Skript der Vorlesung - Fakultät Wirtschafts
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Skript der Vorlesung - Fakultät Wirtschafts
1 Universität Hamburg Institut für Politische Wissenschaft Prof. Dr. Cord Jakobeit Wintersemester 2008/2009 Sprechstunde: Di, 14-16 IPW, R 207 Vorlesung 22-111.10: Einführung in die Politikwissenschaft Do, 14.30-16.00 Uhr, Chemie A Skript der Vorlesung 1. Vorlesung (30.10.) – Einführung und Semesterplan • • • • • • • • Termine und Themen Literaturempfehlungen Geschichte des Faches Politikbegriffe Selbstverständnis Fragestellungen Verhältnis zu den Nachbardisziplinen Zusammenfassung: Drei Erkenntnisse Termine und Themen: 1) 30.10.: 2) 06.11.: Überblick und Vorgehensweise Politische Theorie und Ideengeschichte I: Gegenstand, Fragestellungen und Methoden, MINK-Schema: Macht (Weber, Machiavelli, Morgenthau) Ideologie (Interesse und Identität) 13.11. fällt leider aus! 3) 20.11.: Politische Theorie und Ideengeschichte II: MINK-Schema: Normen (Frieden: Kant; Konflikt: Czempiel vs. Konsens: Dahrendorf; Freiheit: Mill; Demokratie: Tocqueville; Klassenkampf: Marx) Kommunikation (Deutsch, Easton) 4) 27.11.: Regierungslehre Bundesrepublik Deutschland I: Gegenstand, Fragestellungen und Methoden; Verfassung (Kaiserreich, Weimar, NS, Grundgesetz) 5) 04.12.: Regierungslehre Bundesrepublik Deutschland II: Föderalismus – Entscheidungsebenen, Politikverflechtung, Vor- und Nachteile des Föderalismus, Föderalismusreform 6) 11.12.: Vergleichende Regierungslehre I: Gegenstand, Fragestellungen und Methoden; parlamentarische vs. präsidentielle Regierungssysteme, Typologien von Wahlsystemen und Parteien 7) 18.12.: Vergleichende Regierungslehre II: Transitionsforschung (Merkel) 8) 08.01.: Europäische Integration: Integrationstheorien (Föderalismus, Funktionalismus, Institutionalismus, Policy-Forschung, Kritische Integrationstheorie, Mehrebenenpolitik, aktuelle Probleme der EU 9) 15.01.: Internationale Politik I: Gegenstand, Fragestellungen und Methoden; Theorien der Internationalen Beziehungen (Realismus vs. Idealismus; Regimetheorien, Konstruktivismus und Postmoderne) 10) 22.01.: Internationale Politik II: Entwicklungstheorien und Entwicklungspolitik; Internationale Organisationen, aktuelle Debatten 11) 29.01.: Internationale Politik III: Kriegsursachenforschung, Außenpolitik, Globalisierung, Global Governance, postnationale Konstellation 12) 05.02.: Abschlussklausur 90-minütige Klausur; 8 Fragen insgesamt, davon 2 Mulitple-Choice-Fragen, 4 Wissensfragen und 2 Essayfragen; 60 Punkte insgesamt, mindestens 30 2 für das Bestehen notwendig Materialien/Skript jeweils nach der Vorlesung unter: http://www.sozialwiss.uni-hamburg.de/Ipw/personal/jakob.html#lehre Literaturempfehlungen: Einführungen in die Politische Wissenschaft: Hofmann, Wilhelm et al. (2007): Politikwissenschaft. Konstanz: UTB, € 17,90. Mols, Manfred; Lauth, Hans-Joachim; Wagner, Christian (Hrsg.) (2007): Politikwissenschaft. Eine Einführung, 6. Aufl., Stuttgart: UTB, € 21,90. Patzelt, Werner J. (2007): Einführung in die Politikwissenschaft. Grundriss des Faches und studiumbegleitende Orientierung, 6. Aufl., Passau: Wissenschaftsverlag Richard Rothe. Politische Theorie und Ideengeschichte: Fenske, Hans et al. (2003): Geschichte der politischen Ideen: von der Antike bis zur Gegenwart, Frankfurt/Main: FTB, € 14,95. Maier, Hans / Denzer, Horst (Hrsg.) (2001): Klassiker des politischen Denkens, 2 Bd., München: Beck TB, je € 12,50. Regierungslehre Bundesrepublik Deutschland: Schmidt, Manfred G. (2007): Das politische System Deutschlands: Institutionen, Willensbildung und Politikfelder, München: Beck, € 12,90 (BpB). Hesse, Joachim Jens / Ellwein, Thomas (1997): Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, 8. Aufl., Opladen: Westdeutscher Verlag. Rudzio, Wolfgang (2006): Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl., Wiesbaden: VS Verlag, € 14,90. Vergleichende Regierungslehre: Berg-Schlosser, Dirk / Müller-Rommel, Ferdinand (Hrsg.) (2006): Vergleichende Politikwissenschaft, 4. Aufl., Stuttgart: Uni-TB, € 16,90. Lauth, Hans-Joachim (Hrsg.) (2006): Vergleichende Regierungslehre: Eine Einführung, 2. Aufl., Wiesbaden: VS Verlag, € 26,90. Europäische Integration: Katharina Holzinger et al. (2005): Die Europäische Union: Theorien und Analysekonzepte, Paderborn: UTB, € 19,90. Brunn, Gerhard (2002): Die Europäische Einigung von 1945 bis heute, Stuttgart: Reclam, € 9,90. Jachtenfuchs, Markus / Kohler-Koch, Beate (Hrsg.) (2006): Europäische Integration, 2. Aufl., Opladen: Leske + Budrich, € 14,90. Internationale Politik: 3 List, Martin (2006): Internationale Politik studieren: Eine Einführung, Wiesbaden: VS Verlag, € 29,90. Knapp, Manfred / Krell, Gert (Hrsg.) (2003): Einführung in die Internationale Politik. Studienbuch, 4. Aufl., München: Oldenbourg, € 44,80. Krell, Gert (2004): Weltbilder und Weltordnung, 3. Aufl., Baden-Baden: Nomos, € 24,90. Lexika und Nachschlagewerke: Schubert, Klaus / Klein, Martina (Hrsg.) (2006): Das Politiklexikon, 2. Aufl., Bonn: Dietz, € 15,20 (BpB). Nohlen, Dieter (Hrsg.) (2007): Kleines Lexikon der Politik, 4. Aufl., München: Beck, € 16,90. Nohlen, Dieter und Schultze, Rainer-Olaf (Hrsg.) (2005): Lexikon der Politikwissenschaft. Theorien Methoden Begriffe, 2 Bd., 3. Aufl., München: Beck, je € 19,90. Weidenfeld, Werner und Wessels, Wolfgang (Hrsg.) (2007): Europa von A - Z. Taschenbuch der europäischen Integration, 10. Aufl., Bonn: Europa Union Verlag, € 19,00 (BpB). Politikdimensionen: Dimension ‚polity‘ Grundbedeutung Auseinandersetzung mit Ordnungs- bzw. Handlungsrahmen von Politik: Form Merkmale Normen Institutionen Politische Kultur ‚politics‘ Auseinandersetzung mit Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen: Interesse Konflikt Macht Prozess Konsens Auseinandersetzung mit Ursachen, Inhalten und Folgen staatlicher Handlungsprogramme: Inhalt und Felder Aufgabenerfüllung Planung Intervention Gestaltung ‚policy‘ Politikkunde vs. Politikwissenschaft Geschichte des Fachs Politische Wissenschaft: (nach Bleek, Wilhelm (2001): Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland, München: Beck) 1. Phase: 1871-1918 • „Allgemeine Staatslehre“ (Polizey-Wissenschaft) - Hilfswissenschaft des Staatsrechts • Der Staat (gemeint war der preussische Staat) wird verstanden als Sachwalter allgemeiner Interessen • Der liberale Politiker Friedrich Naumann fordert Staatsbürgerkunde und eine überparteiliche Hochschule für Politik 2. Phase: 1920-1933 • Deutsche Hochschule für Politik in Berlin: Die Erziehung der Masse zu Demokraten • Propagierung der Republik als Staatsform, des Parlamentarismus und der Parteien 4 • Politikwissenschaft als Oppositionsunternehmen 3. Phase: 1949-1967 • (Re)konstituierung der westdeutschen Politikwissenschaft als Demokratiewissenschaft, der ostdeutschen als Schulungswissenschaft für Marxismus-Leninismus (ML) • Gründung der Deutschen Hochschule für Politik/Otto-Suhr-Institut (OSI) an der FU Berlin • Drei zentrale Arbeitsbereiche: Analyse des totalitären Staates, der westlichen Demokratien (Verfassungsmodelle), der Weltpolitik (Kalter Krieg) • Unterschiedliches Selbstverständnis des Fachs: Pol. Wiss. als Integrationswiss. (Fraenkel); als synoptische Wiss. (Bergstraesser); als normative Wissenschaft (Oberndörfer, Hennis) 4. Phase: 1968-1989 • Repolitisierung des Faches (Vietnamkrieg, Studentenrevolte) und Spaltung in bürgerliches (parlamentarische Demokratie mit Parteien- und Verbandsprinzip) und linkes Lager (Überwindung des Kapitalismus und 3. Weg), Spaltung der Verbandsorganisationen (DVPW und DGfP ab 1983) • Ausbau des Faches durch zahlreiche universitäre Neugründungen, dann ab Ende der 1970er Jahre allgemeine Sparzwänge • Ausdifferenzierung des Faches - Beginn der Friedens- und Konfliktforschung und der Dritte-Welt-Forschung 5. Phase: 1990 bis heute • Abwicklung der ML-Lehrstühle in den neuen Bundesländern und Übernahme der Strukturen des Faches aus dem Westen (53 neu eingerichtete Professuren) • Neue Themen: Soziale Bewegungen, Umweltpolitik, Gender, Postmoderne, Transition, Staatszerfall, Konfliktprävention, Intervention - Terrorismus • Anstehender Generationswechsel bei den Lehrstühlen • Umbruch in der Lehre (BA/MA) und Besoldung (von C zu W) Drei Kernfragen der Politikanalyse: 1. 2. 3. Entstehung: Wie ist ein System / Problem / Idee etc. entstanden? (historische Hintergründe) Interessen: Welche partikularen wirtschaftlichen und sozialen Interessen verbergen sich hinter einer bestimmten („Gemeinwohl“-) Politik? Cui – bono – Frage: Wem nützt eine Politik? γ Verlierer ⎠ Gewinner γ Kosten ⎠ Nutzen Zusammenfassung: 1. 2. 3. Während im Deutschen der Begriff „Politik“ viele Dimensionen umfasst, ist das Englische mit der Unterscheidung in polity, politics und policy präziser Gute politikkundliche Kenntnisse sind die Voraussetzung für Politikwissenschaft, aber ersteres sollte nicht mit letzterem verwechselt werden Eine der zentralen Fragen der Politikwissenschaft ist die nach den Gewinnern und Verlieren einer politischen Entscheidung 5 2. Vorlesung (06.11.: Politische Theorie und Ideengeschichte I) • • • • • • • • • Politische Theorie und Ideengeschichte Politische Theorien der Klassiker Das MINK-Schema Der Machtbegriff Die „drei Gesichter“ der Macht Zentrale Fragen der politikwissenschaftlichen Analyse Grundlagen der Macht eines Staates in der internationalen Politik Sechs Grundsätze des Realismus in der internationalen Politik Zusammenfassung Politische Theorien der Klassiker: Name Nicollo Machiavelli (1467-1527) „Il Principe“ und „Discorsi“ 1513 Problem Machterhalt Antwort Skrupelloser Fürst Thomas Hobbes (1588-1679) „Leviathan“ 1651 Bürgerkrieg Gesellschaftsvertrag und staatliches Gewaltmonopol John Locke (1631-1704) „Two Treaties on Government“ 1651 Steuerstreit zwi- Parlamentarisierung, schen König Eigentum, Menschenund Parlamen rechte Charles de Monte- Absolute Monarsqieu (1689-1757) chie „Vom Geist der Gesetze“ Gewaltenteilung Jean Jacques Rousseau (1712„Contract Social“ 1762 Sittlicher Zerfall, „Zurück zur Natur“, DiUnfreiheit rekte Demokratie, 1778) Volkssourveränität, „volonté générale“ Immanuel Kant (1724-1804) „Kritik der praktischen Vernunft“ Normen des friedlichen Zusammenlebens Alexis de Tocqueville (1805-1859) Demokratie und Freiheit, „Tyran- Erziehung zur Demokratie, zivilisatori- „Demokratie in Amerika“ 1841 nei der Mehrheit“ scher Fortschritt (USA) John Stewart Mill (1806-1873) „On Liberty“ 1859 Freiheit und Rede und PressefreiGleichheit der heit; repräsentative Menschen in der Demokratie Industriegesellschaft Kategorischer Imperativ 6 Karl Marx (18181883) „Das Kapital“ 1867 Armut, Verelendung, soziale Frage Klassenkampf, Revolution, klassenlose Gesellschaft Max Weber Rolle der Wis- Wertungsfreiheit der (1864-1920) „Wirtschaft und Gesellschaft“ 1922 senschaft in der bürgerlichen Gesellschaft empirischen Sozialwissenschaften, Rationalisierung Politische Theorie und Ideengeschichte - Das MINK-Schema: Macht Interesse (Ideologie, Ideen) Politik Formen-Prozesse-Inhalte Kommunikation Normen Der Machtbegriff: „Seen from any particular perspective, power seems to always be elsewhere.“ Bertrand Russell Macht als instrumentell verstärkte praktisch-technische Wirkmöglichkeit (handlungstheoretisch, hierarchisch): „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht.“ Max Weber (Wirtschaft und Gesellschaft) Macht als instrumentell verstärkte praktisch-technische Wirkmöglichkeit: Macht als die „gegenwärtigen Mittel(n) zur Erlangung eines zukünftigen anscheinenden Guts.“ Thomas Hobbes (Leviathan) Macht ist dann am größten, wenn sie allein aufgrund der Möglichkeit eines effektiven Handelns wirksam wird. Der Machtbegriff der Moderne (funktional-strategisch): Dynamische und bewegliche Netzwerke der Macht. Diese „Dispositive“ (Sexualität, Pädagogik, Psychiatrie etc.) durchdringen die einzelnen Menschen und bestimmen deren Existenzweise, ja Identität. Macht funktioniert in den Dispositiven nicht mehr repressiv, sondern vor allem produktiv. Michel Foucault (Dispositive der Macht, Gouvernementalität) „Gross power“ = rein auf Außenwirkung orientierte lernunfähige Macht vs. „net power“ = sich im Informationsaustauch entfaltende lernfähige Macht Karl. W. Deutsch (Politische Kybernetik) Hard power = Materielle Ressourcen und Kapazitäten der Machtausübung und Machtprojektion (Waffen, Geld etc.) 7 Soft power = Die Macht, andere zu überzeugen durch Werte, Ideen und Verhalten (weiche Formen von Macht wie Vorbildfunktion, Leadership etc.) Die „drei Gesichter“ der Macht: 1.Der eigene Wille wird gegen Widerstreben durchgesetzt. Bsp.: Der Irak wurde im zweiten Golf-Krieg gegen seinen Willen militärisch gezwungen, sich aus Kuwait zurückzuziehen. 2.Es gelingt, eine Entscheidung zu verhindern bzw., in anderer Formulierung, eine NichtEntscheidung herbeizuführen. Bsp.: Konträre Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat bei zustimmungspflichtigen Gesetzesvorhaben. 3.Es gelingt, die Agenda des öffentlichen Meinungsstreits zu beeinflussen bzw. zu kontrollieren oder die Begriffe und Symbole des Nachdenkens und Streitens über anstehende Entscheidungen zu besetzen oder zu prägen. Bsp.: „Lufthoheit über den Stammtischen“. Zentrale Fragen der politikwissenschaftlichen Analyse: Wer hat welche und worauf gründende Chancen, was gegen wen durchzusetzen? Wo wurde bzw. wird tatsächlich von wem gegen Widerstreben wessen was durchgesetzt, und wo werden von wem zu wessen Nachteil welche Entscheidungen verhindert? Wer steigert durch Prägung welcher Durchführungsmittel politischen Streits die Chance, welche Position gegen wen durchzusetzen, oder versucht dies wenigstens? Wem wurden wie und zu welchen Zwecken Machtbefugnisse übertragen? Wie steht es für wen um den Zugang zu Machpositionen? Wie und von wem wird Machtausübung begrenzt und kontrolliert? Und welche Rolle spielen Öffentlichkeit und politische Kommunikation als Machtressourcen? Grundlagen der Macht eines Staates in der internationalen Politik: Geographische Lage, natürliche Ressourcen, wirtschaftliche Kapazität, Militärpotenzial, Bevölkerungsgröße, politische Kultur, Qualität der Diplomatie, Stabilität des Regierungssystems sowie Qualität der Argumente, Bezug zu internationalen Normen (Völkerrecht), Kreativität (neue Ideen), Kommunikations- bzw. Überzeugungsfähigkeit Sechs Grundsätze des Realismus in der internationalen Politik: nach Hans Morgenthau (1904-1980), in bzw. nach: Politics Among Nations (Macht und Frieden, Gütersloh 1963): 1) Politik - wie auch Gesellschaft - wird von objektiven Gesetzen beherrscht. Ihr Ursprung liegt in der menschlichen Natur. Diese wird durch drei Triebe bestimmt: Selbsterhaltung, Fortpflanzung, Macht. Der Machttrieb ist das konstitutive Element der Politik (wie Energie für die Physik). 2) Menschen (und Staaten) handeln rational. Nur so kann man Politik erklären und voraussehen: „Tatsachen feststellen und ihnen durch Vernunft Sinn verleihen.“ 3) Macht und Interesse sind die beiden zentralen Begriffe des Realismus - basierend auf den Definitionen von Max Weber. Politisches Interesse ist Staatsinteresse. Es geht um „Staatsräson“ (Friedrich Meinecke) im Sinne der Behauptung und Vermehrung von Macht. Der Staat ist nicht „die Wirklichkeit der sittlichen Idee“ (Hegel), von Freiheit und Fortschritt. Politik soll sich von Vernunft und Erfahrung leiten lassen. 4) Allgemein sittliche Grundsätze können auf politisches Handeln nicht angewandt werden = Trennung von Ethik und Moral (Machiavelli). Die höchste Tugend sei politische Klugheit (nicht Moral), d.h. das Abwägen der Folgen alternativer politischer Handlungen. 8 5) Der Realismus lehnt es ab, das sittliche Streben einer Nation mit den sittlichen Gesetzen, die die Welt beherrschen (sollen), gleichzusetzen = Verzicht auf universell gültige Ideologien (um moralische Exzesse und politische Torheiten zu vermeiden). 6) Die Politik darf die gleiche Eigengesetzlichkeit beanspruchen wie Ökonomie (Wohlstand), Jurisprudenz (Rechtmäßigkeit) ...: „Welche Wirkungen hat eine Politik auf die Macht des Staates?“ Zusammenfassung: 1. Die großen Theoretiker der Ideengeschichte haben Antworten auf Fragen und Probleme ihrer Zeit gefunden, die bis heute Gültigkeit für demokratisch verfasste Staaten haben. Das MINK-Schema umfasst die zentralen Begriffe, mit denen sich Politikwissenschaft auseinandersetzt: Macht, Interesse (Ideologie), Norm, Kommunikation. Eine zentrale Rolle spielt der Machtbegriff z.B. im klassischen Realismus, bei dem Macht als zentrale Kategorie das außenpolitische Verhalten von Staaten bestimmt, das analog zum Verhalten der Menschen gesehen wird. 2. 3. Achtung: Vorlesung am 13.11.08 muss leider ausfallen. 3. Vorlesung (20.11.): Politische Theorie und Ideengeschichte II • • • • • • • • • • MINK-Schema: Ideologie (Interesse, Identität, Ideen) Beispiel: Totalitarismus MINK-Schema: Normen Beispiel: Internationale Regime MINK-Schema: Kommunikation Drei Schulen der Politikwissenschaft Politisches System und Politikfeldanalyse Grundzüge des deutschen Verfassungssystems Vier Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes Zusammenfassung MINK-Schema: Ideologie (Interessen, Identität, Ideen): „Interessen (materielle und ideelle), nicht Ideen, beherrschen unmittelbar das Handeln der Menschen. Aber die ´Weltbilder`, welche durch Ideen geschaffen wurden, haben sehr oft als Weichensteller die Bahnen bestimmt, in denen die Dynamik der Interessen das Handeln fortbewegte.“ Max Weber Weiter Ideologiebegriff: Weltbild oder Weltanschauung - die vereinfachende und selektive Weise der Wahrnehmung des Umfelds Enger Ideologiebegriff: Operationswirklichkeit (die Wirklichkeit in der wir handeln) und Perzeptionswirklichkeit (die selektive Abbildung der Operationswirklichkeit beim Individuum) Ideologie im Sinne „falschen Bewusstseins“ ist eine Perzeptionswirklichkeit, welche die Operationswirklichkeit unrichtig wiedergibt. 9 Thomas Theorem: Wenn Menschen eine Situation als so oder anders beschaffen definieren und dementsprechend handeln, dann sind die Folgen solchen Handelns real, ganz gleich wie irreal die Situationsdefinition war. Politisches Handeln verursacht regelmäßig unerwartete Nebenwirkungen = Eigendynamik politischen Handelns. Fragen: Wie ist die Perzeptionswirklichkeit der Akteure? Aus welchen Gründen weicht sie von der Operationswirklichkeit ab? Wie lassen sich die Abweichungen vermindern? Beispiel: Totalitarismus: Sechs Systemmerkmale: 1. Eine umfassende politische IDEOLOGIE 2. Eine hierarchische Einheits-PARTEI mit einem autoritären FÜHRER – der Bürokratie übergeordnet 3. Terror und TERRORSYSTEM gegen „feindliche“ Gruppen bzw. „Rassen“ (Sündenböcke) 4. Staatliches NACHRICHTENMONOPOL (Propaganda) 5. Staatliches WAFFENMONOPOL 6. Zentrale Kontrolle der WIRTSCHAFT (Nach: Friedrich/Brzezinski (1956): Totalitarian Dictatorship and Autocracy) MINK-Schema: Normen: Normen sind einerseits konkrete Regelungen, die das Leben und Zusammenleben von Menschen prägen, indem sie dem sozialen bzw. politischen Handeln zugrunde gelegt werden. In dieser Rolle sind sie teils Ausdruck von Werten, deren Verwirklichung sie ermöglichen sollen (Normen als Bestandteile von Ethos, Ethik und Moral), teils Folgen von Zweckmäßigkeitsüberlegungen (Normen als Konkretisierung von Taktik und Strategie). Beispiele: Gesetze und Höflichkeitsregeln, Verwaltungsvorschriften und Tabus Andererseits sind Normen Interpretationshilfsmittel. Anhand von Wissen über verfügbare und geltende Regeln interpretieren Menschen das Handeln anderer Menschen und stellen ihr eigenes Handeln darauf ab. Normen sind ein wichtiger Faktor der Konstruktion sozialer wie politischer Wirklichkeit. Beispiele: Kopfnicken als Grußritual, Oppositionsattacken im Parlament, Händeschüttlen Fragen: Welche Regeln werden von den politischen Akteuren erwartet, welche werden befolgt und inwiefern beeinflussen sie den Prozess der Hervorbringung, Aufrechterhaltung, Veränderung oder Zerstörung politischer Wirklichkeit? Welche Wertvorstellungen und Regelungsbedürfnisse werden für das Ziel der ´guten´ Ordnung von Staat und Gesellschaft benötigt? Beispiel: Internationale Regime: „Regimes can be defined as sets of implicit or explicit principles, norms, rules, and decisionmaking procedures around which actors´ expectations converge in a given area of international relations.“ (Quelle: Stephen D. Krasner (1983): International Regimes) Ziel: Erforschung von formeller und informeller Kooperation im Umfeld internationaler Verträge und Organisationen 1. Prinzipien (Grundsätze und Ziele) 2. Normen (Wertvorstellungen) 3. Regeln (Vertragliche Vorschriften und Bestimmungen) 10 4. Entscheidungsverfahren (Modalitäten der Entscheidungsfindung und des Umgangs mit Dissens Beispiel: Welthandelsregime (WTO) MINK-Schema: Kommunikation: Definiert als der Austausch von Informationen und Sinndeutungen durch persönliches Gespräch oder über Medien aller Art Neue Qualität für kommunikative Grundlagen von Staat und Gesellschaft durch das Aufkommen der Massenkommunikationsmittel Presse, Hörfunk, Fernsehen und Internet. Die Prozesse der Konstruktion politischer Wirklichkeit sind im Kern Kommunikationsprozesse (kommunikatives Handeln als ´Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhält´). Folglich muss jede Betrachtung von Politik auch die Untersuchung von Inhalten, Prozessen und Strukturen der Kommunikation beinhalten. Gegenstände der politikwissenschaftl. Kommunikationsanalyse: die Inhalte personaler oder massenmedialer Kommunikation, Nachrichtenwerte und Themenkarrieren, Schweige- und Redespiralen, die unmittelbaren und langfristigen Wirkungen von Massenmedien; die Selektion und Aufbereitung von Informationen in den Massenmedien, das Vokabular und die Verwendung politischer Sprache in privater und öffentlicher Rede, in Alltag, Literatur und Theater; die Nutzung von politischen Symbolen (Fahnen, Wappen, Architektur, Bilder, Plakate, Statuen, Filme, Musik, Denkmale und Erinnerungsstätten). Politikwissenschaftl. Forschungsbereiche: Systemtheorie, Diskursanalyse, Sprachanalyse, politische Symbolforschung, politische Ikonographie und Ikonologie, politische Propaganda, politische Kultur, praktische Geschichts- und Erinnerungspolitik Fragen: Wer kommuniziert mit wem auf welchen ´Kanälen´, worüber, aus welchem Grund, mit welchem Zweck und mit welcher Wirkung? Drei Schulen der Politikwissenschaft: 1) Die normativ-ontologische Schule Andere Bezeichnungen: Essentialistische oder praktisch-philosophische Schule - Suche nach den ´guten´ Normen Selbstverständnis: Politische Wissenschaft als Orientierungswissenschaft für die politische Praxis Gegenstandsbereich: Gedankliche Durchdringung und argumentative Rechtfertigung des demokratischen Verfassungsstaates Methode: Philosophische Analyse, Arbeit mit den „Klassikern“ der Ideengeschichte, eigene Theoriebildung 2) Die empirisch-analytische Schule Andere Bezeichnung: Rationalistische Schule - logisch richtige Problemlösungen erarbeiten Selbstverständnis: Anders als ideologisch angeleitete Politik durch empirische Analyse die Probleme der Operationswirklichkeit lösen (Problemlösungswissenschaft) Gegenstandsbereich: Praxisnützliche Analysen politischer Probleme und daraus abgeleitete Empfehlungen Methode: Empirische Sozialwissenschaft, Rationalitätsannahme, Werturteilsfreiheit, Statistische Verfahren 3) Die historisch-dialektische Schule Andere Bezeichnungen: Kritisch-dialektische oder kritisch-praktische Schule - die Wechselwirkungen von Einzelprozessen und Einzelstrukturen im historischen Kontext erkennen und daraus Folgerungen ableiten 11 Selbstverständnis: Emanzipationswissenschaft Gegenstandsbereich: Kritik an den bestehenden wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Verhältnissen Methode: Dialektischer bzw. historischer Materialismus, politische Ökonomie, kritische Theorie Politisches System und Politikfeldanalyse: Abhängige und unabhängige Variable: 1) Politisches System als abhängige (zu erklärende) Variable: • Erklärungsgegenstand ist die spezifische Ausformung des bestimmten politischen Systems • Das Zustandekommen des spezifischen politischen Systems soll erklärt werden • Durch welche Faktoren wird das politische System bestimmt? Durch die Verfassungen, Institutionen und realen Prozesse und Prozeduren in Vergangenheit und Gegenwart? 2) Politisches System als unabhängige (erklärende) Variable (= Politikfeldanalyse): • • • Erklärungsgegenstand ist die Leistungsfähigkeit des politischen Systems in unterschiedlichen Bereichen Die Auswirkungen des politischen Systems auf unterschiedliche Bereiche Welche Wirkungen hat das politische System in den verschiedenen Politikfeldern? Welche konkreten Politikinhalte, Leistungen und Ergebnisse werden vom politischen System erbracht? Zielsetzung für die Analyse des politischen Systems: Die Darstellung des politischen Systems muss mehr sein als eine solche der staatlichen Institutionen, andererseits weniger als eine der gesamten Gesellschaft. Sie hat diejenigen Akteure und Handlungszusammenhänge vorzustellen, über die gesamtgesellschaftlich verbindliche Entscheidungen bewusst beeinflusst, legitim herbeigeführt und in der Gesellschaft durchgesetzt werden. Grundzüge des deutschen Verfassungssystems: Zum Verständnis einer Verfassungsordnung müssen die historischen Konstellationen während der Entstehung und die prägenden Einflussfaktoren beachtet werden. Historische Konstellationen: • Gründungsanstoß und Vorbehalt der Genehmigung durch westliche Besatzungsmächte vor dem Hintergrund der totalen Niederlage und des beginnenden Ost-West-Konflikts • Vorgabe der Prinzipien von Demokratie und Föderalismus durch die Besatzungsmächte • Folgerungen aus dem Scheitern der Weimarer Republik Prägende Einflussfaktoren: • Bundesstaatlichkeit (Delegierte zum Herrenchiemsee-Konvent kamen aus den seit 1946/47 bestehenden Ländern) • Einfluss der politischen Parteien Verfassungskern erklärbar aus der doppelten Konfrontation mit dem Nationalsozialismus der Vergangenheit und dem Kommunismus der Gegenwart Verfassungskern des GG: 12 • Festschreibung der unabänderlichen, d.h. durch keine Mehrheit aufhebbaren Verfassungsprinzipien: Prinzip der Menschen- und Grundrechte, der Demokratie, des Rechts-, des Bundes- und des Sozialstaates (Art. 79 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 1 und Art. 20 GG) Zusammenfassung: 1. Die Perzeptionswirklichkeit erfolgloser Politiker entspricht nicht der Operationswirklichkeit der Politik. 2. Die drei Schulen der politikwissenschaftlichen Analyse beschreiben unterschiedliche Vorstellungen von der Disziplin sowie von den Aufgaben der Disziplin. 3. Für die sozial- und politikwissenschaftliche Analyse ist die Unterscheidung in abhängige (zu erklärende) und unabhängige (erklärende) Variablen elementar. Beides sollte nicht vermischt werden. 4) Vorlesung (27.11.): Regierungslehre Bundesrepublik Deutschland I • • • • • • • • • Vier Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes Föderalismus Spektren des Föderalismus Probleme und Entwicklungstendenzen des Föderalismus Politikverflechtungsfalle Föderalismusreform Probleme des bundesdeutschen politischen Systems: „Kommissionitis“ Policy-Analyse Zusammenfassung Vier Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes: 1) Parlamentarisches Regierungssystem nur der Bundestag verfügt im Bund über eine direkt auf das Volk zurückgehende Legitimation (Weimar: Parlamentarismus, Plebiszit, Präsidialmacht) 2) Primat individualbezogener Grundrechte Grundrechte- statt lediglich Rechtsstaat (Unabhängigkeit der Gerichte, Gleichheit vor dem Gesetz, Gesetzesbindung der Behörden, Willkürverbot), unmittelbar geltende Grundrechte, starke Verfassungsgerichtsbarkeit 3) Föderalismus Rückkehr zur deutschen Verfassungstradition nach dem Einheitsstaat während der nationalsozialistischen Herrschaft, aber auch Machtstreuung, um freiheitliche Demokratie zu stützen und den Sicherheitsbedürfnissen der Nachbarn entgegenzukommen; Mitwirkung der Landesregierungen bei der Bundesgesetzgebung und Ausführung von Bundesgesetzen durch die Bundesländer 4) Sozialstaatspostulat Sozialbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2) und Möglichkeit der Sozialisierung von Produktionsmitteln gegen Entschädigung (Art. 15) legen GG nicht auf eine bestimmte Wirtschafts- und Sozialordnung fest (Weimar: Ankündigung von Wirtschaftsräten enttäuschte Erwartungen bei der Linken, Aversionen bei der Rechten) DRIS – Demokratischer Rechts- und Interventionsstaat Föderalismus: Ziel: Gewisse Einheit mit gewisser Vielfältigkeit verbinden. Machtaufgliederung mittels vertikaler Gewaltenteilung (und Schutz von Minoritäten mittels territorialer Eigenständigkeit) und 13 Integration heterogener Gesellschaften, wobei meist ökonomische (aber auch politische und militärische) Integration bei gleichzeitiger soziokultureller Eigenständigkeit und/oder politischer Autonomie der Gliedstaaten/Provinzen/Länder angestrebt wird. Definition: Man kann verfassungsrechtlich-institutionell von Föderalismus sprechen, wenn in einem politischen System die entscheidenden Strukturelemente des Staates (Exekutive, Legislative, Gerichtsbarkeit, Bürokratie, Polizei etc.) auf beiden Regierungsebenen vorhanden sind, ihre Existenz verfassungsrechtlich geschützt ist und durch Eingriffe der jeweils anderen Ebene nicht beseitigt werden kann. Spektren des Föderalismus: Föderation als bipolares Kontinuum: Die Extreme sind die Allianz bzw. der Einheitsstaat. zentrifugaler Föderalismus Eigenständigkeit und Vielfalt als oberste Ziele Staaten- konföderaler unitarischer bund Bundesstaat Bundesstaat zentripetaler Integration und Gleichheit als oberste Ziele dezentraler Einheitsstaat Probleme und Entwicklungstendenzen des Föderalismus: Ausdehnung der Staatstätigkeit im Zuge der Entwicklung zum sozialen Wohlfahrts- und Leistungsstaat (DRIS) führte bis zum Beginn der 80er Jahre zu: • Konflikten um die Finanzverfassung, die Verteilung der Steueraufkommen und den Finanzausgleich - vertikal zwischen Bund und Ländern/Kommunen sowie horizontal zwischen den Ländern (Länderfinanzausgleich) • Einflussverlust der einzelstaatlichen Parlamente • Zunahme der Kooperation und Verflechtung der von der Exekutive beschickten Systemebene (Konferenzen und Gremien auf der Minister- wie BürokratenExpertenebene) Politikverflechtungsfalle: Fritz W. Scharpf (1988): The Joint-Decision Trap Einerseits war die Verflechtung im bundesrepublikanischen Föderalismus besser als bei zentralistischen politischen Systemen dazu in der Lage, durch institutionelle Fragmentierung und vertikale Differenzierung die Kosten zu verteilen und die unlösbaren Probleme durch „Bearbeitung“ und Verschiebung von einer Systemebene zur anderen zu entschärfen. Andererseits führt der Aushandlungszwang in der Form des Allparteienkompromisses (Vermittlungsausschuss) zu Konfliktvermeidung, Innovationsstau und zur politischen Immobilität, woraus sich mittelfristig Legitimationsprobleme ergeben können. Föderalismusreform: „Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“ seit 07.11.2003 • Ziel: Antworten auf die Frage, wer für was zuständig ist und wer für welche Entscheidungen die Verantwortung trägt • Kontinuierlicher Trend zur Ausweitung der Zuständigkeiten des Bundes (verkappter Einheitsstaat) 14 • Bund dominiert auch durch die Gemeinschaftsaufgaben bzw. die Mischfinanzierung (Hochschulbau, Küstenschutz, Wirtschafts- und Forschungsförderung) „Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“ seit 07.11.2003 • Der Finanzausgleich bestraft die erfolgreichen Länder und begünstigt die Länder, die sich selbst an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht haben • Problem eines übermächtigen Bundes bei Gesetzgebung und Finanzen (Haushalts-, Konjunktur- und Steuerpolitik) • Der spezifisch deutsche Kooperativ- oder Verbundföderalismus • • • • Mängel des Kooperativföderalismus: 1) Undurchdringliches Geflecht der BundLänder-Zusammenarbeit, bei der die Verantwortlichkeiten verschwimmen; 2) Zerstörung des Gleichgewichts zwischen Bundesstaat und Gliedstaaten, weil Länderparlamente entmachtet werden, während die Länderregierungen mehr Mitwirkungsrechte über den Bundesrat gewannen (= Trend zum Exekutivföderalismus) Bundesratsblockaden verzögern das Regierungshandeln, verschärfen den Reformstau und verschleiern die politische Verantwortung, die in das hinter verschlossenen Türen tagende Ersatzparlament namens Vermittlungsausschuss verlegt wird Gegenmodell zum deutschen Kooperativföderalismus ist der Wettbewerbsföderalismus: USA, Schweiz, Kanada, Australien haben saubere Trennung der Länder- von der Bundesebene mit klaren Kompetenzzuweisungen und Verzicht auf das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse Im Wettbewerbsföderalismus gibt es eigene Besteuerungsrechte der Länder (stärkeres Selbstbewusstsein und Eigenverantwortung, aber auch Akzeptanz der Unterschiede in der wirtschaftlichen und fiskalischen Leistungsfähigkeit - der Preis der Freiheit: Unterschiedliche Bezahlung der Länderbediensteten und schwankende Steuertarife) und Gesetzesautonomie (Subsidiaritätsprinzip wird ernst genommen) Föderalismusreform I: Die Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung (in Kraft am 01.09.2006): • Polizei ist grundsätzlich Ländersache (für die Abwehr der Terrorgefahr bleibt das BKA zuständig) • Naturschutz und Landschaftspflege werden von der Rahmengesetzgebung in die konkurrierende Gesetzgebung verlagert (wenn der Bund kein Bundesgesetz erlässt, haben die Länder das Gesetzgebungsrecht) • Hochschulrecht wird auf die Länder übertragen (außer Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse) • Beamtenrecht für Landes- und Kommunalbeamte geht in die Kompetenz der einzelnen Bundesländer über Föderalismusreform II: Die Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen (noch offen): • Stärkung der Eigenverantwortung der Gebietskörperschaften und ihrer aufgabenadäquaten Finanzausstattung • Wie mit dem Nord-Süd-Gefälle umgehen? Wie die annähernd gleichen Lebensverhältnisse sicherstellen? Probleme des bundesdeutschen politischen Systems: „Kommissionitis“: 15 Zunahme der „Expertenkommissionen“ als Problem mangelnder demokratischer Legitimation? • Vielzahl der „Expertenkommissionen“ – Weizsäcker, Hartz, Rürup etc. • Unterscheidung von Input- und Output Legitimität • Demokratietheoretische (Intransparenz) und effizienzorientierte (Politikverflechtung) Einwände • Begründung: Nur beratende Gremien können die legitime Partizipation der Bürger und Interessengruppen einerseits und die notwendige fachliche Expertise andererseits organisieren • Das Modell einer diskursiven Politikgestaltung zur Modernisierung der politischen Entscheidungsvorbereitung in der entstehenden Bürgergesellschaft • Von der „Berater- und Verbandsrepublik“ zum organisierten Dialog Policy-Analyse: Analyse der politischen Geschehnisse in einem bestimmten Politikfeld in zeitlicher Sequenz: • Problemdefinition • Agenda-Setting • Entscheidung • Implementierung • Evaluierung • (Wiederholung) Zusammenfassung: 1. Auch die vier zentralen Verfassungsprinzipien des GG sind als Reaktion auf die Probleme bzw. das Scheitern der Weimarer Republik sowie auf die Exzesse der NaziDiktatur zu verstehen Als föderaler Staat ist Deutschland eher dem Kooperativ- als dem Wettbewerbföderalismus zuzuordnen. Daran hat auch die Föderalismusreform nichts geändert. „Expertenkommissionen“ beinhalten immer die Gefahr der mangelnden demokratischen Legitimation, da auf diese Weise das Parlament zu leicht übergangen werden kann. 2. 3. 5) Vorlesung (04.12.): Regierungslehre Bundesrepublik Deutschland II • • • • • • • • • • • • • Funktionen des Parlaments Funktionen moderner politischer Parteien Typen politischer Parteien Kritik am Parteiensystem Die Bundesrepublik als „Kanzlerdemokratie“ Perspektiven des politischen Systems der Bundesrepublik Forschungsfelder der vergleichenden Regierungslehre Methoden der vergleichenden Regierungslehre Typen politischer Systeme Begriffe in der Transitionsforschung Drei Wellen der Demokratisierung Das Beispiel Afrika Zusammenfassung 16 Funktionen des Parlaments: 1. 2. 3. 4. 5. Artikulationsfunktion Wahlfunktion Kontrollfunktion Legislativfunktion Initiativfunktion (nach Walter Bagehot, Uwe Thaysen) Funktionen moderner politischer Parteien: 1. 2. 3. 4. Zielfindungsfunktion (Programmatik) Artikulations- und Aggregationsfunktion Mobilisierungs- und Sozialisationsfunktion Elitenrekrutierungs- und Regierungsbildungsfunktion (nach Klaus von Beyme) Funktionswandel oder Funktionsverlust der politischen Parteien? Typen politischer Parteien: 1. Liberale Parteien (gegen feudalistisch-aristokratische Regierungen) 2. Konservative Parteien (gegen Veränderungen, pro status quo) 3. Arbeiterparteien (gegen bürgerlich-kapitalistisches System) 4. Agrarparteien (gegen Industrialisierung) 5. Regionale Parteien (gegen Zentralismus) 6. Religiöse Parteien (gegen Laizismus) 7. Kommunistische Parteien (gegen Sozialdemokratie) 8. Faschistische Parteien (gegen Demokratie) 9. Protestparteien (gegen bürokratische Wohlfahrtsstaaten) 10. Umweltparteien (gegen Wachstumsgesellschaft) Kritik am Parteiensystem: 1. Die politischen Parteien wirken nicht nur an der politischen Willensbildung mit (Art. 21 GG), sondern sind vielmehr zu Monopolisten der Politik geworden 2. Sie nehmen für sich in Anspruch, für das Ganze und nicht nur für einen Teil der Gesellschaft zu sprechen 3. Selbstbedienungsmentalität der Parteien (Parteienfinanzierung) 4. Parteien haben sich abgekoppelt und führen ein von der gesellschaftlichen Wirklichkeit isoliertes Leben Die Bundesrepublik als „Kanzlerdemokratie“: Institutionelle Voraussetzungen: Art. 65 GG: „Richtlinienkompetenz“ des Kanzlers Art. 67 GG: „Konstruktives Mißtrauensvotum“ • Verschiebung der Kompetenzen von den Ministern und dem Kabinett zum Kanzler – Bundeskanzleramt als Steuerungszentrale der Regierungspolitik Aber: • Abhängigkeit von Koalitionspartnern, Probleme des Föderalismus, parlamentarische und verfassungs-rechtliche Kontrolle, starke Stellung der Europäischen Zentralbank 17 Perspektiven des politischen Systems der Bundesrepublik: Wandel von Staat und Gesellschaft: Der Staat ist nicht mehr nur Schiedsrichter und alleiniger Inhaber legitimer politischer Gewalt, sondern Gestalter des gesellschaftlichen Zusammenlebens – Scharnier- bzw. Mediatorenfunktion • Nicht allein der Wähler, sondern gesellschaftliche Gruppen in Form von Verbänden, pressure groups, Nicht-Regierungsorganisationen und „sozialen Bewegungen“ bestimmen wesentliche Inhalte und Ziele der Politik • Bewahrung des Bewährten oder Reformunfähigkeit? • Kritik an der Macht der Verbände und organisierten Interessen, Politikverflechtungsfalle im kooperativen Föderalismus, „Parteienstaat“, fehlende direkte Beteiligung der Bürger etc. Dennoch: • Konsolidierte Demokratie, die Belastungs- und Anpassungsfähigkeit in zahlreichen Krisen und Umbruchsituationen unter Beweis gestellt hat • Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft: Wandel der Wirtschaftsstrukturen und der sozialen Sicherungssysteme, TOK, transnationaler Terrorismus, europäische Einigung etc. • Forschungsfelder der vergleichenden Regierungslehre: 1. Politische Soziologie 2. Erforschung politischer Kommunikation, Propaganda und Sprache 3. Erforschung politischer Kultur 4. Politische Psychologie 5. Erforschung politischer Sozialisation 6. Elitenforschung 7. Erforschung sozialer Bewegungen 8. Verbändeforschung 9. Parteienforschung 10. Wahlforschung 11. Parlamentarismusforschung 12. Regierungslehre 13. Politische Verwaltungsforschung 14. Erforschung ‚lokaler Politik‘ 15. Föderalismusforschung 16. Politische Rechtslehre 17. Theoriebildung 18. Transitionsforschung Methoden der vergleichenden Regierungslehre: Definiton: Die vergleichende Methode • “Die Vergleichende Methode bezeichnet die bewusste, explizite und systematischr empirische Untersuchung von mindestens zwei natürlichen Fällen hinsichtlich eines bestimmten Zwecks.” • Was kein Vergleich ist: Äpfel und Birnen • • Vergleichen bedeutet nicht Gleichsetzen in jeder Hinsicht Jeder gute Vergleich ist eine Mischung aus Ähnlichkeit und Differenz (i.d.R. mehr Ähnlichkeit besser) Spannbreiten der sozialwissenschaftlichen Untersuchung: 18 • • • • • • N = 1 (Einzelfallstudie) Small N (Qualitativer Vergleich – vergleichende Methode im engeren Sinne, i.d.R. 2 bis 6 Fälle) Large N (Quantitativer Vergleich – sehr große Zahl von Daten und möglichst wenige Variablen zur Bestimmung von Korrelationen) Achtung: Korrelation ist nicht gleich Kausalität! Experiment (künstliche Bedingungen) Theoretische Reflektion (normativ-ontologisch ohne systematische empirische Überprüfung Nur Small N-Studien und als Ausnahmefall N = 1-Studien, wenn sie diachron angelegt sind, gelten als Vergleiche Differenzmethode (MSSD – most similar systems design): Auswahlkriterien: • Ähnlichkeit bei Kontextvariablen • Differenz in der Ausprägung der operativen Variablen (AV/UV) Vorteile: • Isolierung von Kausalbeziehungen • Generierung und Modifizierung von Hypothesen Nachteile: • Entsprechende Bedingungen liegen sehr selten vor Beispiel: Vergleich im frankophonen Afrika von Ländern, deren Kontext ähnlich ist, die aber bei Parteiensystem (UV) und Demokratieentwicklung (AV) Unterschiede aufweisen Konkordanzmethode (MDSD – most different systems design): Auswahlkriterien: • Ähnlichkeit bei den operativen Variablen (AV/UV) • Differenz bei Kontextvariablen • Suche nach weiteren erklärenden Gemeinsamkeiten Vorteile: • Gewisse Fähigkeit zur Isolierung von Kausalbeziehungen • Generierung und Modifizierung von Hypothesen • Bedingungen liegen häufiger vor als bei MSSD Nachteile: • Wie der Name sagt – geeignet nur für Ausnahmen • Entsprechende Bedingungen liegen selten vor Beispiel: Frankophone, anglophone und lusophone Staaten Afrikas, die einen unterschiedlichen Kontext haben, die aber hinsichtlich der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung (AV) und der dafür geltend gemachten Erklärungen wie Lage in den Tropen, ethnische Heterogenität etc. (UV) ähnlich sind Schlussfolgerungen aus den Überlegungen zur Vergleichsmethode: • Es gibt kein universales „best design“ • Nur Annäherungen an die beiden Ideale sind möglich • Das Forschungsdesign muss der Fragestellung und der empirischen Lage angepasst werden • Verschiedene Forschungsstrategien haben verschiedene Vor- und Nachteile • „Für einen Hammer sind alle Probleme Nägel.“ Kombinationen verschiedener Strategien im Forschungsprozess (dabei zahlreiche Varianten) möglich und sinnvoll Das Gleichnis Wie wenn da einer, und er hielte ein frühgereiftes Kind, das schielte, 19 hoch in den Himmel und er bäte: „Du hörst jetzt auf den Namen Käthe!“ – Wär‘ dieser nicht dem Elch vergleichbar, der tief im Sumpf und unerreichbar nach Wurzeln, Halmen, Stauden sucht und dabei stumm den Tag verflucht, an dem er dieser Erde Licht... Nein? Nicht vergleichbar? Na, dann nicht! Robert Gernhardt Typen politischer Systeme: Ideale Demokratie vs. Perfektes totalitäres System Kontinuum politischer Systeme Demokratie Autoritäre Systeme Totalitäre Systeme Vollkommene Demokratie Polyarchie Defekte Demokratie Realtypen: Mehrheitsdemokratie Konsensdemokratie Autoritäre Systeme: Semiautoritäre Systeme Autoritäre Systeme Prätotalitäre/Posttotalitäre Systeme Realtypen: Kommunistisch-autoritäre Regime Faschistisch-autoritäre Regime Militärregime Korporatistisch-autoritäre Regime Rassistisch-autoritäre Regime Autoritäre Modernisierungsregime Theokratisch-autoritäre Regime Dynastisch-autoritäre Regime Begriffe in der Transitionsforschung: 1. 2. 3. 4. Systemwandel (evolutionärer Wandlungsprozess) Systemwechsel (Entstehung eines anderen Systemtypus) Transition (Wandlungsprozess in Richtung Demokratie) Doppelte Transition (Übergang zur Demokratie und von der sozialistischen Planwirtschaft zur kapitalistischen Marktwirtschaft) 5. Transformation (Oberbegriff für alle Formen und Aspekte des Systemwandels und des Systemwechsels) Zusammenfassung: 1. Die politischen Parteien haben zwar eine im Grundgesetz bewusst verankerte Rolle im politischen System der Bundesrepublik, sie werden aber aufgrund der Selbstbedienungsmentalität und der ständigen Gefahr der Abkopplung von den realen Lebensverhältnissen kritisiert. 20 2. Die Bundesrepublik verfügt über eine konsolidierte Demokratie, die schon in vielen Krisen- und Umbruchsituationen ihre Belastbarkeit und Anpassungsfähigkeit bewiesen hat. 3. Der Vergleich ist als zentrale Methode der Analyse politischer Systeme immer nur als Annäherung an ein anspruchsvolles Ideal vorstellbar. 6. Vorlesung (11.12.): Vergleichende Regierungslehre • • • • • • • • • • • Drei Phasen in der Transition Drei Wellen der Demokratisierung Beispiel: Transition in Afrika südlich der Sahara Transformationstheorien Die Lipset-These: Wohlstand und Demokratie Demokratieförderung USA und EU im Vergleich Zentrale Herausforderungen der Konsolidierung Defekte Demokratien Hybride Regime Erklärungsvariable Neopatrimonialismus Zusammenfassung Drei Phasen in der Transition: 1. 2. 3. Ende des autokratischen Regimes und Beginn der Liberalisierung Institutionalisierung der Demokratie durch Verfassungskonferenz und freie Wahlen (= Transition im engeren Sinne, Gründungswahlen) Konsolidierung der Demokratie (Nach zweiten erfolgreichen Wahlen? Nach zweimaligem Regierungswechsel? Nach Erstarken der Zivilgesellschaft?) Drei Wellen der Demokratisierung: Erste Welle: 1828-1922 (19. Jahrhundert bis Ende des Ersten Weltkriegs) Zweite Welle: 1943-1962 (Ende des Zweiten Weltkriegs bis Ende der ersten Phase der Entkolonialisierung) Dritte Welle: 1974-(1993) (Transition in Südeuropa bis Ende der Euphorie nach Ende des Ost-West-Konflikts) Beispiel: Transition in Afrika südlich der Sahara: Entwicklung der politischen und bürgerlichen Freiheitsrechte, Anzahl der Länder 85/86 80/91 95/96 99/00 2003 2004 2005 2006 Frei 2 4 9 8 11 11 11 11 Teilw. Frei 13 15 19 24 22 21 23 22 Unfrei 31 28 20 16 15 16 14 15 Quelle: Freedom House Index Transformationstheorien: 1.Systemtheorien (Talcott Parsons, Niklas Luhmann) 21 2.Modernisierungstheorien (S. M. Lipset) 3.Strukturtheorien (neomarxistische, Barrington Moore) 4.Kulturtheorien (S. Huntington: „Clash of Civilizations“, P. Bourdieu: „Soziales Kapital“) 5.Akteurstheorien: Ansatzpunkt auf der Mikroebene der handelnden Akteure, zwei Hauptströmungen • eskriptiv-empirische: Die Liberalisierung ist Resultat rationaler Kostenkalküle seitens der Regierung (O´Donnell/Schmitter) • rational-choice Ansätze: Transition entsteht nicht allein aufgrund von Interessen und Strategien der Akteure, sondern als eine Abfolge strategischer Situationen; Demokratie ist kontingentes Ergebnis politischer Konflikte (Przeworski) Die Lipset-These: Wohlstand und Demokratie Seymour Martin Lipset: „Political Man“ (1960) - ein modernisierungstheoretischstrukturalistischer Ansatz zur Erklärung der Entstehung und zum Erhalt von Demokratie: „The more well-to-do a nation, the greater the chances that it will sustain democracy“ Die Stabilität einer Demokratie hängt ab von • dem wirtschaftlichen Entwicklungsstand, • der Effektivität der Regierung (gemessen an der Ansprüchen der Mehrheit) und • der Legitimität der Regierung (Fähigkeit zur Bewältigung von Strukturkonflikten in der Gesellschaft) Es gibt sechs begünstigende Faktoren von Demokratie: 1. ein relativ hohes Niveau sozioökonomischer Entwicklung in einer kapitalistischen Marktökonomie (Indikatoren: BSP und Massenkommunikation, Industrialisierung, Ausbildungsstand und Urbanisierung); 2. eine große und wachsende Mittelklasse sowie eine Unterschicht, die auf ein hohes Maß sozialer und wirtschaftlicher Sicherheit zählen kann; 3. eine relativ offene Klassenstruktur mit mannigfachen Aufstiegschancen (vertikale Mobilität); 4. eine hoch entwickelte Beteiligung der Bürger in Verbänden und Vereinen; 5. ein relativ hoher Ausbildungsstand und 6. ein relativ egalitäres System von Werten. Ist all dies gegeben, herrschen günstige Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Demokratie. Diese stabilisiert ihrerseits die zugrundeliegenden Voraussetzungen und somit entsteht ein sich selbst verstärkender Kreislauf. Die aktuelle Debatte: Die VR China vs. Indien: Setzt wirtschaftliches Wachstum Demokratie voraus oder nicht? • Die VR China als attraktives Modell für viele autoritäre Staaten in der Entwicklungsländerweilt – Einparteienherrschaft und wirtschaftlicher Erfolg (Entwicklungsdiktatur) • Indien als „alte“ Demokratie, bei der Massenarmut und wirtschaftlicher Erfolg nebeneinander existieren Demokratieförderung USA und EU im Vergleich : Demokratieförderung der USA in der arabischen Welt basierend auf drei Annahmen: 1) Die Menschen im Nahen Osten bevorzugen eine demokratische Regierungsform 22 2) 3) Wahlen in der arabischen Welt bringen westlich orientierte Regierungen hervor Demokratie ist vor allem das Ergebnis einer dynamischen Zivilgesellschaft Annahmen, die sich in der Vergangenheit nicht erfüllt haben Demokratieförderung der EU im 'near abroad', dem erweiterten Kreis der EU-Beitrittsstaaten: 1) Im Mittelpunkt steht der Aufbau funktionierender Institutionen 2) EU-Erweiterungspolitik dient dazu, die Führungsebenen zur Übernahme europäischen Rechts und zur Konsolidierung demokratischer Prozesse zu bewegen Kopenhagener Kriterien: Demokratie, Marktwirtschaft und ‘acquis communautaire’ Die EU setzt zu sehr auf die Erweiterungspolitik und dient eher der Stabilisierung demokratischer Länder als der Herbeiführung eines Systemwechsels in nichtdemokratischen Staaten Zentrale Herausforderungen der Konsolidierung: Ursprungsannahme der Transition: Entweder rasches Durchlaufen der Phasen bis zur Konsolidierung oder Rückfall in autoritäre Strukturen Befund: Zahlreiche Staaten befinden sich im “Weder-Noch-Zustand”, sind dauerhaft weder autoritär noch konsolidierte Demokratien Breite Debatte um defekte, hybride, illiberale, unvollständige, problematische, kontrollierte, restriktive, oligarchische, Fassaden-, Grauzonen- etc. Demokratien – Mehrparteiensysteme mit Wahlen, die aber häufig nicht frei und fair sind Entweder eigenständiger Typ (hybride Regime) oder Autokratie oder Demokratie – Debatte hält an Defekte Demokratien: Systemtypen (nach W. Merkel) Autokratie 1) Totalitäres Regime Herrschaftslegitimation: Weltanschauung (Ideologie) Herrschaftszugang: Geschlossen Herrschaftsanspruch: Unbegrenzt (total) Herrschaftsmonopol: Führer/Partei (keine Wahlen) Herrschaftsstruktur: Monistisch Herrschaftsweise: Willkürlich, systematisch, repressiv Autokratie 2) Autoritäres Regime Herrschaftslegitimation: Herrschaftszugang: Herrschaftsanspruch: Herrschaftsmonopol: Herrschaftsstruktur: Herrschaftsweise: Demokratie Mentalitäten, Traditionen Restriktiv Umfangreich Führer/Oligarchie (z.T. Wahlen) Semipluralistisch Begrenzt repressiv 23 3) Defekte Demokratie Herrschaftslegitimation: Herrschaftszugang: Herrschaftsanspruch: Herrschaftsmonopol: Herrschaftsstruktur: Herrschaftsweise: Volkssouveränität Offen Rechtsstaatl., aber verletzte Grenzen Durch Wahlen, aber Veto-Mächte Pluralistisch Eingeschränkt rechtsstaatlich Demokratie 4) Rechtsstaatliche Demokratie Herrschaftslegitimation: Volkssouveränität Herrschaftszugang: Offen Herrschaftsanspruch: Rechtsstaatlich definiert und garantiert Herrschaftsmonopol: Durch Wahlen und Verfassung legitimierte Autorität auf Zeit Herrschaftsstruktur: Pluralistisch Herrschaftsweise: Rechtsstaatlich Hybride Regime: Systemtypen (in Anlehnung an F. Rüb) Autoritäres Regime: Herrschaftslegitimation: Begrenzter/Kontrollierter Pluralismus Herrschaftsausübung: Willkürlich und unbegrenzt Herrschaftsstruktur: „Formally ill-defined“, starke und unkontrollierte Exekutive Herrschaftsumfang: Unbegrenzt (begrenzt nur durch Hybrides Regime: Herrschaftslegitimation: Herrschaftsausübung: Herrschaftsstruktur: Herrschaftsumfang: Demokratisches Regime: Herrschaftslegitimation: Herrschaftsausübung: Herrschaftsstruktur: Herrschaftsumfang: Freie (in der Regel nicht faire) Wahlen, plebiszitäre Repräsentation dominant Herrschaft durch Recht (Dekrete, Verordnungen, Generalklauseln) „Formally ill-defined“, nur schwach ausgeprägte horizontale Kontrolle der Exekutive Entgrenzt, weil rechtsstaatliche Schranken und horizontale Kontrollen nur gering ausgeprägt sind Freie und faire Wahlen, repräsentativ Herrschaft durch Recht (Grundlagen des Rechts durch Parlamentsbeschluss legitimiert) Klar definierte und funktionierende horizontale Kontrolle der Exekutive Herrschaft des Rechts – Legislative, Verwaltung und Exekutive sind an Recht und Verfassung gebunden Erklärungsvariable Neopatrimonialismus: 24 Warum erweisen sich defekte Demokratien/hybride Regime als so widerstandsfähig gegen die Konsolidierung? Herrschaftstypen nach Max Weber: rationale, traditionale und charismatische Herrschaft Patrimoniale als Form traditionaler Herrschaft: Der „Patron“ sorgt aufgrund der Tradition (nicht aufgrund des Rechts) für die diversen Klienten in seinem Herrschaftsbereich Neopatrimoniale Herrschaft: Die Koexistenz von moderner, rationaler Herrschaft mit patrimonialen Strukturen: Durch Klientelismus und Nepotismus stellt der Patron, der legalrational legitimiert ist, das Wohl der Gruppe über das Wohl des Volkes Zusammenfassung: 1. 2. 3. Die politische Transition von einem autoritären Staat zu einer konsolidierten Demokratie ist ein höchst voraus-setzungsvoller Prozess, der sich analytisch in drei Phasen unterteilen lässt. Die Lipset-These ist aktuell wie nie. Der relative Erfolg der VR China sieht aber gegenwärtig eher die Argumente der Entwicklungsdiktatur bestätigt. Nach dem Höhepunkt der „dritten Welle“ der Demokratie befasst sich die Transitionsforschung gegenwärtig vor allem mit den defekten oder hybriden Demokratien – solchen Regierungssystemen, in denen der Übergang von der Autokratie zur Demokratie nicht gelingt. 7. Vorlesung (18.12.): Europäische Integration • • • • • • • • • Zentrale Fragen der Integrationstheorien Definitionen von Integration Die drei Säulen der EU Stufen der wirtschaftlichen und politischen Integration Etappen der Europäischen Einigung Fünf Phasen der politikwissenschaftlichen Analyse der EU Was ist die EU? Die Entscheidungsverfahren in der EU Zusammenfassung Zentrale Fragen der Integrationstheorien: Mit integrationstheoretische Ansätzen werden folgende Fragen gestellt: • Motive: Welche Ursachen gibt es für die regionale Integration? • Prozess: Wie kommt es zur Vertiefung und Ausweitung der regionalen Integration? • Akteure: Welches sind die Hauptakteure im Integrationsprozess • Ziele: Wohin wird oder soll die regionale Integration führen? Definitionen von Integration: Integration • ist die friedliche und freiwillige Zusammenarbeit von Gesellschaften, Staaten und Volkswirtschaften über bislang bestehende Grenzen hinweg, • bezieht sich sowohl auf einen bestimmten Zustand als auch auf den Prozess und die Ziele dieser Entwicklung, 25 • • kann nach Integrationstiefe (Ausmaß der Integration) und Integrationsbreite (Zahl der zu integrierenden Materien) unterschieden werden, kann positiv (Schaffung gemeinsamer Institutionen und Treffen gemeinsamer Entscheidungen) sowie negativ (Beseitigung von Hemmnissen und Schranken aller Art) verstanden werden. Stufen der wirtschaftlichen und politischen Integration: Vorstufe: Präferentielle Handelsabkommen (PTA) • Freihandelszone: Absenkung bzw. Beseitigung von Binnenzöllen auf gemeinsames niedrigeres Niveau • Zollunion: Vereinheitlichung der Außenzölle • Gemeinsamer Markt: Freie Mobilität der Produktionsfaktoren im europäischen Binnenmarkt (Waren, Dienstleistungen, Personen, Kapital) • Wirtschafts- und Währungsunion: Harmonisierung bzw. Angleichung der Wirtschaftspolitik und Einführung einer gemeinsamen Währung • Politische Union: Alle wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen (einschließlich Außen- und Sicherheits-politik) werden auf europäischer Ebene getroffen (Nach: Balassa, Bela (1961): The Theory of Economic Integration. New York) Die drei Säulen der EU: • Zollunion und Binnenmarkt • Agrarpolitik (GAP – Gemeinsame Agrarpolitik) • Strukturpolitik • Handelspolitik • Wirtschafts- und Währungsunion • Unionsbürgerschaft • Transeuropäische Netze • Verbraucherschutz • Grundsatzfragen im Gesundheitswesen • Forschung und Umwelt 1. Säule: Entscheidungsverfahren: Qualifizierte Mehrheit 2.Säule: Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)Außenpolitik: • Kooperation, gemeinsame Standpunkte und Aktionen • Friedenserhaltung • Menschenrechte • Demokratie • Hilfe für Drittstaaten Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP): • alle die Sicherheit der Union betreffenden Fragen • Abrüstung • wirtschaftliche Aspekte der Rüstung (Auf- und Umrüstung) • Langfristig: Europäische Sicherheitsordnung Entscheidungsverfahren: Regierungszusammenarbeit (Intergouvernementalismus) 3. Säule: Zusammenarbeit in der Innen- und Justizpolitik • Asylpolitik • Außengrenzen 26 • • • • • Einwanderungspolitik Kampf gegen Drogen Bekämpfung des organisierten Verbrechens und des Terrorismus Zusammenarbeit der Justiz in Zivil- und Strafsachen Polizeiliche Zusammenarbeit Entscheidungsverfahren: Regierungszusammenarbeit (Intergouvernementalismus) Die Entscheidungsverfahren in der EU: 1. Supranational (qualifizierte Mehrheitsentscheidungen) mit direktem Durchgriff auf nationales Handeln (Richtlinien, Verordnungen, Entscheidungen des EUgH) in der 1. Säule Intergouvernementale Entscheidungen (Einstimmigkeit - Vetomöglichkeit für die Mitgliedsländer, keine Zuständigkeit des EUgH) in der 2. und 3. Säule Open Methode of Coordination (OMC), Empfehlungen (z.B. Bologna-Prozess) Marktkonkurrenz bzw. Standortwettbewerb (Finanz- und Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Gesundheitspolitik) 2. 3. 4. Fünf Phasen der politikwissenschaftlichen Analyse der EU: 1. Föderalismus • 40er bis Mitte der 50er Jahre • „Function follows form“ • Politischer Willensakt, Schaffung einer Verfassung • Ziel: Konstitutioneller Bundesstaat (nicht europäischer Superstaat) 2. • • • Funktionalismus Mitte der 50er bis Ende der 60er Jahre „Form follows Function“ Sachliche Probleme führen zu entsprechenden institutionellen Lösungen 27 • • 3. • • • • • • 4. • • • • 5. • • • • • • • Lernprozesse und Veränderungen von Interessenlagen fördern europäischen Integrationsprozess Ziel: Politische Union Regimetheorie und Policy-Forschung Anfang der 70er bis Mitte/Ende der 80er Jahre Ist die EG ein internationales Regime? Doppelcharakter des Integrationsprozesses (supranat. Rechtssystem und zwischenstaatl. Entscheidungen) Politikverflechtungsfalle Politikfeldforschung: Problemdefinition, Setzung der Agenda, Verhandlung, Entscheidung, Umsetzung, Kontrolle/Evaluation, Korrektur Ziel: Offen Supranat. vs. intergouvernement. Institutionalismus Ende der 80er bis Mitte der 90er Jahre Erklärung der neuen Dynamik über die supranationalen Institutionen und den Druck der Interessenverbände oder über die Interessenkonvergenz der „großen drei“ (D, F, GB)? Verhandlungstheoretische Erklärungsmuster: Verhandlungspakete mit monetärer Kompensation, strategischer Verknüpfung und Kuhhandel Ziel: Offen Regieren im europäischen Mehrebenensystem Mitte der 90er Jahre bis heute Analyse der europäischen Dimension auf den verschiedenen Ebenen (Kommunen, Länder, Bundesstaat, in Brüssel) Lösung bestimmter politischer Probleme statt Erklärung des Integrationsprozesses Transformation von Staatlichkeit Fragen der Internationalen Politik: Was treibt den Integrationsprozess? Wie weit kann die Logik zwischenstaatlicher Politik in Europa dauerhaft außer Kraft gesetzt werden? Fragen der „European Governance“: Welche Auswirkungen hat die de factoTransformation von Staatlichkeit auf die Lösung politischer Probleme? Ziel: Offen Was ist die EU? Die EU ist kein internationales Regime, weil anders als bei „normalen“ internationalen Regimen • die Kommission über eine Vertragswächter- und Integrationsmotorfunktion verfügt, • es in der EU eine eigenständige, übergeordnete Rechtsordnung gibt, • die EU über eigene Einnahmequellen verfügt und weil • in bestimmten Bereichen Mehrheitsentscheidungen möglich sind. Die EU ist keine Föderation, weil • die genaue Kompetenzverteilung zwischen den Institutionen immer noch umstritten ist, • die redistributive Ebene begrenzt ist und weil • der Legitimationsmangel bei der Bevölkerung fortbesteht. Þ Die EU als Institution sui generis. Zusammenfassung: 1. Die europäische Integration ist in erster Linie ein Friedensprojekt, mit dem ein Maß an Aufgabe nationaler Souveränität erzielt wurde, das ohne Beispiel ist. 28 2. Die Theorieentwicklung und die Debatten sind den politischen Veränderungen und den Dynamiken des Integrationsprozesses stets gefolgt. 8. Vorlesung (08.01.): EU und Internationale Politik I • • • • • • • • • • • • • Klausurvorbereitung Gibt es ein Demokratiedefizit in der EU? Reformvorschläge zur Demokratisierung der EU Aktuelle Problembereiche der EU Gegenstandsbereiche der Internationale Politik Außenpolitik – Internationale Politik – Int. Beziehungen Zur Geschichte der internationalen Beziehungen Funktion und Bedeutung von (IB-)Theorien Realismus Varianten des realistischen Denkens in den IB Liberalismus Varianten des liberalen Denkens in den IB Zusammenfassung Klausurvorbereitung: • 90 Minuten, 2 Multiple-Choice-Fragen (jeweils 5 Punkte), 4 Wissensfragen (jeweils 5 Punkte) sowie 2 Essayfragen (jeweils 15 Punkte) • Insgesamt 60 Punkte möglich, mindestens 30 für das Bestehen der Klausur notwendig • Beispiel für Multiple-Choice-Frage: 1. Multiple-Choice-Frage (1. Sitzung): Was ist mit der „cui-bono-Frage“ gemeint? a) Wem nützt welche Politik, wem schadet sie? b) Ob Bono von U2 als Entwicklungsaktivist den Friedensnobelpreis bekommen kann? c) Wer in der Politik unter welchen Bedingungen einen Bonus erhalten kann? • Beispiel für Wissensfrage: 1. Wissensfrage (1. Sitzung): Erläutern Sie den Unterschied zwischen „Politikkunde“ und „Politikwissenschaft“ und nennen Sie die drei „Politikdimensionen“. • Beispiel für Essayfrage (1. Sitzung): Erläutern Sie die Entwicklung der Disziplin Politikwissenschaft in Deutschland. Gibt es ein Demokratiedefizit in der EU? Die Frage nach der Legitimität der politischen Herrschaft in Europa • Legitimität = Rechtmäßigkeit politischer Herrschaft • Legitimitätsanspruch der Herrschenden und Legitimitätsglaube der Beherrschten • zu unterscheiden ist die allgemeine Legitimität des politischen Systems von der Legitimität einzelner Entscheidungen • Unterscheidung in Input- (durch Wahlen) und Output- (durch Leistung) Legitimität Seymour M. Lipset: „Legitimität ist die Fähigkeit des politischen Systems, die Gesellschaft davon zu überzeugen, dass die existierende politische Ordnung angemessen ist.“ Argumente gegen die These vom Demokratiedefizit: 29 Giandomenico Majone: „The EU should not be seen through the perspective of democratic states. There is no democratic deficit because the EU is a „regulatory state“. It does not engage in redistributive or value-allocative policies. Everybody wins from the EU´s policies.“ (wenig Umverteilung + Output-Legitimität) Argumente für die These vom Demokratiedefizit: • Übergewicht der Exekutive, geringer Einfluß der nationalen Parlamente • begrenzter Einfluß des Europaparlaments • (bisher) wenig Diskussion und keine Wahlen über europäische Politiken, Wahlen zum Europaparlament sind Abstimmungen über nationale Politik • fehlende Bürgernähe der EU • Unausgewogenheit des gesellschaftlichern Einflusses auf die EU • „ Policy drift“ der EU-Institutionen: Die Policy Orientierungen entsprechen nicht mehr denen der Mehrheit der Regierungen bzw. der Mehrheit der EU-Bevölkerung (neoliberale Ausrichtung) Reformvorschläge zur Demokratisierung der EU: • • • • • Aufwertung der nationalen Parlamente/des EU Parlamentes Stärkung der supranationalen Organe, z.B. durch Direktwahl des Kommissionspräsidenten Europäische Parteien mit europapolitischen Programmen Re-Nationalisierung von Entscheidungen (Subsidiaritätsprinzip betonen) Entwicklung einer europäischen, partizipativen Öffentlichkeit bzw. einer europäischen Identität Aktuelle Problembereiche der EU: Lissabon-Vertrag: • Wie kann die EU, deren Entscheidungsprozesse und deren institutioneller Aufbau noch nicht der gestiegenen Mitgliederzahl entsprechen, an die neue Größe und an die neuen Herausforderungen angepasst werden? (Aktuelle rechtliche Grundlage ist der Nizza-Vertrag vom Februar 2000) • Scheitern des Verfassungsentwurfs durch die negativen Referenden in Frankreich und in den Niederlanden (Mai/Juni 2005) • Der Reformvertrag (Lissabon-Vertrag) wird im Oktober 2007 verabschiedet, wird aber im Juni 2008 in einem Referendum in Irland abgelehnt EU-Beitritt der Türkei: • Beitrittskriterien seit Kopenhagen 1993: Demokratie, Marktwirtschaft und Akzeptanz des „Acquis communautaire“ – „jeder Staat Europas“ • Beitrittsverhandlungen mit der Türkei seit 2005 (seit 1964 assoziiert, Beitrittsantrag 1987, Zollunion seit 1996) • Jährliche Fortschrittsberichte der Kommission: Vorbehalte gegen türkische Menschenrechtspolitik, Unabhängigkeit der Justiz und Eigenständigkeit der Militärs (aber auch „clash of civilizations“) • Wirtschaftliche Bedenken vs. geostrategisches Potenzial Gegenstandsbereiche der Internationalen Politik: 30 1. Akteure: Staaten, IGOs, NGOs, TNCs Die Interaktionen von staatlichen, nichtstaatlichen und privaten Akteuren 2. Strukturen: Z.B. internationale Regime Die von den Akteuren geschaffenen, beeinflussten, genutzten, aufrechterhaltenen, geänderten oder zerstörten Beziehungsmuster 3. Prozesse: Z.B. Entscheidungsabläufe im UN-Sicherheitsrat Die Phasen politischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse, die Problemwahrnehmung, Willensbildung, Entscheidungsfindung zwischen den Akteuren (Policy) 4. Formen: Z.B. die Routinen innerhalb der EU Die Mittel und Mechanismen zur Lösung bzw. Bearbeitung von Problemen 5. Strategien: Z.B. des außenpolitischen Handelns Containment (Eingrenzung) oder Engagement (Einbindung) oder Hedging (Absicherung) Außenpolitik – Internationale Politik – Int. Bez.: Aktionsformen Akteure Beispiele Außenpolitik Regierungen Dtsch. Afrika-Politik Internationale Politik IGOs, Staatengruppen, Bündnisse UNO, Weltbank, G-8, NATO Supranat. Politik und Verfahren Supranat. Einrichtungen EU-policies (Agrar, Außenhandel), WTO Streitschlichtung, IStGH Transstaatliche Politik Einzelressorts, substaatl. Verwaltungseinheiten EU-Fachministerräte, Städtepartnerschaften Transnationale Politik Parteien, Kirchen, NGOs Sozialist. Internationale, Weltkirchenrat, Greenpeace, AI Außenpolit. Einflußnahme Verbände, NGOs Friedensbewegung, ATTAC Zur Geschichte der Internat. Beziehungen: • • • • Vorgänger: Völkerrecht, Politische Theorie, Geschichte der Diplomatie „Kind des Ersten Weltkrieges“ – Verständigung zwischen britischen und USamerikanischen Delegierten bei den Versailler Friedensverhandlungen, wissenschaftliche Institute zur Erforschung der internationalen Beziehungen zu gründen Entwicklungslinien: Idealismus, Realismus, Liberalismus, Kritische Theorie, Konstruktivismus, Postmoderne Koexistenz unterschiedlicher theoretischer und methodologischer „Schulen“ Funktion und Bedeutung von (IB-)Theorien: 31 Ausgangsfrage: Wie kann man grenzüberschreitend relevantes Verhalten von Akteuren (international und transnational) verstehen und erklären? Funktionen von Theorien: 1. Begriffs- und Definitionsfunktion 2. Diagnosefunktion (Parsimonität) 3. Erklärungsfunktion 4. Prognosefunktion Bedeutung: Sozialwissenschaftliche Theorien bilden nicht „die Wahrheit“ ab, sondern erlauben eine Annäherung an Erklärungen aus unterschiedlichen Perspektiven Realismus: Gemeinsamkeiten des realistischen Denkens: 1. Pessimistische Annahmen über die Natur des Menschen. 2. Internationale Beziehungen sind konfliktreich und internationale Konflikte letztlich nur durch Krieg zu lösen. 3. Hohe Wertschätzung für nationale Sicherheit und das Überleben des Staates in der internationalen Anarchie. 4. Skeptische Sicht auf mögliche Fortschritte in der internationalen Politik. Varianten des realistischen Denkens in den IB: Warum streiten Staaten um Macht? Klassischer Realismus (Morgenthau) Machtstreben ist Staaten inhärent Struktureller Realismus (Waltz) Struktur des Systems Anarchie Wie viel Macht wollen die Staaten? Maximierung Machtgleichrelativer Macht gewicht (Hegemonie als letztes Ziel) Offensiver Realismus (Mearsheimer) Struktur des Systems Anarchie Maximierung relativer Macht (Hegemonie als letztes Ziel) Zusammenfassung: 1. Ob es in der EU ein Demokratiedefizit gibt, hängt von der Perspektive bzw. dem Vergleichsmaßstab ab. Verglichen mit der Politik in den Mitgliedsländern hat die EU ein Demokratiedefizit, als Institution sui generis kann man ihr das aber nicht vorwerfen. Die Internationalen Beziehungen sind eine relativ junge Disziplin, die in der angelsächsischen Welt eigenständig ist, bei uns aber als Teil der Politikwissenschaft behandelt wird. Die beiden Großtheorien der IB, Realismus und Liberalismus, prägen in zahlreichen Varianten bis heute die Theoriediskussion. 2. 3. 9. Vorlesung (15.01.): Internationale Politik II • Klausurfragen 32 • • • • • • • • Liberalismus Varianten des liberalen Denkens in den IB Die drei Institutionalismen Methoden in den IB Beispiel für Spieltheorie in der rationalistischen Kooperationstheorie – Gefangenendilemma Die fünf großen Debatten in den IB Exkurs: Relative vs. absolute Gewinne Zusammenfassung Klausurfragen: • • • • • 90 Minuten, 6 Wissensfragen (jeweils 5 Punkte) sowie 2 Essayfragen (jeweils 15 Punkte) Insgesamt 60 Punkte möglich, mindestens 30 für das Bestehen der Klausur notwendig Beispiel für Multiple-Choice-Frage: 1. Multiple-Choice-Frage (3. Sitzung): Was ist mit den drei Schulen der Politikwissenschaft gemeint? a) Normativ-ontologisch, empirisch-analytisch, historisch-dialektisch b) Regierungslehre, Vergleichende Regierungslehre, Internationale Politik c) Historische Konstellation, prägende Einflussfaktoren, Erklärungsansätze Beispiel für Wissensfrage: 1. Wissensfrage (3. Sitzung): Was ist der Verfassungskern des Grundgesetzes? Beispiel für Essayfrage (3. Sitzung): Erläutern Sie die Ursprünge und die zentralen Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes. Liberalismus: Gemeinsamkeiten des liberalen Denkens: 1. Die positive Bewertung der Natur des Menschen und der Mensch als zentrale Analyseeinheit. 2. Die Überzeugung, dass die internationalen Beziehungen kooperativ und nichtkonflikthaft gestaltet werden können. 3. Der Glaube an den Fortschritt, eine optimistische Grundhaltung. 4. Das Ziel einer stabilen internationalen Friedensordnung. Varianten des liberalen Denkens in den IB: Utopischer Liberalismus Woodrow Wilson (1856-1924); „The world must be made safe for democracy.“ 14-PunkteProgramm von 1918 (Förderung der Demokratie, Ende der Geheimdiplomatie, Freihandel, Abrüstung, Selbstbestimmungsrecht der Völker, Völkerbund). Durch eine rational und intelligent geschaffene Internationale Organisation muss es möglich sein, den Krieg zu beenden und einen permanenten Frieden zu schaffen. Soziologischer Liberalismus Karl W. Deutsch (1912-1992); Transaktionismus: dichte transnationale Beziehungen zwischen Gesellschaften führen zu einer „Sicherheitsgemeinschaft“, in der die Menschen zu der Überzeugung gelangt sind, dass ihre Konflikte und Probleme ohne den Rekurs auf kriegerische Mittel gelöst werden können. 33 Interdependenztheoretischer Liberalismus • während in der Vergangenheit der Besitz von Land und von natürlichen Ressourcen wichtig für Sicherheit und Wohlstand waren, kommt es heute mehr auf hochqualifizierte Arbeitskräfte sowie auf ungehinderten Zugang zu Informationen und zu Kapital an • die „Handelsstaaten“ erhöhen durch eine starke Arbeitsteilung die gegenseitige Abhängigkeit und reduzieren damit den kriegerischen Konfliktaustrag • „komplexe Interdependenz“, in der auch die internationale Politik immer mehr zur Innenpolitik wird; transnationale Akteure verfolgen mit und neben den Staaten ihre eigenen Ziele; ‚low politics‘ und Wohlfahrtsziele werden immer wichtiger; die Bedeutung internationaler Organisationen nimmt zu (gleichwohl bleibt bei Fragen von „Leben und Tod“ • die realistische Sichtweise wichtig) Republikanischer Liberalismus • Demokratien führen untereinander keine Kriege, weil demo-kratische Normen auf friedlichen Konfliktaustrag angelegt sind, weil Demokratien auf gemeinsamen moralischen Werten und Überzeugungen (u.a. Meinungs- und Pressefreiheit) beruhen, die im Umgang miteinander auf Friedfertigkeit angelegt sind, und weil unter ihnen die ökonomische Interdependenz hoch ist • außenpolitische Konsequenz: die Ausbreitung und Stärkung von Demokratien weltweit Institutionalistischer Liberalismus • Internationale Institutionen sind völkerrechtliche Vereinbarungen, intergouvernementale internationale Organisationen, internationale Regime (Prinzipien, Normen, Regeln, Verfahrensweisen - ihr Entstehen, ihr Wandel, ihre Wirkung) • Institutionen erleichtern die Beschaffung von Informationen, ermöglichen Erwartungsverlässlichkeit, erlauben die Überwachung von Vereinbarungen, schaffen ein Verhandlungsforum und senken die Transaktionskosten Die drei Institutionalismen: Historischer Institutionalismus: • die weitere Entwicklung wird von den anfangs festgelegten Prinzipien, Normen, Regeln und Prozeduren bestimmt - Pfadabhängigkeit der Entwicklung – „critical junctures“ Rationalistischer Institutionalismus: • das rationalistische Interessenkalkül der Akteure bestimmt den Spielraum für das Ergebnis der Kooperation - es kann durch Institutionenbildung pareto-optimiert werden Konstruktivistischer Institutionalismus: • durch die institutionalisierte Kooperation können sich die Identitäten, Werte und Normen der beteiligten Akteure verschieben; Kommunikationsprozesse sind wichtig; Fortschritt und Lernprozesse sind möglich Methoden in den IB: • • • „Thick Description“ – hist. Einbettung und genaue Beschreibung (Methode der Wahl, wenn es auch um das Erreichen eines breiteren Publikums geht) Vergleich - von Außenpolitiken oder dem Verhalten von versch. Regierungen in IGOs etc. Hypothesenüberprüfung – die USA sind vor allem am Containment (Eindämmung) möglicher Rivalen interessiert 34 • • Quantitative Analysen – World Value Survey, Umfragen zu außenpolitischen Einstellungen Spieltheorie in der rationalistischen Kooperationstheorie - Erklärung des Verhaltens in Entscheidungssituationen (Gefangenendilemma, Feiglingsspiel etc.) Beispiele für Spieltheorie in der rationalistischen Kooperationstheorie Gefangenendilemma: Gefangener 1 Aussagever- Aussage weigerung Aussageverweigerung 3,3(*) 4,1 Aussage 1,4 2,2 (**) Gefangener 2 (*) Pareto-optimales Ergebnis; (**) Equilibrium Individuelle Rationalität führt zu kollektiver Irrationalität (vgl. auch Tragödie der Allgemeingüter) – Konsequenzen für Kooperationsverhalten? 1 = beste Lösung 4 = schlechteste Lösung Erste Zahl steht jeweils für den Gefangenen 1, zweite Zahl für Gefangenen 2 10. Vorlesung (22.01.): Internationale Politik III • • • • • • • • • • Klausurfragen Auswertung der Evaluierung Die fünf großen Debatten in den IB Exkurs: Relative vs. absolute Gewinne Dependencia als kritische Nord-Süd-Theorie Das Zentrum-Peripherie-Modell Konstruktivismus als Zwischenschritt Grundzüge von Positivismus und Poststrukturalismus Postdevelopment als Beispiel Zusammenfassung Klausurfragen: • • • • 90 Minuten, 6 Wissensfragen (jeweils 5 Punkte) sowie 2 Essayfragen (jeweils 15 Punkte) Insgesamt 60 Punkte möglich, mindestens 30 für das Bestehen der Klausur notwendig Beispiel für Multiple-Choice-Frage: 1. Multiple-Choice-Frage (5. Sitzung): Was versteht man unter dem ‚most similar systems design‘? a) Differenzmethode – Differenz in den operativen Variablen, Ähnlichkeit bei Kontextvariablen b) Konkordanzmethode (= similar) – Differenz bei Kontextvariablen, Ähnlichkeit bei operativen Variablen c) Vergleich von ähnlichen Fällen ohne besondere Systematik. Beispiel für Wissensfrage: 1. Wissensfrage (5. Sitzung): Nennen Sie die fünf Funktionen des Parlaments nach Bagehot/Thaysen. 35 • Beispiel für Essayfrage (5. Sitzung): Womit und beschäftigt man sich in der Transformationsforschung und welche Begriffe und Ansätze dominieren? Auswertung der Evaluierung: Allgemeineinschätzung: 5,9 (von 7) Mein Durchschnitt in diesem Semester: 6,05 (bei 4 Veranst.) Note der Veranstaltung: 2,2 (im Durchschnitt: 2,1) Lehrkompetenz: 6,2 Stärken: Gute Vortragsweise, viele Beispiele, Bezug zu aktuellen Fragen, Zusammenfassungen am Ende, Skript zum Download, Kompetenz und Fachwissen des Dozenten – “einer der wenigen klugen Profs. an der Uni” Schwächen: zu schnell (Themen können nicht “sacken”), zu voll, zu groß, zu wenig Diskussionen, zu viel Stoff, zu komplex, zu hohes Niveau, Unpünktlichkeit des Dozenten – “der Prof. redet wie ein Maschinengewehr / volle Deckung” Die fünf großen Debatten in den IB: 1) Idealismus vs. Realismus (1920er - 1950er Jahre) Utopischer Klassischer Liberalismus (Idealimus) Realismus (1920er Jahre) (1930er-1950er Jahre) Internationales Recht Machtpolitik Internationale Org. Sicherheit und Verteidigung Interdependenz Aggression Kooperation Konflikt Frieden Krieg 2) Traditionelle vs. Positivistische Methoden (1960er Jahre) Traditionelle Methoden Fokus auf Verstehen Normen und Werte Bewertung Historisches Wissen Theoretiker ist Teil des Untersuchungsgegenstandes Positivistische Methoden Fokus auf Erklären Hypothesen Sammeln von Daten Wissenschaftliche Theoretiker ist außerhalb des Untersuchungsgegenstandes 3) Die neomarxistische (kritische) Herausforderung (1970er und 1980er Jahre) Traditionelle Ansätze Realismus/Neorealismus Liberalismus/Neoliberalismus problemlösungsorientiert Neomarxistische Ansätze Kapitalistisches Weltsystem dependencia/Unterentwicklung kritisch Exkurs: Dependencia als kritische Nord-Süd-Theorie: Dependencia entsteht bereits in den 1950er Jahren in der CEPAL • Prebish-Singer-These: Säkular sinkende terms of trade der Entwicklungsländer 36 • • Die Industrieländer haben kein Interesse am wirtschaftlichen Aufstieg der Entwicklungsländer – im Gegenteil, sie halten sie in Abhängigkeit (als Rohstofflieferanten, mit Entwicklungsrhetorik, durch die Dominanz weltwirtschaftlicher Strukturen und Institutionen) Galtung: Die Entwicklungsländer sind strukturell abhängig – die Zentren dominieren die Peripherien und auch die Peripherien im Zentrum und die Zentren in der Peripherie sind daran beteiligt (Zentrum-Peripherie-Modell) Das Zentrum-Peripherie-Modell: Das Zentrum-Peripherie-Modell von Johan Galtung (1972): Zentrum Zentrum Peripherie Peripherie Zentrum Peripherie Entwicklungsländer erheben ab Anfang der 1970er Jahre in der UNO Forderungen (GV, UNCTAD) nach einer Neuen Weltwirtschaftsordnung (NWWO): • Industrieländer müssen bereit sein, für die Schäden der Kolonialisierung und des Neokolonialismus aufzukommen • Indexierung der Rohstoffpreise • Umbau der Abstimmungsverhältnisse in den Bretton-Woods Institutionen (von ‘one dollar – one vote’ zu ‘one country – one vote”) • 0,7 Prozent-Ziel und garantierte Finanz- und Technologietransfers 4) Struktureller Realismus vs. rationalistischer Institutionalismus (1980er und 1990er Jahre) Gleiche Grundannahmen: Anarchie, Staat als einheitlicher Akteur, rationales Handeln, Machtgewicht bestimmt Ergebnis der Interaktion, aber Struktureller Realismus Rationalist. Institutional. Koordinierung Kooperation Zusammenarb. nicht von Dauer Dauerhafte Zusammenarbeit Relative Gewinne Absolute Gewinne Präferenzverschiebung beenInstitutionen stellen Informadet die Zusammenarbeit tionen zur Verfügung, schaffen Erwartungsverlässlichkeit, erlauben die Überwachung von Vereinbarungen, schaffen ein dauerhaftes Verhandlungsforum und senken die Transaktionskosten Exkurs: Relative vs. absolute Gewinne: Ausgangsfrage: Soll die USA ein Handelsabkommen mit der EU abschließen oder nicht? Absolute Gewinne: So lange es uns gut geht, stört es nicht, wenn es anderen noch besser geht. Beispiel: Die US-Wirtschaft wächst im kommenden Jahrzehnt um 25 Prozent, die der EU um 75 Prozent. Relative Gewinne: Wir werden unser bestes geben, aber unser zentrales Ziel bleibt es, dass uns die anderen nicht überflügeln. Beispiel: Die US-Wirtschaft wächst im kommenden Jahrzehnt um 10 Prozent, die der EU um 15 Prozent. Einer US-Regierung, die sich am zweiten Szenario orientiert, geht es um die Beachtung relativer Gewinne und sie wird deshalb das Handelsabkommen nicht unterzeichnen 37 (Zero-Sum-Game vs. Positive-Sum-Game) 5) Die postmoderne Herausforderung (1990er Jahre) Etablierte Sichtweisen Neorealismus Institutionalismus Neoliberalismus Internationale politische Ökonomie/kritische Theorie Konstruktivismus Postmoderne Ansätze Post-positivistische Methoden Post-positivistische Untersuchungsgegenstände Poststrukutalistische Dekonstruktion, Diskursanalyse Konstruktivismus als Zwischenschritt: Alexander Wendt (1992): Anarchy Is What States Make of It: The Social Construction of Power Politics • Nicht nur materielle Faktoren (Macht etc.) sind relevant, sondern auch die Wertehaltungen der Akteure • Werte, Ideen, Normen, Identität – vier Schlüsselbegriffe • Einer ‘Logik der Konsequenz’ (Rationalismus) steht eine ‘Logik der Angemessenheit’ (Konstruktivismus) gegenüber • Die Akteure entscheiden nicht nur nach Kosten-Nutzen-Erwägungen, sondern auch nach den Werten und Normen, mit denen sie sozialisiert wurden (soziologischer Institutionalismus • Durch Kommunikation können Präferenzen und Interessen verändert werden • Beispiel: Die Osterweiterung der EU Zusammenfassung: 1. Die fünf großen Debatten in den Internationalen Beziehungen spiegeln generelle Veränderungen in den Sozialwissenschaften wider, reflektieren aber auch veränderte weltpolitische Bedingungen. Zentrale Neuerungen der letzten 15 Jahre waren Konstruktivismus (positivistisch) und Poststrukturalismus (postpositivistisch) – damit gibt es eine neue „Metadebatte“. 2. 11. Vorlesung (29.01.): Internationale Politik IV • • • • • • • • • Klausurfragen Grundzüge von Positivismus und Poststrukturalismus Postdevelopment als Beispiel Drei Schulen in der Globalisierungsdebatte Global Governance Forschungsfelder: „Ressourcenfluch“ Forschungsfelder: Das Mikro-Makro-Paradoxon der Entwicklungspolitik Perspektiven der Politikwissenschaft Zusammenfassung 38 Klausurfragen: • • • • • 90 Minuten, 2 Multiple-Choice-Fragen, 4 Wissensfragen (jeweils 5 Punkte) sowie 2 Essayfragen (jeweils 15 Punkte) Insgesamt 60 Punkte möglich, mindestens 30 für das Bestehen der Klausur notwendig Beispiel für Multiple-Choice-Frage: 1. Multiple-Choice-Frage (7. Sitzung): Die EU ist kein internationales Regime, weil … a) in der EU Mehrheitsentscheidungen möglich sind und sie über eigene Einnahmen und eine eigene Rechtsordnung verfügt. b) es in ihr doch sehr demokratisch zugeht. c) sie sich in vielen Erweiterungsrunden verändert hat. Beispiel für Wissensfrage: 1. Wissensfrage (7. Sitzung): Skizzieren Sie kurz die drei Säulen der Europäischen Union. Beispiel für Essayfrage (7. Sitzung): Gibt es in der EU ein Demokratiedefizit und was könnte gegebenenfalls dagegen unternommen werden? Grundzüge von Positivismus und Poststrukturalismus: Positivismus: • die Realität existiert außerhalb des subjektiven Bewusstseins; • Aufgabe der Wissenschaft ist es, die Welt mit rationalen Methoden zu erfassen, zu beherrschen und zu verändern; • die Rationalität ist die einzig akzeptierte Autorität - dagegen sind Tradition, Moral und Vorurteile in das Reich des Unwissenschaftlichen zu verbannen; • die Kernfunktion der Wissenschaft besteht in der Prüfung von Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt; • Wissenschaft ist neutral gegenüber den in der Gesellschaft existierenden Interessen und einzig an Wahrheit und dem Allgemeinwohl interessiert Kritik am Positivismus: • • der Positivismus wird zu einer Art der Wirklichkeitskonstruktion, die bestehende Interessenunterschiede und gesellschaftliche Spaltungen nicht nur ausblendet, sondern z.T. sogar begründet; Wissenschaft wird zur Ersatzreligion, ohne die eigene Rolle zu reflektieren und die tief liegenden Hierarchien und Hegemonialstrukturen zu kritisieren Poststrukturalismus: • niemand kann im Besitz „der“ Wahrheit sein; es liegt am Individuum, wie es die Welt ordnet; dieses Denken produziert durch seine Ordnungsleistung Wirklichkeit; Wahrheit gibt es nicht und Wirklichkeit ist konstruiert • die Postmoderne fordert Vielfalt, ein friedliches Nebeneinander unterschiedlicher Theorien, Weltsichten, moralischer Standards und Kulturen (Kontextualisierung) • die politische und ethische Absicht hinter dem Großteil postmoderner Forschung ist es, individuelle Besonderheiten als wichtig festzuhalten und gegen die Vereinheitlichung im Rahmen einer großen umfassenden Theorie aufzutreten Kritik am Poststrukturalismus: • wenn allein das Individuum zur bestimmenden Einheit im Erkenntnisprozess und in der Bewertung von Handlungen wird, dann gibt es keine objektive 39 • Beurteilungsinstanz mehr, dann sind verschiedene individuelle Entscheidungen und Handlungen gleichermaßen gültig, d.h. gar nicht vergleich- und bewertbar; die politische Folge ist oft der Relativismus, dass Verlieben in das Detail, dass „anything goes“, was dann paradoxerweise zur Gleichgültigkeit gegenüber den verschiedenen individuellen Sichtweisen und Lebensstilen führen kann Postdevelopment als Beispiel: Postdevelopment richtet sich gegen die Vorstellung, dass alle Welt “am westlichen Wesen genesen” soll: • Der bisherige Entwicklungspfad des Westens ist global nicht reproduzierbar – alle müssen umdenken • Entwicklung muss vielfältiger verstanden werden, nicht nur so, wie der Westen/der Norden das will • Es geht um mehr Autonomie, Freiräume, Selbstverantwortung – nicht um aufgezwungene Modelle und “Lösungen” • Mittels Diskursanalyse und unter Rückgriff auf poststrukturalistische Theoretiker (Foucault, Derrida etc.) lässt sich der herrschende Entwicklungsdiskurs “dekonstruieren”: Macht- und Herrschaftszwänge sowie einseitige Verständnisweisen können verdeutlicht werden Drei Schulen in der Globalisierungsdebatte: 1. Hyperglobalisierer Befund: Der globale Markt ist Realität und bestimmt alles Perspektive: Ende aller national verfassten Systeme, globale Zivilisation Zuordnung: neoliberale Ökonomen, Marxisten Vertreter: Ohmae/Fukuyama 2. Globalisierungsskeptiker Befund: Heterogen, keine neue Qualität der grenzüberschreitenden Transaktionen Perspektive: Der Nationalstaat ist und bleibt zentral; national statt global governance; wachsende Konflikte Zuordnung: Neorealisten und Keynesianer Vertreter: Hirst/Thompson, Krasner (Scharpf) 3. Transformationalisten Befund: Heterogen, aber neue Qualität Perspektive: Global Governance Zuordnung: Neoinstitutionalisten, Neoliberale Politikwissenschaftler Vertreter: Giddens, Held, Albrow, Beck (Messner/Nuscheler, Zürn) Global Governance: Die sechs Säulen im Global Governance-Konzept: Weltregieren bzw. Weltordnungspolitik in sechs zentralen inter- nationalen Politikfeldern: 1.Welthandelsordnung 2.Internationale Wettbewerbsordnung 3.Weltwährungsordnung 4.Weltsozialordnung 40 5.Weltumweltordnung 6.Weltfriedensordnung Erhoffte Auswirkungen: • Angleichung (nicht: Gleichschaltung) von Normen und Ideen sowie Dialog der Kulturen • Universalisierung der vier zivilisatorischen „Essentials“: Rechtsstaat, Marktwirtschaft, Demokratie, Menschenrechte • Zivilisatorisches Hexagon (Senghaas): Gewaltmonopol des Staates, Rechtsstaatlichkeit, Interdependenz und Affektkontrolle, demokratische Partizipation, soziale Gerechtigkeit, Konfliktkultur • Geteilte Souveränitäten, Global Compact, weltbürgerliche Orientierung, Corporate Social Responsibility Forschungsfelder: „Ressourcenfluch“ Problem: Wie ist es zu erklären, dass viele Entwicklungsländer trotz des großen Ressourcenreichtums (Erdöl, Erdgas, Diamanten, andere mineralische Rohstoffe) häufig autoritäre politische Systeme aufweisen, die wirtschaftliche Entwicklung enttäuschend verläuft und die Neigung zu gewaltsamem Konfliktaustrag vergleichsweise groß ist? • Politik: Kooptations- und Repressionspotential, wenn autoritäre Staaten plötzlich zu Reichtum gelangen • Wirtschaft: ‚Dutch Disease‘ – Exportsektor wird zur Enklave, Wechselkurs steigt, Löhne steigen, Importe werden günstiger, Wirtschaft stagniert • Konfliktneigung: ‚Greed and Grievance‘, nur bei bestimmten Bedingungen: Grenznähe – Randlage, failing state, abhängig von der Art des Abbaus und von den jeweiligen Bedingungen Perspektiven der Politischen Wissenschaft: 1. 2. 3. 4. Tendenz zur integrierten Sozialwissenschaft: Eigenständigkeit des Faches bleibt strittig und hängt vom Selbstverständnis ab (positivistisch oder post-positivistisch, welcher Art von Institutionalismus verhaftet) Politikwissenschaft vermag eigenständige Beiträge zu einer multidisziplinären, interdisziplinären und transdisziplinären Bearbeitung von Problemen zu leisten Kernprobleme der Politikwissenschaft bleiben zeitlos: Die Demokratieperspektive, die Kooperationsperspektive und die Problemlösungsperspektive Die Disziplin löst sich von den bisher bekannten Teilbereichen und definiert das Aufgabenspektrum neu, z.B. Governance statt Regierungslehre Zusammenfassung: 1. 2. 3. Poststrukturalistische Ansätze gehen nicht von der Wahrheit aus, sondern begreifen die Welt als vielfältig konstruiert. Dabei besteht die Gefahr, dass alle Wertmaßstäbe relativiert werden können. Bei aktuellen Forschungsthemen verschwimmt die Trennung in die klassischen Bereiche der Disziplin immer stärker. Es bedarf multipler Methoden und theoretischer Zugänge. Die Politische Wissenschaft ist auf dem Weg zu einer integrierten Sozialwissenschaft. Da die zentralen Forschungsprobleme inter- und transdisziplinäre Zugänge erfordern, definiert sich auch die Politische Wissenschaft ständig neu – bei zeitloser Relevanz von Fragen wie Krieg und Frieden oder der „guten Herrschaft“. 41 Klausurtermin: 05.02.09, 14.30 – 16.00 Uhr, Chemie A Wiederholungsklausurtermin: 10.03.09, Zeit und Ort werden noch bekannt gegeben