförderung USA und EU im Vergleich :
Demokratieförderung der USA in der arabischen Welt basierend auf drei Annahmen:
1)
Die Menschen im Nahen Osten bevorzugen eine demokratische Regierungsform
22
2)
3)
Wahlen in der arabischen Welt bringen westlich orientierte Regierungen hervor
Demokratie ist vor allem das Ergebnis einer dynamischen Zivilgesellschaft
Annahmen, die sich in der Vergangenheit nicht erfüllt haben
Demokratieförderung der EU im 'near abroad', dem erweiterten Kreis der EU-Beitrittsstaaten:
1)
Im Mittelpunkt steht der Aufbau funktionierender Institutionen
2)
EU-Erweiterungspolitik dient dazu, die Führungsebenen zur Übernahme
europäischen Rechts und zur Konsolidierung demokratischer Prozesse zu bewegen
Kopenhagener Kriterien: Demokratie, Marktwirtschaft und ‘acquis communautaire’
Die EU setzt zu sehr auf die Erweiterungspolitik und dient eher der Stabilisierung
demokratischer Länder als der Herbeiführung eines Systemwechsels in nichtdemokratischen Staaten
Zentrale Herausforderungen der Konsolidierung:
Ursprungsannahme der Transition: Entweder rasches Durchlaufen der Phasen bis zur
Konsolidierung oder Rückfall in autoritäre Strukturen
Befund: Zahlreiche Staaten befinden sich im “Weder-Noch-Zustand”, sind dauerhaft weder
autoritär noch konsolidierte Demokratien
Breite Debatte um defekte, hybride, illiberale, unvollständige, problematische, kontrollierte,
restriktive, oligarchische, Fassaden-, Grauzonen- etc. Demokratien – Mehrparteiensysteme
mit Wahlen, die aber häufig nicht frei und fair sind
Entweder eigenständiger Typ (hybride Regime) oder Autokratie oder Demokratie – Debatte
hält an
Defekte Demokratien:
Systemtypen (nach W. Merkel)
Autokratie
1) Totalitäres Regime
Herrschaftslegitimation:
Weltanschauung (Ideologie)
Herrschaftszugang:
Geschlossen
Herrschaftsanspruch:
Unbegrenzt (total)
Herrschaftsmonopol:
Führer/Partei (keine Wahlen)
Herrschaftsstruktur:
Monistisch
Herrschaftsweise:
Willkürlich, systematisch, repressiv
Autokratie
2) Autoritäres Regime
Herrschaftslegitimation:
Herrschaftszugang:
Herrschaftsanspruch:
Herrschaftsmonopol:
Herrschaftsstruktur:
Herrschaftsweise:
Demokratie
Mentalitäten, Traditionen
Restriktiv
Umfangreich
Führer/Oligarchie (z.T. Wahlen)
Semipluralistisch
Begrenzt repressiv
23
3) Defekte Demokratie
Herrschaftslegitimation:
Herrschaftszugang:
Herrschaftsanspruch:
Herrschaftsmonopol:
Herrschaftsstruktur:
Herrschaftsweise:
Volkssouveränität
Offen
Rechtsstaatl., aber verletzte Grenzen
Durch Wahlen, aber Veto-Mächte
Pluralistisch
Eingeschränkt rechtsstaatlich
Demokratie
4) Rechtsstaatliche Demokratie
Herrschaftslegitimation:
Volkssouveränität
Herrschaftszugang:
Offen
Herrschaftsanspruch:
Rechtsstaatlich definiert und garantiert
Herrschaftsmonopol:
Durch Wahlen und Verfassung
legitimierte Autorität auf Zeit
Herrschaftsstruktur:
Pluralistisch
Herrschaftsweise:
Rechtsstaatlich
Hybride Regime:
Systemtypen (in Anlehnung an F. Rüb)
Autoritäres Regime:
Herrschaftslegitimation:
Begrenzter/Kontrollierter Pluralismus
Herrschaftsausübung:
Willkürlich und unbegrenzt
Herrschaftsstruktur:
„Formally ill-defined“, starke und
unkontrollierte Exekutive
Herrschaftsumfang:
Unbegrenzt (begrenzt nur durch
Hybrides Regime:
Herrschaftslegitimation:
Herrschaftsausübung:
Herrschaftsstruktur:
Herrschaftsumfang:
Demokratisches Regime:
Herrschaftslegitimation:
Herrschaftsausübung:
Herrschaftsstruktur:
Herrschaftsumfang:
Freie (in der Regel nicht faire) Wahlen,
plebiszitäre Repräsentation dominant
Herrschaft durch Recht (Dekrete,
Verordnungen, Generalklauseln)
„Formally ill-defined“, nur schwach
ausgeprägte horizontale Kontrolle der
Exekutive
Entgrenzt, weil rechtsstaatliche
Schranken und horizontale Kontrollen
nur gering ausgeprägt sind
Freie und faire Wahlen, repräsentativ
Herrschaft durch Recht (Grundlagen
des Rechts durch Parlamentsbeschluss legitimiert)
Klar definierte und funktionierende
horizontale Kontrolle der Exekutive
Herrschaft des Rechts – Legislative,
Verwaltung und Exekutive sind an
Recht und Verfassung gebunden
Erklärungsvariable Neopatrimonialismus:
24
Warum erweisen sich defekte Demokratien/hybride Regime als so widerstandsfähig gegen
die Konsolidierung?
Herrschaftstypen nach Max Weber: rationale, traditionale und charismatische Herrschaft
Patrimoniale als Form traditionaler Herrschaft: Der „Patron“ sorgt aufgrund der Tradition
(nicht aufgrund des Rechts) für die diversen Klienten in seinem Herrschaftsbereich
Neopatrimoniale Herrschaft: Die Koexistenz von moderner, rationaler Herrschaft mit
patrimonialen Strukturen: Durch Klientelismus und Nepotismus stellt der Patron, der legalrational legitimiert ist, das Wohl der Gruppe über das Wohl des Volkes
Zusammenfassung:
1.
2.
3.
Die politische Transition von einem autoritären Staat zu einer konsolidierten
Demokratie ist ein höchst voraus-setzungsvoller Prozess, der sich analytisch in drei
Phasen unterteilen lässt.
Die Lipset-These ist aktuell wie nie. Der relative Erfolg der VR China sieht aber
gegenwärtig eher die Argumente der Entwicklungsdiktatur bestätigt.
Nach dem Höhepunkt der „dritten Welle“ der Demokratie befasst sich die
Transitionsforschung gegenwärtig vor allem mit den defekten oder hybriden
Demokratien – solchen Regierungssystemen, in denen der Übergang von der
Autokratie zur Demokratie nicht gelingt.
7. Vorlesung (18.12.): Europäische Integration
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Zentrale Fragen der Integrationstheorien
Definitionen von Integration
Die drei Säulen der EU
Stufen der wirtschaftlichen und politischen Integration
Etappen der Europäischen Einigung
Fünf Phasen der politikwissenschaftlichen Analyse der EU
Was ist die EU?
Die Entscheidungsverfahren in der EU
Zusammenfassung
Zentrale Fragen der Integrationstheorien:
Mit integrationstheoretische Ansätzen werden folgende Fragen gestellt:
•
Motive: Welche Ursachen gibt es für die regionale Integration?
•
Prozess: Wie kommt es zur Vertiefung und Ausweitung der regionalen Integration?
•
Akteure: Welches sind die Hauptakteure im Integrationsprozess
•
Ziele: Wohin wird oder soll die regionale Integration führen?
Definitionen von Integration:
Integration
•
ist die friedliche und freiwillige Zusammenarbeit von Gesellschaften, Staaten und
Volkswirtschaften über bislang bestehende Grenzen hinweg,
•
bezieht sich sowohl auf einen bestimmten Zustand als auch auf den Prozess und die
Ziele dieser Entwicklung,
25
•
•
kann nach Integrationstiefe (Ausmaß der Integration) und Integrationsbreite (Zahl
der zu integrierenden Materien) unterschieden werden,
kann positiv (Schaffung gemeinsamer Institutionen und Treffen gemeinsamer
Entscheidungen) sowie negativ (Beseitigung von Hemmnissen und Schranken aller
Art) verstanden werden.
Stufen der wirtschaftlichen und politischen Integration:
Vorstufe: Präferentielle Handelsabkommen (PTA)
•
Freihandelszone: Absenkung bzw. Beseitigung von Binnenzöllen auf gemeinsames
niedrigeres Niveau
•
Zollunion: Vereinheitlichung der Außenzölle
•
Gemeinsamer Markt: Freie Mobilität der Produktionsfaktoren im europäischen
Binnenmarkt (Waren, Dienstleistungen, Personen, Kapital)
•
Wirtschafts- und Währungsunion: Harmonisierung bzw. Angleichung der
Wirtschaftspolitik und Einführung einer gemeinsamen Währung
•
Politische Union: Alle wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen
(einschließlich Außen- und Sicherheits-politik) werden auf europäischer Ebene
getroffen
(Nach: Balassa, Bela (1961): The Theory of Economic Integration. New York)
Die drei Säulen der EU:
•
Zollunion und Binnenmarkt
•
Agrarpolitik (GAP – Gemeinsame Agrarpolitik)
•
Strukturpolitik
•
Handelspolitik
•
Wirtschafts- und Währungsunion
•
Unionsbürgerschaft
•
Transeuropäische Netze
•
Verbraucherschutz
•
Grundsatzfragen im Gesundheitswesen
•
Forschung und Umwelt
1. Säule: Entscheidungsverfahren: Qualifizierte Mehrheit
2.Säule: Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)Außenpolitik:
•
Kooperation, gemeinsame Standpunkte und Aktionen
•
Friedenserhaltung
•
Menschenrechte
•
Demokratie
•
Hilfe für Drittstaaten
Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP):
•
alle die Sicherheit der Union betreffenden Fragen
•
Abrüstung
•
wirtschaftliche Aspekte der Rüstung (Auf- und Umrüstung)
•
Langfristig: Europäische Sicherheitsordnung
Entscheidungsverfahren: Regierungszusammenarbeit (Intergouvernementalismus)
3. Säule: Zusammenarbeit in der Innen- und Justizpolitik
•
Asylpolitik
•
Außengrenzen
26
•
•
•
•
•
Einwanderungspolitik
Kampf gegen Drogen
Bekämpfung des organisierten Verbrechens und des Terrorismus
Zusammenarbeit der Justiz in Zivil- und Strafsachen
Polizeiliche Zusammenarbeit
Entscheidungsverfahren: Regierungszusammenarbeit (Intergouvernementalismus)
Die Entscheidungsverfahren in der EU:
1.
Supranational (qualifizierte Mehrheitsentscheidungen) mit direktem Durchgriff auf
nationales Handeln (Richtlinien, Verordnungen, Entscheidungen des EUgH) in der 1.
Säule
Intergouvernementale Entscheidungen (Einstimmigkeit - Vetomöglichkeit für die
Mitgliedsländer, keine Zuständigkeit des EUgH) in der 2. und 3. Säule
Open Methode of Coordination (OMC), Empfehlungen (z.B. Bologna-Prozess)
Marktkonkurrenz bzw. Standortwettbewerb (Finanz- und Wirtschaftspolitik,
Sozialpolitik, Gesundheitspolitik)
2.
3.
4.
Fünf Phasen der politikwissenschaftlichen Analyse der EU:
1.
Föderalismus
• 40er bis Mitte der 50er Jahre
• „Function follows form“
• Politischer Willensakt, Schaffung einer Verfassung
• Ziel: Konstitutioneller Bundesstaat (nicht europäischer Superstaat)
2.
•
•
•
Funktionalismus
Mitte der 50er bis Ende der 60er Jahre
„Form follows Function“
Sachliche Probleme führen zu entsprechenden institutionellen Lösungen
27
•
•
3.
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•
•
•
4.
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•
•
5.
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•
•
•
•
Lernprozesse und Veränderungen von Interessenlagen fördern europäischen
Integrationsprozess
Ziel: Politische Union
Regimetheorie und Policy-Forschung
Anfang der 70er bis Mitte/Ende der 80er Jahre
Ist die EG ein internationales Regime?
Doppelcharakter des Integrationsprozesses (supranat. Rechtssystem und
zwischenstaatl. Entscheidungen)
Politikverflechtungsfalle
Politikfeldforschung: Problemdefinition, Setzung der Agenda, Verhandlung,
Entscheidung, Umsetzung, Kontrolle/Evaluation, Korrektur
Ziel: Offen
Supranat. vs. intergouvernement. Institutionalismus
Ende der 80er bis Mitte der 90er Jahre
Erklärung der neuen Dynamik über die supranationalen Institutionen und den Druck
der Interessenverbände oder über die Interessenkonvergenz der „großen drei“ (D, F,
GB)?
Verhandlungstheoretische Erklärungsmuster: Verhandlungspakete mit monetärer
Kompensation, strategischer Verknüpfung und Kuhhandel
Ziel: Offen
Regieren im europäischen Mehrebenensystem
Mitte der 90er Jahre bis heute
Analyse der europäischen Dimension auf den verschiedenen Ebenen (Kommunen,
Länder, Bundesstaat, in Brüssel)
Lösung bestimmter politischer Probleme statt Erklärung des Integrationsprozesses
Transformation von Staatlichkeit
Fragen der Internationalen Politik: Was treibt den Integrationsprozess? Wie weit kann
die Logik zwischenstaatlicher Politik in Europa dauerhaft außer Kraft gesetzt werden?
Fragen der „European Governance“: Welche Auswirkungen hat die de factoTransformation von Staatlichkeit auf die Lösung politischer Probleme?
Ziel: Offen
Was ist die EU?
Die EU ist kein internationales Regime, weil anders als bei „normalen“ internationalen
Regimen
•
die Kommission über eine Vertragswächter- und Integrationsmotorfunktion verfügt,
•
es in der EU eine eigenständige, übergeordnete Rechtsordnung gibt,
•
die EU über eigene Einnahmequellen verfügt und weil
•
in bestimmten Bereichen Mehrheitsentscheidungen möglich sind.
Die EU ist keine Föderation, weil
•
die genaue Kompetenzverteilung zwischen den Institutionen immer noch umstritten
ist,
•
die redistributive Ebene begrenzt ist und weil
•
der Legitimationsmangel bei der Bevölkerung fortbesteht.
Þ
Die EU als Institution sui generis.
Zusammenfassung:
1.
Die europäische Integration ist in erster Linie ein Friedensprojekt, mit dem ein Maß an
Aufgabe nationaler Souveränität erzielt wurde, das ohne Beispiel ist.
28
2.
Die Theorieentwicklung und die Debatten sind den politischen Veränderungen und
den Dynamiken des Integrationsprozesses stets gefolgt.
8. Vorlesung (08.01.): EU und Internationale Politik I
•
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•
•
•
Klausurvorbereitung
Gibt es ein Demokratiedefizit in der EU?
Reformvorschläge zur Demokratisierung der EU
Aktuelle Problembereiche der EU
Gegenstandsbereiche der Internationale Politik
Außenpolitik – Internationale Politik – Int. Beziehungen
Zur Geschichte der internationalen Beziehungen
Funktion und Bedeutung von (IB-)Theorien
Realismus
Varianten des realistischen Denkens in den IB
Liberalismus
Varianten des liberalen Denkens in den IB
Zusammenfassung
Klausurvorbereitung:
•
90 Minuten, 2 Multiple-Choice-Fragen (jeweils 5 Punkte), 4 Wissensfragen (jeweils 5
Punkte) sowie 2 Essayfragen (jeweils 15 Punkte)
•
Insgesamt 60 Punkte möglich, mindestens 30 für das Bestehen der Klausur
notwendig
• Beispiel für Multiple-Choice-Frage:
1. Multiple-Choice-Frage (1. Sitzung): Was ist mit der „cui-bono-Frage“ gemeint?
a) Wem nützt welche Politik, wem schadet sie?
b) Ob Bono von U2 als Entwicklungsaktivist den
Friedensnobelpreis bekommen kann?
c) Wer in der Politik unter welchen Bedingungen
einen Bonus erhalten kann?
• Beispiel für Wissensfrage:
1. Wissensfrage (1. Sitzung): Erläutern Sie den Unterschied zwischen „Politikkunde“
und „Politikwissenschaft“ und nennen Sie die drei „Politikdimensionen“.
• Beispiel für Essayfrage (1. Sitzung):
Erläutern Sie die Entwicklung der Disziplin Politikwissenschaft in Deutschland.
Gibt es ein Demokratiedefizit in der EU?
Die Frage nach der Legitimität der politischen Herrschaft in Europa
•
Legitimität = Rechtmäßigkeit politischer Herrschaft
•
Legitimitätsanspruch der Herrschenden und Legitimitätsglaube der Beherrschten
•
zu unterscheiden ist die allgemeine Legitimität des politischen Systems von der
Legitimität einzelner Entscheidungen
•
Unterscheidung in Input- (durch Wahlen) und Output- (durch Leistung) Legitimität
Seymour M. Lipset: „Legitimität ist die Fähigkeit des politischen Systems, die Gesellschaft
davon zu überzeugen, dass die existierende politische Ordnung angemessen ist.“
Argumente gegen die These vom Demokratiedefizit:
29
Giandomenico Majone: „The EU should not be seen through the perspective of democratic
states. There is no democratic deficit because the EU is a „regulatory state“. It does not
engage in redistributive or value-allocative policies. Everybody wins from the EU´s policies.“
(wenig Umverteilung + Output-Legitimität)
Argumente für die These vom Demokratiedefizit:
•
Übergewicht der Exekutive, geringer Einfluß der nationalen Parlamente
•
begrenzter Einfluß des Europaparlaments
•
(bisher) wenig Diskussion und keine Wahlen über europäische Politiken, Wahlen zum
Europaparlament sind Abstimmungen über nationale Politik
•
fehlende Bürgernähe der EU
•
Unausgewogenheit des gesellschaftlichern Einflusses auf die EU
•
„ Policy drift“ der EU-Institutionen: Die Policy Orientierungen entsprechen nicht mehr
denen der Mehrheit der Regierungen bzw. der Mehrheit der EU-Bevölkerung
(neoliberale Ausrichtung)
Reformvorschläge zur Demokratisierung der EU:
•
•
•
•
•
Aufwertung der nationalen Parlamente/des EU Parlamentes
Stärkung der supranationalen Organe, z.B. durch Direktwahl des
Kommissionspräsidenten
Europäische Parteien mit europapolitischen Programmen
Re-Nationalisierung von Entscheidungen (Subsidiaritätsprinzip betonen)
Entwicklung einer europäischen, partizipativen Öffentlichkeit bzw. einer europäischen
Identität
Aktuelle Problembereiche der EU:
Lissabon-Vertrag:
•
Wie kann die EU, deren Entscheidungsprozesse und deren institutioneller Aufbau
noch nicht der gestiegenen Mitgliederzahl entsprechen, an die neue Größe und an
die neuen Herausforderungen angepasst werden? (Aktuelle rechtliche Grundlage ist
der Nizza-Vertrag vom Februar 2000)
•
Scheitern des Verfassungsentwurfs durch die negativen Referenden in Frankreich
und in den Niederlanden (Mai/Juni 2005)
•
Der Reformvertrag (Lissabon-Vertrag) wird im Oktober 2007 verabschiedet, wird aber
im Juni 2008 in einem Referendum in Irland abgelehnt
EU-Beitritt der Türkei:
•
Beitrittskriterien seit Kopenhagen 1993: Demokratie, Marktwirtschaft und Akzeptanz
des „Acquis communautaire“ – „jeder Staat Europas“
•
Beitrittsverhandlungen mit der Türkei seit 2005 (seit 1964 assoziiert, Beitrittsantrag
1987, Zollunion seit 1996)
•
Jährliche Fortschrittsberichte der Kommission: Vorbehalte gegen türkische
Menschenrechtspolitik, Unabhängigkeit der Justiz und Eigenständigkeit der Militärs
(aber auch „clash of civilizations“)
•
Wirtschaftliche Bedenken vs. geostrategisches Potenzial
Gegenstandsbereiche der Internationalen Politik:
30
1. Akteure: Staaten, IGOs, NGOs, TNCs
Die Interaktionen von staatlichen, nichtstaatlichen und privaten Akteuren
2. Strukturen: Z.B. internationale Regime
Die von den Akteuren geschaffenen, beeinflussten, genutzten, aufrechterhaltenen,
geänderten oder zerstörten Beziehungsmuster
3. Prozesse: Z.B. Entscheidungsabläufe im UN-Sicherheitsrat
Die Phasen politischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse, die
Problemwahrnehmung, Willensbildung, Entscheidungsfindung zwischen den
Akteuren (Policy)
4. Formen: Z.B. die Routinen innerhalb der EU
Die Mittel und Mechanismen zur Lösung bzw. Bearbeitung von Problemen
5. Strategien: Z.B. des außenpolitischen Handelns
Containment (Eingrenzung) oder Engagement (Einbindung) oder Hedging
(Absicherung)
Außenpolitik – Internationale Politik – Int. Bez.:
Aktionsformen
Akteure
Beispiele
Außenpolitik
Regierungen
Dtsch. Afrika-Politik
Internationale
Politik
IGOs, Staatengruppen, Bündnisse
UNO, Weltbank, G-8,
NATO
Supranat. Politik
und Verfahren
Supranat. Einrichtungen
EU-policies (Agrar,
Außenhandel), WTO
Streitschlichtung,
IStGH
Transstaatliche
Politik
Einzelressorts, substaatl. Verwaltungseinheiten
EU-Fachministerräte, Städtepartnerschaften
Transnationale
Politik
Parteien, Kirchen,
NGOs
Sozialist. Internationale, Weltkirchenrat, Greenpeace, AI
Außenpolit. Einflußnahme
Verbände, NGOs
Friedensbewegung,
ATTAC
Zur Geschichte der Internat. Beziehungen:
•
•
•
•
Vorgänger: Völkerrecht, Politische Theorie, Geschichte der Diplomatie
„Kind des Ersten Weltkrieges“ – Verständigung zwischen britischen und USamerikanischen Delegierten bei den Versailler Friedensverhandlungen,
wissenschaftliche Institute zur Erforschung der internationalen Beziehungen zu
gründen
Entwicklungslinien: Idealismus, Realismus, Liberalismus, Kritische Theorie,
Konstruktivismus, Postmoderne
Koexistenz unterschiedlicher theoretischer und methodologischer „Schulen“
Funktion und Bedeutung von (IB-)Theorien:
31
Ausgangsfrage: Wie kann man grenzüberschreitend relevantes Verhalten von Akteuren
(international und transnational) verstehen und erklären?
Funktionen von Theorien:
1. Begriffs- und Definitionsfunktion
2. Diagnosefunktion (Parsimonität)
3. Erklärungsfunktion
4. Prognosefunktion
Bedeutung: Sozialwissenschaftliche Theorien bilden nicht „die Wahrheit“ ab, sondern
erlauben eine Annäherung an Erklärungen aus unterschiedlichen Perspektiven
Realismus:
Gemeinsamkeiten des realistischen Denkens:
1. Pessimistische Annahmen über die Natur des Menschen.
2. Internationale Beziehungen sind konfliktreich und internationale Konflikte letztlich nur
durch Krieg zu lösen.
3. Hohe Wertschätzung für nationale Sicherheit und das Überleben des Staates in der
internationalen Anarchie.
4. Skeptische Sicht auf mögliche Fortschritte in der internationalen Politik.
Varianten des realistischen Denkens in den IB:
Warum streiten Staaten
um Macht?
Klassischer
Realismus
(Morgenthau)
Machtstreben
ist Staaten inhärent
Struktureller
Realismus
(Waltz)
Struktur des
Systems Anarchie
Wie viel
Macht wollen die
Staaten?
Maximierung
Machtgleichrelativer Macht gewicht
(Hegemonie
als letztes Ziel)
Offensiver
Realismus
(Mearsheimer)
Struktur des
Systems Anarchie
Maximierung
relativer Macht
(Hegemonie
als letztes Ziel)
Zusammenfassung:
1.
Ob es in der EU ein Demokratiedefizit gibt, hängt von der Perspektive bzw. dem
Vergleichsmaßstab ab. Verglichen mit der Politik in den Mitgliedsländern hat die EU
ein Demokratiedefizit, als Institution sui generis kann man ihr das aber nicht
vorwerfen.
Die Internationalen Beziehungen sind eine relativ junge Disziplin, die in der
angelsächsischen Welt eigenständig ist, bei uns aber als Teil der Politikwissenschaft
behandelt wird.
Die beiden Großtheorien der IB, Realismus und Liberalismus, prägen in zahlreichen
Varianten bis heute die Theoriediskussion.
2.
3.
9. Vorlesung (15.01.): Internationale Politik II
•
Klausurfragen
32
•
•
•
•
•
•
•
•
Liberalismus
Varianten des liberalen Denkens in den IB
Die drei Institutionalismen
Methoden in den IB
Beispiel für Spieltheorie in der rationalistischen Kooperationstheorie –
Gefangenendilemma
Die fünf großen Debatten in den IB
Exkurs: Relative vs. absolute Gewinne
Zusammenfassung
Klausurfragen:
•
•
•
•
•
90 Minuten, 6 Wissensfragen (jeweils 5 Punkte) sowie 2 Essayfragen (jeweils 15
Punkte)
Insgesamt 60 Punkte möglich, mindestens 30 für das Bestehen der Klausur
notwendig
Beispiel für Multiple-Choice-Frage:
1. Multiple-Choice-Frage (3. Sitzung): Was ist mit den
drei Schulen der Politikwissenschaft gemeint?
a) Normativ-ontologisch, empirisch-analytisch,
historisch-dialektisch
b) Regierungslehre, Vergleichende Regierungslehre,
Internationale Politik
c) Historische Konstellation, prägende Einflussfaktoren, Erklärungsansätze
Beispiel für Wissensfrage:
1. Wissensfrage (3. Sitzung): Was ist der Verfassungskern des Grundgesetzes?
Beispiel für Essayfrage (3. Sitzung):
Erläutern Sie die Ursprünge und die zentralen
Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes.
Liberalismus:
Gemeinsamkeiten des liberalen Denkens:
1. Die positive Bewertung der Natur des Menschen und der Mensch als zentrale
Analyseeinheit.
2. Die Überzeugung, dass die internationalen Beziehungen kooperativ und nichtkonflikthaft gestaltet werden können.
3. Der Glaube an den Fortschritt, eine optimistische Grundhaltung.
4. Das Ziel einer stabilen internationalen Friedensordnung.
Varianten des liberalen Denkens in den IB:
Utopischer Liberalismus
Woodrow Wilson (1856-1924); „The world must be made safe for democracy.“ 14-PunkteProgramm von 1918 (Förderung der Demokratie, Ende der Geheimdiplomatie, Freihandel,
Abrüstung, Selbstbestimmungsrecht der Völker, Völkerbund). Durch eine rational und
intelligent geschaffene Internationale Organisation muss es möglich sein, den Krieg zu
beenden und einen permanenten Frieden zu schaffen.
Soziologischer Liberalismus
Karl W. Deutsch (1912-1992); Transaktionismus: dichte transnationale Beziehungen
zwischen Gesellschaften führen zu einer „Sicherheitsgemeinschaft“, in der die Menschen zu
der Überzeugung gelangt sind, dass ihre Konflikte und Probleme ohne den Rekurs auf
kriegerische Mittel gelöst werden können.
33
Interdependenztheoretischer Liberalismus
• während in der Vergangenheit der Besitz von Land und von natürlichen Ressourcen
wichtig für Sicherheit und Wohlstand waren, kommt es heute mehr auf
hochqualifizierte Arbeitskräfte sowie auf ungehinderten Zugang zu Informationen und
zu Kapital an
• die „Handelsstaaten“ erhöhen durch eine starke Arbeitsteilung die gegenseitige
Abhängigkeit und reduzieren damit den kriegerischen Konfliktaustrag
• „komplexe Interdependenz“, in der auch die internationale Politik immer mehr zur
Innenpolitik wird; transnationale Akteure verfolgen mit und neben den Staaten ihre
eigenen Ziele; ‚low politics‘ und Wohlfahrtsziele werden immer wichtiger; die
Bedeutung internationaler Organisationen nimmt zu (gleichwohl bleibt bei Fragen von
„Leben und Tod“
•
die realistische Sichtweise wichtig)
Republikanischer Liberalismus
• Demokratien führen untereinander keine Kriege, weil demo-kratische Normen auf
friedlichen Konfliktaustrag angelegt sind, weil Demokratien auf gemeinsamen
moralischen Werten und Überzeugungen (u.a. Meinungs- und Pressefreiheit)
beruhen, die im Umgang miteinander auf Friedfertigkeit angelegt sind, und weil unter
ihnen die ökonomische Interdependenz hoch ist
• außenpolitische Konsequenz: die Ausbreitung und Stärkung von Demokratien
weltweit
Institutionalistischer Liberalismus
• Internationale Institutionen sind völkerrechtliche Vereinbarungen,
intergouvernementale internationale Organisationen, internationale Regime
(Prinzipien, Normen, Regeln, Verfahrensweisen - ihr Entstehen, ihr Wandel, ihre
Wirkung)
• Institutionen erleichtern die Beschaffung von Informationen, ermöglichen
Erwartungsverlässlichkeit, erlauben die Überwachung von Vereinbarungen, schaffen
ein Verhandlungsforum und senken die Transaktionskosten
Die drei Institutionalismen:
Historischer Institutionalismus:
• die weitere Entwicklung wird von den anfangs festgelegten Prinzipien, Normen,
Regeln und Prozeduren bestimmt - Pfadabhängigkeit der Entwicklung – „critical
junctures“
Rationalistischer Institutionalismus:
• das rationalistische Interessenkalkül der Akteure bestimmt den Spielraum für das
Ergebnis der Kooperation - es kann durch Institutionenbildung pareto-optimiert
werden
Konstruktivistischer Institutionalismus:
• durch die institutionalisierte Kooperation können sich die Identitäten, Werte und
Normen der beteiligten Akteure verschieben; Kommunikationsprozesse sind wichtig;
Fortschritt und Lernprozesse sind möglich
Methoden in den IB:
•
•
•
„Thick Description“ – hist. Einbettung und genaue Beschreibung (Methode der Wahl,
wenn es auch um das Erreichen eines breiteren Publikums geht)
Vergleich - von Außenpolitiken oder dem Verhalten von versch. Regierungen in IGOs
etc.
Hypothesenüberprüfung – die USA sind vor allem am Containment (Eindämmung)
möglicher Rivalen interessiert
34
•
•
Quantitative Analysen – World Value Survey, Umfragen zu außenpolitischen
Einstellungen
Spieltheorie in der rationalistischen Kooperationstheorie - Erklärung des Verhaltens in
Entscheidungssituationen (Gefangenendilemma, Feiglingsspiel etc.)
Beispiele für Spieltheorie in der rationalistischen Kooperationstheorie Gefangenendilemma:
Gefangener 1
Aussagever- Aussage
weigerung
Aussageverweigerung
3,3(*)
4,1
Aussage
1,4
2,2 (**)
Gefangener 2
(*) Pareto-optimales Ergebnis; (**) Equilibrium
Individuelle Rationalität führt zu kollektiver Irrationalität (vgl. auch Tragödie der
Allgemeingüter) – Konsequenzen für Kooperationsverhalten?
1 = beste Lösung
4 = schlechteste Lösung
Erste Zahl steht jeweils für den Gefangenen 1, zweite Zahl für Gefangenen 2
10. Vorlesung (22.01.): Internationale Politik III
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Klausurfragen
Auswertung der Evaluierung
Die fünf großen Debatten in den IB
Exkurs: Relative vs. absolute Gewinne
Dependencia als kritische Nord-Süd-Theorie
Das Zentrum-Peripherie-Modell
Konstruktivismus als Zwischenschritt
Grundzüge von Positivismus und Poststrukturalismus
Postdevelopment als Beispiel
Zusammenfassung
Klausurfragen:
•
•
•
•
90 Minuten, 6 Wissensfragen (jeweils 5 Punkte) sowie 2 Essayfragen (jeweils 15
Punkte)
Insgesamt 60 Punkte möglich, mindestens 30 für das Bestehen der Klausur
notwendig
Beispiel für Multiple-Choice-Frage:
1. Multiple-Choice-Frage (5. Sitzung): Was versteht man unter dem ‚most similar
systems design‘?
a) Differenzmethode – Differenz in den operativen
Variablen, Ähnlichkeit bei Kontextvariablen
b) Konkordanzmethode (= similar) – Differenz bei
Kontextvariablen, Ähnlichkeit bei operativen Variablen
c) Vergleich von ähnlichen Fällen ohne besondere
Systematik.
Beispiel für Wissensfrage:
1. Wissensfrage (5. Sitzung): Nennen Sie die fünf Funktionen des Parlaments nach
Bagehot/Thaysen.
35
•
Beispiel für Essayfrage (5. Sitzung):
Womit und beschäftigt man sich in der Transformationsforschung und welche Begriffe
und Ansätze dominieren?
Auswertung der Evaluierung:
Allgemeineinschätzung: 5,9 (von 7)
Mein Durchschnitt in diesem Semester: 6,05 (bei 4 Veranst.)
Note der Veranstaltung: 2,2 (im Durchschnitt: 2,1)
Lehrkompetenz: 6,2
Stärken: Gute Vortragsweise, viele Beispiele, Bezug zu aktuellen Fragen,
Zusammenfassungen am Ende, Skript zum Download, Kompetenz und Fachwissen des
Dozenten – “einer der wenigen klugen Profs. an der Uni”
Schwächen: zu schnell (Themen können nicht “sacken”), zu voll, zu groß, zu wenig
Diskussionen, zu viel Stoff, zu komplex, zu hohes Niveau, Unpünktlichkeit des Dozenten –
“der Prof. redet wie ein Maschinengewehr / volle Deckung”
Die fünf großen Debatten in den IB:
1) Idealismus vs. Realismus (1920er - 1950er Jahre)
Utopischer
Klassischer
Liberalismus (Idealimus)
Realismus
(1920er Jahre)
(1930er-1950er Jahre)
Internationales Recht
Machtpolitik
Internationale Org.
Sicherheit und Verteidigung
Interdependenz
Aggression
Kooperation
Konflikt
Frieden
Krieg
2) Traditionelle vs. Positivistische Methoden
(1960er Jahre)
Traditionelle Methoden
Fokus auf Verstehen
Normen und Werte
Bewertung
Historisches Wissen
Theoretiker ist Teil des
Untersuchungsgegenstandes
Positivistische Methoden
Fokus auf Erklären
Hypothesen
Sammeln von Daten
Wissenschaftliche
Theoretiker ist außerhalb des
Untersuchungsgegenstandes
3) Die neomarxistische (kritische) Herausforderung
(1970er und 1980er Jahre)
Traditionelle Ansätze
Realismus/Neorealismus
Liberalismus/Neoliberalismus
problemlösungsorientiert
Neomarxistische Ansätze
Kapitalistisches Weltsystem
dependencia/Unterentwicklung
kritisch
Exkurs:
Dependencia als kritische Nord-Süd-Theorie:
Dependencia entsteht bereits in den 1950er Jahren in der CEPAL
•
Prebish-Singer-These: Säkular sinkende terms of trade der Entwicklungsländer
36
•
•
Die Industrieländer haben kein Interesse am wirtschaftlichen Aufstieg der
Entwicklungsländer – im Gegenteil, sie halten sie in Abhängigkeit (als Rohstofflieferanten, mit Entwicklungsrhetorik, durch die Dominanz weltwirtschaftlicher Strukturen
und Institutionen)
Galtung: Die Entwicklungsländer sind strukturell abhängig – die Zentren dominieren
die Peripherien und auch die Peripherien im Zentrum und die Zentren in der
Peripherie sind daran beteiligt (Zentrum-Peripherie-Modell)
Das Zentrum-Peripherie-Modell:
Das Zentrum-Peripherie-Modell von Johan Galtung (1972):
Zentrum
Zentrum
Peripherie
Peripherie
Zentrum
Peripherie
Entwicklungsländer erheben ab Anfang der 1970er Jahre in der UNO Forderungen (GV,
UNCTAD) nach einer Neuen Weltwirtschaftsordnung (NWWO):
•
Industrieländer müssen bereit sein, für die Schäden der Kolonialisierung und des
Neokolonialismus aufzukommen
•
Indexierung der Rohstoffpreise
•
Umbau der Abstimmungsverhältnisse in den Bretton-Woods Institutionen (von ‘one
dollar – one vote’ zu ‘one country – one vote”)
•
0,7 Prozent-Ziel und garantierte Finanz- und Technologietransfers
4) Struktureller Realismus vs. rationalistischer Institutionalismus
(1980er und 1990er Jahre)
Gleiche Grundannahmen: Anarchie, Staat als einheitlicher Akteur, rationales Handeln,
Machtgewicht bestimmt Ergebnis der Interaktion, aber
Struktureller Realismus
Rationalist. Institutional.
Koordinierung
Kooperation
Zusammenarb. nicht von Dauer
Dauerhafte Zusammenarbeit
Relative Gewinne
Absolute Gewinne
Präferenzverschiebung beenInstitutionen stellen Informadet die Zusammenarbeit
tionen zur Verfügung, schaffen
Erwartungsverlässlichkeit, erlauben die Überwachung von
Vereinbarungen, schaffen ein
dauerhaftes Verhandlungsforum und senken die
Transaktionskosten
Exkurs: Relative vs. absolute Gewinne:
Ausgangsfrage: Soll die USA ein Handelsabkommen mit der EU abschließen oder nicht?
Absolute Gewinne:
So lange es uns gut geht, stört es nicht, wenn es anderen noch besser geht.
Beispiel: Die US-Wirtschaft wächst im kommenden Jahrzehnt um 25 Prozent, die der EU um
75 Prozent.
Relative Gewinne:
Wir werden unser bestes geben, aber unser zentrales Ziel bleibt es, dass uns die anderen
nicht überflügeln.
Beispiel: Die US-Wirtschaft wächst im kommenden Jahrzehnt um 10 Prozent, die der EU um
15 Prozent.
Einer US-Regierung, die sich am zweiten Szenario orientiert, geht es um die Beachtung
relativer Gewinne und sie wird deshalb das Handelsabkommen nicht unterzeichnen
37
(Zero-Sum-Game vs. Positive-Sum-Game)
5) Die postmoderne Herausforderung
(1990er Jahre)
Etablierte Sichtweisen
Neorealismus
Institutionalismus
Neoliberalismus
Internationale politische
Ökonomie/kritische
Theorie
Konstruktivismus
Postmoderne Ansätze
Post-positivistische Methoden
Post-positivistische Untersuchungsgegenstände
Poststrukutalistische Dekonstruktion,
Diskursanalyse
Konstruktivismus als Zwischenschritt:
Alexander Wendt (1992): Anarchy Is What States Make of It: The Social Construction of
Power Politics
•
Nicht nur materielle Faktoren (Macht etc.) sind relevant, sondern auch die
Wertehaltungen der Akteure
•
Werte, Ideen, Normen, Identität – vier Schlüsselbegriffe
•
Einer ‘Logik der Konsequenz’ (Rationalismus) steht eine ‘Logik der Angemessenheit’
(Konstruktivismus) gegenüber
•
Die Akteure entscheiden nicht nur nach Kosten-Nutzen-Erwägungen, sondern auch
nach den Werten und Normen, mit denen sie sozialisiert wurden (soziologischer
Institutionalismus
•
Durch Kommunikation können Präferenzen und Interessen verändert werden
•
Beispiel: Die Osterweiterung der EU
Zusammenfassung:
1.
Die fünf großen Debatten in den Internationalen Beziehungen spiegeln generelle
Veränderungen in den Sozialwissenschaften wider, reflektieren aber auch veränderte
weltpolitische Bedingungen.
Zentrale Neuerungen der letzten 15 Jahre waren Konstruktivismus (positivistisch) und
Poststrukturalismus (postpositivistisch) – damit gibt es eine neue „Metadebatte“.
2.
11. Vorlesung (29.01.): Internationale Politik IV
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Klausurfragen
Grundzüge von Positivismus und Poststrukturalismus
Postdevelopment als Beispiel
Drei Schulen in der Globalisierungsdebatte
Global Governance
Forschungsfelder: „Ressourcenfluch“
Forschungsfelder: Das Mikro-Makro-Paradoxon der Entwicklungspolitik
Perspektiven der Politikwissenschaft
Zusammenfassung
38
Klausurfragen:
•
•
•
•
•
90 Minuten, 2 Multiple-Choice-Fragen, 4 Wissensfragen (jeweils 5 Punkte) sowie 2
Essayfragen (jeweils 15 Punkte)
Insgesamt 60 Punkte möglich, mindestens 30 für das Bestehen der Klausur
notwendig
Beispiel für Multiple-Choice-Frage:
1. Multiple-Choice-Frage (7. Sitzung): Die EU ist kein internationales Regime, weil …
a) in der EU Mehrheitsentscheidungen möglich sind und sie über eigene Einnahmen
und eine eigene Rechtsordnung verfügt.
b) es in ihr doch sehr demokratisch zugeht.
c) sie sich in vielen Erweiterungsrunden verändert hat.
Beispiel für Wissensfrage:
1. Wissensfrage (7. Sitzung): Skizzieren Sie kurz die drei Säulen der Europäischen
Union.
Beispiel für Essayfrage (7. Sitzung):
Gibt es in der EU ein Demokratiedefizit und was könnte gegebenenfalls dagegen
unternommen werden?
Grundzüge von Positivismus und Poststrukturalismus:
Positivismus:
• die Realität existiert außerhalb des subjektiven Bewusstseins;
• Aufgabe der Wissenschaft ist es, die Welt mit rationalen Methoden zu erfassen, zu
beherrschen und zu verändern;
• die Rationalität ist die einzig akzeptierte Autorität - dagegen sind Tradition, Moral und
Vorurteile in das Reich des Unwissenschaftlichen zu verbannen;
• die Kernfunktion der Wissenschaft besteht in der Prüfung von Aussagen auf ihren
Wahrheitsgehalt;
• Wissenschaft ist neutral gegenüber den in der Gesellschaft existierenden Interessen
und einzig an Wahrheit und dem Allgemeinwohl interessiert
Kritik am Positivismus:
•
•
der Positivismus wird zu einer Art der Wirklichkeitskonstruktion, die bestehende
Interessenunterschiede und gesellschaftliche Spaltungen nicht nur ausblendet,
sondern z.T. sogar begründet;
Wissenschaft wird zur Ersatzreligion, ohne die eigene Rolle zu reflektieren und die
tief liegenden Hierarchien und Hegemonialstrukturen zu kritisieren
Poststrukturalismus:
• niemand kann im Besitz „der“ Wahrheit sein; es liegt am Individuum, wie es die Welt
ordnet; dieses Denken produziert durch seine Ordnungsleistung Wirklichkeit;
Wahrheit gibt es nicht und Wirklichkeit ist konstruiert
• die Postmoderne fordert Vielfalt, ein friedliches Nebeneinander unterschiedlicher
Theorien, Weltsichten, moralischer Standards und Kulturen (Kontextualisierung)
• die politische und ethische Absicht hinter dem Großteil postmoderner Forschung ist
es, individuelle Besonderheiten als wichtig festzuhalten und gegen die
Vereinheitlichung im Rahmen einer großen umfassenden Theorie aufzutreten
Kritik am Poststrukturalismus:
•
wenn allein das Individuum zur bestimmenden Einheit im Erkenntnisprozess und in
der Bewertung von Handlungen wird, dann gibt es keine objektive
39
•
Beurteilungsinstanz mehr, dann sind verschiedene individuelle Entscheidungen und
Handlungen gleichermaßen gültig, d.h. gar nicht vergleich- und bewertbar;
die politische Folge ist oft der Relativismus, dass Verlieben in das Detail, dass
„anything goes“, was dann paradoxerweise zur Gleichgültigkeit gegenüber den
verschiedenen individuellen Sichtweisen und Lebensstilen führen kann
Postdevelopment als Beispiel:
Postdevelopment richtet sich gegen die Vorstellung, dass alle Welt “am westlichen Wesen
genesen” soll:
• Der bisherige Entwicklungspfad des Westens ist global nicht reproduzierbar – alle
müssen umdenken
• Entwicklung muss vielfältiger verstanden werden, nicht nur so, wie der Westen/der
Norden das will
• Es geht um mehr Autonomie, Freiräume, Selbstverantwortung – nicht um
aufgezwungene Modelle und “Lösungen”
• Mittels Diskursanalyse und unter Rückgriff auf poststrukturalistische Theoretiker
(Foucault, Derrida etc.) lässt sich der herrschende Entwicklungsdiskurs
“dekonstruieren”: Macht- und Herrschaftszwänge sowie einseitige Verständnisweisen
können verdeutlicht werden
Drei Schulen in der Globalisierungsdebatte:
1. Hyperglobalisierer
Befund:
Der globale Markt ist Realität und bestimmt alles
Perspektive: Ende aller national verfassten Systeme, globale
Zivilisation
Zuordnung: neoliberale Ökonomen, Marxisten
Vertreter:
Ohmae/Fukuyama
2. Globalisierungsskeptiker
Befund:
Heterogen, keine neue Qualität der grenzüberschreitenden Transaktionen
Perspektive: Der Nationalstaat ist und bleibt zentral; national
statt global governance; wachsende Konflikte
Zuordnung: Neorealisten und Keynesianer
Vertreter:
Hirst/Thompson, Krasner (Scharpf)
3.
Transformationalisten
Befund:
Heterogen, aber neue Qualität
Perspektive: Global Governance
Zuordnung: Neoinstitutionalisten, Neoliberale Politikwissenschaftler
Vertreter:
Giddens, Held, Albrow, Beck (Messner/Nuscheler, Zürn)
Global Governance:
Die sechs Säulen im Global Governance-Konzept:
Weltregieren bzw. Weltordnungspolitik in sechs zentralen inter- nationalen Politikfeldern:
1.Welthandelsordnung
2.Internationale Wettbewerbsordnung
3.Weltwährungsordnung
4.Weltsozialordnung
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5.Weltumweltordnung
6.Weltfriedensordnung
Erhoffte Auswirkungen:
•
Angleichung (nicht: Gleichschaltung) von Normen und Ideen sowie Dialog der
Kulturen
•
Universalisierung der vier zivilisatorischen „Essentials“: Rechtsstaat, Marktwirtschaft,
Demokratie, Menschenrechte
•
Zivilisatorisches Hexagon (Senghaas): Gewaltmonopol des Staates,
Rechtsstaatlichkeit, Interdependenz und Affektkontrolle, demokratische Partizipation,
soziale Gerechtigkeit, Konfliktkultur
•
Geteilte Souveränitäten, Global Compact, weltbürgerliche Orientierung, Corporate
Social Responsibility
Forschungsfelder: „Ressourcenfluch“
Problem: Wie ist es zu erklären, dass viele Entwicklungsländer trotz des großen
Ressourcenreichtums (Erdöl, Erdgas, Diamanten, andere mineralische Rohstoffe) häufig
autoritäre politische Systeme aufweisen, die wirtschaftliche Entwicklung enttäuschend
verläuft und die Neigung zu gewaltsamem Konfliktaustrag vergleichsweise groß ist?
•
Politik: Kooptations- und Repressionspotential, wenn autoritäre Staaten plötzlich zu
Reichtum gelangen
•
Wirtschaft: ‚Dutch Disease‘ – Exportsektor wird zur Enklave, Wechselkurs steigt,
Löhne steigen, Importe werden günstiger, Wirtschaft stagniert
•
Konfliktneigung: ‚Greed and Grievance‘, nur bei bestimmten Bedingungen:
Grenznähe – Randlage, failing state, abhängig von der Art des Abbaus und von den
jeweiligen Bedingungen
Perspektiven der Politischen Wissenschaft:
1.
2.
3.
4.
Tendenz zur integrierten Sozialwissenschaft: Eigenständigkeit des Faches bleibt
strittig und hängt vom Selbstverständnis ab (positivistisch oder post-positivistisch,
welcher Art von Institutionalismus verhaftet)
Politikwissenschaft vermag eigenständige Beiträge zu einer multidisziplinären,
interdisziplinären und transdisziplinären Bearbeitung von Problemen zu leisten
Kernprobleme der Politikwissenschaft bleiben zeitlos: Die Demokratieperspektive, die
Kooperationsperspektive und die Problemlösungsperspektive
Die Disziplin löst sich von den bisher bekannten Teilbereichen und definiert das
Aufgabenspektrum neu, z.B. Governance statt Regierungslehre
Zusammenfassung:
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2.
3.
Poststrukturalistische Ansätze gehen nicht von der Wahrheit aus, sondern begreifen
die Welt als vielfältig konstruiert. Dabei besteht die Gefahr, dass alle Wertmaßstäbe
relativiert werden können.
Bei aktuellen Forschungsthemen verschwimmt die Trennung in die klassischen
Bereiche der Disziplin immer stärker. Es bedarf multipler Methoden und theoretischer
Zugänge.
Die Politische Wissenschaft ist auf dem Weg zu einer integrierten Sozialwissenschaft.
Da die zentralen Forschungsprobleme inter- und transdisziplinäre Zugänge erfordern,
definiert sich auch die Politische Wissenschaft ständig neu – bei zeitloser Relevanz
von Fragen wie Krieg und Frieden oder der „guten Herrschaft“.
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Klausurtermin: 05.02.09, 14.30 – 16.00 Uhr, Chemie A
Wiederholungsklausurtermin: 10.03.09, Zeit und Ort werden noch bekannt gegeben