Nationalstaatsbildung und Transitionsprozess in der Demokratischen

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Nationalstaatsbildung und Transitionsprozess in der Demokratischen
Universität Rostock
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften
Nationalstaatsbildung und Transitionsprozess in der Demokratischen
Republik Kongo aus demokratisierungstheoretischer Sicht
Abschlussarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magister-Artium (MA)
im Fach Politikwissenschaft
Betreut durch:
Angefertigt von:
Prof. Dr. Yves Bizeul
Axel Blaschke
Dr. Conchita Hübner-Oberndörfer
Politikwissenschaft im Erstfach (BA/MA)
10. Fachsemester
Eingereicht am: 10.04.2007
Adresse:
Am Kabutzenhof 38a
18057 Rostock
Tel.:
0176/22521078
E-Mail:
[email protected]
Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung
8
1.1
Forschungsstand
10
1.2
Fragestellung und Vorgehensweise
11
2.
Begriffsklärungen
14
2.1
Transition und Demokratisierung
14
2.2
Demokratiebegriff
15
2.3
Demokratie in Afrika
18
3.
Demokratisierungstheoretische Ansätze
20
3.1
Modernisierungstheorie
20
3.2
Systemtheoretische Ansätze
24
3.2.1
Klassische Systemtheorie
24
3.2.2
Autopoietische Systemtheorie
26
3.2.3
Politische Legitimation und Systemstabilität in der Systemtheorie
28
3.3
Strukturalistische Ansätze
34
3.4
Akteurs-/ handlungstheoretische Ansätze
36
4.
Phasen und Formen von Systemwechselprozessen
39
4.1
Phasen des Systemwechsels
39
4.1.1
Das Ende des autokratischen Systems
42
4.1.2
Institutionalisierung der Demokratie (Demokratisierung)
44
4.1.3
Konsolidierung der Demokratie
45
4.2
Verlaufsformen von Systemwechseln
49
4.3
Die Debatte um das Transitionsparadigma
52
5.
Resümee
55
6.
Nationalstaatsbildung und politische Entwicklung Kongo/Zaires seit der
Unabhängigkeit
58
6.1
Nationalstaatsbildung
58
6.1.1
Nation und Staat im postkolonialen Afrika
58
6.1.2
Ethnien in der Demokratischen Republik Kongo
59
6.1.3
Das kongolesische Volk: „Unis par le sort…“
60
6.1.4
Der Nationalstaat „Demokratische Republik Kongo“
61
6.2
Die politische Entwicklung des Kongo seit der Unabhängigkeit –
Über drei Jahrzehnte autoritäre Herrschaft und 16 Jahre stockende Transition
63
6.2.1
Die Erste Republik und die Ermordung Patrice Lumumbas’
63
6.2.2
Die Diktatur Mobutus: Zweite Republik und der erste Kongo-Krieg
63
6.2.3
Laurent-Désiré Kabila und der zweite Krieg
65
6.2.4
Die Regierung der Transitionsphase unter Joseph Kabila und der Weg
7.
zur Dritten Republik
65
Der Demokratisierungsprozess in Kongo/Zaire
67
Phase I – Der Übergang von autoritärer Herrschaft zum demokratischen System
7.1
Das Ende des neopatrimonialen Mobutu-Regimes
7.1.1
Das neopatrimoniale System Mobutus:
67
Instabilität versus Herrschaftstechnik
67
7.1.2
Ursachen und Auslöser des Demokratisierungsprozesses
71
7.1.2.1
Systeminterne Ursachen des Demokratisierungsprozesses
72
7.1.2.2
Systemexterne Ursachen des Demokratisierungsprozesses
73
7.1.3
Liberalisierung und Demokratisierungsphase
77
7.1.3.1
Die kurze Liberalisierungsphase 1990
77
7.1.3.2
Demokratisierungsphase 1991-1992
79
7.1.4
Retardation I: Blockade und partielle Restauration der alten
Machtstrukturen
81
7.1.4.1
Blockade der Demokratisierung und Restauration
81
7.1.4.2
Ursachen für die blockierte Demokratisierung
82
7.1.5
Sturz des Mobutu-Regimes
84
7.1.6
Retardation II: Der Rückfall zur autoritären Herrschaft unter L.-D. Kabila
und der „erste afrikanische Weltkrieg“
7.1.6.1
86
Machtrausch statt Demokratisierung:
Politische Kontrolle kompensiert fehlende Legitimität
86
7.1.6.2
L.-D. Kabilas Legitimationsversuche
87
7.1.6.3
Der „erste afrikanische Weltkrieg“
89
7.2
Die Einleitung der Transitionsphase unter Joseph Kabila
91
7.2.1
Der schleppende Friedensprozess als Grundlage für die Transition
92
7.2.2
Die Friedensmission MONUC der UN
94
7.2.3
Einsetzung der Verfassungsorgane der Übergangsphase
96
Phase II – Die Institutionalisierung der Demokratie
7.3
Die Herausbildung demokratischer Systemstrukturen
7.3.1
Die Arbeit der Übergangsregierung, permanente Gewalt im Ostkongo und
schleppender Fortschritt
7.3.2
Neuer Schwung in der verlängerten Übergangsphase
7.3.3
Der Aufbau territorialer und funktionaler Repräsentation: Parteiensystem
7.3.4
97
97
102
und Zivilgesellschaft
104
Die neue Verfassung der DR Kongo vom Februar 2006
107
Phase III – Einsetzende Konsolidierung
7.4
Der Wahlprozess 2006 und die Regierungsbildung: Transition
109
7.4.1
Wählvorbereitungen: Wählerregistrierung und Wahlkampf
109
7.4.2
Die ersten freien Wahlen in der DR Kongo seit über vier Jahrzehnten
113
7.4.3
Regierungsbildung und vollzogene Transition
116
7.4.4
Geleerte Staatskassen nach den Wahlen
117
7.4.5
Die unverändert kritische Sicherheitslage während und nach den Wahlen
118
7.5
Systemtheoretische Einordnung und Typisierung des Systemwechsels
119
7.5.1
Systemtheoretische Einordnung des Systemwechsels
119
7.5.2
Typisierung des Systemwechsels
123
8.
Stand der demokratischen Konsolidierung im März 2007 und zentrale
Konsolidierungsprobleme
126
8.1
Konsolidierungsebenen
126
8.1.1
Konstitutionelle Konsolidierung (Makro-Ebene: Strukturen)
126
8.1.2
Repräsentative Konsolidierung (Meso-Ebene: Akteure)
127
8.1.3
Verhaltenskonsolidierung (Meso-Ebene: informelle politische Akteure)
128
8.1.4
Konsolidierung einer Bürgergesellschaft (Mikro-Ebene: Bürger)
128
8.2
Probleme und Herausforderungen für die demokratische Konsolidierung
129
8.2.1
Jean-Pierre Bembas politisches Ende –Das Ende der Opposition in Kinshasa?
129
8.2.2
Konsolidierungshindernisse und Herausforderungen
130
9.
Schlussbetrachtung: Quo vadis DR Kongo?
134
10.
Literatur- und Quellennachweis
139
Selbstständigkeitserklärung
148
Abkürzungsverzeichnis
ACL-PT
Assemblée Constituante et Législative – Parlement de Transition
AFDL
Alliance des Forces Démocratiques pour la Libération du Congo-Zaire
ALiR
Armée pour la Libération du Rwanda
AMP
Alliance pour la Majorité Présidentielle
AU
African Union
CEI
Commission Electorale Indépendante
CIA
Central Intelligence Agency
CIAT
Comité International d’Assistance à la Transition
CNDP
Congrès National pour la Défense de Peuple
CODECO
Coalitions des Démocrates Congolais
CPP
Comités de Pouvoir Populaire
DDRRR
Disarmament, Demobilisation, Repatriation, Reintegration, Resettlement
DR
Demokratische Republik
DSP
Division Spéciale Présidentielle
EUFOR
European Union Force
EUSEC
European Communications Security and Evaluation Agency
EUPOL
European Union Police
FARDC
Forces Armées de la République Démocratique du Congo
FAZ
Forces Armées Zairoises
FDLR
Forces Démocratiques du Libération du Rwanda
GSSP
Groupe Spéciale de la Sécurité Présidentielle
HCR
Haut Conseil de la République
HCR-PT
Haut Conseil de la République – Parlement de Transition
ICG
International Crisis Group
IGH
Internationaler Gerichtshof
IWF
Internationaler Währungsfond
KSZE
Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
MLC
Mouvement pour la Libération du Congo
MONUC
Mission de l’Organisation des Nations Unies au Congo
MPR
Mouvement Populaire de la Révolution
MPR/FP
Mouvement Populaire de la Révolution – Fait Privé
NEPAD
New Partnership for African Development
NGO
Non-Governmental Organization
OAU
Organisation of African Unity (Vorgängerorganisation der AU)
ONUC
Opération des Nations Unies au Congo
PALU
Parti Lumumbiste Unifié
PCR
Parti Chrétien Républicaine
PDSC
Parti Démocrate et Social Chrétien
PPRD
Parti pour la Reconciliation de la Développement
RCD
Rassemblement Congolais pour la Démocratie
RCD-ML
Rassemblement Congolais pour la Démocratie – Mouvement de Libération
RENACO
Regroupement des Nationalistes Congolaises
SADC
Southern African Development Community
SKOG
Konzept der strategischen und konfliktfähigen Gruppen
UDPS
Union pour la Démocratie et le Progrès Social
UFERI
Union des Fédéralistes et des Républicains Indépendants
UMP
Union pour un Mouvement Populaire
UN/UNO
United Nations/ United Nations Organisation
UNDP
United Nations Development Program
VR
Volksrepublik
1. Einleitung
Bis Ende der 80er Jahre hatten sich im Afrika der Subsahara „die dort herrschenden
autoritären politischen Systeme […] wie ein Schatten über die Länder der Region gelegt.“ 1
Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs setzte dann in Namibia beginnend eine
Demokratisierungswelle in Schwarzafrika ein, die nur wenige Staaten südlich der Sahara
nicht erfasste. Erstaunliche und schnelle Fortschritte schienen sich im Rahmen des um sich
greifenden Demokratisierungsprozesses einzustellen. Zwischen 1990 und 1997 fanden
insgesamt etwa 40 Wahlen statt, bei denen es sich fast ausnahmslos um Mehrparteienwahlen
handelte. 2
Dennoch
ist
die
anfängliche
kurze
Begeisterung
über
die
afrikanischen
Demokratisierungserfolge nach einigen Jahren wieder einer allgemeinen Skepsis gewichen. 3
Zunächst musste festgestellt werden, dass ein hoher Prozentsatz dieser Wahlen ganz und gar
nicht demokratischen Charakter hatte bzw. sogar gänzlich gefälscht worden waren. Was sich
Ende der 90er Jahre als Tendenz abzeichnete, ist mittlerweile Gewissheit geworden: Heute
gibt es in Afrika kaum noch Staaten, die keine Mehrparteiensysteme haben und regelmäßig
Wahlen abhalten, nur sagt das nichts über die tatsächliche Entwicklung bzw. die
Konsolidierung eines wirklich demokratischen Systems aus. Vielmehr entstanden in der Folge
der ersten Demokratisierungseuphorie zahlreiche Systeme, die sich in einer Grauzone
zwischen Demokratie und Autokratie bewegen und die gegenwärtig das Interesse der
Erforschung der Demokratie in Afrika auf sich lenken. 4
Die Demokratische Republik Kongo ist heute allerdings noch weit entfernt von dem Punkt, an
dem sich die Frage stellt, ob das politische System, das nach dem 16 Jahre währenden
Demokratisierungsprozess in den letzten Jahren entworfen und installiert wurde, tatsächlich
uneingeschränkt den Namen Demokratie verdient. Die DR Kongo, die damals noch Zaire
hieß 5 ,
gehört
zu
den
Staaten
des
subsaharischen
Afrikas,
die
im
Zuge
der
Demokratisierungswelle Anfang der 90er nicht den Weg zu einer demokratischen Ordnung
1
Mair, Stefan: Weg zur Demokratie in den neunziger Jahren, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.):
Informationen zur politischen Bildung, Nr. 264/1999, Bonn 1999, S. 41-44, S. 41.
2
Vgl. ebd.
3
Vgl. Hartmann, Christof: Ethnizität, Präsidentschaftswahlen und Demokratisierung in Afrika, Focus Afrika/
IAK Diskussionsbeiträge Nr. 13, Institut für Afrika-Kunde Hamburg, 1999, S. 2; unter:
<http://www.ruhr-uni-bochum.de/jtaa/downloads/Focus%20Afrika.PDF> (09.08.2006).
4
Vgl. etwa Meyns, Peter: Afrika zwischen Autokratie und Demokratie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 3233/2006, S. 3-8 und Schmidt, Siegmar: Wie viel Demokratie gibt es Afrika?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte,
B 32-33/2006, S. 9-14.
5
Für die DR Kongo wird den Zeitraum zwischen 1967-1997 betreffend der Name Zaire verwendet. Der Diktator
Mobutu hatte die DR Kongo und den gleichnamigen Fluss in dieser Zeit im Rahmen einer scheinbaren
Rückbesinnung auf präkoloniale kulturelle, gesellschaftliche Wurzeln in Zaire umbenannt.
8
fanden. Der Diktator Mobutu Sese Seko, der Zaire bis 1990 schon drei Jahrzehnte regiert
hatte, verhinderte nach einer anfänglichen Öffnung des Systems und einem angelaufenen
Demokratisierungsprozess den Fortschritt des Systemwechsels. Er sträubte sich bis 1997
erfolgreich gegen demokratische Reformen. In diesem Jahr wurde er schließlich durch eine
Rebellion unter Laurent-Désiré Kabila aus dem Amt vertrieben, von der sich die Kongolesen
und auch viele Beobachter eine Wiederbelebung des Demokratisierungsprozesses
versprachen. Kabila hingegen trat in die „autoritären Fußstapfen seines Vorgängers“ 6 und
errichtete entgegen seiner Demokratie-Versprechen eine Willkürherrschaft, die der Diktatur
Mobutus aus Sicht der Bevölkerung in nur wenigen Punkten etwas nachstand. Die DR Kongo
war im Zuge des 1998 ausgebrochenen Krieges gesellschaftlich zerrissen und territorial in
verschiedene Einflusszonen von Rebellengruppen und ausländischen Truppen aufgeteilt
worden: Sie wurde zum failed state, in dem der Staat als Ordnungsmacht praktisch nicht mehr
existierte. Der Konflikt, der seinen Ausgang wesentlich im Genozid 1994 in Rwanda
genommen hatte, trug in der Folge zur langfristigen Destabilisierung der gesamten Region der
Großen Seen bei. 7
Erst mit dem Mord an L.-D. Kabila 2001 und der mehr oder weniger unmittelbaren Nachfolge
durch seinen mutmaßlichen Sohn Joseph Kabila kam die Wende im bis dahin blockierten
Friedens- und Demokratisierungsprozess. Sechs Jahre lang übte Joseph Kabila weiterhin ohne
demokratische Legitimation das Amt des kongolesischen Staatspräsidenten aus: In dieser Zeit
wurde ein Friedenschluss mit den am Konflikt beteiligten Rebellengruppen und Staaten
geschlossen
und
unter
der
Führung
Kabilas
eine
Übergangsregierung
aus
den
Rebellengruppen, der alten Regierung und Vertretern der Zivilgesellschaft gebildet, die die
DR Kongo auf einem holprigen Weg zu den ersten freien Wahlen seit über vier Jahrzehnten
führte. Der Gesamtzustand in der Übergangsphase war labil, er ist es heute noch immer und
wird es wahrscheinlich auch noch lange Zeit bleiben, denn die den Staat zusammenhaltenden
Kräfte müssen erst wachsen. Die junge demokratische Ordnung steht erst ganz am Beginn
ihrer Konsolidierung.
Dieser ungewöhnlich lange und komplizierte Demokratisierungsprozess ist Gegenstand der
vorliegenden Untersuchung. Nachfolgend wird nun ein Überblick über den Forschungsstand
des Demokratisierungsprozesses in Kongo/Zaire gegeben, dem sich die Erläuterung des
zentralen Untersuchungsgegenstandes und der Vorgehensweise anschließt.
6
Stroux, Daniel: Kriegerische Auseinandersetzungen in Kongo-Zaire, in: Bundeszentrale für politische Bildung
(Hrsg.): Informationen zur politischen Bildung, Nr. 264/1999, Bonn 1999, S. 48-50, S. 49.
7
Vgl. Matthiesen, Kalala Ilunga: Die Demokratische Republik Kongo. Eine Analyse aus staatstheoretischer,
verfassungstheoretischer und völkerrechtlicher Sicht, Münster 2005. S. 15.
9
1.1 Forschungsstand
Der mit der Systemkrise von Mobutus Regime und schließlich der Liberalisierung 1990
einsetzende Demokratisierungsprozess der DR Kongo ist bislang nur phasenweise
wissenschaftlich reflektiert worden: So gibt es zur Diktatur Mobutus und zum anschließenden
Systemniedergang eine ganze Reihe von Veröffentlichungen. Mit dem Mobutu-Regime,
seinen Machtstrukturen und Herrschaftstechniken sowie dem Abgleiten Zaires in die
Systemkrise bis Mitte der 80er Jahre befassten sich Young/Turner in ihrem, den Mobutismus
betreffend, nahezu zum Standardwerk avancierten „The Rise and Decline of the Zairian
State“ 8 . Die nachfolgende Phase der durch Mobutu blockierten bzw. sabotierten
Demokratisierung ist vor allem akteurstheoretisch aufgearbeitet worden: Hier haben sich vor
allem Daniel Stroux 9 und Siegmar Schmidt 10 mit ihren Arbeiten verdient gemacht.
Dem Niedergang des Systems und dem Staatszerfall sowie der die Krise verlängernden
Periode, in der sich Mobutu zunächst noch einige Jahre an der Macht halten konnte und
schließlich von L.-D. Kabila gestürzt wurde, sind aus wissenschaftlicher Sicht also einige
Aufmerksamkeit gewidmet worden. Die folgenden Herrschaftsjahre Kabilas, die im Endeffekt
eine Fortführung des Mobutu-Regimes mit leichten Modifikationen darstellten, und in der
Folge den zweiten Kongo-Krieg mit sich brachten, ließen den Demokratisierungsprozess
endgültig einfrieren: Stattdessen setzte sich der Staatszerfall fort. Der Kriegszustand, der
Staatszerfall und die stockenden Friedensverhandlungen bestimmen das wissenschaftliche
Interesse an dieser Zeit, denn aus Sicht des Demokratisierungsprozesses war zuvorderst ein
Friedensschluss zwischen den zahlreichen Konfliktparteien nötig, um überhaupt wieder über
das Fortschreiben des Systemwechsels nachdenken zu können. 11
Eine recht umfassende Untersuchung der Entwicklungen von Mobutu bis etwa zum Antritt
der Übergangsregierung der nationalen Einheit 2003 bietet die Analyse Kalala Ilunga
Matthiesens 12 , die schwerpunktmäßig die staatstheoretischen, verfassungsrechtlichen und
völkerrechtlichen Aspekte der Entwicklungen in diesem Zeitraum beleuchtet.
8
Young, Crawford/ Turner, Thomas: The Rise and Decline of the Zairian State, Madison/London 1985.
Stroux, Daniel: Zaïres sabotierter Systemwechsel. Das Mobutu-Regime zwischen Despotie und Demokratie
(1990-1995), Hamburg 1996 und ders.: Zaïre 1997: vor dem Zusammenbruch oder vor dem Neubeginn? Zum
systemimmanenten Niedergang der Mobutu-Herrschaft, Focus Afrika/ IAK-Diskussionsbeiträge Nr. 9, Hamburg
1997.
10
Schmidt, Siegmar: David gegen Goliath – Präsident Mobutu und die erfolglose Opposition in Zaire, in:
Schubert, Gunter/ Tetzlaff, Rainer (Hrsg.): Blockierte Demokratien in der Dritten Welt, Opladen 1998, S. 197238.
11
Vgl. etwa Adelman, Howard/ Rao, Govind C. (Hrsg.): War and Peace in Zaire/Kongo, Trenton/ Asmara 2004;
de Villers, Gauthier: République démocratique du Congo. Guerre et politique: les trente derniers mois de L.D.
Kabila (août 1998 – janvier 2001), Tervuren/ Paris 2001.
12
Matthiesen, 2005.
9
10
Bislang ausstehend ist jedoch eine kohärente Darstellung und Reflexion des gesamten
Demokratisierungsprozesses von der Liberalisierung Mobutus 1990 bis zur Bildung einer
demokratisch gewählten Regierung im Februar 2007: Dies ist der Anspruch, der an die
vorliegende Untersuchung gestellt wird.
1.2 Fragestellung und Vorgehensweise
Die Aufgabe, der sich die vorliegende Arbeit annimmt, besteht demzufolge darin, den
Demokratisierungsprozess in seiner Gesamtheit zu erfassen und ihn theoretisch zu
hinterlegen, sofern dies als möglich erscheint. Die Reflexion wird sich dabei auf Grund der
begrenzten Möglichkeiten im Rahmen der vorliegenden Arbeit weitgehend auf die
systemtheoretische Ebene beschränken bzw. gegebenenfalls auf vorhandene Ergebnisse
wissenschaftlicher Untersuchungen zurückgreifen, die andere theoretische Ansätze verwendet
haben. Gelingt diese Form der Betrachtung des Systemwechselprozesses, sollte es am Ende
der Arbeit möglich sein, entscheidende Einflussfaktoren zu benennen, die für die
Wiederbelebung des Demokratisierungsprozesses unter Joseph Kabila verantwortlich waren.
Die zentrale Frage, der sich in dieser Untersuchung genähert werden soll, zielt demzufolge
auf die Einflüsse, die dazu führten, dass der Friedens- und Demokratisierungsprozess in der
DR Kongo nach den jahrelangen Verzögerungen und dem Stillstand unter Mobutu und L.-D.
Kabila rund um den „ersten afrikanischen Weltkrieg“ 13 in der Region der Großen Seen mit
der Amtsübernahme des jungen Joseph Kabila wieder in Bewegung kam. Was waren die
entscheidenden Faktoren, die die Vorgänge ins Rollen brachten und lassen sie Rückschlüsse
auf die Konsolidierungschancen der entstandenen jungen demokratischen Strukturen, die sich
immer
noch
im Aufbau
befinden,
zu?
Vor
allem vor
dem
Hintergrund
der
Entstehungsgeschichte des Demokratisierungsprozesses im Kongo ist eine eingehende
Betrachtung und vorsichtige Bewertung der Vorgänge ratsam, will man für diesen komplexen
und in seiner Entwicklung unsicheren Demokratisierungsprozess Zukunftsprognosen wagen.
Die Vorgehensweise, mit der der Demokratisierungsprozess untersucht werden soll, besteht
aus einem Teil der theoretischen Grundlagen, der die Gliederungspunkte zwei bis fünf
umfasst, und dem Teil der Untersuchung des Systemwechselprozesses der DR Kongo, der in
den Punkten sechs bis acht behandelt werden soll.
13
Madeleine Albright auf einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates im Januar 2000. Vgl. CNN – 24.01.2000:
Albright calls for end to ‘Africa’s first world war’; unter:
http://archives.cnn.com/2000/WORLD/africa/01/24/un.congo.02/ (12.07.2005).
11
Nach
dem
Versuch
einer
Klärung
der
zentralen
Begrifflichkeiten
Transition,
Demokratisierung und des Verständnisses von Demokratie in der Systemwechselforschung
erfolgt unter Punkt zwei ein kurzer Verweis auf die Debatte um Besonderheiten der
Demokratie in Afrika. 14 Anschließend wird unter Punkt drei in Form eines Streifzuges die
Darstellung der einflussreichsten demokratietheoretischen Ansätze erfolgen: Die klassische
Modernisierungstheorie, systemtheoretische Ansätze nach Parsons und Luhmann, sowie deren
politikwissenschaftliche Adaption durch Easton und Almond/Powell, strukturalistische
Ansätze und schließlich akteursorientierte Perspektiven der Systemwechselforschung finden
hier
Berücksichtigung.
Auch
die
für
die
Systemwechselforschung
bedeutende
systemtheoretische Sichtweise der Systemstabilität und -legitimität ist Gegenstand der
Darstellung.
Im Anschluss erfolgt unter Punkt vier die Erläuterung zweier Verlaufsmodelle von
Systemwechseln: einerseits des klassischen Ansatzes, den O’Donnell und Schmitter in ihrem
Standardwerk zur Systemwechselforschung verwenden 15 und andererseits, in etwas
ausführlicherer Form, der Variante Wolfgang Merkels, die in der vorliegenden Untersuchung
des Systemwechsels in der DR Kongo Verwendung finden wird. Der fünfte Punkt beinhaltet
eine abschließende Einschätzung der Relevanzen der einzelnen Theorieansätze für die
Systemwechselforschung unter Berufung auf die Einschätzungen Wolfgang Merkels, eine
genauere Schilderung des zuvor benannten Systemwechselmodells und bildet die Überleitung
zum zweiten großen Komplex, der Untersuchung des Demokratisierungsprozesses.
Einleitend werden unter Punkt sechs zentrale Aspekte der Bildung des Nationalstaates DR
Kongo betrachtet. Da die Arbeit vornehmlich den Demokratisierungsprozess in seinem
Verlauf
fokussiert,
wird
die
Nationalstaatsbildung
eher
hintergründig
behandelt.
Anschließend wird auf die politische Entwicklung Kongo/Zaires seit der Unabhängigkeit
eingegangen.
Die eigentliche Untersuchung des Systemwechsels erfolgt im Anschluss unter Punkt sieben:
Dieser wird auf der Grundlage des erwähnten Systemwechselmodells von Merkel in drei
Phasen eingeteilt, die den Verlauf des Prozesses in seiner zeitlichen Abfolge erfassen. Der
gesamte, umfangreiche Ablauf wird bewusst unter einem einzigen Gliederungspunkt
behandelt, um die drei Phasen, die ohnehin nicht trennscharf voneinander unterschieden
werden können, als kohärenten Prozess darzustellen.
14
Die Verkürzung, die die Subsumierung der großen Vielfalt der afrikanischen Staatenwelt unter den
Oberbegriff ‚Afrika’ mit sich bringt, ist dem Verfasser bewusst. Sie erfolgt jedoch nicht absichtlich, sondern
lediglich dem gegebenen Umfang Rechnung tragend.
15
O’Donnell, Guillermo/ Schmitter, Philippe C.: Transitions from Authoritarian Rule. Tentative Conclusions
about uncertain Democracies, Baltimore/ London 1986.
12
Eine theoretische Reflexion der Ereignisse erfolgt bis zum entscheidenden Wendepunkt des
Systemwechsels, dem Mord an L.-D. Kabila und der Übernahme des Staatspräsidentenamtes
durch seinen Sohn Joseph Kabila, direkt im Zuge der Verlaufsdarstellung. Vom Zeitpunkt der
Amtsübernahme durch Joseph Kabila an wird sich auf die Darstellung des weiteren
Systemwechsels beschränkt und es schließt sich als eigener Gliederungspunkt, Punkt 7.5, eine
systemtheoretische Einordnung des geschilderten Verlaufs und eine Typisierung des
Systemwechsels an.
Implizit und unbeabsichtigt wird durch diese formale Trennung schon deutlich, was der
Systemtheorie als theoretischer Grundlage zur Untersuchung von Systemwechselprozessen
zum Nachteil gereicht. Die Systemtheorie ist in erster Linie eine deskriptive Theorie. Sie ist
dazu geeignet, Abläufe im Nachhinein zu beschreiben. Tatsächlich erklären kann sie lediglich
vollzogene Systemniedergänge, wie die Untersuchung des Niedergangs des Mobutu-Regimes
exemplarisch zeigen wird, bzw. wann ein System stabil bzw. instabil ist. Aus der Sicht der
Systemwechselforschung ist die Erklärungskraft für weiterführende Entwicklungen nach dem
Zusammenbruch eines Systems als eher gering einzuschätzen und beschränkt sich naturgemäß
auf die gesamt- und teilsystemisch relevanten Zusammenhänge.
Die Systemtheorie ist ein stark abstrahierendes Instrument zur Erfassung der Wirklichkeit.
Unweigerlich treten so, insbesondere bei der systemtheoretischen Betrachtung von
Systemwechselprozessen, gravierende Unschärfen auf, die wichtige, ja ausschlaggebende
Ebenen schlicht ausblenden. Ebenfalls unter Punkt 7.5 soll auf einige dieser Unschärfen
verwiesen werden, die in einer weiter führenden Untersuchung des Systemwechselprozesses
in der DR Kongo, als sie in diesem Rahmen erfolgen kann, Berücksichtigung finden müssen.
Als
vorletzter
inhaltlicher
Punkt
schließt
sich
eine
Bestandsaufnahme
des
Konsolidierungsprozesses der jungen demokratischen Strukturen an, sofern bereits von
Konsolidierung
gesprochen
werden
kann.
Die
Langfristigkeit,
die
den
Konsolidierungsprozess eines demokratischen Systems ausmacht, und die demgegenüber
noch große zeitliche Nähe zu den bestimmenden Ereignissen in der DR Kongo lassen
vermutlich nur erste, in ihrer Aussagekraft eingeschränkte Feststellungen zu. Dennoch sollte
auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse bezüglich der Vorbedingungen im
Schlussteil neben einer Zusammenfassung und Einschätzung der Untersuchungsergebnisse
eine Perspektive für den Konsolidierungsprozess der Demokratie in der DR Kongo gegeben
werden können.
13
2. Begriffsklärungen
2.1 Transition und Demokratisierung
Unter dem Begriff Transition wird der Übergangsprozess bzw. die Umbruchphase eines
politischen Systems zu einem anderen verstanden. Offen bleibt hierbei die Frage, welches
politische System schlussendlich das Ergebnis des Transitionsprozesses ist.
Gewöhnlich wird der Begriff Transition zur Beschreibung des Übergangs eines
autokratischen Systems zu einer demokratischen Regierungsform verwendet. Jedoch kann
auch der Rückfall in ein autokratisches System nach angehender demokratischer Entwicklung
als Transition bezeichnet werden. 16 Entsprechend grenzen O’Donnell und Schmitter den
Transitionsbegriff folgendermaßen ein:
„[Transition] is the interval between one political regime and another. [...] Transitions are delimited,
on the one side, by the launching of the process of dissolution of an authoritarian regime and, on the
other, by the installation of some form of democracy, the return to some form of authoritarian rule, or
the emergence of a revolutionary alternative.” 17
Unter anderem haben die Demokratisierungsprozesse in Afrika gezeigt, dass nicht immer eine
funktionierende, pluralistische Demokratie am Ende einer Transition stehen muss. So erregten
die Unvollkommenheiten der neu entstandenen Demokratien die Aufmerksamkeit der
Forschung und es tauchten Begriffe wie „defekte Demokratien“ 18 oder „blockierte
Demokratien“ 19 auf, mit denen versucht wurde, die Systeme zu beschreiben. 20 Auf die
Diskussion um das Transitionsparadigma wird an anderer Stelle, unter Punkt 4.3,
eingegangen.
Ein generelles Merkmal von Transitionen ist ein hohes Maß an Unsicherheit, welches für die
beteiligten Akteure sowohl spezielle Gegebenheiten als auch Gefahren für den Verlauf des
Prozesses schafft: Die Wirksamkeit von Institutionen, Verfassungen, Gesetzen und Normen
ist zeitweise aufgeweicht bzw. aufgehoben, wodurch sich den Akteuren ein stark erweitertes
16
Vgl. Stroux, 1996: S. 14.
O’Donnell/Schmitter, 1986: S. 6.
18
Merkel, Wolfgang/ Puhle, Hans-Jürgen/ Croissant, Aurel/ Eicher, Claudia/ Thiery, Peter: Defekte Demokratie.
Band 1: Theorie, Opladen 2003, später erschienen: Band 2: Regionalanalysen, Wiesbaden 2006.
19
Schubert, Gunter/ Tetzlaff, Rainer (Hrsg.): Blockierte Demokratien in der Dritten Welt, Opladen 1998.
20
Vgl. Meyns, 2006: S. 3.
17
14
Feld strategischer Wahlmöglichkeiten bietet.21 Przeworski beschreibt das Spannungsgefüge in
Transitionsprozessen folgendermaßen:
„The strategic problem of transition is to get democracy without either being killed by those who have
arms or starved by those who control the productive ressources.“ 22
Für Merkel stellt die Transition die eigentliche Phase des Übergangs der Macht vom
autokratischen Apparat zu einer demokratischen Herrschaftsform dar, die sich in den
Systemwechsel als Teilphase einfügt. Auf sein Systemwechselmodell wird unter Punkt 4.1
eingegangen.
Der Weg zu einer konsolidierten Demokratie ist in jedem Fall ein schwieriger, von vielen
Faktoren abhängender Prozess, bei dem in erheblichem Maß der Pfad, auf dem die Schritte
der Demokratisierung vollzogen werden, ausschlaggebend für Erfolg oder Misserfolg ist.23
Die verschiedenen Pfade der Demokratisierung werden unter Punkt 4.2 thematisiert.
Demokratisierung kann auf der Grundlage dieses Transitionsbegriffs als Übergang von einem
autokratischen zu einem demokratischen System verstanden werden. Rüb definiert
Demokratisierung als Übergangsprozess,
„in dem die unbegrenzte, unkontrollierte und kompromisslos eingesetzte politische Macht von einer
sozialen Gruppe oder Person auf institutionalisierte Verfahren verlagert wird, die die exekutive Macht
begrenzen, laufend kontrollieren, regelmäßig verantwortbar machen und kontingente Ergebnisse
ermöglichen.“ 24
Wolfgang
Merkel
sieht
die
Demokratisierung
als
eine
von
drei
Phasen
des
Transitionsprozesses, in der nach dem Zusammenbruch des ancien régime die demokratischen
Institutionen etabliert werden. An anderer Stelle wird darauf näher einzugehen sein. 25
2.2 Demokratiebegriff
Der recht minimalistische Demokratiebegriff in der Systemwechselforschung orientiert sich in
erster Linie am Verständnis Robert Alan Dahls von der Demokratie als „Polyarchie“, der
21
Vgl. Merkel, Wolfgang: Gibt es einen Königsweg in der Transformationsforschung?, in: ders. (Hrsg.):
Systemwechsel 1: Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung, Opladen 21996, S. 303-332, S.
325.
22
Przeworski, Adam: Democracy and the Market. Political and economic reforms in Eastern Europe and Latin
America, Cambridge/ New York/ Melbourne 1991, S. 51.
23
Vgl. ebd.
24
Rüb, Friedbert W.: Die Herausbildung politischer Institutionen in Demokratisierungsprozessen, in: Merkel,
Wolfgang (Hrsg.): Systemwechsel 1. Theorien, Ansätze und Konzeptionen, Opladen 21996, S. 111-140, S. 114.
25
Siehe Punkt 4.1, S. 42ff.
15
wörtlichen Bedeutung nach „Vielherrschaft“. Die Polyarchie bildet für ihn den
Durchschnittstyp der in der Realität existierenden Demokratietypen, der zwar von der
utopischen idealen Demokratie abweicht, jedoch keine gravierenden Defekte aufweist.
Dahl nennt zwei Aspekte, die eine Demokratie ausmachen: Einerseits muss ein offener
Wettbewerb um politische Ämter und Macht möglich sein („public contestation“),
andererseits müssen alle Bürger die Möglichkeit zur politischen Partizipation haben („the
right to participate“). 26 Drei Grundprinzipien sorgen für Verbindlichkeit der Regierung
gegenüber den Präferenzen der Bürger 27 :
-
Die Bürger müssen die Möglichkeit haben, ihre Präferenzen zu formulieren.
-
Die Bürger müssen ihre Präferenzen ihren Mitbürgern und der Regierung durch
individuelles und kollektives Handeln mitteilen können.
-
Die Regierung muss die mitgeteilten Präferenzen der Bürger gleichrangig und
unabhängig von ihrem Inhalt und ihrer Herkunft gewichten.
Diesen lediglich „notwendigen“, jedoch „nicht hinreichenden“ Bedingungen für die
Demokratie stellt Dahl acht institutionelle Garantien zur Absicherung zur Seite:
1. „Assoziations- und Koalitionsfreiheit
2. Recht auf freie Meinungsäußerung
3. Recht zu wählen (aktives Wahlrecht)
4. Recht in öffentliche Ämter gewählt zu werden (passives Wahlrecht)
5. Recht politischer Eliten, um Wählerstimmen und Unterstützung zu konkurrieren
6. Existenz alternativer, pluralistischer Informationsquellen (Informationsfreiheit)
7. Freie und faire Wahlen
8. Institutionen, die die Regierungspolitik von Wählerstimmen und anderen
Ausdrucksformen der Bürgerpräferenzen abhängig machen“ 28
26
Vgl. Dahl, Robert A.: Polyarchy. Participation and Opposition, New Haven/ London 1971, S. 5.
Vgl. ebd. S. 2.
28
Ebd., zitiert nach: Merkel, Wolfgang: Systemtransformation. Eine Einführung in Theorie und Empirie der
Transformationsforschung, Opladen 1999, S. 31f.
27
16
Zusätzlich hat Merkel sechs Differenzierungskriterien zusammengetragen, anhand derer die
Trennung zwischen autokratischen und demokratischen Systemen vorgenommen werden
kann 29 :
-
-
-
-
-
-
Herrschaftslegitimation
Æ Volkssouveränität versus geschlossener Weltanschauung mit absolutem
Wahrheitsanspruch
Herrschaftszugang
Æ universelles Wahlrecht versus nicht vorhandenem/ eingeschränktem
Wahlrecht
Herrschaftsmonopol
Æ Liegt das Monopol bei demokratisch legitimierten staatlichen Instanzen oder
haben auch demokratisch nicht legitimierte Kräfte Entscheidungsdomänen?
Herrschaftsstruktur
Æ mehrere Herrschaftsträger versus einzelner Herrschaftsträger (einzelne Person
oder aber Gruppe, z.B. Partei, Junta, etc.)
Herrschaftsanspruch
Æ klar begrenzter staatlicher Herrschaftsanspruch versus tendenziell
unbegrenztem staatlichen Herrschaftsanspruch gegenüber seinen Bürgern
Herrschaftsweise
Æ rechtsstaatliche Herrschaftsausübung versus nicht-rechtsstaatlicher,
repressiver, willkürlicher oder terroristischer Ausübung von Herrschaft
Nur wenn diese Kriterien zugunsten der demokratischen Ordnung erfüllt sind, trifft für das
politische System ein generelles Merkmal von Demokratien zu: „die prinzipielle
Unbestimmtheit der Ergebnisse politischer Entscheidungen.“ 30 Przeworski nennt dieses
Merkmal „ruled open-endedness or organized uncertainty“ 31 .
Politische Entscheidungen müssen in einer Demokratie also das Ergebnis der Handlungen
konkurrierender politischer Kräfte sein, die jedoch durch festgelegte Verfahrensregeln und
Institutionen normiert sind. Die Demokratie kann somit „als ein institutionalisiertes
Regelsystem zur gesellschaftlichen Konfliktbearbeitung verstanden werden, innerhalb dessen
eine einzelne Gewalt, eine einzelne Institution oder ein einzelner Akteur die politischen
Entscheidungsergebnisse nicht bestimmen oder kontrollieren darf.“ 32
Merkel trennt von der Polyarchie, also der real existierenden Demokratie, die bereits
genannten „defekten Demokratien“, die sich in einer Grauzone zwischen nicht mehr intakter
Polyarchie und autoritärem System bewegen, der Polyarchie jedoch näher stehen als dem
29
Vgl. ebd. S. 25.
Ebd. S. 32.
31
Przeworski, 1991: S. 13.
32
Merkel, 1999: S. 33.
30
17
Autoritarismus. 33 Schubert und Tetzlaff sprechen mit Betonung des Konzeptes strategischer
und konfliktfähiger Gruppen (SKOG) von den ebenfalls oben genannten „blockierten
Demokratien“, in denen der Demokratisierungsprozess von bestimmten internen oder
externen Akteuren erfolgreich sabotiert bzw. verhindert wird. 34
2.3 Demokratie in Afrika
Nur angedeutet sei an dieser Stelle die Diskussion darüber, ob westliche bzw. universale
Demokratiemodelle mit Afrika, speziell dem subsaharischen Afrika, kompatibel sind. 35 Es
herrscht verbreitet „Skepsis über die Möglichkeit und Wünschbarkeit von Demokratie [nach
westlichem Verständnis] auf dem schwarzen Kontinent“ 36 , die von wissenschaftlicher Seite
und von politischen Akteuren im Westen wie auch in Afrika selbst geäußert wird.37 So spricht
Rainer Tetzlaff von „verfrühter Demokratie“ 38 , vielfach ist von Importieren oder Oktroyieren
der Demokratie die Rede.
Zumindest auf politischer Ebene ist diese Diskussion hinfällig geworden, denn die AU
(African Union), der alle afrikanischen Staaten mit Ausnahme Marokkos angehören, bekennt
sich im gemeinsamen Entwicklungskonzept NEPAD (New Partnership for African
Development) klar zur Demokratie, zur Demokratieförderung unter gegenseitiger Kontrolle
der Mitgliedstaaten (peer review), sowie zur Unterstützung von good governance. 39
Lediglich verwiesen sei an dieser Stelle ebenfalls auf die Debatte über die Frage, welches
Wahl- und Parteiensystem für welches Land angemessen ist: Allein ob ein Mehrheits- oder
33
Vgl. ebd.
Vgl. Schubert/ Tetzlaff, 1998.
35
Vgl. Basedau, Matthias: Erfolgsbedingungen von Demokratie im subsaharischen Afrika. Ein systematischer
Vergleich ausgewählter Länder, Opladen 2003, S. 41ff.
36
Ebd. S. 41f.
37
Diese „afropessimistischen“ Denkrichtungen betreffend sei verwiesen auf Mehler, Andreas: Es gibt keine
verfrühte Demokratie: Probleme des demokratischen Übergangs in Afrika, in: Betz, Joachim/ Brüne, Stefan
(Hrsg.): Jahrbuch Dritte Welt 1998, München 1997, S. 47-62.
38
Vgl. Tetzlaff, Rainer: Demokratisierungshilfe statt Wahlinszenierung! Gesellschaftliche und institutionelle
Voraussetzungen für Demokratisierung in den Ländern des Südens, in: Betz, Joachim/ Brüne, Stefan (Hrsg.):
Jahrbuch Dritte Welt 1998, München 1997, S. 24-46, S. 26f.
39
Vgl. Matthiesen, 2005: S. 116.
Good governance hat sich in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) zum Referenzkonzept entwickelt. Eine
einheitliche Definition von good governance existiert jedoch nicht. Die deutsche Übersetzung „gute
Regierungsführung“ greift indes zu kurz: Grundsätzlich geht es bei good governance um Transparenz, Effizienz,
Rechenschaftspflichtigkeit, Unabhängigkeit von politischer Einflussnahme und Freiheit von Korruption der
staatlichen Institutionen, kurzum die Etablierung eines demokratischen Rechtsstaates, der die Menschenrechte
achtet, schützt und auf allen Ebenen effizient funktioniert. Eine etablierte good governance führt zu einer hohen
Legitimität sowie Funktions- und Leistungsfähigkeit des Staates. (Vgl. Klemp, Ludgera/ Poeschke, Roman:
Good Governance gegen Armut und Staatsversagen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 28-29/2005, S. 1825).
34
18
Verhältniswahlrecht zur Anwendung kommt, stellt in Staaten mit großer ethnischer Vielfalt,
wie es sie in vielen afrikanischen Staaten gibt, eine zentrale Frage dar. 40
Als ein alternatives Parteiensystem propagierte z.B. der ugandische Präsident Yoweri
Museveni das Prinzip des Movements, das er selber als „No-Party-System“ bezeichnete. Er
war bzw. ist der Meinung, dass auf die ethnische Vielfalt in afrikanischen Staaten ein System
aus mehreren konkurrierenden Parteien nach westlichem Vorbild nicht übertragbar sei und
etablierte deshalb dieses – zumindest dem Anspruch nach – basisdemokratische System mit
vermindertem Wettbewerb, in dem sich Parteien „wegen des befürchteten Effekts auf die
interethnischen Beziehungen politisch nicht betätigen“ 41 durften.
Basedau resümiert bezüglich der Frage nach einer „afrikanischen Demokratie“: „Was Afrika
an Entwicklung benötigt, geht weit über die Art und Weise hinaus, wie Herrschaft legitimiert
und ausgeübt wird.“ 42 Für ihn gibt es „wenige Hinweise darauf, dass in Afrika die
Demokratie auch im westlichen Sinne unmöglich oder generell bezüglich anderer
Entwicklungsziele schädlich ist.“ 43
40
Vgl. Matthiesen, 2005 S. 119.
Basedau, 2003: S. 45. Mittlerweile gibt es in Uganda wieder ein Mehrparteiensystem, das 2005 durch ein
Referendum von der Mehrzahl der ugandischen Wähler eingefordert wurde.
42
Ebd. S. 48.
43
Ebd.
41
19
3. Demokratisierungstheoretische Ansätze
3.1 Modernisierungstheorie
Aufbauend auf grundlegenden Theoremen von Talcott Parsons markierte Seymour Martin
Lipset
den
„locus
classicus
der
modernisierungstheoretisch
orientierten
Demokratieforschung“ 44 in seinem Aufsatz „Economic Development and Democracy“ in
Political Man von 1960. 45 Dieser Ansatz geht von einem kausalen Zusammenhang zwischen
der sozioökonomischen Entwicklung bzw. dem Grad der Modernisierung eines Landes und
dem Grad seiner Demokratisierung aus. Zur Demonstration seiner Annahme klassifizierte
Lipset die Länder Europas und Nordamerikas in stabile und instabile Demokratien und
Diktaturen sowie die Länder Lateinamerikas in Demokratien und stabile und instabile
Diktaturen. 46 Im Anschluss verglich er die Länder der entstandenen Gruppen von
Regierungsformen anhand einer breiten Auswahl verschiedener sozioökonomischer
Indikatoren:
Einkommen
pro
Kopf,
Verbreitung
von
Kommunikationsmitteln,
Industrialisierung, Bildung und Urbanisierungsgrad. Er wies nach, dass die demokratisch
regierten Länder einen fortgeschritteneren sozioökonomischen Entwicklungsstand aufwiesen,
als die autoritär regierten Länder des Vergleichs. In diesem Zusammenhang entstand eine oft
zitierte
Schlussfolgerung
Lipsets,
die
die
grundlegende
Annahme
des
modernisierungstheoretischen Ansatzes beinhaltet:
„Perhaps the most common generalization linking political systems to other aspects of society has
been that democracy is related to the state of economic development. The more well-to-do a nation,
the greater the chances that it will sustain democracy. From Aristotle down to the present, men have
argued that only in a wealthy society in which relatively few citizens lived at a level of real poverty
could there be a situation in which the mass of the population intelligently participate in politics and
develop the self-restraint necessary to avoid succumbing to the appeals of irresponsible
demagogues.“ 47
Wirtschaftliche Entwicklung und die Überwindung von Not und Armut stellen demnach die
fundamentalen Erfolgsbedingungen für die Demokratisierung eines Landes dar. Wiederholt
wurde u.a. von Lipset selbst 48 , aber auch von Dahl 49 , Vanhanen 50 und Moore 51 der enge
44
Merkel, Wolfgang/ Puhle, Hans-Jürgen: Von der Diktatur zur Demokratie. Transformationen,
Erfolgsbedingungen, Entwicklungspfade, Opladen; Wiesbaden 1999, S. 21.
45
Zuerst publiziert wurde dieser Ansatz bereits im Jahr 1959: Lipset, Seymour Martin: Some Social Requisites
of Democracy: Economic Development and Political Legitimacy, in: American Political Science Review, Vol.
53, (March, 1959) 1, S. 69-105.
46
Vgl. Lipset, Seymour Martin: Political Man. The Social Bases of Politics, Baltimore/ Maryland 1981, S. 32.
47
Ebd. S. 31.
48
Vgl. z.B. Lipset, Seymour Martin: The Social Requisites of Democracy Revisted, in: American Sociological
Review, Vol. 59, (February 1994) 1, S. 1-22.
20
Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Entwicklungsniveau und der Entwicklung bzw.
der Beständigkeit von Demokratien nachgewiesen. „Die zahlreichen Studien zeigen […], dass
das wirtschaftliche Entwicklungsniveau (gemessen am BIP/capita) als die wichtigste einzelne
Variable zur Erklärung des Demokratisierungsgrades eines Landes oder der DemokratieDiktatur-Differenz auf globaler Ebene angesehen werden muss.“ 52
Hinter einem hohen BIP per capita verbergen sich in Lipsets Augen folgende
Modernitätsattribute:
-
„ein relativ hohes Niveau sozioökonomischer Entwicklung […];
-
eine hohe vertikale Mobilität […];
-
eine große, zumindest aber rasch zunehmende Mittelschicht, sowie eine Arbeiter- und
Unterschicht, die nicht von existentieller Unsicherheit bedroht ist;
-
ausreichender Ausbildungsstand […];
-
ein relativ egalitäres System von Werten;
-
ein hohes Organisations- und Partizipationsniveau in Vereinen und Verbänden.“ 53
Diese requisites sieht Lipset jedoch weder als zwingend notwendig, noch als hinreichend an.
Auch in Gesellschaften, in denen diese Komponenten fehlen, ist es für ihn und die klassische
Modernisierungstheorie möglich, dass demokratische Prozesse und Institutionen eingeführt
werden, nur verschlechtern sich deren Chancen auf Langlebigkeit und eine fortschreitende
Demokratisierung unter Abwesenheit der oben genannten Faktoren enorm. 54
Zusammenfassend lassen sich nach Merkel und Puhle folgende vier Effekte nennen, die der
klassischen
Modernisierungstheorie
entsprechend
durch
eine
sozioökonomische
Modernisierung auf die Demokratisierung wirken 55 :
1. Sozioökonomische Modernisierung führt dazu, dass Länder in einen ökonomischen
Entwicklungsbereich
kommen,
in
dem autoritäre
Regime
geschwächt
und
49
Vgl. Dahl, 1971.
Vgl. Vanhanen, Tatu: The Emergence of Democracy. A Comparative Study of 119 States, 1850-1979,
Helsinki 1984 und ders.: The Process of Democratization. A Comparative Study of 147 States 1980-1988, New
York 1990 und ders.: Prospects of Democracy. A Study of 172 Countries, London/ New York 1997.
51
Vgl. Moore, Mick: Democracy and Development in Cross-National Perspective: A New Look at the Statistics,
in: Democratization, Vol 2., (Summer 1995) 2, S. 1-19 und ders.: Is Democracy rooted in Material Prosperity?,
in: Luckham, Robin/ White, Gordon (Hrsg.): Democratization in the South. The jagged Wave, Manchester/ New
York 1996, S. 37-68.
52
Merkel/ Puhle, 1999: S. 22.
53
Vgl. Lipset, 1981: S. 64f.
54
Vgl. Merkel/ Puhle, 1999: S. 27f.
55
Vgl. ebd. S. 31.
50
21
Demokratisierungsprozesse begünstigt bzw. hervorgerufen werden. Huntington spricht
von der „transition zone“ 56 , in der „aufgrund bestimmter Konstellationen der
Handlungsspielraum für politische Gestaltung so weit geöffnet wird, dass über die
politische Struktur eines Landes neu entschieden werden kann.“ 57
2. Das
jeweilige
Modernisierungsniveau
übt
einen
starken
Einfluss
auf
die
Konsolidierungschancen der Demokratie aus, nachdem das Land die Transitionszone
durchschritten hat.
3. Durch die Modernisierung werden zuvorderst die Mittelschichten gefördert, die
Klassengegensätze abschwächen und auf Grund ihres Ausbildungsniveaus und ihrer
wirtschaftlichen Stellung starkes Interesse an politischer Partizipation haben.
4. Für demokratische und autoritäre Staaten gilt gleichermaßen, dass wirtschaftliche
Fehlentwicklung einen Legitimitätsverlust für die jeweilige Regierung mit sich bringt.
Wie oben bereits angedeutet, wirkt wirtschaftliches Wachstum dagegen auf
Demokratien legitimierend und stärkend, während es autoritäre Regime in Bedrängnis
bringt, vor allem wenn das Land in die Nähe der Transitionszone rückt: In autoritären
Staaten
begünstigen
sozioökonomische
Modernisierung
und
Wachstum
ein
Aufbegehren gesellschaftlicher Akteure gegen das Regime.
Auf der anderen Seite stellen Merkel und Puhle jedoch auch eine Reihe von „Mängel[n] und
Blindstellen“ 58 an der modernisierungstheoretischen Demokratisierungserklärung fest 59 :
1.
In der klassischen Modernisierungstheorie wird der Bereich, in dem der
Modernisierungsgrad
ausreichend
ist,
um
den
Übergang
zur
Demokratie
wahrscheinlich zu machen mit 1000 bis 6000 US$ Einkommen pro Kopf nur sehr
ungenau angegeben. Durch die große Bandbreite werden diesem monokausalen
Erklärungsansatz seine Grenzen aufgezeigt.
2.
Das modernisierungstheoretische Erklärungsmodell ist nicht in der Lage zu erklären
warum in der Dritten Demokratisierungswelle das BIP/Kopf der neuen Demokratien
zwischen 340 US$ und 6500 US$ lag: warum sich also auch in – nach dem
56
Huntington, Samuel P.: Will more Countries become Democratic?, in: Political Science Quarterly, Vol. 99,
(Summer 1984) 2, S. 193-218, S. 201.
57
Schmidt, Manfred G.: Demokratietheorien, Opladen 32000, S. 463.
58
Merkel/ Puhle, 1999: S. 31.
59
Vgl. ebd. S. 32.
22
Verständnis
der
Modernisierungstheorie
–
unterentwickelten
Ländern
Demokratisierungsprozesse abspielen konnten und können. 60
3.
Auch gegenteilige Entwicklungen kann die Modernisierungstheorie nicht begründen:
Warum
brachen
trotz
hohem
sozioökonomischen
Entwicklungsstand
die
demokratischen Systeme Deutschlands und Österreichs zwischen dem Ersten und
dem Zweiten Weltkrieg zusammen, warum in Argentinien, Chile und Uruguay in den
70er Jahren?
4.
Demokratieförderliche bzw. -hinderliche kulturelle und religiöse Zusammenhänge
werden
von
der
Modernisierungstheorie
weitgehend
ausgeblendet
bzw.
vernachlässigt.
5.
Für konkrete Fälle ist die Modernisierungstheorie nicht in der Lage, Zeitpunkte für
den Beginn der Demokratisierung zu bestimmen, da sie nur langfristige und globale
Entwicklungstrends anzugeben vermag.
6.
Akteurskonstellationen und Handlungssituationen, seien sie begünstigend oder
hemmend für die Demokratisierung, werden vom modernisierungstheoretischen
Ansatz ebenso nicht erfasst wie die Rolle politisch-institutioneller Arrangements und
der internationale Kontext.
Die Beziehung zwischen ökonomischer Modernisierung und der Entwicklung sowie
Konsolidierung von Demokratie beschreiben Merkel und Puhle als „kausal aber nicht
monokausal“ 61 : So ist der Wohlstand einer Gesellschaft als die fundamentalste aller
Voraussetzungen für eine Demokratisierung und deren Konsolidierung zu sehen, „die sowohl
die sozialen Bedingungen und gesellschaftlichen Akteure als auch die Handlungsbedingungen
hervorbringt, die autokratische Regime herausfordern und demokratisierungswillige Akteure
stärken.“ 62 Wenn Wohlstand Demokratisierungstendenzen begünstigt, bestärkt Armut
andererseits
autokratische
Regime. 63
Der
Zusammenhang
zwischen
ökonomischer
Entwicklung und Demokratie ist Diamond zufolge allerdings nicht für jeden Fall bindend:
„Needless to say, this relationship is not entirely predictive, nor is it necessarily linear.”64 So
existieren
einerseits
Beispiele
für
unterentwickelte
Länder,
in
denen
60
Vgl. Schmidt, 2000: S. 467f.
Ebd. S. 30.
62
Ebd.
63
Vgl. etwa Huntington: „The conclusion seems clear. Poverty is a principal and propably the principal obstacle
to democratic development. The future of democracy depends on the future of economic development. Obstacles
to economic development are obstacles to the expansion of democracy.” (Huntington, Samuel P.: The Third
Wave. Democratizaton in the Late Twentieth Century, Norman/ London 1993, S. 311).
64
Diamond, Larry: Economic Development and Democracy Reconsidered, in: American Behavioral Scientist,
Vol. 35, (March/June 1992) 4/5, S. 450-499, S. 485.
61
23
Demokratisierungsprozesse eingesetzt haben, andererseits zeigen lateinamerikanische Staaten
in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie auch sozialistische Länder vom Ende des
Zweiten Weltkriegs bis in die 80er Jahre, z.B. die DDR oder die Tschechoslowakei, dass eine
positive sozioökonomische Entwicklung auch in autoritären Staaten möglich ist. 65
Weiter stellt Diamond fest: „Economic development is not a prerequisite for Democracy.” 66
Lipset bezeichnet die ökonomische Entwicklung eines Landes deshalb als „requisite“ und
nicht als „prerequisite“, um auszudrücken, dass sie zwar von immenser Bedeutung für die
Entwicklung und Konsolidierung von Demokratie ist, jedoch nicht notwendigerweise
existieren muss.
Mit dem Fokus auf sozioökonomische Modernisierung gibt die Theorie also keinen
„deterministischen Zusammenhang, sondern eine extrem signifikante Tendenz“ 67 für eine
demokratische Entwicklung in einem Land an. Entsprechend formuliert Diamond die bereits
zitierte Grundannahme Lipsets „The more well-to-do a nation, the greater the chances that it
will sustain democracy” etwas vorsichtiger und treffender: “The more well-to-do the people
of a country, on average, the more likely they will favor, achieve, and maintain a democratic
system for their country.” 68
Diese von der Modernisierungstheorie nachgewiesene Signifikanz ist ohne Frage heute noch
von
Gültigkeit:
Ein
geeignetes,
zeitgemäßes
Instrument
zur
Untersuchung
von
Systemwechseln ist sie deshalb jedoch nicht. Die ohne Frage wertvollen Erkenntnisse aus der
reinen
Modernisierungstheorie
und
ihrer
Weiterentwicklungen,
die
die
Demokratisierungsforschung lange dominierten, müssen mit Erklärungsansätzen jenseits der
Modernisierungstheorie ergänzt werden, die sich in der Folge herausbildeten. Die
bedeutendsten von ihnen sollen im Folgenden umrissen werden.
3.2 Systemtheoretische Ansätze
3.2.1
Klassische Systemtheorie
Die Entwicklung von der traditionalen zur modernen Gesellschaft wird von der klassischen
Systemtheorie nach Parsons als Ausdifferenzierung von Teilsystemen beschrieben:
65
Vgl. Schmidt, 2000: S. 463.
Diamond, 1992: S. 487.
67
Merkel/ Puhle, 1999: S. 33.
68
Diamond, 1992: S. 468.
66
24
„Ausgehend von der industriellen Revolution setzte sich die Differenzierung von Ökonomie und
politischer Herrschaft, politischem System und ziviler Gesellschaft sowie die Ablösung sozialer
Normen von religiösen Begründungen (kulturelles System) in den westlichen Gesellschaften durch.“69
Im Rahmen seines AGIL-Schemas benennt Parsons vier Teilsysteme, die sich
ausdifferenzieren müssen, damit der Weg in die Moderne eingeschlagen werden kann:
Wirtschaft (Anpassung), Politik (Zielerreichung), soziale Gemeinschaft (Integration) und
Kultur (Erhaltung von Wertmustern). An dieser Entwicklung führt für Parsons sowohl
normativ als auch historisch kein Weg vorbei. Um ihren Bestand zu sichern, muss die
funktional differenzierte Gesellschaft entsprechende Normen und Strukturen ausbilden, die
ihre
Anpassungsfähigkeit
an
die
Umwelt
so
sehr
steigern,
dass
Entwicklungsniveaus bezüglich der Anpassungskapazität erreichen kann.
70
sie
höhere
Parsons spricht
von „evolutionären Universalien“, deren bedeutendste Bürokratie, Marktorganisation,
allgemeingültige
universalistische
Normen
im
Rechtssystem,
demokratisches
Assoziationsrecht und allgemeine freie Wahlen sind. 71
Ist das politische System durch das Fehlen wichtiger evolutionärer Universalien nicht mehr in
der Lage, sich der steigenden Komplexität seiner Umwelt anzupassen, verliert es seine
Legitimität und somit die Stabilität. Durch die Modernisierung verlieren die alten, auf Zwang
basierenden Werkzeuge zur Integration der Gesellschaft, d.h. „Oktroyierung sozialer
Normen“ 72 , ihre Wirkung. Stattdessen führt die Anerkennung und Verinnerlichung von
integrierenden Werten durch die Mitglieder der Gesellschaft zur Integration.
Parsons sieht demokratische Assoziation als evolutionäre Universalie für den Wandel auf ein
höheres Niveau der gesellschaftlichen Entwicklung, weil eine effektive politische
Organisation (einschließlich auch der Verwaltungskapazität, in erster Linie aber der
Unterstützung einer universalistischen Rechtsordnung) für Gesellschaften mit zunehmender
Größe und Differenzierung umso wichtiger ist.73
„Nicht die allgemeine Legitimierung von Macht und Herrschaft ist die besondere Leistung
demokratischer Institutionen, sondern die Vermittlung von Konsensus über die Ausübung von Macht
und Herrschaft durch ganz bestimmte Personen und Gruppen und ganz bestimmte, bindende
Entscheidungen; keine Institution, die sich von den demokratischen Institutionen grundlegend
unterscheidet, ist zu dieser Leistung in der Lage.“ 74
69
Merkel, 1996: S. 305.
Vgl. Parsons, Talcott: Evolutionäre Universalien der Gesellschaft, in: Zapf, Wolfgang (Hrsg.): Theorien des
sozialen Wandels, Köln/ Berlin 31971, S. 55-74, S. 56.
71
Parsons, 1971: S. 57ff.
72
Merkel, 1996: S. 306.
73
Vgl. Parsons, 1971: S. 70.
74
Ebd.
70
25
Die Stabilität eines politischen Systems beruht entscheidend auf den beiden, zuvor
angesprochenen
Faktoren:
funktionale
Differenzierung
der
Gesellschaft,
die
Leistungsfähigkeit ermöglicht und Legitimation des politischen Systems durch die
Gesellschaft. 75 Wird nun eine Gesellschaft durch eine autokratische Herrschaftsform
durchdrungen und gesellschaftliche Integration statt über die Verinnerlichung von Werten mit
den Mitteln Zwang und Ideologisierung durchgesetzt, be- bzw. verhindert dies die funktionale
Differenzierung von Teilsystemen der Gesellschaft. Ein Stabilitätsverlust ist somit immanent.
Als sehr anschauliches Beispiel hierfür ist die Penetration osteuropäischer Gesellschaften vom
kommunistischen
Ordnungsanspruch
heranzuziehen.
Zwar
führt
die
„’totalitäre’
Durchdringung der Gesellschaft“ zeitweise zur Erleichterung und Perfektion der
Herrschaftskontrolle, ihr Verlust verursacht dann jedoch einen „umso fundamentaleren
Zusammenbruch des autoritären Regimes.“ 76 Zur Verdeutlichung dieses Zusammenhanges ist
es lohnend, die autopoietische Systemtheorie Niklas Luhmanns heranzuziehen.
3.2.2
Autopoietische Systemtheorie
Die Systemtheorie nach Luhmann radikalisiert Parsons’ Ansatz der funktionalen
Differenzierung.
Die
Annahme
einer
Hierarchie
zwischen
den
gesellschaftlichen
Teilsystemen, besonders eine, in der das politische System hierarchisch über den anderen
Teilsystemen angeordnet ist, hält Luhmann für nicht realistisch: „Vor allem muss man
einsehen, dass Theorien der Hierarchie oder der Delegation oder der Dezentralisierung, die
immer noch von einer Spitze oder einem Zentrum ausgehen, die heutigen Sachverhalte nicht
adäquat erfassen können.“ 77 Mit dem Übergang von der stratifikatorisch differenzierten, d.h.
nach hierarchischen Grundsätzen gegliederten Ständegesellschaft, zur gegenwärtigen,
funktional differenzierten Gesellschaft, ist „auch die Möglichkeit einer den gesellschaftlichen
Teilsystemen übergeordneten Steuerungsinstanz obsolet geworden“ 78 .
Die Gesellschaft besteht für Luhmann heute aus nebeneinander angeordneten Subsystemen,
wie z.B. dem Wirtschaftsystem, dem Rechtssystem, der Religion und dem politischen System.
Keines, auch nicht das politische, ist einem anderen übergeordnet. Jedes System ist ein
autonomer, sich selbst reproduzierender Baustein des Gesellschaftssystems, der sich über die
Ausbildung eines spezifischen Kommunikationscodes von den anderen Subsystemen abgrenzt
75
Vgl. Merkel, 1996: S. 306.
Ebd. S. 307.
77
Luhmann, Niklas: Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische
Gefährdungen einstellen?, Opladen 31990, S. 202f.
78
Merkel, 1999: S. 81.
76
26
und sich so gegen Eingriffe durch Codes anderer Teilsysteme seiner Umwelt teilweise
abschottet. 79 Alles, was nicht dem systeminternen Code entspricht, wird in die SystemUmwelt verwiesen.
Diese Codierung ermöglicht einerseits eine große systeminterne Elastizität beim Entwurf und
der Verwirklichung funktionaler Äquivalente, schafft jedoch durch die Beschränkung auf die
Teilsystemfunktionen eine strukturelle Barriere: So kann „kein Funktionssystem […] für ein
anderes einspringen; keines kann ein anderes ersetzen oder auch nur entlasten. Politik kann
nicht für Wirtschaft substituiert werden, Wirtschaft nicht für Wissenschaft, Wissenschaft
nicht für Recht oder für Religion, Religion nicht für Politik, usw. in allen denkbaren
Intersystemrelationen.“ 80 Diese Barriere hält Luhmann nicht für undurchdringbar, etwaige
Versuche, wie z.B. Eingriffe des politischen Systems in das Wirtschaftssystem, sind also
möglich, müssen jedoch „mit Entdifferenzierung, das heißt mit Verzicht auf die Vorteile der
funktionalen Ausdifferenzierung bezahlt werden.“ 81
Das Luhmannsche Verständnis auf die Systemwechselforschung übertragend, formuliert
Merkel folgende These:
„Je weiter politische Regime auf dem Kontinuum von idealer Demokratie und vollendetem
Totalitarismus zum totalitärem Pol tendieren, um so mehr legen sich politische Funktionsimperative
über die teilsystemischen Codes, verhindern deren Übersetzung in Programme und hemmen damit die
für die Effizienzsteigerung notwendige weitere funktionale Differenzierung gesellschaftlicher
Teilsysteme wie dem Wirtschafts-, Rechts- und Wissenschaftssystem.“ 82
Der Legitimitätsverlust für ein autokratisches Regime ist demnach die logische Folge eines
länger währenden politischen Oktroyierens vor allem des Wirtschaftssystems, das zur
Effizienzminderung, also „zur Regression ökonomischer Wohlfahrtsentwicklung“ 83 , führt:
Der Code des Wirtschaftssystems, der „allein eine ökonomische Rationalität im Umgang mit
knappen Gütern garantiert“ 84 , wird durch einen der Herrschaftssicherung und der Ideologie
des jeweiligen Regimes verpflichteten politischen Code überlagert.
Auf alle Systeme des real existierenden Sozialismus ist diese Argumentationsstruktur Merkel
zufolge anwendbar: „Durch die künstliche und gewaltsame Installierung des Staates als die
allzuständige Spitze der Gesellschaft wurden deren Teilsysteme zu eng an die Politik
79
Für das Wirtschaftssystem lautet der binäre Code beispielsweise zahlen/nicht zahlen, für das politische System
Macht/keine Macht, für das Wissenschaftssystem wahr/unwahr, für das Rechtssystem recht/unrecht usw.
80
Luhmann, 1990: S. 207.
81
Ebd.
82
Merkel, 1999: S. 81.
83
Ebd.
84
Ebd.
27
gekoppelt. Effizienzverluste und Funktionskrisen in den Teilsystemen schlugen somit direkt
auf das politische System durch.“ 85
Zusammenfassend ergibt sich folgendes zentrales Argument der Systemtheorie: Ein
Blockieren oder Verhindern der funktionalen Differenzierung der gesellschaftlichen
Teilsysteme führt längerfristig zu Effizienz- und Legitimitätskrisen und somit zum
Untergraben der Systemstabilität. 86 Lässt das autokratische Regime diese funktionale
Differenzierung der Teilsysteme jedoch uneingeschränkt zu, ermöglicht es also die
Effizienzsteigerung, können ebenfalls destabilisierende Entwicklungen eintreten, wie bereits
erwähnt wurde.
3.2.3
Politische Legitimation und Systemstabilität in der Systemtheorie
Ein politisches System stellt aus systemtheoretischer Sicht ein Gebilde aus Strukturen
(Institutionen) und Regeln (Verfahren) dar, das die politischen und gesellschaftlichen Akteure
(z.B.
Parteien,
Verbände,
Organisationen,
Individuen)
in
„regelgeleitete
Interaktionsbeziehungen zueinander setzt.“ 87 Für die Stabilität des politischen Systems muss
die Struktur-Akteur-Konstellation dahingehend effizient ausgeprägt sein, dass das System
imstande ist, sich an die sich immer weiter differenzierenden Anforderungen der sich ständig
wandelnden Umwelt an das System anzupassen bzw. diese zu erfüllen. Konkret bedeutet dies:
Das System muss in der Lage sein, die immer komplexer werdenden Aufgaben zu lösen, die
ihm z.B. durch Wirtschaft, Gesellschaft und die internationale Staatengemeinschaft gestellt
werden.
Fünf
entscheidende
Herausforderungen
müssen
für
eine
ausreichende
Leistungsfähigkeit bzw. Existenzfähigkeit des Systems nach Almond vom System bewältigt
werden 88 :
-
politische und gesellschaftliche Integration (Integrationskapazität)
Ressourcenmobilisierung (Mobilisierungskapazität)
Aufrechterhaltung friedlich geregelter Beziehungen mit anderen Staaten (internationale
Anpassungsfähigkeit)
Beteiligung
der
Bevölkerung
an
politischen
Entscheidungsprozessen
(Partizipationskapazität)
85
Ebd. S. 82
Vgl. ebd.
87
Vgl. Merkel, 1999: S. 57.
88
Vgl. Almond, Gabriel A.: Politische Systeme und politischer Wandel, in: Zapf, Wolfgang (Hrsg.): Theorien
des sozialen Wandels, Köln/ Berlin 31971, S. 211-227, S. 216f.
86
28
-
Verteilung des Sozialproduktes durch wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen,
auch jenseits des Marktes (Distributionskapazität)
Eberhard Sandschneider ergänzt diese Liste systemerhaltender Kapazitäten durch eine
sechste: die Kapazität, wachsende Informationsmengen zu verarbeiten und entsprechend zu
reagieren. 89
Ein systemerhaltendes Niveau der Problemlösungskapazitäten ist unbedingt erforderlich, will
das System diesen Herausforderungen begegnen. Aus politikwissenschaftlicher Sicht sind
diese Zusammenhänge im Systemmodell von David Easton 90 und seiner Erweiterung durch
Gabriel Almond und Bingham Powell 91 am deutlichsten herausgearbeitet worden.
Abb. 1: Systemmodell nach Easton und Almond/Powell
Quelle: Merkel 1999, S. 59.
89
Vgl. Sandschneider, Eberhard: Stabilität und Transformation politischer Systeme. Stand und Perspektive
politikwissenschaftlicher Transformationsforschung, Opladen 1995, S. 121.
90
Easton, David: A Systems Analysis of Political Life, New York 1965.
91
Almond, Gabriel A./ Powell, Bingham (Hrsg.): Comparative Politics, Boston 1966.
29
Ihr Modell beinhaltet eine Rückkoppelung zwischen den outputs/outcomes, also den
tatsächlichen Entscheidungen des Systems (decisions/policies), und den inputs, d.h. den
politischen
Forderungen
und
den
politischen
Unterstützungen
aus
der
Umwelt
(demands/supports). Outputs (Gesetze, Erlässe, Verordnungen) werden in extraction (in erster
Linie fiskalische Akquisition), regulation (Regelung des Verhaltens der Bürger untereinander
und zu den Institutionen) und distribution (Verteilung materieller Güter, Dienstleistungen,
Status und Lebenschancen) unterschieden. Inputs sind einerseits demands, d.h. Forderungen
aus der Umwelt an das System, und andererseits supports, also Unterstützungen aus der
Umwelt, die sich wiederum aus specific support und diffuse support zusammensetzen. Die
instrumentell-zweckbezogenen (specific supports) und die allgemeineren längerfristigen
Unterstützungen (diffuse supports) sind für das System von existenzieller Bedeutung und
sichern seinen Bestand.
Die inputs werden im zentralen politischen System verarbeitet und das System wandelt sie in
materielle und immaterielle outputs zur Erfüllung der Forderungen um, die die supports
verstärken oder abschwächen, und somit schlussendlich für veränderte inputs sorgen und auf
das politische System zurückwirken (feedback loop). 92
Produziert das System nun auf Grund der durch Überlagerung der teilsystemischen Codierung
durch politische Codes künstlich herbeigeführten Ineffizienz anderer Teilsysteme outputs, vor
allem materieller Art, die für die Bevölkerung unbefriedigend sind, „nimmt der für die
politische Herrschaftsordnung systemunterstützende input an aktiver Unterstützung und
passiver Massenloyalität ab.“ 93 Durch diese politische „Okkupation“ anderer Teilsysteme
wird die „im Zuge der Modernisierung entstandene funktionale Ausdifferenzierung der
Gesellschaft in spezialisierte Teilsysteme […] eingefroren oder zurückgedreht.“ 94 Die
„produktiven Vorteile von Arbeitsteilung und Spezialisierung [werden so] verspielt“ und „die
spezifische Intelligenz und Expertise von dezentralen Einheiten“ eingeebnet. 95 Da derartige
politische Vorgaben „in der Regel hierarchisch-repressiv durchgesetzt werden müssen“ 96 ,
werden somit auch die beiden bereits benannten wichtigsten Ströme der Legitimitätszufuhr
zur Stabilisierung des politischen Systems abgegraben.
Die längerfristige, diffuse Unterstützung bezieht sich auf die politischen Institutionen und
Verfahrensweisen des Systems selbst: Konkret drückt das Maß an diffuser Unterstützung
92
Vgl. Easton, 1965: S. 343ff.
Merkel, 1996: S. 310.
94
Merkel, 1999: S. 65.
95
Vgl. Willke, Helmut: Ironie des Staates. Grundlinien einer Staatstheorie polyzentrischer Gesellschaft,
Frankfurt/M. 1996, S. 69.
96
Merkel, 1996: S. 310.
93
30
demnach aus, welchen Rückhalt die jeweilige Herrschaftsform, welche Legitimität sie im
Volk hat. Merkel spricht hier von der „normativen Legitimationsebene“ 97 . Das Maß an
spezifischer Unterstützung hängt „von den in der Bevölkerung wahrgenommenen
Leistungsergebnissen des politischen Systems ab“ 98 : Das bedeutet, dass der Grad an
spezifischer Unterstützung in erster Linie eng damit verbunden ist, in welchem Maße die
Bevölkerung ihre materielle Wohlfahrt und Sicherheit im Rahmen des Systems gewährleistet
sieht. 99 Sie entsteht demzufolge auf der „leistungsbezogenen Legitimationsebene“ 100 .
Legitimität ist für Easton ein wesentlicher Bestandteil der Unterstützung von Autoritäten und
Regimen. Er definiert sie als:
„the conviction of one part of the member that it is right and proper for him to accept and obbey the
authorities and to abide by the requirements of the regime. It reflects the fact, that in some vague or
explicit way he sees these objects as conforming to his own moral principles, his own sense of what is
right and proper in the political sphere.” 101
Spezifische und diffuse Legitimation können jeweilige Mängel gegenseitig in einem gewissen
Maße kompensieren 102 : Mangelt es an vom System erbrachter Leistung, kann unter
Umständen die diffuse Unterstützung seiner Normen, Strukturen und Verfahren durch seine
Bürger dieses Defizit ausgleichen. Fehlt es an letztgenannter Unterstützung kann eine gute
Leistungsbilanz des Systems den Mangel an diffuser durch einen Überschuss an spezifischer
Unterstützung ausgleichen.
In autokratischen Herrschaftssystemen gibt es „per definitionem keine formale demokratische
Legitimation“ 103 für Institutionen und Entscheidungsinstanzen. Merkel zufolge kann dieses
Defizit an Legitimation in vormodernen Gesellschaften (z.B. Afrikas) über traditionale oder
charismatische Herrschaftslegitimation, in weiter entwickelten über ideologische (z.B. in den
kommunistischen
Systemen
Herrschaftslegitimation
(im
Osteuropas)
und
ideologisch/charismatische
Faschismus/Nationalsozialismus
Italiens/Deutschlands)
ausgeglichen werden. 104
Muss
in
autokratischen
Systemstabilisierung
Systemen
eingesetzt
Repression
werden,
hilft
zur
Herrschaftssicherung
dieser
Einsatz
als
und
zur
„funktionales
97
Merkel, 1999, S. 63.
Merkel, 1996: S. 310.
99
Vgl. ebd.
100
Merkel, 1999: S. 65.
101
Easton, 1965: S. 278.
102
Vgl. Merkel, 1999: S. 60.
103
Merkel, 1996: S. 310.
104
Vgl. ebd. S. 310f.
98
31
Systemstabilisierungsäquivalent“ 105 zwar einerseits, die Opposition zu unterdrücken,
andererseits führt er aber dazu, dass dem System seine Legitimation entzogen und „das
verbliebene
Rinnsal
der
ideologischen
Legitimationsquelle“ 106
ausgetrocknet
wird.
Langfristig erfolgt durch Repression also eher eine Stärkung der oppositionellen Kräfte als
eine erfolgreiche Schwächung bzw. Unterdrückung.
Auf den Staat insgesamt bezogen unterscheidet Sandschneider zwischen der Makrostabilität
des Gesamtsystems Staat und zwei verschiedenen Formen der Mikrostabilität auf der
teilsystemischen Ebene: der institutionellen Mikrostabilität, die den institutionellorganisatorischen Entscheidungsrahmen des Teilsystems betrifft und die funktionale
Mikrostabilität, die sich an der Erfüllung der teilsystemischen Funktionsleistungen bemisst. 107
Kommt es zum Verlust von Mikrostabilität in einem oder mehreren Teilsystemen, muss die
Instabilität nicht zwingend zum Systemwechsel oder gar zum Zusammenbruch führen: Wie
zuvor ausgeführt, ist es möglich, dass die fehlende Mikrostabilität auf der Makroebene
ausgeglichen werden kann, vorausgesetzt das Gesamtsystem kann die entstehenden Kosten
decken. 108 Dies kann einerseits wie beschrieben durch Repression, allerdings mitsamt den
anhängenden Konsequenzen oder andererseits durch die Zuführung systemexterner
Unterstützung geschehen.
Merkel stellt fest, dass Demokratien „aufgrund ihrer inneren Konstruktion und höheren
Fähigkeit, systemrelevante Informationen zu prozessieren und Unterstützung zu mobilisieren,
[…] längerfristig stabiler [sind] als Autokratien.“ 109 Demokratische Systeme verfügen über
eine endogene Stabilität, die sich in erster Linie über den „feed back-Mechanismus“ 110
bezüglich des Herrschaftszugangs in Form freier Wahlen erklärt. Die Gefahr abgewählt zu
werden, weil die von der Bevölkerung geforderten „Güter“ nicht in ausreichendem Maße zur
Verfügung gestellt werden, „zwingt die amtierenden Regierungen, sich immer wieder an die
geänderten ’Umweltbedingungen’ anzupassen und neue, effizientere Lösungsansätze zu
entwickeln.“ 111
Flexibilität,
Adaptionsfähigkeit
„institutionalisierten Lernzwangs“ 112
und
Innovationsstreben
in
Form
sind somit in der Demokratie dem System
innewohnende Stabilitätsfaktoren.
105
Ebd. S. 311.
Ebd.
107
Vgl. Sandschneider, 1995: S. 119f.
108
Vgl. ebd. S. 120.
109
Merkel, 1999: S. 60f.
110
Ebd. S. 61.
111
Ebd.
112
Ebd.
106
32
Gleichzeitig gibt der selbstbeschränkte Herrschaftsanspruch demokratischer Systeme den
gesellschaftlichen Teilsystemen Wirtschaft, Recht, Kultur, Wissenschaft usw. mehr Raum,
sich mit ihren auf interne Effizienz ausgerichteten teilsystemspezifischen Codierungen und
Regeln selbst zu steuern. 113 Diese Mechanismen, die demokratische Systeme stabilisieren,
funktionieren naturgemäß nur, wenn bestimmte begünstigende Voraussetzungen erfüllt sind:
Hierzu zählen ein gewisses Maß an sozioökonomischer Entwicklung sowie ein grundlegender
Konsens und die Akzeptanz der „fundamentalen demokratischen und rechtsstaatlichen
Spielregeln“ 114 , ohne den eine Demokratie von vornherein instabil wäre.
Autokratische Systeme ziehen ihr Destabilisierungspotential aus ihrem im Vergleich zu
demokratischen
Systemen
sehr
statischen,
adaptions- und innovationsträgen Charakter.
115
partizipationsfeindlichen,
geschlossenen,
Dieser mindert die Leistungsfähigkeit des
politischen Systems und die Möglichkeiten seiner Legitimitätsbeschaffung. Mit Repressionen
sind diese beiden destabilisierenden Einflüsse in weiter entwickelten Gesellschaften nur in
begrenztem Maße zu kompensieren. Einerseits wird auf der normativen Legitimitätsebene die
Entwicklung von diffuser Unterstützung in der Bevölkerung verhindert, die Easton, wie
beschrieben, neben der spezifischen Unterstützung als überlebensnotwendig für das System
einstuft. Längerfristig kann sich keine affektive Bindung an das System entwickeln, wenn der
Bürger völlig von der Mitgestaltung der res publica ausgeschlossen ist. 116
Auf der anderen Seite ist die spezifische Unterstützung, wie oben erwähnt, eng daran
geknüpft, inwieweit die Bevölkerung ihre Sicherheit und materielle Wohlfahrt durch das
System gewährleistet sieht. Kommt es nun im autoritären Regime durch Eingriffe bzw.
Überlagerung der gesellschaftlichen Teilsysteme durch das politische System zur funktionalen
Entdifferenzierung der Teilsysteme, ist ein Effizienzverlust der einzelnen Bereiche
vorprogrammiert. Vor allem bezüglich des Wirtschaftssystems ist so eine unzureichende
Versorgung der Bevölkerung mit materiellen Gütern und ein Verlust der spezifischen
Unterstützung die logische Folge. Auf Grund der Allzuständigkeit des autoritären Regimes
für die vom politischen System okkupierten Teilsysteme schlägt jede Teilsystemkrise zudem
direkt auf das politische System durch.
113
Vgl. ebd. S. 61f.
Ebd. S. 62.
115
Vgl. ebd. S. 63.
116
Vgl. ebd. S. 65.
114
33
3.3 Strukturalistische Ansätze
Strukturalistisch orientierte Ansätze der Transformationsforschung gehen davon aus, dass
langfristige Verschiebungen in den Machtstrukturen einer Gesellschaft entscheidend für eine
erfolgreiche Demokratisierung bzw. die Konsolidierung der Demokratie sind. Barrington
Moore setzte 1969 den Grundstein der Übertragung des strukturalistischen Ansatzes auf die
Systemwechselforschung. 117
Für Moore ist die Entwicklung von Herrschaftsstrukturen wie Diktatur und Demokratie das
Resultat vergangener sozialer Konflikte und über die Schlüsselkategorien a) Zeitpunkt der
Industrialisierung, b) Staatsstrukturen, c) Staatshandeln und d) soziale Klassen sowie die
Machtverhältnisse zwischen ihnen und zum Staat zu erklären. 118 Für ihn greift jede
Transformationsanalyse,
die
nur
auf
der
Gegenwart
fußt,
zu
kurz,
denn
die
Handlungsspielräume agierender politischer Akteure sind in ganz erheblicher Weise durch die
Auswirkungen der Vergangenheit geprägt: Politische Akteure bewegen sich in strukturellen
constraints, also in Handlungskorridoren, die in der Vergangenheit durch die spezielle
Konstellation der benannten Schlüsselkategorien entstanden sind. Moores Betrachtungen
fokussieren insbesondere die Verhältnisse:
-
„Macht des Staates gegenüber der Landaristokratie und Bourgeoisie;
-
Machtposition der reaktionären Großgrundbesitzer und ihr Einfluss auf den Staat;
-
relative Stärke der dominierenden ländlichen und städtischen Klassen;
-
Herrschaftskonstellationen zwischen Krone und den dominanten Klassen;
-
sozialstrukturelle Transformation der Bauernschaft (z.B. im Industrieproletariat), da
diese sowohl für den autoritären Obrigkeitsstaat als auch für kommunistische
Revolutionen ein ergiebiges Rekrutierungsreservoir darstellen.“ 119
Die Ausprägungen der einzelnen Machtkonstellationen entscheiden schließlich in ihrem
Zusammenwirken, welcher Weg die Gesellschaft in die Moderne führt. Moore unterscheidet
hier lediglich drei verschiedene Optionen: Den Weg der bürgerlichen Revolutionen, der zur
westlichen (parlamentarischen) Demokratie führt; den Weg der konservativen Revolutionen
117
Moore, Barrington: Soziale Ursprünge von Diktatur und Demokratie: Die Rolle der Grundbesitzer und
Bauern bei der Entstehung der modernen Welt, Frankfurt/M. 21987; [engl. Original: Moore, Barrington: Social
Origins of Dictatorship and Democracy, Boston 1966].
118
Vgl. Merkel, 1996: S. 312.
119
Ebd., vgl. Moore, 1987: S. 475ff.
34
von oben, der zur faschistischen Diktatur führt und den Weg der Bauernrevolutionen, der zur
kommunistischen Diktatur führt. 120
In jüngerer Zeit wurde sein Ansatz unter anderem von Rueschemeyer, Huber Stephens und
Stephens aufgegriffen 121 , die seine Thesen verfeinerten und z.B. die von Moore wenig
beachtete Rolle der Arbeiterklasse und der Mittelschichten beim Hervorbringen von
demokratischen Strukturen berücksichtigen und die Bourgeoisie als demokratieabgeneigt
bzw. -feindlich einstufen, nicht wie Moore demokratiefreundlich.
Merkel
sieht
den
großen
Beitrag
des
strukturalistischen
Ansatzes
Moores
und
Rueschemeyer/Huber Stephens/Stephens darin, welche Bedeutung „den sozialen Klassen,
dem Staat und den Machtbeziehungen zwischen ihnen“122 beigemessen wird. Entscheidend ist
für ihn, wie die Strukturalisten den Strukturbegriff behandeln. Die Struktur ist auf einer MesoEbene zwischen System und Handlung angeordnet und nicht allein auf die Erfüllung von
Funktionen in einem sich selbst reproduzierenden System ausgerichtet wie in der
Systemtheorie. 123 Für die strukturalistischen Vertreter hat Struktur einen Doppelcharakter, ist
Struktur und Akteur zugleich: So unterscheiden sie z.B. zwischen der „Klasse an sich“
(Struktur), also der bloßen gleichlaufenden sozioökonomischen Interessenlage, und der
„Klasse für sich“ (Akteur), ihrer kollektiven Organisierung, die sie erst zum sozialen Handeln
befähigt.
Diese Unterscheidung lässt sich auch auf den Staat übertragen: Mit seinen Institutionen und
festgelegten Verfahren, ist er der Rahmen (Struktur), in dem politische Akteure handeln, tritt
jedoch selbst auch als Akteur in Erscheinung. 124 In diesem Zusammenhang stellt sich
natürlich die Frage, inwiefern sich der Staat dabei neutral verhält, parteiische Interessen oder
das „Interesse an sich selbst“ 125 vertritt. Der diesbezüglich entscheidende Faktor ist das Maß
an Autonomie des Staates, die Rueschemeyer und seine Co-Autoren mit folgendem
Spannungsbild beschreiben:
„[While] state autonomy vis-à-vis the dominant classes is a necessary condition of effective
democracy, the same state strength that contributes to this outcome may enable the state to overpower
the pro-democratic forces in the rest of the society. Processes of democratization, then, must steer
between the Scylla of a dependence of the state on the dominant classes that is incompatible with
democracy and the Charybdis of a state michinery to strong to be democratically tamed.” 126
120
Vgl. Moore, 1987: S. 475.
Rueschemeyer, Dietrich/ Huber Stephens, Evelyne/ Stephens, John D.: Capitalist Development and
Democracy, Chicago 1992.
122
Merkel, 1996: S. 312f.
123
Vgl. ebd. S. 313.
124
Vgl. ebd.
125
Offe, Claus: Berufsbildungsreform, Frankfurt/M. 1975, zitiert nach Merkel, 1996: S. 313.
126
Rueschemeyer/ Huber Stephens/ Stephens, 1992: S. 66.
121
35
Besondere Relevanz haben in diesem Zusammenhang das Maß an Autonomie, das der Staat
seiner Zivilgesellschaft in ihren Parteien, Organisationen, Bewegungen etc. gibt, und das
staatliche Gewaltmonopol, das absichert, dass sich Militär und Polizeiapparat nicht seiner
Kontrolle entziehen, sich gegen ihn stellen oder gar zum „Staat im Staate“ 127 entwickeln
können. 128
3.4 Akteurs-/ handlungstheoretische Ansätze
Anders
als
modernisierungstheoretische
und
makrosoziologische
Ansätze
greifen
akteursorientierte Transitionsforscher die Mikroebene der handelnden Akteure auf. Im
Gegensatz
zum
ökonomischen
und
soziostrukturellen
Determinismus
geht
die
akteurstheoretische Transitionsforschung davon aus, „dass Demokratien nicht zwangsläufig
aus bestimmten ökonomischen und sozialen Bedingungen entstehen, sondern von politischen
Akteuren im wahrsten Sinne des Wortes hergestellt oder gemacht werden.“ 129 Das
strategische Handeln der an den Prozessen beteiligten Akteure steht demzufolge im Fokus der
Betrachtungen, ohne dass die akteurstheoretische Analyse die Bedeutung von strukturellen
Gegebenheiten wie Ökonomie, politischer Kultur usw. verkennt. Vielmehr werden diese
Faktoren als Strukturen gesehen, die die Handlungsoptionen der Akteure filtern und an die
ihre Entscheidungen gebunden sind, nicht jedoch als deterministische Faktoren, die die
Entwicklungsrichtung bzw. das Ergebnis der jeweiligen Prozesse vorgeben. 130
Die Akteure, also die Individuen und Gruppen, die den Systemwechselprozess initiieren und
gestalten, stehen im Mittelpunkt der akteursorientierten Systemwechselforschung: Ihnen
„werden trotz struktureller Zwänge, in denen sie sich bewegen, Entscheidungen und
Handlungsoptionen zugestanden.“ 131 Vor diesem Hintergrund sind „Ziele, Interessen,
Präferenzen, Perzeptionen, Entscheidungen, Strategien und das Verhalten von herrschenden
Eliten und oppositionellen Kräften“ 132 die entscheidenden Faktoren und Variablen im Prozess
des Systemwechsels.
Die wichtigsten Akteure werden in der akteursorientierten Transformationsforschung in den
herrschenden und den oppositionellen Eliten gesehen. Die Fraktionierung der herrschenden
127
Merkel, 1996: S. 313.
Vgl. Rueschemeyer; Huber Stephens; Stephens, 1992: S. 66ff.
129
Bos, Ellen: Die Rolle von Eliten und kollektiven Akteuren in Transitionsprozessen, in: Merkel, Wolfgang
(Hrsg.): Systemwechsel 1: Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung, Opladen 21996, S. 81109, S. 81.
130
Vgl. O’Donnell/ Schmitter 1986: S. 4f.
131
Bos, 1996: S. 87.
132
Ebd.
128
36
Klasse in hard- und softliner durch den auf sie einwirkenden Druck gilt als grundlegende
Voraussetzung, um einen Systemwechsel wahrscheinlich zu machen. 133
Auf der einen Seite stehen die hardliner: reformunwillige Kräfte, die aus Gründen des
Machterhalts, der Sicherung ihres materiellen Status’ oder schlicht aus Überzeugung am
autoritären Regime festhalten. Auf der anderen Seite befinden sich die reformwilligen
softliner oder Reformer, die dazu bereit sind, ihre Herrschaft auf breitere demokratische
Legitimation zu fußen und mit der Opposition über eine mögliche Liberalisierung, eine
begrenzte Öffnung des politischen Systems oder Demokratisierung des Herrschaftssystems
verhandeln möchten. 134 Durch das Vorhandensein von reformwilligen Kräften und einer
handlungsfähigen
politischen
„Liberalisierungskoalition“
135
Opposition
wird
die
Bildung
einer
zwischen beiden Seiten möglich, die den Übergang von der
Diktatur zur Demokratie oftmals mittels eines Paktes bewerkstelligen.
Die oppositionellen Kräfte stellen wie die herrschende Klasse keine homogene Gruppe dar:
Sie werden in der Forschung in opportunists, moderates und radicals unterschieden. 136 Die
Opportunisten formieren die Gruppe derer, die zuvor das Regime unterstützten, sich nun
jedoch auf die Seite der demokratisierungswilligen Opposition gestellt haben, weil sie in der
Demokratisierung Vorteile für sich sehen. Die moderaten Oppositionskräfte favorisieren ein
demokratisches System, respektieren dabei jedoch die Rolle der traditionellen Eliten und des
Militärs. Die radikalen Oppositionellen stellen den kompromissunwilligen Teil der
Opposition dar, der eine strikte Demokratisierung fordert und gegenüber dem autoritären
Regime zu keinerlei Zugeständnissen bereit ist.
Häufig entwickeln sich die oppositionellen Kräfte erst im Zuge der Öffnung des politischen
Systems zu einer breiten Bewegung: Am Anfang stehen in der Regel zunächst Intellektuelle,
Künstler, Menschenrechtsgruppen und kirchliche Kreise, denen sich in der Folge Parteien,
Gewerkschaften und andere Interessengruppen anschließen können. 137
Neben Opposition und Herrschenden sieht die akteursorientierte Systemwechselforschung in
mobilisierten Bevölkerungsmassen einen weiteren Akteur. 138 Demonstrationen und Streiks
sind mögliche Ausdrucksformen dieser Gruppe, die vorrangig in der Liberalisierungsphase
133
Vgl. Schubert, Gunter/ Tetzlaff, Rainer/ Vennewald, Werner (Hrsg.): Demokratisierung und politischer
Wandel. Theorie und Anwendung des Konzepts der strategischen und konfliktfähigen Gruppen, Münster/
Hamburg 1994, S. 100.
134
Vgl. Bos, 1996: S. 88.
135
Schmidt, 1998: S. 233.
136
Vgl. Potter, David: Explaining democratization, in: Potter, David/ Goldblatt, David/ Kiloh, Margaret/ Lewis,
Paul: Democratization, Cambridge/ Malden 1997, S. 1-40, S. 15.
137
Vgl. Bos, 1996: S. 88.
138
Vgl. ebd.
37
eine Rolle spielen. Massenaufstände werden in der Systemwechselforschung eher als
vorübergehende Phänomene betrachtet. 139
Den
Akteuren
wird
strategisches
Handeln
unterstellt,
dass
auf
rationalen
Abwägungsprozessen beruht. Dies ermöglicht die Entwicklung von Spielen, in denen die
Handlungen der Akteure erfasst werden können 140 : Diesen Rational Choice oder Strategic
Choice-Ansätzen zufolge sind „die Ergebnisse von politischen Prozessen [die] Folge der
Interaktionen zwischen den strategischen Entscheidungen der beteiligten Akteure.“ 141 Unter
der Prämisse der Nutzenoptimierung und des weitgehenden Erreichens der gesetzten Ziele
werden die angenommenen Kosten und Nutzen aller möglichen Handlungsoptionen von den
Akteuren gegenübergestellt, um so zur Entscheidung zu gelangen. Voraussetzung für das
Funktionieren strategischer Modelle ist jedoch ein ausreichend freier Handlungsspielraum der
Akteure und die Ergebnisoffenheit, d.h. die Ergebnisse der politischen Prozesse dürfen nicht
bereits a priori feststehen.
139
Vgl. ebd. und Merkel/ Puhle, 1999: S. 49.
Przeworski, Adam: The Games of Transition, in: Mainwaring, Scott/ O’Donnell, Guillermo/ Valenzuela, J.
Samuel: Issues in Democratic Consolidation. The New South American Democracies in Comparative
Perspective, Notre Dame 1992, S. 105-152.
141
Bos, 1996: S. 87.
140
38
4. Phasen und Formen von Systemwechselprozessen
Die umfassendsten Arbeiten zur Erforschung von Systemwechseln stammen von Wolfgang
Merkel, weshalb die folgenden Betrachtungen zu Systemwechselprozessen in ganz
wesentlicher Weise auf seine Ausführungen gestützt sind.
4.1 Phasen des Systemwechsels
In der Systemwechselforschung werden Systemwechselprozessen in verschiedene Phasen
eingeteilt. Idealtypisch unterscheiden O’Donnell und Schmitter zwischen der Phase der
Liberalisierung, der Phase der Demokratisierung und der Phase der Konsolidierung der
Demokratie. 142
In der Liberalisierungsphase versuchen die herrschenden Eliten, das autoritäre System
kontrolliert zu öffnen, ohne die tatsächlichen Machtverhältnisse zu verändern. Das Erweitern
persönlicher Freiheitsrechte, wie z.B. der Rede- und Organisationsfreiheit, soll Spannungen
und Druck von der Regierung nehmen, bzw. ihre Unterstützung in der Bevölkerung
vergrößern, ohne dass den Bürgern jedoch der Zugang zu politischer Teilhabe gewährt
wird. 143 Darüber hinaus bietet sich dem autoritären Regime durch die Liberalisierung die
Möglichkeit, die neu entstehenden Gruppen in die autoritären Institutionen zu integrieren und
so zentral kontrollierbar zu machen. 144
In
der
akteurstheoretisch
orientierten
Systemwechselforschung
werden
zwei
die
Liberalisierung auslösende Faktoren unterschieden, die Przeworski zufolge häufig korrelieren:
Liberalisierung als Resultat einer Spaltung der herrschenden Kräfte des autoritären Regimes
(top-down) und Liberalisierung als Reaktion der herrschenden Kräfte auf mobilisierte Massen,
die Druck auf das Regime ausüben (bottom-up). 145 Ganz gleich jedoch, worauf die
Liberalisierung letztendlich zurückzuführen ist: Für Regierung und Opposition stellt sich,
Przeworski entsprechend, in jedem Fall die gleiche Abfolge von Entscheidungen, jedoch mit
dem Unterschied, dass eine von Massenprotesten „erzwungene“ Liberalisierung dem Regime
den Rhythmus des Wandels vorgibt. 146
Die Phase der Demokratisierung wird als der Abschnitt des Systemwechselprozesses gesehen,
in dem demokratische Institutionen eingeführt werden, „die politischen Wettbewerb und eine
142
Vgl. O’Donnell/ Schmitter, 1986: S. 7ff.
Vgl. Przeworski, 1991: S. 57.
144
Vgl. ebd.
145
Vgl. ebd. S. 56.
146
Vgl. ebd. S. 57.
143
39
breite Partizipation der Bürger garantieren.“ 147 Als dafür grundlegend gelten freie und
geheime Wahlen, ein allgemeines Wahlrecht und der Parteienwettbewerb. 148
Der
Unterschied
zwischen
Liberalisierung
und
Demokratisierung
ist
deutlich:
Liberalisierungsschritte autoritärer Regime wurden in der Vergangenheit z.B. als apertura
(Öffnung), distensão (Entspannung), odnowa (Erneuerung) oder perestroika (Umgestaltung)
bezeichnet. 149 Die Liberalisierung stellt also lediglich eine Modifizierung des autoritären
Regimes
dar,
während
Herrschaftssystems
die
bezeichnet. 150
Demokratisierung
Aus
der
Phase
den
tatsächlichen
der
Wechsel
Liberalisierung
kann
des
eine
Demokratisierungsphase hervorgehen, zwingend ist diese Entwicklungsrichtung jedoch nicht.
In der Regel führt die Demokratisierung zu einer Übergangs- oder Interimsdemokratie,
während der die Phase der Konsolidierung einsetzt. Die Konsolidierung beginnt mit dem
Einsetzen einer demokratischen Regierung und endet, wenn die Demokratie einen stabilen
Zustand erreicht hat. 151
Hinsichtlich dieser Phaseneinteilung sind einige Einschränkungen zu machen: Merkel weist
darauf hin, dass es dieser Einteilung an Allgemeingültigkeit mangele, um sie auf alle
Systemwechsel, auch die der Dritten Demokratisierungswelle, anwenden zu können:
Keineswegs „ging der Demokratisierung immer zwingend eine Liberalisierung des
autokratischen Systems voraus.“ 152 Dies sei lediglich in drei der sechs von ihm
unterschiedenen Systemwechselformen der Fall gewesen 153 : Der lang andauernden
evolutionären
Systemwechseln
Demokratisierung,
und
den
den
zwischen
von
den
Regimeeliten
alten
und
Regimeeliten
Opposition
gesteuerten
ausgehandelten
Systemübergängen. Bei den von unten erzwungenen Systemwechselprozessen und den
Neugründungen von Staaten sind Merkel zufolge keineswegs immer Liberalisierungsphasen
durchlaufen worden, sondern nur bisweilen. Bei den Systemwechseln infolge kollabierender
Regime verlaufe die Liberalisierung zumeist synchron mit der Demokratisierung bzw. ist zu
weiten Teilen erst die Folge der einsetzenden Demokratisierung. 154 In der Realität ist eine
trennscharfe Abgrenzung der einzelnen Phasen demnach in vielen Fällen gar nicht möglich.
147
Bos, 1996: S. 86.
Vgl. ebd.
149
Vgl. Przeworski, 1991: S. 57f.
150
Vgl. Bos, 1996: S. 86.
151
Vgl. ebd.
152
Merkel, 1999: S. 136.
153
Die von Merkel unterschiedenen Verlaufsformen von Systemwechseln werden unter Punkt 4.2, S. 49ff.
behandelt.
154
Vgl. ebd.
148
40
Merkel geht von einem allgemeineren, dreistufigen Modell aus, das seiner Meinung nach in
der Lage ist, alle erfolgreichen Systemübergänge von autokratischen zu demokratischen
Systemen zu erfassen: 155
1. Ende des autokratischen Regimes
2. Institutionalisierung der Demokratie (Demokratisierung)
3. Konsolidierung der Demokratie
Abb. 2: Systemwechsel – Vom autokratischen System zur Demokratie
Quelle: Merkel 1999, S. 122
Dieses Modell soll im Folgenden in kurzer Form dargestellt werden.
155
Vgl. ebd. S. 120.
41
4.1.1
Das Ende des autokratischen Systems
Das Ende eines autokratischen Systems ist zumeist einem ganzen Ursachenkomplex
geschuldet, den es in seiner Gesamtheit zu erfassen gilt. Erst die Analyse des
Zusammenwirkens und Ineinandergreifens von strukturellen Veränderungen und politischen
Handlungen ermöglicht laut Merkel das Erklären von Zusammenbrüchen politischer
Systeme. 156 Er unterscheidet hinsichtlich der Ursachen, die zum Niedergang von
autokratischen Systemen führen, zunächst zwischen systeminternen und systemexternen
Ursachen.
1. Systeminterne Ursachen
Systeminterne Ursachen sieht Merkel in erster Linie im Zusammenhang mit dem latenten,
systemeigenen
Legitimitätsdefizit,
das
dem
autokratischen
Regime
anhaftet.
Drei
verschiedene Ursachen für Legitimitätskrisen zählt Merkel auf 157 : die Legitimitätskrise auf
Grund ökonomischer Ineffizienz, die Legitimitätskrise auf Grund ökonomischer Effizienz und
die Legitimitätskrise auf Grund politischer Schlüsselereignisse. Die Logik, die hinter den
beiden erstgenannten möglichen Ursachen für Legitimitätskrisen steckt, wurde bereits im
Zusammenhang mit der Modernisierungstheorie erörtert 158 : Kann einerseits die materielle
Entschädigung der Bevölkerung für ihre politische Entmündigung nicht mehr aufrechterhalten
werden, weil die wirtschaftliche Modernisierung scheitert bzw. nicht vollzogen wird, gerät
das System in eine tiefe Legitimationskrise. Aus dieser kann die Regimeelite nur zu
entkommen
versuchen,
indem
sie
entweder
Repressionen
anwendet
oder
Liberalisierungsversuche unternimmt. Wie Beispiele beider Versuche zeigen, sind die Risiken
für das autokratische System, die diese Strategien mit sich bringen, enorm und kaum
kalkulierbar. 159
Andererseits kann auch der Erfolg von sozioökonomischer Modernisierung zum Niedergang
autokratisch beherrschter Systeme führen: Im Zuge des Wirtschaftswachstums erhöht sich das
Konsum- und Bildungsniveau und das Wirtschaftssystem insgesamt verlagert sich
schwerpunktmäßig vom Agrar- zum Industrie- und Dienstleistungssektor. In der Folge geht
den Herrschaftseliten die Unterstützung der durch die Modernisierung überflüssig
156
Ebd. S. 124.
Vgl. ebd. S. 125ff.
158
Vgl. Punkt 3.1, S. 20ff.
159
Vgl. Merkel, 1999: S. 125.
157
42
gewordenen, passiven, traditionell autokratische Systeme stützenden Landbevölkerung
verloren, während sich in den städtischen Gebieten neue starke Mittelschichten
herausbilden. 160 So weicht die „vormoderne, passiv-resignative Loyalität gegenüber dem
autoritären Regime, die vor allem Agrargesellschaften kennzeichnet, […] politischen und
wirtschaftlichen Partizipationsforderungen“ 161 der neu entstandenen sozialen Gruppen, die
sich in einer sozialen und politischen Opposition manifestieren und so die Legitimation des
Regimes unterminieren.
Der dritte systeminterne Grund für eine Legitimitätskrise des autokratischen Regimes ist das
Auftreten politischer Schlüsselereignisse. Diese kurzfristigen dramatisierenden Effekte
entwickeln Merkel zufolge gerade im Zusammenwirken mit einem der beiden, zuvor
beschriebenen, latenten Legitimitätsprobleme eine besondere Sprengkraft. 162 So können z.B.
der Tod eines Diktators, regimeinterne Elitenkonflikte, aber auch die Häufung von Skandalen
und Korruption oder das Bekanntwerden von Menschenrechtsverletzungen durch das Regime
(sofern diese nicht ohnehin schon bekannt sind) zu „einem Anwachsen interner
Protestbewegungen und zu weiterer außenpolitischer Isolierung führen.“ 163
2. Systemexterne Ursachen
Merkel unterscheidet drei unterschiedliche systemexterne Einflüsse, die ursächlich für den
Niedergang eines autokratischen Regimes sein können 164 :
a) Kriegsniederlagen
Die häufigsten externen Ursachen für Regimezusammenbrüche, so Merkel, seien Niederlagen
in militärischen Konflikten. Entweder erfolge der Zusammenbruch auf Grund der Niederlage
in einem militärischen Konflikt mit demokratischen Staaten, an den sich ein von den
Siegermächten geleiteter Demokratisierungsprozess anschließen kann, oder infolge einer
Niederlage autokratischer Besatzerregime, „die den Weg für eine (Re-) Demokratisierung
freimachen.“ 165
160
Vgl. Punkt 3.1, S. 21.
Merkel, 1999: S. 126.
162
Vgl. ebd. S. 126f.
163
Ebd. S. 127.
164
Vgl. ebd. S. 127ff.
165
Ebd. S. 128.
161
43
b) Wegfall externer Unterstützung
Die Bedeutung externer Unterstützung zeigte sich besonders in der Zeit des Kalten Krieges, in
der die Blöcke viele autokratische Systeme stützten und deren Existenz absicherten: Mit dem
Entziehen der Unterstützung kam für viele Regime das Ende. Auch der Zusammenbruch der
kommunistischen Regime Osteuropas nahm seinen Ausgang auf diese Weise: durch das
Wegfallen der sowjetischen Beistandsgarantie im Zuge der Abkehr Gorbatschows von der
Breschnew-Doktrin. 166
c) Dominoeffekt
Der Dominoeffekt beschreibt die mitreißende Wirkung von Zusammenbrüchen autokratischer
Systeme auf ihre Region, die in der Vergangenheit zu beobachten waren. Diese Effekte sind
eher als Verstärkungseffekte denn als tatsächlich ausschlaggebende Ursachen zu sehen und
doch ist ihnen eine gewisse Bedeutung beizumessen, die sich unter anderem in der
Kettenreaktion des Zusammenbruchs der Regime des Ostblocks zeigte. 167
4.1.2
Institutionalisierung der Demokratie (Demokratisierung)
Die
Institutionalisierung
der
Demokratie,
von
Merkel
synonym
auch
als
Demokratisierungsphase bezeichnet, beginnt, „wenn die Substanz politischer Entscheidungen
der Kontrolle der alten Machthaber entgleitet und dem unsicheren Ausgang der
demokratischen Konkurrenz übergeben wird, d.h. durch stabile und institutionalisierte
Verfahren entschieden wird, deren Ausgang kontingent“ 168 bzw. nicht mehr a priori
bestimmbar ist. Sie ist Merkel zufolge beendet, wenn die neue demokratische Verfassung in
Kraft tritt und die politischen Entscheidungsprozesse entsprechend und verbindlich durch sie
normiert werden. 169
Insgesamt stellt die Phase der Demokratisierung also den Teil eines Systemwechselprozesses
dar, in dem die neuen Regeln und Institutionen etabliert werden: Sie werden eingeführt, sind
aber hinsichtlich ihrer Stabilität und Wirksamkeit noch nicht verlässlich, während die
Strukturen aus alten Institutionen und Normen nicht mehr oder höchstens noch teilweise
Geltung haben. 170 Dies führt zum bereits benannten Umstand, dass den Akteuren ein weitaus
166
Vgl. ebd.
Vgl. ebd. S. 129.
168
Rüb, Friedbert W.: Die Herausbildung politischer Institutionen in Demokratisierungsprozessen, in: Merkel,
Wolfgang (Hrsg.): Systemwechsel 1: Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung, Opladen 21996,
S. 111-137, S. 115.
169
Vgl. ebd.
170
Vgl. Merkel, 1999: S. 137.
167
44
größeres Maß an Handlungsoptionen zur Verfügung steht als z.B. in einer konsolidierten
Demokratie. Diese Übergangsbedingungen machen die Demokratisierungsphase fragil und
sind verantwortlich für das große Risiko des Scheiterns, dass dieser Phase anhaftet.
Besonders problematisch, so Merkel, ist die Tatsache, dass die Regeln, die als
allgemeingültige Normen etabliert werden sollen, von den durch sie betroffenen Akteuren
selbst entworfen werden und somit im Spannungsfeld zwischen Partikularinteressen,
allgemeinen Interessen und Problemorientierung schweben. Für das Etablieren einer
funktionierenden Demokratie müsse diese Spannung dahingehend aufgelöst werden, „dass
eine Balance zwischen den mächtigen Teilinteressen und dem ‚Allgemeinwohl’ gefunden
wird.“ 171 Andernfalls könnten entweder übergangene mächtige politische Akteure die
Demokratisierung gefährden, oder die Demokratie könne durch Legitimitätsdefizite auf
Grund einer zu geringen Beachtung des Allgemeininteresses und der zu bewältigenden
Probleme instabil bleiben. Aus letzterem Szenario könne z.B. anstelle einer funktionierenden
eine „defekte Demokratie“ hervorgehen. 172
Die Phase der Institutionalisierung der Demokratie ist Merkel zufolge beendet, wenn die neue
demokratische Verfassung verabschiedet ist, und die politischen Entscheidungsprozesse
entsprechend und verbindlich durch sie normiert werden. 173 Die Frage, warum sich in
bestimmten
Zusammenhängen
unterschiedliche
Formen
von
Regierungssystemen
(präsidentielle oder parlamentarische bzw. deren Mischformen) entwickeln, wird an dieser
Stelle außen vor gelassen. Stattdessen soll der Blick nun auf die bestimmenden Faktoren einer
erfolgreichen Konsolidierung demokratischer Ordnung gerichtet werden.
4.1.3
Konsolidierung der Demokratie
In der Systemwechselforschung werden häufig die Gründungswahlen (founding elections) als
Anfangspunkt der demokratischen Konsolidierung genannt. 174 Merkel zufolge ist es jedoch
schlüssiger, den Beginn der Konsolidierung in der Verabschiedung der neuen Verfassung
bzw. der demokratischen Revision der alten Verfassung zu sehen. Mit diesem Schritt würden
die wichtigsten Akteure des politischen Systems damit beginnen, „ihre Strategien, ihr
171
Ebd.
Vgl. ebd. S. 137f.
173
Vgl. ebd.
174
Vgl. etwa O’Donnell/ Schmitter, 1986: S. 57.
172
45
Verhalten und ihre Entscheidungen […] nach den institutionell abgesicherten demokratischen
Normen auszurichten.“ 175
Der Begriff der Konsolidierung wird in der Systemwechselforschung sehr differenziert
gefasst, sowohl auf begrifflicher als auch auf inhaltlicher Ebene: Darüber, wann eine
Demokratie schließlich als konsolidiert gelten kann, und anhand welcher operationalisierbarer
Kriterien dies zu untersuchen ist, herrscht bislang grundlegender Dissens. 176
Zwei unterschiedliche Ansätze sind diesbezüglich zu unterscheiden: Einerseits die
minimalistischen 177 und andererseits die anspruchsvolleren Konsolidierungskonzepte. Zu den
anspruchsvolleren Konsolidierungskonzepten gehört das von Geoffrey Pridham entworfene,
in dem er zwischen negativer und positiver Konsolidierung unterscheidet. 178 Er spricht von
negativer Konsolidierung, wenn kein relevanter politischer oder sozialer Akteur seine
Interessen mehr außerhalb der demokratischen Ordnung verfolgt, weil es zu diesem Zeitpunkt
keine Alternative zum bestehenden System gibt. 179 Positiv konsolidierte Demokratien werden
demgegenüber nicht nur von den Eliten des Systems als alternativlos und legitim betrachtet,
sondern auch von den Bürgern, die ihren Legitimitätsglauben gegenüber der Demokratie auch
in ihren Einstellungs-, Werte- und Verhaltensmustern zum Ausdruck bringen. 180
Angelehnt an Pridhams Konzept der positiven Konsolidierung und aufbauend auf die
Überlegungen von Linz/Stepan 181 entwirft Merkel ein Vier-Ebenen-Modell, auf dessen
einzelnen Stufen sich die Konsolidierungschancen der neu entstandenen demokratischen
Ordnung entscheiden. 182 Die Abfolge der Ebenen kann auch als zeitliche Abfolge des
Konsolidierungsprozesses gesehen werden, da „Ebene 1 in aller Regel am frühesten
konsolidiert ist, während die demokratische Konsolidierung der 4. Ebene am längsten
dauert.“ 183
175
Merkel, 1999: S. 143.
Vgl. Bos, 1996: S. 86.
177
Etwa Di Palma, Giuseppe: To Craft Democracies. An Essay on Democratic Transitions, Berkeley/ Los
Angeles/ Oxford 1990, S. 137ff.
178
Vgl. Merkel, 1999: S. 144.
179
Vgl. ebd.
180
Vgl. ebd.
181
Linz, Juan J./ Stepan, Alfred: Problems of Democratic Transition and Consolidation: Southern Europe, South
America and and Post-Communist Europe, Baltimore 1996.
182
Vgl. Merkel, 1999: S. 145ff.
183
Ebd. S. 145.
176
46
Abb. 3: Mehrebenenmodell der demokratischen Konsolidierung
Quelle: Merkel, 1999, S. 147.
1. Ebene: die konstitutionelle Konsolidierung (Makro-Ebene: Strukturen)
Die erste und grundlegende Ebene der Konsolidierung umfasst die Etablierung der zentralen
politischen Verfassungsinstitutionen wie Staatsoberhaupt, Regierung, Parlament, Judikative
und auch des Wahlsystems, wenn es auch nur selten Verfassungsrang besitzt. Diese Ebene ist
in der Regel die am frühsten konsolidierte und wirkt durch ihre normativen, strukturierenden
Vorgaben auf die folgenden drei Ebenen ein.
2. Ebene: die repräsentative Konsolidierung (Meso-Ebene: Akteure)
Diese Ebene umfasst die territoriale und funktionale Interessenrepräsentation. Sie betrifft
demnach vor allem Parteien (territoriale Repräsentation) und Interessenverbände (funktionale
47
Repräsentation), deren Konstellationen und Handlungen mit darüber entscheiden, wie sich die
Normen und Strukturen der ersten Ebene konsolidieren. Zudem beeinflusst die gemeinsame
Konfiguration der ersten beiden Ebenen das Verhalten der Akteure der dritten Ebene
hinsichtlich der demokratischen Konsolidierung entweder positiv oder negativ.
3. Ebene: Verhaltenskonsolidierung (Meso-Ebene: informelle politische Akteure)
Diese Ebene umfasst den Handlungsspielraum der informellen politischen Akteure wie
Militär,
Großgrundbesitzer,
Finanzkapital,
Unternehmer
sowie
radikale,
militante
Bewegungen und Gruppen. Hier wird deutlich, warum die ersten beiden Ebenen von so
großer Bedeutung für die dritte Ebene sind: Entscheidend ist, ob die informellen politischen
Akteure ihre Interessen innerhalb oder außerhalb, d.h. gegen das demokratische
Ordnungssystem aus Normen und Institutionen verfolgen. Bei ausreichender Festigung der
ersten und zweiten Ebene, stehen die Konsolidierungschancen der dritten Ebene erheblich
besser.
Sind diese ersten drei Ebenen konsolidiert, können sie einen starken positiven Einfluss auf die
am längsten währende Ebene der Konsolidierung ausüben: Die Herausbildung einer die
Demokratie stabilisierenden Bürgergesellschaft.
4. Ebene: Konsolidierung der Bürgergesellschaft (civic culture und civil society) (MikroEbene: Bürger)
Die vierte Ebene erfüllt in gewisser Weise eine Art „Versiegelungsfunktion“ für die drei
vorangegangenen Ebenen. Das Ziel auf dieser Ebene ist die „Herausbildung einer
Staatsbürgerkultur als soziokulturellem Unterbau der Demokratie“ 184 . Zwei miteinander
verflochtene Ebenen unterscheidet Merkel: Die civic culture, also die politische Kultur im
Sinne einer Staatsbürgerkultur einerseits und die civil society, die entwickelte, vitale
Zivilgesellschaft, die zur Stärkung der Demokratie beiträgt. 185 Eine unter diesen beiden
Aspekten gefestigte, demokratische Bürgergesellschaft hat weitgehende „immunisierende“
Einflüsse auf die ersten drei Ebenen, „wenn deren Stabilität (Ebenen 1 und 2) oder Integration
(Ebene 3) durch externe (wirtschaftliche, außenpolitische etc.) Krisen bedroht ist.“ 186 Sind
alle vier Ebenen konsolidiert, ist die Demokratie zwar nicht immun gegen „potentielle
184
Ebd. S. 146.
Vgl. ebd. S. 165ff.
186
Ebd. S. 146.
185
48
Dekonsolidierungstendenzen“, sie verfügt jedoch über „hohe Widerstandsreserven gegen
exogene Destabilisierungsschocks“ 187 .
Eine Demokratie ist, Merkels maximalistischem Konsolidierungsverständnis folgend, erst
dann als tatsächlich konsolidiert anzusehen, wenn alle vier Ebenen eine gefestigte
Ausformung erreicht haben: Auf der letzten Ebene kann sich dieser Prozess durchaus über
Jahrzehnte
hinziehen
und
erfordert
in
der
Konsequenz
mitunter
sogar
einen
Generationenwechsel.
4.2 Verlaufsformen von Systemwechseln
Ein starker Zusammenhang besteht erstens zwischen dem Ursachenkomplex, der zum
Zusammenbruch des autokratischen Systems führt 188 , und der Verlaufsform des
Systemwechsels und zweitens zwischen der Verlaufsform des Übergangs von autoritärem
zum demokratischen System und der Aussicht auf eine erfolgreiche Entwicklung. 189
Wolfgang Merkel erkennt in den drei Demokratisierungswellen des 18. und 19. Jahrhunderts
sechs verschiedene Wege, auf denen autokratische Systeme abgelöst wurden. 190
1. Langandauernde Evolution
Diese Form des Systemwechsels gab es laut Merkel ausschließlich in der Ersten Welle der
Demokratisierung: In „einer evolutionären, zeitlich lang gestreckten Phase und nicht infolge
einer dramatischen historischen Zäsur“ 191 setzte sich die Demokratie durch. Nach und nach
wurden exklusive politische Vorrechte der herrschenden Eliten abgeschafft und
demokratische Institutionen und Verfahrensweisen etabliert. 192
2. Von alten Regimeeliten gelenkter Systemwechsel
Systemwechsel dieser Art werden von den Eliten des alten autokratischen Regimes induziert
und auch weitgehend gesteuert. Sie haben somit auch erheblichen Einfluss darauf, auf welche
Weise der Systemwechsel erfolgt und wie die neuen demokratischen Strukturen aufgebaut
187
Ebd.
Vgl. Merkel, 1999: S. 129 und Punkt 4.1.1 S. 42ff.
189
Vgl. z.B. Schmidt, 2000: S. 471 und Przeworski, 1991: S. 51.
190
Vgl. Merkel, 1999: S. 129ff.
191
Ebd. S. 130.
192
Als Beispielländer dieses evolutionären Demokratisierungsweges nennt Merkel: Neuseeland, Australien,
Finnland, Norwegen. Mit erst spät eingeführtem Frauenwahlrecht zählen für ihn auch folgende Länder dazu:
USA (1920), England (1928) und die Schweiz (1971). (Vgl. ebd.).
188
49
sind. Darum ist es oft möglich, dass sie für kurze Zeiträume „ihre politische Macht teilweise
von dem alten autokratischen in das neue demokratische System ‚mitnehmen’“ 193 , gesetzt den
Fall, die Eliten sind nicht durch die autokratische Herrschaft diskreditiert, haben nicht zu
große politische Machtressourcen und die Regimeopposition ist vergleichsweise machtlos.194
3. Von unten erzwungener Systemwechsel
In der Regel erfolgt ein von unten erzwungener Systemwechsel schnell und umfassend, wenn
er nicht in Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition mündet: Eine mobilisierte
Öffentlichkeit demonstriert ihren Protest so stark, dass es für die autokratischen Machthaber
wenig Erfolg versprechend ist, das Aufbegehren mittels repressiver Gewalt zu unterdrücken.
Für die alten Herrschaftsträger bedeutet dies in aller Regel die völlige Entmachtung und
rasche Ablösung. 195
4. Ausgehandelter Systemwechsel
Zu einem ausgehandelten bzw. paktierten Systemwechsel kann es kommen, wenn sich
zwischen alten Regimeeliten und Regimeopposition eine Pattsituation entwickelt hat, sodass
keine Seite genug Macht besitzt, „einseitig die Modalitäten der zukünftigen politischen
Herrschaft zu definieren.“ 196 Agieren die beiden Seiten rational, kommt es in der Folge zu
Verhandlungen über die zukünftige politische Herrschaftsform, bei denen „in einer Serie von
ausgehandelten
Kompromissen
und
Pakten
[…]
dann
der
Herrschaftszugang,
Herrschaftsanspruch und Herrschaftsweise neu definiert“ 197 werden.
Bei Systemwechseln, mit Ausnahme des folgenden fünften Typus, dem Regime-Kollaps,
insbesondere aber beim ausgehandelten Systemwechsel, droht die Gefahr, dass sich die
reformfeindlichen Kräfte der Regimeeliten, die hardliner, gegen die reformwilligen Kräfte
der herrschenden Seite, die softliner, durchsetzen, und mittels Repression den Prozess der
Systemöffnung und Demokratisierung stoppen. Die Gefahr ist bei dieser Form des
Systemwechsels besonders groß, weil die alten autokratischen Herrschaftseliten in dieser
Konstellation immer noch ein bedeutendes Maß an politischen Machtressourcen haben.
193
Ebd.
Beispiele aus der Dritten Demokratisierungswelle sind Merkel zufolge: Brasilien, Paraguay, Taiwan,
Thailand, Bulgarien und Rumänien. (Vgl. ebd.).
195
Der Militärputsch 1974 in Portugal ist für Merkel ein Beispiel für diese Verlaufsform des Systemwechsels.
(Vgl. ebd. S. 131).
196
Ebd.
197
Ebd.
194
50
Diesem Systemwechseltypus wohnt auf Grund der Beteiligung von alten Regimeeliten ohne
Legitimation
und
der
noch
nicht
legitimierten
Regimeopposition
ein
„demokratietheoretische[s] Paradoxon“ inne, dass Merkel folgendermaßen formuliert: „Die
für die Demokratie hilfreichen Elitenkompromisse kommen mit – an den Normen der
Demokratie gemessenen – fragwürdigen Verfahren zustande.“ 198
5. Regime-Kollaps
Dieser Typus des Systemwechsels wird auch als „Zusammenbruch“, „replacement“ oder
„ruptura“ bezeichnet 199 : Das autokratische Regime erfährt einen abrupten Zusammenbruch,
meist infolge äußerer Faktoren, wie z.B. verlorene Kriege, die zu völligem Legitimitäts- und
Machtverlust der herrschenden Elite führen. 200 In den meisten Fällen sind es also nicht
systeminterne Akteure, die den Zusammenbruch herbeiführen. Der Zusammenbruch kann
jedoch auch ohne Einwirkung von außen erfolgen, wenn latente innere Krisen „durch
Veränderungen außenpolitischer Konstellationen manifest werden.“ 201 Wenn das Regime nun
das Herausbilden von Reformeliten und handlungsfähigen oppositionellen Akteuren
unterbindet, ist der Systemkollaps immanent. 202
6. Zerfall und Neugründung von Staaten
Zerfällt ein autoritäres oder totalitäres Imperium, entstehen neue Staaten, denen sich mit der
Neugründung auch die Möglichkeit eines demokratischen Neuanfangs eröffnet. Diese
Entwicklungen waren vor allem in der Ersten und Dritten Demokratisierungswelle zu
beobachten: So entstanden nach dem Zerfall des Habsburgerreiches 1918 die beiden Staaten
Österreich und Tschechoslowakei, wenn auch ihre Staatsouveränität durch die spätere
Annexion beider Staaten durch das Deutsche Reich nicht von allzu langer Dauer war. Auf
dem Höhepunkt der Dritten Welle der Demokratisierung zerfielen die UdSSR und
198
Ebd. Die Systemwechsel in Spanien 1975, Uruguay 1985, Chile 1990, Südkorea 1986, Polen 1988 und
Ungarn 1989 nennt Merkel als Beispiele für ausgehandelte Systemwechsel der Dritten Demokratisierungswelle.
(Vgl. ebd.).
199
Vgl. Schmidt, 2000: S. 470.
200
Beispiele für derartige Systemwechsel der Zweiten Demokratisierungswelle sind für Merkel u.a.: Italien
(1943/45), Deutschland (1945), Japan (1945); der Dritten Demokratisierungswelle: Griechenland (1974) und
Argentinien (1983). (Vgl. Merkel, 1999: S. 133).
201
Ebd.
202
Beispielhaft für derartige Entwicklungen sind aus Merkels Sicht der Systemwechsel in der Tschechoslowakei
und der DDR 1989. (Vgl. ebd.).
51
Jugoslawien und gaben eine Vielzahl von Staaten frei, von denen jedoch nur wenige als
demokratisch regiert angesehen werden können. 203
Merkel weist darauf hin, dass diese Typologisierung lediglich Idealformen darstellt, die sich
in der Realität häufig mischen, wie z.B. in den Fällen der DDR und der Tschechoslowakei,
bei denen es sich um Mischformen aus Systemkollaps und von unten erzwungenem
Systemwechsel handelte. Der Zusammenbruch des Ostblocks insgesamt ist auf eine Mischung
von äußeren und inneren Faktoren zurückzuführen, die zur Implosion der osteuropäischen
kommunistischen Regime führten. 204
4.3 Die Debatte um das Transitionsparadigma
Vor allem die Demokratisierungsprozesse in Afrika brachten ein breites Spektrum von
Regimen hervor, unter ihnen auch Systeme, die hinter einem formaldemokratischen Charakter
autokratische Herrschaftsformen verbergen. 205 Dies führte zur bereits angesprochenen
Verlagerung des Interesses auf die Unvollkommenheiten der neuen afrikanischen
Demokratien und in der Folge zur Debatte über das „Transitionsparadigma“.
Peter Meyns sieht im Anfang 2002 veröffentlichten Aufsatz „The End of the Transition
Paradigm“ 206 von Thomas Carothers eine Zuspitzung der Diskussion über Perspektiven der
demokratischen Transition, in welchem der Autor für das Ablegen des Transitionsmodells
plädiert. 207 Er führt in jener Publikation fünf Kernannahmen an, von denen das
Transitionsparadigma ihm zufolge ausgeht 208 :
1. Jedes Land, das sich von einer diktatorischen/autokratischen Herrschaft entfernt, ist
als Land anzusehen, dass sich in einem Transitionsprozess in Richtung eines
demokratischen Systems befindet.
2. Transitionsprozesse vollziehen sich in Phasen: Zuerst erfolgt die Öffnung des
politischen Systems, die Liberalisierung setzt ein und es kommt zu Brüchen auf Seiten
der Herrschenden, zwischen Hard- und Softlinern. Dann folgt der breakthrough, d.h.
203
Ohne Einschränkungen gilt dies Merkel zufolge nur für Slowenien und Estland, für die restlichen Staaten
(Russland, Lettland, Litauen, Kroatien, Mazedonien) nur mit teilweise erheblichen Einschränkungen. (Vgl. ebd.).
Für die Ukraine ist vor allem vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse noch kein abschließendes Urteil
bezüglich des Demokratisierungsprozesses möglich.
204
Vgl. ebd. S. 134.
205
Vgl. z.B. van de Walle, Nicolas: Africa’s Range of Regimes, in: Journal of Democracy, Vol. 13., (April 2002)
2, S. 66-80.
206
Carothers, Thomas: The End of the Transition Paradigm, in: Journal of Democracy, Vol. 13, (January 2002)
1, S. 5-21.
207
Vgl. Meyns, 2006: S. 3.
208
Vgl. Carothers, 2002: S. 6ff.
52
der Zusammenbruch des ancien régime und der Aufstieg eines neuen, demokratischen
Systems mit (neuer) Verfassung, demokratischen Institutionen und einer neuen, durch
nationale Wahlen ermittelten Regierung. An den Transitionsprozess schließt sich die
Phase der Konsolidierung an, in dem die Verfestigung der demokratischen Ordnung
von „democratic forms“ zu „democratic substance“ erfolgt.
3. Das Transitionsparadigma sieht in Wahlen eine immanente Quelle der Legitimität für
die neue Regierung und eine Versicherung breiter politischer Partizipation, wenn das
Durchführen von Wahlen auch nicht gänzlich mit dem Vorhandensein einer
demokratischen Ordnung gleichgesetzt wird.
4. Es gibt keine zwingend nötigen Vorbedingungen für das Einsetzen und die Ergebnisse
von
Transitionsprozessen,
wie
z.B.
bestimmte
sozioökonomische
Entwicklungsmerkmale. Die Entwicklung eines Landes in eine Transition ist in
entscheidendem Maße von den beteiligten Akteuren abhängig: „Anyone can do it.“ 209
5. Das Transitionsparadigma geht davon aus, dass sich die demokratischen Transitionen
der Dritten Welle der Demokratisierung in einheitlichen, funktionierenden Staaten
abspielen.
Carothers sieht in diesen fünf Kernannahmen keine realistische Darstellung der Prozesse in
den Transitionsländern: Auf viele Länder, deren politische Gestalter und Unterstützer des
Prozesses behaupten, das Land befände sich in einer Transition zur Demokratie, träfe dies
nicht zu, und viele Länder, die sich tatsächlich in einer demokratischen Transition befinden,
folgten bei diesem Prozess nicht dem Transitionsmodell. 210
Carothers unterlegte seine Aussagen mit empirischen Befunden zu den politischen
Gegebenheiten, die sich im Zuge der Dritten Welle der Demokratisierung entwickelten: Die
große Mehrzahl dieser Länder habe keine funktionierenden Demokratien hervorgebracht,
sondern befände sich in einer Grauzone zwischen den Regimeformen. 211 Für diese
Erkenntnisse erntete Carothers weitgehende Zustimmung, nicht jedoch für seine Rückschlüsse
das Transitionsmodell betreffend: O’Donnell, der Co-Autor des grundlegenden Werkes zur
Transitionsforschung 212 ,
reagierte
mit
einer
„teilweisen
Verteidigung“
des
Transitionsmodells. 213
209
Ebd. S. 8.
Vgl. ebd. S. 8.
211
Vgl. ebd. S. 9.
212
O’Donnell/ Schmitter, 1986.
213
O’Donnell, Guillermo: In Partial Defense of an Evanescent “Paradigm”, in: Journal of Democracy, Vol. 13,
(July 2002) 3, S. 6-12.
210
53
Es herrscht in der Debatte größtenteils Einigkeit darüber, dass das Transitionsmodell in der
Form, in der Carothers es dargestellt hat, keine Anwendungsberechtigung zur Analyse von
Systemwechseln besitzt. Die Angriffe von Carothers zielten zudem weniger auf die Schriften
O’Donnells und Schmitters ab. 214 Die Ergebnisoffenheit von Transitionen, auf die O’Donnells
und Schmitters Werk bereits verwies, lässt, wie oben geschildert, auch zu, dass am Ende des
Prozesses keine funktionierende Demokratie steht, sondern ein Rückfall zu einem
autokratischen Regime oder verschiedenen Hybridformen möglich ist.215
Es ist an dieser Stelle nicht notwendig, auf alle Einzelheiten dieser Diskussion einzugehen,
denn wie Meyns feststellt, lagen die Standpunkte in dieser Debatte nicht allzu weit
voneinander entfernt: Die Bedeutung dieses Diskurses lag vielmehr darin, dass er „deutlich
machte, dass der politische Wandel, der in Afrika vehement mit dem Ende des Ost-WestKonflikts einsetzte und in anderen Teilen der Welt schon früher begonnen hatte, sehr
kontextabhängig war und dementsprechend zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen
konnte.“ 216 An kaum einem afrikanischen Beispiel wird diese Ergebnisoffenheit so deutlich
wie an den ambivalenten Entwicklungen im Kongo seit der Unabhängigkeit von Belgien
1960. Insgesamt dreimal wurde dem Land seither die Chance auf eine demokratische
Neuordnung entzogen: Einmal unmittelbar nach der Unabhängigkeit in den 60er Jahren durch
den Putsch Mobutus, Anfang der 90er durch die Blockade und Sabotage der begonnenen
Demokratisierung durch Mobutu und abermals nach der Machtübernahme L.-D. Kabilas, der
anstelle der versprochenen Demokratisierung alle Macht in seiner Hand konzentrierte.
214
Carothers, Thomas: A Reply to my Critics, in: Journal of Democracy, Vol. 13, (July 2002) 3, S. 33-38.
Vgl. Punkt 2.1, S. 14.
216
Meyns, 2006: S. 4.
215
54
5. Resümee
Wolfgang Merkel hat ohne Frage Recht, wenn er konstatiert, eine sinnvolle, umfassende und
möglichst zufrieden stellende Analyse von Transitionsprozessen erfordert die Analyse des
Prozesses und all seiner Aspekte mittels verschiedener theoretischer Ansätze, die für den
jeweiligen Teilaspekt sinnvoll erscheinen. 217
Hierzu zählt zunächst natürlich die
Systemtheorie, die in der Lage ist, systemische Zusammenhänge vor allem auf struktur- und
ordnungstheoretischer Ebene zu erklären. Weiter analysieren strukturalistische Ansätze,
welche Restriktionen und Chancen den beteiligten Akteuren durch bestimmte Sozial- und
Staatsstrukturen vorgegeben werden und zeigen so Handlungskorridore auf, in denen sich die
Akteure entsprechend ihrer strategischen Interaktion mit konkurrierenden Akteuren für eine
Strategie entscheiden: Strukturelle constraints, innerhalb derer die Akteure agieren, bilden so
das Bindeglied zwischen Systemtheorie und akteurstheoretischem Ansatz. 218
Der dritte Aspekt, der Merkel zufolge bei einer umfassenden Untersuchung berücksichtigt
werden muss, ist der internationale Kontext: Externe Umweltbedingungen wirken je nach
Charakter und Kombination optionssteigernd oder restriktiv auf die Akteure. Schmitter hat
diese äußeren Faktoren in vier Gruppen eingeteilt: timing, events, trends und cycles 219 :
-
Unter timing subsumiert Schmitter in erster Linie aktuell geltende, dominante
internationale Normen, außenpolitische Bündnisfaktoren und regionale Konstellationen,
die autoritären bzw. demokratischen Systemen oder Akteuren Unterstützung zukommen
lassen können.
-
Zu events sind in erster Linie Kriege, militärische Interventionen aber auch massive
Kapitalflucht zu zählen.
-
Die trends bezeichnen vor allem die Art und Weise der Integration in den Weltmarkt.
-
Unter cycles versteht Schmitter die internationale Lage der Wirtschaftskonjunktur und
Auslandsverschuldung, die als Einflussfaktoren konsolidierende oder destabilisierende
Wirkung auf politische Regime haben.
Die vierte und letzte Ebene, die Merkel in Betracht gezogen wissen möchte, ist die Ebene der
Akteure: Nur das Erfassen der Bedeutung von handelnden Akteuren, ihrer Ziele,
Wahrnehmungen, Strategien und Koalitionsbildungen vor dem Hintergrund ihrer stark
217
Vgl. Merkel, 1996: S. 321.
Vgl. ebd. S. 323f.
219
Vgl. ebd. S. 324. Bedauerlicherweise ist die Arbeit Schmitters, aus der Merkel diese Kategorisierung
entnommen hat, unveröffentlicht und somit nicht zugänglich. Merkel zitiert sie folgendermaßen: Schmitter,
Philippe C.: The Consolidation of Political Democracy in Southern Europe (and Latin America), Florenz 1985
(unveröffentl. Ms.).
218
55
erweiterten Handlungsmöglichkeiten durch die temporäre Verflüssigung von Institutionen
und Normen kann die Lücke zwischen den funktionalen, strukturellen und internationalen
constraints und dem tatsächlichen Ergebnis des Transitionsprozesses füllen.
Es ist einleuchtend, dass eine derart erschöpfende Analyse des Systemwechselprozesses einen
Umfang erreichen würde, der weit über den Rahmen der vorliegenden Arbeit hinausginge und
somit hier nicht erfolgen kann. Deshalb soll der Anspruch in erster Linie der sein, den
Demokratisierungsprozess
im
Rahmen
einer
aus
analytischer
Sicht
sinnvollen
Phaseneinteilung darzustellen und die theoretische Reflexion des Systemwechselprozesses
weitgehend auf die systemtheoretisch zu erklärenden Momente zu beschränken. Naturgemäß
werden bei der Verwendung eines derart abstrahierenden Untersuchungsinstrumentes, wie
schon erwähnt wurde, Unschärfen auftreten, denen in dieser Arbeit jedoch nicht auf den
Grund gegangen werden kann. Sie sollen in ihrer Bedeutung keineswegs geschmälert werden:
Vielmehr wird auf die von der Systemtheorie vernachlässigten Aspekte verwiesen, die eine
tiefer greifende Untersuchung des Systemwechselprozesses berücksichtigen und einbeziehen
muss.
Den strukturellen Rahmen der Untersuchung des Demokratisierungsprozesses der DR Kongo
bildet, wie bereits erwähnt, das dreistufige Verlaufsmodell der Demokratisierung von Merkel,
welches unter Punkt 4.1 umrissen wurde. 220 Der Demokratisierungsprozess beginnt mit dem
systemimmanenten Niedergang des Mobutu-Regimes und der von ihm eingeleiteten
Liberalisierung 1990. Konsequenterweise beginnt demzufolge auch die Untersuchung mit der
Systemkrise des mobutistischen Zaire und einer systemtheoretischen Darstellung der Gründe,
die Mobutu 1990 zur Systemöffnung zwangen: Dies bildet die erste Phase des
Systemwechsels, das Ende des autokratischen Systems. Die folgenden Jahre der partiellen
Restauration des Machtapparates Mobutus, sowie die Jahre der autoritären Herrschaft seines
Nachfolgers L.-D. Kabila brechen aus dem allgemeinen Modell Merkels aus und werden als
gesonderte Retardationsphasen in die erste Phase des Systemwechselmodells integriert.
Sofern möglich wird die theoretische Reflexion, wie einleitend angekündigt, bis zur
Amtsübernahme durch Joseph Kabila im Januar 2001 mehr oder weniger im Zuge der
Darstellung erfolgen.
Der
anschließende
Verlauf
der
zweiten
Phase
des
Systemwechsels,
d.h.
der
Institutionalisierung der demokratischen Strukturen sowie der einsetzenden dritten, der
Konsolidierungsphase, wird zunächst in Form einer reinen Schilderung dargestellt. Die
systemtheoretische Einordnung wird wie erwähnt im Anschluss gesondert unter Punkt 7.5
220
Siehe Abb. 2: Systemwechsel – Vom autokratischen System zur Demokratie, S. 41.
56
vorgenommen. Die zweite Phase umfasst den Zeitraum der Amtsübernahme der
Übergangsregierung 2003 und des Inkrafttretens der neuen demokratischen Verfassung der
DR Kongo im Februar 2006, mit der dem zugrunde liegenden Systemwechselmodell zufolge
die Konsolidierungsphase einsetzt.
Zuvor
wird
nun
unter
Nationalstaatsbildung
der
Punkt
DR
sechs
Kongo
einleitend
unter
auf
bedeutende
Berücksichtigung
des
Aspekte
der
nachkolonialen
afrikanischen Kontextes von Nation und Staat eingegangen und anschließend ein Überblick
über die politische Entwicklung Kongo/Zaires seit der Unabhängigkeit von Belgien 1960
gegeben.
Unter
Punkt
sieben
erfolgt
im
Anschluss
die
Untersuchung
des
Demokratisierungsprozesses.
57
6. Nationalstaatsbildung
und
politische
Entwicklung
Kongo/Zaires
seit
der
Unabhängigkeit
6.1 Nationalstaatsbildung
Ein territorial souveräner Nationalstaat und ein in nationaler Identität geeintes Volk sind
Grundvoraussetzungen für das Entstehen und den Erhalt eines stabilen demokratischen
Systems. Bezüglich Nationalismus und Staatlichkeit wird der afrikanische Kontinent jedoch
von vielen Seiten als Sonderfall gesehen: Afrikanische Staaten gelten als künstlich
erschaffene Gebilde, worüber ihre teilweise Tendenz zur Labilität und mangelnder nationaler
Identität erklärt wird.
6.1.1
Nation und Staat im postkolonialen Afrika
Noch im 18. und 19. Jahrhundert stand in der Nationalismusforschung die Entwicklungsreihe
Nation – Nationalismus – Nationalstaat als historischer Normalfall fest. 221 In der neueren
Forschung wird hingegen von der Entwicklungsreihe Nationalismus – Nationalstaat – Nation
ausgegangen. Wird diese zunächst auf Europa zugeschnittene Überlegung auf die afrikanische
Staatenwelt angewendet, entfällt der Sonderstatus Afrikas: „Nationen sind in einem gewissen
Sinne immer ’Willensnationen’.“ 222 Sie entstehen auf Grund strategischer Handlungen
politischer und intellektueller Eliten, die zu ihrer Entwicklung auf eine funktionierende
Staatlichkeit inklusive der entsprechenden Institutionen und Bestandteile angewiesen sind. Ist
die Staatsgewalt im Zerfall begriffen bzw. nicht existent, kann demnach auch keine Nation
entstehen. Bierschenk hält aus dieser konstruktivistischen, staats- und elitenzentrierten
Perspektive die Interpretation „schwaches Nationalgefühl führt zu schwachem Staat“ für nicht
richtig. Die Verursachungsverhältnisse müssten seiner Hypothese zufolge umgedreht werden:
„Da viele afrikanische Staaten nur schwache Steuerungs- und Regelungskapazitäten und
damit nur eine relativ schwache Legitimationsbasis haben, bieten sie auch nur einen
suboptimalen Rahmen für das Entstehen starker nationaler Identifizierungen.“ 223 Die
Einordnung Afrikas als Sonderfall kann vor diesem Hintergrund als zumindest fragwürdig
angesehen werden.
221
Vgl. Bierschenk, Thomas: Staat und Nation im postkolonialen Afrika: Ein Forschungsprogramm,
Arbeitspapier Nr. 26, 2003, Institut für Ethnologie und Afrikastudien, Universität Mainz, unter:
http://ubm.opus.hbz-nrw.de/volltexte/2006/1065/pdf/diss.pdf (12.10.2006), S. 1.
222
Ebd. S. 2.
223
Ebd. S. 3.
58
In ihrer zumeist sehr großen Vielfalt stellen jedoch die ethnischen Zusammensetzungen
afrikanischer Gesellschaften Besonderheiten dar. Matthiesen weist darauf hin, dass
„Staatsbürgerschaft und Ethnizität zwei widersprüchliche Prinzipien“ 224
politischer
Legitimation darstellen: Dort wo der klassische Nationalstaat an Macht und Einfluss verliert
oder im Zuge des Zerfalls eines Staates sogar ganz verschwindet, wächst die Gefahr, dass
politisierte Ethnizität die nicht mehr erfüllte staatliche Ordnungsfunktion teilweise
übernimmt. 225 Neben dem vorsätzlichen Schüren ethnischer Gegensätze als politischem
Instrument durch Mobutu waren derartige Entwicklungen im Zuge des Staatszerfalls im
Kongo zu beobachten: Das Wegfallen „effektiver Staatsgewalt in der DR Kongo hatte
negative Auswirkungen auf das Zusammenleben der zahlreichen Ethnien, indem die
Schwächung des Nationalstaates, ja sein teilweises ‚Nichtexistieren’ für die Bevölkerung zur
Politisierung der Ethnizität führte.“ 226
6.1.2
Ethnien in der Demokratischen Republik Kongo
Der Kongo ist von einer ausgesprochen großen ethnischen Vielfalt geprägt. Ethnologen gehen
von etwa 250 verschiedenen ethnischen Gruppen und über 400 Sprachen und Dialekten aus,
die allerdings durch ihre überwiegende Zugehörigkeit zur Gruppe der Bantu „bemerkenswerte
kulturelle Gemeinsamkeiten“ 227 aufweisen. 228 Neben dem Französischen sind die vier
Landessprachen von überregionaler Bedeutung: Lingala im Nord- und Westkongo, Koongo
im äußersten Westen, Luba-Kasai (auch Tshiluba) in den beiden Kasai-Provinzen und die
kongolesische Form des Swahili in Katanga und im Osten.229
Die mannigfaltigen „ethnischen Loyalitäten“ sind jedoch keineswegs bloße Überbleibsel
überholter Traditionen und Bräuche: Vielmehr sind sie auch als Reaktion, als „Antwort auf
die vielfältigen Probleme der modernen Welt“ 230 zu sehen. Konflikte und kriegerische
Auseinandersetzungen
zwischen
Ethnien
stellen
sehr
große
und
komplizierte
Herausforderungen mit extremer Sprengkraft für die Staaten Afrikas dar. Die ethnische
Vielfalt und Heterogenität an sich ist jedoch nicht als Ursache oder Grund für die Konflikte
224
Matthiesen, 2005: S. 55.
Zu politisierter Ethnizität in Afrika z.B. Tetzlaff, Rainer: Politisierte Ethnizität – eine unterschätzte Realität
im nachkolonialen Afrika, in: Afrika Spectrum, Jg. 26, (1991) 1, S. 5-28 und ders.: Politisierte Ethnizität als
Kehrseite politischer Partizipation in unsicheren Zeiten. Erfahrungen aus Afrika, in: Welttrends. Zeitschrift für
internationale Politik und vergleichende Studien, Nr. 38 (Frühjahr 2003), S. 11-30.
226
Matthiesen, 2005: S. 55.
227
Muller, Eric: „Stammesstrukturen“? Die Frage der ethnischen Zuordnung, in: Militärgeschichtliches
Forschungsamt (MGFA) (Hrsg.): Die Demokratische Republik Kongo, Paderborn 2006, S. 127-133, S. 128.
228
Vgl. ebd. S. 127 und Matthiesen, 2005: S. 50.
229
Vgl. Muller, 2006: S. 127.
230
Ebd. S. 127.
225
59
und den Staatszerfall des Kongo anzusehen, „sondern deren Manipulation.“ 231 Die
Instrumentalisierung als politische Ressource, das Ausnutzen und Schüren ethnischer
Konflikte waren im Kongo bereits unter Mobutu gängige Praxis. Sie werden auch heute noch
„ganz bewusst und gezielt als Mittel der Mobilisierung in Macht- und Verteilungskämpfen
genutzt.“ 232
6.1.3
Das kongolesische Volk: „Unis par le sort…“
Trotz der beschriebenen großen ethnischen und regionalen Heterogenität und der nicht
existenten geographischen, ökonomischen und infrastrukturellen Einheit „haben sich die
Kongolesen immer als Angehörige einer einzigen Nation verstanden.“ 233 Dieses Verständnis
entstand aus der gemeinschaftsstiftenden kollektiven Erfahrung von Leid und Unterdrückung,
sowohl während der Kolonialzeit, als auch während des postkolonialen Niedergangs unter
und nach dem Regime Mobutus. 234 In der ersten Zeile der kongolesischen Nationalhymne
kommt dieses Verständnis am prägnantesten zum Ausdruck: „Debout Congolais, unis par le
sort…“ („Steht auf, Kongolesen, vom Schicksal vereint…“). Die auf diese Weise gewachsene
nationale Identität der Kongolesen bewahrte das Land in den vergangenen zehn Jahren des
Krieges und des Staatszerfalls davor, endgültig auseinanderzubrechen.
Ein schwieriges Problem ist nach wie vor die Frage der Staatsangehörigkeit in den Nord- und
Süd-Kivu-Provinzen. Hier kam es seit jeher immer wieder zu massiven Gewalteskalationen.
Einerseits werden die ansässigen Tutsi-Kongolesen von der restlichen Bevölkerung der
Regionen nicht als Kongolesen akzeptiert, andererseits führten die Folgen des Völkermordes
in Rwanda 1994 zu einer drastischen Verschärfung der Situation: Etwa eine Million HutuFlüchtlinge, viele von ihnen organisiert in Milizen, floh in den Osten des Kongo. In den
Folgejahren kam es immer wieder zu systematischen Vertreibungen von kongolesischen
Tutsi.
Am 25. September 2004 nahm die Nationalversammlung das neue Staatsangehörigkeitsgesetz
an, welches die kongolesische Staatsangehörigkeit durch Abstammung und auch kraft
231
Matthiesen, 2005: S. 55.
Ebd. und vgl. Muller, 2006: S. 133.
233
Johnson, Dominic: Vom Schicksal geeint? Nationale Identität und regionale Vielfalt, in:
Militärgeschichtliches Forschungsamt (MGFA) (Hrsg.): Die Demokratische Republik Kongo, Paderborn 2006a,
S. 135-139, S. 137.
234
Vgl. ebd.
232
60
Erwerbs ermöglicht. 235 Natürlich war das Gesetz für die Wählerregistrierung und somit für
die Durchführung der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen von großer Bedeutung. Ein
Ende der Spannungen führte es erwartungsgemäß jedoch nicht herbei. Ein deutliches Zeichen
dafür setzte das aus Protest erfolgte Verlassen des Plenums aller Abgeordneten der MayiMayi-Rebellen nach der Verabschiedung des Gesetzes im Übergangsparlament. 236
Nach wie vor hat sich im Kongo auf der Ebene der politischen Akteure kein Mittelweg
zwischen dem Besinnen auf die Herkunftsregion, d.h. dem Erhalt gesellschaftlichen Rückhalts
einerseits und dem Denken und Handeln des einzelnen Politikers im nationalen Interesse
andererseits, gefunden. Die Regionen entfernen sich so immer weiter voneinander, wodurch
sich Regionalismus und Tribalismus auf dem Vormarsch befinden. 237 Die neue Regierung in
Kinshasa ist mit ihren noch schwach entwickelten Institutionen bislang nur schwerlich in der
Lage, zur Stärkung der nationalen Identität und Einheit im Kongo beizutragen und die Kräfte
zu kontrollieren, die den Staat weiterhin in Frage stellen und in seiner Existenz bedrohen.
6.1.4
Der Nationalstaat „Demokratische Republik Kongo“
Wie ihre Vorgänger-Republiken bildet auch die DR Kongo weder eine geographische,
ökonomische noch infrastrukturelle Einheit 238 : Um das kaum besiedelte Kongobecken
sammeln sich die meisten Bewohner des Kongo an den Rändern des Landes, „während in der
Mitte ein undurchdringliches ’grünes Loch’ aus Regenwald und Sumpf die verschiedenen
Siedlungszonen trennt.“ 239 Die einzelnen, stärker besiedelten Regionen haben alle eine sehr
starke eigene Identität und „streben eher auseinander als zusammen“ 240 : Die Hauptstadt
Kinshasa sieht sich als Teil des frankophonen Westafrika, der Süden Katangas blickt eher
nach Südafrika als nach Kinshasa und auch Kasai, die an Diamanten reiche Region, wähnt
sich als eigenständig. Aus dieser Provinz stammt die UDPS (Union pour la Démocratie et le
Progrès Social), die größte Oppositionspartei des Kongo.
Im Osten des Landes befindet sich, wie bereits angedeutet, der bedeutendste Unruheherd: Die
beiden Kivu-Regionen sind eher als Teile des ostafrikanischen Gesellschaftsraums zu sehen,
zudem wirtschaftlich vom übrigen Kongo komplett abgewandt und haben den größten
235
Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.):
Monatsbericht
September
2004
–
Demokratische
Republik
Kongo,
S.
2;
unter:
<http://www.hss.de/downloads/Dem.Rep.KongoSeptember2004.pdf> (05.07.2005).
236
Vgl. ebd.
237
Vgl. Johnson, 2006a: S. 139.
238
Vgl. ebd. S. 135.
239
Ebd. S. 136.
240
Ebd. S. 137.
61
Selbstbestimmungsdrang. 241 Alle bisherigen Kriege, die den Kongo in der jüngeren Zeit
heimsuchten, hatten hier im Osten ihren Ursprung. Vor allem die Präsenz der starken
rwandischsprachigen Minderheit (Tutsi-Kongolesen, Banyarwanda bzw. Banyamulenge), die
teilweise durch koloniale Grenzziehung dem Kongo zugeschlagen wurde und teilweise in der
Kolonialzeit eingewandert ist, war der Auslöser regelmäßiger, massiver Konflikte. 242 Ohne
die bis heute nicht gefundene Lösung der schwierigen Gemengelage im Osten gilt auch die
landesweite Befriedung und Stabilisierung des Kongo als unerreichbar.
Abgesehen von den regionalen Differenzen besteht für den Nationalstaat DR Kongo ein
anderes grundlegendes Problem in der seit dem Ende der Mobutu-Diktatur bedrohten
territorialen Souveränität des Staatsgebietes. Diese Bedrohung erfolgte (in abgeschwächter
Form geschieht dies bis heute) einerseits von innen durch das Aufteilen des Staatsgebiets
unter sich bekämpfenden Interessengruppen, wie es zwischen 1996 und dem Abkommen von
Sun City 2002/2003 stattfand. Während dieser Zeit war das kongolesische Territorium
faktisch in vier Mikrostaaten gespalten: Die mit Angola, Zimbabwe und Namibia allierte
Zentralregierung Kabilas kontrollierte nur ein Drittel des Landes, Jean-Pierre Bemba und
seine Rebellenbewegung MLC (Mouvement pour la Libération du Congo) beherrschten die
Provinz Equateur, das Gebiet um Goma stand unter der Kontrolle Rwandas und der von ihr
gestützten Rebellenbewegung RCD (Rassemblement Congolais pour la Démocratie) und ein
kleiner Teil dieses Goma-Gebietes war in der Hand der ugandisch unterstützten Abspaltung
der RCD, Ernest Wamba-dia-Wambas RCD-ML (Rassemblement Congolais pour la
Démocratie – Mouvement de Libération). 243
Andererseits bedrohten exogene Faktoren die territoriale Souveränität des Kongo: Einmärsche
und die Besetzung von Teilen des Ostkongo durch Truppen der Nachbarländer Rwanda,
Uganda und Burundi, gegen die die Regierung des Kongo seit Mitte 1999 vor dem IGH
(Internationaler Gerichtshof) auch juristisch vorzugehen versuchte. 244 Offiziell begründeten
die Nachbarstaaten ihre Einmärsche bis zuletzt mit der Abwehr feindlicher Milizen, die von
kongolesischem Gebiet aus agieren. Bekannt ist jedoch auch, dass Rwanda und Uganda von
der Kombination aus unsicheren Zuständen und dem Zugang zu den reichen
Rohstoffvorkommen im Osten des Kongo wirtschaftlich zu profitieren wissen. Mittlerweile
241
Vgl. ebd. S. 136.
Vgl. ebd. S. 138.
243
Vgl. Matthiesen, 2005: S. 54.
244
Vgl. ebd. S. 49.
242
62
sind die meisten ausländischen Truppen abgezogen worden. Da die Lage im Osten des Landes
jedoch alles andere als befriedet ist, bleibt ungewiss, ob es in der Zukunft nicht wieder zu
Interventionen ausländischer Streitkräfte kommt.
6.2 Die politische Entwicklung des Kongo seit der Unabhängigkeit – Über drei Jahrzehnte
autoritäre Herrschaft und 16 Jahre stockende Transition
6.2.1
Die Erste Republik und die Ermordung Patrice Lumumbas’
Die Geschichte der Ersten Republik „Demokratische Republik Kongo“ ist eine kurze und
wenig heilvolle: Nach der überstürzten und von der ehemaligen Kolonialmacht Belgien
schlecht vorbereiteten Unabhängigkeitserklärung des Kongo vom 30. Juni 1960 hofften die
Kongolesen
vergebens
auf
demokratische
Freiheit
und
eine
Verbesserung
ihrer
Lebensumstände. Bereits wenige Tage nach ihrer Wahl stürzte die erste demokratisch
legitimierte Regierung des Kongo unter Joseph Kasavubu als Präsidenten und Patrice Émery
Lumumba als Premierminister in eine tiefe, von der meuternden kongolesischen Armee
ausgehende Krise. 245 Nach den Sezessionen der Regionen Katanga und Süd-Kasai sahen
Belgien und die USA die Gelegenheit, die ihnen unbequeme, da nicht pro-westliche
Regierung Lumumba, durch eine ihnen gefälligere zu ersetzen. 246 Der erste demokratisch
gewählte Premierminister der DR Kongo wurde am 17. Januar 1961 ermordet.247 Die
geschwächte Regierung brach zusammen und 1961 übernahmen die UN mit der ONUC
(Opération des Nations Unies au Congo) die Verwaltung des Kongo. Die später von
Kasavubu eingesetzte neue Regierung mit mehreren wechselnden Premierministern erwies
sich als schwach und wurde am 24. November 1965 aus dem Amt geputscht.
6.2.2
Die Diktatur Mobutus: Zweite Republik und der erste Kongo-Krieg
An diesem Tag ergriff der ehemalige Staatsekretär und Generalstabschef Joseph Désiré
Mobutu mit einem von der CIA gestützten Militärputsch die Macht und läutete damit seine
mehr als drei Jahrzehnte währende autoritäre Herrschaft ein. Zwar versprach er, nach den
245
Vgl. Ludermann, Bernd: Keine Chance für Demokratie. Wie der Westen nach 1960 eine Diktatur etablierte,
in: Evangelisches Missionswerk in Deutschland (Hrsg.): Weltmission heute Nr. 55, Kongo – Geschichte eines
geschundenen Landes, Hamburg, März 2004b, S. 52-78, S. 54.
246
Vgl. ebd. S. 56.
247
Der Mord, an dessen Planung und Durchführung westliche Geheimdienste beteiligt gewesen sein sollen, ist
ein wichtiges Ereignis im kollektiven Gedächtnis der kongolesischen Bevölkerung und machte Lumumba
posthum zum Vorkämpfer der afrikanischen Unabhängigkeits- und Demokratiebewegung.
63
Jahren der Kongo-Wirren von 1960-1965 binnen fünf Jahren die Demokratie wieder
einzuführen. Tatsächlich aber wandelte sich die von ihm gegründete Partei MPR (Mouvement
Populaire de la Révolution) 1967 zur Staatspartei und Mobutu etablierte unter ihr eine
Einparteiendiktatur.
Während des Kalten Krieges zeigte sich Mobutu als treuer Verbündeter des Westens, was
neben dem von ihm betriebenen Klientelismus sowie den Repressalien gegen Oppositionelle
seine Machtstellung sicherte. 248 Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks 1990 verlor
Mobutu jedoch sowohl den finanziellen als auch militärischen Rückhalt der Westmächte und
war zur Öffnung des politischen Systems gezwungen. Dennoch gelang es ihm weitere sieben
Jahre, die an Bedeutung gewinnende, allerdings sehr gespaltene Demokratiebewegung zu
unterdrücken und die Demokratisierung zu sabotieren.
Die Zweite Republik unter Mobutu sah sich vor allem mit dem Kriegsgeschehen im Osten des
Landes konfrontiert. Zwei Rebellionen erschütterten das Gebiet der Großen Seen: ein
kongolesischer, gegen die Zentralregierung in Kinshasa gerichteter Aufstand und eine
Rebellion nichtkongolesischer Gruppen, die von kongolesischem Boden aus gegen Rwanda
und Uganda kämpften. Das Land war während des blockierten Demokratisierungsprozesses
zersplittert und der Staat praktisch nicht mehr existent. 249 Im Osten des Landes stellte sich die
Situation damals wie heute am dramatischsten dar: In der Folge des Völkermordes der Hutu
an den Tutsi in Rwanda schwappte eine Flüchtlingswelle von 1,2 Millionen Menschen über
den Osten des Landes, unter ihnen viele der Génocidaires, der Verantwortlichen für den
Völkermord und Angehörige der ehemaligen rwandischen Armee. Der weiter geschürte
Konflikt zwischen Hutu und Tutsi fand auf kongolesischem Boden Nahrung und eskalierte
somit unplanmäßig: Ursprünglich wollte Rwanda nur für sich selbst Sicherheit in der Region
erreichen.
Mehrere Entmachtungsversuche konnte Mobutu durch Putsche abwehren bzw. revidieren. Die
zweite Rebellion jedoch, die von L.-D. Kabila angeführt und von Rwanda und Uganda
unterstützt wurde, entwickelte sich zum ersten Kongo-Krieg und beendete Mobutus Diktatur
abrupt am 17. Mai 1997.
248
Mobutus Herrschaftstechniken und der systemimmanente Niedergang seines Regimes werden unter Punkt
7.1, S. 67ff. behandelt.
249
Vgl. Ludermann, 2004b: S. 75f.
64
6.2.3
Laurent-Désiré Kabila und der zweite Kongo-Krieg
Der neue Machthaber Kabila wurde nach seinem Einmarsch in Kinshasa „vielerorts noch als
Erlöser gefeiert“ 250 , offenbarte jedoch bald ähnlich autoritäre Züge wie Mobutu. Er entledigte
sich sowohl seiner Gegner als auch eines Teils seiner Gefolgsleute und baute eine
Willkürherrschaft auf. 251 Das Nachbarland Rwanda sorgte seinerseits dafür, dass dessen
Interessen im Ost-Kongo durch kongolesische Tutsi (Banyamulenge) in der Regierung
verfolgt wurden. Die Demokratisierungsversuche, die Kabila in der Folge unternahm, hatten
einen ähnlich halbherzigen Charakter wie jene Mobutus. Seine Machtübernahme beendete die
Krise im Kongo nicht, „sondern trieb sie auf die Spitze.“ 252 1998 wies Kabila seine
Verbündeten Rwanda und Uganda, die ihm zuvor im Kampf gegen Mobutu zur Seite standen,
an, den Kongo zu verlassen. Wiederum unterstützten diese daraufhin Rebellen, die diesmal
allerdings gegen Kabila kämpften. Bald waren sieben afrikanische Staaten an diesem Krieg
beteiligt.
Bereits 1998 wurde im Waffenstillstandsabkommen von Lusaka der Friedensprozess
vorgezeichnet. Das Abkommen wurde jedoch nie umgesetzt. Erst nach der Ermordung L.-D.
Kabilas am 16. Januar 2001 kam der für den Demokratisierungsprozess grundlegende
Friedensprozess in Gang.
6.2.4
Die Regierung der Transitionsphase unter Joseph Kabila und der Weg zur Dritten
Republik
Die Mitglieder der Regierungspartei des ermordeten Kabila beschlossen, den jungen Joseph
Kabila, von dem nicht genau bekannt ist, ob er tatsächlich der Sohn Kabilas ist, zum neuen
Präsidenten zu ernennen. Er führte ab dem 17. Juli 2003 eine Allparteienregierung der Dritten
Republik im stockenden Übergangsprozess zu den ersten demokratischen Parlaments- und
Präsidentschaftswahlen seit über vier Jahrzehnten im Kongo, die 2006 stattfanden. Die
Zusammensetzung der Übergangsregierung war in erster Linie daran ausgerichtet, dass sich
alle bedeutenden der diversen am Konflikt beteiligten Gruppen in ihr vertreten sahen bzw.
ihre Anführer ein wie auch immer geartetes Amt bekleideten. So gab es in der Regierung
neben dem Präsidenten Kabila vier Vizepräsidenten und 36 Minister mit Stellvertretern.
250
Matthiesen, 2005: S. 38.
Vgl. Stroux, 1999: S. 50.
252
Johnson, Dominic: Von der Diktatur zum Staatszerfall, in: Evangelisches Missionswerk in Deutschland
(Hrsg.): Weltmission heute Nr. 55, Kongo – Geschichte eines geschundenen Landes, Hamburg, März 2004a, S.
79-96, S. 79.
251
65
Resümierend bleibt die Feststellung, dass Erfahrungen mit demokratischer Ordnung in der
kongolesischen Bevölkerung fast nicht vorhanden sind: Die erste frei gewählte Regierung
wurde wie oben beschrieben kurz nach ihrer Wahl Anfang der 60er Jahre abgesetzt, seitdem
gab es keine demokratisch legitimierte Staatsführung im Kongo, sondern Diktatur,
Autoritarismus und Ausbeutung. Der Demokratisierungsprozess, der 1990 einsetzte, währte
insgesamt 16 Jahre und wurde immer wieder herausgezögert und unterbrochen: Von autoritär
Herrschenden,
die
keine
Demokratisierung
wünschten,
von
Kriegen,
die
keine
Demokratisierung zuließen und von Profitinteressen, für die ein erfolgreicher Friedens- und
Demokratisierungsprozess gleichbedeutend mit dem Ende des Einnahme-Flusses war bzw. ist.
Der Weg zu den Wahlen 2006 und zur erfolgreich abgeschlossenen Regierungsbildung im
Februar 2007 war ein langer, teilweise chaotisch anmutender Prozess, der im Folgenden
untersucht und durch das beschriebene Phasenmodell in eine der Analyse zuträgliche Form
gebracht werden soll.
66
7. Der Demokratisierungsprozess in Kongo/Zaire
Aufbauend auf dem Systemwechselmodell Merkels wird im Folgenden der Verlauf des
Demokratisierungsprozesses in der DR Kongo betrachtet. 253 Das Modell besteht wie
beschrieben aus drei Stufen, die sich wiederum aus unterschiedlichen, dem Modell zu
entnehmenden Entwicklungsschritten zusammensetzen. Entsprechend des stockenden,
blockierten und sabotierten Verlaufes der Demokratisierung wird das Modell um zwei
Retardationsphasen (Punkt 7.1.4 und 7.1.6) erweitert, die den Verlauf der Demokratisierung
in dem Maße verzögerten, dass er bis zu den Wahlen 2006 ganze 16 Jahre der
Landesgeschichte in Anspruch nahm.
Phase I – Der Übergang von autoritärer Herrschaft zum demokratischen System
7.1 Das Ende des neopatrimonialen Mobutu-Regimes
7.1.1
Das neopatrimoniale System Mobutus: Instabilität versus Herrschaftstechnik
Bereits kurz nach der Machtergreifung hatte Mobutu seine quasi-absolutistische Stellung
gefestigt.
Mit
der
„für
ihn
typische[n],
virtuose[n]
Verbindung
verschiedener
Herrschaftstechniken […]: Gewalt, Ausschaltung alternativer Institutionen, Kauf von
Gefolgschaften und Korrumpierung seiner Gegner“ 254 baute er seine neopatrimoniale
Herrschaft im von ihm in Zaire umbenannten Land aus. 255 Die Trennung zwischen Staat und
Partei wurde aufgehoben und die 1967 von ihm gegründete Partei MPR wurde in den Stand
einer „Kirche“ erhoben. 256 Er selbst sah sich als von „Gott gesandter Messias“ 257 . Von nun an
trieb Mobutu die Gleichschaltung Zaires voran: Die zur Einheitspartei erklärte MPR
„verschmolz faktisch mit den staatlichen Institutionen als ausführendes Organ des
Präsidenten.“ 258 Neben der MPR wurden keine anderen Parteien und Organisationen mehr
zugelassen, das Parlament und die Provinzregierungen schaffte Mobutu ab und zerstörte
253
Vgl. Abb. 2: Systemwechsel – Vom autokratischen System zur Demokratie, S. 41.
Ludermann, 2004b: S. 63.
255
Neopatrimoniale Herrschaftssysteme zeichnen sich durch eine hochgradige Personalisierung der Macht durch
den Herrscher aus, dessen Stellung absolutistische Züge annehmen kann. Er betrachtet den Staat als
Privateigentum und setzt die staatlichen Ressourcen zur Finanzierung seines Klientelapparates ein. Die
Machtstellung des Herrschers wird über eine Privatarmee abgesichert. (Vgl. Stroux, 1996: S. 26ff.).
256
Vgl. Stroux, 1999: S. 48.
257
Ebd.
258
Stroux, 1996: S. 32.
254
67
„unter dem Beifall der westlichen Welt“ 259 die vorhandenen demokratischen Strukturen: „Der
Glaube an militärisch bestimmte Entwicklungsdiktaturen hatte damals Konjunktur.“ 260
Zur „Unterdrückung innerpolitischer Proteste […] baute Mobutu paramilitärische
Sondereinheiten auf“ 261 , denen bis zur Mitte der 90er Jahre etwa die Hälfte der 70.000 Mann
umfassenden Armee FAZ (Forces Armées Zairoises) angehörte.
Mobutu etablierte in nahezu allen Bereichen des Staates ein eigenes System zur
Konsolidierung seiner Machtposition: Bis 1970 hatte er alle bedeutenden politischen und
gesellschaftlichen Posten mit ihm loyalen Vertretern besetzt. 262 Ein auf diese Weise
erhaltener gehobener Posten war gleichbedeutend mit dem Freibrief zur ungestraften
Selbstbereicherung. Diebstahl wurde in der elitären Staatsklasse, die etwa 2.000 bis 3.000
Zairer umfasste, zur bedeutendsten Einkommensquelle: In diesem Zusammenhang wird das
Herrschaftssystem Mobutus vielfach als „Kleptokratie“, als „Herrschaft der Diebe“,
bezeichnet. 263 Um Rivalitäten oder Konkurrenz innerhalb der Führungsclique zu vermeiden,
wurden die Posten nach einem Rotationsprinzip immer nur für eine kurze Zeit besetzt:
Zwischen 1977 und 1997 kam Zaire auf diese Weise z.B. zu neun verschiedenen
Premierministern. Der Amtsmissbrauch auf allen Ebenen erfolgte dementsprechend in
intensiverer Form. 264
Verheerend wirkten sich neben der Korruption, dem Klientelismus und der „von oberster
Stelle sanktionierten Selbstbereicherung“ 265 die „Zairanisierung“ des Landes aus, die Mobutu
durchführte und auch auf die Ökonomie übertrug. 266 1971 wurden die höheren
Bildungseinrichtungen und Universitäten dem Staat unterstellt, 1973 ausländische und 1974
schließlich auch einheimische Besitzer von Landwirtschafts- und Industriebetrieben enteignet
und ihre Unternehmen an Funktionäre übergeben, die sie vielfach schlicht ausplünderten und
zu Grunde wirtschafteten. 267 „Missmanagement und Selbstbereicherung zerstörten die
259
Strizek, Helmut: Kongo/Zaïre – Ruanda – Burundi. Stabilität durch erneute Militärherrschaft? Studie zur
„neuen Ordnung“ in Zentralafrika, München/ Köln/ London 1998, S. 99.
260
Ebd. S. 99.
261
Ludermann, 2004b: S. 70.
262
Vgl. Stroux, 1996: S. 33.
263
Vgl. Ludermann, 2004b: S. 69 und McCalpin, Jermaine O.: Historicity of a Crisis. The Origins of the Congo
War, in: Clark, John F.: The African Stakes of the Congo War, New York 2002, S. 33-50, S. 43.
264
Vgl. Stroux, 1996: S. 34.
265
Vgl. Stroux, 1997: S. 4.
266
Zairanisierung bzw. Authentizität bedeuteten unter Mobutu die Umbenennung des Landes sowie des Flusses
und der Währung in Zaire, die Änderung der Städtenamen (so wurde z.B. Leopoldville zu Kinshasa) und die
Änderung der christlichen Vornamen in die Namen der Vorfahren. Die Übertragung auf den Wirtschaftssektor
beinhaltete die beschriebenen Maßnahmen. Auf diesem Weg sollte die nachkoloniale kulturelle und
wirtschaftliche Unabhängigkeit Zaires erreicht werden. (Vgl. Matthiesen, 2005: S. 32).
267
Vgl. Matthiesen, 2005: S. 34f.
68
wirtschaftliche Basis des Landes.“ 268 Zu diesen, für den Staatshaushalt ohnehin verheerenden
Praktiken, kam Mitte der 70er Jahre der Verfall der Rohstoffpreise, der Zaire um etwa ein
Drittel der Exporteinnahmen brachte.
Zaire war also vornehmlich durch eine „Fehlallokation von Ressourcen“ 269 gekennzeichnet.
Unter ungünstigen ökonomischen Bedingungen wurden durch die Aufrechterhaltung des
Klientelapparates, Korruption und die Selbstbereicherung durch Privatisierung staatlicher
Institutionen und Ressourcen auf ineffizienteste Weise Mittel verbraucht, die dringend für
Investitionen im Wirtschafts- und Sozialsystem benötigt worden wären. „Bis zu 20 Prozent
der produktiven Ressourcen der Staatsfirmen“ 270 schöpfte die Führungsclique ab und
verwendete sie zur privaten Wohlstandssicherung und zur Konsolidierung des Regimes.
Systemtheoretisch gesprochen schuf Mobutu Steuerungsmonopole 271 in den Bereichen
Politik, Wirtschaft, Bildung und im Energie- und Bergbausektor (Abbau der Bodenschätze).
Aber auch Frauen- Arbeiter-, Studenten- und Jugendorganisationen verloren ihre
Unabhängigkeit und wurden zu Organen der Einheitspartei MPR. 272 Hierbei handelte es sich
um „politisch induzierte Entdifferenzierungsprozesse, die die Eigenständigkeit der
gesellschaftlichen Teilsysteme […] aufhoben.“ 273 Die Komplementärsysteme wurden folglich
den Funktionsprinzipien des Politischen unterstellt „und dadurch in ihrer Autonomie und in
der freien Verwirklichung ihrer systemspezifischen Prinzipien eingeschränkt“ 274 .
Die gesamte staatliche, politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung war durch
Mobutus Eingriffe beeinflusst und ihre Modernisierung und Differenzierung verhindert
worden. Die daraus resultierenden Ineffizienzen, besonders auf wirtschaftlicher Ebene,
führten zu einer permanenten Verschlechterung der Lebensverhältnisse und mit der
zunehmenden Verarmung der Bevölkerung zu wachsender Unzufriedenheit und zunehmender
Stärke der Opposition.
268
Stroux, 1997: S. 4.
Ebd.
270
Ebd.
271
Der Vergleich der staatlichen Maßnahmen in Zaire zu den Homogenisierungsbestrebungen in den
sozialistischen Staaten des ehemaligen Ostblocks wie z.B. der DDR drängt sich auf. Verwiesen sei auf Detlef
Pollacks umfassende systemtheoretische Analyse des Zusammenbruchs der DDR: Pollack, Detlef: Das Ende
einer Organisationsgesellschaft. Systemtheoretische Überlegungen zum gesellschaftlichen Umbruch in der DDR,
in: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 19, (August 1990) 4, S. 292-307.
272
Vgl. Nzongola-Ntalaja, Georges: The Congo from Leopold to Kabila. A People’s History, London/ New
York 2002, S. 173. Lediglich religiösen Vereinigungen wurde ein gewisses Maß an Autonomie zugesprochen,
was die Bischöfe der katholischen Kirche zu den stärksten und mit zahlreichen Memoranden präsentesten
Mahnern gegen den Machtmissbrauch durch das Mobutu-Regimes werden ließ. (Vgl. Stroux, 1996: S. 78ff.).
273
Pollack, 1990: S. 294.
274
Ebd.
269
69
Die Teilsysteme des Staates litten folglich unter einem gravierenden Mangel an funktionaler
Mikrostabilität. 275 Mobutu gelang es jedoch lange Zeit, die auf dieser Mikroebene
entstandenen „Kosten“ auf der Makroebene zu decken – wenn auch mit horrendem
Ressourcenaufwand: So erfreute sich sein Herrschaftssystem „einer besonderen Resistenz
[…] gegenüber der Demokratiebewegung“ 276 . Die Errichtung seines Klientelapparates schuf
eine „Staatsklasse, die ihm politisch nichts anhaben konnte“ 277 . Lange gelang es ihm zudem
durch geschickte Rotation innerhalb der Elite, durch Korruption 278 , Kooptation und
Repression das Emporwachsen von Oppositionellen im Regime zu verhindern. „Seine
ethnisch und regional fixierte ’Personalpolitik’“ 279 verhinderte die Herausbildung von
Klassen und somit potentieller Widerstandsstrukturen. Sollte dennoch Widerstand aufkeimen,
ermöglichte es ihm sein umfassender Einschüchterungs- und Repressionsapparat, schnell und
wirksam zu reagieren.280
Die vorhandenen nationalen Ressourcen, über die Mobutu die Kompensation der
Systeminstabilität finanzierte, ermöglichten ihm nur zeitweise die Unabhängigkeit von
ausländischen Geldgebern: Finanzielle Stützen aus dem Ausland, d.h. in erster Linie Kredite
und Entwicklungshilfegelder, mit denen Finanzlöcher, aber auch die Taschen der
Führungsclique gestopft wurden, waren für Zaire entscheidende Stabilitätsgaranten, was
Mobutu in starkem Maße von der Gebergemeinschaft abhängig machte. 281 Neben seiner für
die Westmächte im Kampf gegen den Kommunismus in Afrika (z.B. in Angola und der VR
Kongo) strategisch wichtigen Lage im Herzen Afrikas waren auch die Vorkommen von
atomwaffenfähigen Uran 282 und zahlreicher anderer Rohstoffe in Zaire von großer Bedeutung
und sicherten dem Regime bis zum Ende des Kalten Krieges den finanziellen und
militärischen Rückhalt des Westens. 283 Zudem wurde Mobutu von den Westmächten als
einziger Stabilitätsfaktor in der Region gesehen: Allerdings spielte dieser die Geberländer
275
Sandschneider, 1995: S. 119f.
Stroux, 1996: S. 38.
277
Ebd.
278
Korruption wird von einigen afrikanischen Autoren als „systemstabilisierende Informalisierung“ bezeichnet:
„Die unregelmäßige und unzureichende Zahlung von Löhnen an Arbeiter und Beamte trägt zum Erhalt der
Korruption bei.“ (Matthiesen, 2005: S. 116).
279
Stroux, 1996: S. 38.
280
Vgl. ebd.
281
Ungeachtet der Menschenrechtsverletzungen und der Unterdrückung der Bevölkerung unterstützten die USA
Mobutus Regime jährlich mit mehreren Millionen Dollar und auch die BRD war neben Belgien mit der Zahlung
von über einer Milliarde DM zwischen 1965 und 1991 eine wichtige finanzielle Stütze des Diktators. (Vgl.
Matthiesen, 2005: S. 36f.).
282
Bereits zu Kolonialzeiten erhielten die USA Uranlieferungen aus dem Kongo: So stammte auch das Uran der
beiden Atombomben, die auf Hiroshima und Nagasaki fielen, aus kongolesischen Minen. (Vgl. Johnson,
Dominic: Bombengeschäfte in der Heimat der Bombe, in: die tageszeitung, 06.01.2005a, S. 10).
283
Vgl. Matthiesen, 2005: S. 36.
1977 und 1978 konnten die Einfälle der so genannten “Katanga-Gendarmen” in Katanga (damals Shaba) nur mit
logistischer und auch direkter militärischer Unterstützung Frankreichs und Belgiens niedergeschlagen werden.
276
70
immer wieder geschickt gegeneinander aus und konnte so eine zu starke Abhängigkeit von
einem einzigen Finanzier vermeiden. 284
In welch starkem Maße Mobutus Systemstabilisierungsversuche jedoch tatsächlich an das
Wohlwollen des Westens geknüpft waren, zeigte sich mit dem Wandel der internationalen
Rahmenbedingungen nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes. Intern stand das System
Mobutus bereits unter sehr großem Druck, denn die Auswirkungen der Misswirtschaft, der
Selbstbereicherung und des Klientelismus bewirkten eine Wirtschaftskrise, die zur
Verarmung großer Teile des zairischen Volkes führte. Die Opposition gewann gegen Ende der
80er Jahre stark an Zulauf und Bedeutung. Mobutus Repressionsapparat und Geheimdienst
reagierten daraufhin mit immer heftigerem Vorgehen gegen Oppositionelle. Mit dem Ende
des Kalten Krieges und dem Entzug der externen Unterstützung geriet das Gefüge schließlich
vollends aus dem Gleichgewicht und Mobutu sah sich zunächst zur Liberalisierung seines
Regimes gezwungen.
7.1.2
Ursachen und Auslöser des Demokratisierungsprozesses
Ein System verliert mit Sicherheit an Stabilität, wenn es ihm an Problemlösungskapazitäten
mangelt. Sandschneider konstatiert, „dass Grundvoraussetzung jeder Art von Systemstabilität
der Nachweis der bedürfnisbefriedigenden Leistungsfähigkeit in mindestens drei integrierten
Zielsektoren ist: Verteidigung, Konsum und Investition.“285 Politische Systeme müssen also
gleichzeitig
„für militärische Sicherheit (oder irgendeine überzeugende alternative Sicherheit) der nationalen
Interessen sorgen und die sozioökonomischen Bedürfnisse der Bürger befriedigen und ein anhaltendes
Wachstum gewährleisten – das letzte sowohl für den positiven Zweck, Kanonen und Butter zu liefern,
als auch für den negativen Zweck, einen relativen wirtschaftlichen Abstieg zu vermeiden, der die
zukünftige militärische und wirtschaftliche Sicherheit des Volkes gefährden könnte.“ 286
Dass dies dem Regime Mobutus zuletzt in keiner Weise mehr gelang, ist auf die zuvor
beschriebene Form der Herrschaftsausübung zurückzuführen, die die für die Differenzierung
und Effizienz notwendige teilsystemische Autonomie ausschaltete und somit die
Problemlösungskapazitäten des politischen Systems minimierte. Die Destabilisierung
erreichte derartige Ausmaße, dass sie schließlich das Gesamtsystem gefährdete und Mobutu
in Zusammenwirkung mit den veränderten internationalen Rahmenbedingungen vorerst zur
284
Vgl. Stroux, 1996: S. 37.
Sandschneider, 1995: S. 123.
286
Kennedy, Paul: Aufstieg und Fall der großen Mächte. Ökonomischer Wandel und militärischer Konflikt von
1500-2000, Frankfurt 1989, S. 659, zitiert nach: Sandschneider, 1995: S. 123.
285
71
politischen Öffnung des Systems zwang. Sandschneider spricht in diesem Zusammenhang
von der „situativen Instabilität“ 287 : Sie wird durch tief greifende Veränderungen in den
existentiellen Bedingungen eines Systems ausgelöst, „die im Extremfall zur Überlastung der
verfügbaren und mobilisierbaren Ressourcen und so schnell zum Zusammenbruch des
Systems führen können.“ 288 Die Faktoren, die zu der schweren zairischen Systemkrise und in
der Folge zum Beginn des Demokratisierungsprozesses führten, lassen sich in systeminterne
und systemexterne Ursachen und Auslöser unterteilen. 289
7.1.2.1 Systeminterne Ursachen des Demokratisierungsprozesses
Sozioökonomischer Niedergang
Mobutus Regime und die Kombination aus massiver Selbstbereicherung, Amtsmissbrauch,
Korruption,
Klientelismus
und
verhängnisvollen
Entdifferenzierungsmaßnahmen
im
Wirtschaftssektor wie der Enteignung ausländischer und später auch inländischer
Privatbetriebe und der Rohstoffförderung richteten Zaire ökonomisch zugrunde. Gegen Ende
der 70er Jahre verschärfte der Verfall der Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt die Situation und
stürzte das Land in eine tiefe Wirtschaftskrise, die auch die Re-Liberalisierung aller
staatlichen und privaten Entwicklungsbereiche und die bis in die 80er Jahre hinein
durchgeführten
Strukturanpassungsprogramme
und
Umschuldungen
vom
IWF
(Internationaler Währungsfonds) und der Weltbank nicht lösen konnten. Der Lebensstandard
der Bevölkerung sank rapide und die Inflation betrug 1988 fast 90%. 290 Das durchschnittliche
jährliche Pro-Kopf-Einkommen war von 630 US$ im Jahr 1980 291 auf 220 US$ in 1990 292
gesunken. Mobutus Selbstbedienungs-Attitude leistete zum Niedergang einen erheblichen
Beitrag: So stieg der „dem Präsidenten zugewiesene Ausgabenanteil am Staatsbudget […]
nach offiziellen Angaben zwischen 1972 und 1992 von bereits erstaunlichen 28% auf
atemberaubende 95%. Der Anteil staatlich finanzierter sozialer Dienstleistungen fiel im
selben Zeitraum von 17,5% auf 0,0%.“ 293
287
Sandschneider, 1995: S. 120.
Ebd.
289
Vgl. Stroux, 1996: S. 39ff. und Matthiesen, 2005: S. 132ff.
290
Vgl. Stroux, 1996: S. 43.
291
Vgl. Stroux, 1997: S. 4.
292
Vgl. Griffiths, Ieuan Ll.: The Atlas of African Affairs, London/ New York 21993, S. 218.
293
Tull, Denis M.: Vom Niedergang des Staatenreichs und dem Anfang der Rebellenherrschaft – Extraversion
und externe Intervention in der DR Congo, in: Engel, Ulf/ Jakobeit, Cord/ Mehler, Andreas/ Schubert, Gunter
(Hrsg.): Navigieren in der Weltgesellschaft. Festschrift für Rainer Tetzlaff, Münster 2005a, S. 74-85, S. 78.
288
72
So verschwand in den 80er Jahren die Mittelschicht fast vollständig und die zairische
Bevölkerung teilte sich in eine kleine reiche Elite und eine breite verarmte Masse. 294 Mit dem
Erstarken der Opposition gegen Ende der 80er Jahre führte zudem die Kapitalflucht reicher
Zairer, die um ihren Wohlstand fürchteten, dazu, dass das Land endgültig vor dem Bankrott
stand.
Getragen wurde die inzwischen breite Oppositionsbewegung in erster Linie von einer
verarmten Schicht aus Intellektuellen und der katholischen Kirche, die mittels
Demonstrationen und Streiks, aber auch durch Memoranden und offene Briefe verstärkt ihren
Protest artikulierten.
Repression
In den Jahren 1988/89 ging das Regime vor allem gezielt gegen Oppositionelle der
verbotenen, schon 1982 gegründeten UDPS vor. „Dabei kam es zu willkürlichen
Verhaftungen, Verschleppungen, Folter und Mord.“ 295 Der omnipräsente Repressionsapparat
Mobutus hatte während seiner gesamten Herrschaft große Bedeutung für das Erhalten seiner
Machtposition. Mit dem Jahr 1989 allerdings „nahmen Willkür und gezielte Repressionen
[…] nochmals zu“ 296 , was den Rückhalt (die Legitimation) von Mobutus Regime in der
Bevölkerung abermals verstärkt schwinden ließ und die Opposition stärkte: Systemtheoretisch
stellt dies die logische Konsequenz der Anwendung von Repression als „funktionales
Systemstabilisierungsäquivalent“ 297 dar.
7.1.2.2 Systemexterne Ursachen des Demokratisierungsprozesses
Wandel der internationalen Rahmenbedingungen
In der sich zuspitzenden internen Legitimationskrise verlor Zaire mit dem Ende des Kalten
Krieges neben seiner Position als antikommunistisches „Bollwerk“ der Westmächte in Afrika
auch rund zwei Drittel der bisherigen Entwicklungshilfe-Zahlungen und Kredite. 298 Das
strategische Interesse der USA an Zaire als Ausgangspunkt für die Unterstützung der
prowestlichen Opposition in Angola schwand und die CIA zog sich aus dem Land zurück.
294
Vgl. Stroux, 1996: S. 43.
Ebd. S. 45.
296
Ebd.
297
Merkel, 1996: S. 311.
298
Vgl. McCalpin, 2002: S. 44f.
295
73
Sechs amerikanische Regierungen hatten Zaire trotz bekannter Menschenrechtsverletzungen,
Selbstbereicherung, Klientelismus und Korruption durch Mobutus Führungsclique bis dahin
in erheblichem Maße finanziell und militärisch unterstützt.299 Für den Westen waren
bezüglich der Verteilung ihrer Entwicklungshilfezahlungen nun jedoch die Einhaltung
demokratischer Prinzipien und der Menschenrechte ausschlaggebend, nicht mehr die
„Unterstützung von ‚friendly tyrants’“ 300 Die Zahlungen aus den USA gingen demzufolge
abrupt zurück und der damalige US-Präsident George Bush sowie sein Staatssekretär James
Baker forderten Mobutu 1989 und wiederholt 1990 zur Demokratisierung Zaires auf. 301
Auch die Beziehungen zu Belgien steckten ab 1989 in einer schweren Krise, da die belgische
Presse im Vorjahr über Veruntreuungen belgischer Entwicklungshilfezahlungen durch
Mobutu in Höhe von 70 Millionen US$ berichtet hatte. 302 In der Folge halbierte die belgische
Regierung ihre Zahlungen an das Regime Mobutus, was die prekäre finanzielle Lage des
Landes zusätzlich verschärfte. Endgültig eingefroren wurde die Entwicklungszusammenarbeit
mit Belgien nach der Weigerung Mobutus, eine internationale Untersuchungskommission
bezüglich des Massakers von Lubumbashi im Mai 1990 zuzulassen, bei dem mindestens 13
Studenten auf dem Universitätsgelände von Lubumbashi von einer Eliteeinheit Mobutus
ermordet worden waren. 303 Das Echo des Massakers in der Weltpolitik verschaffte den
Oppositionellen großen Rückhalt, Mobutu hingegen setzte es zusätzlich unter Druck.
Außenwirtschaftliche Einflüsse
Schließlich führte die teilweise selbstverschuldete, teilweise durch die Situation auf dem
Weltmarkt bedingte Exportkrise dazu, dass die wirtschaftliche Lage des stark von seinen
Rohstoffexporteinnahmen abhängigen Landes aussichtslos wurde. Jahrelang hatte Mobutus
Regime das staatliche Bergbauunternehmen GECAMINES „als Privatkasse“ 304 genutzt und
seine Produktivität auf diese Weise stark herabgesetzt. Dies und die sinkenden Rohstoffpreise,
vor allem beim Hauptexportgut Kupfer, führten im Exportbereich zu massiven
Einnahmeeinbußen. Die Auslandsverschuldung Zaires war 1990 auf etwa 8,6 Milliarden US$
(ca. 90% des BIP) angewachsen und der IWF sowie die Weltbank, deren Zusammenarbeit mit
299
Vgl. Fußnote 281 und 283.
Stroux, 1996: S. 40.
301
Vgl. ebd.
302
Vgl. ebd.
303
Vgl. Stroux, 1997: S. 9. Die angegebenen Zahlen der Getöteten schwanken zwischen offiziellen Angaben von
einem Opfer und 13 ermordeten Studenten in inoffiziellen Quellen. (Vgl. ebd.).
304
Vgl. Stroux, 1996: S. 42.
300
74
dem Land seit 1967 von schweren Krisen durchzogen ist, waren Mobutu gegenüber zu keiner
weiteren Kreditvergabe bereit. 305
Neben dem Wegfall der Unterstützung aus dem Ausland sind als systemexterne Faktoren des
Weiteren der ermutigende Einfluss der Demokratisierungsbewegungen in Afrika auf die
Opposition in Zaire sowie der damals im Land offen diskutierte „Ceausescu-Effekt“ oder
„facteur roumain“ 306 zu nennen. Die Hinrichtung des rumänischen Diktators und MobutuFreundes Ceausescu galt auch dem zairischen Herrscher als mögliches Schicksal. In diesem
Zusammenhang von einem „Dominoeffekt“ zu sprechen, der für Merkel als möglicher Faktor
zum Ende eines autokratischen Regimes beiträgt 307 , ist wahrscheinlich etwas überzeichnet.
Jedoch haben einerseits die Systemwechsel in Osteuropa, vor allem aber die erfolgreichen
Demokratisierungen in Afrika z.B. in Namibia und Benin und die Bestrebungen im Niger, der
Elfenbeinküste und im benachbarten Kongo als aufgezeigte Alternative zum Status Quo einen
gewissen Einfluss auf das neue Selbstbewusstsein der Opposition gehabt. 308 Diese
veränderten Umweltbedingungen, durch die sich weiter entwickelnden Systeme in seiner
Systemumwelt, setzten das System Zaire somit von außen unter Reformdruck.
Dem Regime war vom sozioökonomischen Niedergang und den damit einhergehenden
fehlenden Systemleistungen, sowie den allgegenwärtigen zur Beherrschung der Massen
notwendig gewordenen Repressionen gegenüber der ohnehin aufgebrachten und durch die um
sie herum entstehenden Demokratisierungsbewegungen ermutigten Bevölkerung die
Legitimation entzogen worden. Beide Effekte entstanden durch die Verhinderung bzw.
Unterdrückung
und
Revidierung
von
Differenzierungsprozessen:
einerseits
im
Wirtschaftssystem, andererseits in nahezu allen, die Gesellschaftsentwicklung tangierenden
Teilsystemen, wie z.B. dem Rechtssystem, dem Wissenschaftssektor und dem gesamten
sozialen Gefüge. Neben diesen systeminternen Faktoren wirkten von systemexterner Seite die
ausbleibenden Zahlungen aus dem Ausland, sowie der steigende internationale Druck
dramatisierend und verstärkend auf den Prozess.
Die von Mobutu über Jahrzehnte etablierten Machtstrukturen sollten sich jedoch als robust
genug erweisen, um dem Demokratisierungsdruck noch einige Jahre standhalten zu können.
305
Vgl. ebd.
Vgl. ebd. S. 41.
307
Vgl. Punkt 4.1.1, S. 44.
308
Vgl. Stroux, 1996: S. 41 und Schmidt, 1998: S. 221.
306
75
Die politische Entwicklung in Zaire zwischen 1990 und 2001 lässt sich im Groben angelehnt
an Stroux in fünf Phasen einteilen 309 :
1. eine kurze Phase der Liberalisierung bis Herbst 1990;
2. eine Demokratisierungsphase bis Ende 1992, die von einer schnell erstarkenden
Oppositionsbewegung getragen wurde;
3. eine Phase der politischen Blockade (Retardation I), die durch die teilweise
Restaurierung des Mobutu-Regimes Anfang 1993 eingeleitet wurde und den Einfluss
der demokratischen Kräfte schwinden ließ;
4. die vierte Phase, der Ausbruch des Bürgerkrieges im Ostkongo im Oktober 1996, der
Mobutu schließlich die Macht kosten sollte und
5. die zweite blockierende Phase des Demokratisierungsprozesses unter L.-D. Kabila
(Retardation II).
Wie die bisher erschienen Analysen des Demokratisierungsprozesses in diesem Zeitraum
belegen, sind die entscheidenden Ursachen für die gescheiterte Demokratisierung in der Folge
der Liberalisierung unter Mobutu bis zum Tode L.-D. Kabilas auf der Akteursebene zu
suchen. Die Zusammenhänge ihrer Komplexität gerecht werdend darzustellen, ist an dieser
Stelle nicht möglich. Für eine erschöpfende akteursorientierte Analyse der Prozesse sei auf
die Arbeiten von Stroux 310 und die das Konzept der strategischen und konfliktfähigen
Gruppen (SKOG) anwendende Arbeit Schmidts 311 verwiesen.
Im Folgenden sollen nun der Demokratisierungsprozess und sein Scheitern bis zur Ermordung
L.-D. Kabilas 2001 in einem Streifzug nachgezeichnet werden. Während der gesamten sieben
Jahre dieses Zeitraums ist es weder unter Mobutu noch unter L.-D. Kabila zu einer
substantiell erfolgreichen Transition, d.h. dem tatsächlichen Übergang der autokratischen
personalisierten Machtausübung zu demokratischen Strukturen, gekommen.
Für den analytischen Rahmen der Untersuchung bedeutet dies, dass sich der Prozess des
Systemwandels bis zum Tod L.-D. Kabilas durchgängig in der ersten Phase des
Systemwechsels befindet. In erster Linie sind die Gründe hierfür neben der ohnehin
permanenten Verzögerung des Prozesses durch Mobutu und L.-D. Kabila in zwei
Retardationsphasen zu suchen, in denen die Protagonisten die Transition und den mit ihr
einhergehenden
Machtverlust
absolut
verhinderten
bzw.
bereits
errungene
309
Stroux gliedert nur bis zur vierten Phase, die ergänzte fünfte Phase lag außerhalb des Betrachtungszeitraumes
seiner Arbeit (Vgl. Stroux, 1997: S. 7f.).
310
Stroux, 1996 sowie Stroux, 1997.
311
Schmidt, 1998.
76
Demokratisierungsfortschritte rückgängig machten. Zum einen handelt es sich hierbei um den
Zeitraum von 1993 bis 1997, in dem Mobutu nach seinem scheindemokratischen Exkurs den
Demokratisierungsprozess sabotierte und Teile seines Machtsystems nach der angelaufenen
Demokratisierung restaurieren konnte, zum anderen um die gesamte Herrschaftsphase L.-D.
Kabilas, dessen Demokratisierungsversprechen sich ebenfalls als wertlos erwiesen und seine
Regentschaft von 1997 bis 2001 zur zweiten Retardationsphase des Systemwechsels werden
ließen.
7.1.3
Liberalisierung und Demokratisierungsphase
7.1.3.1 Die kurze Liberalisierungsphase 1990
Während Mobutu mit seiner Führungsclique weiter im Luxus schwelgte, spitzte sich die Krise
ob der zuvor ausgeführten Ursachen im zerfallenden Zaire zu und die Anzeichen für den
verlorenen Rückhalt seines Regimes in der Bevölkerung wurden unübersehbar. Mobutu
reagierte auf die Krise, wie aus anderen Autokratien bekannt, mit einer Mischung aus
Repression und Liberalisierungsmaßnahmen. 312 Die Sicherheitskräfte gingen einerseits weiter
radikal gegen Demonstrierende 313 vor, „andererseits versuchte Mobutu, die Lage mit
marginalen Reformen zu stabilisieren und gleichzeitig die Reformerwartungen der
Gebergemeinschaft zufrieden zu stellen.“ 314 Die begrenzte Öffnung, die Mobutu zunächst
anstrebte, war der Oppositionsbewegung jedoch nicht genug und die Massenproteste weiteten
sich aus. Neben den Protesten zwangen Mobutu in der Folge drei Faktoren zu einer weiter
gehenden Liberalisierung 315 :
-
Die im Januar 1990 von Mobutu eingeleitete Volksbefragung, in der fast 90 Prozent der
gesellschaftlichen Gruppen umfassende Reformen, d.h. das „Ende der Vorherrschaft der
MPR, ein Mehrparteiensystem, eine Verfassungsrevision, Gewaltenteilung und die
Abhaltung einer Nationalkonferenz“ 316 forderten, offenbarte „ein alarmierendes
312
Vgl. Schmidt, 1998: S. 221.
Die beiden Oppositionsgruppen, die sich hauptsächlich Repressionen ausgesetzt sahen waren die bis zur
Liberalisierung verbotene Oppositionspartei UDPS (Union pour la Démocratie et le Progès Social) und die
Studentenbewegung. Die Bedeutung der Studenten nahm jedoch bis 1995 ab, nachdem es Mobutu gelungen war,
die organisierten Studenten durch die mehrjährige Schließung der Universitäten zu schwächen. (Vgl. Stroux,
1997: S. 9).
314
Ebd.
315
Vgl. Schmidt, 1998: S. 221f.
316
Stroux, 1996: S. 46.
313
77
Stimmungsbild allgemeiner Unzufriedenheit, die jederzeit in gewaltsamen Protest
umschlagen“ 317 konnte.
-
Ein einflussreiches Memorandum der katholischen Bischöfe prangerte offen
Menschenrechtsverletzungen, Nepotismus und Korruption an. 318
-
Der interne und vor allem der externe Druck der Geberländer auf Mobutu wuchs in der
Folge des bereits erwähnten Massakers von Lubumbashi.
Am 24. April 1990 stellte Mobutu seinen Plan zur Öffnung des Systems vor, deren
erfolgreiche Durchführung der Ausgangspunkt der Dritten Republik sein sollte: Er versprach
die Abschaffung des Einparteiensystems, an dessen Stelle die Einführung eines
Dreiparteiensystems und er räumte Meinungs- und Pressefreiheit ein. 319 Der wachsende
Druck zwang ihn im Oktober 1990 die Änderung der Verfassung von 1967 im gleichen Jahr
zu billigen, bei der die Einführung eines Mehrparteiensystems, die Zulassung unabhängiger
Gewerkschaften, die Pressefreiheit sowie die Trennung von Partei und Staat in die Verfassung
aufgenommen wurden. 320
Mobutu verfolgte mit der Liberalisierung jedoch einzig und allein das Ziel, sein politisches
Überleben
zu
sichern
und
die
Legitimität
seines
Regimes
formaldemokratisch
wiederherzustellen. 321 Er selbst wollte den gesamten Prozess als eine Art „überparteilicher
Oberschiedsrichter“ 322 anführen. Von Anfang an setzte Mobutu alles daran, die
Demokratisierung Zaires durch „Verzögerungen, Kooptation von Oppositionellen, der
Gründung von Pseudo-Parteien 323 , die für Chaos und Verunsicherung der Wähler sorgen
sollten, und gezielte Repression zu verlangsamen.“ 324 So gelang es der Opposition erst im
April 1991, ein Jahr nach Beginn der Liberalisierung, die von allen Oppositionsgruppierungen
geforderte Abhaltung einer Nationalkonferenz für August 1991 festzulegen. 325 Das Regime
hatte zu diesem Zeitpunkt die Kontrolle über den Reformdruck verloren, der sich durch die
verhinderte Differenzierung aufgebaut hatte und musste den Regimegegnern und der
mobilisierten Bevölkerung nachgeben. Die dominierende, wenn auch durch Mobutu
behinderte Kraft im Systemwechsel war hier bereits die Opposition: Die Phase der
317
Körner, Peter: Zaire, Länderbeitrag, in: Hofmeier, Rolf (Hrsg.): Afrika Jahrbuch 1990, Opladen 1991, S. 221227, S. 221.
318
Vgl. ebd. S. 47.
319
Vgl. Stroux, 1999: S. 49.
320
Vgl. Matthiesen, 2005: S. 125.
321
Vgl. Stroux, 1997: S. 8.
322
Körner, 1991: S. 222.
323
Bei den ca. 80 bis Ende 1990 neu gegründeten Parteien handelte es sich Schätzungen zufolge zu drei Vierteln
um scheinoppositionelle Tarnorganisationen Mobutus. (Vgl. ebd. S. 223).
324
Schmidt, 1998: S. 222.
325
Vgl. ebd.
78
Liberalisierung
wurde
an
dieser
Stelle
also
schon
„von
Elementen
der
Demokratisierungsphase überlagert.“ 326
7.1.3.2 Demokratisierungsphase 1991-1992
Die am 7. August 1991 zum ersten Mal zusammengetretene Nationalverfassung weckte in der
Bevölkerung große Hoffnungen auf eine baldige politische Neuordnung Zaires. Die 2.850
Delegierten kamen jedoch gar nicht dazu, in ernsthafte Verhandlungen zu treten, weil es
Unklarheiten über die Zulassung von Abgeordneten gab. 327 Parallel dazu versuchte das
Mobutu-Regime, das durch die Zusammensetzung der Versammlung durch seine
Pseudoparteien überrepräsentiert war, permanent die Versammlung zu manipulieren und zu
boykottieren und profitierte von der Unfähigkeit der Opposition, eine starke Position gegen
die Aktionen von Mobutus Anhängern zu beziehen. Nach dem zweiten, wiederholt durch
Mobutu zum Abbruch gebrachten Anlauf, galt die Nationalkonferenz mit ihrer unbestimmten
Schließung am 23. September 1991 als vorerst gescheitert.
Einhergehend mit der politischen Wende in Zaire verschlechterte sich die wirtschaftliche
Lage des Landes weiterhin rapide. Im Zusammenwirken des wirtschaftlichen Niedergangs mit
der
Enttäuschung
der
Bevölkerung
ob
der
chaotischen
Verhältnisse
in
der
Nationalversammlung und deren Schließung entstand eine explosive Spannungslage, die sich
noch am Tage des Abbruchs der Nationalkonferenz in einer wüsten Gewaltwelle sowie
Plünderungen in Kinshasa und verschiedenen Provinzstädten entlud. 328
In
der
Folge
scheiterten
zwei
Versuche
eine
von
der
Opposition329
geführte
Übergangsregierung zu etablieren, die unter dem Druck der „Troika“ der Geberländer
(Belgien, USA, Frankreich) unternommen wurden. 330 Die Vorhaben scheiterten sowohl unter
Etienne Tshisekedi, dem Führer der populärsten Oppositionspartei UDPS, als auch unter dem
von Mobutu zum Regierungschef ernannten Nguz Karl-i-Bond von der UFERI (Union des
Fédéralistes et des Républicains Indépendants).
326
Stroux, 1996: S. 51.
Vgl. Kuhn, Berthold: Mehrparteiensystem und Opposition in Zaïre. Politischer Pluralismus in einer
afrikanischen Diktatur, Münster/ Hamburg 1992, S. 12.
328
Unklar ist, ob die Unruhen von Mobutu mit seiner Eliteeinheit oder von frustrierten meuternden Soldaten
ausgelöst wurden, deren Löhne ausstanden. Der Wirtschaft versetzten die Plünderungen beinahe den Todesstoß:
Vier Fünftel der 1991 noch im formellen Sektor Beschäftigten verloren durch die direkten und indirekten Folgen
der Plünderungen ihre Beschäftigung. (Vgl. Stroux, 1996: S. 52 und S. 86). Zwischen 1992 und 1994 schrumpfte
die Wirtschaft mit -7,4 bis -12,3%. Erst 1996 wuchs die Wirtschaft wieder mit 1,3%, jedoch stützte sich die
zairische Ökonomie zu diesem Zeitpunkt zu etwa 80% auf den informellen Sektor. (Vgl. Stroux, 1997: S. 19).
329
Die Opposition hatte sich bereits im Juli 1991 zur „Union Sacrée“ zusammengeschlossen und vereinigte
bereits über 150 Parteien und gesellschaftliche Gruppen aus der Zivilgesellschaft. (Vgl. Stroux, 1996: S. 53).
330
Vgl. Stroux, 1996: S. 53.
327
79
Am 16. Februar 1992 kam es auf Grund der erneuten Aussetzung der Nationalkonferenz, die
am 11. Dezember 1991 wieder aufgenommen worden war, zur größten Demonstration in
Kinshasa, dem „Marsch der Christen“, an dem sich ca. 100.000 Menschen beteiligten. Die
Eliteeinheit Mobutus löste die Demonstration gewaltsam auf und tötete dabei mindestens 13
Menschen, was in Zaire und international heftige Proteste hervorrief. 331
Der öffentliche Widerstand führte jedoch dazu, dass die Nationalkonferenz am 4. April 1992
von ihrem neuen Vorsitzenden Mosengwo Pasinia wiedereröffnet wurde. 332 Das Gremium
erklärte sich zum Souverän und ging von April bis Dezember 1992 seiner eigentlichen
Bestimmung nach: 23 Kommissionen diskutierten u.a. über eine neue Verfassung, den Plan
für die Transition und Wahlen sowie eine neue Wirtschaftsordnung. Zum ersten Mal wurde
mit Etienne Tshisekedi ein Premierminister nicht von Mobutu bestimmt, sondern von der
Nationalkonferenz gewählt. Mobutu musste ihn unter dem Druck der Bevölkerung und der
internationalen Gemeinschaft bestätigen. Weiterhin beschloss die Nationalkonferenz die
Neuordnung Zaires im Rahmen eines föderalen Staates und einen Plan für ein
Verfassungsreferendum und demokratische Wahlen.
Die Restauration des autoritären Regimes Mobutus kündigte sich allerdings schon wenige
Monate nach der Wiederaufnahme der Konferenz an: Die Abgeordneten der MPR verließen
nach der Bekanntgabe des Kabinetts durch den Premierminister Tshisekedi die Versammlung
und die Vertreter des Militärs boykottierten die Versammlung nachdem bekannt wurde, dass
sie in Zukunft weder ein aktives noch ein passives Wahlrecht zugesprochen bekommen
würden.
Mobutu
verhinderte
zudem
die
Verlesung
der
beiden
kritischsten
Kommissionsberichte, u.a. zu den politischen Morden seit der Unabhängigkeit und sabotierte
die weitere Durchführung der Konferenz.333
Vor ihrer Selbstauflösung auf Grund der massiven Behinderungen durch das Militär am 5.
Dezember 1992 wählte die Versammlung die Vertreter ihres Nachfolgegremiums, des
Übergangsparlamentes HCR (Haut Conseil de la République), das die Beschlüsse der
Nationalkonferenz umsetzen und die Transitionsregierung kontrollieren sollte.
331
Vgl. Stroux, 1997: S. 11.
Vgl. Stroux, 1996: S. 54.
333
Vgl. ebd. S. 55f.
332
80
7.1.4
Retardation I: Blockade und partielle Restauration der alten Machtstrukturen
7.1.4.1 Blockade der Demokratisierung und Restauration
Die Phase der eigentlichen Blockade des Demokratisierungsprozesses begann mit der
Absetzung der Regierung Tshisekedis durch Mobutu am 1. Dezember 1992. Neue, wieder von
Mobutu lancierte Plünderungen nahm das Regime zum Anlass, massiv gegen die Opposition
vorzugehen. 334
Im April 1993 verhinderte Mobutus Präsidialgarde endgültig die
Versammlungen des HCR. Er ernannte mit Faustin Birindwa einen Mitbegründer der UDPS
zum Regierungschef, was die radikale Opposition erheblich schwächte. Birindwa verfügte
wie auch Karl-i-Bond, den Mobutu zuvor kooptiert hatte, über eine große Gefolgschaft
innerhalb seiner Ethnie. Durch den Lagerwechsel der beiden ehemaligen Oppositionellen auf
die Seite Mobutus büßte die Union Sacrée ihre nationale Integrationsfähigkeit ein. 335
Im Jahr 1993 manifestierte sich der politische Stillstand mit der Verdopplung der
Institutionen: Der Regierung Birindwas stellte der HCR eine Gegenregierung unter
Tshisekedi gegenüber, die von der Gebergemeinschaft als einzig legitime Regierung
anerkannt und finanziert wurde 336 : So existierten parallel zwei Regierungen, zwei Parlamente
(neben dem HCR hatte Mobutu den Conseil Législatif, besetzt mit Mobutu-loyalen Personen,
wieder belebt), aber auch zwei Verfassungen und zwei Währungen. 337 Mobutu beendete die
politische Blockade, indem er am 14. Januar 1994 die Birindwa-Regierung, den HCR und die
Assemblée Nationale auflöste und so die konstituierende Sitzung des zuvor beschlossenen
HCR-PT (Haut Conseil de la République – Parlement de Transition) erzwang, der am 15.
Januar 1994 zum ersten Mal tagte. Der Rat stellte eine Fusion aus den beiden Gremien dar,
die Machtverhältnisse im HCR-PT hatten sich gegenüber seinem Vorgänger-Gremium
allerdings drastisch in Richtung Mobutu und der gemäßigten Opposition verschoben. 338
Am 9. April 1994 verabschiedete das Parlament die neue Übergangsverfassung, in der die
Beschlüsse der Nationalkonferenz festgeschrieben wurden, die dem Präsidenten aber nicht
334
Mobutu hatte die seit Monaten nicht bezahlten Soldaten im Januar 1993 mit einer 5-Millionen-ZaireBanknote ausgezahlt, die von der breiten Bevölkerung auf Initiative der Opposition nicht angenommen wurde,
worauf eine neue Plünderungswelle die Städte des Landes erfasste. Unter massiven Druck durch seine
Präsidialgarde forderte Mobutu den HCR in der Folge auf, einen anderen als Tshisekedi zum Premier zu
ernennen. Der HCR weigerte sich jedoch. (Vgl. Stroux, 1996: S. 57).
335
Vgl. Stroux, 1997: S. 12. Stroux weiter: „Die ‚Köderung’ eines Oppositionellen hatte zwei Effekte: Sie
fraktionierte die Opposition und führte zu einem Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust nach innen und
außen.“ (Ebd. S. 17). Diese Taktik Mobutus wirkte dementsprechend besonders destruktiv auf die Stärke und
Einheit der Opposition.
336
Vgl. Stroux, 1996: S. 58.
337
Vgl. ebd.
338
Die Mobutu-Fraktion verfügte über die absolute Mehrheit im HCR-PT. (Vgl. Stroux, 1997: S. 18).
81
mehr nur repräsentative Funktionen zuschrieb, sondern ihm auch die Kontrolle über die
Außenpolitik und die bewaffneten Kräfte gab. Dieser Zugang Mobutus zu Militär und
Sicherheitsdiensten stellte die Konsolidierung des Übergangssystems von vornherein in
Frage. Leon Kengo-wa-Dondo vom moderaten Flügel der Opposition wurde unter Duldung
der Gebergemeinschaft zum Premierminister gewählt und die Hälfte des Kabinetts mit
Mobutu-Getreuen besetzt. 339
Der HCR-PT verlängerte am 9. Juli 1995 die Transitionsphase und verschob die geplanten
Wahlen um zwei Jahre, übernahm jedoch langsam seine verfassungsmäßigen Aufgaben.
Allerdings wurde der blockierende Einfluss des Regimes auf die Transitionsgremien durch die
enorme Langsamkeit und teilweise Verhinderung der Entscheidungsprozesse deutlich. Der
Regime-Terror gegen die demokratischen Kräfte hielt unterdessen unvermindert an, da die
bewaffneten Kräfte, wie erwähnt, immer noch unter Mobutus Kommando standen. Einen
Höhepunkt erreichten die Repressionen am 29. Juli 1995, als die Garde Civile des Präsidenten
eine Demonstration der PALU (Parti Lumumbiste Unifié), die zu einer Kundgebung „gegen
die Diktatur Mobutus“ aufgerufen hatte, gewaltsam auflöste und dabei 14 Menschen tötete. 340
„Die Übergangsverfassung von 1994 führte den Kongo nicht in die ‚Dritte Republik’“ 341 und
die
Regierung
Kengo-wa-Dondos
war
nicht
in
der
Lage,
die
Blockade
des
Demokratisierungsprozesses durch das Regime Mobutus effektiv zu durchbrechen: Die für
Juli 1997 angekündigten Wahlen konnten nicht stattfinden. Im Mai 1997 beendete der
Eroberungszug der AFDL (Alliance des Forces Démocratiques pour la Libération du CongoZaire) unter L.-D. Kabila abrupt Mobutus Diktatur. Der Ex-Diktator erlag drei Monate nach
der Machtübernahme durch die AFDL im marokkanischen Exil einem Krebsleiden.
7.1.4.2 Ursachen für die blockierte Demokratisierung
Die Ursachen für die blockierte Demokratisierung zwischen den Jahren 1990 und 1996 finden
sich in einem ganzen Bündel von Faktoren, die, wie eingangs erwähnt, mehrheitlich auf der
Akteursebene zu suchen sind. Im ganzen Umfang können und sollen sie hier jedoch nicht
aufgeführt werden. Anstelle dessen werden nachfolgend kurz die Hauptbefunde
zusammengefasst.
339
Vgl. Claasen, Heimo: Mob-Hutu – ein nützlicher Diktator, in: Afrika Süd, (September-Oktober 1994) 5, S.
15-17, S. 17 und Stroux, 1996: S. 60ff.
340
Vgl. ebd. S. 63.
341
Matthiesen, 2005: S. 128.
82
Aus Sicht der akteursorientierten Transitionsforschung sind, wie bereits oben erwähnt, die
Spaltung der herrschenden Elite in Reformwillige (softliner) und Reformgegner (hardliner)
und die damit mögliche Kooperation zwischen Reformbefürwortern des Regimes und der
politischen Opposition elementare Voraussetzungen für einen Systemwechsel. Die
vorliegenden Analysen des Demokratisierungsprozesses unter Mobutu stellen einvernehmlich
fest, dass es zu einer derartigen Kooperation in Zaire nicht kommen konnte 342 , womit „eine
zentrale Grundvoraussetzung für Demokratisierung nicht erfüllt“ 343 wurde. In erster Linie
waren dafür die speziellen Eigenschaften des neopatrimonialen Systems Mobutus
verantwortlich: Die „Kohäsion der relativ kleinen zairischen Staatsklasse“ 344 und die
beschriebenen Herrschaftstechniken Mobutus verhinderten die Spaltung der herrschenden
Elite: Innerhalb des Regimes gab es „keine einflussreichen Softliner, die den
Transitionsprozess ernsthaft [hätten] voranbringen“ 345 können.
Die „direkten Zugriffsmöglichkeiten auf die finanziellen Ressourcen des Staates und den
Repressionsapparat“ 346 , verschafften dem Regime erhebliche strukturelle Vorteile gegenüber
der Opposition. Diese konnte sich aus verschiedenen Gründen nicht zu einem dem Regime
ebenbürtigen Gegenspieler entwickeln: Sie scheiterte einerseits wegen ihrer großen
Heterogenität sowie Differenzen auf persönlicher, ethnischer und ideologischer Ebene, der
erfolgreichen Kooptations- und Spaltungsversuche Mobutus, der starken Repressionen durch
das nach wie vor mächtige Regime, einer oft mangelhaften Organisation, fehlender
Anbindung an soziale Gruppen und geringer finanzieller Möglichkeiten. 347 Andererseits
gaben
der
wirtschaftliche
Niedergang
und
die
allgemeine
Instabilität
schwere
Rahmenbedingungen vor, in denen Konfliktfähigkeit seitens der Opposition kaum aufzubauen
war. 348
Die Unterstützung des Demokratisierungsprozesses durch die Geberländer zeigte sich zudem
als wenig hilfreich, denn für einen Machtwechsel reichte ihr Einfluss nicht aus: „Die Politik
der Troika scheiterte letztlich an ihrem zögernden Verhalten, einer fehlenden Strategie,
divergierenden Interessen und einem unzureichenden Sanktionspotential“ 349 . Militärische
Interventionen kamen vor dem Hintergrund der Ereignisse in Somalia und Rwanda überhaupt
342
Vgl. Stroux 1996, Stroux 1997 und Schmidt 1998.
Schmidt, 1998: S. 233.
344
Ebd.
345
Stroux, 1996: S. 100.
346
Schmidt, 1998: S. 231.
347
Vgl. ebd.
348
Vgl. ebd.
349
Ebd. S. 232.
343
83
nicht als Option in Frage, während sich Mobutu bis Ende 1996 wieder als Garant für Stabilität
und als Alternative zum „völligen Chaos in Zaire“ 350 präsentieren konnte.
Zusammengefasst ist der blockierte Demokratisierungsprozess des mobutistischen Zaire also
zuvorderst das Ergebnis „der erfolgreichen Herrschaftsstrategie Mobutus“, die ihren Erfolg
„erstens den vorgegebenen Strukturen des neopatrimonialen Systems und zweitens der
Unfähigkeit der Opposition“ 351 mit ihren einerseits „’hausgemachten’ Schwächen“ und der
starken Fraktionierung durch Mobutus erfolgreiche „divide et impera-Politik“ 352 verdankte.
7.1.5
Sturz des Mobutu-Regimes
Im Jahr 1997 war es Mobutu sieben Jahre lang gelungen, das instabile Zaire mit den zuvor
beschriebenen Techniken in einem – wenngleich labilen – Gleichgewicht zu halten und
kurzfristig sein politisches Überleben zu sichern. Den Samen, aus dem mittelfristig aber der
Krieg erwuchs, der ihn nach 32 Jahren doch endgültig die Macht kosten sollte, hatte er jedoch
bereits Jahre zuvor ausgebracht, mindestens aber durch Duldung zur Rebellion heranwachsen
lassen.
Ein bisher nur beiläufig erwähnter taktischer Zug, mit dem Mobutu seinen Einfluss zwischen
1990 und 1996 trotz der nicht vorhandenen Legitimität seines Herrschaftssystems durch die
nicht erbrachten Systemleistungen zu erhalten versuchte, war das Schüren bereits
bestehender, zumeist ethnischer Konflikte, um diese für seine Zwecke zu nutzen „und
Machtzentren außerhalb seiner Kontrolle einschließlich informeller und krimineller
gegeneinander auszuspielen“ 353 , um so seine eigenen politischen Gegner zu schwächen. 354
Die Kivu-Provinzen sind, wie oben erwähnt, seit jeher Ausgangspunkt aller bewaffneten
Konflikte im Kongo gewesen. Auch der Krieg, der Mobutu aus dem Amt vertrieb, fand hier
im Jahr 1993 seinen Ursprung. Mit der Ernennung Birindwas, einem Angehörigen der
rwandischstämmigen Banyarwanda, zum Regierungschef kam es in deren Siedlungsgebiet im
Nord-Kivu zu heftigen Zusammenstößen zwischen den einheimischen Milizen der Nandeund Bahunde-Völker und den in ihren Augen unrechtmäßig im Kivu lebenden Banyarwanda
sowie zu systematischen Vertreibungen dieser Volksgruppe. 355 Der Konflikt wurde durch die
350
Ebd. S. 233.
Schmidt, 1998: S. 234.
352
Ebd. S. 231f.
353
Ludermann, 2004b: S. 75.
354
Vgl. ebd. S. 75f.
355
Vgl. Johnson, 2004a: S. 80. Bereits nach der Wahl Tshisekedis zum Premierminister durch die
Nationalkonferenz kam es 1992/1993 zu sehr ähnlichen Vertreibungen von Angehörigen der Volksgruppe
Thisekedis, den Baluba, aus Shaba, dem heutigen Katanga. (Vgl. Stroux, 1997: S. 20f.).
351
84
lokalen Behörden am Leben gehalten und geschürt. 356 Ende 1993 wurde vorerst ein formaler
Friedensschluss zwischen den Konfliktgruppen erreicht.
Durch die Flüchtlingsproblematik in der Folge des Genozids in Rwanda 1994 brach das
fragile, 1993 erreichte Gleichgewicht zwischen den Ethnien jedoch zusammen und der
Konflikt wurde „unter anderen Vorzeichen reaktiviert“357 . Die Hutu-Flüchtlinge versuchten
zwischen 1995-1996 im Nord-Kivu ein „Hutu-Land“ zu schaffen: Vor allem die rwandische
Hutu-Miliz Interahamwe brachte neben Massen von Waffen auch den Hass auf die Tutsi mit
nach Kivu und führte ihren Kampf hier weiter. Mobutu kam dieser Konflikt gelegen, denn er
spaltete die Oppositionshochburg Kivu und so schritt er nur zögernd ein bzw. sorgte durch
Einsätze seiner Eliteeinheiten noch für eine Zuspitzung des Konflikts. Seine Machtposition
konnte Mobutu auf diese Weise zwar sichern, er zerstörte damit aber auch den
gesellschaftlichen Zusammenhalt und trieb den Staatszerfall weiter voran.
Als die Regierung Kengo-wa-Dondo 1995 beschloss, die rwandischen Flüchtlinge
auszuweisen, führte die anschließende Flucht der Hutu ins Landesinnere zu einer drastischen
Verschärfung des Konflikts. Zwei Monate später begannen die Hutu gemäß dem Plan vom
„Hutu-Land“ die autochthonen Tutsi zu vertreiben. 358 Auch der Süd-Kivu wurde von einem
ganz ähnlichen Konflikt erschüttert: Hier führte der tief sitzende Rassismus zwischen den
Autochthonen und den Tutsi der Banyamulenge zum Ausbruch des Bürgerkrieges.359
Rwanda betrachtete die Festsetzung der Hutu-Milizen und der Ex-Soldaten der rwandischen
Hutu-Armee im Nachbarland als Bedrohung, die die Hutu-Flüchtlingslager als menschliche
Schutzschilde benutzten und dort ihre Angriffe auf Tutsi in Rwanda vorbereiteten. Ebenso
empfanden die Tutsi-dominierten Regierungen in Burundi und Uganda, die sich ebenfalls von
den Hutu-Kämpfern in Zaire bedroht sahen: Die logische Folge war die finanzielle,
logistische und militärische Unterstützung der Nachbarländer Rwandas, Burundis, Ugandas
und Simbabwes für die Rebellion der AFDL Kabilas, die von Oktober 1996 bis Mai 1997
vom Osten des Landes bis Kinshasa durchmarschierte und die Diktatur Mobutus beendete.
Die Hauptstadt wurde schließlich am 17. Mai 1997 kampflos von der zairischen Armee an die
AFDL übergeben, ohne dass es zu dem von vielen befürchteten Blutbad kam. 360
356
Vgl. Stroux, 1997: S. 23.
Ebd.
358
Vgl. ebd. S. 25.
359
Vgl. ebd. S. 27f.
360
Vgl. Johnson, 2004a: S. 83.
357
85
7.1.6
Retardation II: Der Rückfall zur autoritären Herrschaft unter L.-D. Kabila und der
„erste afrikanische Weltkrieg“
7.1.6.1 Machtrausch statt Demokratisierung: Politische Kontrolle kompensiert fehlende
Legitimität
Mit der Machtübernahme Kabilas verbanden sich im In- und Ausland für den demokratischen
Aufbruch große Hoffnungen: „Alle Welt hoffte, nun könne der Kongo wie ein Phönix aus der
Asche steigen.“ 361 Kabila versprach die Wiederaufnahme des Demokratisierungsprozesses
und die Durchführung von Wahlen binnen zwei Jahren.
Die Erwartungen an den neuen Machthaber wurden jedoch herb enttäuscht. Er gab dem Land
zwar seinen alten Namen „Demokratische Republik Kongo“ zurück, errichtete jedoch anstelle
einer breiten Regierung der Einheit eine personalisierte Willkürherrschaft und machte die DR
Kongo zu einem „no-party state“ 362 . 1997 erklärte er sich zum Präsidenten, konzentrierte die
gesamte exekutive, legislative und militärische Macht in seiner Hand und regierte fortan per
Dekret. 363
Die zivile Opposition fand sich in der neuen Regierung ebenso wenig wieder wie die Partner
aus der ADFL, der früheren Rebellenallianz Kabilas, die wenig später offiziell für aufgelöst
erklärt wurde. Stattdessen setzte Rwanda durch, dass viele Schlüsselpositionen im Kabinett
Kabilas mit kongolesischen Tutsi (Banyamulenge) besetzt wurden, um so rwandischen
Einfluss auf die Regierung auszuüben. 364 Rwandas Ziel war die Zerstörung der HutuFlüchtlingslager im Osten des Landes: Die in Milizen organisierten Bewohner der Lager und
deren Angriffe stellten immer noch eine Bedrohung für die Nachbarländer dar. 365
Kabila bediente sich in der Folge der gleichen Methoden, die Mobutu seit Ende der 60er Jahre
benutzt hatte, um die Opposition aus der Regierung auszuschließen. Politische Parteien
wurden von ihm verboten, ihre Anführer inhaftiert, Menschenrechte verletzt und Praktiken
der Ämterbesetzung etabliert, die stark Mobutus Klientelismus ähnelten: Kabilas Nepotismus
361
Ebd.
International Crisis Group (ICG) (Hrsg.): Scramble for the Congo. Anatomy of an Ugly War, ICG Africa
Report No. 26, Nairobi/ Brussels, 20 December 2000, S. 42.
Politische Parteien waren offiziell zwar nicht verboten, jedoch wurde ihnen ein restriktives Zulassungsverfahren
auferlegt, das in der Praxis nahezu alle Parteien von einer Zulassung ausschloss. (Vgl. ebd.).
363
Vgl. Otemikongo Mandefu Y., Jean: La transition démocratique à l’épreuve des faits en République
Démocratique du Congo, in: Congo-Afrique, Jg. 40 (April 2000) 344, S. 220-241, S. 236ff.
364
Vgl. Matthiesen, 2005: S. 39.
365
Vgl. ebd.
362
86
übertraf sogar noch jenen Mobutus. 366 Er stützte sich jedoch auf eine kleinere, enger
verknüpfte Gruppe interner Unterstützer, die von seinen Zuwendungen profitierten.
Schnell wuchs die Zahl derer, die von Kabilas gebrochenen Versprechen enttäuscht waren. Er
war hingegen eher daran interessiert, alten Zusagen aus Kriegszeiten nachzukommen und
Schulden aus jener Zeit abzutragen, als das Land aus der Krise zu führen. 367 Seine Herrschaft
stützte sich weitgehend auf die Verbündeten im Ausland, für die er jedoch nur solange tragbar
blieb, wie er für sie nützlich war und die Kosten um ihn abzustoßen größer eingeschätzt
wurden, als die Vorteile, die er ihnen brachte. 368 Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung, die
Blockade des Demokratisierungsprozesses und die Behinderung einer geplanten UNUntersuchungskommission zu von Rwanda durchgeführten Kriegszügen gegen die HutuFlüchtlinge im Ostkongo 1996/1997 führten zu einer zunehmenden nationalen und
internationalen Isolation Kabilas. 369
7.1.6.2 L.-D. Kabilas Legitimationsversuche
Seine Herrschaftslegitimation zog Kabila ausschließlich aus seiner Rolle als Befreier vom
Mobutu-Regime. Er schaffte es in den Jahren seiner Herrschaft nicht, eine politische Partei
aufzubauen, die ihm Rückhalt hätte geben und zur Mobilisierung der bestehenden
Organisationen der Zivilgesellschaft hätte beitragen können. 370 Die Versuche, die
Bevölkerung mit den eigens gegründeten CPP (Comités de Pouvoir Populaire) hinter sich zu
bringen, scheiterten auf ganzer Linie, und so blieb Kabilas Machtbasis von Anfang an
schwach. 371 Die CPP stellten vielmehr Institutionen zur Kontrolle der politischen Opposition
dar. 372
Wie schon das mobutistische Regime zeigte sich auch das Herrschaftssystem Kabilas außer
Stande, die entscheidenden Problemlösungskapazitäten aufzubauen, um die Systemkrise zu
überwinden: Der in der Folge zunehmende Widerstand der Bevölkerung gegen die
personalisierte Herrschaft und die sich immer noch rapide zuspitzende ökonomische Krise
durch die völlig verfehlte Wirtschaftspolitik der Regierung zwangen auch Kabila 1998 zum
366
Vgl. Gondola, Ch. Didier: The History of Congo, Westport/ London 2002: S. 164ff.
Vgl. Johnson, 2004a: S. 83.
368
Vgl. ICG, 2000: S. 40.
369
Vgl. Matthiesen, 2005: S. 130.
370
Vgl. International Crisis Group (ICG) (Hrsg.): How Kabila Lost His Way. The Performance of LaurentDésiré Kabila’s government, Background Paper, ICG Democratic Republic of Congo Report No. 3, 21 May
1999, S. 23.
371
Vgl. ICG, 2000: S. 42.
372
Vgl. International Crisis Group (ICG) Hrsg.): From Kabila to Kabila. Prospects for Peace in the Congo, ICG
Africa Report No. 27, Nairobi/ Brussels, 16 March 2001a, S. 18.
367
87
Einlenken. 373 Er versuchte nun mit der Opposition zu kooperieren: Von einer durch den
Präsidenten einberufenen Kommission wurden ein Verfassungsentwurf und ein Zeitplan für
politische Reformen entwickelt.374 Die Verfassung sollte im Dezember 1998 durch eine
Volksabstimmung legitimiert werden. Geplant waren auch die für das Referendum
notwendige Volkszählung und die damit verbundene Klärung der Frage nach der
Staatsangehörigkeit der Banyamulenge. 375 Als Staatsform wurde ein am Präsidialsystem der
USA orientiertes System angedacht, in dem der Präsident mit einem Vizepräsident für fünf
Jahre regieren sollte, ergänzt durch ein Parlament mit legislativer Kompetenz und
„weitreichenden Kontrollbefugnissen über die Exekutive“ 376 . Ein Gründungsparlament, die
ACL-PT (Assemblée Constituante et Législative – Parlement de Transition) wurde im August
2000 in Lubumbashi eingesetzt, dessen 300 Parlamentarier ohne Wahl von Kabila ernannt
worden waren, womit jedoch die Versuche Kabilas, seine Herrschaft zu legitimieren schon ihr
Ende fanden. 377
Obgleich die Regierungsarbeit für die Bevölkerung hoffnungsvoll begann, wurden die
Vorhaben nicht umgesetzt. Kabilas Regierung „fehlte[…] eine langfristige Planung und eine
Vision, Gesetze wurden willkürlich geändert, Minister wie Schachfiguren ausgetauscht.“ 378
Trotz
der
Freilassung
mehrerer
prominenter
Oppositioneller
während
der
Friedensverhandlungen blieb das Regime bei einer harten Linie gegenüber der Opposition.379
Die latente Schwäche des Systems, vergebliche Versuche der Regime-Konsolidierung und die
katastrophale ökonomische Situation sowie das Aufbegehren der Bevölkerung suchte Kabila
wie auch sein Vorgänger in den folgenden Jahren mit verstärkter Repression zu
kompensieren. 380 Die Opposition blieb innerlich trotz gemeinsamer Ziele auf Grund
persönlichen Zwistes ihrer Anführer gespalten und zu wenig organisiertem Widerstand
fähig. 381
373
Vgl. ebd. S. 41.
Vgl. Matthiesen, 2005: S. 40.
375
Ein vereinfachtes und schnelleres Verfahren zum Erwerb der Staatsbürgerschaft wurde von der
Verfassungskommission erwägt. (Vgl. ebd.).
376
Ebd. S. 41.
377
Vgl. ICG, 2000: S. 42.
378
Matthiesen , 2005: S. 41.
379
Vgl. Stroux, 2000: S. 201.
380
Vgl. Tull, Denis: Demokratische Republik Kongo, Länderbeitrag, in: Hofmeier, Rolf/ Jakobeit, Cord: Afrika
Jahrbuch 2000. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Afrika südlich der Sahara, Opladen 2001, S. 190-205, S.
191.
381
Vgl. Stroux, 2000: S. 201.
374
88
7.1.6.3 Der „erste afrikanische Weltkrieg“ 382
Der Ausbruch des zweiten Kongo-Krieges im August 1998 im Süd-Kivu nahm schließlich
einem politischen Wandel jede Chance. Kabila hatte sich immer weiter von Uganda und
Rwanda entfernt, u.a. dadurch, dass er die Lage im Osten des Landes nicht in den Griff
bekam. 383 Mit der Ausweisung der rwandischen Armee durch Kabila und dem endgültigen
Bruch mit seinen ehemaligen Verbündeten begann der Krieg, an dem schließlich mindestens
sieben verschiedene afrikanische Staaten beteiligt waren. Die genaue Zahl der Länder, deren
Truppen gegeneinander kämpften und der Rebellengruppen, die gegen Kabila kämpften und
sich auch untereinander bekriegten, ist unbekannt. 384
Der „erste afrikanische Weltkrieg“ entwickelte sich zu einer sehr komplexen „Verschränkung
dreier verschiedener Konfliktarten“ 385 : Erstens, den Auseinandersetzungen zwischen der
Zentralregierung und den gegnerischen Rebellengruppen, die Kabila stürzen wollten;
zweitens, Konflikten zwischen kongolesischen Volksgruppen, die „in teils politisch induzierte
ethnische Auseinandersetzungen“ 386 mündeten und drittens, fremden Bürgerkriegen der
Nachbarstaaten Angola, Rwanda, Uganda und Burundi, die auf kongolesischem Gebiet
ausgetragen wurden und sich so zum „Stellvertreterkrieg zwischen verfeindeten ausländischen
Armeen“ 387 mit immer unklareren Frontlinien entwickelten. In diesem Krieg standen sich im
Wesentlichen die Armee der DR Kongo, die von Zimbabwe, Angola und Namibia unterstützt
wurde und die von Rwanda, Uganda und Burundi gestützten Rebellen der RCD, deren
Abspaltung RCD-ML sowie der MLC gegenüber. Zumeist wurden die militärischen
Operationen der Nachbarländer mit anfänglich sicher gerechtfertigten Sicherheitsargumenten
begründet. Immer mehr erwiesen sich diese jedoch als Vorwand zur Ausbeutung des
rohstoffreichen Ostens des Kongo. 388
382
CNN, 2000.
Kabila traf außerdem die weitreichende Entscheidung, den Kongo der Southern Africa Development
Community (SADC) beitreten zu lassen und stieß seine Nachbarn so vor den Kopf. Unter Kabila hatten sich die
Hutu-Milizen im Osten des Kongo zudem schnell wieder formiert, fielen nach Rwanda ein und verübten 1997
und 1998 „einige ihrer blutigsten Massaker“. (Johnson, 2004a: S. 85).
384
Vgl. Matthiesen, 2005: S. 42.
385
Tull, 2000: S. 197.
386
Ebd.
387
Johnson, 2004a: S. 86.
388
Vgl. u.a. International Crisis Group (ICG) (Hrsg.): Congo at War. A Briefing on the Internal an External
Players in the Central African Conflict, ICG Congo Report No. 2, 17 November 1998, S. 14ff.
Die Ausbeutung der Rohstoffvorkommen durch die Nachbarländer wurde 2001 durch eine UNUntersuchungskommission offiziell bestätigt. (Vgl.: United Nations Security Concil (Hrsg.): Report of the Panel
of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Ressources and other Forms of Wealth of the Democratic
Republic of the Congo, New York 2001).
383
89
Parallel zu diesem „großen“ Krieg wüteten vor allem in den Bergbauregionen unzählige,
miteinander verschränkte „kleine“ Kriege niedriger Intensität, die zumeist auf ethnischer
Ebene begannen, vielfach bewusst und vorsätzlich geschürt wurden und sich in vielen Fällen
schließlich zum Selbstzweck entwickelten. Im Norden Katangas, in Maniema, Süd- und
Nord-Kivu und im Ituri führten diese Kriege zwischen Hutu und Tutsi, Hema und Lendu
sowie verschiedenen anderen Ethnien zur Vernichtung ganzer Dörfer, zu Vertreibungen,
Massenmorden und unübersehbar vielen Opfern. Einhergehend entwickelten sich in den
Krisengebieten ob der fehlenden ordnenden Staatsgewalt Warlord-Strukturen, die sich durch
die Ausplünderung der Rohstoffvorkommen unter Anbindung an weltweite informelle
Vertriebsnetzwerke finanzierten und teilweise bis heute bestehen.
Ausgangspunkt der Interventionen der ausländischen Armeen und des fortlaufenden Zerfalls
des Landes war jedoch nicht der Krieg an sich, sondern innenpolitische Fehlentwicklungen
seit Ende des Mobutu-Regimes: Die fortlaufende „Sabotage der Demokratisierung und das
bewusste Schüren ethnischer und regionaler Spannungen.“ 389
Am 16. Januar 2001 wurde L.-D. Kabila unter bis heute nicht gänzlich geklärten Umständen
erschossen. Für den Kongo bedeutete dies eine neue Chance, war Kabila doch derjenige, der
den Friedens- und Demokratisierungsprozess in den vergangenen Jahren am stärksten
behinderte. Bereits am 17. Januar 2001 übertrug die Regierung die Amtsgeschäfte auf seinen
wahrscheinlichen Sohn Joseph Kabila der wenig später aus seinem Exil in Simbabwe
eingeflogen wurde und am 26. Januar 2001 als der Welt jüngster Präsident eines Staates im
Alter von 29 Jahren seinen Amtseid ablegte. Die Mitglieder von L.-D. Kabilas Regierung
hatten sich schnell auf ihn als Nachfolger geeinigt, da er von allen Seiten akzeptiert wurde
und so ein Machtvakuum verhindert werden konnte.
Bereits kurz nach der Amtsübernahme und noch bevor die Friedensverhandlungen angelaufen
waren, überraschte Joseph Kabila mit einem Bündel von Reformen, einerseits
personalpolitischer andererseits wirtschaftspolitischer Natur: So entließ er die Hardliner des
Vorgängerregimes, versuchte dem Nepotismus ein Ende zu setzen und ließ nach anfänglich
fortgeführtem Parteienverbot und dem Verbot politischer Opposition wieder Parteien zu. 390
Wirtschaftspolitisch setzte Kabila mit seinem Reformkurs alles daran, Wachstum und
Währung zu stabilisieren und öffnete die DR Kongo für die freie Marktwirtschaft. IWF und
Weltbank stellten daraufhin die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit in Aussicht.391
389
Johnson, 2004a: S. 95.
Vgl. Matthiesen, 2005: S. 67.
391
Vgl. ebd. S. 67f.
390
90
7.2 Die Einleitung der Transitionsphase unter Joseph Kabila
Der Demokratisierungsprozess in der DR Kongo befand sich etwa elf Jahre nach der
Liberalisierung durch Mobutu immer noch in der ersten Phase des dreistufigen
Systemwechsels 392 , denn die erfolgreiche Transition, also der tatsächliche Übergang der
Herrschaftsstrukturen von autoritärer, personalisierter Machtausübung zu demokratischen
Strukturen und Verfahrensweisen, als entscheidender Schritt zum Übergang zur
Institutionalisierung der Demokratie, hatte bisher nicht stattgefunden bzw. konnte nicht
erfolgreich eingeleitet werden. Stattdessen war der Staat zerfallen und zum failed state
geworden: Das Land war in vier verschiedene Einflusszonen zerrissen und zwei Drittel des
Kongo standen nicht mehr unter Regierungskontrolle, sondern waren von den verschiedenen
Rebellenorganisationen besetzt. Das staatliche Gewaltmonopol war fragmentiert worden und
zwischen „Rebellenfraktionen, Einheiten rwandischer, burundischer und ugandischer Armeen
und der kongolesischen Regierung aufgeteilt.“ 393
Mit der Amtseinsetzung des jungen Kabila kam der seit der Liberalisierung unter Mobutu
1990 substantiell nicht vorangekommene Systemwechselprozess nun wieder in Bewegung.
Die größten Probleme für ein Weiterführen des Prozesses stellten der Stillstand der
Friedensverhandlungen und die Wiedervereinigung des Kongo dar. Überraschend setzte der
noch sehr junge und politisch unerfahrene Kabila genau hier neue Impulse, revidierte
Positionen seines Amtsvorgängers und zeigte sich auf der diplomatischen Bühne gewandt und
verhandlungsbereit, weil er erkannt hatte, dass seine Präsidentschaft von äußerer
Unterstützung abhing. 394 Der Westen war ihm unter anderem wohl gesonnen, weil er nach der
Kündigung aller Bergbauverträge mit US-Unternehmen durch seinen Vater den Markt wieder
für Investoren öffnete und mit sich über eine Neuregelung der Schürfrechte reden ließ. Sein
Amt hingegen war Joseph Kabila bei aller Gesprächsbereitschaft in Wirtschaftsfragen nicht
bereit, zur Disposition zu stellen. 395
392
Vgl. Abb. 2: Systemwechsel – Vom autokratischen System zur Demokratie, S. 41.
Matthiesen, 2005: S. 66.
394
Vgl. ICG, 2001a: S. 12ff.
Die Unterstützung westlicher Regierungen und Geberinstitutionen für Kabila, weil er aus ihrer Sicht der
berechenbarste Akteur unter den politischen und militärischen Kräften war, stellte eine wichtige Säule seiner
Machtstellung dar. (Vgl. Tull, Denis M.: Demokratische Republik Kongo, Länderbeitrag, in: Hofmeier, Rolf/
Mehler, Andreas: Afrika Jahrbuch 2003. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Afrika südlich der Sahara,
Wiesbaden 2004, S. 183-196, S. 183).
395
Vgl.: Tull, Denis: Demokratische Republik Kongo, Länderbeitrag, in: Hofmeier, Rolf/ Mehler, Andreas:
Afrika Jahrbuch 2001. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Afrika südlich der Sahara, Opladen 2002, S. 195210, S. 201.
393
91
7.2.1
Der schleppende Friedensprozess als Grundlage für die Transition
Noch unter L.-D. Kabila kam es nach langen intensiven Verhandlungen unter Vermittlung
von Sambia, der OAU (Organisation of African Unity, Vorgängerorganisation der AU) und
der SADC (Southern African Development Community) am 19. Juli 1999 trotz der großen
Interessendifferenzen zum Abschluss des Friedensabkommens von Lusaka, nachdem der
internationale Druck auf die Kriegsparteien, endlich ein Friedensabkommen zustande zu
bringen, stark zugenommen hatte. 396 In dem von allen Beteiligten unterzeichneten
Abkommen wurden unter anderem ein detaillierter Waffenstillstandsplan sowie Pläne für die
Befriedung der Region beschlossen. Eine UN-Blauhelmtruppe wurde eingeladen, eine
Militärkommission sollte Pläne für die Entwaffnung von Milizen und Rebellen erstellen und
der Abzug der ausländischen Truppen wurde angestrebt. Im Anschluss war ein politischer
Dialog, der Dialogue Intercongolais, zwischen allen am Konflikt beteiligten Parteien geplant,
der den Aufbau des gesamten kongolesischen Staatssystems
samt einer neuen
Übergangsverfassung und die Wiederaufnahme des Demokratisierungsprozesses zum Ziel
hatte. 397
So einmütig das Bild auch wirkte, das im Lusaka-Abkommen gezeichnet wurde: Die Realität
wurde ihm ganz und gar nicht gerecht. L.-D. Kabila hatte es zwar unterzeichnet, setzte nun
aber alles daran, seine Umsetzung zu verhindern. 398 Er lehnte die Stationierung der UNMission ab, von der bislang nur ein Beobachterkontingent von 500 Mann im Kongo war,
boykottierte den im Lusaka-Abkommen vereinbarten innerkongolesischen Dialog und
unterdrückte eine öffentliche Debatte und somit eine politische Lösung der Krise: Er erklärte,
„der Krieg verhindere die Demokratie.“ 399 Mit verschiedenen Scheinmanövern, wie der
bereits erwähnten Konstituierung des Gründungsparlamentes ACL-PT und der späteren
Ablehnung des noch 1999 von allen Seiten akzeptierten Vermittlers Kitumere Masire von der
OAU torpedierte er den Lusaka-Prozess, dessen Umsetzung unter diesen Vorzeichen
unmöglich wurde. 400 Für alle Beteiligten stellte das Friedensabkommen dennoch einen
bedeutenden Referenzpunkt für die folgenden Jahre des Friedensprozesses dar.
396
Es ging einerseits um die Kontrolle der großen Rohstoffreichtümer, Rwanda wollte Schutz vor den
Übergriffen der Hutu-Milizen aus dem Ostkongo, die Rebellengruppen verlangten die Fortführung des
Demokratisierungsprozesses und Kabila wollte seine Machtposition nicht preisgeben. (Vgl. Matthiesen, 2005: S.
42).
397
Vgl. Gondola, 2002: S. 171.
398
Vgl. ebd.
399
Stroux, Daniel: Demokratische Republik Kongo, Länderbeitrag, in: Hofmeier, Rolf/ Jakobeit, Cord (Hrsg.):
Afrika Jahrbuch 1999. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Afrika südlich der Sahara, Opladen 2000, S. 199208, S. 200.
400
Vgl. Tull, 2001: S. 192f.
92
Der gewaltsame Tod Kabilas und die Amtsübernahme seines Sohnes brachte die unverhoffte
Wende im bis dahin blockierten Friedens- und Demokratisierungsprozess: Joseph Kabila
startete eine diplomatische Offensive und erkannte im Gegensatz zu seinem Vater das
Lusaka-Abkommen tatsächlich an. Er stimmte zunächst der Stationierung der bereits im
Februar 2000 vom Sicherheitsrat geschaffenen UN-Blauhelmtruppe MONUC (Mission de
l’Organisation des Nations Unies au Congo) ab März 2001 entlang der Waffenstillstandslinie
zu und engagierte sich mit dem von ihm als Vermittler anerkannten Masire bei den
Vorverhandlungen und Vorbereitungen des innerkongolesischen Dialogs. 401
Eine erste Verhandlungsrunde in Addis Abeba im Oktober 2001 scheiterte am Streit über
Verfahrensfragen. 402 Im März 2002 begann der Dialog dank der intensiven Bemühungen der
OAU, der SADC, vieler Staatsmänner und des diplomatischen Einsatzes von Südafrika. 403
Der zweite Anlauf zum innerkongolesischen Dialog im April 2002 in Sun City endete abrupt
und lediglich mit einem Separatabkommen zwischen Kabila und Bemba. Das Scheitern dieses
zweiten Versuchs war unter anderem darauf zurückzuführen, dass Joseph Kabila nicht über
sein Amt verhandeln wollte: Er wünschte sich eine längere Präsidentschaft über die Dauer der
Übergangsregierung hinaus, während, bis auf die MLC, alle an den Verhandlungen beteiligten
Rebellengruppen
nicht
einmal
dazu
bereit
waren,
ihn
als
Übergangspräsidenten
anzuerkennen. 404
Erste greifbare und notwendige Schritte im Friedensprozess stellten das Friedensabkommen
von Pretoria zwischen Rwanda und der DR Kongo vom 30. Juli 2002 und der Friedenschluss
von Luanda vom 6. September 2002 zwischen Uganda und der DR Kongo dar. In beiden
Abkommen wurde der Abzug der fremden Truppen von kongolesischem Gebiet beschlossen.
Gegenüber Rwanda verpflichtete sich Kabila zudem, die rwandischen Hutu-Milizen zu
entwaffnen. 405 Ende des Jahres 2002 waren die rwandischen Truppen unter massivem Druck
der USA abgezogen, der vollständige Rückzug der ugandischen Armee erfolgte erst im Mai
2003. 406
401
Vgl. Johnson, 2004a: S. 91. Die umfangreichen Vorverhandlungen fanden u.a. in Brüssel, Genf, Nairobi,
Abuja (Nigeria) und Gaberon (Botswana) statt. (Vgl. Matthiesen, 2005: S. 78).
402
Vgl. International Crisis Group (ICG) (Hrsg.): The Inter-Congolese Dialogue. Political Negotiation or Game
of Bluff?, ICG Africa Report No. 37, Brussels/ Nairobi/ Kinshasa, 16 November 2001b, S. 7ff.
403
Vgl. Matthiesen, 2005: S. 78.
404
Vgl. Tull, Denis M.: Demokratische Republik Kongo, Länderbeitrag, in: Hofmeier, Rolf/ Mehler, Andreas
(Hrsg.): Afrika Jahrbuch 2002. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Afrika südlich der Sahara, Opladen 2003a,
S. 209-222, S. 212.
405
Vgl. ebd. S. 213. Rwanda und Uganda waren während des Krieges bereits mehrfach mittels UN-Resolutionen
zum Truppenabzug aufgefordert worden, kamen dem aber erst mit den Abkommen von Pretoria und Luanda
nach. (Vgl. Matthiesen, 2005: S. 78).
406
Vgl. Tull, Denis M.: Neubeginn oder Illusion? Probleme und Chancen der politischen Transition in der DR
Kongo, in: Institut für Afrika-Kunde (Hrsg.): Afrika im Blickpunkt, Nr. 02/2003b, S. 2; unter:
<http://www.giga-hamburg.de/content/iaa/archiv/aib/AiB2-03.pdf> (05.05.2004).
93
Der Durchbruch gelang nach den im Herbst 2002 wieder aufgenommenen Verhandlungen in
Pretoria mit dem Accord Global et Inclusif zwischen den fünf Parteien des
innerkongolesischen Dialogs. Unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft und der
Vermittlung Thabo Mbekis und dem UN-Sondergesandten Moustapha Niasse einigten sich
Vertreter der Regierung, der RCD, der MLC, der Oppositionsparteien und der
Zivilgesellschaft nach vier Jahren Krieg und 18 Monate währenden Verhandlungen am 17.
Dezember 2002 auf vier zentrale Punkte 407 :
1. In der Übergangsphase bestehen die politischen Institutionen aus Regierung,
Parlament und Senat.
2. Nach zwei, spätestens aber drei Jahren werden freie und allgemeine Wahlen zum
Parlament und Präsidenten abgehalten.
3. Die bewaffneten Gruppen (auch die Kämpfer der anderen nicht am Dialog beteiligten
Rebellengruppen) fusionieren zu einer neuen nationalen Armee, der FARDC (Forces
Armées de la République Démocratique du Congo).
4. Die Übergangsregierung besteht aus Präsident Kabila und vier Vizepräsidenten (1+4),
davon je einer bestimmt von der Kabila-Regierung, der RCD, der MLC und den
Oppositionsparteien. Die 36 Minister- und 25 Vizeministerposten werden im
Wesentlichen unter den fünf beteiligten Parteien des innerkongolesischen Dialogs
aufgeteilt. 408
Am 1. und 2. April 2003 wurde die Vorlage des Accord Global et Inclusif und die neue
Übergangsverfassung von den Delegierten des innerkongolesischen Dialogs in Sun City
beschlossen.
7.2.2
Die Friedensmission MONUC der UN
Ab 2001 wurde der Friedensprozess vor Ort von der Friedensmission MONUC der Vereinten
Nationen begleitet. Bereits im Zuge der Lusaka-Friedensverhandlungen war vom UNSicherheitsrat 1999 eine Beobachtermission von 500 Mann beschlossen worden. In den
407
Interessant ist das Zustandekommen der Vereinbarung: Als die Delegation von Kinshasa nach Südafrika zu
den entscheidenden Verhandlungen aufbrach, säumten unzählige Menschen den Weg zum Flughafen und
machten „drastisch klar, dass sie vom Krieg genug hatten.“ Die Botschaft der Bevölkerung an die Delegierten
war deutlich: “Wenn ihr ohne Friedensvereinbarung zurückkommt, dann kommt besser gar nicht. Denn dann
werden wir Euch bei lebendigem Leib verbrennen.“ (Schilderung von Jean Luc Kuye, der zur Abordnung der
Zivilgesellschaft gehörte. Johnson, 2004a: S. 94). Die eigentliche Unterzeichnung des Kontraktes durch alle
Beteiligten kam erst durch den gewaltlosen, aber massiven Druck von Angehörigen einer Frauenorganisation aus
Kinshasa zustande, denen der UN-Sondergesandte Niasse Zugang zu den Verhandlungsräumen in Pretoria
verschafft hatte. (Vgl. ebd.).
408
Vgl. Tull, 2003a: S. 215.
94
Folgejahren wurde das Kontingent immer weiter aufgestockt und das Mandat ausgeweitet:
Am 24. Februar 2000 bewilligte der UN-Sicherheitsrat die Mission MONUC mit ca. 5.500
Mann und robustem Mandat, die in einer ersten Phase den Waffenstillstand sichern sollte. Die
Stationierung in der DR Kongo erfolgte auf Grund der fehlenden Kooperation L.-D. Kabilas
erst nach seinem Tod im Jahr 2001. In der zweiten Phase wurden von der MONUC der
Truppenrückzug, der Waffenstillstand und das Verbot von Waffenlieferungen überwacht. Mit
der dritten Phase, die immer noch andauert, begann der DDRRR-Prozess 409 bezüglich der
bewaffneten Rebellengruppen, in erster Linie der ALiR (Armée pour la Libération du
Rwanda)/ heute FDLR (Forces Démocratiques du Libération du Rwanda), zu der sich die
Interahamwe-Milizionäre und die ehemaligen Soldaten der rwandischen Hutu-Armee
zusammengeschlossen hatten. Der auf freiwilliger Basis angelegte Prozess entpuppte sich
jedoch als wie erwartet schwierig und sehr langwierig. 410 Im Zusammenhang mit dem
Anlaufen des DDRRR-Prozesses wurde die Truppenstärke der MONUC am 28. Juli 2003,
kurz nach der Bildung der Übergangsregierung, auf 10.800 Mann erhöht was sie zur teuersten
Friedensmission der UN werden ließ. In der vierten Phase war es die Aufgabe der MONUC,
die DR Kongo während des Transitionsprozesses zu unterstützen und sie friedlich zu freien
Wahlen zu führen. Die Mission wurde in diesem Zusammenhang auf derzeit ca. 16.600 Mann
erweitert. 411 In diesem Kontext stand auch das unter der Leitung der MONUC stehende CIAT
(Comité International d’Assistance à la Transition), mit dem die internationale Gemeinschaft
die Regierung im Demokratisierungsprozess unterstützte: Ihm gehörten neben den fünf
ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats unter anderem auch Belgien, Südafrika,
Angola, Kanada, Sambia, Nigeria und die jeweilige EU-Präsidentschaft mitsamt der EUKommission an. 412
Neben der UNO hat auch die Europäische Union Truppen in die DR Kongo entsandt:
Nachdem bereits 2003 im Rahmen der Operation „Artemis“ französische Soldaten der
409
DDRRR = Disarmament, Demobilisation, Repatriation, Reintegration, Resettlement. Der Prozess beinhaltet
demzufolge die Entwaffnung der Kämpfer, ihre Demobilisierung, gegebenenfalls die Rückführung in die
Herkunftsländer, Reintegration und Wiederansiedlung. Für kongolesische Milizionäre beschränkt sich dieser
Vorgang naturgemäß auf DDR (Disarmament, Demobilisation, Reintegration).
410
Besonders problematisch erwies sich die immer noch unbeantwortete Frage, wie mit den Verantwortlichen
des Genozids in Rwanda umzugehen sei, da diese die bedeutenden Führungskräfte der ALiR/FDLR bildeten
bzw. bilden. (Vgl. International Crisis Group (ICG) (Hrsg.): Disarmament in the Congo: Jump-Starting DDRRR
to Prevent Further War, ICG Africa Report No. 38, Nairobi/ Brussels, 14 December 2001c, S. 4ff.).
411
Vgl. Angaben der MONUC; unter: <http://www.un.org/depts/dpko/missions/monuc/facts.html> (20.01.2007).
412
Viele andere internationale Akteure unterstützten den Wahlprozess außerdem: Neben dem UNDP (United
Nations Development Program) leisteten viele NGO’s wie z.B. die IFES (International Foundation for Electoral
Systems), das EISA (Electoral Institute of Southern Africa) und das NDI (National Democratic Institute)
beratende und ausführende Arbeit im Rahmen der Wahlvorbereitungen. (Vgl. Kabemba, Claude: Transitional
politics in the DRC. The Role of the Key Stakeholders, in: Journal of African Elections, Vol. 4, (June 2005) 1, S.
165-180, S. 177).
95
EUFOR (European Union Force) im Osten des Landes im Einsatz waren, entsandte die
Europäische Union zur Absicherung der Wahlen im Juli und Oktober 2006 eine insgesamt
2.400 Mann starke Truppe, die mit der Absicherung der Wahlen in Kinshasa beauftragt war.
7.2.3
Einsetzung der Verfassungsorgane der Übergangsphase
Die Übergangsverfassung trat zwei Tage nach ihrem Beschluss am 3. April 2003 in Kraft und
die Regierung nahm am 17. Juli 2003 ihr Amt auf. Präsident Joseph Kabila wurden dem
Abkommen entsprechend vier Vizepräsidenten zur Seite gestellt: Azarias Ruberwa (RCD),
Jean-Pierre Bemba (MLC), Arthur Zahidi Ngoma (zivile Opposition) und Abdoulaye Yerodia
Ndombasi (Kabila-Regierung).413 Bei der Postenverteilung gab es in den Parteien der
Opposition Streitereien, sodass die größte Oppositionspartei UDPS unter Etienne Tshisekedi
sowie die PALU unter Antoine Gizenga weder an der Übergangsregierung noch am
Übergangsparlament teilnahmen. 414
Mit der Ernennung der 36 Minister am 30. Juni 2003 nahm die Übergangsregierung die
Geschäfte auf, womit die Transitionsphase, in der die Vorbereitung des eigentlichen
Überganges der Macht zu einer demokratisch legitimierten Regierung und demokratischer
Ordnung erfolgen sollte, begann. Die Erwartungen an die neue Regierung waren vor dem
Hintergrund der Erfahrungen mit den verschiedenen Abkommen, die vor Dezember 2002
ohne jede Verbesserung für die Bevölkerung abgeschlossen worden waren, eher gedämpft. 415
Die formelle Gründung der in der Übergangsverfassung vorgesehenen beiden Kammern
erfolgte am 22. August 2003. Das Übergangsparlament stellte mit seinen 500 Parlamentariern,
die paritätisch von den fünf Parteien des innerkongolesischen Dialogs ernannt worden waren,
das größte Parlament Afrikas dar. Den Vorsitz der Nationalversammlung übernahm Olivier
Kamitatu vom MLC, Vorsitzender des 120-köpfigen Senats wurde Marini Bodho für die
Zivilgesellschaft. 416
Der Aufgabenkomplex, dem sich die Übergangsregierung gegenüber sah, war von immensem
Ausmaß und einer großen Mehrdimensionalität. Hinzu kamen strukturelle Schwächen der
Übergangsregierung, wie die große Zahl der vergebenen Ämter, daraus folgende
Kompetenzüberschneidungen, territoriale Überrepräsentation in der Regierung, Korruption
und Intrigen.
413
Vgl. Gondola, 2002: S. 93.
Vgl. Johnson, 2004a: S: 93.
415
Vgl. Matthiesen, 2005: S. 131.
416
Vgl. Tull, 2004: S. 185.
414
96
Da aus der Retrospektive vorweggenommen werden kann, dass der Demokratisierungsprozess
nach dieser erfolgreichen Einleitung der die Transition vorbereitenden Phase bislang, trotz
aller den Prozess mitunter in seiner Fortführung bedrohenden Probleme, nicht wieder durch
wie auch immer geartete Umstände abgebrochen wurde, ist mit der Einsetzung der
Regierungsorgane der Übergangsphase die erste Phase des Systemwechsels als weitgehend
abgeschlossen zu betrachten. Der Vorgang der Transition im Sinne des eigentlichen
Machttransfers auf demokratisch legitimierte Institutionen, zieht sich jedoch im Rahmen der
Übergangsphase über den zweiten Abschnitt des Systemwechsels, der Institutionalisierung
der demokratischen Ordnung, bis in die dritte Phase, die Konsolidierung.
Trotz des bereits vorweggenommenen, insgesamt positiven Verlaufs ist bezüglich dieser, die
Transition vorbereitenden Phase eine Einschränkung zu machen: Merkel versteht unter der
Transition an sich den Übergang der autoritären Machtausübung zu den demokratischen
Kräften. Die eingesetzte Übergangsregierung stellte die Institution dar, die die diese
Machtübertragung initiieren sollte: Jedoch ließen einerseits die Herkunft und andererseits das
Verhalten der Mitglieder dieses ohne demokratische Legitimation installierten Gremiums, wie
nachfolgend beschrieben wird, gravierende Zweifel an ihrem Willen zur Demokratisierung
aufkommen.
Die Übergangsregierung blieb zwar bis zum Ende der Übergangsphase labil, dennoch gelang
der Systemwechsel weitgehend über die Institutionalisierung bis zur beginnenden
Konsolidierung der entstandenen demokratischen Strukturen. Wenn auch der Prozess, wie
sollte es vor dem Hintergrund des bisherigen Verlaufs anders sein, nicht ohne Verzögerungen
und Probleme ablief.
Phase II – Die Institutionalisierung der Demokratie
7.3 Die Herausbildung demokratischer Systemstrukturen
7.3.1
Die Arbeit der Übergangsregierung, permanente Gewalt im Ostkongo und die
schleppende Reform des Sicherheitssektors
Die Nationalversammlung hatte nach ihrer Bildung zunächst über eine ganze Reihe von
Gesetzen zu befinden, unter anderem auch über die fünf Institutionen, die den
Demokratisierungsprozess fördern sollten (die Wahlkommission CEI (Commission Electorale
Indépendante), Wahrheits- und Versöhnungskommission, Anti-Korruptionskommission,
97
Menschenrechtsobservatorium und Medienbehörde). Tatsächlich zeigte sich die gesamte
Regierungsarbeit in den ersten Monaten äußerlich frei von größeren Problemen: Kabila war
als Übergangspräsident von allen Seiten akzeptiert worden, die Vizepräsidenten und Minister
waren zufrieden mit ihren Titeln und fühlten sich wichtig, wenn auch keiner von ihnen durch
Wahl an den Posten gelangt war. 417 Ein großes Problem stellte jedoch die teilweise große
Inkompetenz der Minister dar, die Anlass mehrerer Umbesetzungen in der Regierung war.
Der anfängliche Schein der reibungslosen Zusammenarbeit war ein Trugbild, das sich bald
auflöste. Joseph Kabila saß mit Amtsantritt in Kinshasa innenpolitisch immer noch zwischen
mehreren Stühlen: seinem eigenen kleinen Machtkern und den ehemaligen Weggefährten
seines Vaters, von deren Unterstützung er nach wie vor abhängig war und denen er mit der
Ernennung des international geächteten Ultranationalisten Abdoulaye Yerodia Ndombasi zu
einem der vier Vizepräsidenten der Transitionsregierung Tribut zollte. 418 Die Arbeit der
Übergangsregierung war durch „gegenseitiges Misstrauen, Kompetenzüberschneidungen und
Kompetenzstreitigkeiten“ 419 untergraben. Dieses Bild spiegelte sich auch auf lokaler und
regionaler Ebene wieder, denn dort blieben die alten Machtstrukturen erhalten, d.h. die
Konfliktparteien behielten die Kontrolle über ihre vorherigen Einflusszonen: Eine staatliche
Zentralgewalt in Kinshasa war mit der Übergangsregierung somit effektiv nicht zustande
gekommen. 420
Sowohl im Parlament als auch in der Regierung gab es wenige Ambitionen, den
Demokratisierungsprozess voranzubringen und die Vorgaben aus dem Friedensvertrag zu
erfüllen. Ein Jahr nach Amtsantritt der Übergangsregierung waren kaum Fortschritte zu
verzeichnen: weder hinsichtlich des neuralgischen Punktes der Übergangsphase, des DDRRRProzesses, noch hinsichtlich der Verfassungsbildung und der Vorbereitung der für Juli 2005
geplanten Wahlen, noch bei der Ernennung von Provinzgouverneuren und der
Militärkommandeure der geschaffenen zehn Militärregionen, noch bei der Verabschiedung
der zentralen Gesetze, wie dem zur Amnestie, der Staatsbürgerschaft, zum Wahlgesetz und
zur Neuformierung des Militärs. 421
417
Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.):
Monatsbericht Oktober 2003 – Demokratische Republik Kongo, S. 2; unter:
<http://www.hss.de/downloads/Kongo_Bericht_Oktober_2003-2.PDF> (08.02.2005).
418
Vgl. Tull, 2004: S. 183.
419
Ebd. S. 185f.
420
Vgl. ebd. S. 186.
421
Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.):
Monatsbericht Juli 2004 – Demokratische Republik Kongo, S. 1f.; unter: <http://www.hss.de/downloads/
DemRepKongo.pdf> (08.02.2005) und vgl. Institute for Security Studies (ISS) (Hrsg.)/ Wolters, Stephanie:
Update on the DRC: Is the Transition in Trouble? ISS Situation Report, 20 July 2004a, S. 2.
98
Die Blockade ging in erster Linie von den Regierungsangehörigen aus den Reihen des RCD
aus. Vor allem im Osten der Republik verfügte die RCD über wenig Rückhalt in der
Bevölkerung, die sie eher als Besatzungsmacht Rwandas ansah. In der Regierung saßen
jedoch viele ostkongolesische Vertreter der anderen Parteien mit größerer Popularität, gegen
die die RCD bei den Wahlen in jedem Fall verloren hätte. 422 Diese Perspektive der Abwahl
bei stattfindenden freien Wahlen war es auch, die die neu entstandene politische Kaste der
Übergangsregierung von einem zügigen Fortschritt der Institutionalisierung der Demokratie in
der DR Kongo abhielt. Warum sollten die ohne Wahl zu Amt, Würden und Zugriff auf
öffentliche Finanzmittel gekommenen Vertreter der Konfliktparteien bestrebt sein, ihre
komfortable Stellung durch Wahlen mit Sicherheit zu verlieren?
Die umfassende Reform des Sicherheitssektors, d.h. die Schaffung eines einheitlichen
Polizeiapparates und der neuen nationalen Armee sowie die Entwaffnung, Demobilisierung
und Reintegration der Milizen, wurde ebenfalls nur schleppend und unzureichend
aufgenommen. Der DDRRR-Prozess der nicht in die Armee einzugliedernden Milizen wurde
einerseits durch die anhaltenden Kämpfe im Osten des Landes blockiert, andererseits vor
allem aber dadurch behindert, dass die Regierung nicht in der Lage war, ein Programm
vorzulegen, das einen Zeitplan und die Modalitäten festschrieb. Die MONUC war deshalb
gezwungen, Entwaffnungsmaßnahmen nur auf ad hoc Basis durchzuführen. 423 Die Reform
der Polizeikräfte erfolgte auf ähnliche Weise ohne einen langfristigen Plan und unter
schlechter Koordination der Hauptgeberländer und der MONUC. 424
Das Jahr 2004 stellte den ohnehin nicht sehr lebhaften Demokratisierungsprozess auf die
bislang härteste Probe und strapazierte ihn bis an den Rand seiner Belastbarkeit. Mehrere zum
Teil
parallele
Krisen
warfen
den
Prozess
stark
zurück.
Der
erste,
den
Demokratisierungsprozess direkt gefährdende Moment ereignete sich Ende März in Kinshasa:
In der Nacht vom 27. auf den 28. März 2004 erfolgte ein Putschversuch von Angehörigen der
ehemaligen Präsidialgarde Mobutus, DSP (Division Spéciale Présidentielle), mit dem die
Übergangsregierung abgesetzt werden sollte. 425 Der Angriff wurde jedoch von den
Regierungstruppen abgewehrt. Der Versuch steht unter dem Verdacht, von Kabila selbst
inszeniert
worden
zu
sein,
um
seine
Handlungsfähigkeit
gegenüber
möglichen
422
Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.):
Monatsbericht September 2003 – Demokratische Republik Kongo, S. 1; unter:
<http://www.hss.de/downloads/Bericht_September_2003_Kongo.PDF> (08.02.2005).
423
Vgl. Tull, 2004: S. 188.
424
Vgl. International Crisis Group (ICG) (Hrsg.): Security Sector Reform in the Congo, ICG Africa Report No.
104, 13 February 2006a, S. 6.
425
Vgl. Tull, Denis M.: Democratic Republic of Congo, Länderbeitrag, in: Mehler, Andreas/ Melber, Henning/
van Walraven, Klaas (Hrsg.): Africa Yearbook 2004. Politics, Economy and Society South of the Sahara, Leiden
2005b, S. 215-228, S. 215f.
99
Entmachtungsversuchen zu demonstrieren. 426 Am 11. Juni 2004 versuchten schließlich
Mitglieder von Kabilas Präsidialgarde GSSP (Groupe Spéciale de la Sécurité Présidentielle)
die Übergangsregierung mit Gewalt zu stürzen. Sie scheiterten wie auch schon die Anhänger
Mobutus wenige Wochen zuvor. 427
Parallel zu diesen Ereignissen in der Hauptstadt dramatisierte sich die Lage in den östlichen
Krisengebieten: Die Lage im Osten war seit Kriegsausbruch 1998 trotz des Friedensschlusses
zu keinem Zeitpunkt unter Kontrolle. Auseinandersetzungen um den Zugang zu Rohstoffen
(speziell Minen) und interethnische Konflikte erschütterten die Region mehr oder weniger
permanent. Die Situation verschärfte sich im Mai und Juni 2004 allerdings drastisch, als eine
Rebellion unter Laurent Nkunda von der RCD, einem der bedeutendsten Milizenführer des
Konfliktes, zu einer von Rwanda unterstützten vorübergehenden Besetzung Bukavus, der
Hauptstadt der Provinz Süd-Kivu, führte.428 Bereits zuvor hatten acht Mitglieder der RCD die
Regierungsarbeit für einige Tage niedergelegt und gedroht, den Demokratisierungsprozess zu
verlassen, weil sie gegen die Inhaftierung eines RCD-Majors protestierten, die bereits zu
bewaffneten Auseinandersetzungen in Bukavu geführt hatte. 429
Die Regierungsarbeit kam in der Folge fast vollständig zum Erliegen und stürzte die
Regierung in eine tiefe Krise: So offenbarte sich das Ausmaß der Diskrepanz zwischen dem
Anspruch der Regierung der nationalen Einheit als zentralisierte Staatsmacht und der Realität
der entgegen allen Vorgaben immer noch existenten lokalen und regionalen Machtstrukturen
der Regierungsfraktionen, die diese während des Krieges errichtet hatten und in deren
Interesse sie weiter agierten. 430 In der Folge eines Massakers von unkontrollierten
Angehörigen der kongolesischen Armee an kongolesischen Banyamulenge-Flüchtlingen Mitte
August 2004 in Gatumba, zogen die Vertreter der RCD sich erneut aus der Regierung zurück:
Erst nach intensiver Vermittlungsarbeit des südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbekis
konnte die erneute Krise in der Übergangsregierung vorläufig beendet werden. 431
Ende September 2004 verabschiedete die Nationalversammlung schließlich das lange
diskutierte Gesetz zur Lösung der Frage nach der Staatsangehörigkeit, das diese mittels
Geburt und per Erwerb ermöglicht und somit den Großteil der rwandophonen Bewohner im
426
Angeblich gab es Gerüchte, Jean-Pierre Bemba habe für April einen Putschversuch geplant. Auf diesen habe
Kabila mit dem inszenierten Putschversuch präventiv reagiert. (Vgl. Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) (Hrsg.)/
Badoreck, Ingo: Putschversuch in der DR Kongo?, KAS Länderberichte DR Kongo, 5. April 2004; unter:
<http://www.kas.de/proj/home/pub/7/1/year-2004/dokument_id-4435/index.html> (08.02.2005).
427
Vgl. Tull, 2005b: S. 216.
428
Vgl. Institute for Security Studies (ISS)/ Wolters, Stephanie: Continuing Instability in the Kivus: Testing the
DRC transition to the limit, ISS Paper 94, October 2004b, S. 2.
429
Vgl. HSS/IBZ, Juli 2004: S. 1.
430
Vgl. Tull, 2005b: S. 217f.
431
Vgl. ebd. S. 218.
100
Ostkongo offiziell zu Kongolesen machte. Außerdem nahm sich das Übergangsparlament der
Organisation der angesichts der infrastrukturellen und finanziellen Lage schwierigen
Wählererfassung an. 432 Gerade das neue Staatsbürgerschaftsrecht stellte einen großen Schritt
dar: Wie schon an anderer Stelle ausgeführt, war die Frage nach der Nationalität der
rwandischstämmigen Ethnien im Ostkongo eine der entscheidenden Konfliktursachen im
Gebiet der Großen Seen. Das Gesetz allein konnte die Lage im Osten jedoch nicht befrieden,
sondern rief zunächst vermehrten Protest der Autochthonen und ethnische Säuberungen
hervor. 433
Im November 2004 wurde schließlich auch das neue Armeegesetz verabschiedet, das
festgelegte, dass die Hälfte der geschätzten ca. 300.000 Kämpfer der am Konflikt beteiligten
Milizen in die Streitkräfte der DR Kongo FARDC integriert werden sollten. Die andere Hälfte
stellte
den
dem
DDRRR-Prozess
zuzuführenden
Teil
der
Milizen
dar. 434
Ein
Verfassungsentwurf und die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen für die Abhaltung der
Wahlen standen jedoch immer noch aus.
Immer wahrscheinlicher wurde, dass der für Juli 2005 angesetzte Wahltermin auf Grund der
massiven Verzögerungen nicht eingehalten werden konnte, und so sprach man Anfang 2005
erstmals offiziell über die Verschiebung der Wahlen. In der Folge kam es im Januar zu
Generalstreiks und Unruhen, die gewaltsam beendet wurden. 435 Die angespannte nervöse
Gesamtsituation offenbarte die Angst der Bevölkerung, abermals um die Demokratisierung
betrogen zu werden, wie es in der Geschichte des Landes bereits drei Mal nach anfänglichen
Hoffnungszeichen geschehen war.
Am 30. Juni 2005 endete die Übergangsphase, innerhalb der die Wahlen ursprünglich hätten
abgehalten werden sollen. Die Ziele der fragilen Übergangsregierung waren nach zwei Jahren
Amtszeit jedoch immer noch alles andere als in Reichweite und die bisher erlangten
Fortschritte waren nur sehr mühsam und nach langen zähen Verhandlungsprozessen erreicht
worden. In erster Linie zeichnete dafür die Verweigerungshaltung der RCD, der MLC, aber
auch der Teile der Vorgängerregierung in der Übergangsregierung verantwortlich, ihre alten
Machtbereiche aufzugeben und die anstehenden Aufgaben gemeinsam zu lösen. 436
432
Vgl. HSS/IBZ, September 2004: S. 2.
Vgl. Johnson, Dominic: Jagd auf die „Ruander“ des Kongo, in: die tageszeitung, 29.09.2004c, S. 10.
434
Vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) (Hrsg.)/ Sebahara, Pamphile: Das sicherheitspolitische Umfeld in der DR
Kongo, FES Hintergrundberichte aus der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, Bonn 2006, S. 4; unter:
http://library.fes.de/pdf-files/iez/03575.pdf (04.04.2006).
435
Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.):
Monatsbericht Januar 2005 – Demokratische Republik Kongo, S. 1; unter:
<http://www.hss.de/downloads/DemRepKongoJanuar2005.pdf> (10.06.2005).
436
Vgl. ISS/Wolters, 2004a: S. 16.
433
101
Die Übergangsphase wurde im Juni 2005 um ein halbes Jahr mit der Option auf weitere sechs
Monate verlängert, wie es von der Übergangsverfassung ermöglicht wurde. Die erwarteten
schweren Proteste der Bevölkerung und der von der Übergangsregierung ausgeschlossenen
Parteien wie der UDPS gegen die Verlängerung der Übergangsphase blieben weitgehend aus,
nicht zuletzt wegen massiver Präsenz von Sicherheitskräften und hartem Vorgehen gegen
Demonstranten am 30. Juni 2005, dem Tag des Ablaufs der ursprünglichen Amtszeit der
Übergangsregierung. 437
7.3.2
Neuer Schwung in der verlängerten Übergangsphase
Bereits vor der Verlängerung der Übergangsphase war der Entwurf einer neuen Verfassung
unter
massivem
Druck
des
internationalen
Komitees
zur
Unterstützung
des
Demokratisierungsprozesses CIAT zuerst im März 2005 im Eiltempo vom Senat beschlossen
und im Mai schließlich von der Nationalversammlung feierlich angenommen worden. 438 In
einem verhältnismäßig reibungslosen Referendum wurde die Verfassung schließlich im
Dezember 2005 von der Bevölkerung bestätigt. 439 Das Referendum war verschoben worden,
da sich die Wählerregistrierung auf Grund großer logistischer und technischer
Schwierigkeiten verzögerte. Auch die Verabschiedung des Wahlgesetzes durch die beiden
Kammern verzögerte sich durch unzählige Änderungsanträge bis zum 21. Februar 2006. 440
Hinsichtlich der Reform bzw. des Aufbaus des Sicherheitssektors, der neben dem DDRRRProzess der Rebellengruppen auch die Schaffung eines einheitlichen Polizeiapparates und
einer neuen nationalen Armee umfasst, schien sich derweil Bewegung abzuzeichnen. Eine
neue Dynamik in dieser, einer der zentralsten Aufgaben, die den Fortschritt des
Demokratisierungsprozesses bedingen, schien sich mit dem nahenden Auslaufen der ersten
437
Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.):
Monatsbericht Juli/August 2005 – Demokratische Republik Kongo, S. 1; unter:
<http://www.hss.de/downloads/DemRepKongoAugust2005.pdf> (06.06.2006) und Vgl. Johnson, Dominic: Tote
bei Demonstrationen im Kongo, in: die tageszeitung, 01.07.2005b, S. 9.
438
Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.):
Monatsbericht März 2005 – Demokratische Republik Kongo, S. 2; unter:
<http://www.hss.de/downloads/DemRepKongoMaerz2005.pdf> (10.06.2005).
439
Vgl. Tull, Denis M.: Democratic Republic of Congo, Länderbeitrag, in: Mehler, Andreas/ Melber, Henning/
van Walraven, Klaas (Hrsg.): Africa Yearbook 2005. Politics, Economy and Society South of the Sahara, Leiden
2005c, S. 217-231, S. 219.
440
Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.):
Monatsbericht Februar 2006 – Demokratische Republik Kongo, S. 2; unter:
<http://www.hss.de/downloads/Kongo_02-06.pdf> (07.04.2006).
Die Mitglieder der Übergangsregierung hatten ein natürliches Bedürfnis, die Wahlen herauszuzögern, um die
drohende Abwahl durch die unzufriedene Bevölkerung zu verschieben: Änderungsanträge erwiesen sich in
diesem Zusammenhang als probates Mittel. (Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale
Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.): Monatsbericht Januar 2006a – Demokratische Republik Kongo,
S. 2; unter: <http://www.hss.de/downloads/0601_Monatsbericht_Kongo.pdf> (07.04.2006).
102
Frist der Übergangsperiode aber auch vor dem Hintergrund der wachsenden Gewalt im
Ostkongo zu entwickeln. Die bislang betriebene freiwillige Entwaffnung der Milizen, vor
allem der FDLR, musste als gescheitert angesehen werden und sowohl die Regierung in
Kinshasa, die MONUC und sogar die AU ergriffen nunmehr härtere Maßnahmen. Die
MONUC erzielte so durchaus einige Etappenerfolge im DDRRR-Prozess, die Bemühungen
der Regierung waren jedoch eher hilfloser Natur, denn die bis auf einzelne Brigaden immer
noch sehr unstrukturierte und undisziplinierte Armee tat sich schwer, den jahrelang im
Guerillakampf erprobten rwandischen Hutu-Milizen die Stirn zu bieten. 441
So liegen die Fortschritte bei der Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration der
Rebellen bis heute hinter den ursprünglichen Plänen zurück. Die Ziele im Rahmen der
Bildung der neuen nationalen Armee blieben trotz der mehrmaligen Verschiebung des
Wahltermins bis zum 30. Juli 2006 unerreicht: Im Februar 2006 waren erst sechs der
geplanten 18 Brigaden formiert, deren Verhalten, Versorgungslage und militärische
Leistungsfähigkeit zudem nicht ermutigend wirkten. 442 Eine weitere Verschlechterung der
Zustände entstand durch die Selbstbedienung der militärischen Führung am Sold für „fiktive
Soldaten“ 443 , die nur auf dem Papier existierten, für die jedoch Sold ausgezahlt wurde – direkt
an die Generäle. Immer wieder waren die Soldaten so gezwungen, ihren Lebensunterhalt auf
andere Weise, meist mit Gewalt zu sichern. 444
Hinzu kommt, dass die beteiligten ehemaligen Konfliktparteien, die nun nebeneinander in der
Übergangsregierung saßen, auch Präsident Kabila, ihre schlagkräftigsten eigenen Einheiten
weitgehend aus der Reform des Sicherheitssektors herausgehalten haben, um sich die
militärische Option der Korrektur eines nicht erwünschten Wahlausgangs bzw. militärisches
Drohpotential zu erhalten. 445 Für die beteiligten Akteure stellte die Wahl in gewissem Maße
die „Fortführung des Krieges (1998-2003) mit anderen Mitteln“ 446 dar. Die militärische
Entscheidung konnte nicht herbeigeführt werden, so musste nun die Wahl über sie
entscheiden: Doch die Konfliktparteien haben nicht sechs Jahre Krieg geführt, „um ihre
441
Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) (Hrsg.)/ Sebahara, Pamphile: Die aktuelle Lage in der DR Kongo: Ein Update
zur Verlängerung der Übergangsperiode und zur anhaltenden Gewalt im Osten, FES Kurzberichte aus der
internationalen Entwicklungszusammenarbeit, Bonn 2005, S. 5f; unter: http://library.fes.de/pdffiles/iez/02977.pdf (10.06.2006).
442
Vgl. Tull, Denis M.: Die Demokratische Republik Kongo vor den Wahlen. Chancen und Risiken für den
Friedensprozess, Stiftung Wissenschaft und Politik/ Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit,
SWP-Aktuell Nr. 12, Februar 2006, S. 3; unter:
<http://www.swp-berlin.org/de/common/get_document.php?asset_id=2843> (03.04.2006).
443
Misser, François: Fiktive Soldaten halten Kongos Generäle reich, in: die tageszeitung, 15.11.2005, S. 11 und
vgl. International Crisis Group (ICG) (Hrsg.): Escaping the Conflict Trap: Promoting Good Governance in the
Congo, ICG Africa Report No. 114, 20 July 2006c, S. 10ff.
444
Vgl. ICG, 2006c: S. 12.
445
Vgl. Tull, 2006: S. 3.
446
Tull, 2006: S. 1.
103
soeben erlangte Macht durch Wahlen wieder einzubüßen.“ 447 Darum haben sie ihre Milizen
als militärisches Drohpotential aus dem DDRRR-Prozess herausgehalten, allen vorweg
Joseph Kabila, dessen Präsidialgarde GSSP größere Schlagkraft besitzt als die kongolesische
Regierungsarmee.
So unterhielten auch Jean-Pierre Bemba und Azarias Ruberwa bis weit nach den Wahlen
eigene, einige hundert Mann starke Kampftruppen, obwohl ihnen nur jeweils eine kleine
Leibgarde als Personenschutz zugestanden hätte. Die Gefechte der jüngsten Zeit in Kinshasa
zwischen der Regierungsarmee und den Männern Bembas in Folge ihrer Weigerung, sich der
Entwaffnung und Demobilisierung anzuschließen, offenbarten das Konfliktpotential der
weiterhin nicht entscheidend vorangekommenen Entwaffnung und Demobilisierung der
Milizen. 448 Die Übertragung der Aufgabe der Entwaffnung der Rebellengruppen auf die
Übergangsregierung, d.h. auf eine Versammlung von Persönlichkeiten, die keinerlei Interesse
an einer Auflösung „ihrer“ Rebellenorganisationen hatte, stand ohnehin unter keinen guten
Vorzeichen. Die mangelnden Ergebnisse der Reform des Sicherheitssektors sind also in
wesentlichem Maße als Resultat dieser Entscheidung zu sehen, für die unter anderem die
Weltbank verantwortlich zeichnet. 449
Ein funktionierender einheitlicher Polizeiapparat entstand bis zu den Wahlen ebenfalls nicht:
Lediglich in Kinshasa war im Rahmen der EU-Polizeimission EUPOL Kinshasa (European
Union Police Kinshasa) eine Einheit von 1.000 integrierten Polizeikräften und eine von der
EU, Frankreich, Südafrika und Angola ausgebildete und ausgerüstete 4.000 Mann starke
Eingreiftruppe der Polizei einsatzbereit gemacht worden, um die Wahlen in der Hauptstadt
abzusichern. 450
7.3.3
Der Aufbau territorialer und funktionaler Repräsentation: Parteiensystem und
Zivilgesellschaft
Für die zahlreichen Mitglieder der Übergangsregierung und ihre Interessengruppen bedeutete
der Amtsantritt 2003 gleichzeitig den inoffiziellen Start des Wahlkampfs. Kabilas
Unterstützer hatten bereits 2002 die PPRD (Parti pour la Reconciliation de la
Développement) gegründet, die sich von nun an in einem stetigen Aufbauprozess befand, um
447
Ebd.
Vgl. Johnson, Dominic: Krieg der Privatarmeen, in: die tageszeitung, 24.03.2007d, S. 11.
449
Misser, François: „Die Armee hat keinerlei Disziplin“, Interview mit dem EU-Sonderbeauftragten für die
Großen Seen Aldo Ajello, in: die tageszeitung, 26.03.2007, S. 4.
450
Vgl. International Crisis Group (ICG) (Hrsg.): Congo’s Elections: Making or Breaking the Peace, ICG Africa
Report No. 108, 27 April 2006b, S. 6.
448
104
ihm bei den für 2005 bzw. 2006 geplanten Wahlen ausreichenden Rückhalt zu bieten. 451 Auch
die anderen Parteien machten sich an den Ausbau bzw. die Revitalisierung ihrer
Organisationen in den Provinzen, die nun zumindest formal wieder die Verwaltungseinheiten
der DR Kongo bildeten.
Die Parteienlandschaft, also die Ebene der territorialen Repräsentation, gab zum Ende der
Übergangsphase ein relativ schwaches Bild, das im Wesentlichen bis heute Bestand hat: Die
meisten Parteien verfügen über keine ideologischen Grundlagen und sind meist lediglich
bestrebt, an der Macht teilzuhaben, ohne über ein klares Programm zu verfügen, das festlegt,
was sie mit den angestrebten Entscheidungsbefugnissen anfangen. 452 Zumeist verfügen die
Parteien über nur sehr schwache interne Strukturen, sind meist „top down“, d.h.
undemokratisch organisiert und es existiert nur eine mangelnde Bindung an ihre Mitglieder
und Unterstützer. 453 Auf Grund der somit in der Regel auch nur schwach ausgeprägten
Parteidisziplin der Mitglieder, kommt es zu häufigen Wechseln von der einen Partei zur
anderen. Finanzielle Schwierigkeiten des Großteils der kleinen Parteien beschränken den
Handlungsspielraum zudem meist in starkem Maße. 454
Von Bedeutung waren im Vorfeld der Wahlen neben der schon genannten PPRD lediglich
sieben weitere Parteien: die UDPS unter Etienne Tshisekedi, die MLC Jean-Pierre Bembas,
die PALU Antoine Gizengas, die PDSC (Parti Démocrate et Social Chrétien), der Rest von
Mobutus ehemaliger Einheitspartei, die MPR/FP (Mouvement Populaire de la Révolution –
Fait Privé), die RCD mit ihren Abspaltungen und die PCR (Parti Chrétien Républicaine). 455
Die nicht in der Übergangsregierung vertretene politische Opposition verfügte auf Grund ihrer
großen Fragmentierung, hervorgerufen durch eine nicht vorhandene Zulassungsbegrenzung
von Parteien, kaum über Geschlossenheit: Von den über 400 Parteien in der DR Kongo
meldeten sich 269 zu den Parlamentswahlen 2006. 456 Durch den Boykott des Wahlprozesses
geriet zudem die größte Oppositionspartei UDPS nachhaltig ins politische Abseits: Ihr wurden
im Vorfeld der Wahlen die größten Chancen auf den zweiten Platz, hinter der populärsten
Partei, der PPRD Kabilas, vorausgesagt.
Im Juli 2006, unmittelbar vor der anstehenden ersten Runde der Präsidentschaftswahlen und
der Parlamentswahlen, kam die bis dahin wenig polarisierte kongolesische Parteienlandschaft
in Bewegung und es bildeten sich zwei bedeutende Lager. Auf der einen Seite stand Jean-
451
Vgl. Tull, 2004: S. 183.
Vgl. Kabemba, 2005: S. 172f.
453
Vgl. ebd. S. 173 und S. 175.
454
Vgl. ebd.
455
Vgl. Kabemba, 2005: S. 173.
456
Vgl. ICG, 2006b: S. 22f.
452
105
Pierre Bemba mit seinem im Juni gegründeten Zusammenschluss kongolesischer
Nationalisten RENACO (Regroupement des Nationalistes Congolaises), auf der anderen Seite
hielten Joseph Kabila und das Präsidentenlager mit ihrer Plattform AMP (Alliance pour la
Majorité Présidentielle) dagegen, die offenbar der UMP (Union pour un Mouvement
Populaire) des französischen Präsidenten Jacques Chiracs nachempfunden worden war. 457
Auf der Ebene der funktionalen Repräsentation fällt das Resümee ähnlich aus wie hinsichtlich
der Parteienstruktur: Die DR Kongo verfügt über eine in der nachautoritären Zeit rapide
gewachsene pulsierende Zivilgesellschaft mit mannigfaltigen Organisationen wie z.B.
Menschenrechtsgruppen und Frauen- und Jugendorganisationen. 458 Jedoch fehlt auch hier die
interne Strukturierung, die Organisation, die den Interessengruppen die Kapazitäten geben
könnte, wirklich effektiv die politische Partizipation zu befördern und politische
Entscheidungsprozesse zu beeinflussen. 459 Weitere Probleme sind, wie auch bei einer
Vielzahl der Parteien, die verbreitete ethnische Abgegrenztheit der Organisationen, sowie
deren interne undemokratische Strukturen: In der Regel gibt der Präsident bzw. Vorsitzende
der jeweiligen Gruppierung organisationsintern die Regeln und Postenbesetzungen vor. Die
Loyalität der zivilgesellschaftlichen Organisationen gilt allzu oft nur ihrer ethnischen
Herkunft bzw. ihrer Finanziers, deren politischen Interessen sie wegen der finanziellen
Gebundenheit vielfach entsprechen. 460
Bilanzierend muss festgestellt werden, dass sich allein aus der Notwendigkeit heraus, ob der
langen Absenz des Staates im Großteil des Landes zwar eine im Kleinen funktionierende
Zivilgesellschaft entwickelt hat, die vielfach im Rahmen der inzwischen etablierten
Schattenwirtschaft dazu beitrug bzw. beiträgt das Überleben in gewissen Regionen des
Landes zu sichern. Trotz des von ihr ausgehenden massiven Drucks, der dazu beitrug, den
Demokratisierungsprozess wieder in Gang zu bringen und trotz ihres großen Einflusses
während des innerkongolesischen Dialogs hat die Zivilgesellschaft auf Grund der
beschriebenen Faktoren jedoch nicht das Gewicht bekommen, den Demokratisierungsprozess
aktiv mitzugestalten und effektive intermediäre Strukturen zur Interessenvermittlung
zwischen Gesellschaft und politischen Institutionen aufzubauen.
457
Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.):
Monatsbericht September 2006 – Demokratische Republik Kongo, S. 2; unter:
<http://www.hss.de/downloads/0609_MB_Kongo.pdf> (20.11.2006).
458
Erwähnt werden muss in diesen Zusammenhang auch die wichtige Rolle der Kirchen, die jedoch durch die
langen Jahre des Krieges und durch die ethnischen Zerwürfnisse, die auch sie nicht unberührt ließen, geschwächt
wurde.
459
Vgl. Kabemba, 2005: S. 175.
460
Vgl. ebd. S. 176.
106
7.3.4
Die neue Verfassung der DR Kongo vom Februar 2006
Die neue Verfassung der Dritten Republik vom 18. Februar 2006 gab nun den bislang
fehlenden Rahmen zur Schaffung regulärer Staatlichkeit in der einsetzenden Phase der
Konsolidierung vor. 461 Neben der Verankerung von Menschen- und Bürgerrechten, dem
klassischen Prinzip der Gewaltenteilung, eines Mehrparteiensystems und der Bestätigung der
exklusiven kongolesischen Staatsbürgerschaft, wurde in der Verfassung die Errichtung eines
semipräsidentiellen Regierungssystems mit eingeschränkten, aber weiterhin starken
Befugnissen des Präsidenten festgelegt. Er ist der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, erklärt
den Krieg, ernennt den Premierminister aus den Reihen der Parlamentsmehrheit sowie die
anderen Minister des Kabinetts und kann im Falle einer anhaltenden Krise zwischen
Regierung und Parlament die Nationalversammlung auflösen. 462 Er muss ein Mindestalter
von 30 Jahren haben, wird in einer direkten Wahl für fünf Jahre gewählt und darf maximal
zwei Amtszeiten regieren.
Der Premierminister führt die Regierungsgeschäfte und verantwortet sie vor der Legislative:
Das
bereits
in
der
Übergangsphase
Nationalversammlung und Senat bleibt erhalten.
bestehende
463
Zwei-Kammer-System
aus
Nationalrat und Senat können gemeinsam
die Entlassung des Premierministers und des Staatspräsidenten beim Verfassungsgericht
beantragen. Ebenso ist die Möglichkeit eines Misstrauensvotums der Nationalversammlung
gegen die Regierung vorgesehen. 464
Vor dem Hintergrund der territorialen Ausdehnung der DR Kongo und des sich aller
Voraussicht nach mittelfristig nicht ändernden Zustands der ländlichen Infrastruktur war eine
Stärkung der Provinzregierung dringend nötig, um das Land regierbar zu machen. Rebellen
und zivile Opposition, die eine strikt föderale Staatsform gefordert hatten, hatten sich bei der
Verfassungsbildung allerdings nicht durchsetzen können: Die neue Verfassung benennt die
Staatsform der DR Kongo zwar nicht explizit, bezeichnet sie aber als unteilbaren
Einheitsstaat. 465 Den Provinzen wird jedoch eine größere Autonomie als bisher gewährt: Sie
verfügen über Rechtspersönlichkeit, werden von eigenen Provinzregierungen und
Provinzparlamenten regiert und erheben 40 Prozent der ihnen zustehenden Steuern selbst.466
Anstelle der bisher existierenden Gliederung in elf Provinzen legt die Verfassung die
461
Vgl. République Démocratique du Congo/ Assemblée National: Constitution de la République Démocratique
du Congo, Kinshasa Février 2006; unter: <http://www.cei-rdc.cd/news/constitution.pdf> (20.06.2006).
462
Vgl. ebd. Art. 78, 79, 86 und 148.
463
Vgl. ebd. Art. 100.
464
Vgl. ebd. Art. 146.
465
Vgl. ebd. Art. 1.
466
Vgl. ebd. Art. 2.
107
Einteilung der DR Kongo in 25 Provinzen und die Hauptstadt Kinshasa fest 467 , deren
gewählte Gouverneure sowie deren Stellvertreter vom Staatspräsidenten eingesetzt werden. 468
Praktisch ergänzen sich also zentralistische und föderalistische Funktionen: Auf der einen
Seite zeigt sich Zentralismus mit der staatlichen Kontrolle über die dezentralisierte
Verwaltungsstruktur der Provinzen sowie die unteren Verwaltungsebenen, dem einheitlichen
Polizeiapparat, der einheitlichen Judikative und der Ernennung der Provinzgouverneure und
ihrer Stellvertreter durch den Staatspräsidenten, andererseits gibt es föderalistische Züge
durch die Machtabgabe der Regierung in Kinshasa an die durch diese Stärkung der
provinzialen Selbstverwaltung autonomeren Provinzregierungen. Vor dem Hintergrund der
territorialen Ausdehnung der DR Kongo und des sich aller Voraussicht nach mittelfristig nicht
ändernden Zustands der ländlichen Infrastruktur war eine Stärkung der Provinzregierung
dringend nötig, um das Land regierbar zu machen.
Die von Exekutive und Legislative unabhängige Judikative wurde durch die neue Verfassung
ebenfalls reformiert: Der Obergerichtshof, wie es ihn in der Übergangsphase gab, gliedert sich
verfassungsmäßig in Verfassungsgericht, Kassationshof (oberster Gerichtshof) und Oberstes
Verwaltungsgericht. 469
Als Nationalsymbole wurde die Flagge wieder eingeführt, die bereits 1964 als Nationalflagge
gedient hatte. Die Nationalhymne und der Name „Demokratische Republik Kongo“ wurden
beibehalten.
Dem Phasenmodell Merkels entsprechend, trat der Demokratisierungsprozess in der DR
Kongo mit dem Inkrafttreten der neuen Verfassung am 18. Februar 2006 in die dritte und
damit letzte, langwierigste Phase des Prozesses ein: Etwa 16 Jahre nachdem Mobutu sich
durch den fortschreitenden Niedergang seines Regimes gezwungen sah, zumindest formal
eine Öffnung des Systems herbeizuführen und einer etwa genauso langen Zeit der Blockade,
der Sabotage und der Verzögerung ging es nun daran, die in einem zähen Prozess und auch
erst in Grundzügen entworfenen demokratischen Strukturen zu konsolidieren. Zuvorderst war
die große Herausforderung der Abhaltung der Wahlen anzugehen. Vor dem Hintergrund der
instabilen Gesamtsituation sowie den zahlreichen beschriebenen, nach wie vor von der
Regierung ungelösten Aufgaben und Problemen geben die Vorzeichen dieser Konsolidierung
allen Anlass zur Skepsis.
467
Vgl. ebd.
Vgl. ebd. Art. 80.
469
Vgl. ebd. Art. 149.
468
108
Zudem sind wichtige Elemente dieser Phase bis heute wie beschrieben nur sehr unzureichend
ausgeprägt: Das Parteisystem befindet sich in einem vergleichsweise unstrukturierten
Zustand, die Zivilgesellschaft verfügt über relativ geringe Einflussmöglichkeiten. Die
Gerichtsbarkeit zeigte sich auch noch in der einsetzenden Konsolidierungsphase schwach,
unterfinanziert, politisiert und richtete ihr Fähnchen nach dem Wind des Präsidenten. 470 So
wurde der vielfach vorgekommene Machtmissbrauch in dieser Phase nicht durch Gerichte
geahndet. Die gesamte politische Kultur auf Parlaments- und Regierungsebene zeigte sich
fernab demokratischen Gebarens: Die ICG (International Crisis Group) resümiert im April
2006: „Political advancement still comes trough graft and intimidation. The logic of the ballot
has not yet replaced the logic of the gun; it has merely become an appendix to it.” 471
Phase III – Einsetzende Konsolidierung
7.4 Der Wahlprozess 2006 und die Regierungsbildung: Transition
Die neue Verfassung der DR Kongo trat nach zweimaliger Verschiebung durch den
Präsidenten Joseph Kabila schließlich am 18. Februar 2006 in Kraft. Da die Übergangsphase
zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Verfassung noch im Gange war, hatten Teile der
Übergangsverfassung für die Dauer des Übergangsprozesses weiterhin Gültigkeit, wodurch
die Rechtmäßigkeit der Institutionen der Übergangsphase (wie die 1+4 Regelung hinsichtlich
der Regierungsbesetzung) abgesichert wurde. 472
Das Inkrafttreten der Verfassung legte den Grundstein für das am 21. Februar 2006 von
Nationalversammlung und Senat in einer gemeinsamen Sitzung verabschiedete Wahlgesetz,
dass die Wahlmodalitäten regelte. Am 9. März 2006 trat es mit der Unterzeichnung durch
Präsident Kabila leicht verspätet in Kraft.
7.4.1
Für
Wahlvorbereitungen: Wählerregistrierung und Wahlkampf
die
Durchführung
der
weiteren
Wahlvorbereitungen
war
die
unabhängige
Wahlkommission CEI verantwortlich. Der nächste Schritt nach Inkrafttreten des
Wahlgesetzes war die Benennung der Präsidentschaftskandidaten: Insgesamt stellten sich 33
470
Vgl. ICG, 2006b : S. 22.
Ebd.
472
Vgl. HSS/IBZ, Februar 2006: S. 1f.
471
109
Präsidentschaftskandidatinnen und -kandidaten zur Wahl 473 , für die Parlamentswahl meldeten
sich mehr als 9600 Kandidatinnen und Kandidaten an. 474 Jedoch wurde nahezu jede mit dem
Wahlprozess in Verbindung stehende Frist nicht eingehalten und von der CEI aufgestellte
Wahlkalender verloren so wiederholt ihre Gültigkeit: Es kam immer wieder zu
Verschiebungen, sei es bei der Anmeldefrist für die Kandidaten, der Veröffentlichung der
Liste mit den gültigen Kandidatenanmeldungen, bei der Wählerregistrierung oder in der
Konsequenz dem Wahltermin. So konnte auch der ursprünglich angesetzte Wahltermin für die
Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 18. Juni 2006 nicht eingehalten werden.
Stattdessen wurde im Ende April von der CEI veröffentlichten Wahlkalender der 30. Juli als
endgültiger Wahltermin für die erste Runde der Präsidentschafts- und die Parlamentswahlen
festgelegt. 475
Der DR Kongo stand ein wahrer Wahl-Marathon bevor: Insgesamt elfmal wurden die
Kongolesen an die Urne gebeten: Nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 30.
Juli waren auch noch die 26 Provinzparlamente zu wählen sowie mehrere Kommunalwahlen
abzuhalten. Erst danach wurden die zweite Parlamentskammer, der Senat, gewählt und die
Provinzgouverneure und Bürgermeister bestimmt.
Wählerregistrierung
Die Wählerregistrierung stellte einen äußerst komplizierten und langwierigen Prozess dar, mit
dem die CEI im Juni 2005 in Kinshasa begann 476 und für dessen landesweite Durchführung
sie etwa ein Dreivierteljahr benötigte. Für die Erstellung der fälschungssicheren Wahlkarten
musste modernstes technisches Gerät bis in die äußersten Winkel des Landes transportiert
werden, das die Größe Westeuropas hat und in weiten Teilen über keine funktionierende
Infrastruktur verfügt. 477 Es galt etwa 28 Millionen Kongolesen im wahlberechtigten Alter zu
registrieren: Nur waren schon seit Jahren keine Identifikationsausweise mehr erstellt,
geschweige denn Geburten- und Sterbefälle registriert worden. Die Existenz eines jeden
Wählers musste somit einzeln mittels noch vorhandener Dokumente oder Zeugen überprüft
473
Vgl. Mission d’Observation Électorale de l’Union Européenne (Hrsg.): Manuel de Référence. Élections
présidentielles, législatives et provinciales République Démocratique du Congo 2006, Kinshasa 2006, S. 93ff.
474
Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.):
Monatsbericht April 2006 – Demokratische Republik Kongo, S. 1; unter:
<http://www.hss.de/downloads/0604_Monatsbericht_Kongo.pdf> (05.08.2006).
475
Vgl. ebd. S. 2.
476
Vgl. FES/Sebahara, 2005: S. 3.
477
Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.):
Sonderbericht Wahlen 2006 – Demokratische Republik Kongo, Januar 2006b, S. 1; unter:
<http://www.hss.de/downloads/Kongo__Sonderbericht_Wahlen_2006_2.pdf> (13.12.2006).
110
werden. War dies erfolgreich geschehen, erhielten die Wähler allerdings einen hochmodernen
Wählerausweis
mit
computergespeicherten
Daten,
der
auch
gleichzeitig
als
Identifikationsausweis dient. 478
Im Februar 2006 war die Wählerregistrierung abgeschlossen: Etwa 25 Millionen Kongolesen
hatten sich registrieren lassen. Nicht unter ihnen waren die Anhänger der größten Partei aus
der Opposition: Die UDPS unter Etienne Tshisekedi hatte ihre Anhänger im Vorfeld des
Verfassungsreferendums dazu aufgefordert, den Wahlprozess und somit auch die
Registrierung der Wähler zu boykottieren: Erst als der Wille der Bevölkerung, Wahlen
abzuhalten, durch die Bestätigung der Verfassung manifestiert worden war, unterstützte die
UDPS den Wahlprozess und versuchte, eine nachträgliche Registrierung ihrer Wähler zu
erwirken, jedoch vergebens. 479 In der Folge meldete sich Tshisekedi auch nicht als
Präsidentschaftskandidat an. Der vollkommene Ausschluss der UDPS aus dem Wahlprozess,
der einem politischen „Selbstmord“ 480 gleichkam, war einerseits bedauerlich, weil sie als
„Volkspartei“ nun im demokratischen Ränkespiel fehlte, andererseits schuf der Ausschluss
eine sehr unvorteilhafte Ausgangslage für den Wahlprozess, da die UDPS zwar politisch ins
Abseits geraten war, jedoch immer noch gute Mobilisierungskapazitäten hatte, und somit
Aufrufe der Partei zu Protesten zu erwarten waren.
Ungleicher Wahlkampf
Die Mobilisierungskapazitäten der UDPS offenbarten sich am Tag des offiziellen
Wahlkampfauftaktes. Der UDPS-Generalsekretär hatte unmittelbar vor Beginn des
Wahlkampfes nicht nur zum Boykott sondern auch zur Verhinderung des Wahlkampfes
aufgerufen. So kam es gleich am ersten Wahlkampftag, dem 30. Juni 2006, zu
Demonstrationen der Wahlgegner. 481
Der Wahlkampf wurde von den ressourcen- und aussichtsreichsten Kandidaten dominiert:
Joseph Kabila, der symbolisch als unabhängiger Kandidat antrat, Jean-Pierre Bemba vom
MLC und Pierre Pay-Pay, dem ehemaligen Zentralbankchef unter Mobutu, der für die
CODECO (Coalitions des Démocrates Congolais) antrat. Kabilas und Bembas „erleichterter
478
Vgl. ebd. S. 2.
Vgl. HSS/IBZ, Februar 2006: S. 1.
480
Scheen, Thomas: Der Selbstmord einer favorisierten Partei, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.07.2006b;
unter: <http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437BAA85A49C26FB23A0/Doc~ED5E17DD863DE491B8
82973EF5D76DD85~ATpl~Ecommon~Scontent.html> (23.09.2006).
481
Vgl. Johnson, Dominic: Konfuser Wahlkampfauftakt im Kongo, in: die tageszeitung, 01.07.2006c, S. 10.
479
111
Zugang“ 482 zu den staatlichen Ressourcen ermöglichte ihnen im Vergleich zu den anderen
Präsidentschaftskandidaten
einen
flächendeckenden
Wahlkampf
im
infrastrukturell
unerschlossenen Kongo. Beiden chancenreichen Kandidaten gleich war die politische und
ideologische Inhaltslosigkeit ihres Wahlkampfs: Gegen Kabila wurden vor allem von seinem
ärgsten Konkurrenten Bemba, der sich als „Sohn des Landes“ darstellte, nationalistische
Argumente lanciert: Kabila sei ein Ausländer, ein Rwander, vertrete somit die Interessen des
ungeliebten Nachbarn und habe den Kongo „durch unvorteilhafte Verträge ans Ausland
verkauft“ 483 . Mit diesem Bezug auf seine eigene „Congolité“ beherrschte Bemba die
Wahlkampfdebatte, die er mit den ihm gehörenden Radio- und Fernsehstationen zusätzlich zu
seinen Gunsten anheizen konnte.
Kabila nutzte die Anfeindungen Bembas, um sich als gemäßigter Kandidat zu profilieren. Er
stellte sich als Friedensbringer und Präsident der Einheit dar. 484 Ein politisches Programm,
eine politische Nachwahlperspektive für die Zukunft des Landes präsentierte keiner der
beiden Kontrahenten. Die aus vielen Gründen mangelnden Möglichkeiten des Großteils der
Wähler, sich politisch zu informieren, erschwerten zudem einen landesweiten politisch
inhaltlichen Wahlkampf. In Kinshasa bzw. den urbanen Ballungszentren wäre dies noch am
ehesten möglich gewesen, da man hier die politische Debatte durch die erhöhte
Medienpräsenz am intensivsten führen kann. 485 Die Polarisierung, die sich trotz des fehlenden
inhaltlichen Diskurses zwischen der Plattform AMP Kabilas und der RENACO Bembas
entwickelte, entstand folglich vorwiegend aus machtpolitischen Bestrebungen, denn auf
Grund politischer Kontroversen.
Während des gesamten Wahlkampfes war die Lage im gesamten Land sehr angespannt und
spitzte sich immer weiter zu, je näher der Wahltag rückte. Durchgehend kam es zu
Zusammenstößen zwischen Kabilas und Bembas bewaffneten Kräften. Die Angst vor
Wahlbetrug war groß, zumal bekannt wurde, dass einige Millionen mehr Wahlzettel als nötig
gedruckt worden waren und aus Sicherheitsgründen nur in 53 der 64 Wahlzentren, in denen
die Wahlergebnisse zusammengetragen werden würden, europäische Wahlbeobachter
zugegen sein würden. 486 Mit dem Wahlkampfauftakt kamen auch die ersten Soldaten der
482
Stroux, Daniel: Wahlen im Kongo: Das Ende einer langen Transition? Giga Focus Nr. 9/2006, German
Institute of Global and Area Studies, Institut für Afrika Kunde, Hamburg 2006, S. 3.
483
Vgl. ebd. S. 2.
484
Vgl. ebd.
485
Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.):
Sonderbericht Wahlen. Wahlen im Kongo: Aufbruch in die Fremde, Juli/August 2006, S. 3; unter:
<http://www.hanns-seidel-stiftung.de/downloads/Kongo_Wahlkampf.pdf> (13.12.2006).
Die Medien boten jedoch zumeist Propaganda und einseitige Informationen, je nachdem, welchem Kandidaten
das entsprechende Medium hörig war.
486
Vgl. Johnson, Dominic: Wo Granaten aus den Hosentaschen rutschen, in: die tageszeitung, 27.07.2006e, S. 8.
112
EUFOR RD Congo, der Schutztruppe der EU, die den friedlichen Ablauf der Wahlen
absichern sollte, in der Hauptstadt an. Von Mitte Juni bis Ende November 2006 waren
zwischenzeitlich ca. 2.400 Mann der vorwiegend von Frankreich und Deutschland gestellten
Truppe im Kongo, d.h. in Kinshasa, bzw. als Reserve in Gabun stationiert. 487
7.4.2
Die ersten freien Wahlen in der DR Kongo seit über vier Jahrzehnten
Erste Runde der Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen
Am 30. Juli 2006 fanden mit den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der DR Kongo
die größten jemals von der UN überwachten und mit mehr als 420 Millionen US$ „wohl auch
die teuersten [Wahlen] in der Geschichte der modernen Demokratie“488 statt. Nach
angespannten Wochen im Vorfeld verlief der Wahlsonntag hingegen in relativer Ruhe. Die
lange
Zeit
der
Stimmauszählung
und
sich
häufende
Berichte
über
zahlreiche
Unregelmäßigkeiten ließen die Wochen nach der Wahl umso turbulenter werden. Am 20.
August 2006 war schließlich klar, dass die beiden favorisierten Kandidaten Kabila und Bemba
in eine schon im Vorfeld auf den 29. Oktober 2006 gelegte Stichwahl ziehen müssten. Bemba
hatte insgesamt nur 20% der Stimmen geholt, Kabila jedoch mit 44,8% die nötige absolute
Mehrheit verfehlt. Überraschend besetzte Antoine Gizenga von der PALU, der Weggefährte
des ersten Präsidenten Patrice Lumumba, den dritten Platz hinter den beiden Favoriten.
Bemba hatte in Kinshasa und weiten Teilen des Westkongo mit seiner nationalistischen
Propaganda die Mehrheiten auf sich vereint, während Kabila mit seinem auf die Erfolge im
Friedensprozess
fokussierten
Wahlkampf
vor
allem
im
kriegsgeschüttelten
Osten
Wählerstimmen hatte ziehen können.
Bereits vor Bekanntwerden des amtlichen Endergebnisses fand eine sehr starke, aggressive
Polarisierung zwischen Kabila und Bemba statt. 489 Nach der Bekanntgabe des Ergebnisses
kam es in der Hauptstadt zwei Tage lang zu schweren Auseinandersetzungen zwischen den
487
Der Einsatz der Truppe bzw. deren Umfang war auf europäischer Seite lange Gegenstand heftiger
Kontroversen. (Vgl. z.B. Johnson, Dominic: Europäische Planspiele in Kinshasa, in: Le Monde diplomatique,
07.07.2006d, S. 9). Auf der Seite der Kongolesen weckte der Truppeneinsatz verbreitet Skepsis, denn in den
Augen vieler stellte die französisch dominierte EUFOR lediglich die Absicherungstruppe für den Wahlsieg des
Frankreich-Verbündeten Kabila dar. (Vgl. z.B. Johnson, Dominic: EUFOR mahnt Kongos Opposition mit
Tiefflügen, in: die tageszeitung, 28.07.2006f, S. 9).
488
Scheen, Thomas: Unrealistische Erwartungen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.04.2006a; unter:
<http://www.faz.net/s/Rub28FC768942F34C5B8297CC6E16FFC8B4/Doc~EE743A646D19149C49D7CB000A
2C91152~ATpl~Ecommon~Scontent.html> (08.04.2006).
Die DR Kongo trug von den Kosten nur etwa 20 Mio. Der Rest wurde zur Hälfte von der EU samt ihren
Mitgliedstaaten finanziert.
489
Johnson, Dominic: Kongo auf einer Reise ins Ungewisse, in: die tageszeitung, 07.08.2006g, S. 10.
113
vom DDRRR-Prozess ferngehaltenen Privatarmeen der Kontrahenten, der Präsidialgarde
Kabilas und der Miliz Bembas. Erst intensive diplomatische Bemühungen des CIAT, des
Präsidenten Südafrikas Thabo Mbeki, des EU-Außenministers Javier Solana und des
Präsidenten der AU, Denis Sassou-Nguesso führten Kabila und Bemba schließlich Mitte
September bei einem Treffen zusammen, das den weiteren friedlichen Verlauf der Wahlen
sichern sollte. 490
Hinsichtlich der Wahl zur Nationalversammlung zeigte sich ein ähnliches Ergebnis wie bei
den Präsidentschaftswahlen: Die AMP Kabilas war mit ca. 44% und rund 230 Sitzen wegen
der knapp verfehlten absoluten Mehrheit der 500 Sitze des Parlaments auf einen
Koalitionspartner zur Regierungsbildung angewiesen, die Plattform RENACO Jean-Pierre
Bembas erzielte 23% und erhielt damit 116 Sitze. 491 Gizengas PALU sicherte sich mit 34
Sitzen den dritten Platz und wurde so zum Königsmacher für die beiden Kandidaten der
Stichwahl. Am 22. September 2006 trat die neu gewählte Nationalversammlung zu ihrer
ersten Sitzung zusammen.
Die Stichwahl Kabila gegen Bemba
Der zweite Wahlgang der Präsidentschaftswahlen und die Provinzparlamentswahlen waren
auf den 29. Oktober 2006 gelegt worden. 492 So begannen sich im Vorfeld neue Allianzen zu
bilden:
Bemba
seinerseits
tat
sich
mit
zahlreichen
anderen
ehemaligen
Präsidentschaftskandidaten zusammen und gründete die UN (L’Union pour la Nation), die
Bembas immer noch stark medialisierten Wahlkampf unterstützte. Mitte September waren
dessen zwei Fernsehsender und seine Radiostation in Kinshasa mit unbekannter Ursache
abgebrannt, danach jedoch wieder auf Sendung gegangen. 493 Auf der anderen Seite gab
Antoine Gizenga überraschend bekannt, dass er und seine PALU Kabila für die Stichwahl
unterstützen würden. Sein Preis dafür war allerdings hoch: Kabila verpflichtete sich dazu,
490
Seit den Ereignissen vom 20. bis 22. August hatten Kabila und Bemba unter Vermittlung der MONUC eine
Kommission zur gegenseitigen Vertrauensbildung gegründet, die gemeinsam Militärpatrouillen durchführte.
(Vgl. Stroux, 2006: S. 3).
491
Vgl. Stroux, 2006: S. 4.
492
Verfassungsgemäß hätte die Wahl binnen 15 Tagen nach Verkündung der Ergebnisse des ersten Wahlgangs
abgehalten werden müssen. Logistische Probleme rechtfertigten jedoch die Verschiebung, die vom Obersten
Gerichtshof bestätigt wurde.
493
Vgl. Stroux, 2006: S. 2.
Bembas Radiosender wurde von Medienexperten mit dem Propagandasender “Radio Mille Collines“ verglichen,
der beim Genozid in Rwanda eine unheilvolle Rolle gespielt hat. Auch Kabila nutzte die nationalen
Rundfunksender, um seine Wahlpropaganda zu verbreiten. (Vgl. Speiser, Dunja: DR Kongo: Etappensieg. Bei
der Präsidentschaftswahl bleibt die internationale Gemeinschaft gefordert, Stiftung Wissenschaft und Politik/
Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, SWP Aktuell Nr. 43, September 2006, S. 2; unter:
<http://www.swp-berlin.org/de/common/get_document.php?asset_id=3287> (12.10.2006).
114
dass die PALU im Falle eines Wahlsieges den Premierminister stellen dürfe. 494 Auch Nzanga
Mobutu, der Sohn Mobutu Sese Sekos, der ebenfalls als Präsidentschaftskandidat angetreten
war, kündigte seine Unterstützung für Kabila an. 495
Die DR Kongo verharrte kurz vor dem Tag der Entscheidung in einer Angststarre. 496 Auch
die Stichwahl verlief, trotz des im Vorfeld sowohl für die Präsidentschaftswahl als auch für
die Provinzwahlen wieder sehr aggressiv geführten Wahlkampfes und der Befürchtungen
nach den Auseinandersetzungen im August, die offiziell 23 Tote forderten, relativ friedlich
und ruhig. Das Problem stellte jedoch nicht der Wahltag selbst, sondern eher die unmittelbare
Zeit danach dar: Zwar hatten sich die Plattformen Kabilas und Bembas Ende Oktober
verpflichtet, das Wahlergebnis zu akzeptieren und sich friedlich zu verhalten, eine Garantie
war dies jedoch nicht: Bemba hatte in Kinshasa etwa 1.000 Kämpfer, Kabila ca. 5.000 Mann
unter Waffen und schweres Gerät in seinen Militärkasernen zusammengezogen. 497
Der im Vorfeld erwartete deutliche Sieg Kabilas stellte sich nicht ein: Bemba konnte sein
Wahlergebnis von 20% im ersten Wahlgang auf 42% in der Stichwahl mehr als verdoppeln.
Kabilas Wahlsieg mit 58% wurde am 27. November 2006 vom Obersten Gericht bestätigt,
womit auch Jean-Pierre Bemba seine Ablehnungshaltung der Wahlniederlage aufgab, nicht
jedoch seine Kritik am Wahlablauf und seine Zweifel an der Unparteilichkeit der CEI.
Im Großen und Ganzen fanden die Wahlen internationalen Beobachtern zufolge weitgehend
frei und demokratisch statt. Vereinzelte Unregelmäßigkeiten mussten, die Umstände der
Durchführung berücksichtigend, schlicht einkalkuliert werden. Der weitgehend friedliche
Ablauf der Wahlen ist jedoch eher dem “glücklichen“ Wahlausgang als allein der Präsenz
internationaler Truppen zuzuschreiben: Neben den EUFOR-, MONUC- und PolizeiPatrouillen
bewirkte
nicht
unwesentlich
die
entgegen
geltender
Vereinbarungen
vorgenommene und von internationaler Seite tolerierte massive Ballung der KabilaStreitkräfte in Kinshasa die weitgehend friedliche Hinnahme des Wahlergebnisses. Größere
gewalttätige Auseinandersetzungen nach der offiziellen Bekanntgabe der Ergebnisse blieben
bis auf einige Ausnahmen um die gerichtliche Anfechtung des Ergebnisses durch Bemba
somit aus.
494
Vgl. HSS/IBZ, September 2006: S. 3.
Vgl. ebd.
496
Vgl. Johnson, Dominic: In Angststarre, in: die tageszeitung, 28.10.2006h, S. 6.
497
Vgl. ebd.
495
115
7.4.3
Regierungsbildung und vollzogene Transition
Nach dem planmäßigen Ende der EUFOR-Mission Ende November 2006 498 wurde Kabila am
6. Dezember 2006 in Kinshasa als Präsident vereidigt. Zum Jahresende ernannte Kabila
Antoine Gizenga per Dekret zum Premierminister, und erfüllte damit die vor der Stichwahl
getroffene Abmachung mit Gizenga. Erwartungsgemäß verliefen die Wahlen der
Provinzparlamente, der Gouverneure wie auch das Zusammentreten des Senats und die
Bildung der neuen Regierung durch Gizenga nicht ohne Verzögerungen.
Überraschend setzte sich die Plattform der Regierungsparteien auch bei der Mehrzahl der
Provinzwahlen durch und kontrolliert nun sieben der elf Provinzen. Auch die Wahlen zum
Senat am 19. Januar und die Wahl der Provinzgouverneure am 27. Januar 2007 499 entschied
die Allianz Kabilas mehrheitlich für sich. 500 Bei den Präsidentschaftswahlen hatte Bemba
noch die Mehrzahl der Provinzen für sich gewonnen.
Offiziell abgeschlossen war die Regierungsbildung erst nach über zwei Monaten der
koalitionsinternen Verhandlungen mit der Bekanntgabe der Besetzung der insgesamt 60 zu
vergebenen Regierungsämter am 5. Februar 2007. 501 Sechs Staatsminister-, 34 Minister- und
20 Vizeministerposten waren zu vergeben: Von den durch Gizenga eingesetzten
Persönlichkeiten waren 70% der Öffentlichkeit unbekannt, was als Anzeichen gesehen wurde,
dass sich die DR Kongo womöglich endlich von der etablierten alten Herrschaftselite löst. 502
498
Die Akzeptanz der EUFOR-Soldaten seitens der kongolesischen Bevölkerung hatte nach der anfänglichen
Skepsis stark zugenommen und verbreitet gab es Hoffnung, das Mandat würde bis zum Abschluss der
Regierungsbildung verlängert werden. (Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung
und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.): Monatsbericht Oktober 2006 – Demokratische Republik Kongo, S. 3f.;
unter: <http://www.hss.de/downloads/0610_MB_Kongo.pdf> (02.01.2007).
Die europäische Ausbildungsmission für Polizeikräfte EUPOL (European Union Police) wurde jedoch um ein
weiteres halbes Jahr verlängert. (Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und
Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.): Monatsbericht November 2006 – Demokratische Republik Kongo, S. 2; unter:
<http://www.hss.de/downloads/0611_MB_Kongo.pdf> (02.02.2007).
499
In den beiden Kasaï-Provinzen mussten die Wahlen wegen Unregelmäßigkeiten bei den Anmeldungen der
Kandidaten auf den 15. Februar 2007 verschoben werden. (Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für
Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.): Monatsbericht Januar/Februar 2007 –
Demokratische Republik Kongo, S. 2; unter: <http://www.hss.de/downloads/0702_MB_Kongo.pdf>
(15.03.2007).
500
Keine Überraschung stellte die Wahl Bembas zum Senator dar. Unter den Senatoren befinden sich auch
einige namhafte ehemalige Regierungsmitglieder der Übergangsphase und teilweise sogar noch aus der MobutuÄra. (Vgl. HSS/IBZ, Januar/Februar 2007: S. 2).
501
Der Einigung waren wochenlange Diskussionen über den komplizierten Parteienproporz und die Dominanz
der AMP vorausgegangen, die 18 Ministerposten erhielt. Der PALU Gizengas kamen sechs Posten zu. Aufsehen
erregte die Vergabe des Landwirtschaftsministeramtes an den Mobutu-Sohn Nzanga Mobutu. Daneben führte
auch die Ernennung André Kasongo Ilungas zum Außenhandelsminister zu Irritationen: Er trat sein Amt nie an
und seine Identität konnte nicht abschließend geklärt werden. Seiner Partei zufolge existiere der zum Minister
Ernannte überhaupt nicht. (Vgl. HSS/IBZ, Januar/Februar 2007: S. 2). Nur neun Ministerposten gingen an
Frauen.
502
Vgl. Johnson, Dominic: Gute Posten für Kabilas Freunde, in: die tageszeitung, 07.02.2007c, S. 10 und vgl.
Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) (Hrsg.)/ Ostheimer, Andrea Ellen: Was lange währt wird letztlich gut…?
116
Am 24. Februar 2007 erfolgte die Amtseinführung der Regierung Gizenga vor dem
Parlament. Damit war der Transitionsprozess im Sinne der Übertragung der illegitimen
Machtausübung auf demokratisch legitimierte, verfassungsmäßige Institutionen, eingeleitet
durch die Übergangsphase, endgültig abgeschlossen. Naturgemäß ist mit dieser Transition
jedoch erst der Grundstein für die weitere Entwicklung gelegt worden: Massive Probleme
stellen sich der gewählten Regierung und einer erfolgreichen Konsolidierung der jungen
kongolesischen Demokratie in den Weg. Die unmittelbare Nach-Wahl-Situation soll im
Folgenden kurz umrissen werden. Unter Punkt acht wird auf die Aspekte der Konsolidierung
gesondert eingegangen.
7.4.4
Geleerte Staatskassen nach den Wahlen
Die finanzielle Lage der DR Kongo nach den Wahlen stellt sich katastrophal dar: Obwohl der
bedeutendste Teil der Wahlkosten von der internationalen Gemeinschaft getragen wurde,
haben die Wahlen die Staatskassen geleert. Nicht unwesentlich trugen dazu die beiden
Spitzenkandidaten Kabila und Bemba bei, die ihre Wahlkampfkosten weitgehend mit
staatlichen Ressourcen gedeckt zu haben scheinen. Anfang 2006 hatte die Weltbank
Haushaltszuschüsse für die DR Kongo gestoppt, weil die Regierung Zuwendungen in Höhe
von 200 Mio. US$ nicht belegen konnte. Es ist zu vermuten, dass Teile der Mittel in den
Wahlkampf geflossen sind: Kabila gab insgesamt angeblich etwa 50 Millionen US$ für
Wahlkampfzwecke aus, Bemba etwa 20 Millionen. 503
Das Haushaltsdefizit verfünffachte sich in der zweiten Jahreshälfte 2006 von im Juni 5 Mrd.
FC (Franc Congolais), was etwa 7,5 Mio. € entspricht, auf 27 Mrd. FC (ca. 40 Mio. €) im
Oktober. 504 Der latente Zustand der Unsicherheit während der Wahlphase ließ die Inflation
ebenfalls wieder zunehmen: Im November betrug sie offiziell ca. 20%. 505
Die Zusammenarbeit mit den Bretton-Woods-Institutionen war, wie beschrieben, wieder
aufgenommen worden, umfangreiche Entschuldungsprogramme wurden der DR Kongo im
Falle der Einhaltung strikter Vorgaben des IWF und der Weltbank in Aussicht gestellt und
auch die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit zwischen der DR Kongo und den
Regierungsbildung in der DR Kongo findet ihren Abschluss, KAS Länderberichte DR Kongo, 6. Februar 2007,
S. 1; unter: <http://www.kas.de/db_files/dokumente/laenderberichte/7_dokument_dok_pdf_10098_1.pdf>
(08.03.2007).
503
Vgl. Tull, 2006: S. 3.
504
Vgl. HSS/IBZ, November 2006: S. 3.
505
Vgl. ebd.
117
Geberländern ist wieder angelaufen. Erst kürzlich unterzeichnete z.B. Frankreich mit Kabila
ein Abkommen über 235 Millionen Euro Entwicklungshilfe. 506
Die wirtschaftliche Lage ist dennoch nach wie vor katastrophal, der Lebensstandard des
Großteils der Bevölkerung alarmierend und bedrohlich für den Konsolidierungsprozess: Im an
natürlichen Ressourcen reichsten Land Afrikas beträgt das durchschnittliche jährliche ProKopf-Einkommen ca. 120 US$ (2005). 507
7.4.5
Die unverändert kritische Sicherheitslage während und nach den Wahlen
Die vielfältigen Mahnungen im Vorfeld der Wahlen, sollten Recht behalten 508 : Erfolgreich
abgehaltene Wahlen bedeuten für die DR Kongo noch lange nicht automatisch Frieden,
Stabilität und Aufschwung. Während des Wahlprozesses war die Sicherheitslage im Osten des
Kongo unverändert kritisch: Im Süd-Kivu kam es im November 2006 zu schweren Gefechten
zwischen der FDLR und der kongolesischen Armee. Zeitgleich startete Rebellenführer
Nkunda mit seiner neu gegründeten CNDP (Congrès National pour la Défense de Peuple) im
Nord-Kivu eine Offensive gegen die Regierungsarmee und die MONUC, obwohl er im
Vorfeld der Präsidentschaftswahlen Gesprächsbereitschaft mit dem neuen Präsidenten
angekündigt hatte. 509 Erst Mitte Januar konnte der erneute, heftige Gewaltausbruch um den
rwandischstämmigen Nkunda reguliert werden: Unter rwandischer Vermittlung schlossen
Kabila und Nkunda Frieden. Das Ergebnis war in erster Linie ein Abkommen zur
Machtabsicherung Nkundas. Seine Rebellengruppe kontrolliert nun weiterhin die von ihnen
beherrschten Regionen rund um Goma, jedoch wurde sie mit einem Teil der kongolesischen
Armee FARDC zu zwei gemischten Brigaden zusammengeführt – die Strukturen behielten
die Rebellenformationen allerdings, ebenso ihr eigenes Kommando. 510 Im Gegenzug
verpflichtete sich Nkunda, mit seinen Truppen nicht mehr gegen die Regierungsarmee zu
kämpfen. Stattdessen sollten die beiden entstandenen Brigaden die immer noch aktiven
rwandischen Hutu-Milizen bekämpfen.
Zu den bis dahin schwersten Unruhen seit der Wahl kam es Anfang Februar 2007 im
Zusammenhang mit den vom Regierungslager gewonnenen Gouverneurswahlen in Kinshasa
506
Vgl. Johnson, Dominic: Hilfe aus Paris, in: die tageszeitung, 26.03.2007g, S. 4.
Vgl. Angaben des Auswärtigen Amtes; unter:
<http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laender/KongoDemokratischeRepublik.html> (12.12.2006).
508
Vgl. etwa Johnson, Dominic: Auf tönernen Füßen. Die Wahlen im Kongo sind noch lange kein Garant für
Frieden, in: Internationale Politik, Jg. 61, (April 2006b) 4, S. 50-56 und Tull, 2006 sowie Scheen, 2006a.
509
Vgl. Johnson, Dominic: Kongos neuer Krieg weckt alte Spannungen, in: die tageszeitung, 20.12.2006j, S. 10.
510
Vgl. Johnson, Dominic: Kongos neuer Krieg ist vorerst beendet, in: die tageszeitung, 22.01.2007a, S. 10 und
vgl. Johnson, 2007d.
507
118
und der Provinz Bas-Congo, in deren beiden Provinzparlamenten das Oppositionsbündnis
Bembas die Mehrheit hält. 511 Ein daraufhin ausgerufener Generalstreik wurde mit massiver
Gewalt durch die Polizei und die Regierungsarmee beendet.512
7.5 Systemtheoretische Einordnung und Typisierung des Systemwechsels
7.5.1
Systemtheoretische Einordnung des Systemwechsels
Im Rahmen der Darstellung des Verlaufes des Demokratisierungsprozesses ab der Ermordung
L.-D. Kabilas wurde die theoretische Reflexion zugunsten der Übersichtlichkeit der
Schilderung des Prozesses vernachlässigt. Deshalb soll im Folgenden eine nachträgliche
systemtheoretische Einordnung des Prozesses erfolgen.
Stabilität bezieht ein politisches System in entscheidendem Maße aus seiner Fähigkeit, die
Probleme zu lösen, die ihm von systeminterner und systemexterner Seite gestellt werden. Ist
diese Problemlösungskapazität nicht in ausreichendem Maße vorhanden, arbeitet das System
also ineffizient, kommt es einerseits systemintern zu Destabilisierungstendenzen, die das
Gesamtsystem gefährden, andererseits durch die fehlende Anpassungsfähigkeit des Systems
an seine Umwelt zu Diskrepanzen mit eben jener Umwelt, also mit den Systemen, die
ihrerseits Wandlungsdruck auf des ineffizientere System ausüben. Denn: „Nur Systeme, die in
der
Lage
sind,
Umweltbedingungen
sich
schnell,
anzupassen,
effektiv
und
haben
auf
ressourcenschonend
Dauer
eine
an
veränderte
Stabilisierungs-
und
Existenzchance.“ 513
Die Systemkrise infolge des Staatszerfalls, in der die DR Kongo im Jahr 2001 steckte, war das
Resultat eines langen Erosionsprozesses, der bereits mit dem Putsch und der Machtübernahme
Mobutus 1965 und der Etablierung seines kleptokratischen Regimes einsetzte. 514
Unter Punkt 7.1.1 und 7.1.2 wurden die Gründe bereits umrissen, die zum Niedergang des
Systems unter Mobutu führten. Die Systemkrise setzte sich unter L.-D. Kabila fort: Anstelle
511
Im Rahmen der Wahlen war es augenscheinlich zu massiven Korruptionsfällen gekommen, die die kuriosen
und von der Bevölkerung angezweifelten Wahlergebnisse erklären würde. (Vgl. Konrad-Adenauer-Stiftung
(KAS) (Hrsg.)/ Ostheimer, Andrea Ellen: Dominanz der Alliance pour la Majorité Présidentielle (AMP)
konsolidiert sich in den demokratischen Institutionen der DR Kongo, KAS Länderberichte DR Kongo, 31.
Januar 2007, S. 1; unter:
<http://www.kas.de/db_files/dokumente/laenderberichte/7_dokument_dok_pdf_10049_1.pdf> (04.03.2007).
512
Vgl. Johnson, Dominic: Vorwürfe gegen Kongos Armee, in die tageszeitung, 06.02.2007b, S. 11. Auch
angolanische Truppen rückten ein, um den Generalstreik niederzuschlagen. Wenige Wochen später besetzten sie
Teile der Provinz Bandundu auf der Suche nach illegal eingewanderten Kongolesen. (Vgl. HSS/IBZ,
Januar/Februar 2007, S. 3).
513
Sandschneider, 1995: S. 123.
514
Vgl. Tull, 2005a: S. 78.
119
der Überwindung der Krise dramatisierte sich die Lage durch den zweiten Kongokrieg und
den bereits unter Mobutu heraufbeschworenen und nun forcierten Staatszerfall noch.
Über Problemlösungskapazitäten, d.h. Leistungsfähigkeit, verfügte das System zu diesem
Zeitpunkt in keinem der relevanten Bereiche in ausreichendem Maße 515 :
-
-
-
-
Weder politisch noch sozial hatte das System infolge des Staatszerfalls noch eine
integrierende Wirkung. Es existierte kein souveräner Nationalstaat mehr, das staatliche
Gewaltmonopol war weitgehend aufgelöst und die durch die geschürten ethnischen
Konflikte aufgerissenen Gräben zogen sich tief durch die Gesellschaft.
Ressourcenmobilisierung war durch den auf nationaler Ebene handlungsunfähigen
Rumpfstaat nicht mehr möglich.
Von internationaler Anpassungsfähigkeit im Sinne der Befähigung des Systems,
friedlich geregelte Beziehungen zu anderen Staaten aufrecht zu erhalten konnte auch nur
noch eingeschränkt gesprochen werden: International war die DR Kongo unter L.-D.
Kabila schließlich sehr isoliert.
Die Beteiligung der Bevölkerung an politischen Entscheidungsprozessen war trotz der
scheindemokratischen „Reformversuche“ Kabila Seniors nicht in ausreichendem Maße
vorhanden.
Von einer Verteilung des Sozialproduktes durch wirtschafts- und sozialpolitische
Maßnahmen, auch jenseits des Marktes konnte keine Rede sein: Nicht einmal mehr der
Markt existierte. Die wirtschaftliche Lage war katastrophal, während Kabila versuchte,
sie mit Mitteln, die noch aus Zeiten des Kommunismus stammten, zu konsolidieren. Die
öffentliche Versorgung, Sozialleistungen, Gesundheitswesen usw. lag brach.
In diesem Kontext maximaler Destabilisierung wirkte die Ermordung Kabilas als
dramatisierender Moment, der die verbliebenen Systemstrukturen marginalisierte.
Zum Zeitpunkt der Ernennung Joseph Kabilas zum neuen Staatspräsidenten herrschte
überspitzt formuliert „Systemlosigkeit“. Die Systemkrise, die zuvorderst durch die weiterhin
nicht vorhandenen Problemlösungskapazitäten des Systems hervorgerufen worden war, führte
die DR Kongo im Rahmen des Staatszerfalls und dem Mord an L.-D. Kabila somit in einen
enorm strukturschwachen Zustand: Im Osten des Landes füllten die sich in den 90er Jahren
etablierenden Warlordstrukturen, Muster politisierter Ethnizität und eine Rückbesinnung auf
althergebrachte, traditionale Formen der Organisation des Zusammenlebens diese
Strukturlosigkeit teilweise aus. Auf der Ebene des Gesamtsystems fehlte jedoch eine effektive
funktionale Strukturierung.
Mit der Ernennung Joseph Kabilas waren die politischen Karten trotz der Hypotheken bei den
Getreuen des Vaters neu gemischt. In diesem Zustand der Labilität bestand weiterhin der
515
Vgl. Punkt 3.2.3, S. 28f.
120
bereits unter Mobutu und Kabila Senior gewachsene systeminterne Druck von Seiten der
Zivilgesellschaft, die sich trotz ihrer schwachen Organisationsstrukturen „zu einem wichtigen
und nicht mehr zu übersehenden Faktor bei der Demokratisierung des Landes entwickelt“ 516
hatte. Das Herrschaftssystem L.-D. Kabilas hatte jede Legitimation verloren, wie die
verheerende Leistungsbilanz des Systems offenbart: Für die Bevölkerung war schlicht die
Grenze des Zumutbaren erreicht, der Unmut über die Lebenssituation der verarmten Masse
und die Kriegsmüdigkeit trat offen zutage. Die Liberalisierungsphase unter Mobutu hatte der
Opposition eben doch zu einem gewissen Grad an Organisation verholfen. Vor allem die
Medien übernahmen hier wichtige Aufgaben, auch wenn sie sich unter L.-D. Kabila immer
wieder Repressionen ausgesetzt sahen.
Andererseits kam der Wirkung des internationalen Kontexts eine gesteigerte Bedeutung zu,
die Schmitter, wie an anderer Stelle erwähnt, in die vier verschiedenen Kategorien timing,
events, trends und cycles unterscheidet. 517
Das timing betreffend sind mehrere Faktoren zu berücksichtigen: Für die Gebergemeinschaft
waren zum Zeitpunkt der Machtübernahme Joseph Kabilas verschiedene Prioritäten
bedeutend: einerseits die Einhaltung von Menschenrechten und die Einführung und
Etablierung demokratischer Normen (die Beendigung des Krieges und Demokratisierung der
DR Kongo), und andererseits wirtschaftliche Interessen bezüglich des Zugangs zu den
Rohstoffvorkommen der DR Kongo. Nicht zuletzt durch die im Kongo stationierten UNBlauhelme und die, zugegebenermaßen nur leicht gesteigerte Medienpräsenz des Konflikts
war die internationale Gemeinschaft zudem unter größerem Zugzwang sich in den Konflikt
einzubringen. So erfolgte durch die internationale Gemeinschaft von außen ein massiver
Druckaufbau auf den neuen Machthaber, den labilen Systemzustand in Richtung der
Belebung des seit Jahren stagnierenden Friedens- und Demokratisierungsprozesses zu lenken.
Joseph Kabila war auf die äußere Unterstützung angewiesen, denn über systeminterne
Legitimation verfügte er nicht. Die internationale Gemeinschaft war ihrerseits bereit seine
Machtposition zu sichern, weil sie in ihm den berechenbarsten Akteur sah, der obendrein
bereit war, dem westlichen Ausland den Zugang zu den Rohstoffreichtümern der DR Kongo
zu gewährleisten. So wurde Joseph Kabila zur Wiederaufnahme des Friedens- und des
Demokratisierungsprozesses gedrängt.
516
Matthiesen, 2005: S. 142.
Vgl. Punkt 5, S. 55ff.
timing: aktuelle internationale Normen, außenpolitische Bündnisfaktoren, regionale Konstellationen;
events: Kriege, militärische Interventionen oder massive Kapitalflucht;
trends: Art und Weise der Integration in den Weltmarkt;
cycles: internationale Lage der Wirtschaftskonjunktur und Auslandsverschuldung.
517
121
Die entscheidenden Aspekte die Kategorie der events betreffend wurden bereits genannt: Der
Kriegszustand und der Staatszerfall hatten verheerende Auswirkungen auf alle Gebiete des
gesellschaftlichen Lebens. Andererseits hatten sich die Rahmenbedingungen für den
Friedensprozess dahingehend geändert, dass die wirtschaftlichen Interessen der in den
Konflikt eingebundenen Nachbarländer im Osten durch den erwähnten UN-Bericht über die
illegale Ausbeutung der Rohstoffe offenbart worden waren, und sich somit ihre strategische
Position
im
Konflikt
erheblich
verschlechterte.
Die
bislang
verwendete
Sicherheitsargumentation vor allem Rwandas und Ugandas hatte vor diesem Hintergrund
stark an Glaubwürdigkeit verloren.
Bezüglich der Integration der DR Kongo in den Weltmarkt, die Schmitter unter der
Faktorengruppe trends einordnet, ist die Feststellung zu machen, dass eine derartige
Einbindung der DR Kongo nicht existierte. Lediglich auf der Ebene illegalen Rohstoffhandels
durch internationale illegale Netzwerke erfolgte der Warenaustausch. Ein regulärer
Außenhandel war faktisch unmöglich. Auch die Weltwirtschaftslage hatte auf Grund der in
der DR Kongo zum überragenden Großteil auf Schattenwirtschaft basierenden Wirtschaft im
Land keinen bedeutenden direkten Einfluss. Die formelle Wirtschaftstätigkeit war mit dem
Staatszerfall nahezu bedeutungslos geworden. Auf der anderen Seite hatte die massive
Auslandsverschuldung einen destabilisierenden Einfluss auf die Regierung und trug
wahrscheinlich auch zur Gesprächsbereitschaft Joseph Kabilas mit der Gemeinschaft der
Geberländer bei.
Die Vorzeichen für den Systemwechsel waren also andere und die Situation zeigte sich dieses
Mal folglich ergebnisoffener als noch 1990, als Mobutus kohärente Staatsklasse wie eine
undurchdringliche Masse jede ihre Macht und Wohlstand gefährdende Veränderung erstickte
und 1996, als die Demokratisierung so nah schien und schließlich doch in der Herrschaft
Kabila Seniors und dem verheerenden Krieg in Afrikas Mitte endete.
Letztlich läuft die Betrachtung des Systemwechsels aus theoretischer Perspektive jedoch auf
die große Frage der politischen Systemwechselforschung hinaus. System oder Akteur,
Struktur oder Handlung: Was bestimmt in letzter Konsequenz den Verlauf? 518
Es ist systemtheoretisch nur sehr vage zu erklären, warum sich mit Joseph Kabilas
Amtsübernahme der Demokratisierungsprozess wieder in Gang setzte. Sind die systemischen
bzw. strukturellen Zwänge durch den bestehenden systeminternen und den systemexternen
Druck für Kabila so groß gewesen, dass es für ihn keine andere Wahl gab, als sich der vom
systeminternen wie externen Reformdruck vorgegebenen Richtung anzuschließen? Oder
518
Vgl. Merkel, 1996.
122
gaben
ihm
diese
Einflüsse
lediglich
sehr
stark
eingeengte
constraints,
d.h.
Handlungskorridore vor, in deren Rahmen er sich auch für einen anderen, mit Sicherheit
riskanteren Weg hätte entscheiden können? War es also letzten Endes doch der Akteur Kabila
selbst, der sich auf Grund einer rationalen Präferenzanalyse dafür entschied, seine
Machtstellung mit der internationalen Gemeinschaft im Rücken durch das Revidieren der
Positionen seines Vaters in Richtung freier Marktwirtschaft, Konzilianz in den
Friedensverhandlungen und der Wiederbelebung des Demokratisierungsprozesses zu sichern?
Die Antwort auf diese Frage wird ohne eine eingehende Analyse des Prozesses, die auch die
Akteursebene einschließt nicht verlässlich zu beantworten sein.
Die
Systemwechselforschung
Akteursverhaltens
sieht
konfrontiert:
Systemwechselprozess
der
DR
sich
Als
permanent
deutliches
Kongo
ist
mit
der
Unwägbarkeit
Beispiel
aus
dem
z.B.
die
starke
des
dargestellten
Verzögerung
des
Demokratisierungsprozesses unter der Übergangsregierung heranzuziehen: Neben den
strukturellen Problemen innerhalb der Regierung, sowie allgemeinen logistischen und
technischen Schwierigkeiten spielten taktische Einflüsse und Strategien der Akteure in diesem
Zusammenhang eine entscheidende Rolle. Die Abhaltung freier Wahlen war für den Großteil
der Interessengruppen und ihrer Vertreter, die durch die paritätische Zusammensetzung der
Übergangsregierung von 2003 ungewählt zu Amt und Würden gekommen waren,
gleichbedeutend mit dem Verlust eben jener Machtposition und des Zugriffs auf öffentliche
Geldquellen: Aus welchem Grund hätten sie also mit dem Vorantreiben des Wahlprozesses
ihren neu erworbenen Status gleich wieder aufgeben sollen?
Wie unter Punkt fünf ausgeführt, sind eingehende mehrdimensionale Untersuchungen des
Systemwechselprozesses von Nöten, die alle relevanten Ebenen in die Analyse einbeziehen,
um so ein umfassenderes Bild der Vorgänge des Prozesses zu erhalten. Eine derartige
Systemwechselanalyse geht jedoch weit über den gesetzten Anspruch und die Möglichkeiten
dieser Arbeit hinaus.
7.5.2
Typisierung des Systemwechsels
Eine Typisierung des Systemwechsels der DR Kongo nach den sechs von Merkel
beschriebenen Idealtypen gestaltet sich schwierig und muss zweigeteilt beantwortet werden:
einerseits bezogen auf den verhinderten Systemwechsel unter Mobutu Anfang der 90er Jahre
und
andererseits
bezüglich
des
Systemwechsels
unter
Joseph
Kabila
und
der
Übergangsregierung.
123
Die Systemkrise, die das Mobutu-Regime spätestens Mitte bis Ende der 80er Jahre voll
ergriffen hatte, provozierte einen Regimewechsel von unten, der jedoch nicht vollendet
wurde. 519 Er mündete in einen ausgehandelten Systemwechselprozess, der infolge der
Ressourcenübermacht des ancien régimes zu großen Teilen erfolgreich blockiert werden
konnte. Die weiterhin bestehende systemimmanente ökonomische Krise, der Zerfall des
Staates und der von L.-D. Kabila fortgeführte Machtmissbrauch verursachten ein weiteres
Anwachsen
der
Delegitimation:
Seine
Ermordung
schließlich
hätte
infolge
des
Machtvakuums wahrscheinlich zu einem totalen Regimekollaps geführt, wäre nicht Joseph
Kabila binnen weniger Tage als neuer Machthaber installiert worden.
Die Frage, welchen Typ der infolge der von Joseph Kabila bzw. der internationalen
Gemeinschaft angeregten Wiederbelebung des Demokratisierungsprozesses vollzogene
Systemwechsel darstellt, ist schwierig zu beantworten: Einerseits war der systeminterne
Druck durch die Zivilgesellschaft gegeben. Er hatte bereits unter Mobutu zu einer, jedoch nur
teilweise vollzogenen Öffnung des Systems beigetragen und L.-D. Kabila zurück an den
Verhandlungstisch mit Rwanda und Uganda in Lusaka gezwungen. 520 Ohne den
internationalen Druck hätte die Wiederaufnahme des Systemwechselprozesses unter Joseph
Kabila in dieser Form jedoch mit Sicherheit nicht stattgefunden, vielleicht sogar überhaupt
nicht.
Dennoch ist der Prozess am ehesten als von unten erzwungener Systemwechsel zu sehen,
denn mutmaßlich wäre die Legitimitätsschwäche einer möglichen neuen autoritären
Herrschaft unter einem Nachfolger L.-D. Kabilas nur mit so hohen Kosten, d.h. massiver
Repression, auszugleichen gewesen, dass das Erreichen eines einigermaßen stabilen
autoritären Systems sowohl kurz als auch mittelfristig unrealistisch gewesen wäre. An dieser
Stelle von einem durch die Delegitimation des Systems erzeugten point of no return zu
sprechen ist sicher ein wenig überzogen, denn die erfolgte Wiederaufnahme des
Demokratisierungsprozesses durch Joseph Kabila kann nicht als einzige und ausschließliche
Entwicklungsmöglichkeit gesehen werden. Der Druck durch die Bevölkerung sowie der
internationale Druck machten diesen Weg aber zum wahrscheinlichsten, wobei natürlich
immer die bereits erwähnte Unwägbarkeit des Akteurshandelns berücksichtigt werden muss.
Die lange Dauer der mehrfach verlängerten Übergangsphase spiegelt deutlich das
Desinteresse der an der Übergangsregierung beteiligten ehemaligen Konfliktparteien an einem
Fortschreiben
519
520
des
Demokratisierungsprozesses
wider.
Das
massive
Drängen
der
Vgl. Stroux, 1996: S. 122.
Vgl. ebd. S. 125 und vgl. Matthiesen, 2005: S. 142.
124
internationalen Gemeinschaft auf Fortschritte in der Übergangsphase war der wichtigste
Garant dafür, dass die in der Übergangsverfassung festgelegte maximale Länge der
Übergangsfrist überhaupt einigermaßen eingehalten wurde.
Es sind bei diesem Systemwechsel jedoch auch Elemente des ausgehandelten und des von
alten Regimeeliten gesteuerten Systemwechsels zu erkennen: So war es Joseph Kabila, der
aus der Position des Staatspräsidenten heraus (unter dem systeminternen und -externen
Druck) den Friedensprozess wieder belebte. An den Verhandlungen zur Übergangsphase
waren schließlich alle relevanten Akteure beteiligt, Rebellengruppen, Regierung und zivile
Opposition, die sich in einem zähen Verhandlungsprozess zur Übergangsregelung
durchrangen. Genauere Erkenntnisse zu allen Faktoren, die den Systemwechsel beeinflussten,
wird, wie bereits betont wurde, erst eine mehrdimensionale Untersuchung des
Demokratisierungsprozesses bringen, die auch die Strategien der beteiligten Akteure
innerhalb der vorgegebenen strukturellen Grenzen und Zwänge beleuchtet.
125
8. Stand
der
demokratischen
Konsolidierung
im
März
2007
und
zentrale
Konsolidierungsprobleme
Vor dem beschriebenen Hintergrund und zu einem Zeitpunkt, da gerade erst einige Monate
seit den Wahlen vergangen sind, nach Anzeichen der Konsolidierung einer demokratischen
Ordnung in der DR Kongo zu suchen scheint – zurückhaltend formuliert – schwierig.
Dennoch sollen im Folgenden, auf das Ebenenmodell der Konsolidierung Wolfgang Merkels
zurückzugreifend, sofern möglich, in kurzer Form Momentaufnahmen der verschiedenen
Konsolidierungsebenen gemacht werden.
8.1 Konsolidierungsebenen
Merkel zufolge vollzieht sich die Konsolidierung, wie oben bereits ausgeführt wurde, auf vier
analytischen Ebenen, die in einer zeitlichen Abfolge stehen und zu großen Teilen aufeinander
aufbauen 521 :
1. Konstitutionelle Konsolidierung
2. Repräsentative Konsolidierung
3. Verhaltenskonsolidierung
4. Konsolidierung einer Bürgergesellschaft
8.1.1
Konstitutionelle Konsolidierung (Makro-Ebene: Strukturen)
Die konstitutionelle Konsolidierung erfolgt auf der Makroebene und umfasst die
grundlegenden politischen Verfassungsinstitutionen wie eine gewählte Regierung, Parlament,
Wahlsystem und Judikative. Formell gesehen, ist die Einsetzung der in der neuen Verfassung
der DR Kongo festgelegten Institutionen bislang nur zum Teil erfolgt: Das vorgeschriebene
Wahlsystem hat mit dem logistisch extrem anspruchsvollen und weitgehend westlichen
Kriterien genügenden Wahlmarathon des vergangenen Jahres zumindest seine Funktionalität
als demokratisch organisierter Machtzugang bewiesen. Von Konsolidierung im Sinne eines
gefestigten Bestandteils des demokratischen Verfahrens in der DR Kongo kann jedoch keine
Rede sein. Als Fußnote muss den Wahlen zudem der Aspekt der massiven internationalen
521
Vgl. Punkt 4.1.3, S. 45ff.
126
Unterstützung, sowohl finanzieller als auch logistischer Art, angefügt werden, ohne die deren
Durchführung nicht möglich gewesen wäre.
Aus den Wahlen sind eine formell der Verfassung entsprechende, demokratisch legitimierte
Regierung und ein Staatsoberhaupt, sowie ein Zwei-Kammer-System hervorgegangen. Über
den Konsolidierungsgrad lässt sich bislang allerdings noch kein Urteil bilden. Ohne Frage
wird der legitime Machtanspruch der Regierung jedoch weiterhin von Kräften in der
Gesellschaft in Frage gestellt bzw. abgelehnt. 522
Bezüglich der Judikative muss die Frage nach Konsolidierung einer unabhängigen
Gerichtsbarkeit klar negativ beantwortet werden: Eine viel zu geringe Zahl von Gerichten und
Richtern sowie Korruption, Geldmangel und politische Einflussnahme sorgen nach wie vor
verbreitet für Straflosigkeit und verhindern die Etablierung der Judikative als Kontrollinstanz
der Regierung. 523
8.1.2
Repräsentative Konsolidierung (Meso-Ebene: Akteure)
Die
repräsentative
Konsolidierung
betrifft
die
territoriale
und
funktionale
Interessenrepräsentation: Wie bereits unter Punkt 7.3.3 ausgeführt, weisen diesbezüglich
sowohl das Parteiengefüge als auch die zivilgesellschaftliche Organisation in der DR Kongo
trotz
der
großen
Bandbreite
von
Parteien
einerseits
und
zivilgesellschaftlichen
Interessengruppen andererseits einen zu geringen Organisationsgrad auf, um eine effektive
Interessenrepräsentation auf beiden Ebenen zu ermöglichen. Zudem stellen strukturelle
Hemmnisse, wie ungeklärte Finanzierungsfragen oder die Verteilung der Gruppierungen und
Interessenvertretungen entlang ethnischer Grenzen, zusätzliche Hürden dar. Die bloße, in der
DR Kongo ohne Frage vorhandene Differenzierung der Gesellschaft reicht nicht aus: Damit
sie integriert sein kann, ist ein gewisses Maß an Organisation zwingend nötig, um so
gemeinsamen Interessen auf politischer Ebene Gehör zu verschaffen. 524
Ein funktionierendes System verbandlicher Selbstorganisation der Gesellschaft stellt gerade
bei Systemwechseln eine entlastende Stütze für die jungen politischen Institutionen und die
522
Die jüngsten Unruhen in Kinshasa im März 2007 haben gezeigt, dass das staatliche Gewaltmonopol selbst in
den ruhigeren Landesteilen nach wie vor keinen ausreichenden Bestand hat: Ganz abgesehen von den
Unruheprovinzen: Der in einigen Regionen im Osten des Landes weiterhin bestehende Kriegszustand und die zu
Teilen immer noch nicht entwaffneten und demobilisierten Milizen in der DR Kongo stellen die bedeutendsten
Herausforderungen für die Konsolidierung der Regierung dar.
523
Ende 2006 verfügte die DR Kongo bei etwa 60 Mio. Einwohnern nur über etwa 60 Gerichte und ca. 2500
Richter. (Vgl. Eveleens, Ilona: Kongos zahnlose Freiheitswächter, in: die tageszeitung, 29.11.2006, S. 10.)
524
Vgl. Merkel, 1999, S. 160.
127
politischen Parteien dar, die oftmals mit unerfahrenen Eliten besetzt sind 525 : Die mäßige
Konsolidierung dieser Ebene wirkt sich entsprechend negativ auf die Konsolidierung der
vorgenannten Ebene der Strukturen in der DR Kongo aus.
8.1.3
Verhaltenskonsolidierung (Meso-Ebene: informelle politische Akteure)
Ob die auf dieser dritten Ebene agierenden „informellen“ politischen Akteure (Militär,
Großgrundbesitzer, Finanzkapital, Unternehmer, radikale Bewegungen usw.) ihre Interessen
innerhalb der demokratischen Normen und Institutionen oder gegen sie verfolgen, hängt in
wesentlichem Maße davon ab, inwieweit die beiden vorgenannten Ebenen konsolidiert sind.
Die mäßigen bis unzureichenden Konsolidierungsfortschritte der ersten und zweiten Ebene
ziehen somit problematische Entwicklungen auf dieser Stufe nach sich: Die jüngsten Kämpfe
in Kinshasa in Folge der Weigerung der irregulären Miliz Bembas, sich entwaffnen zu lassen,
sind ein gutes Beispiel für eine Intervention durch eine paramilitärisch organisierte
Gruppierung, also einen informellen politischen Akteur, dessen Interessen durch die gewählte
Regierung berührt wurden. Deutlich wird die negative Beeinflussung dieser Ebene durch die
unzureichende Konsolidierung der ersten und zweiten Stufe außerdem angesichts der immer
noch im Land aktiven und den Staat in Frage stellenden Milizen wie der FDLR,
marodierenden und plündernden Armeeeinheiten, dem unverändert stattfindenden Raubbau an
den Ressourcen des Landes durch kriminelle Netzwerke, sowie der Korruption, die nach wie
vor sowohl das politische Verfahren, die Judikative wie auch das gesellschaftliche Leben
durchdringt.
8.1.4
Konsolidierung einer Bürgergesellschaft (Mikro-Ebene: Bürger)
Diese Ebene ist die zumeist als letzte konsolidierte, u.a. deshalb, weil sie zu großen Teilen auf
den zuvor benannten Ebenen aufbaut, deren Verfestigung Voraussetzung für das Entstehen
und die Konsolidierung einer Bürgergesellschaft ist. Diese kann sich nur entfalten, wenn „der
Staat und seine Institutionen ins moralische Geflecht der Gesellschaft eingebunden sind, […]
dem Recht zum Durchbruch verholfen wird und die Gewalt domestiziert wird.“ 526
525
Vgl. ebd.
Wirz, Albert: Krieg, Staatszerfall und Staatsbildung: Das Beispiel des Kongo, in: Spillmann, Kurt R./
Wenger, Andreas (Hrsg.): Zeitgeschichtliche Hintergründe aktueller Konflikte VIII, Zürcher Beiträge zur
Sicherheitspolitik und Konfliktforschung, Vol. 60, Zürich 2001, S. 119-141, S. 138.
526
128
Der beschriebene Konsolidierungszustand der zuvor betrachteten Ebenen lässt nur den
Schluss zu, dass es in der DR Kongo bislang keine konsolidierte Bürgergesellschaft geben
kann und die Konsolidierung dieser letzten, den Konsolidierungsprozess „versiegelnden“
Instanz noch in weiter Ferne scheint.
8.2 Probleme und Herausforderungen für die demokratische Konsolidierung
8.2.1
Jean-Pierre Bembas politisches Ende – das Ende der Opposition in Kinshasa?
Infolge des Ablaufens eines Ultimatums, das die Armeeführung Bemba und Ruberwa am 6.
März 2007 gestellt hatte, um ihre irregulären, noch immer in Kinshasa und in der Nähe der
Stadt stationierten Kämpfer in die FARDC einzugliedern, eskalierte am 22. März 2007 erneut
die Gewalt in Kinshasa. Ruberwa war dem Ultimatum gefolgt, die etwa noch 500 Mann
starke Miliz Bembas sträubte sich jedoch gegen den Auflösungsbefehl der Armee und
besetzte vorübergehend das Stadtzentrum Kinshasas. Daraufhin ging Kabila mit der
Regierungsarmee und seiner Präsidialgarde hart gegen die Miliz Bembas vor und zerschlug
sie weitgehend. 527 Bemba hatte sich zu Beginn der Kämpfe in eine Residenz der
südafrikanischen Botschaft abgesetzt, denn gegen ihn war in der DR Kongo mittlerweile
Haftbefehl wegen Hochverrats erlassen worden. Die Kämpfe in der gesamten Innenstadt
forderten offiziellen Angaben zufolge etwa 60 Tote, inoffizielle Quellen sprachen jedoch von
über 300 Opfern. 528
Aus der Sicht des Demokratisierungsprozesses sind diese jüngsten Ereignisse ein schwerer
Rückschlag: Die Weigerung Bembas, seine Milzen aufzugeben, provozierte einerseits deren
Zerschlagung, andererseits aber auch die Zerstörung seiner politischen Position, jene des
Anführers der Opposition in Kinshasa. Zwar wurde das harte Vorgehen von vielen Seiten der
internationalen Gemeinschaft scharf kritisiert, die Vision einer funktionierenden Opposition
unter der Integrationsfigur Bemba als Teil einer funktionierenden Demokratie in der DR
Kongo ist jedoch zerplatzt. 529 Sein Senatorenamt scheint für Bemba wohl ebenso verloren wie
die Chance überhaupt wieder in die DR Kongo zurückzukehren, ohne mit einer Haftstrafe
rechnen zu müssen.
Kabilas und Bembas Verständnis von Sieg und Niederlage mit einem triumphierenden
Gewinner und einem am Boden liegenden Verlierer, das sich schon im Vorfeld der Wahlen
527
Vgl. Johnson, Dominic: Entscheidungsschlacht in Kinshasa, in: die tageszeitung, 24.03.2007e, S. 9.
Vgl. Johnson, Dominic: Der Löwe tötet die Ameise, in: die tageszeitung, 26.03.2007f, S. 4.
529
Vgl. Johnson, Dominic: Harte Worte gegen Joseph Kabila, in: die tageszeitung, 29.03.2007h, S. 10.
528
129
abzeichnete, ist im Rahmen der jüngsten Entwicklungen wieder offen zutage getreten. Kabila
setzte alles daran seinen Kontrahenten vollkommen auszuschalten, was ihm nun gelungen
sein dürfte: „Statt der Opposition Raum zu geben, [nahm] er ihr den Führer.“ 530
Am 24. März 2007 rechtfertigte Kabila den rücksichtslosen Einsatz des Militärs und
verkündete, für die Suche nach Konsens sei im Kongo kein Platz mehr: „Es ging darum ein
für allemal die Ordnung wiederherzustellen, … um jeden Preis […] egal was die UNO
denkt.“ 531 Nun verbreitet sich in der Opposition, auf Grund der von Kabila und seiner Garde
abermals an den Tag gelegten Härte, Furcht davor, er könnte gegen sie vorgehen. 532 Auf der
anderen Seite stellt der Verlust der Oppositions-Galionsfigur Bemba eine erhebliche
Schwächung des für die Konsolidierung einer demokratischen Kultur so immanent
bedeutsamen Oppositionslagers dar.
8.2.2
Konsolidierungshindernisse und Herausforderungen
Von wesentlicher Bedeutung für die Stabilität und somit auch für die Konsolidierung der
jungen demokratischen Ordnung nach einem Systemwechsel ist, wie schon mehrfach betont
wurde, die diffuse und spezifische Unterstützung der Bevölkerung für das demokratische
System: „Demokratien können sich nur dann entwickeln und konsolidieren, wenn […] die
Unterstützung der Bevölkerung für demokratische Prinzipien bis zur Erreichung einer
‚kritischen Masse’ an Befürwortern zunimmt.“ 533 Die weitgehend fehlende vorautokratische
Demokratie-Erfahrung der kongolesischen Bevölkerung erschwert das Erreichen dieser
kritischen Masse an passiven Befürwortern. Der Schlüssel hierzu ist Vertrauen: Vertrauen der
Bürger in die demokratischen Institutionen, in die politische Elite, in das Rechtssystem, den
Polizeiapparat und die nationale Armee. Kann dieses Vertrauen in der Bevölkerung nicht
geweckt werden, stehen die Konsolidierungschancen schlecht: Momentan geschieht dies in
der DR Kongo noch alles andere als genügend. Das Vertrauen der Kongolesen in ihre
politische Elite, die Parteien und die staatlichen Institutionen ist durch jahrelangen
Machtmissbrauch, strukturelle Korruption und die vielfach offenbarte politische Unfähigkeit
der Entscheidungsträger schwer erschüttert, wozu die Übergangsregierung sicher ihren Teil
beigetragen hat.
530
Scheen, Thomas: Ein schwerer Schlag gegen die Opposition, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.03.2007,
S. 6.
531
Johnson, 2007h.
532
Vgl. Mobateli, Angelo: L’opposition craint d’être muselée, in: Le Potentiel, 28.03.2007.
533
Tetzlaff, Rainer: Demokratie und Entwicklung in Afrika. Enttäuschende Bilanz? Vortrag im Rahmen der
Fachtagung: ‚Im Süden nichts Neues? Demokratie und Entwicklung in Afrika’ am Institut für Entwicklung und
Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen, Campus Duisburg, 20. Juli 2005, S. 7.
130
Auf der anderen Seite wurde die spezifische Unterstützung angesprochen: Auch sie erfordert
Vertrauen der Bevölkerung, einerseits in die Gewährleistung von Sicherheit durch einen
souveränen und territorial integrierten Nationalstaat, andererseits in die Garantie materieller
Wohlfahrt im Rahmen des staatlichen Einflussbereiches. Hinsichtlich der Gewährleistung von
Sicherheit im körperlichen Sinn, ist die Leistungsbilanz alles andere als zufrieden stellend,
wie die schleppende Reform des Sicherheitssektors zeigt. Auf der anderen Seite verhöhnt der
Begriff “materielle Wohlfahrt“ die Ärmsten der Armen in der DR Kongo nahezu: 80% der
Kongolesen leben unter der absoluten Armutsgrenze von unter 1 US$ am Tag. Ausreichend
Nahrung, medizinische Versorgung oder etwa Bildung stellen für einen Großteil der
Kongolesen unbezahlbaren Luxus dar. 534
Hinsichtlich
beider
Legitimationsebenen,
sowohl
der
normativen
als
auch
der
leistungsbezogenen, sieht die Bilanz der DR Kongo bislang also alles andere als positiv genug
aus, um zu erwarten, sie könnten Impulse in Richtung wachsender Legitimität aussenden.
Momentan verwischt die Nach-Wahl-Euphorie diese Realität noch etwas: Die Frage ist, was
geschieht, wenn sich die Verklärung auflöst und die Masse der Bevölkerung desillusioniert
feststellt, dass es keine kurzfristige Verbesserung ihrer Lebensbedingungen durch die
Demokratisierung geben wird und dass der Aufbauprozess ein langer, schwieriger und
komplizierter ist? 535
Neben der Armutsbekämpfung bleibt die erfolgreiche Durchführung der Reform des
Sicherheitssektors und das Durchsetzen des staatlichen Gewaltmonopols im gesamten Land
eine der wichtigsten Voraussetzungen für die demokratische Konsolidierung nach der
Regierungsbildung in der DR Kongo: Eine zentrale Rolle spielt hierbei der bisher nur in
Teilen erfolgte Aufbau einer strukturierten, disziplinierten und angemessen besoldeten
nationalen Armee und eines einheitlichen starken Polizeiapparates, sowie die Entwaffnung
und Demobilisierung der immer noch im Land aktiven Milizen: Ob das Eingliedern von
Rebelleneinheiten in Brigaden der FARDC unter eigenem Kommando nach dem Modell
Nkunda sich hierbei als gute Entscheidung erweisen wird, ist bislang nicht abzusehen. Sicher
nicht im Interesse der Konsolidierung kann es sein, wenn auf diese Weise die Einflusszonen
der Rebellengruppen bestehen bleiben, wie im Fall Nkunda geschehen, und somit das
staatliche Gewaltmonopol in der Konsequenz regional nur teilweise oder gar nicht
durchgesetzt wird. Schon fordern andere Rebellengruppen eine ähnliche Sonderstellung. 536
534
Vgl. Davis, Mike: Die kleinen Hexen von Kinshasa, in: Le Monde diplomatique, 15.12.2006, S. 11.
Vgl. Scheen, 2006a.
536
Vgl. Johnson, 2007d.
535
131
Durch die Beratung der EUSEC (European Communications Security and Evaluation
Agency) wurden im Rahmen der Armeereform jedoch auch schon einige Erfolge erzielt: So
sind z.B. die Soldzahlungsmechanismen neu geordnet worden, indem die Zahlungsstränge
von den Kommandosträngen getrennt wurden. 537
In Teilen des Landes bleibt das staatliche Gewaltmonopol allerdings untergraben, immer noch
sind große Teile der Milizen nicht entwaffnet und demobilisiert worden: Die Präsidialgarde
Kabilas, die eine größere Schlagkraft besitzt als die Regierungsarmee, darf vom
Entwaffnungs- und Integrationsprozess dabei nicht ausgenommen werden. Die zentrale Frage
in diesem Kontext lautet jedoch: Woher soll der Druck kommen, der den Staatspräsidenten
dazu bringt, sich von seiner Privatarmee zu trennen?
Eine weitere Bedrohung des Konsolidierungsprozesses bildet die instabile Lage im Ostkongo,
die eng mit dem stockenden DDRRR-Prozess und dem fehlenden staatlichen Gewaltmonopol
verknüpft ist. Die territoriale Integrität des Landes ist durch den auf die angrenzenden Länder
immer noch bedrohlich wirkenden Zustand der Ost-Provinzen nach wie vor gefährdet. Zudem
stellt die Konstellation aus einer an Rohstoffen reichen DR Kongo mit den zwei
ressourcenlosen, jedoch dicht besiedelten Nachbarländern Rwanda und Burundi ein
permanentes Destabilisierungspotential für die Region dar. Hoffnung macht in diesem
Zusammenhang der Prozess der Friedenskonferenz für das Afrika der Großen Seen nach
KSZE-Vorbild, als Chance, die Ressourcen der Region dem gemeinsamen Nutzen aller
Staaten der Großen Seen dienen zu lassen. 538
Nachdem sich der ehemalige Oppositionsführer Bemba, der in der Stichwahl immerhin etwa
zwei Fünftel der Stimmen auf sich vereinen konnte, auf die demokratischen Spielregeln
eingelassen hatte, sorgte zudem die Besetzung aller Leitposten der Regierung durch Vertreter
der Wahlgewinner für neue Spannungen: Die Opposition wurde auf diese Weise durch die
Wahlgewinner weitgehend von der politischen Gestaltung ausgeschlossen, wodurch der
Boden für neue Proteste und Gewalt bereitet wurde. Bembas Verschwinden von der
politischen Bühne in der DR Kongo lässt eine Marginalisierung der Opposition befürchten,
537
Vgl. Misser, 2007. Die Kopplung der Zahlungs- an die Kommandostränge hatte in der Vergangenheit zur
bereits beschriebenen massiven Unterschlagung von Soldzahlungen geführt. (Vgl. Punkt 7.3.2, S. 103).
538
Bereits 2004 hatte das erste Zusammentreffen der ‚Internationalen Konferenz für Frieden und Sicherheit in
den Großen Seen’ zwischen Angola, Burundi, der DR Kongo, Kenia, Kongo-Brazzaville, Rwanda, Sambia,
Sudan, Tansania, Uganda und der Zentralafrikanischen Republik in Dar es-Salaam stattgefunden. Im Dezember
2006 unterzeichneten die elf Staatschefs den „Pakt von Nairobi“, der den Rahmen für eine regionale
Zusammenarbeit und die Finanzierung grenzüberschreitenden Wiederaufbaus vorgab. (Vgl. Johnson, Dominic:
Ein Stabilitätspakt für Afrika, in: die tageszeitung, 16.12.2006i, S. 9).
132
denn auch die bedeutendste oppositionelle Instanz, die UDPS, ist, wie mehrfach erwähnt,
weder im Parlament vertreten noch an der Regierung beteiligt.
Auch die jüngsten Entwicklungen bezüglich der Opposition lassen für die Konsolidierung des
demokratischen Systems in der DR Kongo also ein gerüttelt Maß an Skepsis zu: Die
entscheidende Frage ist, wie stark der Verlust Bembas für die Opposition wiegt, denn ohne
eine funktionierende, intakte und rege Opposition ist ein Ungleichgewicht in der jungen
demokratischen Ordnung zu erwarten, das die Konsolidierung gefährdet. Dieses potentielle
Konsolidierungshindernis durch das mögliche Fehlen einer tatsächlichen Opposition ist vor
dem beschriebenen bescheidenen Maß an Einfluss der funktionalen Repräsentationsinstanzen,
d.h. der Zivilgesellschaft als stabilisierendes Element, und angesichts des schwachen
Organisationsgrades der meisten Parteien als umso dramatischer zu sehen.
Die hier getroffenen Feststellungen zum Stand der Konsolidierung betreffend muss an dieser
Stelle die Einschränkung gemacht werden, dass es für eine valide Bestandsaufnahme wenige
Monate nach Abschluss der Regierungsbildung schlicht zu früh ist: Gezeigt wurde jedoch, das
die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Konsolidierung nicht sehr positiv erscheinen, und
jede Menge Angriffspunkte für die Entwicklungszusammenarbeit liefern.
133
9. Schlussbetrachtung: Quo vadis DR Kongo?
Zunächst sind einige Anmerkungen zur Relevanz der Vorgehensweise und der verwendeten
Instrumente zu machen, bevor die Perspektiven der demokratischen Konsolidierung
dargestellt werden. Das etwas erweiterte Systemwechselmodell Wolfgang Merkels hat sich
auf Grund seiner relativ offenen, universalen Gestalt als wertvoll erwiesen, um den
Demokratisierungsprozess der DR Kongo zu periodisieren. Durch das Hinzufügen der zwei
Retardationsphasen vor der eigentlichen Transition ergab sich trotz einiger Unschärfen, die
durch die schlecht mögliche trennscharfe Unterscheidung der Hauptphasen entstanden, ein
insgesamt schlüssiges Abbild des Demokratisierungsprozesses in der DR Kongo. 539 Die
theoretische Reflexion des Systemwechselprozesses erfolgte durch die weitgehende
Beschränkung auf die systemische Ebene jedoch erwartungsgemäß wenig tiefgründig. Der
tatsächliche Erkenntniswert, der aus der rein systemtheoretisch orientierten Betrachtung von
Systemwechseln hervorgeht, bleibt somit wie erwartet eher gering. Dies gilt umso mehr für
einen so speziellen Systemwechsel wie jenen in Kongo/Zaire, der durch viele verschiedene
Faktoren, die von der Systemtheorie nur schlecht bis gar nicht aufgenommen werden können,
beeinflusst wird.
Es zeigte sich in der Untersuchung deutlich, was unter Punkt fünf bereits mit Bezug auf die
Ansicht Merkels konstatiert wurde. Eine wirklich umfassende Systemwechselanalyse kann
nur unter Berücksichtigung aller für den Systemwechsel relevanten Teilaspekte bzw. Ebenen
geschehen. Die Systemebene ist in Systemwechselprozessen von großer Bedeutung, vor allem
was die Befunde zur Legitimität und Stabilität des politischen Systems angeht. Im
Systemwechselprozess selbst, vor allem in den Momenten der größten Unsicherheit, in denen
sich, wie mehrfach bereits erwähnt wurde, auch die Bandbreite der Handlungsoptionen der
Akteure durch die verflüssigten Strukturen massiv vergrößert, spielen aber eben auch die
anderen Ebenen, allen voran die Akteursebene in Korrelation mit den strukturellen
Gegebenheiten eine entscheidende Rolle.
Der
„Königsweg“ 540
der
Systemwechselanalyse,
auf
dessen
Suche
sich
die
Systemwechselforschung befindet, kann jedoch nicht einfach in Form eines allgemeingültigen
Modells
festgeschrieben
werden:
Er
besteht
vielmehr
darin,
fallgerecht
eine
539
Es muss angemerkt werden, dass der im Titel der Arbeit verwendete Begriff des „Transitionsprozesses“ vor
dem Hintergrund des verwendeten merkelschen Modells eine rein begriffliche Überbewertung der Transition
hervorruft, die im Sinne Merkels lediglich den Augenblick des Machtübergangs von autokratischem zu den
demokratischen bzw. demokratiewilligen Kräften des Systems bezeichnet, in seiner landläufigen Verwendung
jedoch den Systemwechsel- bzw. Demokratisierungsprozess in seiner Gesamtheit umfasst. Letzteres entspricht
dem Verständnis, welches die Verwendung des Begriffes „Transitionsprozess“ implizieren sollte.
540
Vgl. Merkel, 1996.
134
mehrdimensionale Untersuchung des jeweiligen, individuellen Systemwechsels vorzunehmen,
bei der das für jede Ebene passende und am besten geeignete theoretische Instrument zur
Analyse herangezogen wird. Merkel beschreibt diesen Königsweg als „Ansatz zur
Systemwechselforschung,
Legitimationserfordernisse,
der
Sozial-
funktionale
und
Teilsystemlogiken,
Machtstrukturen,
Institutionen
systemische
sowie
den
internationalen Kontext als zu konkretisierende constraints für das strategische Handeln
politischer Akteure begreift“ 541 . Nur so kann der Systemwechselprozess in der Gesamtheit der
ihn ausmachenden Teilaspekte und Einflüsse erfasst und ausgeleuchtet werden.
Nun soll gefragt werden, welche Ergebnisse aus der vorliegenden Untersuchung trotz der
gemachten Einschränkungen hervorgehen. Was waren die entscheidenden Einflussfaktoren,
die die Wiederbelebung des Friedens- und Demokratisierungsprozesses unter Joseph Kabila
bewirkten?
Wie auch schon bei der Analyse der Ursachen, die Mobutu 1990 zur Liberalisierung zwangen,
sind mit internen und externen Faktoren zwei wesentliche Einflussbereiche zu unterscheiden.
Auf der einen Seite wurde der massive systeminterne Legitimationsdruck bereits beschrieben,
dem das Regierungssystem L.-D. Kabilas in seinen letzten Herrschaftsjahren ausgesetzt war.
Der neue, von der alten Herrschaftselite installierte Machthaber Joseph Kabila bot für diesen
massiven Druck, der im Vergleich zu 1990 von einer weitaus stärker manifestierten
Zivilgesellschaft ausging, eine noch bessere Angriffsfläche als sein Vater. Auf der anderen
Seite spielte der Druck, der von internationaler Seite auf den politischen Entscheidungsträgern
lastete, eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Rolle für die Entscheidung Kabilas, sich
wirtschaftlich und politisch kooperativ zu verhalten. Auch während des in Gang gekommenen
Demokratisierungsprozess war das internationale Drängen ständig von Nöten, um den Prozess
von den überwiegend an der Erhaltung des Status Quo interessierten Regierungsmitgliedern
nicht vollends zum Erliegen bringen zu lassen.
Die Gretchenfrage der sozialwissenschaftlichen Theorie konnte bezogen auf den vorliegenden
Untersuchungsgegenstand durch die Analyse jedoch nicht hinreichend beantwortet werden:
Hat das System bzw. die Struktur die Entwicklung im „Kongo in der Stunde Null“ 542
erzwungen, oder haben die Akteure, allen voran Joseph Kabila, unter den Handlungsoptionen,
die unter der Wirkung der constraints noch übrig blieben, lediglich die Option des
Machterhalts durch Kooperation gewählt? Die gewonnenen Erkenntnisse zeigen zwar, dass
541
542
Ebd. S. 325.
Johnson, 2004a: S. 93.
135
die Handlungsoptionen der politischen Entscheidungsträger durch die strukturellen
Gegebenheiten die Akteure sehr stark in ihrer Entscheidung beeinflussen mussten. Um die
Frage jedoch verlässlich beantworten zu können, bedarf es eben jenes integrierten
Analyseansatzes, der zuvor besprochen wurde. Erst wenn neben der systemischen Ebene auch
das Akteursverhalten im Kontext mit den strukturellen Bedingungen untersucht wird, werden
sich
genauere
Schlüsse
Entwicklungen
ziehen
bezüglich
lassen:
des
Zustandekommens
Eine
der
weiterführende
zu
beobachtenden
Untersuchung
des
Systemwechselprozesses ist also notwendig.
Für die Konsolidierung der erreichten demokratischen Fortschritte in der DR Kongo ist die
Beantwortung
der
Frage
nach
der
System-
bzw.
Akteursrolle
in
diesem
Systemwechselprozess eine nicht unbedeutende: Immer noch ist unklar, ob die Entwicklung
der DR Kongo tatsächlich in die Richtung einer konsolidierten Demokratie in einem
gefestigten Rechtstaat geht, d.h. die Entwicklung der democratic structure zur democratic
substance voranschreiten wird oder ob es sich bei den gegenwärtigen Entwicklungen doch nur
um das aus anderen afrikanischen Ländern bekannte „unwürdige Verhandlungsspiel – Geld
gegen gespieltes Wohlverhalten“ 543 der entscheidenden Eliten handelt.
Der alte und neue kongolesische Staatspräsident wäre nicht das erste afrikanische
Staatsoberhaupt, das der Verführung der Macht und der Selbstbereicherung vollends erliegt
und die errungenen Demokratisierungsfortschritte wieder über Bord wirft. Joseph Kabila
steht, was die Selbstbereicherung betrifft, bereits in der Kritik. So soll er sich bzw. seiner
Familie in der Übergangsphase äußerst lukrative Bergbauverträge zugeschanzt und
mittlerweile ein beträchtliches Vermögen angehäuft haben. 544 Nach wie vor verfügt der
Staatschef in der DR Kongo trotz der Schmälerung seiner Macht durch die neue Verfassung
über eine sehr starke Stellung. Vor dem Hintergrund der sich manifestierenden
Oppositionsschwäche, der immer noch sehr schwachen demokratischen Institutionen und der
weiterhin in der Hand Kabilas befindlichen, massiven irregulären militärischen Ressourcen
stellt dies keine gute Voraussetzung für die Konsolidierung noch ungefestigter
demokratischer Strukturen dar. Doch auch andere Szenarien der Bedrohung sind denkbar,
denn den Staat in Frage stellende Kräfte existieren in der DR Kongo zur Genüge und die
Gesellschaft ist gerade erst wieder im Begriff zusammenzuwachsen. Neue, massive
Gewaltausbrüche im Osten der DR Kongo etwa könnten sich ohne weiteres zu einer tiefen
Krise der jungen Dritten Republik auswachsen. Der Einfluss, den Bembas Verschwinden von
543
Tetzlaff, 2005: S. 6.
Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.)/ Schadomsky, Ludger: Wer steht zur Wahl?; unter:
<http://www.bpb.de/themen/Z0ZQBA.html> (02.02.2006).
544
136
der politischen Landkarte auf den Gegensatz zwischen West- und Ostkongo haben wird, der
sich auch in den Wahlergebnissen widerspiegelte, ist bislang nicht einzuschätzen.
Um abschließend noch einmal die unter Punkt 8.2 beschriebenen, wichtigsten Hindernisse für
eine
erfolgreiche
Konsolidierung
in
der
DR
Kongo
zusammenzufassen:
Der
Konsolidierungsprozess ist auf der einen Seite durch das nach wie vor unbefriedigte
Bedürfnis nach Sicherheit in der Bevölkerung belastet. Dies beinhaltet einerseits die
Sicherheitsfrage im ganz körperlichen Sinne durch die unzureichende, schleppende Reform
des Sicherheitssektors (Armee, Polizei, DDRRR-Prozess) und das schwache staatliche
Gewaltmonopol, andererseits aber auch die sozioökonomische Situation: Der Großteil der
Kongolesen lebt in dramatischer Armut. Ohne den Ärmsten der Armen aus dieser Krise zu
helfen, verschlechtern sich die Chancen der demokratischen Konsolidierung erheblich, wie
eine nach wie vor gültige, grundlegende Feststellung der Modernisierungstheorie lautet.
Gerade die sozioökonomische Entwicklung stellt für Afrika eines der zentralen Probleme dar,
die die Konsolidierung erschweren. 545 Dennoch ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass
dieser ursprünglich von der Modernisierungstheorie nachgewiesene deutliche Zusammenhang
zwischen
sozioökonomischer
Entwicklung
und
Demokratisierung
kein
absolut
ausschließendes Kriterium darstellt: Mali ist das beste Beispiel für ein ethnisch stark
segmentiertes Land, das zu den ärmsten der Welt zählt, und in dem sich trotz dieser
Widrigkeiten eine demokratische Ordnung entwickeln konnte – allerdings ebenfalls mit
großer externer Unterstützung. 546
Eine zentrale Rolle für die Konsolidierung spielt zudem eine breite, intakte, aktive und
einflussreiche Zivilgesellschaft und eine funktionierende Parteienstruktur, die sich stützend in
den Konsolidierungsprozess einbringen. Nach wie vor behindern die undemokratischen und
ineffizienten Organisationsstrukturen, massive Korruption und ethnische Zerwürfnisse eine
effektive Interessenvertretung durch die zivilgesellschaftlichen Organisationen. Ähnlich gilt
dies für die Parteien. Die große Menge an bestehenden Organisationen kann dabei als
Problem aber auch als Chance gesehen werden. 547 Von großer Bedeutung ist ein
„gesellschaftlicher Grundkonsens“ 548 , der in der DR Kongo trotz aller ethnischen Gegensätze
unbestritten existiert: Nur muss dieser auch durch Organisation manifestiert, effizient
umgesetzt bzw. dessen Einfluss auf politischer Ebene geltend gemacht werden. Momentan ist
545
Vgl. Merkel, Wolfgang: „Einer der schwierigsten Fälle auf dem schwierigsten Kontinent“, Interview mit der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 06.04.2006; unter:
<http://www.faz.net/s/RubFC06D389EE76479E9E76425072B196C3/Doc~E6CE7491D3A504FA78AA3EF3E
C79026E7~ATpl~Ecommon~Scontent.html> (10.05.2006).
546
Vgl. ebd.
547
Vgl. Matthiesen, 2005: S. 143.
548
Ebd.
137
die
Aktionsfähigkeit
der
Zivilgesellschaft
diesbezüglich
jedoch
durch
zu
starke
Fraktionierung und die mangelnde Struktur stark eingeschränkt: Ein Problem, das die
politische Opposition bereits unter Mobutu schwächte und daran hinderte, entscheidenden
Einfluss auf das Regime auszuüben.
Es muss noch einmal betont werden: Die internationale Gemeinschaft spielte mit dem von ihr
ausgeübten Einfluss auf den Demokratisierungsprozess die entscheidende Schlüsselrolle, die
die DR Kongo dorthin gebracht hat, wo sie sich heute befindet 549 : In einem nach wie vor
nicht stabilen Nach-Wahl-Zustand, der erst ganz am Beginn der Konsolidierung steht, deren
Vorzeichen, wie beschrieben, alles andere als von vorteilhafter Ausprägung sind und die
Konsolidierung erheblich erschweren und zusätzlich verlängern werden. Das weitere
langfristige Engagement der internationalen Gemeinschaft (nicht nur der Weltbank und des
IWF) ist deshalb unabdingbar, damit sich eine funktionierende Demokratie in der DR Kongo
entwickeln kann und ein abermaliger Rückfall zu autoritärer Herrschaft unter den
beschriebenen schlechten Konsolidierungsvoraussetzungen verhindert wird. 550 Unterstützung
im Bildungsbereich, Stärkung der zivilgesellschaftlichen Organisation und das Weiterführen
der Beratung beim Aufbau einer effektiven Verwaltungsstruktur sowie des Sicherheitssektors
sind dabei mindestens genauso wichtig, wie die Stärkung im ökonomischen Bereich. Die
Nachhaltigkeit der Entwicklung wird vor dem Hintergrund der großen Bedeutung der
internationalen Unterstützung von der Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft
abhängen, stärkere Verpflichtungen in der DR Kongo einzugehen. 551
Wolfgang Merkel spricht vom Demokratisierungsprozess der DR Kongo als einem der
„schwierigsten Fälle auf dem schwierigsten Kontinent.“ 552 Wie massiv allein die
sozioökonomische Krise der DR Kongo nach den Jahrzehnten der Ausbeutung und des
Krieges tatsächlich ist, wird deutlich, wenn man sich das von der Weltbank berechnete best
case scenario vor Augen hält: Bei einem Wirtschaftswachstum von jährlich 4% würde die DR
Kongo mindestens 200 Jahre brauchen, bis wieder das Wohlstandsniveau von 1960 erreicht
wäre. 553 Die Kongolesen müssen sich auf einen sehr langen, von vielen Unwägbarkeiten
begleiteten Prozess des Wiederaufbaus einstellen. Noch ist dies nur einem kleinen Teil der
Bevölkerung des Landes wirklich klar.
549
Vgl. Kabemba, 2005: S. 176.
Zu diesem Engagement gehört z.B. auch die strikte Kontrolle darüber, wo die Entwicklungshilfezahlungen
tatsächlich ankommen, denn die Selbstbedienungsmentalität und die Korruption vor Ort zählen unverändert zu
den größten Gegnern von Fortschritt und einer erfolgreichen Entwicklungszusammenarbeit.
551
Vgl. Merkel, 2006.
552
Ebd.
553
Vgl. Johnson, Dominic: Labor der Weltbank, in: die tageszeitung, 22.06.2004b, S. 4.
550
138
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Selbstständigkeitserklärung
Ich versichere hiermit, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst und keine
anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet habe.
Rostock, 10. April 2007
Axel Blaschke
148