Nationalstaatsbildung und Transitionsprozess in der Demokratischen
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Nationalstaatsbildung und Transitionsprozess in der Demokratischen
Universität Rostock Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften Nationalstaatsbildung und Transitionsprozess in der Demokratischen Republik Kongo aus demokratisierungstheoretischer Sicht Abschlussarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magister-Artium (MA) im Fach Politikwissenschaft Betreut durch: Angefertigt von: Prof. Dr. Yves Bizeul Axel Blaschke Dr. Conchita Hübner-Oberndörfer Politikwissenschaft im Erstfach (BA/MA) 10. Fachsemester Eingereicht am: 10.04.2007 Adresse: Am Kabutzenhof 38a 18057 Rostock Tel.: 0176/22521078 E-Mail: [email protected] Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 8 1.1 Forschungsstand 10 1.2 Fragestellung und Vorgehensweise 11 2. Begriffsklärungen 14 2.1 Transition und Demokratisierung 14 2.2 Demokratiebegriff 15 2.3 Demokratie in Afrika 18 3. Demokratisierungstheoretische Ansätze 20 3.1 Modernisierungstheorie 20 3.2 Systemtheoretische Ansätze 24 3.2.1 Klassische Systemtheorie 24 3.2.2 Autopoietische Systemtheorie 26 3.2.3 Politische Legitimation und Systemstabilität in der Systemtheorie 28 3.3 Strukturalistische Ansätze 34 3.4 Akteurs-/ handlungstheoretische Ansätze 36 4. Phasen und Formen von Systemwechselprozessen 39 4.1 Phasen des Systemwechsels 39 4.1.1 Das Ende des autokratischen Systems 42 4.1.2 Institutionalisierung der Demokratie (Demokratisierung) 44 4.1.3 Konsolidierung der Demokratie 45 4.2 Verlaufsformen von Systemwechseln 49 4.3 Die Debatte um das Transitionsparadigma 52 5. Resümee 55 6. Nationalstaatsbildung und politische Entwicklung Kongo/Zaires seit der Unabhängigkeit 58 6.1 Nationalstaatsbildung 58 6.1.1 Nation und Staat im postkolonialen Afrika 58 6.1.2 Ethnien in der Demokratischen Republik Kongo 59 6.1.3 Das kongolesische Volk: „Unis par le sort…“ 60 6.1.4 Der Nationalstaat „Demokratische Republik Kongo“ 61 6.2 Die politische Entwicklung des Kongo seit der Unabhängigkeit – Über drei Jahrzehnte autoritäre Herrschaft und 16 Jahre stockende Transition 63 6.2.1 Die Erste Republik und die Ermordung Patrice Lumumbas’ 63 6.2.2 Die Diktatur Mobutus: Zweite Republik und der erste Kongo-Krieg 63 6.2.3 Laurent-Désiré Kabila und der zweite Krieg 65 6.2.4 Die Regierung der Transitionsphase unter Joseph Kabila und der Weg 7. zur Dritten Republik 65 Der Demokratisierungsprozess in Kongo/Zaire 67 Phase I – Der Übergang von autoritärer Herrschaft zum demokratischen System 7.1 Das Ende des neopatrimonialen Mobutu-Regimes 7.1.1 Das neopatrimoniale System Mobutus: 67 Instabilität versus Herrschaftstechnik 67 7.1.2 Ursachen und Auslöser des Demokratisierungsprozesses 71 7.1.2.1 Systeminterne Ursachen des Demokratisierungsprozesses 72 7.1.2.2 Systemexterne Ursachen des Demokratisierungsprozesses 73 7.1.3 Liberalisierung und Demokratisierungsphase 77 7.1.3.1 Die kurze Liberalisierungsphase 1990 77 7.1.3.2 Demokratisierungsphase 1991-1992 79 7.1.4 Retardation I: Blockade und partielle Restauration der alten Machtstrukturen 81 7.1.4.1 Blockade der Demokratisierung und Restauration 81 7.1.4.2 Ursachen für die blockierte Demokratisierung 82 7.1.5 Sturz des Mobutu-Regimes 84 7.1.6 Retardation II: Der Rückfall zur autoritären Herrschaft unter L.-D. Kabila und der „erste afrikanische Weltkrieg“ 7.1.6.1 86 Machtrausch statt Demokratisierung: Politische Kontrolle kompensiert fehlende Legitimität 86 7.1.6.2 L.-D. Kabilas Legitimationsversuche 87 7.1.6.3 Der „erste afrikanische Weltkrieg“ 89 7.2 Die Einleitung der Transitionsphase unter Joseph Kabila 91 7.2.1 Der schleppende Friedensprozess als Grundlage für die Transition 92 7.2.2 Die Friedensmission MONUC der UN 94 7.2.3 Einsetzung der Verfassungsorgane der Übergangsphase 96 Phase II – Die Institutionalisierung der Demokratie 7.3 Die Herausbildung demokratischer Systemstrukturen 7.3.1 Die Arbeit der Übergangsregierung, permanente Gewalt im Ostkongo und schleppender Fortschritt 7.3.2 Neuer Schwung in der verlängerten Übergangsphase 7.3.3 Der Aufbau territorialer und funktionaler Repräsentation: Parteiensystem 7.3.4 97 97 102 und Zivilgesellschaft 104 Die neue Verfassung der DR Kongo vom Februar 2006 107 Phase III – Einsetzende Konsolidierung 7.4 Der Wahlprozess 2006 und die Regierungsbildung: Transition 109 7.4.1 Wählvorbereitungen: Wählerregistrierung und Wahlkampf 109 7.4.2 Die ersten freien Wahlen in der DR Kongo seit über vier Jahrzehnten 113 7.4.3 Regierungsbildung und vollzogene Transition 116 7.4.4 Geleerte Staatskassen nach den Wahlen 117 7.4.5 Die unverändert kritische Sicherheitslage während und nach den Wahlen 118 7.5 Systemtheoretische Einordnung und Typisierung des Systemwechsels 119 7.5.1 Systemtheoretische Einordnung des Systemwechsels 119 7.5.2 Typisierung des Systemwechsels 123 8. Stand der demokratischen Konsolidierung im März 2007 und zentrale Konsolidierungsprobleme 126 8.1 Konsolidierungsebenen 126 8.1.1 Konstitutionelle Konsolidierung (Makro-Ebene: Strukturen) 126 8.1.2 Repräsentative Konsolidierung (Meso-Ebene: Akteure) 127 8.1.3 Verhaltenskonsolidierung (Meso-Ebene: informelle politische Akteure) 128 8.1.4 Konsolidierung einer Bürgergesellschaft (Mikro-Ebene: Bürger) 128 8.2 Probleme und Herausforderungen für die demokratische Konsolidierung 129 8.2.1 Jean-Pierre Bembas politisches Ende –Das Ende der Opposition in Kinshasa? 129 8.2.2 Konsolidierungshindernisse und Herausforderungen 130 9. Schlussbetrachtung: Quo vadis DR Kongo? 134 10. Literatur- und Quellennachweis 139 Selbstständigkeitserklärung 148 Abkürzungsverzeichnis ACL-PT Assemblée Constituante et Législative – Parlement de Transition AFDL Alliance des Forces Démocratiques pour la Libération du Congo-Zaire ALiR Armée pour la Libération du Rwanda AMP Alliance pour la Majorité Présidentielle AU African Union CEI Commission Electorale Indépendante CIA Central Intelligence Agency CIAT Comité International d’Assistance à la Transition CNDP Congrès National pour la Défense de Peuple CODECO Coalitions des Démocrates Congolais CPP Comités de Pouvoir Populaire DDRRR Disarmament, Demobilisation, Repatriation, Reintegration, Resettlement DR Demokratische Republik DSP Division Spéciale Présidentielle EUFOR European Union Force EUSEC European Communications Security and Evaluation Agency EUPOL European Union Police FARDC Forces Armées de la République Démocratique du Congo FAZ Forces Armées Zairoises FDLR Forces Démocratiques du Libération du Rwanda GSSP Groupe Spéciale de la Sécurité Présidentielle HCR Haut Conseil de la République HCR-PT Haut Conseil de la République – Parlement de Transition ICG International Crisis Group IGH Internationaler Gerichtshof IWF Internationaler Währungsfond KSZE Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa MLC Mouvement pour la Libération du Congo MONUC Mission de l’Organisation des Nations Unies au Congo MPR Mouvement Populaire de la Révolution MPR/FP Mouvement Populaire de la Révolution – Fait Privé NEPAD New Partnership for African Development NGO Non-Governmental Organization OAU Organisation of African Unity (Vorgängerorganisation der AU) ONUC Opération des Nations Unies au Congo PALU Parti Lumumbiste Unifié PCR Parti Chrétien Républicaine PDSC Parti Démocrate et Social Chrétien PPRD Parti pour la Reconciliation de la Développement RCD Rassemblement Congolais pour la Démocratie RCD-ML Rassemblement Congolais pour la Démocratie – Mouvement de Libération RENACO Regroupement des Nationalistes Congolaises SADC Southern African Development Community SKOG Konzept der strategischen und konfliktfähigen Gruppen UDPS Union pour la Démocratie et le Progrès Social UFERI Union des Fédéralistes et des Républicains Indépendants UMP Union pour un Mouvement Populaire UN/UNO United Nations/ United Nations Organisation UNDP United Nations Development Program VR Volksrepublik 1. Einleitung Bis Ende der 80er Jahre hatten sich im Afrika der Subsahara „die dort herrschenden autoritären politischen Systeme […] wie ein Schatten über die Länder der Region gelegt.“ 1 Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs setzte dann in Namibia beginnend eine Demokratisierungswelle in Schwarzafrika ein, die nur wenige Staaten südlich der Sahara nicht erfasste. Erstaunliche und schnelle Fortschritte schienen sich im Rahmen des um sich greifenden Demokratisierungsprozesses einzustellen. Zwischen 1990 und 1997 fanden insgesamt etwa 40 Wahlen statt, bei denen es sich fast ausnahmslos um Mehrparteienwahlen handelte. 2 Dennoch ist die anfängliche kurze Begeisterung über die afrikanischen Demokratisierungserfolge nach einigen Jahren wieder einer allgemeinen Skepsis gewichen. 3 Zunächst musste festgestellt werden, dass ein hoher Prozentsatz dieser Wahlen ganz und gar nicht demokratischen Charakter hatte bzw. sogar gänzlich gefälscht worden waren. Was sich Ende der 90er Jahre als Tendenz abzeichnete, ist mittlerweile Gewissheit geworden: Heute gibt es in Afrika kaum noch Staaten, die keine Mehrparteiensysteme haben und regelmäßig Wahlen abhalten, nur sagt das nichts über die tatsächliche Entwicklung bzw. die Konsolidierung eines wirklich demokratischen Systems aus. Vielmehr entstanden in der Folge der ersten Demokratisierungseuphorie zahlreiche Systeme, die sich in einer Grauzone zwischen Demokratie und Autokratie bewegen und die gegenwärtig das Interesse der Erforschung der Demokratie in Afrika auf sich lenken. 4 Die Demokratische Republik Kongo ist heute allerdings noch weit entfernt von dem Punkt, an dem sich die Frage stellt, ob das politische System, das nach dem 16 Jahre währenden Demokratisierungsprozess in den letzten Jahren entworfen und installiert wurde, tatsächlich uneingeschränkt den Namen Demokratie verdient. Die DR Kongo, die damals noch Zaire hieß 5 , gehört zu den Staaten des subsaharischen Afrikas, die im Zuge der Demokratisierungswelle Anfang der 90er nicht den Weg zu einer demokratischen Ordnung 1 Mair, Stefan: Weg zur Demokratie in den neunziger Jahren, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Informationen zur politischen Bildung, Nr. 264/1999, Bonn 1999, S. 41-44, S. 41. 2 Vgl. ebd. 3 Vgl. Hartmann, Christof: Ethnizität, Präsidentschaftswahlen und Demokratisierung in Afrika, Focus Afrika/ IAK Diskussionsbeiträge Nr. 13, Institut für Afrika-Kunde Hamburg, 1999, S. 2; unter: <http://www.ruhr-uni-bochum.de/jtaa/downloads/Focus%20Afrika.PDF> (09.08.2006). 4 Vgl. etwa Meyns, Peter: Afrika zwischen Autokratie und Demokratie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 3233/2006, S. 3-8 und Schmidt, Siegmar: Wie viel Demokratie gibt es Afrika?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 32-33/2006, S. 9-14. 5 Für die DR Kongo wird den Zeitraum zwischen 1967-1997 betreffend der Name Zaire verwendet. Der Diktator Mobutu hatte die DR Kongo und den gleichnamigen Fluss in dieser Zeit im Rahmen einer scheinbaren Rückbesinnung auf präkoloniale kulturelle, gesellschaftliche Wurzeln in Zaire umbenannt. 8 fanden. Der Diktator Mobutu Sese Seko, der Zaire bis 1990 schon drei Jahrzehnte regiert hatte, verhinderte nach einer anfänglichen Öffnung des Systems und einem angelaufenen Demokratisierungsprozess den Fortschritt des Systemwechsels. Er sträubte sich bis 1997 erfolgreich gegen demokratische Reformen. In diesem Jahr wurde er schließlich durch eine Rebellion unter Laurent-Désiré Kabila aus dem Amt vertrieben, von der sich die Kongolesen und auch viele Beobachter eine Wiederbelebung des Demokratisierungsprozesses versprachen. Kabila hingegen trat in die „autoritären Fußstapfen seines Vorgängers“ 6 und errichtete entgegen seiner Demokratie-Versprechen eine Willkürherrschaft, die der Diktatur Mobutus aus Sicht der Bevölkerung in nur wenigen Punkten etwas nachstand. Die DR Kongo war im Zuge des 1998 ausgebrochenen Krieges gesellschaftlich zerrissen und territorial in verschiedene Einflusszonen von Rebellengruppen und ausländischen Truppen aufgeteilt worden: Sie wurde zum failed state, in dem der Staat als Ordnungsmacht praktisch nicht mehr existierte. Der Konflikt, der seinen Ausgang wesentlich im Genozid 1994 in Rwanda genommen hatte, trug in der Folge zur langfristigen Destabilisierung der gesamten Region der Großen Seen bei. 7 Erst mit dem Mord an L.-D. Kabila 2001 und der mehr oder weniger unmittelbaren Nachfolge durch seinen mutmaßlichen Sohn Joseph Kabila kam die Wende im bis dahin blockierten Friedens- und Demokratisierungsprozess. Sechs Jahre lang übte Joseph Kabila weiterhin ohne demokratische Legitimation das Amt des kongolesischen Staatspräsidenten aus: In dieser Zeit wurde ein Friedenschluss mit den am Konflikt beteiligten Rebellengruppen und Staaten geschlossen und unter der Führung Kabilas eine Übergangsregierung aus den Rebellengruppen, der alten Regierung und Vertretern der Zivilgesellschaft gebildet, die die DR Kongo auf einem holprigen Weg zu den ersten freien Wahlen seit über vier Jahrzehnten führte. Der Gesamtzustand in der Übergangsphase war labil, er ist es heute noch immer und wird es wahrscheinlich auch noch lange Zeit bleiben, denn die den Staat zusammenhaltenden Kräfte müssen erst wachsen. Die junge demokratische Ordnung steht erst ganz am Beginn ihrer Konsolidierung. Dieser ungewöhnlich lange und komplizierte Demokratisierungsprozess ist Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Nachfolgend wird nun ein Überblick über den Forschungsstand des Demokratisierungsprozesses in Kongo/Zaire gegeben, dem sich die Erläuterung des zentralen Untersuchungsgegenstandes und der Vorgehensweise anschließt. 6 Stroux, Daniel: Kriegerische Auseinandersetzungen in Kongo-Zaire, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Informationen zur politischen Bildung, Nr. 264/1999, Bonn 1999, S. 48-50, S. 49. 7 Vgl. Matthiesen, Kalala Ilunga: Die Demokratische Republik Kongo. Eine Analyse aus staatstheoretischer, verfassungstheoretischer und völkerrechtlicher Sicht, Münster 2005. S. 15. 9 1.1 Forschungsstand Der mit der Systemkrise von Mobutus Regime und schließlich der Liberalisierung 1990 einsetzende Demokratisierungsprozess der DR Kongo ist bislang nur phasenweise wissenschaftlich reflektiert worden: So gibt es zur Diktatur Mobutus und zum anschließenden Systemniedergang eine ganze Reihe von Veröffentlichungen. Mit dem Mobutu-Regime, seinen Machtstrukturen und Herrschaftstechniken sowie dem Abgleiten Zaires in die Systemkrise bis Mitte der 80er Jahre befassten sich Young/Turner in ihrem, den Mobutismus betreffend, nahezu zum Standardwerk avancierten „The Rise and Decline of the Zairian State“ 8 . Die nachfolgende Phase der durch Mobutu blockierten bzw. sabotierten Demokratisierung ist vor allem akteurstheoretisch aufgearbeitet worden: Hier haben sich vor allem Daniel Stroux 9 und Siegmar Schmidt 10 mit ihren Arbeiten verdient gemacht. Dem Niedergang des Systems und dem Staatszerfall sowie der die Krise verlängernden Periode, in der sich Mobutu zunächst noch einige Jahre an der Macht halten konnte und schließlich von L.-D. Kabila gestürzt wurde, sind aus wissenschaftlicher Sicht also einige Aufmerksamkeit gewidmet worden. Die folgenden Herrschaftsjahre Kabilas, die im Endeffekt eine Fortführung des Mobutu-Regimes mit leichten Modifikationen darstellten, und in der Folge den zweiten Kongo-Krieg mit sich brachten, ließen den Demokratisierungsprozess endgültig einfrieren: Stattdessen setzte sich der Staatszerfall fort. Der Kriegszustand, der Staatszerfall und die stockenden Friedensverhandlungen bestimmen das wissenschaftliche Interesse an dieser Zeit, denn aus Sicht des Demokratisierungsprozesses war zuvorderst ein Friedensschluss zwischen den zahlreichen Konfliktparteien nötig, um überhaupt wieder über das Fortschreiben des Systemwechsels nachdenken zu können. 11 Eine recht umfassende Untersuchung der Entwicklungen von Mobutu bis etwa zum Antritt der Übergangsregierung der nationalen Einheit 2003 bietet die Analyse Kalala Ilunga Matthiesens 12 , die schwerpunktmäßig die staatstheoretischen, verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Aspekte der Entwicklungen in diesem Zeitraum beleuchtet. 8 Young, Crawford/ Turner, Thomas: The Rise and Decline of the Zairian State, Madison/London 1985. Stroux, Daniel: Zaïres sabotierter Systemwechsel. Das Mobutu-Regime zwischen Despotie und Demokratie (1990-1995), Hamburg 1996 und ders.: Zaïre 1997: vor dem Zusammenbruch oder vor dem Neubeginn? Zum systemimmanenten Niedergang der Mobutu-Herrschaft, Focus Afrika/ IAK-Diskussionsbeiträge Nr. 9, Hamburg 1997. 10 Schmidt, Siegmar: David gegen Goliath – Präsident Mobutu und die erfolglose Opposition in Zaire, in: Schubert, Gunter/ Tetzlaff, Rainer (Hrsg.): Blockierte Demokratien in der Dritten Welt, Opladen 1998, S. 197238. 11 Vgl. etwa Adelman, Howard/ Rao, Govind C. (Hrsg.): War and Peace in Zaire/Kongo, Trenton/ Asmara 2004; de Villers, Gauthier: République démocratique du Congo. Guerre et politique: les trente derniers mois de L.D. Kabila (août 1998 – janvier 2001), Tervuren/ Paris 2001. 12 Matthiesen, 2005. 9 10 Bislang ausstehend ist jedoch eine kohärente Darstellung und Reflexion des gesamten Demokratisierungsprozesses von der Liberalisierung Mobutus 1990 bis zur Bildung einer demokratisch gewählten Regierung im Februar 2007: Dies ist der Anspruch, der an die vorliegende Untersuchung gestellt wird. 1.2 Fragestellung und Vorgehensweise Die Aufgabe, der sich die vorliegende Arbeit annimmt, besteht demzufolge darin, den Demokratisierungsprozess in seiner Gesamtheit zu erfassen und ihn theoretisch zu hinterlegen, sofern dies als möglich erscheint. Die Reflexion wird sich dabei auf Grund der begrenzten Möglichkeiten im Rahmen der vorliegenden Arbeit weitgehend auf die systemtheoretische Ebene beschränken bzw. gegebenenfalls auf vorhandene Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen zurückgreifen, die andere theoretische Ansätze verwendet haben. Gelingt diese Form der Betrachtung des Systemwechselprozesses, sollte es am Ende der Arbeit möglich sein, entscheidende Einflussfaktoren zu benennen, die für die Wiederbelebung des Demokratisierungsprozesses unter Joseph Kabila verantwortlich waren. Die zentrale Frage, der sich in dieser Untersuchung genähert werden soll, zielt demzufolge auf die Einflüsse, die dazu führten, dass der Friedens- und Demokratisierungsprozess in der DR Kongo nach den jahrelangen Verzögerungen und dem Stillstand unter Mobutu und L.-D. Kabila rund um den „ersten afrikanischen Weltkrieg“ 13 in der Region der Großen Seen mit der Amtsübernahme des jungen Joseph Kabila wieder in Bewegung kam. Was waren die entscheidenden Faktoren, die die Vorgänge ins Rollen brachten und lassen sie Rückschlüsse auf die Konsolidierungschancen der entstandenen jungen demokratischen Strukturen, die sich immer noch im Aufbau befinden, zu? Vor allem vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte des Demokratisierungsprozesses im Kongo ist eine eingehende Betrachtung und vorsichtige Bewertung der Vorgänge ratsam, will man für diesen komplexen und in seiner Entwicklung unsicheren Demokratisierungsprozess Zukunftsprognosen wagen. Die Vorgehensweise, mit der der Demokratisierungsprozess untersucht werden soll, besteht aus einem Teil der theoretischen Grundlagen, der die Gliederungspunkte zwei bis fünf umfasst, und dem Teil der Untersuchung des Systemwechselprozesses der DR Kongo, der in den Punkten sechs bis acht behandelt werden soll. 13 Madeleine Albright auf einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates im Januar 2000. Vgl. CNN – 24.01.2000: Albright calls for end to ‘Africa’s first world war’; unter: http://archives.cnn.com/2000/WORLD/africa/01/24/un.congo.02/ (12.07.2005). 11 Nach dem Versuch einer Klärung der zentralen Begrifflichkeiten Transition, Demokratisierung und des Verständnisses von Demokratie in der Systemwechselforschung erfolgt unter Punkt zwei ein kurzer Verweis auf die Debatte um Besonderheiten der Demokratie in Afrika. 14 Anschließend wird unter Punkt drei in Form eines Streifzuges die Darstellung der einflussreichsten demokratietheoretischen Ansätze erfolgen: Die klassische Modernisierungstheorie, systemtheoretische Ansätze nach Parsons und Luhmann, sowie deren politikwissenschaftliche Adaption durch Easton und Almond/Powell, strukturalistische Ansätze und schließlich akteursorientierte Perspektiven der Systemwechselforschung finden hier Berücksichtigung. Auch die für die Systemwechselforschung bedeutende systemtheoretische Sichtweise der Systemstabilität und -legitimität ist Gegenstand der Darstellung. Im Anschluss erfolgt unter Punkt vier die Erläuterung zweier Verlaufsmodelle von Systemwechseln: einerseits des klassischen Ansatzes, den O’Donnell und Schmitter in ihrem Standardwerk zur Systemwechselforschung verwenden 15 und andererseits, in etwas ausführlicherer Form, der Variante Wolfgang Merkels, die in der vorliegenden Untersuchung des Systemwechsels in der DR Kongo Verwendung finden wird. Der fünfte Punkt beinhaltet eine abschließende Einschätzung der Relevanzen der einzelnen Theorieansätze für die Systemwechselforschung unter Berufung auf die Einschätzungen Wolfgang Merkels, eine genauere Schilderung des zuvor benannten Systemwechselmodells und bildet die Überleitung zum zweiten großen Komplex, der Untersuchung des Demokratisierungsprozesses. Einleitend werden unter Punkt sechs zentrale Aspekte der Bildung des Nationalstaates DR Kongo betrachtet. Da die Arbeit vornehmlich den Demokratisierungsprozess in seinem Verlauf fokussiert, wird die Nationalstaatsbildung eher hintergründig behandelt. Anschließend wird auf die politische Entwicklung Kongo/Zaires seit der Unabhängigkeit eingegangen. Die eigentliche Untersuchung des Systemwechsels erfolgt im Anschluss unter Punkt sieben: Dieser wird auf der Grundlage des erwähnten Systemwechselmodells von Merkel in drei Phasen eingeteilt, die den Verlauf des Prozesses in seiner zeitlichen Abfolge erfassen. Der gesamte, umfangreiche Ablauf wird bewusst unter einem einzigen Gliederungspunkt behandelt, um die drei Phasen, die ohnehin nicht trennscharf voneinander unterschieden werden können, als kohärenten Prozess darzustellen. 14 Die Verkürzung, die die Subsumierung der großen Vielfalt der afrikanischen Staatenwelt unter den Oberbegriff ‚Afrika’ mit sich bringt, ist dem Verfasser bewusst. Sie erfolgt jedoch nicht absichtlich, sondern lediglich dem gegebenen Umfang Rechnung tragend. 15 O’Donnell, Guillermo/ Schmitter, Philippe C.: Transitions from Authoritarian Rule. Tentative Conclusions about uncertain Democracies, Baltimore/ London 1986. 12 Eine theoretische Reflexion der Ereignisse erfolgt bis zum entscheidenden Wendepunkt des Systemwechsels, dem Mord an L.-D. Kabila und der Übernahme des Staatspräsidentenamtes durch seinen Sohn Joseph Kabila, direkt im Zuge der Verlaufsdarstellung. Vom Zeitpunkt der Amtsübernahme durch Joseph Kabila an wird sich auf die Darstellung des weiteren Systemwechsels beschränkt und es schließt sich als eigener Gliederungspunkt, Punkt 7.5, eine systemtheoretische Einordnung des geschilderten Verlaufs und eine Typisierung des Systemwechsels an. Implizit und unbeabsichtigt wird durch diese formale Trennung schon deutlich, was der Systemtheorie als theoretischer Grundlage zur Untersuchung von Systemwechselprozessen zum Nachteil gereicht. Die Systemtheorie ist in erster Linie eine deskriptive Theorie. Sie ist dazu geeignet, Abläufe im Nachhinein zu beschreiben. Tatsächlich erklären kann sie lediglich vollzogene Systemniedergänge, wie die Untersuchung des Niedergangs des Mobutu-Regimes exemplarisch zeigen wird, bzw. wann ein System stabil bzw. instabil ist. Aus der Sicht der Systemwechselforschung ist die Erklärungskraft für weiterführende Entwicklungen nach dem Zusammenbruch eines Systems als eher gering einzuschätzen und beschränkt sich naturgemäß auf die gesamt- und teilsystemisch relevanten Zusammenhänge. Die Systemtheorie ist ein stark abstrahierendes Instrument zur Erfassung der Wirklichkeit. Unweigerlich treten so, insbesondere bei der systemtheoretischen Betrachtung von Systemwechselprozessen, gravierende Unschärfen auf, die wichtige, ja ausschlaggebende Ebenen schlicht ausblenden. Ebenfalls unter Punkt 7.5 soll auf einige dieser Unschärfen verwiesen werden, die in einer weiter führenden Untersuchung des Systemwechselprozesses in der DR Kongo, als sie in diesem Rahmen erfolgen kann, Berücksichtigung finden müssen. Als vorletzter inhaltlicher Punkt schließt sich eine Bestandsaufnahme des Konsolidierungsprozesses der jungen demokratischen Strukturen an, sofern bereits von Konsolidierung gesprochen werden kann. Die Langfristigkeit, die den Konsolidierungsprozess eines demokratischen Systems ausmacht, und die demgegenüber noch große zeitliche Nähe zu den bestimmenden Ereignissen in der DR Kongo lassen vermutlich nur erste, in ihrer Aussagekraft eingeschränkte Feststellungen zu. Dennoch sollte auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse bezüglich der Vorbedingungen im Schlussteil neben einer Zusammenfassung und Einschätzung der Untersuchungsergebnisse eine Perspektive für den Konsolidierungsprozess der Demokratie in der DR Kongo gegeben werden können. 13 2. Begriffsklärungen 2.1 Transition und Demokratisierung Unter dem Begriff Transition wird der Übergangsprozess bzw. die Umbruchphase eines politischen Systems zu einem anderen verstanden. Offen bleibt hierbei die Frage, welches politische System schlussendlich das Ergebnis des Transitionsprozesses ist. Gewöhnlich wird der Begriff Transition zur Beschreibung des Übergangs eines autokratischen Systems zu einer demokratischen Regierungsform verwendet. Jedoch kann auch der Rückfall in ein autokratisches System nach angehender demokratischer Entwicklung als Transition bezeichnet werden. 16 Entsprechend grenzen O’Donnell und Schmitter den Transitionsbegriff folgendermaßen ein: „[Transition] is the interval between one political regime and another. [...] Transitions are delimited, on the one side, by the launching of the process of dissolution of an authoritarian regime and, on the other, by the installation of some form of democracy, the return to some form of authoritarian rule, or the emergence of a revolutionary alternative.” 17 Unter anderem haben die Demokratisierungsprozesse in Afrika gezeigt, dass nicht immer eine funktionierende, pluralistische Demokratie am Ende einer Transition stehen muss. So erregten die Unvollkommenheiten der neu entstandenen Demokratien die Aufmerksamkeit der Forschung und es tauchten Begriffe wie „defekte Demokratien“ 18 oder „blockierte Demokratien“ 19 auf, mit denen versucht wurde, die Systeme zu beschreiben. 20 Auf die Diskussion um das Transitionsparadigma wird an anderer Stelle, unter Punkt 4.3, eingegangen. Ein generelles Merkmal von Transitionen ist ein hohes Maß an Unsicherheit, welches für die beteiligten Akteure sowohl spezielle Gegebenheiten als auch Gefahren für den Verlauf des Prozesses schafft: Die Wirksamkeit von Institutionen, Verfassungen, Gesetzen und Normen ist zeitweise aufgeweicht bzw. aufgehoben, wodurch sich den Akteuren ein stark erweitertes 16 Vgl. Stroux, 1996: S. 14. O’Donnell/Schmitter, 1986: S. 6. 18 Merkel, Wolfgang/ Puhle, Hans-Jürgen/ Croissant, Aurel/ Eicher, Claudia/ Thiery, Peter: Defekte Demokratie. Band 1: Theorie, Opladen 2003, später erschienen: Band 2: Regionalanalysen, Wiesbaden 2006. 19 Schubert, Gunter/ Tetzlaff, Rainer (Hrsg.): Blockierte Demokratien in der Dritten Welt, Opladen 1998. 20 Vgl. Meyns, 2006: S. 3. 17 14 Feld strategischer Wahlmöglichkeiten bietet.21 Przeworski beschreibt das Spannungsgefüge in Transitionsprozessen folgendermaßen: „The strategic problem of transition is to get democracy without either being killed by those who have arms or starved by those who control the productive ressources.“ 22 Für Merkel stellt die Transition die eigentliche Phase des Übergangs der Macht vom autokratischen Apparat zu einer demokratischen Herrschaftsform dar, die sich in den Systemwechsel als Teilphase einfügt. Auf sein Systemwechselmodell wird unter Punkt 4.1 eingegangen. Der Weg zu einer konsolidierten Demokratie ist in jedem Fall ein schwieriger, von vielen Faktoren abhängender Prozess, bei dem in erheblichem Maß der Pfad, auf dem die Schritte der Demokratisierung vollzogen werden, ausschlaggebend für Erfolg oder Misserfolg ist.23 Die verschiedenen Pfade der Demokratisierung werden unter Punkt 4.2 thematisiert. Demokratisierung kann auf der Grundlage dieses Transitionsbegriffs als Übergang von einem autokratischen zu einem demokratischen System verstanden werden. Rüb definiert Demokratisierung als Übergangsprozess, „in dem die unbegrenzte, unkontrollierte und kompromisslos eingesetzte politische Macht von einer sozialen Gruppe oder Person auf institutionalisierte Verfahren verlagert wird, die die exekutive Macht begrenzen, laufend kontrollieren, regelmäßig verantwortbar machen und kontingente Ergebnisse ermöglichen.“ 24 Wolfgang Merkel sieht die Demokratisierung als eine von drei Phasen des Transitionsprozesses, in der nach dem Zusammenbruch des ancien régime die demokratischen Institutionen etabliert werden. An anderer Stelle wird darauf näher einzugehen sein. 25 2.2 Demokratiebegriff Der recht minimalistische Demokratiebegriff in der Systemwechselforschung orientiert sich in erster Linie am Verständnis Robert Alan Dahls von der Demokratie als „Polyarchie“, der 21 Vgl. Merkel, Wolfgang: Gibt es einen Königsweg in der Transformationsforschung?, in: ders. (Hrsg.): Systemwechsel 1: Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung, Opladen 21996, S. 303-332, S. 325. 22 Przeworski, Adam: Democracy and the Market. Political and economic reforms in Eastern Europe and Latin America, Cambridge/ New York/ Melbourne 1991, S. 51. 23 Vgl. ebd. 24 Rüb, Friedbert W.: Die Herausbildung politischer Institutionen in Demokratisierungsprozessen, in: Merkel, Wolfgang (Hrsg.): Systemwechsel 1. Theorien, Ansätze und Konzeptionen, Opladen 21996, S. 111-140, S. 114. 25 Siehe Punkt 4.1, S. 42ff. 15 wörtlichen Bedeutung nach „Vielherrschaft“. Die Polyarchie bildet für ihn den Durchschnittstyp der in der Realität existierenden Demokratietypen, der zwar von der utopischen idealen Demokratie abweicht, jedoch keine gravierenden Defekte aufweist. Dahl nennt zwei Aspekte, die eine Demokratie ausmachen: Einerseits muss ein offener Wettbewerb um politische Ämter und Macht möglich sein („public contestation“), andererseits müssen alle Bürger die Möglichkeit zur politischen Partizipation haben („the right to participate“). 26 Drei Grundprinzipien sorgen für Verbindlichkeit der Regierung gegenüber den Präferenzen der Bürger 27 : - Die Bürger müssen die Möglichkeit haben, ihre Präferenzen zu formulieren. - Die Bürger müssen ihre Präferenzen ihren Mitbürgern und der Regierung durch individuelles und kollektives Handeln mitteilen können. - Die Regierung muss die mitgeteilten Präferenzen der Bürger gleichrangig und unabhängig von ihrem Inhalt und ihrer Herkunft gewichten. Diesen lediglich „notwendigen“, jedoch „nicht hinreichenden“ Bedingungen für die Demokratie stellt Dahl acht institutionelle Garantien zur Absicherung zur Seite: 1. „Assoziations- und Koalitionsfreiheit 2. Recht auf freie Meinungsäußerung 3. Recht zu wählen (aktives Wahlrecht) 4. Recht in öffentliche Ämter gewählt zu werden (passives Wahlrecht) 5. Recht politischer Eliten, um Wählerstimmen und Unterstützung zu konkurrieren 6. Existenz alternativer, pluralistischer Informationsquellen (Informationsfreiheit) 7. Freie und faire Wahlen 8. Institutionen, die die Regierungspolitik von Wählerstimmen und anderen Ausdrucksformen der Bürgerpräferenzen abhängig machen“ 28 26 Vgl. Dahl, Robert A.: Polyarchy. Participation and Opposition, New Haven/ London 1971, S. 5. Vgl. ebd. S. 2. 28 Ebd., zitiert nach: Merkel, Wolfgang: Systemtransformation. Eine Einführung in Theorie und Empirie der Transformationsforschung, Opladen 1999, S. 31f. 27 16 Zusätzlich hat Merkel sechs Differenzierungskriterien zusammengetragen, anhand derer die Trennung zwischen autokratischen und demokratischen Systemen vorgenommen werden kann 29 : - - - - - - Herrschaftslegitimation Æ Volkssouveränität versus geschlossener Weltanschauung mit absolutem Wahrheitsanspruch Herrschaftszugang Æ universelles Wahlrecht versus nicht vorhandenem/ eingeschränktem Wahlrecht Herrschaftsmonopol Æ Liegt das Monopol bei demokratisch legitimierten staatlichen Instanzen oder haben auch demokratisch nicht legitimierte Kräfte Entscheidungsdomänen? Herrschaftsstruktur Æ mehrere Herrschaftsträger versus einzelner Herrschaftsträger (einzelne Person oder aber Gruppe, z.B. Partei, Junta, etc.) Herrschaftsanspruch Æ klar begrenzter staatlicher Herrschaftsanspruch versus tendenziell unbegrenztem staatlichen Herrschaftsanspruch gegenüber seinen Bürgern Herrschaftsweise Æ rechtsstaatliche Herrschaftsausübung versus nicht-rechtsstaatlicher, repressiver, willkürlicher oder terroristischer Ausübung von Herrschaft Nur wenn diese Kriterien zugunsten der demokratischen Ordnung erfüllt sind, trifft für das politische System ein generelles Merkmal von Demokratien zu: „die prinzipielle Unbestimmtheit der Ergebnisse politischer Entscheidungen.“ 30 Przeworski nennt dieses Merkmal „ruled open-endedness or organized uncertainty“ 31 . Politische Entscheidungen müssen in einer Demokratie also das Ergebnis der Handlungen konkurrierender politischer Kräfte sein, die jedoch durch festgelegte Verfahrensregeln und Institutionen normiert sind. Die Demokratie kann somit „als ein institutionalisiertes Regelsystem zur gesellschaftlichen Konfliktbearbeitung verstanden werden, innerhalb dessen eine einzelne Gewalt, eine einzelne Institution oder ein einzelner Akteur die politischen Entscheidungsergebnisse nicht bestimmen oder kontrollieren darf.“ 32 Merkel trennt von der Polyarchie, also der real existierenden Demokratie, die bereits genannten „defekten Demokratien“, die sich in einer Grauzone zwischen nicht mehr intakter Polyarchie und autoritärem System bewegen, der Polyarchie jedoch näher stehen als dem 29 Vgl. ebd. S. 25. Ebd. S. 32. 31 Przeworski, 1991: S. 13. 32 Merkel, 1999: S. 33. 30 17 Autoritarismus. 33 Schubert und Tetzlaff sprechen mit Betonung des Konzeptes strategischer und konfliktfähiger Gruppen (SKOG) von den ebenfalls oben genannten „blockierten Demokratien“, in denen der Demokratisierungsprozess von bestimmten internen oder externen Akteuren erfolgreich sabotiert bzw. verhindert wird. 34 2.3 Demokratie in Afrika Nur angedeutet sei an dieser Stelle die Diskussion darüber, ob westliche bzw. universale Demokratiemodelle mit Afrika, speziell dem subsaharischen Afrika, kompatibel sind. 35 Es herrscht verbreitet „Skepsis über die Möglichkeit und Wünschbarkeit von Demokratie [nach westlichem Verständnis] auf dem schwarzen Kontinent“ 36 , die von wissenschaftlicher Seite und von politischen Akteuren im Westen wie auch in Afrika selbst geäußert wird.37 So spricht Rainer Tetzlaff von „verfrühter Demokratie“ 38 , vielfach ist von Importieren oder Oktroyieren der Demokratie die Rede. Zumindest auf politischer Ebene ist diese Diskussion hinfällig geworden, denn die AU (African Union), der alle afrikanischen Staaten mit Ausnahme Marokkos angehören, bekennt sich im gemeinsamen Entwicklungskonzept NEPAD (New Partnership for African Development) klar zur Demokratie, zur Demokratieförderung unter gegenseitiger Kontrolle der Mitgliedstaaten (peer review), sowie zur Unterstützung von good governance. 39 Lediglich verwiesen sei an dieser Stelle ebenfalls auf die Debatte über die Frage, welches Wahl- und Parteiensystem für welches Land angemessen ist: Allein ob ein Mehrheits- oder 33 Vgl. ebd. Vgl. Schubert/ Tetzlaff, 1998. 35 Vgl. Basedau, Matthias: Erfolgsbedingungen von Demokratie im subsaharischen Afrika. Ein systematischer Vergleich ausgewählter Länder, Opladen 2003, S. 41ff. 36 Ebd. S. 41f. 37 Diese „afropessimistischen“ Denkrichtungen betreffend sei verwiesen auf Mehler, Andreas: Es gibt keine verfrühte Demokratie: Probleme des demokratischen Übergangs in Afrika, in: Betz, Joachim/ Brüne, Stefan (Hrsg.): Jahrbuch Dritte Welt 1998, München 1997, S. 47-62. 38 Vgl. Tetzlaff, Rainer: Demokratisierungshilfe statt Wahlinszenierung! Gesellschaftliche und institutionelle Voraussetzungen für Demokratisierung in den Ländern des Südens, in: Betz, Joachim/ Brüne, Stefan (Hrsg.): Jahrbuch Dritte Welt 1998, München 1997, S. 24-46, S. 26f. 39 Vgl. Matthiesen, 2005: S. 116. Good governance hat sich in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) zum Referenzkonzept entwickelt. Eine einheitliche Definition von good governance existiert jedoch nicht. Die deutsche Übersetzung „gute Regierungsführung“ greift indes zu kurz: Grundsätzlich geht es bei good governance um Transparenz, Effizienz, Rechenschaftspflichtigkeit, Unabhängigkeit von politischer Einflussnahme und Freiheit von Korruption der staatlichen Institutionen, kurzum die Etablierung eines demokratischen Rechtsstaates, der die Menschenrechte achtet, schützt und auf allen Ebenen effizient funktioniert. Eine etablierte good governance führt zu einer hohen Legitimität sowie Funktions- und Leistungsfähigkeit des Staates. (Vgl. Klemp, Ludgera/ Poeschke, Roman: Good Governance gegen Armut und Staatsversagen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 28-29/2005, S. 1825). 34 18 Verhältniswahlrecht zur Anwendung kommt, stellt in Staaten mit großer ethnischer Vielfalt, wie es sie in vielen afrikanischen Staaten gibt, eine zentrale Frage dar. 40 Als ein alternatives Parteiensystem propagierte z.B. der ugandische Präsident Yoweri Museveni das Prinzip des Movements, das er selber als „No-Party-System“ bezeichnete. Er war bzw. ist der Meinung, dass auf die ethnische Vielfalt in afrikanischen Staaten ein System aus mehreren konkurrierenden Parteien nach westlichem Vorbild nicht übertragbar sei und etablierte deshalb dieses – zumindest dem Anspruch nach – basisdemokratische System mit vermindertem Wettbewerb, in dem sich Parteien „wegen des befürchteten Effekts auf die interethnischen Beziehungen politisch nicht betätigen“ 41 durften. Basedau resümiert bezüglich der Frage nach einer „afrikanischen Demokratie“: „Was Afrika an Entwicklung benötigt, geht weit über die Art und Weise hinaus, wie Herrschaft legitimiert und ausgeübt wird.“ 42 Für ihn gibt es „wenige Hinweise darauf, dass in Afrika die Demokratie auch im westlichen Sinne unmöglich oder generell bezüglich anderer Entwicklungsziele schädlich ist.“ 43 40 Vgl. Matthiesen, 2005 S. 119. Basedau, 2003: S. 45. Mittlerweile gibt es in Uganda wieder ein Mehrparteiensystem, das 2005 durch ein Referendum von der Mehrzahl der ugandischen Wähler eingefordert wurde. 42 Ebd. S. 48. 43 Ebd. 41 19 3. Demokratisierungstheoretische Ansätze 3.1 Modernisierungstheorie Aufbauend auf grundlegenden Theoremen von Talcott Parsons markierte Seymour Martin Lipset den „locus classicus der modernisierungstheoretisch orientierten Demokratieforschung“ 44 in seinem Aufsatz „Economic Development and Democracy“ in Political Man von 1960. 45 Dieser Ansatz geht von einem kausalen Zusammenhang zwischen der sozioökonomischen Entwicklung bzw. dem Grad der Modernisierung eines Landes und dem Grad seiner Demokratisierung aus. Zur Demonstration seiner Annahme klassifizierte Lipset die Länder Europas und Nordamerikas in stabile und instabile Demokratien und Diktaturen sowie die Länder Lateinamerikas in Demokratien und stabile und instabile Diktaturen. 46 Im Anschluss verglich er die Länder der entstandenen Gruppen von Regierungsformen anhand einer breiten Auswahl verschiedener sozioökonomischer Indikatoren: Einkommen pro Kopf, Verbreitung von Kommunikationsmitteln, Industrialisierung, Bildung und Urbanisierungsgrad. Er wies nach, dass die demokratisch regierten Länder einen fortgeschritteneren sozioökonomischen Entwicklungsstand aufwiesen, als die autoritär regierten Länder des Vergleichs. In diesem Zusammenhang entstand eine oft zitierte Schlussfolgerung Lipsets, die die grundlegende Annahme des modernisierungstheoretischen Ansatzes beinhaltet: „Perhaps the most common generalization linking political systems to other aspects of society has been that democracy is related to the state of economic development. The more well-to-do a nation, the greater the chances that it will sustain democracy. From Aristotle down to the present, men have argued that only in a wealthy society in which relatively few citizens lived at a level of real poverty could there be a situation in which the mass of the population intelligently participate in politics and develop the self-restraint necessary to avoid succumbing to the appeals of irresponsible demagogues.“ 47 Wirtschaftliche Entwicklung und die Überwindung von Not und Armut stellen demnach die fundamentalen Erfolgsbedingungen für die Demokratisierung eines Landes dar. Wiederholt wurde u.a. von Lipset selbst 48 , aber auch von Dahl 49 , Vanhanen 50 und Moore 51 der enge 44 Merkel, Wolfgang/ Puhle, Hans-Jürgen: Von der Diktatur zur Demokratie. Transformationen, Erfolgsbedingungen, Entwicklungspfade, Opladen; Wiesbaden 1999, S. 21. 45 Zuerst publiziert wurde dieser Ansatz bereits im Jahr 1959: Lipset, Seymour Martin: Some Social Requisites of Democracy: Economic Development and Political Legitimacy, in: American Political Science Review, Vol. 53, (March, 1959) 1, S. 69-105. 46 Vgl. Lipset, Seymour Martin: Political Man. The Social Bases of Politics, Baltimore/ Maryland 1981, S. 32. 47 Ebd. S. 31. 48 Vgl. z.B. Lipset, Seymour Martin: The Social Requisites of Democracy Revisted, in: American Sociological Review, Vol. 59, (February 1994) 1, S. 1-22. 20 Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Entwicklungsniveau und der Entwicklung bzw. der Beständigkeit von Demokratien nachgewiesen. „Die zahlreichen Studien zeigen […], dass das wirtschaftliche Entwicklungsniveau (gemessen am BIP/capita) als die wichtigste einzelne Variable zur Erklärung des Demokratisierungsgrades eines Landes oder der DemokratieDiktatur-Differenz auf globaler Ebene angesehen werden muss.“ 52 Hinter einem hohen BIP per capita verbergen sich in Lipsets Augen folgende Modernitätsattribute: - „ein relativ hohes Niveau sozioökonomischer Entwicklung […]; - eine hohe vertikale Mobilität […]; - eine große, zumindest aber rasch zunehmende Mittelschicht, sowie eine Arbeiter- und Unterschicht, die nicht von existentieller Unsicherheit bedroht ist; - ausreichender Ausbildungsstand […]; - ein relativ egalitäres System von Werten; - ein hohes Organisations- und Partizipationsniveau in Vereinen und Verbänden.“ 53 Diese requisites sieht Lipset jedoch weder als zwingend notwendig, noch als hinreichend an. Auch in Gesellschaften, in denen diese Komponenten fehlen, ist es für ihn und die klassische Modernisierungstheorie möglich, dass demokratische Prozesse und Institutionen eingeführt werden, nur verschlechtern sich deren Chancen auf Langlebigkeit und eine fortschreitende Demokratisierung unter Abwesenheit der oben genannten Faktoren enorm. 54 Zusammenfassend lassen sich nach Merkel und Puhle folgende vier Effekte nennen, die der klassischen Modernisierungstheorie entsprechend durch eine sozioökonomische Modernisierung auf die Demokratisierung wirken 55 : 1. Sozioökonomische Modernisierung führt dazu, dass Länder in einen ökonomischen Entwicklungsbereich kommen, in dem autoritäre Regime geschwächt und 49 Vgl. Dahl, 1971. Vgl. Vanhanen, Tatu: The Emergence of Democracy. A Comparative Study of 119 States, 1850-1979, Helsinki 1984 und ders.: The Process of Democratization. A Comparative Study of 147 States 1980-1988, New York 1990 und ders.: Prospects of Democracy. A Study of 172 Countries, London/ New York 1997. 51 Vgl. Moore, Mick: Democracy and Development in Cross-National Perspective: A New Look at the Statistics, in: Democratization, Vol 2., (Summer 1995) 2, S. 1-19 und ders.: Is Democracy rooted in Material Prosperity?, in: Luckham, Robin/ White, Gordon (Hrsg.): Democratization in the South. The jagged Wave, Manchester/ New York 1996, S. 37-68. 52 Merkel/ Puhle, 1999: S. 22. 53 Vgl. Lipset, 1981: S. 64f. 54 Vgl. Merkel/ Puhle, 1999: S. 27f. 55 Vgl. ebd. S. 31. 50 21 Demokratisierungsprozesse begünstigt bzw. hervorgerufen werden. Huntington spricht von der „transition zone“ 56 , in der „aufgrund bestimmter Konstellationen der Handlungsspielraum für politische Gestaltung so weit geöffnet wird, dass über die politische Struktur eines Landes neu entschieden werden kann.“ 57 2. Das jeweilige Modernisierungsniveau übt einen starken Einfluss auf die Konsolidierungschancen der Demokratie aus, nachdem das Land die Transitionszone durchschritten hat. 3. Durch die Modernisierung werden zuvorderst die Mittelschichten gefördert, die Klassengegensätze abschwächen und auf Grund ihres Ausbildungsniveaus und ihrer wirtschaftlichen Stellung starkes Interesse an politischer Partizipation haben. 4. Für demokratische und autoritäre Staaten gilt gleichermaßen, dass wirtschaftliche Fehlentwicklung einen Legitimitätsverlust für die jeweilige Regierung mit sich bringt. Wie oben bereits angedeutet, wirkt wirtschaftliches Wachstum dagegen auf Demokratien legitimierend und stärkend, während es autoritäre Regime in Bedrängnis bringt, vor allem wenn das Land in die Nähe der Transitionszone rückt: In autoritären Staaten begünstigen sozioökonomische Modernisierung und Wachstum ein Aufbegehren gesellschaftlicher Akteure gegen das Regime. Auf der anderen Seite stellen Merkel und Puhle jedoch auch eine Reihe von „Mängel[n] und Blindstellen“ 58 an der modernisierungstheoretischen Demokratisierungserklärung fest 59 : 1. In der klassischen Modernisierungstheorie wird der Bereich, in dem der Modernisierungsgrad ausreichend ist, um den Übergang zur Demokratie wahrscheinlich zu machen mit 1000 bis 6000 US$ Einkommen pro Kopf nur sehr ungenau angegeben. Durch die große Bandbreite werden diesem monokausalen Erklärungsansatz seine Grenzen aufgezeigt. 2. Das modernisierungstheoretische Erklärungsmodell ist nicht in der Lage zu erklären warum in der Dritten Demokratisierungswelle das BIP/Kopf der neuen Demokratien zwischen 340 US$ und 6500 US$ lag: warum sich also auch in – nach dem 56 Huntington, Samuel P.: Will more Countries become Democratic?, in: Political Science Quarterly, Vol. 99, (Summer 1984) 2, S. 193-218, S. 201. 57 Schmidt, Manfred G.: Demokratietheorien, Opladen 32000, S. 463. 58 Merkel/ Puhle, 1999: S. 31. 59 Vgl. ebd. S. 32. 22 Verständnis der Modernisierungstheorie – unterentwickelten Ländern Demokratisierungsprozesse abspielen konnten und können. 60 3. Auch gegenteilige Entwicklungen kann die Modernisierungstheorie nicht begründen: Warum brachen trotz hohem sozioökonomischen Entwicklungsstand die demokratischen Systeme Deutschlands und Österreichs zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg zusammen, warum in Argentinien, Chile und Uruguay in den 70er Jahren? 4. Demokratieförderliche bzw. -hinderliche kulturelle und religiöse Zusammenhänge werden von der Modernisierungstheorie weitgehend ausgeblendet bzw. vernachlässigt. 5. Für konkrete Fälle ist die Modernisierungstheorie nicht in der Lage, Zeitpunkte für den Beginn der Demokratisierung zu bestimmen, da sie nur langfristige und globale Entwicklungstrends anzugeben vermag. 6. Akteurskonstellationen und Handlungssituationen, seien sie begünstigend oder hemmend für die Demokratisierung, werden vom modernisierungstheoretischen Ansatz ebenso nicht erfasst wie die Rolle politisch-institutioneller Arrangements und der internationale Kontext. Die Beziehung zwischen ökonomischer Modernisierung und der Entwicklung sowie Konsolidierung von Demokratie beschreiben Merkel und Puhle als „kausal aber nicht monokausal“ 61 : So ist der Wohlstand einer Gesellschaft als die fundamentalste aller Voraussetzungen für eine Demokratisierung und deren Konsolidierung zu sehen, „die sowohl die sozialen Bedingungen und gesellschaftlichen Akteure als auch die Handlungsbedingungen hervorbringt, die autokratische Regime herausfordern und demokratisierungswillige Akteure stärken.“ 62 Wenn Wohlstand Demokratisierungstendenzen begünstigt, bestärkt Armut andererseits autokratische Regime. 63 Der Zusammenhang zwischen ökonomischer Entwicklung und Demokratie ist Diamond zufolge allerdings nicht für jeden Fall bindend: „Needless to say, this relationship is not entirely predictive, nor is it necessarily linear.”64 So existieren einerseits Beispiele für unterentwickelte Länder, in denen 60 Vgl. Schmidt, 2000: S. 467f. Ebd. S. 30. 62 Ebd. 63 Vgl. etwa Huntington: „The conclusion seems clear. Poverty is a principal and propably the principal obstacle to democratic development. The future of democracy depends on the future of economic development. Obstacles to economic development are obstacles to the expansion of democracy.” (Huntington, Samuel P.: The Third Wave. Democratizaton in the Late Twentieth Century, Norman/ London 1993, S. 311). 64 Diamond, Larry: Economic Development and Democracy Reconsidered, in: American Behavioral Scientist, Vol. 35, (March/June 1992) 4/5, S. 450-499, S. 485. 61 23 Demokratisierungsprozesse eingesetzt haben, andererseits zeigen lateinamerikanische Staaten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie auch sozialistische Länder vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die 80er Jahre, z.B. die DDR oder die Tschechoslowakei, dass eine positive sozioökonomische Entwicklung auch in autoritären Staaten möglich ist. 65 Weiter stellt Diamond fest: „Economic development is not a prerequisite for Democracy.” 66 Lipset bezeichnet die ökonomische Entwicklung eines Landes deshalb als „requisite“ und nicht als „prerequisite“, um auszudrücken, dass sie zwar von immenser Bedeutung für die Entwicklung und Konsolidierung von Demokratie ist, jedoch nicht notwendigerweise existieren muss. Mit dem Fokus auf sozioökonomische Modernisierung gibt die Theorie also keinen „deterministischen Zusammenhang, sondern eine extrem signifikante Tendenz“ 67 für eine demokratische Entwicklung in einem Land an. Entsprechend formuliert Diamond die bereits zitierte Grundannahme Lipsets „The more well-to-do a nation, the greater the chances that it will sustain democracy” etwas vorsichtiger und treffender: “The more well-to-do the people of a country, on average, the more likely they will favor, achieve, and maintain a democratic system for their country.” 68 Diese von der Modernisierungstheorie nachgewiesene Signifikanz ist ohne Frage heute noch von Gültigkeit: Ein geeignetes, zeitgemäßes Instrument zur Untersuchung von Systemwechseln ist sie deshalb jedoch nicht. Die ohne Frage wertvollen Erkenntnisse aus der reinen Modernisierungstheorie und ihrer Weiterentwicklungen, die die Demokratisierungsforschung lange dominierten, müssen mit Erklärungsansätzen jenseits der Modernisierungstheorie ergänzt werden, die sich in der Folge herausbildeten. Die bedeutendsten von ihnen sollen im Folgenden umrissen werden. 3.2 Systemtheoretische Ansätze 3.2.1 Klassische Systemtheorie Die Entwicklung von der traditionalen zur modernen Gesellschaft wird von der klassischen Systemtheorie nach Parsons als Ausdifferenzierung von Teilsystemen beschrieben: 65 Vgl. Schmidt, 2000: S. 463. Diamond, 1992: S. 487. 67 Merkel/ Puhle, 1999: S. 33. 68 Diamond, 1992: S. 468. 66 24 „Ausgehend von der industriellen Revolution setzte sich die Differenzierung von Ökonomie und politischer Herrschaft, politischem System und ziviler Gesellschaft sowie die Ablösung sozialer Normen von religiösen Begründungen (kulturelles System) in den westlichen Gesellschaften durch.“69 Im Rahmen seines AGIL-Schemas benennt Parsons vier Teilsysteme, die sich ausdifferenzieren müssen, damit der Weg in die Moderne eingeschlagen werden kann: Wirtschaft (Anpassung), Politik (Zielerreichung), soziale Gemeinschaft (Integration) und Kultur (Erhaltung von Wertmustern). An dieser Entwicklung führt für Parsons sowohl normativ als auch historisch kein Weg vorbei. Um ihren Bestand zu sichern, muss die funktional differenzierte Gesellschaft entsprechende Normen und Strukturen ausbilden, die ihre Anpassungsfähigkeit an die Umwelt so sehr steigern, dass Entwicklungsniveaus bezüglich der Anpassungskapazität erreichen kann. 70 sie höhere Parsons spricht von „evolutionären Universalien“, deren bedeutendste Bürokratie, Marktorganisation, allgemeingültige universalistische Normen im Rechtssystem, demokratisches Assoziationsrecht und allgemeine freie Wahlen sind. 71 Ist das politische System durch das Fehlen wichtiger evolutionärer Universalien nicht mehr in der Lage, sich der steigenden Komplexität seiner Umwelt anzupassen, verliert es seine Legitimität und somit die Stabilität. Durch die Modernisierung verlieren die alten, auf Zwang basierenden Werkzeuge zur Integration der Gesellschaft, d.h. „Oktroyierung sozialer Normen“ 72 , ihre Wirkung. Stattdessen führt die Anerkennung und Verinnerlichung von integrierenden Werten durch die Mitglieder der Gesellschaft zur Integration. Parsons sieht demokratische Assoziation als evolutionäre Universalie für den Wandel auf ein höheres Niveau der gesellschaftlichen Entwicklung, weil eine effektive politische Organisation (einschließlich auch der Verwaltungskapazität, in erster Linie aber der Unterstützung einer universalistischen Rechtsordnung) für Gesellschaften mit zunehmender Größe und Differenzierung umso wichtiger ist.73 „Nicht die allgemeine Legitimierung von Macht und Herrschaft ist die besondere Leistung demokratischer Institutionen, sondern die Vermittlung von Konsensus über die Ausübung von Macht und Herrschaft durch ganz bestimmte Personen und Gruppen und ganz bestimmte, bindende Entscheidungen; keine Institution, die sich von den demokratischen Institutionen grundlegend unterscheidet, ist zu dieser Leistung in der Lage.“ 74 69 Merkel, 1996: S. 305. Vgl. Parsons, Talcott: Evolutionäre Universalien der Gesellschaft, in: Zapf, Wolfgang (Hrsg.): Theorien des sozialen Wandels, Köln/ Berlin 31971, S. 55-74, S. 56. 71 Parsons, 1971: S. 57ff. 72 Merkel, 1996: S. 306. 73 Vgl. Parsons, 1971: S. 70. 74 Ebd. 70 25 Die Stabilität eines politischen Systems beruht entscheidend auf den beiden, zuvor angesprochenen Faktoren: funktionale Differenzierung der Gesellschaft, die Leistungsfähigkeit ermöglicht und Legitimation des politischen Systems durch die Gesellschaft. 75 Wird nun eine Gesellschaft durch eine autokratische Herrschaftsform durchdrungen und gesellschaftliche Integration statt über die Verinnerlichung von Werten mit den Mitteln Zwang und Ideologisierung durchgesetzt, be- bzw. verhindert dies die funktionale Differenzierung von Teilsystemen der Gesellschaft. Ein Stabilitätsverlust ist somit immanent. Als sehr anschauliches Beispiel hierfür ist die Penetration osteuropäischer Gesellschaften vom kommunistischen Ordnungsanspruch heranzuziehen. Zwar führt die „’totalitäre’ Durchdringung der Gesellschaft“ zeitweise zur Erleichterung und Perfektion der Herrschaftskontrolle, ihr Verlust verursacht dann jedoch einen „umso fundamentaleren Zusammenbruch des autoritären Regimes.“ 76 Zur Verdeutlichung dieses Zusammenhanges ist es lohnend, die autopoietische Systemtheorie Niklas Luhmanns heranzuziehen. 3.2.2 Autopoietische Systemtheorie Die Systemtheorie nach Luhmann radikalisiert Parsons’ Ansatz der funktionalen Differenzierung. Die Annahme einer Hierarchie zwischen den gesellschaftlichen Teilsystemen, besonders eine, in der das politische System hierarchisch über den anderen Teilsystemen angeordnet ist, hält Luhmann für nicht realistisch: „Vor allem muss man einsehen, dass Theorien der Hierarchie oder der Delegation oder der Dezentralisierung, die immer noch von einer Spitze oder einem Zentrum ausgehen, die heutigen Sachverhalte nicht adäquat erfassen können.“ 77 Mit dem Übergang von der stratifikatorisch differenzierten, d.h. nach hierarchischen Grundsätzen gegliederten Ständegesellschaft, zur gegenwärtigen, funktional differenzierten Gesellschaft, ist „auch die Möglichkeit einer den gesellschaftlichen Teilsystemen übergeordneten Steuerungsinstanz obsolet geworden“ 78 . Die Gesellschaft besteht für Luhmann heute aus nebeneinander angeordneten Subsystemen, wie z.B. dem Wirtschaftsystem, dem Rechtssystem, der Religion und dem politischen System. Keines, auch nicht das politische, ist einem anderen übergeordnet. Jedes System ist ein autonomer, sich selbst reproduzierender Baustein des Gesellschaftssystems, der sich über die Ausbildung eines spezifischen Kommunikationscodes von den anderen Subsystemen abgrenzt 75 Vgl. Merkel, 1996: S. 306. Ebd. S. 307. 77 Luhmann, Niklas: Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?, Opladen 31990, S. 202f. 78 Merkel, 1999: S. 81. 76 26 und sich so gegen Eingriffe durch Codes anderer Teilsysteme seiner Umwelt teilweise abschottet. 79 Alles, was nicht dem systeminternen Code entspricht, wird in die SystemUmwelt verwiesen. Diese Codierung ermöglicht einerseits eine große systeminterne Elastizität beim Entwurf und der Verwirklichung funktionaler Äquivalente, schafft jedoch durch die Beschränkung auf die Teilsystemfunktionen eine strukturelle Barriere: So kann „kein Funktionssystem […] für ein anderes einspringen; keines kann ein anderes ersetzen oder auch nur entlasten. Politik kann nicht für Wirtschaft substituiert werden, Wirtschaft nicht für Wissenschaft, Wissenschaft nicht für Recht oder für Religion, Religion nicht für Politik, usw. in allen denkbaren Intersystemrelationen.“ 80 Diese Barriere hält Luhmann nicht für undurchdringbar, etwaige Versuche, wie z.B. Eingriffe des politischen Systems in das Wirtschaftssystem, sind also möglich, müssen jedoch „mit Entdifferenzierung, das heißt mit Verzicht auf die Vorteile der funktionalen Ausdifferenzierung bezahlt werden.“ 81 Das Luhmannsche Verständnis auf die Systemwechselforschung übertragend, formuliert Merkel folgende These: „Je weiter politische Regime auf dem Kontinuum von idealer Demokratie und vollendetem Totalitarismus zum totalitärem Pol tendieren, um so mehr legen sich politische Funktionsimperative über die teilsystemischen Codes, verhindern deren Übersetzung in Programme und hemmen damit die für die Effizienzsteigerung notwendige weitere funktionale Differenzierung gesellschaftlicher Teilsysteme wie dem Wirtschafts-, Rechts- und Wissenschaftssystem.“ 82 Der Legitimitätsverlust für ein autokratisches Regime ist demnach die logische Folge eines länger währenden politischen Oktroyierens vor allem des Wirtschaftssystems, das zur Effizienzminderung, also „zur Regression ökonomischer Wohlfahrtsentwicklung“ 83 , führt: Der Code des Wirtschaftssystems, der „allein eine ökonomische Rationalität im Umgang mit knappen Gütern garantiert“ 84 , wird durch einen der Herrschaftssicherung und der Ideologie des jeweiligen Regimes verpflichteten politischen Code überlagert. Auf alle Systeme des real existierenden Sozialismus ist diese Argumentationsstruktur Merkel zufolge anwendbar: „Durch die künstliche und gewaltsame Installierung des Staates als die allzuständige Spitze der Gesellschaft wurden deren Teilsysteme zu eng an die Politik 79 Für das Wirtschaftssystem lautet der binäre Code beispielsweise zahlen/nicht zahlen, für das politische System Macht/keine Macht, für das Wissenschaftssystem wahr/unwahr, für das Rechtssystem recht/unrecht usw. 80 Luhmann, 1990: S. 207. 81 Ebd. 82 Merkel, 1999: S. 81. 83 Ebd. 84 Ebd. 27 gekoppelt. Effizienzverluste und Funktionskrisen in den Teilsystemen schlugen somit direkt auf das politische System durch.“ 85 Zusammenfassend ergibt sich folgendes zentrales Argument der Systemtheorie: Ein Blockieren oder Verhindern der funktionalen Differenzierung der gesellschaftlichen Teilsysteme führt längerfristig zu Effizienz- und Legitimitätskrisen und somit zum Untergraben der Systemstabilität. 86 Lässt das autokratische Regime diese funktionale Differenzierung der Teilsysteme jedoch uneingeschränkt zu, ermöglicht es also die Effizienzsteigerung, können ebenfalls destabilisierende Entwicklungen eintreten, wie bereits erwähnt wurde. 3.2.3 Politische Legitimation und Systemstabilität in der Systemtheorie Ein politisches System stellt aus systemtheoretischer Sicht ein Gebilde aus Strukturen (Institutionen) und Regeln (Verfahren) dar, das die politischen und gesellschaftlichen Akteure (z.B. Parteien, Verbände, Organisationen, Individuen) in „regelgeleitete Interaktionsbeziehungen zueinander setzt.“ 87 Für die Stabilität des politischen Systems muss die Struktur-Akteur-Konstellation dahingehend effizient ausgeprägt sein, dass das System imstande ist, sich an die sich immer weiter differenzierenden Anforderungen der sich ständig wandelnden Umwelt an das System anzupassen bzw. diese zu erfüllen. Konkret bedeutet dies: Das System muss in der Lage sein, die immer komplexer werdenden Aufgaben zu lösen, die ihm z.B. durch Wirtschaft, Gesellschaft und die internationale Staatengemeinschaft gestellt werden. Fünf entscheidende Herausforderungen müssen für eine ausreichende Leistungsfähigkeit bzw. Existenzfähigkeit des Systems nach Almond vom System bewältigt werden 88 : - politische und gesellschaftliche Integration (Integrationskapazität) Ressourcenmobilisierung (Mobilisierungskapazität) Aufrechterhaltung friedlich geregelter Beziehungen mit anderen Staaten (internationale Anpassungsfähigkeit) Beteiligung der Bevölkerung an politischen Entscheidungsprozessen (Partizipationskapazität) 85 Ebd. S. 82 Vgl. ebd. 87 Vgl. Merkel, 1999: S. 57. 88 Vgl. Almond, Gabriel A.: Politische Systeme und politischer Wandel, in: Zapf, Wolfgang (Hrsg.): Theorien des sozialen Wandels, Köln/ Berlin 31971, S. 211-227, S. 216f. 86 28 - Verteilung des Sozialproduktes durch wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen, auch jenseits des Marktes (Distributionskapazität) Eberhard Sandschneider ergänzt diese Liste systemerhaltender Kapazitäten durch eine sechste: die Kapazität, wachsende Informationsmengen zu verarbeiten und entsprechend zu reagieren. 89 Ein systemerhaltendes Niveau der Problemlösungskapazitäten ist unbedingt erforderlich, will das System diesen Herausforderungen begegnen. Aus politikwissenschaftlicher Sicht sind diese Zusammenhänge im Systemmodell von David Easton 90 und seiner Erweiterung durch Gabriel Almond und Bingham Powell 91 am deutlichsten herausgearbeitet worden. Abb. 1: Systemmodell nach Easton und Almond/Powell Quelle: Merkel 1999, S. 59. 89 Vgl. Sandschneider, Eberhard: Stabilität und Transformation politischer Systeme. Stand und Perspektive politikwissenschaftlicher Transformationsforschung, Opladen 1995, S. 121. 90 Easton, David: A Systems Analysis of Political Life, New York 1965. 91 Almond, Gabriel A./ Powell, Bingham (Hrsg.): Comparative Politics, Boston 1966. 29 Ihr Modell beinhaltet eine Rückkoppelung zwischen den outputs/outcomes, also den tatsächlichen Entscheidungen des Systems (decisions/policies), und den inputs, d.h. den politischen Forderungen und den politischen Unterstützungen aus der Umwelt (demands/supports). Outputs (Gesetze, Erlässe, Verordnungen) werden in extraction (in erster Linie fiskalische Akquisition), regulation (Regelung des Verhaltens der Bürger untereinander und zu den Institutionen) und distribution (Verteilung materieller Güter, Dienstleistungen, Status und Lebenschancen) unterschieden. Inputs sind einerseits demands, d.h. Forderungen aus der Umwelt an das System, und andererseits supports, also Unterstützungen aus der Umwelt, die sich wiederum aus specific support und diffuse support zusammensetzen. Die instrumentell-zweckbezogenen (specific supports) und die allgemeineren längerfristigen Unterstützungen (diffuse supports) sind für das System von existenzieller Bedeutung und sichern seinen Bestand. Die inputs werden im zentralen politischen System verarbeitet und das System wandelt sie in materielle und immaterielle outputs zur Erfüllung der Forderungen um, die die supports verstärken oder abschwächen, und somit schlussendlich für veränderte inputs sorgen und auf das politische System zurückwirken (feedback loop). 92 Produziert das System nun auf Grund der durch Überlagerung der teilsystemischen Codierung durch politische Codes künstlich herbeigeführten Ineffizienz anderer Teilsysteme outputs, vor allem materieller Art, die für die Bevölkerung unbefriedigend sind, „nimmt der für die politische Herrschaftsordnung systemunterstützende input an aktiver Unterstützung und passiver Massenloyalität ab.“ 93 Durch diese politische „Okkupation“ anderer Teilsysteme wird die „im Zuge der Modernisierung entstandene funktionale Ausdifferenzierung der Gesellschaft in spezialisierte Teilsysteme […] eingefroren oder zurückgedreht.“ 94 Die „produktiven Vorteile von Arbeitsteilung und Spezialisierung [werden so] verspielt“ und „die spezifische Intelligenz und Expertise von dezentralen Einheiten“ eingeebnet. 95 Da derartige politische Vorgaben „in der Regel hierarchisch-repressiv durchgesetzt werden müssen“ 96 , werden somit auch die beiden bereits benannten wichtigsten Ströme der Legitimitätszufuhr zur Stabilisierung des politischen Systems abgegraben. Die längerfristige, diffuse Unterstützung bezieht sich auf die politischen Institutionen und Verfahrensweisen des Systems selbst: Konkret drückt das Maß an diffuser Unterstützung 92 Vgl. Easton, 1965: S. 343ff. Merkel, 1996: S. 310. 94 Merkel, 1999: S. 65. 95 Vgl. Willke, Helmut: Ironie des Staates. Grundlinien einer Staatstheorie polyzentrischer Gesellschaft, Frankfurt/M. 1996, S. 69. 96 Merkel, 1996: S. 310. 93 30 demnach aus, welchen Rückhalt die jeweilige Herrschaftsform, welche Legitimität sie im Volk hat. Merkel spricht hier von der „normativen Legitimationsebene“ 97 . Das Maß an spezifischer Unterstützung hängt „von den in der Bevölkerung wahrgenommenen Leistungsergebnissen des politischen Systems ab“ 98 : Das bedeutet, dass der Grad an spezifischer Unterstützung in erster Linie eng damit verbunden ist, in welchem Maße die Bevölkerung ihre materielle Wohlfahrt und Sicherheit im Rahmen des Systems gewährleistet sieht. 99 Sie entsteht demzufolge auf der „leistungsbezogenen Legitimationsebene“ 100 . Legitimität ist für Easton ein wesentlicher Bestandteil der Unterstützung von Autoritäten und Regimen. Er definiert sie als: „the conviction of one part of the member that it is right and proper for him to accept and obbey the authorities and to abide by the requirements of the regime. It reflects the fact, that in some vague or explicit way he sees these objects as conforming to his own moral principles, his own sense of what is right and proper in the political sphere.” 101 Spezifische und diffuse Legitimation können jeweilige Mängel gegenseitig in einem gewissen Maße kompensieren 102 : Mangelt es an vom System erbrachter Leistung, kann unter Umständen die diffuse Unterstützung seiner Normen, Strukturen und Verfahren durch seine Bürger dieses Defizit ausgleichen. Fehlt es an letztgenannter Unterstützung kann eine gute Leistungsbilanz des Systems den Mangel an diffuser durch einen Überschuss an spezifischer Unterstützung ausgleichen. In autokratischen Herrschaftssystemen gibt es „per definitionem keine formale demokratische Legitimation“ 103 für Institutionen und Entscheidungsinstanzen. Merkel zufolge kann dieses Defizit an Legitimation in vormodernen Gesellschaften (z.B. Afrikas) über traditionale oder charismatische Herrschaftslegitimation, in weiter entwickelten über ideologische (z.B. in den kommunistischen Systemen Herrschaftslegitimation (im Osteuropas) und ideologisch/charismatische Faschismus/Nationalsozialismus Italiens/Deutschlands) ausgeglichen werden. 104 Muss in autokratischen Systemstabilisierung Systemen eingesetzt Repression werden, hilft zur Herrschaftssicherung dieser Einsatz als und zur „funktionales 97 Merkel, 1999, S. 63. Merkel, 1996: S. 310. 99 Vgl. ebd. 100 Merkel, 1999: S. 65. 101 Easton, 1965: S. 278. 102 Vgl. Merkel, 1999: S. 60. 103 Merkel, 1996: S. 310. 104 Vgl. ebd. S. 310f. 98 31 Systemstabilisierungsäquivalent“ 105 zwar einerseits, die Opposition zu unterdrücken, andererseits führt er aber dazu, dass dem System seine Legitimation entzogen und „das verbliebene Rinnsal der ideologischen Legitimationsquelle“ 106 ausgetrocknet wird. Langfristig erfolgt durch Repression also eher eine Stärkung der oppositionellen Kräfte als eine erfolgreiche Schwächung bzw. Unterdrückung. Auf den Staat insgesamt bezogen unterscheidet Sandschneider zwischen der Makrostabilität des Gesamtsystems Staat und zwei verschiedenen Formen der Mikrostabilität auf der teilsystemischen Ebene: der institutionellen Mikrostabilität, die den institutionellorganisatorischen Entscheidungsrahmen des Teilsystems betrifft und die funktionale Mikrostabilität, die sich an der Erfüllung der teilsystemischen Funktionsleistungen bemisst. 107 Kommt es zum Verlust von Mikrostabilität in einem oder mehreren Teilsystemen, muss die Instabilität nicht zwingend zum Systemwechsel oder gar zum Zusammenbruch führen: Wie zuvor ausgeführt, ist es möglich, dass die fehlende Mikrostabilität auf der Makroebene ausgeglichen werden kann, vorausgesetzt das Gesamtsystem kann die entstehenden Kosten decken. 108 Dies kann einerseits wie beschrieben durch Repression, allerdings mitsamt den anhängenden Konsequenzen oder andererseits durch die Zuführung systemexterner Unterstützung geschehen. Merkel stellt fest, dass Demokratien „aufgrund ihrer inneren Konstruktion und höheren Fähigkeit, systemrelevante Informationen zu prozessieren und Unterstützung zu mobilisieren, […] längerfristig stabiler [sind] als Autokratien.“ 109 Demokratische Systeme verfügen über eine endogene Stabilität, die sich in erster Linie über den „feed back-Mechanismus“ 110 bezüglich des Herrschaftszugangs in Form freier Wahlen erklärt. Die Gefahr abgewählt zu werden, weil die von der Bevölkerung geforderten „Güter“ nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt werden, „zwingt die amtierenden Regierungen, sich immer wieder an die geänderten ’Umweltbedingungen’ anzupassen und neue, effizientere Lösungsansätze zu entwickeln.“ 111 Flexibilität, Adaptionsfähigkeit „institutionalisierten Lernzwangs“ 112 und Innovationsstreben in Form sind somit in der Demokratie dem System innewohnende Stabilitätsfaktoren. 105 Ebd. S. 311. Ebd. 107 Vgl. Sandschneider, 1995: S. 119f. 108 Vgl. ebd. S. 120. 109 Merkel, 1999: S. 60f. 110 Ebd. S. 61. 111 Ebd. 112 Ebd. 106 32 Gleichzeitig gibt der selbstbeschränkte Herrschaftsanspruch demokratischer Systeme den gesellschaftlichen Teilsystemen Wirtschaft, Recht, Kultur, Wissenschaft usw. mehr Raum, sich mit ihren auf interne Effizienz ausgerichteten teilsystemspezifischen Codierungen und Regeln selbst zu steuern. 113 Diese Mechanismen, die demokratische Systeme stabilisieren, funktionieren naturgemäß nur, wenn bestimmte begünstigende Voraussetzungen erfüllt sind: Hierzu zählen ein gewisses Maß an sozioökonomischer Entwicklung sowie ein grundlegender Konsens und die Akzeptanz der „fundamentalen demokratischen und rechtsstaatlichen Spielregeln“ 114 , ohne den eine Demokratie von vornherein instabil wäre. Autokratische Systeme ziehen ihr Destabilisierungspotential aus ihrem im Vergleich zu demokratischen Systemen sehr statischen, adaptions- und innovationsträgen Charakter. 115 partizipationsfeindlichen, geschlossenen, Dieser mindert die Leistungsfähigkeit des politischen Systems und die Möglichkeiten seiner Legitimitätsbeschaffung. Mit Repressionen sind diese beiden destabilisierenden Einflüsse in weiter entwickelten Gesellschaften nur in begrenztem Maße zu kompensieren. Einerseits wird auf der normativen Legitimitätsebene die Entwicklung von diffuser Unterstützung in der Bevölkerung verhindert, die Easton, wie beschrieben, neben der spezifischen Unterstützung als überlebensnotwendig für das System einstuft. Längerfristig kann sich keine affektive Bindung an das System entwickeln, wenn der Bürger völlig von der Mitgestaltung der res publica ausgeschlossen ist. 116 Auf der anderen Seite ist die spezifische Unterstützung, wie oben erwähnt, eng daran geknüpft, inwieweit die Bevölkerung ihre Sicherheit und materielle Wohlfahrt durch das System gewährleistet sieht. Kommt es nun im autoritären Regime durch Eingriffe bzw. Überlagerung der gesellschaftlichen Teilsysteme durch das politische System zur funktionalen Entdifferenzierung der Teilsysteme, ist ein Effizienzverlust der einzelnen Bereiche vorprogrammiert. Vor allem bezüglich des Wirtschaftssystems ist so eine unzureichende Versorgung der Bevölkerung mit materiellen Gütern und ein Verlust der spezifischen Unterstützung die logische Folge. Auf Grund der Allzuständigkeit des autoritären Regimes für die vom politischen System okkupierten Teilsysteme schlägt jede Teilsystemkrise zudem direkt auf das politische System durch. 113 Vgl. ebd. S. 61f. Ebd. S. 62. 115 Vgl. ebd. S. 63. 116 Vgl. ebd. S. 65. 114 33 3.3 Strukturalistische Ansätze Strukturalistisch orientierte Ansätze der Transformationsforschung gehen davon aus, dass langfristige Verschiebungen in den Machtstrukturen einer Gesellschaft entscheidend für eine erfolgreiche Demokratisierung bzw. die Konsolidierung der Demokratie sind. Barrington Moore setzte 1969 den Grundstein der Übertragung des strukturalistischen Ansatzes auf die Systemwechselforschung. 117 Für Moore ist die Entwicklung von Herrschaftsstrukturen wie Diktatur und Demokratie das Resultat vergangener sozialer Konflikte und über die Schlüsselkategorien a) Zeitpunkt der Industrialisierung, b) Staatsstrukturen, c) Staatshandeln und d) soziale Klassen sowie die Machtverhältnisse zwischen ihnen und zum Staat zu erklären. 118 Für ihn greift jede Transformationsanalyse, die nur auf der Gegenwart fußt, zu kurz, denn die Handlungsspielräume agierender politischer Akteure sind in ganz erheblicher Weise durch die Auswirkungen der Vergangenheit geprägt: Politische Akteure bewegen sich in strukturellen constraints, also in Handlungskorridoren, die in der Vergangenheit durch die spezielle Konstellation der benannten Schlüsselkategorien entstanden sind. Moores Betrachtungen fokussieren insbesondere die Verhältnisse: - „Macht des Staates gegenüber der Landaristokratie und Bourgeoisie; - Machtposition der reaktionären Großgrundbesitzer und ihr Einfluss auf den Staat; - relative Stärke der dominierenden ländlichen und städtischen Klassen; - Herrschaftskonstellationen zwischen Krone und den dominanten Klassen; - sozialstrukturelle Transformation der Bauernschaft (z.B. im Industrieproletariat), da diese sowohl für den autoritären Obrigkeitsstaat als auch für kommunistische Revolutionen ein ergiebiges Rekrutierungsreservoir darstellen.“ 119 Die Ausprägungen der einzelnen Machtkonstellationen entscheiden schließlich in ihrem Zusammenwirken, welcher Weg die Gesellschaft in die Moderne führt. Moore unterscheidet hier lediglich drei verschiedene Optionen: Den Weg der bürgerlichen Revolutionen, der zur westlichen (parlamentarischen) Demokratie führt; den Weg der konservativen Revolutionen 117 Moore, Barrington: Soziale Ursprünge von Diktatur und Demokratie: Die Rolle der Grundbesitzer und Bauern bei der Entstehung der modernen Welt, Frankfurt/M. 21987; [engl. Original: Moore, Barrington: Social Origins of Dictatorship and Democracy, Boston 1966]. 118 Vgl. Merkel, 1996: S. 312. 119 Ebd., vgl. Moore, 1987: S. 475ff. 34 von oben, der zur faschistischen Diktatur führt und den Weg der Bauernrevolutionen, der zur kommunistischen Diktatur führt. 120 In jüngerer Zeit wurde sein Ansatz unter anderem von Rueschemeyer, Huber Stephens und Stephens aufgegriffen 121 , die seine Thesen verfeinerten und z.B. die von Moore wenig beachtete Rolle der Arbeiterklasse und der Mittelschichten beim Hervorbringen von demokratischen Strukturen berücksichtigen und die Bourgeoisie als demokratieabgeneigt bzw. -feindlich einstufen, nicht wie Moore demokratiefreundlich. Merkel sieht den großen Beitrag des strukturalistischen Ansatzes Moores und Rueschemeyer/Huber Stephens/Stephens darin, welche Bedeutung „den sozialen Klassen, dem Staat und den Machtbeziehungen zwischen ihnen“122 beigemessen wird. Entscheidend ist für ihn, wie die Strukturalisten den Strukturbegriff behandeln. Die Struktur ist auf einer MesoEbene zwischen System und Handlung angeordnet und nicht allein auf die Erfüllung von Funktionen in einem sich selbst reproduzierenden System ausgerichtet wie in der Systemtheorie. 123 Für die strukturalistischen Vertreter hat Struktur einen Doppelcharakter, ist Struktur und Akteur zugleich: So unterscheiden sie z.B. zwischen der „Klasse an sich“ (Struktur), also der bloßen gleichlaufenden sozioökonomischen Interessenlage, und der „Klasse für sich“ (Akteur), ihrer kollektiven Organisierung, die sie erst zum sozialen Handeln befähigt. Diese Unterscheidung lässt sich auch auf den Staat übertragen: Mit seinen Institutionen und festgelegten Verfahren, ist er der Rahmen (Struktur), in dem politische Akteure handeln, tritt jedoch selbst auch als Akteur in Erscheinung. 124 In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich die Frage, inwiefern sich der Staat dabei neutral verhält, parteiische Interessen oder das „Interesse an sich selbst“ 125 vertritt. Der diesbezüglich entscheidende Faktor ist das Maß an Autonomie des Staates, die Rueschemeyer und seine Co-Autoren mit folgendem Spannungsbild beschreiben: „[While] state autonomy vis-à-vis the dominant classes is a necessary condition of effective democracy, the same state strength that contributes to this outcome may enable the state to overpower the pro-democratic forces in the rest of the society. Processes of democratization, then, must steer between the Scylla of a dependence of the state on the dominant classes that is incompatible with democracy and the Charybdis of a state michinery to strong to be democratically tamed.” 126 120 Vgl. Moore, 1987: S. 475. Rueschemeyer, Dietrich/ Huber Stephens, Evelyne/ Stephens, John D.: Capitalist Development and Democracy, Chicago 1992. 122 Merkel, 1996: S. 312f. 123 Vgl. ebd. S. 313. 124 Vgl. ebd. 125 Offe, Claus: Berufsbildungsreform, Frankfurt/M. 1975, zitiert nach Merkel, 1996: S. 313. 126 Rueschemeyer/ Huber Stephens/ Stephens, 1992: S. 66. 121 35 Besondere Relevanz haben in diesem Zusammenhang das Maß an Autonomie, das der Staat seiner Zivilgesellschaft in ihren Parteien, Organisationen, Bewegungen etc. gibt, und das staatliche Gewaltmonopol, das absichert, dass sich Militär und Polizeiapparat nicht seiner Kontrolle entziehen, sich gegen ihn stellen oder gar zum „Staat im Staate“ 127 entwickeln können. 128 3.4 Akteurs-/ handlungstheoretische Ansätze Anders als modernisierungstheoretische und makrosoziologische Ansätze greifen akteursorientierte Transitionsforscher die Mikroebene der handelnden Akteure auf. Im Gegensatz zum ökonomischen und soziostrukturellen Determinismus geht die akteurstheoretische Transitionsforschung davon aus, „dass Demokratien nicht zwangsläufig aus bestimmten ökonomischen und sozialen Bedingungen entstehen, sondern von politischen Akteuren im wahrsten Sinne des Wortes hergestellt oder gemacht werden.“ 129 Das strategische Handeln der an den Prozessen beteiligten Akteure steht demzufolge im Fokus der Betrachtungen, ohne dass die akteurstheoretische Analyse die Bedeutung von strukturellen Gegebenheiten wie Ökonomie, politischer Kultur usw. verkennt. Vielmehr werden diese Faktoren als Strukturen gesehen, die die Handlungsoptionen der Akteure filtern und an die ihre Entscheidungen gebunden sind, nicht jedoch als deterministische Faktoren, die die Entwicklungsrichtung bzw. das Ergebnis der jeweiligen Prozesse vorgeben. 130 Die Akteure, also die Individuen und Gruppen, die den Systemwechselprozess initiieren und gestalten, stehen im Mittelpunkt der akteursorientierten Systemwechselforschung: Ihnen „werden trotz struktureller Zwänge, in denen sie sich bewegen, Entscheidungen und Handlungsoptionen zugestanden.“ 131 Vor diesem Hintergrund sind „Ziele, Interessen, Präferenzen, Perzeptionen, Entscheidungen, Strategien und das Verhalten von herrschenden Eliten und oppositionellen Kräften“ 132 die entscheidenden Faktoren und Variablen im Prozess des Systemwechsels. Die wichtigsten Akteure werden in der akteursorientierten Transformationsforschung in den herrschenden und den oppositionellen Eliten gesehen. Die Fraktionierung der herrschenden 127 Merkel, 1996: S. 313. Vgl. Rueschemeyer; Huber Stephens; Stephens, 1992: S. 66ff. 129 Bos, Ellen: Die Rolle von Eliten und kollektiven Akteuren in Transitionsprozessen, in: Merkel, Wolfgang (Hrsg.): Systemwechsel 1: Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung, Opladen 21996, S. 81109, S. 81. 130 Vgl. O’Donnell/ Schmitter 1986: S. 4f. 131 Bos, 1996: S. 87. 132 Ebd. 128 36 Klasse in hard- und softliner durch den auf sie einwirkenden Druck gilt als grundlegende Voraussetzung, um einen Systemwechsel wahrscheinlich zu machen. 133 Auf der einen Seite stehen die hardliner: reformunwillige Kräfte, die aus Gründen des Machterhalts, der Sicherung ihres materiellen Status’ oder schlicht aus Überzeugung am autoritären Regime festhalten. Auf der anderen Seite befinden sich die reformwilligen softliner oder Reformer, die dazu bereit sind, ihre Herrschaft auf breitere demokratische Legitimation zu fußen und mit der Opposition über eine mögliche Liberalisierung, eine begrenzte Öffnung des politischen Systems oder Demokratisierung des Herrschaftssystems verhandeln möchten. 134 Durch das Vorhandensein von reformwilligen Kräften und einer handlungsfähigen politischen „Liberalisierungskoalition“ 135 Opposition wird die Bildung einer zwischen beiden Seiten möglich, die den Übergang von der Diktatur zur Demokratie oftmals mittels eines Paktes bewerkstelligen. Die oppositionellen Kräfte stellen wie die herrschende Klasse keine homogene Gruppe dar: Sie werden in der Forschung in opportunists, moderates und radicals unterschieden. 136 Die Opportunisten formieren die Gruppe derer, die zuvor das Regime unterstützten, sich nun jedoch auf die Seite der demokratisierungswilligen Opposition gestellt haben, weil sie in der Demokratisierung Vorteile für sich sehen. Die moderaten Oppositionskräfte favorisieren ein demokratisches System, respektieren dabei jedoch die Rolle der traditionellen Eliten und des Militärs. Die radikalen Oppositionellen stellen den kompromissunwilligen Teil der Opposition dar, der eine strikte Demokratisierung fordert und gegenüber dem autoritären Regime zu keinerlei Zugeständnissen bereit ist. Häufig entwickeln sich die oppositionellen Kräfte erst im Zuge der Öffnung des politischen Systems zu einer breiten Bewegung: Am Anfang stehen in der Regel zunächst Intellektuelle, Künstler, Menschenrechtsgruppen und kirchliche Kreise, denen sich in der Folge Parteien, Gewerkschaften und andere Interessengruppen anschließen können. 137 Neben Opposition und Herrschenden sieht die akteursorientierte Systemwechselforschung in mobilisierten Bevölkerungsmassen einen weiteren Akteur. 138 Demonstrationen und Streiks sind mögliche Ausdrucksformen dieser Gruppe, die vorrangig in der Liberalisierungsphase 133 Vgl. Schubert, Gunter/ Tetzlaff, Rainer/ Vennewald, Werner (Hrsg.): Demokratisierung und politischer Wandel. Theorie und Anwendung des Konzepts der strategischen und konfliktfähigen Gruppen, Münster/ Hamburg 1994, S. 100. 134 Vgl. Bos, 1996: S. 88. 135 Schmidt, 1998: S. 233. 136 Vgl. Potter, David: Explaining democratization, in: Potter, David/ Goldblatt, David/ Kiloh, Margaret/ Lewis, Paul: Democratization, Cambridge/ Malden 1997, S. 1-40, S. 15. 137 Vgl. Bos, 1996: S. 88. 138 Vgl. ebd. 37 eine Rolle spielen. Massenaufstände werden in der Systemwechselforschung eher als vorübergehende Phänomene betrachtet. 139 Den Akteuren wird strategisches Handeln unterstellt, dass auf rationalen Abwägungsprozessen beruht. Dies ermöglicht die Entwicklung von Spielen, in denen die Handlungen der Akteure erfasst werden können 140 : Diesen Rational Choice oder Strategic Choice-Ansätzen zufolge sind „die Ergebnisse von politischen Prozessen [die] Folge der Interaktionen zwischen den strategischen Entscheidungen der beteiligten Akteure.“ 141 Unter der Prämisse der Nutzenoptimierung und des weitgehenden Erreichens der gesetzten Ziele werden die angenommenen Kosten und Nutzen aller möglichen Handlungsoptionen von den Akteuren gegenübergestellt, um so zur Entscheidung zu gelangen. Voraussetzung für das Funktionieren strategischer Modelle ist jedoch ein ausreichend freier Handlungsspielraum der Akteure und die Ergebnisoffenheit, d.h. die Ergebnisse der politischen Prozesse dürfen nicht bereits a priori feststehen. 139 Vgl. ebd. und Merkel/ Puhle, 1999: S. 49. Przeworski, Adam: The Games of Transition, in: Mainwaring, Scott/ O’Donnell, Guillermo/ Valenzuela, J. Samuel: Issues in Democratic Consolidation. The New South American Democracies in Comparative Perspective, Notre Dame 1992, S. 105-152. 141 Bos, 1996: S. 87. 140 38 4. Phasen und Formen von Systemwechselprozessen Die umfassendsten Arbeiten zur Erforschung von Systemwechseln stammen von Wolfgang Merkel, weshalb die folgenden Betrachtungen zu Systemwechselprozessen in ganz wesentlicher Weise auf seine Ausführungen gestützt sind. 4.1 Phasen des Systemwechsels In der Systemwechselforschung werden Systemwechselprozessen in verschiedene Phasen eingeteilt. Idealtypisch unterscheiden O’Donnell und Schmitter zwischen der Phase der Liberalisierung, der Phase der Demokratisierung und der Phase der Konsolidierung der Demokratie. 142 In der Liberalisierungsphase versuchen die herrschenden Eliten, das autoritäre System kontrolliert zu öffnen, ohne die tatsächlichen Machtverhältnisse zu verändern. Das Erweitern persönlicher Freiheitsrechte, wie z.B. der Rede- und Organisationsfreiheit, soll Spannungen und Druck von der Regierung nehmen, bzw. ihre Unterstützung in der Bevölkerung vergrößern, ohne dass den Bürgern jedoch der Zugang zu politischer Teilhabe gewährt wird. 143 Darüber hinaus bietet sich dem autoritären Regime durch die Liberalisierung die Möglichkeit, die neu entstehenden Gruppen in die autoritären Institutionen zu integrieren und so zentral kontrollierbar zu machen. 144 In der akteurstheoretisch orientierten Systemwechselforschung werden zwei die Liberalisierung auslösende Faktoren unterschieden, die Przeworski zufolge häufig korrelieren: Liberalisierung als Resultat einer Spaltung der herrschenden Kräfte des autoritären Regimes (top-down) und Liberalisierung als Reaktion der herrschenden Kräfte auf mobilisierte Massen, die Druck auf das Regime ausüben (bottom-up). 145 Ganz gleich jedoch, worauf die Liberalisierung letztendlich zurückzuführen ist: Für Regierung und Opposition stellt sich, Przeworski entsprechend, in jedem Fall die gleiche Abfolge von Entscheidungen, jedoch mit dem Unterschied, dass eine von Massenprotesten „erzwungene“ Liberalisierung dem Regime den Rhythmus des Wandels vorgibt. 146 Die Phase der Demokratisierung wird als der Abschnitt des Systemwechselprozesses gesehen, in dem demokratische Institutionen eingeführt werden, „die politischen Wettbewerb und eine 142 Vgl. O’Donnell/ Schmitter, 1986: S. 7ff. Vgl. Przeworski, 1991: S. 57. 144 Vgl. ebd. 145 Vgl. ebd. S. 56. 146 Vgl. ebd. S. 57. 143 39 breite Partizipation der Bürger garantieren.“ 147 Als dafür grundlegend gelten freie und geheime Wahlen, ein allgemeines Wahlrecht und der Parteienwettbewerb. 148 Der Unterschied zwischen Liberalisierung und Demokratisierung ist deutlich: Liberalisierungsschritte autoritärer Regime wurden in der Vergangenheit z.B. als apertura (Öffnung), distensão (Entspannung), odnowa (Erneuerung) oder perestroika (Umgestaltung) bezeichnet. 149 Die Liberalisierung stellt also lediglich eine Modifizierung des autoritären Regimes dar, während Herrschaftssystems die bezeichnet. 150 Demokratisierung Aus der Phase den tatsächlichen der Wechsel Liberalisierung kann des eine Demokratisierungsphase hervorgehen, zwingend ist diese Entwicklungsrichtung jedoch nicht. In der Regel führt die Demokratisierung zu einer Übergangs- oder Interimsdemokratie, während der die Phase der Konsolidierung einsetzt. Die Konsolidierung beginnt mit dem Einsetzen einer demokratischen Regierung und endet, wenn die Demokratie einen stabilen Zustand erreicht hat. 151 Hinsichtlich dieser Phaseneinteilung sind einige Einschränkungen zu machen: Merkel weist darauf hin, dass es dieser Einteilung an Allgemeingültigkeit mangele, um sie auf alle Systemwechsel, auch die der Dritten Demokratisierungswelle, anwenden zu können: Keineswegs „ging der Demokratisierung immer zwingend eine Liberalisierung des autokratischen Systems voraus.“ 152 Dies sei lediglich in drei der sechs von ihm unterschiedenen Systemwechselformen der Fall gewesen 153 : Der lang andauernden evolutionären Systemwechseln Demokratisierung, und den den zwischen von den Regimeeliten alten und Regimeeliten Opposition gesteuerten ausgehandelten Systemübergängen. Bei den von unten erzwungenen Systemwechselprozessen und den Neugründungen von Staaten sind Merkel zufolge keineswegs immer Liberalisierungsphasen durchlaufen worden, sondern nur bisweilen. Bei den Systemwechseln infolge kollabierender Regime verlaufe die Liberalisierung zumeist synchron mit der Demokratisierung bzw. ist zu weiten Teilen erst die Folge der einsetzenden Demokratisierung. 154 In der Realität ist eine trennscharfe Abgrenzung der einzelnen Phasen demnach in vielen Fällen gar nicht möglich. 147 Bos, 1996: S. 86. Vgl. ebd. 149 Vgl. Przeworski, 1991: S. 57f. 150 Vgl. Bos, 1996: S. 86. 151 Vgl. ebd. 152 Merkel, 1999: S. 136. 153 Die von Merkel unterschiedenen Verlaufsformen von Systemwechseln werden unter Punkt 4.2, S. 49ff. behandelt. 154 Vgl. ebd. 148 40 Merkel geht von einem allgemeineren, dreistufigen Modell aus, das seiner Meinung nach in der Lage ist, alle erfolgreichen Systemübergänge von autokratischen zu demokratischen Systemen zu erfassen: 155 1. Ende des autokratischen Regimes 2. Institutionalisierung der Demokratie (Demokratisierung) 3. Konsolidierung der Demokratie Abb. 2: Systemwechsel – Vom autokratischen System zur Demokratie Quelle: Merkel 1999, S. 122 Dieses Modell soll im Folgenden in kurzer Form dargestellt werden. 155 Vgl. ebd. S. 120. 41 4.1.1 Das Ende des autokratischen Systems Das Ende eines autokratischen Systems ist zumeist einem ganzen Ursachenkomplex geschuldet, den es in seiner Gesamtheit zu erfassen gilt. Erst die Analyse des Zusammenwirkens und Ineinandergreifens von strukturellen Veränderungen und politischen Handlungen ermöglicht laut Merkel das Erklären von Zusammenbrüchen politischer Systeme. 156 Er unterscheidet hinsichtlich der Ursachen, die zum Niedergang von autokratischen Systemen führen, zunächst zwischen systeminternen und systemexternen Ursachen. 1. Systeminterne Ursachen Systeminterne Ursachen sieht Merkel in erster Linie im Zusammenhang mit dem latenten, systemeigenen Legitimitätsdefizit, das dem autokratischen Regime anhaftet. Drei verschiedene Ursachen für Legitimitätskrisen zählt Merkel auf 157 : die Legitimitätskrise auf Grund ökonomischer Ineffizienz, die Legitimitätskrise auf Grund ökonomischer Effizienz und die Legitimitätskrise auf Grund politischer Schlüsselereignisse. Die Logik, die hinter den beiden erstgenannten möglichen Ursachen für Legitimitätskrisen steckt, wurde bereits im Zusammenhang mit der Modernisierungstheorie erörtert 158 : Kann einerseits die materielle Entschädigung der Bevölkerung für ihre politische Entmündigung nicht mehr aufrechterhalten werden, weil die wirtschaftliche Modernisierung scheitert bzw. nicht vollzogen wird, gerät das System in eine tiefe Legitimationskrise. Aus dieser kann die Regimeelite nur zu entkommen versuchen, indem sie entweder Repressionen anwendet oder Liberalisierungsversuche unternimmt. Wie Beispiele beider Versuche zeigen, sind die Risiken für das autokratische System, die diese Strategien mit sich bringen, enorm und kaum kalkulierbar. 159 Andererseits kann auch der Erfolg von sozioökonomischer Modernisierung zum Niedergang autokratisch beherrschter Systeme führen: Im Zuge des Wirtschaftswachstums erhöht sich das Konsum- und Bildungsniveau und das Wirtschaftssystem insgesamt verlagert sich schwerpunktmäßig vom Agrar- zum Industrie- und Dienstleistungssektor. In der Folge geht den Herrschaftseliten die Unterstützung der durch die Modernisierung überflüssig 156 Ebd. S. 124. Vgl. ebd. S. 125ff. 158 Vgl. Punkt 3.1, S. 20ff. 159 Vgl. Merkel, 1999: S. 125. 157 42 gewordenen, passiven, traditionell autokratische Systeme stützenden Landbevölkerung verloren, während sich in den städtischen Gebieten neue starke Mittelschichten herausbilden. 160 So weicht die „vormoderne, passiv-resignative Loyalität gegenüber dem autoritären Regime, die vor allem Agrargesellschaften kennzeichnet, […] politischen und wirtschaftlichen Partizipationsforderungen“ 161 der neu entstandenen sozialen Gruppen, die sich in einer sozialen und politischen Opposition manifestieren und so die Legitimation des Regimes unterminieren. Der dritte systeminterne Grund für eine Legitimitätskrise des autokratischen Regimes ist das Auftreten politischer Schlüsselereignisse. Diese kurzfristigen dramatisierenden Effekte entwickeln Merkel zufolge gerade im Zusammenwirken mit einem der beiden, zuvor beschriebenen, latenten Legitimitätsprobleme eine besondere Sprengkraft. 162 So können z.B. der Tod eines Diktators, regimeinterne Elitenkonflikte, aber auch die Häufung von Skandalen und Korruption oder das Bekanntwerden von Menschenrechtsverletzungen durch das Regime (sofern diese nicht ohnehin schon bekannt sind) zu „einem Anwachsen interner Protestbewegungen und zu weiterer außenpolitischer Isolierung führen.“ 163 2. Systemexterne Ursachen Merkel unterscheidet drei unterschiedliche systemexterne Einflüsse, die ursächlich für den Niedergang eines autokratischen Regimes sein können 164 : a) Kriegsniederlagen Die häufigsten externen Ursachen für Regimezusammenbrüche, so Merkel, seien Niederlagen in militärischen Konflikten. Entweder erfolge der Zusammenbruch auf Grund der Niederlage in einem militärischen Konflikt mit demokratischen Staaten, an den sich ein von den Siegermächten geleiteter Demokratisierungsprozess anschließen kann, oder infolge einer Niederlage autokratischer Besatzerregime, „die den Weg für eine (Re-) Demokratisierung freimachen.“ 165 160 Vgl. Punkt 3.1, S. 21. Merkel, 1999: S. 126. 162 Vgl. ebd. S. 126f. 163 Ebd. S. 127. 164 Vgl. ebd. S. 127ff. 165 Ebd. S. 128. 161 43 b) Wegfall externer Unterstützung Die Bedeutung externer Unterstützung zeigte sich besonders in der Zeit des Kalten Krieges, in der die Blöcke viele autokratische Systeme stützten und deren Existenz absicherten: Mit dem Entziehen der Unterstützung kam für viele Regime das Ende. Auch der Zusammenbruch der kommunistischen Regime Osteuropas nahm seinen Ausgang auf diese Weise: durch das Wegfallen der sowjetischen Beistandsgarantie im Zuge der Abkehr Gorbatschows von der Breschnew-Doktrin. 166 c) Dominoeffekt Der Dominoeffekt beschreibt die mitreißende Wirkung von Zusammenbrüchen autokratischer Systeme auf ihre Region, die in der Vergangenheit zu beobachten waren. Diese Effekte sind eher als Verstärkungseffekte denn als tatsächlich ausschlaggebende Ursachen zu sehen und doch ist ihnen eine gewisse Bedeutung beizumessen, die sich unter anderem in der Kettenreaktion des Zusammenbruchs der Regime des Ostblocks zeigte. 167 4.1.2 Institutionalisierung der Demokratie (Demokratisierung) Die Institutionalisierung der Demokratie, von Merkel synonym auch als Demokratisierungsphase bezeichnet, beginnt, „wenn die Substanz politischer Entscheidungen der Kontrolle der alten Machthaber entgleitet und dem unsicheren Ausgang der demokratischen Konkurrenz übergeben wird, d.h. durch stabile und institutionalisierte Verfahren entschieden wird, deren Ausgang kontingent“ 168 bzw. nicht mehr a priori bestimmbar ist. Sie ist Merkel zufolge beendet, wenn die neue demokratische Verfassung in Kraft tritt und die politischen Entscheidungsprozesse entsprechend und verbindlich durch sie normiert werden. 169 Insgesamt stellt die Phase der Demokratisierung also den Teil eines Systemwechselprozesses dar, in dem die neuen Regeln und Institutionen etabliert werden: Sie werden eingeführt, sind aber hinsichtlich ihrer Stabilität und Wirksamkeit noch nicht verlässlich, während die Strukturen aus alten Institutionen und Normen nicht mehr oder höchstens noch teilweise Geltung haben. 170 Dies führt zum bereits benannten Umstand, dass den Akteuren ein weitaus 166 Vgl. ebd. Vgl. ebd. S. 129. 168 Rüb, Friedbert W.: Die Herausbildung politischer Institutionen in Demokratisierungsprozessen, in: Merkel, Wolfgang (Hrsg.): Systemwechsel 1: Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung, Opladen 21996, S. 111-137, S. 115. 169 Vgl. ebd. 170 Vgl. Merkel, 1999: S. 137. 167 44 größeres Maß an Handlungsoptionen zur Verfügung steht als z.B. in einer konsolidierten Demokratie. Diese Übergangsbedingungen machen die Demokratisierungsphase fragil und sind verantwortlich für das große Risiko des Scheiterns, dass dieser Phase anhaftet. Besonders problematisch, so Merkel, ist die Tatsache, dass die Regeln, die als allgemeingültige Normen etabliert werden sollen, von den durch sie betroffenen Akteuren selbst entworfen werden und somit im Spannungsfeld zwischen Partikularinteressen, allgemeinen Interessen und Problemorientierung schweben. Für das Etablieren einer funktionierenden Demokratie müsse diese Spannung dahingehend aufgelöst werden, „dass eine Balance zwischen den mächtigen Teilinteressen und dem ‚Allgemeinwohl’ gefunden wird.“ 171 Andernfalls könnten entweder übergangene mächtige politische Akteure die Demokratisierung gefährden, oder die Demokratie könne durch Legitimitätsdefizite auf Grund einer zu geringen Beachtung des Allgemeininteresses und der zu bewältigenden Probleme instabil bleiben. Aus letzterem Szenario könne z.B. anstelle einer funktionierenden eine „defekte Demokratie“ hervorgehen. 172 Die Phase der Institutionalisierung der Demokratie ist Merkel zufolge beendet, wenn die neue demokratische Verfassung verabschiedet ist, und die politischen Entscheidungsprozesse entsprechend und verbindlich durch sie normiert werden. 173 Die Frage, warum sich in bestimmten Zusammenhängen unterschiedliche Formen von Regierungssystemen (präsidentielle oder parlamentarische bzw. deren Mischformen) entwickeln, wird an dieser Stelle außen vor gelassen. Stattdessen soll der Blick nun auf die bestimmenden Faktoren einer erfolgreichen Konsolidierung demokratischer Ordnung gerichtet werden. 4.1.3 Konsolidierung der Demokratie In der Systemwechselforschung werden häufig die Gründungswahlen (founding elections) als Anfangspunkt der demokratischen Konsolidierung genannt. 174 Merkel zufolge ist es jedoch schlüssiger, den Beginn der Konsolidierung in der Verabschiedung der neuen Verfassung bzw. der demokratischen Revision der alten Verfassung zu sehen. Mit diesem Schritt würden die wichtigsten Akteure des politischen Systems damit beginnen, „ihre Strategien, ihr 171 Ebd. Vgl. ebd. S. 137f. 173 Vgl. ebd. 174 Vgl. etwa O’Donnell/ Schmitter, 1986: S. 57. 172 45 Verhalten und ihre Entscheidungen […] nach den institutionell abgesicherten demokratischen Normen auszurichten.“ 175 Der Begriff der Konsolidierung wird in der Systemwechselforschung sehr differenziert gefasst, sowohl auf begrifflicher als auch auf inhaltlicher Ebene: Darüber, wann eine Demokratie schließlich als konsolidiert gelten kann, und anhand welcher operationalisierbarer Kriterien dies zu untersuchen ist, herrscht bislang grundlegender Dissens. 176 Zwei unterschiedliche Ansätze sind diesbezüglich zu unterscheiden: Einerseits die minimalistischen 177 und andererseits die anspruchsvolleren Konsolidierungskonzepte. Zu den anspruchsvolleren Konsolidierungskonzepten gehört das von Geoffrey Pridham entworfene, in dem er zwischen negativer und positiver Konsolidierung unterscheidet. 178 Er spricht von negativer Konsolidierung, wenn kein relevanter politischer oder sozialer Akteur seine Interessen mehr außerhalb der demokratischen Ordnung verfolgt, weil es zu diesem Zeitpunkt keine Alternative zum bestehenden System gibt. 179 Positiv konsolidierte Demokratien werden demgegenüber nicht nur von den Eliten des Systems als alternativlos und legitim betrachtet, sondern auch von den Bürgern, die ihren Legitimitätsglauben gegenüber der Demokratie auch in ihren Einstellungs-, Werte- und Verhaltensmustern zum Ausdruck bringen. 180 Angelehnt an Pridhams Konzept der positiven Konsolidierung und aufbauend auf die Überlegungen von Linz/Stepan 181 entwirft Merkel ein Vier-Ebenen-Modell, auf dessen einzelnen Stufen sich die Konsolidierungschancen der neu entstandenen demokratischen Ordnung entscheiden. 182 Die Abfolge der Ebenen kann auch als zeitliche Abfolge des Konsolidierungsprozesses gesehen werden, da „Ebene 1 in aller Regel am frühesten konsolidiert ist, während die demokratische Konsolidierung der 4. Ebene am längsten dauert.“ 183 175 Merkel, 1999: S. 143. Vgl. Bos, 1996: S. 86. 177 Etwa Di Palma, Giuseppe: To Craft Democracies. An Essay on Democratic Transitions, Berkeley/ Los Angeles/ Oxford 1990, S. 137ff. 178 Vgl. Merkel, 1999: S. 144. 179 Vgl. ebd. 180 Vgl. ebd. 181 Linz, Juan J./ Stepan, Alfred: Problems of Democratic Transition and Consolidation: Southern Europe, South America and and Post-Communist Europe, Baltimore 1996. 182 Vgl. Merkel, 1999: S. 145ff. 183 Ebd. S. 145. 176 46 Abb. 3: Mehrebenenmodell der demokratischen Konsolidierung Quelle: Merkel, 1999, S. 147. 1. Ebene: die konstitutionelle Konsolidierung (Makro-Ebene: Strukturen) Die erste und grundlegende Ebene der Konsolidierung umfasst die Etablierung der zentralen politischen Verfassungsinstitutionen wie Staatsoberhaupt, Regierung, Parlament, Judikative und auch des Wahlsystems, wenn es auch nur selten Verfassungsrang besitzt. Diese Ebene ist in der Regel die am frühsten konsolidierte und wirkt durch ihre normativen, strukturierenden Vorgaben auf die folgenden drei Ebenen ein. 2. Ebene: die repräsentative Konsolidierung (Meso-Ebene: Akteure) Diese Ebene umfasst die territoriale und funktionale Interessenrepräsentation. Sie betrifft demnach vor allem Parteien (territoriale Repräsentation) und Interessenverbände (funktionale 47 Repräsentation), deren Konstellationen und Handlungen mit darüber entscheiden, wie sich die Normen und Strukturen der ersten Ebene konsolidieren. Zudem beeinflusst die gemeinsame Konfiguration der ersten beiden Ebenen das Verhalten der Akteure der dritten Ebene hinsichtlich der demokratischen Konsolidierung entweder positiv oder negativ. 3. Ebene: Verhaltenskonsolidierung (Meso-Ebene: informelle politische Akteure) Diese Ebene umfasst den Handlungsspielraum der informellen politischen Akteure wie Militär, Großgrundbesitzer, Finanzkapital, Unternehmer sowie radikale, militante Bewegungen und Gruppen. Hier wird deutlich, warum die ersten beiden Ebenen von so großer Bedeutung für die dritte Ebene sind: Entscheidend ist, ob die informellen politischen Akteure ihre Interessen innerhalb oder außerhalb, d.h. gegen das demokratische Ordnungssystem aus Normen und Institutionen verfolgen. Bei ausreichender Festigung der ersten und zweiten Ebene, stehen die Konsolidierungschancen der dritten Ebene erheblich besser. Sind diese ersten drei Ebenen konsolidiert, können sie einen starken positiven Einfluss auf die am längsten währende Ebene der Konsolidierung ausüben: Die Herausbildung einer die Demokratie stabilisierenden Bürgergesellschaft. 4. Ebene: Konsolidierung der Bürgergesellschaft (civic culture und civil society) (MikroEbene: Bürger) Die vierte Ebene erfüllt in gewisser Weise eine Art „Versiegelungsfunktion“ für die drei vorangegangenen Ebenen. Das Ziel auf dieser Ebene ist die „Herausbildung einer Staatsbürgerkultur als soziokulturellem Unterbau der Demokratie“ 184 . Zwei miteinander verflochtene Ebenen unterscheidet Merkel: Die civic culture, also die politische Kultur im Sinne einer Staatsbürgerkultur einerseits und die civil society, die entwickelte, vitale Zivilgesellschaft, die zur Stärkung der Demokratie beiträgt. 185 Eine unter diesen beiden Aspekten gefestigte, demokratische Bürgergesellschaft hat weitgehende „immunisierende“ Einflüsse auf die ersten drei Ebenen, „wenn deren Stabilität (Ebenen 1 und 2) oder Integration (Ebene 3) durch externe (wirtschaftliche, außenpolitische etc.) Krisen bedroht ist.“ 186 Sind alle vier Ebenen konsolidiert, ist die Demokratie zwar nicht immun gegen „potentielle 184 Ebd. S. 146. Vgl. ebd. S. 165ff. 186 Ebd. S. 146. 185 48 Dekonsolidierungstendenzen“, sie verfügt jedoch über „hohe Widerstandsreserven gegen exogene Destabilisierungsschocks“ 187 . Eine Demokratie ist, Merkels maximalistischem Konsolidierungsverständnis folgend, erst dann als tatsächlich konsolidiert anzusehen, wenn alle vier Ebenen eine gefestigte Ausformung erreicht haben: Auf der letzten Ebene kann sich dieser Prozess durchaus über Jahrzehnte hinziehen und erfordert in der Konsequenz mitunter sogar einen Generationenwechsel. 4.2 Verlaufsformen von Systemwechseln Ein starker Zusammenhang besteht erstens zwischen dem Ursachenkomplex, der zum Zusammenbruch des autokratischen Systems führt 188 , und der Verlaufsform des Systemwechsels und zweitens zwischen der Verlaufsform des Übergangs von autoritärem zum demokratischen System und der Aussicht auf eine erfolgreiche Entwicklung. 189 Wolfgang Merkel erkennt in den drei Demokratisierungswellen des 18. und 19. Jahrhunderts sechs verschiedene Wege, auf denen autokratische Systeme abgelöst wurden. 190 1. Langandauernde Evolution Diese Form des Systemwechsels gab es laut Merkel ausschließlich in der Ersten Welle der Demokratisierung: In „einer evolutionären, zeitlich lang gestreckten Phase und nicht infolge einer dramatischen historischen Zäsur“ 191 setzte sich die Demokratie durch. Nach und nach wurden exklusive politische Vorrechte der herrschenden Eliten abgeschafft und demokratische Institutionen und Verfahrensweisen etabliert. 192 2. Von alten Regimeeliten gelenkter Systemwechsel Systemwechsel dieser Art werden von den Eliten des alten autokratischen Regimes induziert und auch weitgehend gesteuert. Sie haben somit auch erheblichen Einfluss darauf, auf welche Weise der Systemwechsel erfolgt und wie die neuen demokratischen Strukturen aufgebaut 187 Ebd. Vgl. Merkel, 1999: S. 129 und Punkt 4.1.1 S. 42ff. 189 Vgl. z.B. Schmidt, 2000: S. 471 und Przeworski, 1991: S. 51. 190 Vgl. Merkel, 1999: S. 129ff. 191 Ebd. S. 130. 192 Als Beispielländer dieses evolutionären Demokratisierungsweges nennt Merkel: Neuseeland, Australien, Finnland, Norwegen. Mit erst spät eingeführtem Frauenwahlrecht zählen für ihn auch folgende Länder dazu: USA (1920), England (1928) und die Schweiz (1971). (Vgl. ebd.). 188 49 sind. Darum ist es oft möglich, dass sie für kurze Zeiträume „ihre politische Macht teilweise von dem alten autokratischen in das neue demokratische System ‚mitnehmen’“ 193 , gesetzt den Fall, die Eliten sind nicht durch die autokratische Herrschaft diskreditiert, haben nicht zu große politische Machtressourcen und die Regimeopposition ist vergleichsweise machtlos.194 3. Von unten erzwungener Systemwechsel In der Regel erfolgt ein von unten erzwungener Systemwechsel schnell und umfassend, wenn er nicht in Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition mündet: Eine mobilisierte Öffentlichkeit demonstriert ihren Protest so stark, dass es für die autokratischen Machthaber wenig Erfolg versprechend ist, das Aufbegehren mittels repressiver Gewalt zu unterdrücken. Für die alten Herrschaftsträger bedeutet dies in aller Regel die völlige Entmachtung und rasche Ablösung. 195 4. Ausgehandelter Systemwechsel Zu einem ausgehandelten bzw. paktierten Systemwechsel kann es kommen, wenn sich zwischen alten Regimeeliten und Regimeopposition eine Pattsituation entwickelt hat, sodass keine Seite genug Macht besitzt, „einseitig die Modalitäten der zukünftigen politischen Herrschaft zu definieren.“ 196 Agieren die beiden Seiten rational, kommt es in der Folge zu Verhandlungen über die zukünftige politische Herrschaftsform, bei denen „in einer Serie von ausgehandelten Kompromissen und Pakten […] dann der Herrschaftszugang, Herrschaftsanspruch und Herrschaftsweise neu definiert“ 197 werden. Bei Systemwechseln, mit Ausnahme des folgenden fünften Typus, dem Regime-Kollaps, insbesondere aber beim ausgehandelten Systemwechsel, droht die Gefahr, dass sich die reformfeindlichen Kräfte der Regimeeliten, die hardliner, gegen die reformwilligen Kräfte der herrschenden Seite, die softliner, durchsetzen, und mittels Repression den Prozess der Systemöffnung und Demokratisierung stoppen. Die Gefahr ist bei dieser Form des Systemwechsels besonders groß, weil die alten autokratischen Herrschaftseliten in dieser Konstellation immer noch ein bedeutendes Maß an politischen Machtressourcen haben. 193 Ebd. Beispiele aus der Dritten Demokratisierungswelle sind Merkel zufolge: Brasilien, Paraguay, Taiwan, Thailand, Bulgarien und Rumänien. (Vgl. ebd.). 195 Der Militärputsch 1974 in Portugal ist für Merkel ein Beispiel für diese Verlaufsform des Systemwechsels. (Vgl. ebd. S. 131). 196 Ebd. 197 Ebd. 194 50 Diesem Systemwechseltypus wohnt auf Grund der Beteiligung von alten Regimeeliten ohne Legitimation und der noch nicht legitimierten Regimeopposition ein „demokratietheoretische[s] Paradoxon“ inne, dass Merkel folgendermaßen formuliert: „Die für die Demokratie hilfreichen Elitenkompromisse kommen mit – an den Normen der Demokratie gemessenen – fragwürdigen Verfahren zustande.“ 198 5. Regime-Kollaps Dieser Typus des Systemwechsels wird auch als „Zusammenbruch“, „replacement“ oder „ruptura“ bezeichnet 199 : Das autokratische Regime erfährt einen abrupten Zusammenbruch, meist infolge äußerer Faktoren, wie z.B. verlorene Kriege, die zu völligem Legitimitäts- und Machtverlust der herrschenden Elite führen. 200 In den meisten Fällen sind es also nicht systeminterne Akteure, die den Zusammenbruch herbeiführen. Der Zusammenbruch kann jedoch auch ohne Einwirkung von außen erfolgen, wenn latente innere Krisen „durch Veränderungen außenpolitischer Konstellationen manifest werden.“ 201 Wenn das Regime nun das Herausbilden von Reformeliten und handlungsfähigen oppositionellen Akteuren unterbindet, ist der Systemkollaps immanent. 202 6. Zerfall und Neugründung von Staaten Zerfällt ein autoritäres oder totalitäres Imperium, entstehen neue Staaten, denen sich mit der Neugründung auch die Möglichkeit eines demokratischen Neuanfangs eröffnet. Diese Entwicklungen waren vor allem in der Ersten und Dritten Demokratisierungswelle zu beobachten: So entstanden nach dem Zerfall des Habsburgerreiches 1918 die beiden Staaten Österreich und Tschechoslowakei, wenn auch ihre Staatsouveränität durch die spätere Annexion beider Staaten durch das Deutsche Reich nicht von allzu langer Dauer war. Auf dem Höhepunkt der Dritten Welle der Demokratisierung zerfielen die UdSSR und 198 Ebd. Die Systemwechsel in Spanien 1975, Uruguay 1985, Chile 1990, Südkorea 1986, Polen 1988 und Ungarn 1989 nennt Merkel als Beispiele für ausgehandelte Systemwechsel der Dritten Demokratisierungswelle. (Vgl. ebd.). 199 Vgl. Schmidt, 2000: S. 470. 200 Beispiele für derartige Systemwechsel der Zweiten Demokratisierungswelle sind für Merkel u.a.: Italien (1943/45), Deutschland (1945), Japan (1945); der Dritten Demokratisierungswelle: Griechenland (1974) und Argentinien (1983). (Vgl. Merkel, 1999: S. 133). 201 Ebd. 202 Beispielhaft für derartige Entwicklungen sind aus Merkels Sicht der Systemwechsel in der Tschechoslowakei und der DDR 1989. (Vgl. ebd.). 51 Jugoslawien und gaben eine Vielzahl von Staaten frei, von denen jedoch nur wenige als demokratisch regiert angesehen werden können. 203 Merkel weist darauf hin, dass diese Typologisierung lediglich Idealformen darstellt, die sich in der Realität häufig mischen, wie z.B. in den Fällen der DDR und der Tschechoslowakei, bei denen es sich um Mischformen aus Systemkollaps und von unten erzwungenem Systemwechsel handelte. Der Zusammenbruch des Ostblocks insgesamt ist auf eine Mischung von äußeren und inneren Faktoren zurückzuführen, die zur Implosion der osteuropäischen kommunistischen Regime führten. 204 4.3 Die Debatte um das Transitionsparadigma Vor allem die Demokratisierungsprozesse in Afrika brachten ein breites Spektrum von Regimen hervor, unter ihnen auch Systeme, die hinter einem formaldemokratischen Charakter autokratische Herrschaftsformen verbergen. 205 Dies führte zur bereits angesprochenen Verlagerung des Interesses auf die Unvollkommenheiten der neuen afrikanischen Demokratien und in der Folge zur Debatte über das „Transitionsparadigma“. Peter Meyns sieht im Anfang 2002 veröffentlichten Aufsatz „The End of the Transition Paradigm“ 206 von Thomas Carothers eine Zuspitzung der Diskussion über Perspektiven der demokratischen Transition, in welchem der Autor für das Ablegen des Transitionsmodells plädiert. 207 Er führt in jener Publikation fünf Kernannahmen an, von denen das Transitionsparadigma ihm zufolge ausgeht 208 : 1. Jedes Land, das sich von einer diktatorischen/autokratischen Herrschaft entfernt, ist als Land anzusehen, dass sich in einem Transitionsprozess in Richtung eines demokratischen Systems befindet. 2. Transitionsprozesse vollziehen sich in Phasen: Zuerst erfolgt die Öffnung des politischen Systems, die Liberalisierung setzt ein und es kommt zu Brüchen auf Seiten der Herrschenden, zwischen Hard- und Softlinern. Dann folgt der breakthrough, d.h. 203 Ohne Einschränkungen gilt dies Merkel zufolge nur für Slowenien und Estland, für die restlichen Staaten (Russland, Lettland, Litauen, Kroatien, Mazedonien) nur mit teilweise erheblichen Einschränkungen. (Vgl. ebd.). Für die Ukraine ist vor allem vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse noch kein abschließendes Urteil bezüglich des Demokratisierungsprozesses möglich. 204 Vgl. ebd. S. 134. 205 Vgl. z.B. van de Walle, Nicolas: Africa’s Range of Regimes, in: Journal of Democracy, Vol. 13., (April 2002) 2, S. 66-80. 206 Carothers, Thomas: The End of the Transition Paradigm, in: Journal of Democracy, Vol. 13, (January 2002) 1, S. 5-21. 207 Vgl. Meyns, 2006: S. 3. 208 Vgl. Carothers, 2002: S. 6ff. 52 der Zusammenbruch des ancien régime und der Aufstieg eines neuen, demokratischen Systems mit (neuer) Verfassung, demokratischen Institutionen und einer neuen, durch nationale Wahlen ermittelten Regierung. An den Transitionsprozess schließt sich die Phase der Konsolidierung an, in dem die Verfestigung der demokratischen Ordnung von „democratic forms“ zu „democratic substance“ erfolgt. 3. Das Transitionsparadigma sieht in Wahlen eine immanente Quelle der Legitimität für die neue Regierung und eine Versicherung breiter politischer Partizipation, wenn das Durchführen von Wahlen auch nicht gänzlich mit dem Vorhandensein einer demokratischen Ordnung gleichgesetzt wird. 4. Es gibt keine zwingend nötigen Vorbedingungen für das Einsetzen und die Ergebnisse von Transitionsprozessen, wie z.B. bestimmte sozioökonomische Entwicklungsmerkmale. Die Entwicklung eines Landes in eine Transition ist in entscheidendem Maße von den beteiligten Akteuren abhängig: „Anyone can do it.“ 209 5. Das Transitionsparadigma geht davon aus, dass sich die demokratischen Transitionen der Dritten Welle der Demokratisierung in einheitlichen, funktionierenden Staaten abspielen. Carothers sieht in diesen fünf Kernannahmen keine realistische Darstellung der Prozesse in den Transitionsländern: Auf viele Länder, deren politische Gestalter und Unterstützer des Prozesses behaupten, das Land befände sich in einer Transition zur Demokratie, träfe dies nicht zu, und viele Länder, die sich tatsächlich in einer demokratischen Transition befinden, folgten bei diesem Prozess nicht dem Transitionsmodell. 210 Carothers unterlegte seine Aussagen mit empirischen Befunden zu den politischen Gegebenheiten, die sich im Zuge der Dritten Welle der Demokratisierung entwickelten: Die große Mehrzahl dieser Länder habe keine funktionierenden Demokratien hervorgebracht, sondern befände sich in einer Grauzone zwischen den Regimeformen. 211 Für diese Erkenntnisse erntete Carothers weitgehende Zustimmung, nicht jedoch für seine Rückschlüsse das Transitionsmodell betreffend: O’Donnell, der Co-Autor des grundlegenden Werkes zur Transitionsforschung 212 , reagierte mit einer „teilweisen Verteidigung“ des Transitionsmodells. 213 209 Ebd. S. 8. Vgl. ebd. S. 8. 211 Vgl. ebd. S. 9. 212 O’Donnell/ Schmitter, 1986. 213 O’Donnell, Guillermo: In Partial Defense of an Evanescent “Paradigm”, in: Journal of Democracy, Vol. 13, (July 2002) 3, S. 6-12. 210 53 Es herrscht in der Debatte größtenteils Einigkeit darüber, dass das Transitionsmodell in der Form, in der Carothers es dargestellt hat, keine Anwendungsberechtigung zur Analyse von Systemwechseln besitzt. Die Angriffe von Carothers zielten zudem weniger auf die Schriften O’Donnells und Schmitters ab. 214 Die Ergebnisoffenheit von Transitionen, auf die O’Donnells und Schmitters Werk bereits verwies, lässt, wie oben geschildert, auch zu, dass am Ende des Prozesses keine funktionierende Demokratie steht, sondern ein Rückfall zu einem autokratischen Regime oder verschiedenen Hybridformen möglich ist.215 Es ist an dieser Stelle nicht notwendig, auf alle Einzelheiten dieser Diskussion einzugehen, denn wie Meyns feststellt, lagen die Standpunkte in dieser Debatte nicht allzu weit voneinander entfernt: Die Bedeutung dieses Diskurses lag vielmehr darin, dass er „deutlich machte, dass der politische Wandel, der in Afrika vehement mit dem Ende des Ost-WestKonflikts einsetzte und in anderen Teilen der Welt schon früher begonnen hatte, sehr kontextabhängig war und dementsprechend zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen konnte.“ 216 An kaum einem afrikanischen Beispiel wird diese Ergebnisoffenheit so deutlich wie an den ambivalenten Entwicklungen im Kongo seit der Unabhängigkeit von Belgien 1960. Insgesamt dreimal wurde dem Land seither die Chance auf eine demokratische Neuordnung entzogen: Einmal unmittelbar nach der Unabhängigkeit in den 60er Jahren durch den Putsch Mobutus, Anfang der 90er durch die Blockade und Sabotage der begonnenen Demokratisierung durch Mobutu und abermals nach der Machtübernahme L.-D. Kabilas, der anstelle der versprochenen Demokratisierung alle Macht in seiner Hand konzentrierte. 214 Carothers, Thomas: A Reply to my Critics, in: Journal of Democracy, Vol. 13, (July 2002) 3, S. 33-38. Vgl. Punkt 2.1, S. 14. 216 Meyns, 2006: S. 4. 215 54 5. Resümee Wolfgang Merkel hat ohne Frage Recht, wenn er konstatiert, eine sinnvolle, umfassende und möglichst zufrieden stellende Analyse von Transitionsprozessen erfordert die Analyse des Prozesses und all seiner Aspekte mittels verschiedener theoretischer Ansätze, die für den jeweiligen Teilaspekt sinnvoll erscheinen. 217 Hierzu zählt zunächst natürlich die Systemtheorie, die in der Lage ist, systemische Zusammenhänge vor allem auf struktur- und ordnungstheoretischer Ebene zu erklären. Weiter analysieren strukturalistische Ansätze, welche Restriktionen und Chancen den beteiligten Akteuren durch bestimmte Sozial- und Staatsstrukturen vorgegeben werden und zeigen so Handlungskorridore auf, in denen sich die Akteure entsprechend ihrer strategischen Interaktion mit konkurrierenden Akteuren für eine Strategie entscheiden: Strukturelle constraints, innerhalb derer die Akteure agieren, bilden so das Bindeglied zwischen Systemtheorie und akteurstheoretischem Ansatz. 218 Der dritte Aspekt, der Merkel zufolge bei einer umfassenden Untersuchung berücksichtigt werden muss, ist der internationale Kontext: Externe Umweltbedingungen wirken je nach Charakter und Kombination optionssteigernd oder restriktiv auf die Akteure. Schmitter hat diese äußeren Faktoren in vier Gruppen eingeteilt: timing, events, trends und cycles 219 : - Unter timing subsumiert Schmitter in erster Linie aktuell geltende, dominante internationale Normen, außenpolitische Bündnisfaktoren und regionale Konstellationen, die autoritären bzw. demokratischen Systemen oder Akteuren Unterstützung zukommen lassen können. - Zu events sind in erster Linie Kriege, militärische Interventionen aber auch massive Kapitalflucht zu zählen. - Die trends bezeichnen vor allem die Art und Weise der Integration in den Weltmarkt. - Unter cycles versteht Schmitter die internationale Lage der Wirtschaftskonjunktur und Auslandsverschuldung, die als Einflussfaktoren konsolidierende oder destabilisierende Wirkung auf politische Regime haben. Die vierte und letzte Ebene, die Merkel in Betracht gezogen wissen möchte, ist die Ebene der Akteure: Nur das Erfassen der Bedeutung von handelnden Akteuren, ihrer Ziele, Wahrnehmungen, Strategien und Koalitionsbildungen vor dem Hintergrund ihrer stark 217 Vgl. Merkel, 1996: S. 321. Vgl. ebd. S. 323f. 219 Vgl. ebd. S. 324. Bedauerlicherweise ist die Arbeit Schmitters, aus der Merkel diese Kategorisierung entnommen hat, unveröffentlicht und somit nicht zugänglich. Merkel zitiert sie folgendermaßen: Schmitter, Philippe C.: The Consolidation of Political Democracy in Southern Europe (and Latin America), Florenz 1985 (unveröffentl. Ms.). 218 55 erweiterten Handlungsmöglichkeiten durch die temporäre Verflüssigung von Institutionen und Normen kann die Lücke zwischen den funktionalen, strukturellen und internationalen constraints und dem tatsächlichen Ergebnis des Transitionsprozesses füllen. Es ist einleuchtend, dass eine derart erschöpfende Analyse des Systemwechselprozesses einen Umfang erreichen würde, der weit über den Rahmen der vorliegenden Arbeit hinausginge und somit hier nicht erfolgen kann. Deshalb soll der Anspruch in erster Linie der sein, den Demokratisierungsprozess im Rahmen einer aus analytischer Sicht sinnvollen Phaseneinteilung darzustellen und die theoretische Reflexion des Systemwechselprozesses weitgehend auf die systemtheoretisch zu erklärenden Momente zu beschränken. Naturgemäß werden bei der Verwendung eines derart abstrahierenden Untersuchungsinstrumentes, wie schon erwähnt wurde, Unschärfen auftreten, denen in dieser Arbeit jedoch nicht auf den Grund gegangen werden kann. Sie sollen in ihrer Bedeutung keineswegs geschmälert werden: Vielmehr wird auf die von der Systemtheorie vernachlässigten Aspekte verwiesen, die eine tiefer greifende Untersuchung des Systemwechselprozesses berücksichtigen und einbeziehen muss. Den strukturellen Rahmen der Untersuchung des Demokratisierungsprozesses der DR Kongo bildet, wie bereits erwähnt, das dreistufige Verlaufsmodell der Demokratisierung von Merkel, welches unter Punkt 4.1 umrissen wurde. 220 Der Demokratisierungsprozess beginnt mit dem systemimmanenten Niedergang des Mobutu-Regimes und der von ihm eingeleiteten Liberalisierung 1990. Konsequenterweise beginnt demzufolge auch die Untersuchung mit der Systemkrise des mobutistischen Zaire und einer systemtheoretischen Darstellung der Gründe, die Mobutu 1990 zur Systemöffnung zwangen: Dies bildet die erste Phase des Systemwechsels, das Ende des autokratischen Systems. Die folgenden Jahre der partiellen Restauration des Machtapparates Mobutus, sowie die Jahre der autoritären Herrschaft seines Nachfolgers L.-D. Kabila brechen aus dem allgemeinen Modell Merkels aus und werden als gesonderte Retardationsphasen in die erste Phase des Systemwechselmodells integriert. Sofern möglich wird die theoretische Reflexion, wie einleitend angekündigt, bis zur Amtsübernahme durch Joseph Kabila im Januar 2001 mehr oder weniger im Zuge der Darstellung erfolgen. Der anschließende Verlauf der zweiten Phase des Systemwechsels, d.h. der Institutionalisierung der demokratischen Strukturen sowie der einsetzenden dritten, der Konsolidierungsphase, wird zunächst in Form einer reinen Schilderung dargestellt. Die systemtheoretische Einordnung wird wie erwähnt im Anschluss gesondert unter Punkt 7.5 220 Siehe Abb. 2: Systemwechsel – Vom autokratischen System zur Demokratie, S. 41. 56 vorgenommen. Die zweite Phase umfasst den Zeitraum der Amtsübernahme der Übergangsregierung 2003 und des Inkrafttretens der neuen demokratischen Verfassung der DR Kongo im Februar 2006, mit der dem zugrunde liegenden Systemwechselmodell zufolge die Konsolidierungsphase einsetzt. Zuvor wird nun unter Nationalstaatsbildung der Punkt DR sechs Kongo einleitend unter auf bedeutende Berücksichtigung des Aspekte der nachkolonialen afrikanischen Kontextes von Nation und Staat eingegangen und anschließend ein Überblick über die politische Entwicklung Kongo/Zaires seit der Unabhängigkeit von Belgien 1960 gegeben. Unter Punkt sieben erfolgt im Anschluss die Untersuchung des Demokratisierungsprozesses. 57 6. Nationalstaatsbildung und politische Entwicklung Kongo/Zaires seit der Unabhängigkeit 6.1 Nationalstaatsbildung Ein territorial souveräner Nationalstaat und ein in nationaler Identität geeintes Volk sind Grundvoraussetzungen für das Entstehen und den Erhalt eines stabilen demokratischen Systems. Bezüglich Nationalismus und Staatlichkeit wird der afrikanische Kontinent jedoch von vielen Seiten als Sonderfall gesehen: Afrikanische Staaten gelten als künstlich erschaffene Gebilde, worüber ihre teilweise Tendenz zur Labilität und mangelnder nationaler Identität erklärt wird. 6.1.1 Nation und Staat im postkolonialen Afrika Noch im 18. und 19. Jahrhundert stand in der Nationalismusforschung die Entwicklungsreihe Nation – Nationalismus – Nationalstaat als historischer Normalfall fest. 221 In der neueren Forschung wird hingegen von der Entwicklungsreihe Nationalismus – Nationalstaat – Nation ausgegangen. Wird diese zunächst auf Europa zugeschnittene Überlegung auf die afrikanische Staatenwelt angewendet, entfällt der Sonderstatus Afrikas: „Nationen sind in einem gewissen Sinne immer ’Willensnationen’.“ 222 Sie entstehen auf Grund strategischer Handlungen politischer und intellektueller Eliten, die zu ihrer Entwicklung auf eine funktionierende Staatlichkeit inklusive der entsprechenden Institutionen und Bestandteile angewiesen sind. Ist die Staatsgewalt im Zerfall begriffen bzw. nicht existent, kann demnach auch keine Nation entstehen. Bierschenk hält aus dieser konstruktivistischen, staats- und elitenzentrierten Perspektive die Interpretation „schwaches Nationalgefühl führt zu schwachem Staat“ für nicht richtig. Die Verursachungsverhältnisse müssten seiner Hypothese zufolge umgedreht werden: „Da viele afrikanische Staaten nur schwache Steuerungs- und Regelungskapazitäten und damit nur eine relativ schwache Legitimationsbasis haben, bieten sie auch nur einen suboptimalen Rahmen für das Entstehen starker nationaler Identifizierungen.“ 223 Die Einordnung Afrikas als Sonderfall kann vor diesem Hintergrund als zumindest fragwürdig angesehen werden. 221 Vgl. Bierschenk, Thomas: Staat und Nation im postkolonialen Afrika: Ein Forschungsprogramm, Arbeitspapier Nr. 26, 2003, Institut für Ethnologie und Afrikastudien, Universität Mainz, unter: http://ubm.opus.hbz-nrw.de/volltexte/2006/1065/pdf/diss.pdf (12.10.2006), S. 1. 222 Ebd. S. 2. 223 Ebd. S. 3. 58 In ihrer zumeist sehr großen Vielfalt stellen jedoch die ethnischen Zusammensetzungen afrikanischer Gesellschaften Besonderheiten dar. Matthiesen weist darauf hin, dass „Staatsbürgerschaft und Ethnizität zwei widersprüchliche Prinzipien“ 224 politischer Legitimation darstellen: Dort wo der klassische Nationalstaat an Macht und Einfluss verliert oder im Zuge des Zerfalls eines Staates sogar ganz verschwindet, wächst die Gefahr, dass politisierte Ethnizität die nicht mehr erfüllte staatliche Ordnungsfunktion teilweise übernimmt. 225 Neben dem vorsätzlichen Schüren ethnischer Gegensätze als politischem Instrument durch Mobutu waren derartige Entwicklungen im Zuge des Staatszerfalls im Kongo zu beobachten: Das Wegfallen „effektiver Staatsgewalt in der DR Kongo hatte negative Auswirkungen auf das Zusammenleben der zahlreichen Ethnien, indem die Schwächung des Nationalstaates, ja sein teilweises ‚Nichtexistieren’ für die Bevölkerung zur Politisierung der Ethnizität führte.“ 226 6.1.2 Ethnien in der Demokratischen Republik Kongo Der Kongo ist von einer ausgesprochen großen ethnischen Vielfalt geprägt. Ethnologen gehen von etwa 250 verschiedenen ethnischen Gruppen und über 400 Sprachen und Dialekten aus, die allerdings durch ihre überwiegende Zugehörigkeit zur Gruppe der Bantu „bemerkenswerte kulturelle Gemeinsamkeiten“ 227 aufweisen. 228 Neben dem Französischen sind die vier Landessprachen von überregionaler Bedeutung: Lingala im Nord- und Westkongo, Koongo im äußersten Westen, Luba-Kasai (auch Tshiluba) in den beiden Kasai-Provinzen und die kongolesische Form des Swahili in Katanga und im Osten.229 Die mannigfaltigen „ethnischen Loyalitäten“ sind jedoch keineswegs bloße Überbleibsel überholter Traditionen und Bräuche: Vielmehr sind sie auch als Reaktion, als „Antwort auf die vielfältigen Probleme der modernen Welt“ 230 zu sehen. Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Ethnien stellen sehr große und komplizierte Herausforderungen mit extremer Sprengkraft für die Staaten Afrikas dar. Die ethnische Vielfalt und Heterogenität an sich ist jedoch nicht als Ursache oder Grund für die Konflikte 224 Matthiesen, 2005: S. 55. Zu politisierter Ethnizität in Afrika z.B. Tetzlaff, Rainer: Politisierte Ethnizität – eine unterschätzte Realität im nachkolonialen Afrika, in: Afrika Spectrum, Jg. 26, (1991) 1, S. 5-28 und ders.: Politisierte Ethnizität als Kehrseite politischer Partizipation in unsicheren Zeiten. Erfahrungen aus Afrika, in: Welttrends. Zeitschrift für internationale Politik und vergleichende Studien, Nr. 38 (Frühjahr 2003), S. 11-30. 226 Matthiesen, 2005: S. 55. 227 Muller, Eric: „Stammesstrukturen“? Die Frage der ethnischen Zuordnung, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (MGFA) (Hrsg.): Die Demokratische Republik Kongo, Paderborn 2006, S. 127-133, S. 128. 228 Vgl. ebd. S. 127 und Matthiesen, 2005: S. 50. 229 Vgl. Muller, 2006: S. 127. 230 Ebd. S. 127. 225 59 und den Staatszerfall des Kongo anzusehen, „sondern deren Manipulation.“ 231 Die Instrumentalisierung als politische Ressource, das Ausnutzen und Schüren ethnischer Konflikte waren im Kongo bereits unter Mobutu gängige Praxis. Sie werden auch heute noch „ganz bewusst und gezielt als Mittel der Mobilisierung in Macht- und Verteilungskämpfen genutzt.“ 232 6.1.3 Das kongolesische Volk: „Unis par le sort…“ Trotz der beschriebenen großen ethnischen und regionalen Heterogenität und der nicht existenten geographischen, ökonomischen und infrastrukturellen Einheit „haben sich die Kongolesen immer als Angehörige einer einzigen Nation verstanden.“ 233 Dieses Verständnis entstand aus der gemeinschaftsstiftenden kollektiven Erfahrung von Leid und Unterdrückung, sowohl während der Kolonialzeit, als auch während des postkolonialen Niedergangs unter und nach dem Regime Mobutus. 234 In der ersten Zeile der kongolesischen Nationalhymne kommt dieses Verständnis am prägnantesten zum Ausdruck: „Debout Congolais, unis par le sort…“ („Steht auf, Kongolesen, vom Schicksal vereint…“). Die auf diese Weise gewachsene nationale Identität der Kongolesen bewahrte das Land in den vergangenen zehn Jahren des Krieges und des Staatszerfalls davor, endgültig auseinanderzubrechen. Ein schwieriges Problem ist nach wie vor die Frage der Staatsangehörigkeit in den Nord- und Süd-Kivu-Provinzen. Hier kam es seit jeher immer wieder zu massiven Gewalteskalationen. Einerseits werden die ansässigen Tutsi-Kongolesen von der restlichen Bevölkerung der Regionen nicht als Kongolesen akzeptiert, andererseits führten die Folgen des Völkermordes in Rwanda 1994 zu einer drastischen Verschärfung der Situation: Etwa eine Million HutuFlüchtlinge, viele von ihnen organisiert in Milizen, floh in den Osten des Kongo. In den Folgejahren kam es immer wieder zu systematischen Vertreibungen von kongolesischen Tutsi. Am 25. September 2004 nahm die Nationalversammlung das neue Staatsangehörigkeitsgesetz an, welches die kongolesische Staatsangehörigkeit durch Abstammung und auch kraft 231 Matthiesen, 2005: S. 55. Ebd. und vgl. Muller, 2006: S. 133. 233 Johnson, Dominic: Vom Schicksal geeint? Nationale Identität und regionale Vielfalt, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (MGFA) (Hrsg.): Die Demokratische Republik Kongo, Paderborn 2006a, S. 135-139, S. 137. 234 Vgl. ebd. 232 60 Erwerbs ermöglicht. 235 Natürlich war das Gesetz für die Wählerregistrierung und somit für die Durchführung der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen von großer Bedeutung. Ein Ende der Spannungen führte es erwartungsgemäß jedoch nicht herbei. Ein deutliches Zeichen dafür setzte das aus Protest erfolgte Verlassen des Plenums aller Abgeordneten der MayiMayi-Rebellen nach der Verabschiedung des Gesetzes im Übergangsparlament. 236 Nach wie vor hat sich im Kongo auf der Ebene der politischen Akteure kein Mittelweg zwischen dem Besinnen auf die Herkunftsregion, d.h. dem Erhalt gesellschaftlichen Rückhalts einerseits und dem Denken und Handeln des einzelnen Politikers im nationalen Interesse andererseits, gefunden. Die Regionen entfernen sich so immer weiter voneinander, wodurch sich Regionalismus und Tribalismus auf dem Vormarsch befinden. 237 Die neue Regierung in Kinshasa ist mit ihren noch schwach entwickelten Institutionen bislang nur schwerlich in der Lage, zur Stärkung der nationalen Identität und Einheit im Kongo beizutragen und die Kräfte zu kontrollieren, die den Staat weiterhin in Frage stellen und in seiner Existenz bedrohen. 6.1.4 Der Nationalstaat „Demokratische Republik Kongo“ Wie ihre Vorgänger-Republiken bildet auch die DR Kongo weder eine geographische, ökonomische noch infrastrukturelle Einheit 238 : Um das kaum besiedelte Kongobecken sammeln sich die meisten Bewohner des Kongo an den Rändern des Landes, „während in der Mitte ein undurchdringliches ’grünes Loch’ aus Regenwald und Sumpf die verschiedenen Siedlungszonen trennt.“ 239 Die einzelnen, stärker besiedelten Regionen haben alle eine sehr starke eigene Identität und „streben eher auseinander als zusammen“ 240 : Die Hauptstadt Kinshasa sieht sich als Teil des frankophonen Westafrika, der Süden Katangas blickt eher nach Südafrika als nach Kinshasa und auch Kasai, die an Diamanten reiche Region, wähnt sich als eigenständig. Aus dieser Provinz stammt die UDPS (Union pour la Démocratie et le Progrès Social), die größte Oppositionspartei des Kongo. Im Osten des Landes befindet sich, wie bereits angedeutet, der bedeutendste Unruheherd: Die beiden Kivu-Regionen sind eher als Teile des ostafrikanischen Gesellschaftsraums zu sehen, zudem wirtschaftlich vom übrigen Kongo komplett abgewandt und haben den größten 235 Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.): Monatsbericht September 2004 – Demokratische Republik Kongo, S. 2; unter: <http://www.hss.de/downloads/Dem.Rep.KongoSeptember2004.pdf> (05.07.2005). 236 Vgl. ebd. 237 Vgl. Johnson, 2006a: S. 139. 238 Vgl. ebd. S. 135. 239 Ebd. S. 136. 240 Ebd. S. 137. 61 Selbstbestimmungsdrang. 241 Alle bisherigen Kriege, die den Kongo in der jüngeren Zeit heimsuchten, hatten hier im Osten ihren Ursprung. Vor allem die Präsenz der starken rwandischsprachigen Minderheit (Tutsi-Kongolesen, Banyarwanda bzw. Banyamulenge), die teilweise durch koloniale Grenzziehung dem Kongo zugeschlagen wurde und teilweise in der Kolonialzeit eingewandert ist, war der Auslöser regelmäßiger, massiver Konflikte. 242 Ohne die bis heute nicht gefundene Lösung der schwierigen Gemengelage im Osten gilt auch die landesweite Befriedung und Stabilisierung des Kongo als unerreichbar. Abgesehen von den regionalen Differenzen besteht für den Nationalstaat DR Kongo ein anderes grundlegendes Problem in der seit dem Ende der Mobutu-Diktatur bedrohten territorialen Souveränität des Staatsgebietes. Diese Bedrohung erfolgte (in abgeschwächter Form geschieht dies bis heute) einerseits von innen durch das Aufteilen des Staatsgebiets unter sich bekämpfenden Interessengruppen, wie es zwischen 1996 und dem Abkommen von Sun City 2002/2003 stattfand. Während dieser Zeit war das kongolesische Territorium faktisch in vier Mikrostaaten gespalten: Die mit Angola, Zimbabwe und Namibia allierte Zentralregierung Kabilas kontrollierte nur ein Drittel des Landes, Jean-Pierre Bemba und seine Rebellenbewegung MLC (Mouvement pour la Libération du Congo) beherrschten die Provinz Equateur, das Gebiet um Goma stand unter der Kontrolle Rwandas und der von ihr gestützten Rebellenbewegung RCD (Rassemblement Congolais pour la Démocratie) und ein kleiner Teil dieses Goma-Gebietes war in der Hand der ugandisch unterstützten Abspaltung der RCD, Ernest Wamba-dia-Wambas RCD-ML (Rassemblement Congolais pour la Démocratie – Mouvement de Libération). 243 Andererseits bedrohten exogene Faktoren die territoriale Souveränität des Kongo: Einmärsche und die Besetzung von Teilen des Ostkongo durch Truppen der Nachbarländer Rwanda, Uganda und Burundi, gegen die die Regierung des Kongo seit Mitte 1999 vor dem IGH (Internationaler Gerichtshof) auch juristisch vorzugehen versuchte. 244 Offiziell begründeten die Nachbarstaaten ihre Einmärsche bis zuletzt mit der Abwehr feindlicher Milizen, die von kongolesischem Gebiet aus agieren. Bekannt ist jedoch auch, dass Rwanda und Uganda von der Kombination aus unsicheren Zuständen und dem Zugang zu den reichen Rohstoffvorkommen im Osten des Kongo wirtschaftlich zu profitieren wissen. Mittlerweile 241 Vgl. ebd. S. 136. Vgl. ebd. S. 138. 243 Vgl. Matthiesen, 2005: S. 54. 244 Vgl. ebd. S. 49. 242 62 sind die meisten ausländischen Truppen abgezogen worden. Da die Lage im Osten des Landes jedoch alles andere als befriedet ist, bleibt ungewiss, ob es in der Zukunft nicht wieder zu Interventionen ausländischer Streitkräfte kommt. 6.2 Die politische Entwicklung des Kongo seit der Unabhängigkeit – Über drei Jahrzehnte autoritäre Herrschaft und 16 Jahre stockende Transition 6.2.1 Die Erste Republik und die Ermordung Patrice Lumumbas’ Die Geschichte der Ersten Republik „Demokratische Republik Kongo“ ist eine kurze und wenig heilvolle: Nach der überstürzten und von der ehemaligen Kolonialmacht Belgien schlecht vorbereiteten Unabhängigkeitserklärung des Kongo vom 30. Juni 1960 hofften die Kongolesen vergebens auf demokratische Freiheit und eine Verbesserung ihrer Lebensumstände. Bereits wenige Tage nach ihrer Wahl stürzte die erste demokratisch legitimierte Regierung des Kongo unter Joseph Kasavubu als Präsidenten und Patrice Émery Lumumba als Premierminister in eine tiefe, von der meuternden kongolesischen Armee ausgehende Krise. 245 Nach den Sezessionen der Regionen Katanga und Süd-Kasai sahen Belgien und die USA die Gelegenheit, die ihnen unbequeme, da nicht pro-westliche Regierung Lumumba, durch eine ihnen gefälligere zu ersetzen. 246 Der erste demokratisch gewählte Premierminister der DR Kongo wurde am 17. Januar 1961 ermordet.247 Die geschwächte Regierung brach zusammen und 1961 übernahmen die UN mit der ONUC (Opération des Nations Unies au Congo) die Verwaltung des Kongo. Die später von Kasavubu eingesetzte neue Regierung mit mehreren wechselnden Premierministern erwies sich als schwach und wurde am 24. November 1965 aus dem Amt geputscht. 6.2.2 Die Diktatur Mobutus: Zweite Republik und der erste Kongo-Krieg An diesem Tag ergriff der ehemalige Staatsekretär und Generalstabschef Joseph Désiré Mobutu mit einem von der CIA gestützten Militärputsch die Macht und läutete damit seine mehr als drei Jahrzehnte währende autoritäre Herrschaft ein. Zwar versprach er, nach den 245 Vgl. Ludermann, Bernd: Keine Chance für Demokratie. Wie der Westen nach 1960 eine Diktatur etablierte, in: Evangelisches Missionswerk in Deutschland (Hrsg.): Weltmission heute Nr. 55, Kongo – Geschichte eines geschundenen Landes, Hamburg, März 2004b, S. 52-78, S. 54. 246 Vgl. ebd. S. 56. 247 Der Mord, an dessen Planung und Durchführung westliche Geheimdienste beteiligt gewesen sein sollen, ist ein wichtiges Ereignis im kollektiven Gedächtnis der kongolesischen Bevölkerung und machte Lumumba posthum zum Vorkämpfer der afrikanischen Unabhängigkeits- und Demokratiebewegung. 63 Jahren der Kongo-Wirren von 1960-1965 binnen fünf Jahren die Demokratie wieder einzuführen. Tatsächlich aber wandelte sich die von ihm gegründete Partei MPR (Mouvement Populaire de la Révolution) 1967 zur Staatspartei und Mobutu etablierte unter ihr eine Einparteiendiktatur. Während des Kalten Krieges zeigte sich Mobutu als treuer Verbündeter des Westens, was neben dem von ihm betriebenen Klientelismus sowie den Repressalien gegen Oppositionelle seine Machtstellung sicherte. 248 Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks 1990 verlor Mobutu jedoch sowohl den finanziellen als auch militärischen Rückhalt der Westmächte und war zur Öffnung des politischen Systems gezwungen. Dennoch gelang es ihm weitere sieben Jahre, die an Bedeutung gewinnende, allerdings sehr gespaltene Demokratiebewegung zu unterdrücken und die Demokratisierung zu sabotieren. Die Zweite Republik unter Mobutu sah sich vor allem mit dem Kriegsgeschehen im Osten des Landes konfrontiert. Zwei Rebellionen erschütterten das Gebiet der Großen Seen: ein kongolesischer, gegen die Zentralregierung in Kinshasa gerichteter Aufstand und eine Rebellion nichtkongolesischer Gruppen, die von kongolesischem Boden aus gegen Rwanda und Uganda kämpften. Das Land war während des blockierten Demokratisierungsprozesses zersplittert und der Staat praktisch nicht mehr existent. 249 Im Osten des Landes stellte sich die Situation damals wie heute am dramatischsten dar: In der Folge des Völkermordes der Hutu an den Tutsi in Rwanda schwappte eine Flüchtlingswelle von 1,2 Millionen Menschen über den Osten des Landes, unter ihnen viele der Génocidaires, der Verantwortlichen für den Völkermord und Angehörige der ehemaligen rwandischen Armee. Der weiter geschürte Konflikt zwischen Hutu und Tutsi fand auf kongolesischem Boden Nahrung und eskalierte somit unplanmäßig: Ursprünglich wollte Rwanda nur für sich selbst Sicherheit in der Region erreichen. Mehrere Entmachtungsversuche konnte Mobutu durch Putsche abwehren bzw. revidieren. Die zweite Rebellion jedoch, die von L.-D. Kabila angeführt und von Rwanda und Uganda unterstützt wurde, entwickelte sich zum ersten Kongo-Krieg und beendete Mobutus Diktatur abrupt am 17. Mai 1997. 248 Mobutus Herrschaftstechniken und der systemimmanente Niedergang seines Regimes werden unter Punkt 7.1, S. 67ff. behandelt. 249 Vgl. Ludermann, 2004b: S. 75f. 64 6.2.3 Laurent-Désiré Kabila und der zweite Kongo-Krieg Der neue Machthaber Kabila wurde nach seinem Einmarsch in Kinshasa „vielerorts noch als Erlöser gefeiert“ 250 , offenbarte jedoch bald ähnlich autoritäre Züge wie Mobutu. Er entledigte sich sowohl seiner Gegner als auch eines Teils seiner Gefolgsleute und baute eine Willkürherrschaft auf. 251 Das Nachbarland Rwanda sorgte seinerseits dafür, dass dessen Interessen im Ost-Kongo durch kongolesische Tutsi (Banyamulenge) in der Regierung verfolgt wurden. Die Demokratisierungsversuche, die Kabila in der Folge unternahm, hatten einen ähnlich halbherzigen Charakter wie jene Mobutus. Seine Machtübernahme beendete die Krise im Kongo nicht, „sondern trieb sie auf die Spitze.“ 252 1998 wies Kabila seine Verbündeten Rwanda und Uganda, die ihm zuvor im Kampf gegen Mobutu zur Seite standen, an, den Kongo zu verlassen. Wiederum unterstützten diese daraufhin Rebellen, die diesmal allerdings gegen Kabila kämpften. Bald waren sieben afrikanische Staaten an diesem Krieg beteiligt. Bereits 1998 wurde im Waffenstillstandsabkommen von Lusaka der Friedensprozess vorgezeichnet. Das Abkommen wurde jedoch nie umgesetzt. Erst nach der Ermordung L.-D. Kabilas am 16. Januar 2001 kam der für den Demokratisierungsprozess grundlegende Friedensprozess in Gang. 6.2.4 Die Regierung der Transitionsphase unter Joseph Kabila und der Weg zur Dritten Republik Die Mitglieder der Regierungspartei des ermordeten Kabila beschlossen, den jungen Joseph Kabila, von dem nicht genau bekannt ist, ob er tatsächlich der Sohn Kabilas ist, zum neuen Präsidenten zu ernennen. Er führte ab dem 17. Juli 2003 eine Allparteienregierung der Dritten Republik im stockenden Übergangsprozess zu den ersten demokratischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen seit über vier Jahrzehnten im Kongo, die 2006 stattfanden. Die Zusammensetzung der Übergangsregierung war in erster Linie daran ausgerichtet, dass sich alle bedeutenden der diversen am Konflikt beteiligten Gruppen in ihr vertreten sahen bzw. ihre Anführer ein wie auch immer geartetes Amt bekleideten. So gab es in der Regierung neben dem Präsidenten Kabila vier Vizepräsidenten und 36 Minister mit Stellvertretern. 250 Matthiesen, 2005: S. 38. Vgl. Stroux, 1999: S. 50. 252 Johnson, Dominic: Von der Diktatur zum Staatszerfall, in: Evangelisches Missionswerk in Deutschland (Hrsg.): Weltmission heute Nr. 55, Kongo – Geschichte eines geschundenen Landes, Hamburg, März 2004a, S. 79-96, S. 79. 251 65 Resümierend bleibt die Feststellung, dass Erfahrungen mit demokratischer Ordnung in der kongolesischen Bevölkerung fast nicht vorhanden sind: Die erste frei gewählte Regierung wurde wie oben beschrieben kurz nach ihrer Wahl Anfang der 60er Jahre abgesetzt, seitdem gab es keine demokratisch legitimierte Staatsführung im Kongo, sondern Diktatur, Autoritarismus und Ausbeutung. Der Demokratisierungsprozess, der 1990 einsetzte, währte insgesamt 16 Jahre und wurde immer wieder herausgezögert und unterbrochen: Von autoritär Herrschenden, die keine Demokratisierung wünschten, von Kriegen, die keine Demokratisierung zuließen und von Profitinteressen, für die ein erfolgreicher Friedens- und Demokratisierungsprozess gleichbedeutend mit dem Ende des Einnahme-Flusses war bzw. ist. Der Weg zu den Wahlen 2006 und zur erfolgreich abgeschlossenen Regierungsbildung im Februar 2007 war ein langer, teilweise chaotisch anmutender Prozess, der im Folgenden untersucht und durch das beschriebene Phasenmodell in eine der Analyse zuträgliche Form gebracht werden soll. 66 7. Der Demokratisierungsprozess in Kongo/Zaire Aufbauend auf dem Systemwechselmodell Merkels wird im Folgenden der Verlauf des Demokratisierungsprozesses in der DR Kongo betrachtet. 253 Das Modell besteht wie beschrieben aus drei Stufen, die sich wiederum aus unterschiedlichen, dem Modell zu entnehmenden Entwicklungsschritten zusammensetzen. Entsprechend des stockenden, blockierten und sabotierten Verlaufes der Demokratisierung wird das Modell um zwei Retardationsphasen (Punkt 7.1.4 und 7.1.6) erweitert, die den Verlauf der Demokratisierung in dem Maße verzögerten, dass er bis zu den Wahlen 2006 ganze 16 Jahre der Landesgeschichte in Anspruch nahm. Phase I – Der Übergang von autoritärer Herrschaft zum demokratischen System 7.1 Das Ende des neopatrimonialen Mobutu-Regimes 7.1.1 Das neopatrimoniale System Mobutus: Instabilität versus Herrschaftstechnik Bereits kurz nach der Machtergreifung hatte Mobutu seine quasi-absolutistische Stellung gefestigt. Mit der „für ihn typische[n], virtuose[n] Verbindung verschiedener Herrschaftstechniken […]: Gewalt, Ausschaltung alternativer Institutionen, Kauf von Gefolgschaften und Korrumpierung seiner Gegner“ 254 baute er seine neopatrimoniale Herrschaft im von ihm in Zaire umbenannten Land aus. 255 Die Trennung zwischen Staat und Partei wurde aufgehoben und die 1967 von ihm gegründete Partei MPR wurde in den Stand einer „Kirche“ erhoben. 256 Er selbst sah sich als von „Gott gesandter Messias“ 257 . Von nun an trieb Mobutu die Gleichschaltung Zaires voran: Die zur Einheitspartei erklärte MPR „verschmolz faktisch mit den staatlichen Institutionen als ausführendes Organ des Präsidenten.“ 258 Neben der MPR wurden keine anderen Parteien und Organisationen mehr zugelassen, das Parlament und die Provinzregierungen schaffte Mobutu ab und zerstörte 253 Vgl. Abb. 2: Systemwechsel – Vom autokratischen System zur Demokratie, S. 41. Ludermann, 2004b: S. 63. 255 Neopatrimoniale Herrschaftssysteme zeichnen sich durch eine hochgradige Personalisierung der Macht durch den Herrscher aus, dessen Stellung absolutistische Züge annehmen kann. Er betrachtet den Staat als Privateigentum und setzt die staatlichen Ressourcen zur Finanzierung seines Klientelapparates ein. Die Machtstellung des Herrschers wird über eine Privatarmee abgesichert. (Vgl. Stroux, 1996: S. 26ff.). 256 Vgl. Stroux, 1999: S. 48. 257 Ebd. 258 Stroux, 1996: S. 32. 254 67 „unter dem Beifall der westlichen Welt“ 259 die vorhandenen demokratischen Strukturen: „Der Glaube an militärisch bestimmte Entwicklungsdiktaturen hatte damals Konjunktur.“ 260 Zur „Unterdrückung innerpolitischer Proteste […] baute Mobutu paramilitärische Sondereinheiten auf“ 261 , denen bis zur Mitte der 90er Jahre etwa die Hälfte der 70.000 Mann umfassenden Armee FAZ (Forces Armées Zairoises) angehörte. Mobutu etablierte in nahezu allen Bereichen des Staates ein eigenes System zur Konsolidierung seiner Machtposition: Bis 1970 hatte er alle bedeutenden politischen und gesellschaftlichen Posten mit ihm loyalen Vertretern besetzt. 262 Ein auf diese Weise erhaltener gehobener Posten war gleichbedeutend mit dem Freibrief zur ungestraften Selbstbereicherung. Diebstahl wurde in der elitären Staatsklasse, die etwa 2.000 bis 3.000 Zairer umfasste, zur bedeutendsten Einkommensquelle: In diesem Zusammenhang wird das Herrschaftssystem Mobutus vielfach als „Kleptokratie“, als „Herrschaft der Diebe“, bezeichnet. 263 Um Rivalitäten oder Konkurrenz innerhalb der Führungsclique zu vermeiden, wurden die Posten nach einem Rotationsprinzip immer nur für eine kurze Zeit besetzt: Zwischen 1977 und 1997 kam Zaire auf diese Weise z.B. zu neun verschiedenen Premierministern. Der Amtsmissbrauch auf allen Ebenen erfolgte dementsprechend in intensiverer Form. 264 Verheerend wirkten sich neben der Korruption, dem Klientelismus und der „von oberster Stelle sanktionierten Selbstbereicherung“ 265 die „Zairanisierung“ des Landes aus, die Mobutu durchführte und auch auf die Ökonomie übertrug. 266 1971 wurden die höheren Bildungseinrichtungen und Universitäten dem Staat unterstellt, 1973 ausländische und 1974 schließlich auch einheimische Besitzer von Landwirtschafts- und Industriebetrieben enteignet und ihre Unternehmen an Funktionäre übergeben, die sie vielfach schlicht ausplünderten und zu Grunde wirtschafteten. 267 „Missmanagement und Selbstbereicherung zerstörten die 259 Strizek, Helmut: Kongo/Zaïre – Ruanda – Burundi. Stabilität durch erneute Militärherrschaft? Studie zur „neuen Ordnung“ in Zentralafrika, München/ Köln/ London 1998, S. 99. 260 Ebd. S. 99. 261 Ludermann, 2004b: S. 70. 262 Vgl. Stroux, 1996: S. 33. 263 Vgl. Ludermann, 2004b: S. 69 und McCalpin, Jermaine O.: Historicity of a Crisis. The Origins of the Congo War, in: Clark, John F.: The African Stakes of the Congo War, New York 2002, S. 33-50, S. 43. 264 Vgl. Stroux, 1996: S. 34. 265 Vgl. Stroux, 1997: S. 4. 266 Zairanisierung bzw. Authentizität bedeuteten unter Mobutu die Umbenennung des Landes sowie des Flusses und der Währung in Zaire, die Änderung der Städtenamen (so wurde z.B. Leopoldville zu Kinshasa) und die Änderung der christlichen Vornamen in die Namen der Vorfahren. Die Übertragung auf den Wirtschaftssektor beinhaltete die beschriebenen Maßnahmen. Auf diesem Weg sollte die nachkoloniale kulturelle und wirtschaftliche Unabhängigkeit Zaires erreicht werden. (Vgl. Matthiesen, 2005: S. 32). 267 Vgl. Matthiesen, 2005: S. 34f. 68 wirtschaftliche Basis des Landes.“ 268 Zu diesen, für den Staatshaushalt ohnehin verheerenden Praktiken, kam Mitte der 70er Jahre der Verfall der Rohstoffpreise, der Zaire um etwa ein Drittel der Exporteinnahmen brachte. Zaire war also vornehmlich durch eine „Fehlallokation von Ressourcen“ 269 gekennzeichnet. Unter ungünstigen ökonomischen Bedingungen wurden durch die Aufrechterhaltung des Klientelapparates, Korruption und die Selbstbereicherung durch Privatisierung staatlicher Institutionen und Ressourcen auf ineffizienteste Weise Mittel verbraucht, die dringend für Investitionen im Wirtschafts- und Sozialsystem benötigt worden wären. „Bis zu 20 Prozent der produktiven Ressourcen der Staatsfirmen“ 270 schöpfte die Führungsclique ab und verwendete sie zur privaten Wohlstandssicherung und zur Konsolidierung des Regimes. Systemtheoretisch gesprochen schuf Mobutu Steuerungsmonopole 271 in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Bildung und im Energie- und Bergbausektor (Abbau der Bodenschätze). Aber auch Frauen- Arbeiter-, Studenten- und Jugendorganisationen verloren ihre Unabhängigkeit und wurden zu Organen der Einheitspartei MPR. 272 Hierbei handelte es sich um „politisch induzierte Entdifferenzierungsprozesse, die die Eigenständigkeit der gesellschaftlichen Teilsysteme […] aufhoben.“ 273 Die Komplementärsysteme wurden folglich den Funktionsprinzipien des Politischen unterstellt „und dadurch in ihrer Autonomie und in der freien Verwirklichung ihrer systemspezifischen Prinzipien eingeschränkt“ 274 . Die gesamte staatliche, politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung war durch Mobutus Eingriffe beeinflusst und ihre Modernisierung und Differenzierung verhindert worden. Die daraus resultierenden Ineffizienzen, besonders auf wirtschaftlicher Ebene, führten zu einer permanenten Verschlechterung der Lebensverhältnisse und mit der zunehmenden Verarmung der Bevölkerung zu wachsender Unzufriedenheit und zunehmender Stärke der Opposition. 268 Stroux, 1997: S. 4. Ebd. 270 Ebd. 271 Der Vergleich der staatlichen Maßnahmen in Zaire zu den Homogenisierungsbestrebungen in den sozialistischen Staaten des ehemaligen Ostblocks wie z.B. der DDR drängt sich auf. Verwiesen sei auf Detlef Pollacks umfassende systemtheoretische Analyse des Zusammenbruchs der DDR: Pollack, Detlef: Das Ende einer Organisationsgesellschaft. Systemtheoretische Überlegungen zum gesellschaftlichen Umbruch in der DDR, in: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 19, (August 1990) 4, S. 292-307. 272 Vgl. Nzongola-Ntalaja, Georges: The Congo from Leopold to Kabila. A People’s History, London/ New York 2002, S. 173. Lediglich religiösen Vereinigungen wurde ein gewisses Maß an Autonomie zugesprochen, was die Bischöfe der katholischen Kirche zu den stärksten und mit zahlreichen Memoranden präsentesten Mahnern gegen den Machtmissbrauch durch das Mobutu-Regimes werden ließ. (Vgl. Stroux, 1996: S. 78ff.). 273 Pollack, 1990: S. 294. 274 Ebd. 269 69 Die Teilsysteme des Staates litten folglich unter einem gravierenden Mangel an funktionaler Mikrostabilität. 275 Mobutu gelang es jedoch lange Zeit, die auf dieser Mikroebene entstandenen „Kosten“ auf der Makroebene zu decken – wenn auch mit horrendem Ressourcenaufwand: So erfreute sich sein Herrschaftssystem „einer besonderen Resistenz […] gegenüber der Demokratiebewegung“ 276 . Die Errichtung seines Klientelapparates schuf eine „Staatsklasse, die ihm politisch nichts anhaben konnte“ 277 . Lange gelang es ihm zudem durch geschickte Rotation innerhalb der Elite, durch Korruption 278 , Kooptation und Repression das Emporwachsen von Oppositionellen im Regime zu verhindern. „Seine ethnisch und regional fixierte ’Personalpolitik’“ 279 verhinderte die Herausbildung von Klassen und somit potentieller Widerstandsstrukturen. Sollte dennoch Widerstand aufkeimen, ermöglichte es ihm sein umfassender Einschüchterungs- und Repressionsapparat, schnell und wirksam zu reagieren.280 Die vorhandenen nationalen Ressourcen, über die Mobutu die Kompensation der Systeminstabilität finanzierte, ermöglichten ihm nur zeitweise die Unabhängigkeit von ausländischen Geldgebern: Finanzielle Stützen aus dem Ausland, d.h. in erster Linie Kredite und Entwicklungshilfegelder, mit denen Finanzlöcher, aber auch die Taschen der Führungsclique gestopft wurden, waren für Zaire entscheidende Stabilitätsgaranten, was Mobutu in starkem Maße von der Gebergemeinschaft abhängig machte. 281 Neben seiner für die Westmächte im Kampf gegen den Kommunismus in Afrika (z.B. in Angola und der VR Kongo) strategisch wichtigen Lage im Herzen Afrikas waren auch die Vorkommen von atomwaffenfähigen Uran 282 und zahlreicher anderer Rohstoffe in Zaire von großer Bedeutung und sicherten dem Regime bis zum Ende des Kalten Krieges den finanziellen und militärischen Rückhalt des Westens. 283 Zudem wurde Mobutu von den Westmächten als einziger Stabilitätsfaktor in der Region gesehen: Allerdings spielte dieser die Geberländer 275 Sandschneider, 1995: S. 119f. Stroux, 1996: S. 38. 277 Ebd. 278 Korruption wird von einigen afrikanischen Autoren als „systemstabilisierende Informalisierung“ bezeichnet: „Die unregelmäßige und unzureichende Zahlung von Löhnen an Arbeiter und Beamte trägt zum Erhalt der Korruption bei.“ (Matthiesen, 2005: S. 116). 279 Stroux, 1996: S. 38. 280 Vgl. ebd. 281 Ungeachtet der Menschenrechtsverletzungen und der Unterdrückung der Bevölkerung unterstützten die USA Mobutus Regime jährlich mit mehreren Millionen Dollar und auch die BRD war neben Belgien mit der Zahlung von über einer Milliarde DM zwischen 1965 und 1991 eine wichtige finanzielle Stütze des Diktators. (Vgl. Matthiesen, 2005: S. 36f.). 282 Bereits zu Kolonialzeiten erhielten die USA Uranlieferungen aus dem Kongo: So stammte auch das Uran der beiden Atombomben, die auf Hiroshima und Nagasaki fielen, aus kongolesischen Minen. (Vgl. Johnson, Dominic: Bombengeschäfte in der Heimat der Bombe, in: die tageszeitung, 06.01.2005a, S. 10). 283 Vgl. Matthiesen, 2005: S. 36. 1977 und 1978 konnten die Einfälle der so genannten “Katanga-Gendarmen” in Katanga (damals Shaba) nur mit logistischer und auch direkter militärischer Unterstützung Frankreichs und Belgiens niedergeschlagen werden. 276 70 immer wieder geschickt gegeneinander aus und konnte so eine zu starke Abhängigkeit von einem einzigen Finanzier vermeiden. 284 In welch starkem Maße Mobutus Systemstabilisierungsversuche jedoch tatsächlich an das Wohlwollen des Westens geknüpft waren, zeigte sich mit dem Wandel der internationalen Rahmenbedingungen nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes. Intern stand das System Mobutus bereits unter sehr großem Druck, denn die Auswirkungen der Misswirtschaft, der Selbstbereicherung und des Klientelismus bewirkten eine Wirtschaftskrise, die zur Verarmung großer Teile des zairischen Volkes führte. Die Opposition gewann gegen Ende der 80er Jahre stark an Zulauf und Bedeutung. Mobutus Repressionsapparat und Geheimdienst reagierten daraufhin mit immer heftigerem Vorgehen gegen Oppositionelle. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Entzug der externen Unterstützung geriet das Gefüge schließlich vollends aus dem Gleichgewicht und Mobutu sah sich zunächst zur Liberalisierung seines Regimes gezwungen. 7.1.2 Ursachen und Auslöser des Demokratisierungsprozesses Ein System verliert mit Sicherheit an Stabilität, wenn es ihm an Problemlösungskapazitäten mangelt. Sandschneider konstatiert, „dass Grundvoraussetzung jeder Art von Systemstabilität der Nachweis der bedürfnisbefriedigenden Leistungsfähigkeit in mindestens drei integrierten Zielsektoren ist: Verteidigung, Konsum und Investition.“285 Politische Systeme müssen also gleichzeitig „für militärische Sicherheit (oder irgendeine überzeugende alternative Sicherheit) der nationalen Interessen sorgen und die sozioökonomischen Bedürfnisse der Bürger befriedigen und ein anhaltendes Wachstum gewährleisten – das letzte sowohl für den positiven Zweck, Kanonen und Butter zu liefern, als auch für den negativen Zweck, einen relativen wirtschaftlichen Abstieg zu vermeiden, der die zukünftige militärische und wirtschaftliche Sicherheit des Volkes gefährden könnte.“ 286 Dass dies dem Regime Mobutus zuletzt in keiner Weise mehr gelang, ist auf die zuvor beschriebene Form der Herrschaftsausübung zurückzuführen, die die für die Differenzierung und Effizienz notwendige teilsystemische Autonomie ausschaltete und somit die Problemlösungskapazitäten des politischen Systems minimierte. Die Destabilisierung erreichte derartige Ausmaße, dass sie schließlich das Gesamtsystem gefährdete und Mobutu in Zusammenwirkung mit den veränderten internationalen Rahmenbedingungen vorerst zur 284 Vgl. Stroux, 1996: S. 37. Sandschneider, 1995: S. 123. 286 Kennedy, Paul: Aufstieg und Fall der großen Mächte. Ökonomischer Wandel und militärischer Konflikt von 1500-2000, Frankfurt 1989, S. 659, zitiert nach: Sandschneider, 1995: S. 123. 285 71 politischen Öffnung des Systems zwang. Sandschneider spricht in diesem Zusammenhang von der „situativen Instabilität“ 287 : Sie wird durch tief greifende Veränderungen in den existentiellen Bedingungen eines Systems ausgelöst, „die im Extremfall zur Überlastung der verfügbaren und mobilisierbaren Ressourcen und so schnell zum Zusammenbruch des Systems führen können.“ 288 Die Faktoren, die zu der schweren zairischen Systemkrise und in der Folge zum Beginn des Demokratisierungsprozesses führten, lassen sich in systeminterne und systemexterne Ursachen und Auslöser unterteilen. 289 7.1.2.1 Systeminterne Ursachen des Demokratisierungsprozesses Sozioökonomischer Niedergang Mobutus Regime und die Kombination aus massiver Selbstbereicherung, Amtsmissbrauch, Korruption, Klientelismus und verhängnisvollen Entdifferenzierungsmaßnahmen im Wirtschaftssektor wie der Enteignung ausländischer und später auch inländischer Privatbetriebe und der Rohstoffförderung richteten Zaire ökonomisch zugrunde. Gegen Ende der 70er Jahre verschärfte der Verfall der Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt die Situation und stürzte das Land in eine tiefe Wirtschaftskrise, die auch die Re-Liberalisierung aller staatlichen und privaten Entwicklungsbereiche und die bis in die 80er Jahre hinein durchgeführten Strukturanpassungsprogramme und Umschuldungen vom IWF (Internationaler Währungsfonds) und der Weltbank nicht lösen konnten. Der Lebensstandard der Bevölkerung sank rapide und die Inflation betrug 1988 fast 90%. 290 Das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen war von 630 US$ im Jahr 1980 291 auf 220 US$ in 1990 292 gesunken. Mobutus Selbstbedienungs-Attitude leistete zum Niedergang einen erheblichen Beitrag: So stieg der „dem Präsidenten zugewiesene Ausgabenanteil am Staatsbudget […] nach offiziellen Angaben zwischen 1972 und 1992 von bereits erstaunlichen 28% auf atemberaubende 95%. Der Anteil staatlich finanzierter sozialer Dienstleistungen fiel im selben Zeitraum von 17,5% auf 0,0%.“ 293 287 Sandschneider, 1995: S. 120. Ebd. 289 Vgl. Stroux, 1996: S. 39ff. und Matthiesen, 2005: S. 132ff. 290 Vgl. Stroux, 1996: S. 43. 291 Vgl. Stroux, 1997: S. 4. 292 Vgl. Griffiths, Ieuan Ll.: The Atlas of African Affairs, London/ New York 21993, S. 218. 293 Tull, Denis M.: Vom Niedergang des Staatenreichs und dem Anfang der Rebellenherrschaft – Extraversion und externe Intervention in der DR Congo, in: Engel, Ulf/ Jakobeit, Cord/ Mehler, Andreas/ Schubert, Gunter (Hrsg.): Navigieren in der Weltgesellschaft. Festschrift für Rainer Tetzlaff, Münster 2005a, S. 74-85, S. 78. 288 72 So verschwand in den 80er Jahren die Mittelschicht fast vollständig und die zairische Bevölkerung teilte sich in eine kleine reiche Elite und eine breite verarmte Masse. 294 Mit dem Erstarken der Opposition gegen Ende der 80er Jahre führte zudem die Kapitalflucht reicher Zairer, die um ihren Wohlstand fürchteten, dazu, dass das Land endgültig vor dem Bankrott stand. Getragen wurde die inzwischen breite Oppositionsbewegung in erster Linie von einer verarmten Schicht aus Intellektuellen und der katholischen Kirche, die mittels Demonstrationen und Streiks, aber auch durch Memoranden und offene Briefe verstärkt ihren Protest artikulierten. Repression In den Jahren 1988/89 ging das Regime vor allem gezielt gegen Oppositionelle der verbotenen, schon 1982 gegründeten UDPS vor. „Dabei kam es zu willkürlichen Verhaftungen, Verschleppungen, Folter und Mord.“ 295 Der omnipräsente Repressionsapparat Mobutus hatte während seiner gesamten Herrschaft große Bedeutung für das Erhalten seiner Machtposition. Mit dem Jahr 1989 allerdings „nahmen Willkür und gezielte Repressionen […] nochmals zu“ 296 , was den Rückhalt (die Legitimation) von Mobutus Regime in der Bevölkerung abermals verstärkt schwinden ließ und die Opposition stärkte: Systemtheoretisch stellt dies die logische Konsequenz der Anwendung von Repression als „funktionales Systemstabilisierungsäquivalent“ 297 dar. 7.1.2.2 Systemexterne Ursachen des Demokratisierungsprozesses Wandel der internationalen Rahmenbedingungen In der sich zuspitzenden internen Legitimationskrise verlor Zaire mit dem Ende des Kalten Krieges neben seiner Position als antikommunistisches „Bollwerk“ der Westmächte in Afrika auch rund zwei Drittel der bisherigen Entwicklungshilfe-Zahlungen und Kredite. 298 Das strategische Interesse der USA an Zaire als Ausgangspunkt für die Unterstützung der prowestlichen Opposition in Angola schwand und die CIA zog sich aus dem Land zurück. 294 Vgl. Stroux, 1996: S. 43. Ebd. S. 45. 296 Ebd. 297 Merkel, 1996: S. 311. 298 Vgl. McCalpin, 2002: S. 44f. 295 73 Sechs amerikanische Regierungen hatten Zaire trotz bekannter Menschenrechtsverletzungen, Selbstbereicherung, Klientelismus und Korruption durch Mobutus Führungsclique bis dahin in erheblichem Maße finanziell und militärisch unterstützt.299 Für den Westen waren bezüglich der Verteilung ihrer Entwicklungshilfezahlungen nun jedoch die Einhaltung demokratischer Prinzipien und der Menschenrechte ausschlaggebend, nicht mehr die „Unterstützung von ‚friendly tyrants’“ 300 Die Zahlungen aus den USA gingen demzufolge abrupt zurück und der damalige US-Präsident George Bush sowie sein Staatssekretär James Baker forderten Mobutu 1989 und wiederholt 1990 zur Demokratisierung Zaires auf. 301 Auch die Beziehungen zu Belgien steckten ab 1989 in einer schweren Krise, da die belgische Presse im Vorjahr über Veruntreuungen belgischer Entwicklungshilfezahlungen durch Mobutu in Höhe von 70 Millionen US$ berichtet hatte. 302 In der Folge halbierte die belgische Regierung ihre Zahlungen an das Regime Mobutus, was die prekäre finanzielle Lage des Landes zusätzlich verschärfte. Endgültig eingefroren wurde die Entwicklungszusammenarbeit mit Belgien nach der Weigerung Mobutus, eine internationale Untersuchungskommission bezüglich des Massakers von Lubumbashi im Mai 1990 zuzulassen, bei dem mindestens 13 Studenten auf dem Universitätsgelände von Lubumbashi von einer Eliteeinheit Mobutus ermordet worden waren. 303 Das Echo des Massakers in der Weltpolitik verschaffte den Oppositionellen großen Rückhalt, Mobutu hingegen setzte es zusätzlich unter Druck. Außenwirtschaftliche Einflüsse Schließlich führte die teilweise selbstverschuldete, teilweise durch die Situation auf dem Weltmarkt bedingte Exportkrise dazu, dass die wirtschaftliche Lage des stark von seinen Rohstoffexporteinnahmen abhängigen Landes aussichtslos wurde. Jahrelang hatte Mobutus Regime das staatliche Bergbauunternehmen GECAMINES „als Privatkasse“ 304 genutzt und seine Produktivität auf diese Weise stark herabgesetzt. Dies und die sinkenden Rohstoffpreise, vor allem beim Hauptexportgut Kupfer, führten im Exportbereich zu massiven Einnahmeeinbußen. Die Auslandsverschuldung Zaires war 1990 auf etwa 8,6 Milliarden US$ (ca. 90% des BIP) angewachsen und der IWF sowie die Weltbank, deren Zusammenarbeit mit 299 Vgl. Fußnote 281 und 283. Stroux, 1996: S. 40. 301 Vgl. ebd. 302 Vgl. ebd. 303 Vgl. Stroux, 1997: S. 9. Die angegebenen Zahlen der Getöteten schwanken zwischen offiziellen Angaben von einem Opfer und 13 ermordeten Studenten in inoffiziellen Quellen. (Vgl. ebd.). 304 Vgl. Stroux, 1996: S. 42. 300 74 dem Land seit 1967 von schweren Krisen durchzogen ist, waren Mobutu gegenüber zu keiner weiteren Kreditvergabe bereit. 305 Neben dem Wegfall der Unterstützung aus dem Ausland sind als systemexterne Faktoren des Weiteren der ermutigende Einfluss der Demokratisierungsbewegungen in Afrika auf die Opposition in Zaire sowie der damals im Land offen diskutierte „Ceausescu-Effekt“ oder „facteur roumain“ 306 zu nennen. Die Hinrichtung des rumänischen Diktators und MobutuFreundes Ceausescu galt auch dem zairischen Herrscher als mögliches Schicksal. In diesem Zusammenhang von einem „Dominoeffekt“ zu sprechen, der für Merkel als möglicher Faktor zum Ende eines autokratischen Regimes beiträgt 307 , ist wahrscheinlich etwas überzeichnet. Jedoch haben einerseits die Systemwechsel in Osteuropa, vor allem aber die erfolgreichen Demokratisierungen in Afrika z.B. in Namibia und Benin und die Bestrebungen im Niger, der Elfenbeinküste und im benachbarten Kongo als aufgezeigte Alternative zum Status Quo einen gewissen Einfluss auf das neue Selbstbewusstsein der Opposition gehabt. 308 Diese veränderten Umweltbedingungen, durch die sich weiter entwickelnden Systeme in seiner Systemumwelt, setzten das System Zaire somit von außen unter Reformdruck. Dem Regime war vom sozioökonomischen Niedergang und den damit einhergehenden fehlenden Systemleistungen, sowie den allgegenwärtigen zur Beherrschung der Massen notwendig gewordenen Repressionen gegenüber der ohnehin aufgebrachten und durch die um sie herum entstehenden Demokratisierungsbewegungen ermutigten Bevölkerung die Legitimation entzogen worden. Beide Effekte entstanden durch die Verhinderung bzw. Unterdrückung und Revidierung von Differenzierungsprozessen: einerseits im Wirtschaftssystem, andererseits in nahezu allen, die Gesellschaftsentwicklung tangierenden Teilsystemen, wie z.B. dem Rechtssystem, dem Wissenschaftssektor und dem gesamten sozialen Gefüge. Neben diesen systeminternen Faktoren wirkten von systemexterner Seite die ausbleibenden Zahlungen aus dem Ausland, sowie der steigende internationale Druck dramatisierend und verstärkend auf den Prozess. Die von Mobutu über Jahrzehnte etablierten Machtstrukturen sollten sich jedoch als robust genug erweisen, um dem Demokratisierungsdruck noch einige Jahre standhalten zu können. 305 Vgl. ebd. Vgl. ebd. S. 41. 307 Vgl. Punkt 4.1.1, S. 44. 308 Vgl. Stroux, 1996: S. 41 und Schmidt, 1998: S. 221. 306 75 Die politische Entwicklung in Zaire zwischen 1990 und 2001 lässt sich im Groben angelehnt an Stroux in fünf Phasen einteilen 309 : 1. eine kurze Phase der Liberalisierung bis Herbst 1990; 2. eine Demokratisierungsphase bis Ende 1992, die von einer schnell erstarkenden Oppositionsbewegung getragen wurde; 3. eine Phase der politischen Blockade (Retardation I), die durch die teilweise Restaurierung des Mobutu-Regimes Anfang 1993 eingeleitet wurde und den Einfluss der demokratischen Kräfte schwinden ließ; 4. die vierte Phase, der Ausbruch des Bürgerkrieges im Ostkongo im Oktober 1996, der Mobutu schließlich die Macht kosten sollte und 5. die zweite blockierende Phase des Demokratisierungsprozesses unter L.-D. Kabila (Retardation II). Wie die bisher erschienen Analysen des Demokratisierungsprozesses in diesem Zeitraum belegen, sind die entscheidenden Ursachen für die gescheiterte Demokratisierung in der Folge der Liberalisierung unter Mobutu bis zum Tode L.-D. Kabilas auf der Akteursebene zu suchen. Die Zusammenhänge ihrer Komplexität gerecht werdend darzustellen, ist an dieser Stelle nicht möglich. Für eine erschöpfende akteursorientierte Analyse der Prozesse sei auf die Arbeiten von Stroux 310 und die das Konzept der strategischen und konfliktfähigen Gruppen (SKOG) anwendende Arbeit Schmidts 311 verwiesen. Im Folgenden sollen nun der Demokratisierungsprozess und sein Scheitern bis zur Ermordung L.-D. Kabilas 2001 in einem Streifzug nachgezeichnet werden. Während der gesamten sieben Jahre dieses Zeitraums ist es weder unter Mobutu noch unter L.-D. Kabila zu einer substantiell erfolgreichen Transition, d.h. dem tatsächlichen Übergang der autokratischen personalisierten Machtausübung zu demokratischen Strukturen, gekommen. Für den analytischen Rahmen der Untersuchung bedeutet dies, dass sich der Prozess des Systemwandels bis zum Tod L.-D. Kabilas durchgängig in der ersten Phase des Systemwechsels befindet. In erster Linie sind die Gründe hierfür neben der ohnehin permanenten Verzögerung des Prozesses durch Mobutu und L.-D. Kabila in zwei Retardationsphasen zu suchen, in denen die Protagonisten die Transition und den mit ihr einhergehenden Machtverlust absolut verhinderten bzw. bereits errungene 309 Stroux gliedert nur bis zur vierten Phase, die ergänzte fünfte Phase lag außerhalb des Betrachtungszeitraumes seiner Arbeit (Vgl. Stroux, 1997: S. 7f.). 310 Stroux, 1996 sowie Stroux, 1997. 311 Schmidt, 1998. 76 Demokratisierungsfortschritte rückgängig machten. Zum einen handelt es sich hierbei um den Zeitraum von 1993 bis 1997, in dem Mobutu nach seinem scheindemokratischen Exkurs den Demokratisierungsprozess sabotierte und Teile seines Machtsystems nach der angelaufenen Demokratisierung restaurieren konnte, zum anderen um die gesamte Herrschaftsphase L.-D. Kabilas, dessen Demokratisierungsversprechen sich ebenfalls als wertlos erwiesen und seine Regentschaft von 1997 bis 2001 zur zweiten Retardationsphase des Systemwechsels werden ließen. 7.1.3 Liberalisierung und Demokratisierungsphase 7.1.3.1 Die kurze Liberalisierungsphase 1990 Während Mobutu mit seiner Führungsclique weiter im Luxus schwelgte, spitzte sich die Krise ob der zuvor ausgeführten Ursachen im zerfallenden Zaire zu und die Anzeichen für den verlorenen Rückhalt seines Regimes in der Bevölkerung wurden unübersehbar. Mobutu reagierte auf die Krise, wie aus anderen Autokratien bekannt, mit einer Mischung aus Repression und Liberalisierungsmaßnahmen. 312 Die Sicherheitskräfte gingen einerseits weiter radikal gegen Demonstrierende 313 vor, „andererseits versuchte Mobutu, die Lage mit marginalen Reformen zu stabilisieren und gleichzeitig die Reformerwartungen der Gebergemeinschaft zufrieden zu stellen.“ 314 Die begrenzte Öffnung, die Mobutu zunächst anstrebte, war der Oppositionsbewegung jedoch nicht genug und die Massenproteste weiteten sich aus. Neben den Protesten zwangen Mobutu in der Folge drei Faktoren zu einer weiter gehenden Liberalisierung 315 : - Die im Januar 1990 von Mobutu eingeleitete Volksbefragung, in der fast 90 Prozent der gesellschaftlichen Gruppen umfassende Reformen, d.h. das „Ende der Vorherrschaft der MPR, ein Mehrparteiensystem, eine Verfassungsrevision, Gewaltenteilung und die Abhaltung einer Nationalkonferenz“ 316 forderten, offenbarte „ein alarmierendes 312 Vgl. Schmidt, 1998: S. 221. Die beiden Oppositionsgruppen, die sich hauptsächlich Repressionen ausgesetzt sahen waren die bis zur Liberalisierung verbotene Oppositionspartei UDPS (Union pour la Démocratie et le Progès Social) und die Studentenbewegung. Die Bedeutung der Studenten nahm jedoch bis 1995 ab, nachdem es Mobutu gelungen war, die organisierten Studenten durch die mehrjährige Schließung der Universitäten zu schwächen. (Vgl. Stroux, 1997: S. 9). 314 Ebd. 315 Vgl. Schmidt, 1998: S. 221f. 316 Stroux, 1996: S. 46. 313 77 Stimmungsbild allgemeiner Unzufriedenheit, die jederzeit in gewaltsamen Protest umschlagen“ 317 konnte. - Ein einflussreiches Memorandum der katholischen Bischöfe prangerte offen Menschenrechtsverletzungen, Nepotismus und Korruption an. 318 - Der interne und vor allem der externe Druck der Geberländer auf Mobutu wuchs in der Folge des bereits erwähnten Massakers von Lubumbashi. Am 24. April 1990 stellte Mobutu seinen Plan zur Öffnung des Systems vor, deren erfolgreiche Durchführung der Ausgangspunkt der Dritten Republik sein sollte: Er versprach die Abschaffung des Einparteiensystems, an dessen Stelle die Einführung eines Dreiparteiensystems und er räumte Meinungs- und Pressefreiheit ein. 319 Der wachsende Druck zwang ihn im Oktober 1990 die Änderung der Verfassung von 1967 im gleichen Jahr zu billigen, bei der die Einführung eines Mehrparteiensystems, die Zulassung unabhängiger Gewerkschaften, die Pressefreiheit sowie die Trennung von Partei und Staat in die Verfassung aufgenommen wurden. 320 Mobutu verfolgte mit der Liberalisierung jedoch einzig und allein das Ziel, sein politisches Überleben zu sichern und die Legitimität seines Regimes formaldemokratisch wiederherzustellen. 321 Er selbst wollte den gesamten Prozess als eine Art „überparteilicher Oberschiedsrichter“ 322 anführen. Von Anfang an setzte Mobutu alles daran, die Demokratisierung Zaires durch „Verzögerungen, Kooptation von Oppositionellen, der Gründung von Pseudo-Parteien 323 , die für Chaos und Verunsicherung der Wähler sorgen sollten, und gezielte Repression zu verlangsamen.“ 324 So gelang es der Opposition erst im April 1991, ein Jahr nach Beginn der Liberalisierung, die von allen Oppositionsgruppierungen geforderte Abhaltung einer Nationalkonferenz für August 1991 festzulegen. 325 Das Regime hatte zu diesem Zeitpunkt die Kontrolle über den Reformdruck verloren, der sich durch die verhinderte Differenzierung aufgebaut hatte und musste den Regimegegnern und der mobilisierten Bevölkerung nachgeben. Die dominierende, wenn auch durch Mobutu behinderte Kraft im Systemwechsel war hier bereits die Opposition: Die Phase der 317 Körner, Peter: Zaire, Länderbeitrag, in: Hofmeier, Rolf (Hrsg.): Afrika Jahrbuch 1990, Opladen 1991, S. 221227, S. 221. 318 Vgl. ebd. S. 47. 319 Vgl. Stroux, 1999: S. 49. 320 Vgl. Matthiesen, 2005: S. 125. 321 Vgl. Stroux, 1997: S. 8. 322 Körner, 1991: S. 222. 323 Bei den ca. 80 bis Ende 1990 neu gegründeten Parteien handelte es sich Schätzungen zufolge zu drei Vierteln um scheinoppositionelle Tarnorganisationen Mobutus. (Vgl. ebd. S. 223). 324 Schmidt, 1998: S. 222. 325 Vgl. ebd. 78 Liberalisierung wurde an dieser Stelle also schon „von Elementen der Demokratisierungsphase überlagert.“ 326 7.1.3.2 Demokratisierungsphase 1991-1992 Die am 7. August 1991 zum ersten Mal zusammengetretene Nationalverfassung weckte in der Bevölkerung große Hoffnungen auf eine baldige politische Neuordnung Zaires. Die 2.850 Delegierten kamen jedoch gar nicht dazu, in ernsthafte Verhandlungen zu treten, weil es Unklarheiten über die Zulassung von Abgeordneten gab. 327 Parallel dazu versuchte das Mobutu-Regime, das durch die Zusammensetzung der Versammlung durch seine Pseudoparteien überrepräsentiert war, permanent die Versammlung zu manipulieren und zu boykottieren und profitierte von der Unfähigkeit der Opposition, eine starke Position gegen die Aktionen von Mobutus Anhängern zu beziehen. Nach dem zweiten, wiederholt durch Mobutu zum Abbruch gebrachten Anlauf, galt die Nationalkonferenz mit ihrer unbestimmten Schließung am 23. September 1991 als vorerst gescheitert. Einhergehend mit der politischen Wende in Zaire verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage des Landes weiterhin rapide. Im Zusammenwirken des wirtschaftlichen Niedergangs mit der Enttäuschung der Bevölkerung ob der chaotischen Verhältnisse in der Nationalversammlung und deren Schließung entstand eine explosive Spannungslage, die sich noch am Tage des Abbruchs der Nationalkonferenz in einer wüsten Gewaltwelle sowie Plünderungen in Kinshasa und verschiedenen Provinzstädten entlud. 328 In der Folge scheiterten zwei Versuche eine von der Opposition329 geführte Übergangsregierung zu etablieren, die unter dem Druck der „Troika“ der Geberländer (Belgien, USA, Frankreich) unternommen wurden. 330 Die Vorhaben scheiterten sowohl unter Etienne Tshisekedi, dem Führer der populärsten Oppositionspartei UDPS, als auch unter dem von Mobutu zum Regierungschef ernannten Nguz Karl-i-Bond von der UFERI (Union des Fédéralistes et des Républicains Indépendants). 326 Stroux, 1996: S. 51. Vgl. Kuhn, Berthold: Mehrparteiensystem und Opposition in Zaïre. Politischer Pluralismus in einer afrikanischen Diktatur, Münster/ Hamburg 1992, S. 12. 328 Unklar ist, ob die Unruhen von Mobutu mit seiner Eliteeinheit oder von frustrierten meuternden Soldaten ausgelöst wurden, deren Löhne ausstanden. Der Wirtschaft versetzten die Plünderungen beinahe den Todesstoß: Vier Fünftel der 1991 noch im formellen Sektor Beschäftigten verloren durch die direkten und indirekten Folgen der Plünderungen ihre Beschäftigung. (Vgl. Stroux, 1996: S. 52 und S. 86). Zwischen 1992 und 1994 schrumpfte die Wirtschaft mit -7,4 bis -12,3%. Erst 1996 wuchs die Wirtschaft wieder mit 1,3%, jedoch stützte sich die zairische Ökonomie zu diesem Zeitpunkt zu etwa 80% auf den informellen Sektor. (Vgl. Stroux, 1997: S. 19). 329 Die Opposition hatte sich bereits im Juli 1991 zur „Union Sacrée“ zusammengeschlossen und vereinigte bereits über 150 Parteien und gesellschaftliche Gruppen aus der Zivilgesellschaft. (Vgl. Stroux, 1996: S. 53). 330 Vgl. Stroux, 1996: S. 53. 327 79 Am 16. Februar 1992 kam es auf Grund der erneuten Aussetzung der Nationalkonferenz, die am 11. Dezember 1991 wieder aufgenommen worden war, zur größten Demonstration in Kinshasa, dem „Marsch der Christen“, an dem sich ca. 100.000 Menschen beteiligten. Die Eliteeinheit Mobutus löste die Demonstration gewaltsam auf und tötete dabei mindestens 13 Menschen, was in Zaire und international heftige Proteste hervorrief. 331 Der öffentliche Widerstand führte jedoch dazu, dass die Nationalkonferenz am 4. April 1992 von ihrem neuen Vorsitzenden Mosengwo Pasinia wiedereröffnet wurde. 332 Das Gremium erklärte sich zum Souverän und ging von April bis Dezember 1992 seiner eigentlichen Bestimmung nach: 23 Kommissionen diskutierten u.a. über eine neue Verfassung, den Plan für die Transition und Wahlen sowie eine neue Wirtschaftsordnung. Zum ersten Mal wurde mit Etienne Tshisekedi ein Premierminister nicht von Mobutu bestimmt, sondern von der Nationalkonferenz gewählt. Mobutu musste ihn unter dem Druck der Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft bestätigen. Weiterhin beschloss die Nationalkonferenz die Neuordnung Zaires im Rahmen eines föderalen Staates und einen Plan für ein Verfassungsreferendum und demokratische Wahlen. Die Restauration des autoritären Regimes Mobutus kündigte sich allerdings schon wenige Monate nach der Wiederaufnahme der Konferenz an: Die Abgeordneten der MPR verließen nach der Bekanntgabe des Kabinetts durch den Premierminister Tshisekedi die Versammlung und die Vertreter des Militärs boykottierten die Versammlung nachdem bekannt wurde, dass sie in Zukunft weder ein aktives noch ein passives Wahlrecht zugesprochen bekommen würden. Mobutu verhinderte zudem die Verlesung der beiden kritischsten Kommissionsberichte, u.a. zu den politischen Morden seit der Unabhängigkeit und sabotierte die weitere Durchführung der Konferenz.333 Vor ihrer Selbstauflösung auf Grund der massiven Behinderungen durch das Militär am 5. Dezember 1992 wählte die Versammlung die Vertreter ihres Nachfolgegremiums, des Übergangsparlamentes HCR (Haut Conseil de la République), das die Beschlüsse der Nationalkonferenz umsetzen und die Transitionsregierung kontrollieren sollte. 331 Vgl. Stroux, 1997: S. 11. Vgl. Stroux, 1996: S. 54. 333 Vgl. ebd. S. 55f. 332 80 7.1.4 Retardation I: Blockade und partielle Restauration der alten Machtstrukturen 7.1.4.1 Blockade der Demokratisierung und Restauration Die Phase der eigentlichen Blockade des Demokratisierungsprozesses begann mit der Absetzung der Regierung Tshisekedis durch Mobutu am 1. Dezember 1992. Neue, wieder von Mobutu lancierte Plünderungen nahm das Regime zum Anlass, massiv gegen die Opposition vorzugehen. 334 Im April 1993 verhinderte Mobutus Präsidialgarde endgültig die Versammlungen des HCR. Er ernannte mit Faustin Birindwa einen Mitbegründer der UDPS zum Regierungschef, was die radikale Opposition erheblich schwächte. Birindwa verfügte wie auch Karl-i-Bond, den Mobutu zuvor kooptiert hatte, über eine große Gefolgschaft innerhalb seiner Ethnie. Durch den Lagerwechsel der beiden ehemaligen Oppositionellen auf die Seite Mobutus büßte die Union Sacrée ihre nationale Integrationsfähigkeit ein. 335 Im Jahr 1993 manifestierte sich der politische Stillstand mit der Verdopplung der Institutionen: Der Regierung Birindwas stellte der HCR eine Gegenregierung unter Tshisekedi gegenüber, die von der Gebergemeinschaft als einzig legitime Regierung anerkannt und finanziert wurde 336 : So existierten parallel zwei Regierungen, zwei Parlamente (neben dem HCR hatte Mobutu den Conseil Législatif, besetzt mit Mobutu-loyalen Personen, wieder belebt), aber auch zwei Verfassungen und zwei Währungen. 337 Mobutu beendete die politische Blockade, indem er am 14. Januar 1994 die Birindwa-Regierung, den HCR und die Assemblée Nationale auflöste und so die konstituierende Sitzung des zuvor beschlossenen HCR-PT (Haut Conseil de la République – Parlement de Transition) erzwang, der am 15. Januar 1994 zum ersten Mal tagte. Der Rat stellte eine Fusion aus den beiden Gremien dar, die Machtverhältnisse im HCR-PT hatten sich gegenüber seinem Vorgänger-Gremium allerdings drastisch in Richtung Mobutu und der gemäßigten Opposition verschoben. 338 Am 9. April 1994 verabschiedete das Parlament die neue Übergangsverfassung, in der die Beschlüsse der Nationalkonferenz festgeschrieben wurden, die dem Präsidenten aber nicht 334 Mobutu hatte die seit Monaten nicht bezahlten Soldaten im Januar 1993 mit einer 5-Millionen-ZaireBanknote ausgezahlt, die von der breiten Bevölkerung auf Initiative der Opposition nicht angenommen wurde, worauf eine neue Plünderungswelle die Städte des Landes erfasste. Unter massiven Druck durch seine Präsidialgarde forderte Mobutu den HCR in der Folge auf, einen anderen als Tshisekedi zum Premier zu ernennen. Der HCR weigerte sich jedoch. (Vgl. Stroux, 1996: S. 57). 335 Vgl. Stroux, 1997: S. 12. Stroux weiter: „Die ‚Köderung’ eines Oppositionellen hatte zwei Effekte: Sie fraktionierte die Opposition und führte zu einem Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust nach innen und außen.“ (Ebd. S. 17). Diese Taktik Mobutus wirkte dementsprechend besonders destruktiv auf die Stärke und Einheit der Opposition. 336 Vgl. Stroux, 1996: S. 58. 337 Vgl. ebd. 338 Die Mobutu-Fraktion verfügte über die absolute Mehrheit im HCR-PT. (Vgl. Stroux, 1997: S. 18). 81 mehr nur repräsentative Funktionen zuschrieb, sondern ihm auch die Kontrolle über die Außenpolitik und die bewaffneten Kräfte gab. Dieser Zugang Mobutus zu Militär und Sicherheitsdiensten stellte die Konsolidierung des Übergangssystems von vornherein in Frage. Leon Kengo-wa-Dondo vom moderaten Flügel der Opposition wurde unter Duldung der Gebergemeinschaft zum Premierminister gewählt und die Hälfte des Kabinetts mit Mobutu-Getreuen besetzt. 339 Der HCR-PT verlängerte am 9. Juli 1995 die Transitionsphase und verschob die geplanten Wahlen um zwei Jahre, übernahm jedoch langsam seine verfassungsmäßigen Aufgaben. Allerdings wurde der blockierende Einfluss des Regimes auf die Transitionsgremien durch die enorme Langsamkeit und teilweise Verhinderung der Entscheidungsprozesse deutlich. Der Regime-Terror gegen die demokratischen Kräfte hielt unterdessen unvermindert an, da die bewaffneten Kräfte, wie erwähnt, immer noch unter Mobutus Kommando standen. Einen Höhepunkt erreichten die Repressionen am 29. Juli 1995, als die Garde Civile des Präsidenten eine Demonstration der PALU (Parti Lumumbiste Unifié), die zu einer Kundgebung „gegen die Diktatur Mobutus“ aufgerufen hatte, gewaltsam auflöste und dabei 14 Menschen tötete. 340 „Die Übergangsverfassung von 1994 führte den Kongo nicht in die ‚Dritte Republik’“ 341 und die Regierung Kengo-wa-Dondos war nicht in der Lage, die Blockade des Demokratisierungsprozesses durch das Regime Mobutus effektiv zu durchbrechen: Die für Juli 1997 angekündigten Wahlen konnten nicht stattfinden. Im Mai 1997 beendete der Eroberungszug der AFDL (Alliance des Forces Démocratiques pour la Libération du CongoZaire) unter L.-D. Kabila abrupt Mobutus Diktatur. Der Ex-Diktator erlag drei Monate nach der Machtübernahme durch die AFDL im marokkanischen Exil einem Krebsleiden. 7.1.4.2 Ursachen für die blockierte Demokratisierung Die Ursachen für die blockierte Demokratisierung zwischen den Jahren 1990 und 1996 finden sich in einem ganzen Bündel von Faktoren, die, wie eingangs erwähnt, mehrheitlich auf der Akteursebene zu suchen sind. Im ganzen Umfang können und sollen sie hier jedoch nicht aufgeführt werden. Anstelle dessen werden nachfolgend kurz die Hauptbefunde zusammengefasst. 339 Vgl. Claasen, Heimo: Mob-Hutu – ein nützlicher Diktator, in: Afrika Süd, (September-Oktober 1994) 5, S. 15-17, S. 17 und Stroux, 1996: S. 60ff. 340 Vgl. ebd. S. 63. 341 Matthiesen, 2005: S. 128. 82 Aus Sicht der akteursorientierten Transitionsforschung sind, wie bereits oben erwähnt, die Spaltung der herrschenden Elite in Reformwillige (softliner) und Reformgegner (hardliner) und die damit mögliche Kooperation zwischen Reformbefürwortern des Regimes und der politischen Opposition elementare Voraussetzungen für einen Systemwechsel. Die vorliegenden Analysen des Demokratisierungsprozesses unter Mobutu stellen einvernehmlich fest, dass es zu einer derartigen Kooperation in Zaire nicht kommen konnte 342 , womit „eine zentrale Grundvoraussetzung für Demokratisierung nicht erfüllt“ 343 wurde. In erster Linie waren dafür die speziellen Eigenschaften des neopatrimonialen Systems Mobutus verantwortlich: Die „Kohäsion der relativ kleinen zairischen Staatsklasse“ 344 und die beschriebenen Herrschaftstechniken Mobutus verhinderten die Spaltung der herrschenden Elite: Innerhalb des Regimes gab es „keine einflussreichen Softliner, die den Transitionsprozess ernsthaft [hätten] voranbringen“ 345 können. Die „direkten Zugriffsmöglichkeiten auf die finanziellen Ressourcen des Staates und den Repressionsapparat“ 346 , verschafften dem Regime erhebliche strukturelle Vorteile gegenüber der Opposition. Diese konnte sich aus verschiedenen Gründen nicht zu einem dem Regime ebenbürtigen Gegenspieler entwickeln: Sie scheiterte einerseits wegen ihrer großen Heterogenität sowie Differenzen auf persönlicher, ethnischer und ideologischer Ebene, der erfolgreichen Kooptations- und Spaltungsversuche Mobutus, der starken Repressionen durch das nach wie vor mächtige Regime, einer oft mangelhaften Organisation, fehlender Anbindung an soziale Gruppen und geringer finanzieller Möglichkeiten. 347 Andererseits gaben der wirtschaftliche Niedergang und die allgemeine Instabilität schwere Rahmenbedingungen vor, in denen Konfliktfähigkeit seitens der Opposition kaum aufzubauen war. 348 Die Unterstützung des Demokratisierungsprozesses durch die Geberländer zeigte sich zudem als wenig hilfreich, denn für einen Machtwechsel reichte ihr Einfluss nicht aus: „Die Politik der Troika scheiterte letztlich an ihrem zögernden Verhalten, einer fehlenden Strategie, divergierenden Interessen und einem unzureichenden Sanktionspotential“ 349 . Militärische Interventionen kamen vor dem Hintergrund der Ereignisse in Somalia und Rwanda überhaupt 342 Vgl. Stroux 1996, Stroux 1997 und Schmidt 1998. Schmidt, 1998: S. 233. 344 Ebd. 345 Stroux, 1996: S. 100. 346 Schmidt, 1998: S. 231. 347 Vgl. ebd. 348 Vgl. ebd. 349 Ebd. S. 232. 343 83 nicht als Option in Frage, während sich Mobutu bis Ende 1996 wieder als Garant für Stabilität und als Alternative zum „völligen Chaos in Zaire“ 350 präsentieren konnte. Zusammengefasst ist der blockierte Demokratisierungsprozess des mobutistischen Zaire also zuvorderst das Ergebnis „der erfolgreichen Herrschaftsstrategie Mobutus“, die ihren Erfolg „erstens den vorgegebenen Strukturen des neopatrimonialen Systems und zweitens der Unfähigkeit der Opposition“ 351 mit ihren einerseits „’hausgemachten’ Schwächen“ und der starken Fraktionierung durch Mobutus erfolgreiche „divide et impera-Politik“ 352 verdankte. 7.1.5 Sturz des Mobutu-Regimes Im Jahr 1997 war es Mobutu sieben Jahre lang gelungen, das instabile Zaire mit den zuvor beschriebenen Techniken in einem – wenngleich labilen – Gleichgewicht zu halten und kurzfristig sein politisches Überleben zu sichern. Den Samen, aus dem mittelfristig aber der Krieg erwuchs, der ihn nach 32 Jahren doch endgültig die Macht kosten sollte, hatte er jedoch bereits Jahre zuvor ausgebracht, mindestens aber durch Duldung zur Rebellion heranwachsen lassen. Ein bisher nur beiläufig erwähnter taktischer Zug, mit dem Mobutu seinen Einfluss zwischen 1990 und 1996 trotz der nicht vorhandenen Legitimität seines Herrschaftssystems durch die nicht erbrachten Systemleistungen zu erhalten versuchte, war das Schüren bereits bestehender, zumeist ethnischer Konflikte, um diese für seine Zwecke zu nutzen „und Machtzentren außerhalb seiner Kontrolle einschließlich informeller und krimineller gegeneinander auszuspielen“ 353 , um so seine eigenen politischen Gegner zu schwächen. 354 Die Kivu-Provinzen sind, wie oben erwähnt, seit jeher Ausgangspunkt aller bewaffneten Konflikte im Kongo gewesen. Auch der Krieg, der Mobutu aus dem Amt vertrieb, fand hier im Jahr 1993 seinen Ursprung. Mit der Ernennung Birindwas, einem Angehörigen der rwandischstämmigen Banyarwanda, zum Regierungschef kam es in deren Siedlungsgebiet im Nord-Kivu zu heftigen Zusammenstößen zwischen den einheimischen Milizen der Nandeund Bahunde-Völker und den in ihren Augen unrechtmäßig im Kivu lebenden Banyarwanda sowie zu systematischen Vertreibungen dieser Volksgruppe. 355 Der Konflikt wurde durch die 350 Ebd. S. 233. Schmidt, 1998: S. 234. 352 Ebd. S. 231f. 353 Ludermann, 2004b: S. 75. 354 Vgl. ebd. S. 75f. 355 Vgl. Johnson, 2004a: S. 80. Bereits nach der Wahl Tshisekedis zum Premierminister durch die Nationalkonferenz kam es 1992/1993 zu sehr ähnlichen Vertreibungen von Angehörigen der Volksgruppe Thisekedis, den Baluba, aus Shaba, dem heutigen Katanga. (Vgl. Stroux, 1997: S. 20f.). 351 84 lokalen Behörden am Leben gehalten und geschürt. 356 Ende 1993 wurde vorerst ein formaler Friedensschluss zwischen den Konfliktgruppen erreicht. Durch die Flüchtlingsproblematik in der Folge des Genozids in Rwanda 1994 brach das fragile, 1993 erreichte Gleichgewicht zwischen den Ethnien jedoch zusammen und der Konflikt wurde „unter anderen Vorzeichen reaktiviert“357 . Die Hutu-Flüchtlinge versuchten zwischen 1995-1996 im Nord-Kivu ein „Hutu-Land“ zu schaffen: Vor allem die rwandische Hutu-Miliz Interahamwe brachte neben Massen von Waffen auch den Hass auf die Tutsi mit nach Kivu und führte ihren Kampf hier weiter. Mobutu kam dieser Konflikt gelegen, denn er spaltete die Oppositionshochburg Kivu und so schritt er nur zögernd ein bzw. sorgte durch Einsätze seiner Eliteeinheiten noch für eine Zuspitzung des Konflikts. Seine Machtposition konnte Mobutu auf diese Weise zwar sichern, er zerstörte damit aber auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt und trieb den Staatszerfall weiter voran. Als die Regierung Kengo-wa-Dondo 1995 beschloss, die rwandischen Flüchtlinge auszuweisen, führte die anschließende Flucht der Hutu ins Landesinnere zu einer drastischen Verschärfung des Konflikts. Zwei Monate später begannen die Hutu gemäß dem Plan vom „Hutu-Land“ die autochthonen Tutsi zu vertreiben. 358 Auch der Süd-Kivu wurde von einem ganz ähnlichen Konflikt erschüttert: Hier führte der tief sitzende Rassismus zwischen den Autochthonen und den Tutsi der Banyamulenge zum Ausbruch des Bürgerkrieges.359 Rwanda betrachtete die Festsetzung der Hutu-Milizen und der Ex-Soldaten der rwandischen Hutu-Armee im Nachbarland als Bedrohung, die die Hutu-Flüchtlingslager als menschliche Schutzschilde benutzten und dort ihre Angriffe auf Tutsi in Rwanda vorbereiteten. Ebenso empfanden die Tutsi-dominierten Regierungen in Burundi und Uganda, die sich ebenfalls von den Hutu-Kämpfern in Zaire bedroht sahen: Die logische Folge war die finanzielle, logistische und militärische Unterstützung der Nachbarländer Rwandas, Burundis, Ugandas und Simbabwes für die Rebellion der AFDL Kabilas, die von Oktober 1996 bis Mai 1997 vom Osten des Landes bis Kinshasa durchmarschierte und die Diktatur Mobutus beendete. Die Hauptstadt wurde schließlich am 17. Mai 1997 kampflos von der zairischen Armee an die AFDL übergeben, ohne dass es zu dem von vielen befürchteten Blutbad kam. 360 356 Vgl. Stroux, 1997: S. 23. Ebd. 358 Vgl. ebd. S. 25. 359 Vgl. ebd. S. 27f. 360 Vgl. Johnson, 2004a: S. 83. 357 85 7.1.6 Retardation II: Der Rückfall zur autoritären Herrschaft unter L.-D. Kabila und der „erste afrikanische Weltkrieg“ 7.1.6.1 Machtrausch statt Demokratisierung: Politische Kontrolle kompensiert fehlende Legitimität Mit der Machtübernahme Kabilas verbanden sich im In- und Ausland für den demokratischen Aufbruch große Hoffnungen: „Alle Welt hoffte, nun könne der Kongo wie ein Phönix aus der Asche steigen.“ 361 Kabila versprach die Wiederaufnahme des Demokratisierungsprozesses und die Durchführung von Wahlen binnen zwei Jahren. Die Erwartungen an den neuen Machthaber wurden jedoch herb enttäuscht. Er gab dem Land zwar seinen alten Namen „Demokratische Republik Kongo“ zurück, errichtete jedoch anstelle einer breiten Regierung der Einheit eine personalisierte Willkürherrschaft und machte die DR Kongo zu einem „no-party state“ 362 . 1997 erklärte er sich zum Präsidenten, konzentrierte die gesamte exekutive, legislative und militärische Macht in seiner Hand und regierte fortan per Dekret. 363 Die zivile Opposition fand sich in der neuen Regierung ebenso wenig wieder wie die Partner aus der ADFL, der früheren Rebellenallianz Kabilas, die wenig später offiziell für aufgelöst erklärt wurde. Stattdessen setzte Rwanda durch, dass viele Schlüsselpositionen im Kabinett Kabilas mit kongolesischen Tutsi (Banyamulenge) besetzt wurden, um so rwandischen Einfluss auf die Regierung auszuüben. 364 Rwandas Ziel war die Zerstörung der HutuFlüchtlingslager im Osten des Landes: Die in Milizen organisierten Bewohner der Lager und deren Angriffe stellten immer noch eine Bedrohung für die Nachbarländer dar. 365 Kabila bediente sich in der Folge der gleichen Methoden, die Mobutu seit Ende der 60er Jahre benutzt hatte, um die Opposition aus der Regierung auszuschließen. Politische Parteien wurden von ihm verboten, ihre Anführer inhaftiert, Menschenrechte verletzt und Praktiken der Ämterbesetzung etabliert, die stark Mobutus Klientelismus ähnelten: Kabilas Nepotismus 361 Ebd. International Crisis Group (ICG) (Hrsg.): Scramble for the Congo. Anatomy of an Ugly War, ICG Africa Report No. 26, Nairobi/ Brussels, 20 December 2000, S. 42. Politische Parteien waren offiziell zwar nicht verboten, jedoch wurde ihnen ein restriktives Zulassungsverfahren auferlegt, das in der Praxis nahezu alle Parteien von einer Zulassung ausschloss. (Vgl. ebd.). 363 Vgl. Otemikongo Mandefu Y., Jean: La transition démocratique à l’épreuve des faits en République Démocratique du Congo, in: Congo-Afrique, Jg. 40 (April 2000) 344, S. 220-241, S. 236ff. 364 Vgl. Matthiesen, 2005: S. 39. 365 Vgl. ebd. 362 86 übertraf sogar noch jenen Mobutus. 366 Er stützte sich jedoch auf eine kleinere, enger verknüpfte Gruppe interner Unterstützer, die von seinen Zuwendungen profitierten. Schnell wuchs die Zahl derer, die von Kabilas gebrochenen Versprechen enttäuscht waren. Er war hingegen eher daran interessiert, alten Zusagen aus Kriegszeiten nachzukommen und Schulden aus jener Zeit abzutragen, als das Land aus der Krise zu führen. 367 Seine Herrschaft stützte sich weitgehend auf die Verbündeten im Ausland, für die er jedoch nur solange tragbar blieb, wie er für sie nützlich war und die Kosten um ihn abzustoßen größer eingeschätzt wurden, als die Vorteile, die er ihnen brachte. 368 Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung, die Blockade des Demokratisierungsprozesses und die Behinderung einer geplanten UNUntersuchungskommission zu von Rwanda durchgeführten Kriegszügen gegen die HutuFlüchtlinge im Ostkongo 1996/1997 führten zu einer zunehmenden nationalen und internationalen Isolation Kabilas. 369 7.1.6.2 L.-D. Kabilas Legitimationsversuche Seine Herrschaftslegitimation zog Kabila ausschließlich aus seiner Rolle als Befreier vom Mobutu-Regime. Er schaffte es in den Jahren seiner Herrschaft nicht, eine politische Partei aufzubauen, die ihm Rückhalt hätte geben und zur Mobilisierung der bestehenden Organisationen der Zivilgesellschaft hätte beitragen können. 370 Die Versuche, die Bevölkerung mit den eigens gegründeten CPP (Comités de Pouvoir Populaire) hinter sich zu bringen, scheiterten auf ganzer Linie, und so blieb Kabilas Machtbasis von Anfang an schwach. 371 Die CPP stellten vielmehr Institutionen zur Kontrolle der politischen Opposition dar. 372 Wie schon das mobutistische Regime zeigte sich auch das Herrschaftssystem Kabilas außer Stande, die entscheidenden Problemlösungskapazitäten aufzubauen, um die Systemkrise zu überwinden: Der in der Folge zunehmende Widerstand der Bevölkerung gegen die personalisierte Herrschaft und die sich immer noch rapide zuspitzende ökonomische Krise durch die völlig verfehlte Wirtschaftspolitik der Regierung zwangen auch Kabila 1998 zum 366 Vgl. Gondola, Ch. Didier: The History of Congo, Westport/ London 2002: S. 164ff. Vgl. Johnson, 2004a: S. 83. 368 Vgl. ICG, 2000: S. 40. 369 Vgl. Matthiesen, 2005: S. 130. 370 Vgl. International Crisis Group (ICG) (Hrsg.): How Kabila Lost His Way. The Performance of LaurentDésiré Kabila’s government, Background Paper, ICG Democratic Republic of Congo Report No. 3, 21 May 1999, S. 23. 371 Vgl. ICG, 2000: S. 42. 372 Vgl. International Crisis Group (ICG) Hrsg.): From Kabila to Kabila. Prospects for Peace in the Congo, ICG Africa Report No. 27, Nairobi/ Brussels, 16 March 2001a, S. 18. 367 87 Einlenken. 373 Er versuchte nun mit der Opposition zu kooperieren: Von einer durch den Präsidenten einberufenen Kommission wurden ein Verfassungsentwurf und ein Zeitplan für politische Reformen entwickelt.374 Die Verfassung sollte im Dezember 1998 durch eine Volksabstimmung legitimiert werden. Geplant waren auch die für das Referendum notwendige Volkszählung und die damit verbundene Klärung der Frage nach der Staatsangehörigkeit der Banyamulenge. 375 Als Staatsform wurde ein am Präsidialsystem der USA orientiertes System angedacht, in dem der Präsident mit einem Vizepräsident für fünf Jahre regieren sollte, ergänzt durch ein Parlament mit legislativer Kompetenz und „weitreichenden Kontrollbefugnissen über die Exekutive“ 376 . Ein Gründungsparlament, die ACL-PT (Assemblée Constituante et Législative – Parlement de Transition) wurde im August 2000 in Lubumbashi eingesetzt, dessen 300 Parlamentarier ohne Wahl von Kabila ernannt worden waren, womit jedoch die Versuche Kabilas, seine Herrschaft zu legitimieren schon ihr Ende fanden. 377 Obgleich die Regierungsarbeit für die Bevölkerung hoffnungsvoll begann, wurden die Vorhaben nicht umgesetzt. Kabilas Regierung „fehlte[…] eine langfristige Planung und eine Vision, Gesetze wurden willkürlich geändert, Minister wie Schachfiguren ausgetauscht.“ 378 Trotz der Freilassung mehrerer prominenter Oppositioneller während der Friedensverhandlungen blieb das Regime bei einer harten Linie gegenüber der Opposition.379 Die latente Schwäche des Systems, vergebliche Versuche der Regime-Konsolidierung und die katastrophale ökonomische Situation sowie das Aufbegehren der Bevölkerung suchte Kabila wie auch sein Vorgänger in den folgenden Jahren mit verstärkter Repression zu kompensieren. 380 Die Opposition blieb innerlich trotz gemeinsamer Ziele auf Grund persönlichen Zwistes ihrer Anführer gespalten und zu wenig organisiertem Widerstand fähig. 381 373 Vgl. ebd. S. 41. Vgl. Matthiesen, 2005: S. 40. 375 Ein vereinfachtes und schnelleres Verfahren zum Erwerb der Staatsbürgerschaft wurde von der Verfassungskommission erwägt. (Vgl. ebd.). 376 Ebd. S. 41. 377 Vgl. ICG, 2000: S. 42. 378 Matthiesen , 2005: S. 41. 379 Vgl. Stroux, 2000: S. 201. 380 Vgl. Tull, Denis: Demokratische Republik Kongo, Länderbeitrag, in: Hofmeier, Rolf/ Jakobeit, Cord: Afrika Jahrbuch 2000. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Afrika südlich der Sahara, Opladen 2001, S. 190-205, S. 191. 381 Vgl. Stroux, 2000: S. 201. 374 88 7.1.6.3 Der „erste afrikanische Weltkrieg“ 382 Der Ausbruch des zweiten Kongo-Krieges im August 1998 im Süd-Kivu nahm schließlich einem politischen Wandel jede Chance. Kabila hatte sich immer weiter von Uganda und Rwanda entfernt, u.a. dadurch, dass er die Lage im Osten des Landes nicht in den Griff bekam. 383 Mit der Ausweisung der rwandischen Armee durch Kabila und dem endgültigen Bruch mit seinen ehemaligen Verbündeten begann der Krieg, an dem schließlich mindestens sieben verschiedene afrikanische Staaten beteiligt waren. Die genaue Zahl der Länder, deren Truppen gegeneinander kämpften und der Rebellengruppen, die gegen Kabila kämpften und sich auch untereinander bekriegten, ist unbekannt. 384 Der „erste afrikanische Weltkrieg“ entwickelte sich zu einer sehr komplexen „Verschränkung dreier verschiedener Konfliktarten“ 385 : Erstens, den Auseinandersetzungen zwischen der Zentralregierung und den gegnerischen Rebellengruppen, die Kabila stürzen wollten; zweitens, Konflikten zwischen kongolesischen Volksgruppen, die „in teils politisch induzierte ethnische Auseinandersetzungen“ 386 mündeten und drittens, fremden Bürgerkriegen der Nachbarstaaten Angola, Rwanda, Uganda und Burundi, die auf kongolesischem Gebiet ausgetragen wurden und sich so zum „Stellvertreterkrieg zwischen verfeindeten ausländischen Armeen“ 387 mit immer unklareren Frontlinien entwickelten. In diesem Krieg standen sich im Wesentlichen die Armee der DR Kongo, die von Zimbabwe, Angola und Namibia unterstützt wurde und die von Rwanda, Uganda und Burundi gestützten Rebellen der RCD, deren Abspaltung RCD-ML sowie der MLC gegenüber. Zumeist wurden die militärischen Operationen der Nachbarländer mit anfänglich sicher gerechtfertigten Sicherheitsargumenten begründet. Immer mehr erwiesen sich diese jedoch als Vorwand zur Ausbeutung des rohstoffreichen Ostens des Kongo. 388 382 CNN, 2000. Kabila traf außerdem die weitreichende Entscheidung, den Kongo der Southern Africa Development Community (SADC) beitreten zu lassen und stieß seine Nachbarn so vor den Kopf. Unter Kabila hatten sich die Hutu-Milizen im Osten des Kongo zudem schnell wieder formiert, fielen nach Rwanda ein und verübten 1997 und 1998 „einige ihrer blutigsten Massaker“. (Johnson, 2004a: S. 85). 384 Vgl. Matthiesen, 2005: S. 42. 385 Tull, 2000: S. 197. 386 Ebd. 387 Johnson, 2004a: S. 86. 388 Vgl. u.a. International Crisis Group (ICG) (Hrsg.): Congo at War. A Briefing on the Internal an External Players in the Central African Conflict, ICG Congo Report No. 2, 17 November 1998, S. 14ff. Die Ausbeutung der Rohstoffvorkommen durch die Nachbarländer wurde 2001 durch eine UNUntersuchungskommission offiziell bestätigt. (Vgl.: United Nations Security Concil (Hrsg.): Report of the Panel of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Ressources and other Forms of Wealth of the Democratic Republic of the Congo, New York 2001). 383 89 Parallel zu diesem „großen“ Krieg wüteten vor allem in den Bergbauregionen unzählige, miteinander verschränkte „kleine“ Kriege niedriger Intensität, die zumeist auf ethnischer Ebene begannen, vielfach bewusst und vorsätzlich geschürt wurden und sich in vielen Fällen schließlich zum Selbstzweck entwickelten. Im Norden Katangas, in Maniema, Süd- und Nord-Kivu und im Ituri führten diese Kriege zwischen Hutu und Tutsi, Hema und Lendu sowie verschiedenen anderen Ethnien zur Vernichtung ganzer Dörfer, zu Vertreibungen, Massenmorden und unübersehbar vielen Opfern. Einhergehend entwickelten sich in den Krisengebieten ob der fehlenden ordnenden Staatsgewalt Warlord-Strukturen, die sich durch die Ausplünderung der Rohstoffvorkommen unter Anbindung an weltweite informelle Vertriebsnetzwerke finanzierten und teilweise bis heute bestehen. Ausgangspunkt der Interventionen der ausländischen Armeen und des fortlaufenden Zerfalls des Landes war jedoch nicht der Krieg an sich, sondern innenpolitische Fehlentwicklungen seit Ende des Mobutu-Regimes: Die fortlaufende „Sabotage der Demokratisierung und das bewusste Schüren ethnischer und regionaler Spannungen.“ 389 Am 16. Januar 2001 wurde L.-D. Kabila unter bis heute nicht gänzlich geklärten Umständen erschossen. Für den Kongo bedeutete dies eine neue Chance, war Kabila doch derjenige, der den Friedens- und Demokratisierungsprozess in den vergangenen Jahren am stärksten behinderte. Bereits am 17. Januar 2001 übertrug die Regierung die Amtsgeschäfte auf seinen wahrscheinlichen Sohn Joseph Kabila der wenig später aus seinem Exil in Simbabwe eingeflogen wurde und am 26. Januar 2001 als der Welt jüngster Präsident eines Staates im Alter von 29 Jahren seinen Amtseid ablegte. Die Mitglieder von L.-D. Kabilas Regierung hatten sich schnell auf ihn als Nachfolger geeinigt, da er von allen Seiten akzeptiert wurde und so ein Machtvakuum verhindert werden konnte. Bereits kurz nach der Amtsübernahme und noch bevor die Friedensverhandlungen angelaufen waren, überraschte Joseph Kabila mit einem Bündel von Reformen, einerseits personalpolitischer andererseits wirtschaftspolitischer Natur: So entließ er die Hardliner des Vorgängerregimes, versuchte dem Nepotismus ein Ende zu setzen und ließ nach anfänglich fortgeführtem Parteienverbot und dem Verbot politischer Opposition wieder Parteien zu. 390 Wirtschaftspolitisch setzte Kabila mit seinem Reformkurs alles daran, Wachstum und Währung zu stabilisieren und öffnete die DR Kongo für die freie Marktwirtschaft. IWF und Weltbank stellten daraufhin die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit in Aussicht.391 389 Johnson, 2004a: S. 95. Vgl. Matthiesen, 2005: S. 67. 391 Vgl. ebd. S. 67f. 390 90 7.2 Die Einleitung der Transitionsphase unter Joseph Kabila Der Demokratisierungsprozess in der DR Kongo befand sich etwa elf Jahre nach der Liberalisierung durch Mobutu immer noch in der ersten Phase des dreistufigen Systemwechsels 392 , denn die erfolgreiche Transition, also der tatsächliche Übergang der Herrschaftsstrukturen von autoritärer, personalisierter Machtausübung zu demokratischen Strukturen und Verfahrensweisen, als entscheidender Schritt zum Übergang zur Institutionalisierung der Demokratie, hatte bisher nicht stattgefunden bzw. konnte nicht erfolgreich eingeleitet werden. Stattdessen war der Staat zerfallen und zum failed state geworden: Das Land war in vier verschiedene Einflusszonen zerrissen und zwei Drittel des Kongo standen nicht mehr unter Regierungskontrolle, sondern waren von den verschiedenen Rebellenorganisationen besetzt. Das staatliche Gewaltmonopol war fragmentiert worden und zwischen „Rebellenfraktionen, Einheiten rwandischer, burundischer und ugandischer Armeen und der kongolesischen Regierung aufgeteilt.“ 393 Mit der Amtseinsetzung des jungen Kabila kam der seit der Liberalisierung unter Mobutu 1990 substantiell nicht vorangekommene Systemwechselprozess nun wieder in Bewegung. Die größten Probleme für ein Weiterführen des Prozesses stellten der Stillstand der Friedensverhandlungen und die Wiedervereinigung des Kongo dar. Überraschend setzte der noch sehr junge und politisch unerfahrene Kabila genau hier neue Impulse, revidierte Positionen seines Amtsvorgängers und zeigte sich auf der diplomatischen Bühne gewandt und verhandlungsbereit, weil er erkannt hatte, dass seine Präsidentschaft von äußerer Unterstützung abhing. 394 Der Westen war ihm unter anderem wohl gesonnen, weil er nach der Kündigung aller Bergbauverträge mit US-Unternehmen durch seinen Vater den Markt wieder für Investoren öffnete und mit sich über eine Neuregelung der Schürfrechte reden ließ. Sein Amt hingegen war Joseph Kabila bei aller Gesprächsbereitschaft in Wirtschaftsfragen nicht bereit, zur Disposition zu stellen. 395 392 Vgl. Abb. 2: Systemwechsel – Vom autokratischen System zur Demokratie, S. 41. Matthiesen, 2005: S. 66. 394 Vgl. ICG, 2001a: S. 12ff. Die Unterstützung westlicher Regierungen und Geberinstitutionen für Kabila, weil er aus ihrer Sicht der berechenbarste Akteur unter den politischen und militärischen Kräften war, stellte eine wichtige Säule seiner Machtstellung dar. (Vgl. Tull, Denis M.: Demokratische Republik Kongo, Länderbeitrag, in: Hofmeier, Rolf/ Mehler, Andreas: Afrika Jahrbuch 2003. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Afrika südlich der Sahara, Wiesbaden 2004, S. 183-196, S. 183). 395 Vgl.: Tull, Denis: Demokratische Republik Kongo, Länderbeitrag, in: Hofmeier, Rolf/ Mehler, Andreas: Afrika Jahrbuch 2001. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Afrika südlich der Sahara, Opladen 2002, S. 195210, S. 201. 393 91 7.2.1 Der schleppende Friedensprozess als Grundlage für die Transition Noch unter L.-D. Kabila kam es nach langen intensiven Verhandlungen unter Vermittlung von Sambia, der OAU (Organisation of African Unity, Vorgängerorganisation der AU) und der SADC (Southern African Development Community) am 19. Juli 1999 trotz der großen Interessendifferenzen zum Abschluss des Friedensabkommens von Lusaka, nachdem der internationale Druck auf die Kriegsparteien, endlich ein Friedensabkommen zustande zu bringen, stark zugenommen hatte. 396 In dem von allen Beteiligten unterzeichneten Abkommen wurden unter anderem ein detaillierter Waffenstillstandsplan sowie Pläne für die Befriedung der Region beschlossen. Eine UN-Blauhelmtruppe wurde eingeladen, eine Militärkommission sollte Pläne für die Entwaffnung von Milizen und Rebellen erstellen und der Abzug der ausländischen Truppen wurde angestrebt. Im Anschluss war ein politischer Dialog, der Dialogue Intercongolais, zwischen allen am Konflikt beteiligten Parteien geplant, der den Aufbau des gesamten kongolesischen Staatssystems samt einer neuen Übergangsverfassung und die Wiederaufnahme des Demokratisierungsprozesses zum Ziel hatte. 397 So einmütig das Bild auch wirkte, das im Lusaka-Abkommen gezeichnet wurde: Die Realität wurde ihm ganz und gar nicht gerecht. L.-D. Kabila hatte es zwar unterzeichnet, setzte nun aber alles daran, seine Umsetzung zu verhindern. 398 Er lehnte die Stationierung der UNMission ab, von der bislang nur ein Beobachterkontingent von 500 Mann im Kongo war, boykottierte den im Lusaka-Abkommen vereinbarten innerkongolesischen Dialog und unterdrückte eine öffentliche Debatte und somit eine politische Lösung der Krise: Er erklärte, „der Krieg verhindere die Demokratie.“ 399 Mit verschiedenen Scheinmanövern, wie der bereits erwähnten Konstituierung des Gründungsparlamentes ACL-PT und der späteren Ablehnung des noch 1999 von allen Seiten akzeptierten Vermittlers Kitumere Masire von der OAU torpedierte er den Lusaka-Prozess, dessen Umsetzung unter diesen Vorzeichen unmöglich wurde. 400 Für alle Beteiligten stellte das Friedensabkommen dennoch einen bedeutenden Referenzpunkt für die folgenden Jahre des Friedensprozesses dar. 396 Es ging einerseits um die Kontrolle der großen Rohstoffreichtümer, Rwanda wollte Schutz vor den Übergriffen der Hutu-Milizen aus dem Ostkongo, die Rebellengruppen verlangten die Fortführung des Demokratisierungsprozesses und Kabila wollte seine Machtposition nicht preisgeben. (Vgl. Matthiesen, 2005: S. 42). 397 Vgl. Gondola, 2002: S. 171. 398 Vgl. ebd. 399 Stroux, Daniel: Demokratische Republik Kongo, Länderbeitrag, in: Hofmeier, Rolf/ Jakobeit, Cord (Hrsg.): Afrika Jahrbuch 1999. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Afrika südlich der Sahara, Opladen 2000, S. 199208, S. 200. 400 Vgl. Tull, 2001: S. 192f. 92 Der gewaltsame Tod Kabilas und die Amtsübernahme seines Sohnes brachte die unverhoffte Wende im bis dahin blockierten Friedens- und Demokratisierungsprozess: Joseph Kabila startete eine diplomatische Offensive und erkannte im Gegensatz zu seinem Vater das Lusaka-Abkommen tatsächlich an. Er stimmte zunächst der Stationierung der bereits im Februar 2000 vom Sicherheitsrat geschaffenen UN-Blauhelmtruppe MONUC (Mission de l’Organisation des Nations Unies au Congo) ab März 2001 entlang der Waffenstillstandslinie zu und engagierte sich mit dem von ihm als Vermittler anerkannten Masire bei den Vorverhandlungen und Vorbereitungen des innerkongolesischen Dialogs. 401 Eine erste Verhandlungsrunde in Addis Abeba im Oktober 2001 scheiterte am Streit über Verfahrensfragen. 402 Im März 2002 begann der Dialog dank der intensiven Bemühungen der OAU, der SADC, vieler Staatsmänner und des diplomatischen Einsatzes von Südafrika. 403 Der zweite Anlauf zum innerkongolesischen Dialog im April 2002 in Sun City endete abrupt und lediglich mit einem Separatabkommen zwischen Kabila und Bemba. Das Scheitern dieses zweiten Versuchs war unter anderem darauf zurückzuführen, dass Joseph Kabila nicht über sein Amt verhandeln wollte: Er wünschte sich eine längere Präsidentschaft über die Dauer der Übergangsregierung hinaus, während, bis auf die MLC, alle an den Verhandlungen beteiligten Rebellengruppen nicht einmal dazu bereit waren, ihn als Übergangspräsidenten anzuerkennen. 404 Erste greifbare und notwendige Schritte im Friedensprozess stellten das Friedensabkommen von Pretoria zwischen Rwanda und der DR Kongo vom 30. Juli 2002 und der Friedenschluss von Luanda vom 6. September 2002 zwischen Uganda und der DR Kongo dar. In beiden Abkommen wurde der Abzug der fremden Truppen von kongolesischem Gebiet beschlossen. Gegenüber Rwanda verpflichtete sich Kabila zudem, die rwandischen Hutu-Milizen zu entwaffnen. 405 Ende des Jahres 2002 waren die rwandischen Truppen unter massivem Druck der USA abgezogen, der vollständige Rückzug der ugandischen Armee erfolgte erst im Mai 2003. 406 401 Vgl. Johnson, 2004a: S. 91. Die umfangreichen Vorverhandlungen fanden u.a. in Brüssel, Genf, Nairobi, Abuja (Nigeria) und Gaberon (Botswana) statt. (Vgl. Matthiesen, 2005: S. 78). 402 Vgl. International Crisis Group (ICG) (Hrsg.): The Inter-Congolese Dialogue. Political Negotiation or Game of Bluff?, ICG Africa Report No. 37, Brussels/ Nairobi/ Kinshasa, 16 November 2001b, S. 7ff. 403 Vgl. Matthiesen, 2005: S. 78. 404 Vgl. Tull, Denis M.: Demokratische Republik Kongo, Länderbeitrag, in: Hofmeier, Rolf/ Mehler, Andreas (Hrsg.): Afrika Jahrbuch 2002. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Afrika südlich der Sahara, Opladen 2003a, S. 209-222, S. 212. 405 Vgl. ebd. S. 213. Rwanda und Uganda waren während des Krieges bereits mehrfach mittels UN-Resolutionen zum Truppenabzug aufgefordert worden, kamen dem aber erst mit den Abkommen von Pretoria und Luanda nach. (Vgl. Matthiesen, 2005: S. 78). 406 Vgl. Tull, Denis M.: Neubeginn oder Illusion? Probleme und Chancen der politischen Transition in der DR Kongo, in: Institut für Afrika-Kunde (Hrsg.): Afrika im Blickpunkt, Nr. 02/2003b, S. 2; unter: <http://www.giga-hamburg.de/content/iaa/archiv/aib/AiB2-03.pdf> (05.05.2004). 93 Der Durchbruch gelang nach den im Herbst 2002 wieder aufgenommenen Verhandlungen in Pretoria mit dem Accord Global et Inclusif zwischen den fünf Parteien des innerkongolesischen Dialogs. Unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft und der Vermittlung Thabo Mbekis und dem UN-Sondergesandten Moustapha Niasse einigten sich Vertreter der Regierung, der RCD, der MLC, der Oppositionsparteien und der Zivilgesellschaft nach vier Jahren Krieg und 18 Monate währenden Verhandlungen am 17. Dezember 2002 auf vier zentrale Punkte 407 : 1. In der Übergangsphase bestehen die politischen Institutionen aus Regierung, Parlament und Senat. 2. Nach zwei, spätestens aber drei Jahren werden freie und allgemeine Wahlen zum Parlament und Präsidenten abgehalten. 3. Die bewaffneten Gruppen (auch die Kämpfer der anderen nicht am Dialog beteiligten Rebellengruppen) fusionieren zu einer neuen nationalen Armee, der FARDC (Forces Armées de la République Démocratique du Congo). 4. Die Übergangsregierung besteht aus Präsident Kabila und vier Vizepräsidenten (1+4), davon je einer bestimmt von der Kabila-Regierung, der RCD, der MLC und den Oppositionsparteien. Die 36 Minister- und 25 Vizeministerposten werden im Wesentlichen unter den fünf beteiligten Parteien des innerkongolesischen Dialogs aufgeteilt. 408 Am 1. und 2. April 2003 wurde die Vorlage des Accord Global et Inclusif und die neue Übergangsverfassung von den Delegierten des innerkongolesischen Dialogs in Sun City beschlossen. 7.2.2 Die Friedensmission MONUC der UN Ab 2001 wurde der Friedensprozess vor Ort von der Friedensmission MONUC der Vereinten Nationen begleitet. Bereits im Zuge der Lusaka-Friedensverhandlungen war vom UNSicherheitsrat 1999 eine Beobachtermission von 500 Mann beschlossen worden. In den 407 Interessant ist das Zustandekommen der Vereinbarung: Als die Delegation von Kinshasa nach Südafrika zu den entscheidenden Verhandlungen aufbrach, säumten unzählige Menschen den Weg zum Flughafen und machten „drastisch klar, dass sie vom Krieg genug hatten.“ Die Botschaft der Bevölkerung an die Delegierten war deutlich: “Wenn ihr ohne Friedensvereinbarung zurückkommt, dann kommt besser gar nicht. Denn dann werden wir Euch bei lebendigem Leib verbrennen.“ (Schilderung von Jean Luc Kuye, der zur Abordnung der Zivilgesellschaft gehörte. Johnson, 2004a: S. 94). Die eigentliche Unterzeichnung des Kontraktes durch alle Beteiligten kam erst durch den gewaltlosen, aber massiven Druck von Angehörigen einer Frauenorganisation aus Kinshasa zustande, denen der UN-Sondergesandte Niasse Zugang zu den Verhandlungsräumen in Pretoria verschafft hatte. (Vgl. ebd.). 408 Vgl. Tull, 2003a: S. 215. 94 Folgejahren wurde das Kontingent immer weiter aufgestockt und das Mandat ausgeweitet: Am 24. Februar 2000 bewilligte der UN-Sicherheitsrat die Mission MONUC mit ca. 5.500 Mann und robustem Mandat, die in einer ersten Phase den Waffenstillstand sichern sollte. Die Stationierung in der DR Kongo erfolgte auf Grund der fehlenden Kooperation L.-D. Kabilas erst nach seinem Tod im Jahr 2001. In der zweiten Phase wurden von der MONUC der Truppenrückzug, der Waffenstillstand und das Verbot von Waffenlieferungen überwacht. Mit der dritten Phase, die immer noch andauert, begann der DDRRR-Prozess 409 bezüglich der bewaffneten Rebellengruppen, in erster Linie der ALiR (Armée pour la Libération du Rwanda)/ heute FDLR (Forces Démocratiques du Libération du Rwanda), zu der sich die Interahamwe-Milizionäre und die ehemaligen Soldaten der rwandischen Hutu-Armee zusammengeschlossen hatten. Der auf freiwilliger Basis angelegte Prozess entpuppte sich jedoch als wie erwartet schwierig und sehr langwierig. 410 Im Zusammenhang mit dem Anlaufen des DDRRR-Prozesses wurde die Truppenstärke der MONUC am 28. Juli 2003, kurz nach der Bildung der Übergangsregierung, auf 10.800 Mann erhöht was sie zur teuersten Friedensmission der UN werden ließ. In der vierten Phase war es die Aufgabe der MONUC, die DR Kongo während des Transitionsprozesses zu unterstützen und sie friedlich zu freien Wahlen zu führen. Die Mission wurde in diesem Zusammenhang auf derzeit ca. 16.600 Mann erweitert. 411 In diesem Kontext stand auch das unter der Leitung der MONUC stehende CIAT (Comité International d’Assistance à la Transition), mit dem die internationale Gemeinschaft die Regierung im Demokratisierungsprozess unterstützte: Ihm gehörten neben den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats unter anderem auch Belgien, Südafrika, Angola, Kanada, Sambia, Nigeria und die jeweilige EU-Präsidentschaft mitsamt der EUKommission an. 412 Neben der UNO hat auch die Europäische Union Truppen in die DR Kongo entsandt: Nachdem bereits 2003 im Rahmen der Operation „Artemis“ französische Soldaten der 409 DDRRR = Disarmament, Demobilisation, Repatriation, Reintegration, Resettlement. Der Prozess beinhaltet demzufolge die Entwaffnung der Kämpfer, ihre Demobilisierung, gegebenenfalls die Rückführung in die Herkunftsländer, Reintegration und Wiederansiedlung. Für kongolesische Milizionäre beschränkt sich dieser Vorgang naturgemäß auf DDR (Disarmament, Demobilisation, Reintegration). 410 Besonders problematisch erwies sich die immer noch unbeantwortete Frage, wie mit den Verantwortlichen des Genozids in Rwanda umzugehen sei, da diese die bedeutenden Führungskräfte der ALiR/FDLR bildeten bzw. bilden. (Vgl. International Crisis Group (ICG) (Hrsg.): Disarmament in the Congo: Jump-Starting DDRRR to Prevent Further War, ICG Africa Report No. 38, Nairobi/ Brussels, 14 December 2001c, S. 4ff.). 411 Vgl. Angaben der MONUC; unter: <http://www.un.org/depts/dpko/missions/monuc/facts.html> (20.01.2007). 412 Viele andere internationale Akteure unterstützten den Wahlprozess außerdem: Neben dem UNDP (United Nations Development Program) leisteten viele NGO’s wie z.B. die IFES (International Foundation for Electoral Systems), das EISA (Electoral Institute of Southern Africa) und das NDI (National Democratic Institute) beratende und ausführende Arbeit im Rahmen der Wahlvorbereitungen. (Vgl. Kabemba, Claude: Transitional politics in the DRC. The Role of the Key Stakeholders, in: Journal of African Elections, Vol. 4, (June 2005) 1, S. 165-180, S. 177). 95 EUFOR (European Union Force) im Osten des Landes im Einsatz waren, entsandte die Europäische Union zur Absicherung der Wahlen im Juli und Oktober 2006 eine insgesamt 2.400 Mann starke Truppe, die mit der Absicherung der Wahlen in Kinshasa beauftragt war. 7.2.3 Einsetzung der Verfassungsorgane der Übergangsphase Die Übergangsverfassung trat zwei Tage nach ihrem Beschluss am 3. April 2003 in Kraft und die Regierung nahm am 17. Juli 2003 ihr Amt auf. Präsident Joseph Kabila wurden dem Abkommen entsprechend vier Vizepräsidenten zur Seite gestellt: Azarias Ruberwa (RCD), Jean-Pierre Bemba (MLC), Arthur Zahidi Ngoma (zivile Opposition) und Abdoulaye Yerodia Ndombasi (Kabila-Regierung).413 Bei der Postenverteilung gab es in den Parteien der Opposition Streitereien, sodass die größte Oppositionspartei UDPS unter Etienne Tshisekedi sowie die PALU unter Antoine Gizenga weder an der Übergangsregierung noch am Übergangsparlament teilnahmen. 414 Mit der Ernennung der 36 Minister am 30. Juni 2003 nahm die Übergangsregierung die Geschäfte auf, womit die Transitionsphase, in der die Vorbereitung des eigentlichen Überganges der Macht zu einer demokratisch legitimierten Regierung und demokratischer Ordnung erfolgen sollte, begann. Die Erwartungen an die neue Regierung waren vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den verschiedenen Abkommen, die vor Dezember 2002 ohne jede Verbesserung für die Bevölkerung abgeschlossen worden waren, eher gedämpft. 415 Die formelle Gründung der in der Übergangsverfassung vorgesehenen beiden Kammern erfolgte am 22. August 2003. Das Übergangsparlament stellte mit seinen 500 Parlamentariern, die paritätisch von den fünf Parteien des innerkongolesischen Dialogs ernannt worden waren, das größte Parlament Afrikas dar. Den Vorsitz der Nationalversammlung übernahm Olivier Kamitatu vom MLC, Vorsitzender des 120-köpfigen Senats wurde Marini Bodho für die Zivilgesellschaft. 416 Der Aufgabenkomplex, dem sich die Übergangsregierung gegenüber sah, war von immensem Ausmaß und einer großen Mehrdimensionalität. Hinzu kamen strukturelle Schwächen der Übergangsregierung, wie die große Zahl der vergebenen Ämter, daraus folgende Kompetenzüberschneidungen, territoriale Überrepräsentation in der Regierung, Korruption und Intrigen. 413 Vgl. Gondola, 2002: S. 93. Vgl. Johnson, 2004a: S: 93. 415 Vgl. Matthiesen, 2005: S. 131. 416 Vgl. Tull, 2004: S. 185. 414 96 Da aus der Retrospektive vorweggenommen werden kann, dass der Demokratisierungsprozess nach dieser erfolgreichen Einleitung der die Transition vorbereitenden Phase bislang, trotz aller den Prozess mitunter in seiner Fortführung bedrohenden Probleme, nicht wieder durch wie auch immer geartete Umstände abgebrochen wurde, ist mit der Einsetzung der Regierungsorgane der Übergangsphase die erste Phase des Systemwechsels als weitgehend abgeschlossen zu betrachten. Der Vorgang der Transition im Sinne des eigentlichen Machttransfers auf demokratisch legitimierte Institutionen, zieht sich jedoch im Rahmen der Übergangsphase über den zweiten Abschnitt des Systemwechsels, der Institutionalisierung der demokratischen Ordnung, bis in die dritte Phase, die Konsolidierung. Trotz des bereits vorweggenommenen, insgesamt positiven Verlaufs ist bezüglich dieser, die Transition vorbereitenden Phase eine Einschränkung zu machen: Merkel versteht unter der Transition an sich den Übergang der autoritären Machtausübung zu den demokratischen Kräften. Die eingesetzte Übergangsregierung stellte die Institution dar, die die diese Machtübertragung initiieren sollte: Jedoch ließen einerseits die Herkunft und andererseits das Verhalten der Mitglieder dieses ohne demokratische Legitimation installierten Gremiums, wie nachfolgend beschrieben wird, gravierende Zweifel an ihrem Willen zur Demokratisierung aufkommen. Die Übergangsregierung blieb zwar bis zum Ende der Übergangsphase labil, dennoch gelang der Systemwechsel weitgehend über die Institutionalisierung bis zur beginnenden Konsolidierung der entstandenen demokratischen Strukturen. Wenn auch der Prozess, wie sollte es vor dem Hintergrund des bisherigen Verlaufs anders sein, nicht ohne Verzögerungen und Probleme ablief. Phase II – Die Institutionalisierung der Demokratie 7.3 Die Herausbildung demokratischer Systemstrukturen 7.3.1 Die Arbeit der Übergangsregierung, permanente Gewalt im Ostkongo und die schleppende Reform des Sicherheitssektors Die Nationalversammlung hatte nach ihrer Bildung zunächst über eine ganze Reihe von Gesetzen zu befinden, unter anderem auch über die fünf Institutionen, die den Demokratisierungsprozess fördern sollten (die Wahlkommission CEI (Commission Electorale Indépendante), Wahrheits- und Versöhnungskommission, Anti-Korruptionskommission, 97 Menschenrechtsobservatorium und Medienbehörde). Tatsächlich zeigte sich die gesamte Regierungsarbeit in den ersten Monaten äußerlich frei von größeren Problemen: Kabila war als Übergangspräsident von allen Seiten akzeptiert worden, die Vizepräsidenten und Minister waren zufrieden mit ihren Titeln und fühlten sich wichtig, wenn auch keiner von ihnen durch Wahl an den Posten gelangt war. 417 Ein großes Problem stellte jedoch die teilweise große Inkompetenz der Minister dar, die Anlass mehrerer Umbesetzungen in der Regierung war. Der anfängliche Schein der reibungslosen Zusammenarbeit war ein Trugbild, das sich bald auflöste. Joseph Kabila saß mit Amtsantritt in Kinshasa innenpolitisch immer noch zwischen mehreren Stühlen: seinem eigenen kleinen Machtkern und den ehemaligen Weggefährten seines Vaters, von deren Unterstützung er nach wie vor abhängig war und denen er mit der Ernennung des international geächteten Ultranationalisten Abdoulaye Yerodia Ndombasi zu einem der vier Vizepräsidenten der Transitionsregierung Tribut zollte. 418 Die Arbeit der Übergangsregierung war durch „gegenseitiges Misstrauen, Kompetenzüberschneidungen und Kompetenzstreitigkeiten“ 419 untergraben. Dieses Bild spiegelte sich auch auf lokaler und regionaler Ebene wieder, denn dort blieben die alten Machtstrukturen erhalten, d.h. die Konfliktparteien behielten die Kontrolle über ihre vorherigen Einflusszonen: Eine staatliche Zentralgewalt in Kinshasa war mit der Übergangsregierung somit effektiv nicht zustande gekommen. 420 Sowohl im Parlament als auch in der Regierung gab es wenige Ambitionen, den Demokratisierungsprozess voranzubringen und die Vorgaben aus dem Friedensvertrag zu erfüllen. Ein Jahr nach Amtsantritt der Übergangsregierung waren kaum Fortschritte zu verzeichnen: weder hinsichtlich des neuralgischen Punktes der Übergangsphase, des DDRRRProzesses, noch hinsichtlich der Verfassungsbildung und der Vorbereitung der für Juli 2005 geplanten Wahlen, noch bei der Ernennung von Provinzgouverneuren und der Militärkommandeure der geschaffenen zehn Militärregionen, noch bei der Verabschiedung der zentralen Gesetze, wie dem zur Amnestie, der Staatsbürgerschaft, zum Wahlgesetz und zur Neuformierung des Militärs. 421 417 Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.): Monatsbericht Oktober 2003 – Demokratische Republik Kongo, S. 2; unter: <http://www.hss.de/downloads/Kongo_Bericht_Oktober_2003-2.PDF> (08.02.2005). 418 Vgl. Tull, 2004: S. 183. 419 Ebd. S. 185f. 420 Vgl. ebd. S. 186. 421 Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.): Monatsbericht Juli 2004 – Demokratische Republik Kongo, S. 1f.; unter: <http://www.hss.de/downloads/ DemRepKongo.pdf> (08.02.2005) und vgl. Institute for Security Studies (ISS) (Hrsg.)/ Wolters, Stephanie: Update on the DRC: Is the Transition in Trouble? ISS Situation Report, 20 July 2004a, S. 2. 98 Die Blockade ging in erster Linie von den Regierungsangehörigen aus den Reihen des RCD aus. Vor allem im Osten der Republik verfügte die RCD über wenig Rückhalt in der Bevölkerung, die sie eher als Besatzungsmacht Rwandas ansah. In der Regierung saßen jedoch viele ostkongolesische Vertreter der anderen Parteien mit größerer Popularität, gegen die die RCD bei den Wahlen in jedem Fall verloren hätte. 422 Diese Perspektive der Abwahl bei stattfindenden freien Wahlen war es auch, die die neu entstandene politische Kaste der Übergangsregierung von einem zügigen Fortschritt der Institutionalisierung der Demokratie in der DR Kongo abhielt. Warum sollten die ohne Wahl zu Amt, Würden und Zugriff auf öffentliche Finanzmittel gekommenen Vertreter der Konfliktparteien bestrebt sein, ihre komfortable Stellung durch Wahlen mit Sicherheit zu verlieren? Die umfassende Reform des Sicherheitssektors, d.h. die Schaffung eines einheitlichen Polizeiapparates und der neuen nationalen Armee sowie die Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration der Milizen, wurde ebenfalls nur schleppend und unzureichend aufgenommen. Der DDRRR-Prozess der nicht in die Armee einzugliedernden Milizen wurde einerseits durch die anhaltenden Kämpfe im Osten des Landes blockiert, andererseits vor allem aber dadurch behindert, dass die Regierung nicht in der Lage war, ein Programm vorzulegen, das einen Zeitplan und die Modalitäten festschrieb. Die MONUC war deshalb gezwungen, Entwaffnungsmaßnahmen nur auf ad hoc Basis durchzuführen. 423 Die Reform der Polizeikräfte erfolgte auf ähnliche Weise ohne einen langfristigen Plan und unter schlechter Koordination der Hauptgeberländer und der MONUC. 424 Das Jahr 2004 stellte den ohnehin nicht sehr lebhaften Demokratisierungsprozess auf die bislang härteste Probe und strapazierte ihn bis an den Rand seiner Belastbarkeit. Mehrere zum Teil parallele Krisen warfen den Prozess stark zurück. Der erste, den Demokratisierungsprozess direkt gefährdende Moment ereignete sich Ende März in Kinshasa: In der Nacht vom 27. auf den 28. März 2004 erfolgte ein Putschversuch von Angehörigen der ehemaligen Präsidialgarde Mobutus, DSP (Division Spéciale Présidentielle), mit dem die Übergangsregierung abgesetzt werden sollte. 425 Der Angriff wurde jedoch von den Regierungstruppen abgewehrt. Der Versuch steht unter dem Verdacht, von Kabila selbst inszeniert worden zu sein, um seine Handlungsfähigkeit gegenüber möglichen 422 Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.): Monatsbericht September 2003 – Demokratische Republik Kongo, S. 1; unter: <http://www.hss.de/downloads/Bericht_September_2003_Kongo.PDF> (08.02.2005). 423 Vgl. Tull, 2004: S. 188. 424 Vgl. International Crisis Group (ICG) (Hrsg.): Security Sector Reform in the Congo, ICG Africa Report No. 104, 13 February 2006a, S. 6. 425 Vgl. Tull, Denis M.: Democratic Republic of Congo, Länderbeitrag, in: Mehler, Andreas/ Melber, Henning/ van Walraven, Klaas (Hrsg.): Africa Yearbook 2004. Politics, Economy and Society South of the Sahara, Leiden 2005b, S. 215-228, S. 215f. 99 Entmachtungsversuchen zu demonstrieren. 426 Am 11. Juni 2004 versuchten schließlich Mitglieder von Kabilas Präsidialgarde GSSP (Groupe Spéciale de la Sécurité Présidentielle) die Übergangsregierung mit Gewalt zu stürzen. Sie scheiterten wie auch schon die Anhänger Mobutus wenige Wochen zuvor. 427 Parallel zu diesen Ereignissen in der Hauptstadt dramatisierte sich die Lage in den östlichen Krisengebieten: Die Lage im Osten war seit Kriegsausbruch 1998 trotz des Friedensschlusses zu keinem Zeitpunkt unter Kontrolle. Auseinandersetzungen um den Zugang zu Rohstoffen (speziell Minen) und interethnische Konflikte erschütterten die Region mehr oder weniger permanent. Die Situation verschärfte sich im Mai und Juni 2004 allerdings drastisch, als eine Rebellion unter Laurent Nkunda von der RCD, einem der bedeutendsten Milizenführer des Konfliktes, zu einer von Rwanda unterstützten vorübergehenden Besetzung Bukavus, der Hauptstadt der Provinz Süd-Kivu, führte.428 Bereits zuvor hatten acht Mitglieder der RCD die Regierungsarbeit für einige Tage niedergelegt und gedroht, den Demokratisierungsprozess zu verlassen, weil sie gegen die Inhaftierung eines RCD-Majors protestierten, die bereits zu bewaffneten Auseinandersetzungen in Bukavu geführt hatte. 429 Die Regierungsarbeit kam in der Folge fast vollständig zum Erliegen und stürzte die Regierung in eine tiefe Krise: So offenbarte sich das Ausmaß der Diskrepanz zwischen dem Anspruch der Regierung der nationalen Einheit als zentralisierte Staatsmacht und der Realität der entgegen allen Vorgaben immer noch existenten lokalen und regionalen Machtstrukturen der Regierungsfraktionen, die diese während des Krieges errichtet hatten und in deren Interesse sie weiter agierten. 430 In der Folge eines Massakers von unkontrollierten Angehörigen der kongolesischen Armee an kongolesischen Banyamulenge-Flüchtlingen Mitte August 2004 in Gatumba, zogen die Vertreter der RCD sich erneut aus der Regierung zurück: Erst nach intensiver Vermittlungsarbeit des südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbekis konnte die erneute Krise in der Übergangsregierung vorläufig beendet werden. 431 Ende September 2004 verabschiedete die Nationalversammlung schließlich das lange diskutierte Gesetz zur Lösung der Frage nach der Staatsangehörigkeit, das diese mittels Geburt und per Erwerb ermöglicht und somit den Großteil der rwandophonen Bewohner im 426 Angeblich gab es Gerüchte, Jean-Pierre Bemba habe für April einen Putschversuch geplant. Auf diesen habe Kabila mit dem inszenierten Putschversuch präventiv reagiert. (Vgl. Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) (Hrsg.)/ Badoreck, Ingo: Putschversuch in der DR Kongo?, KAS Länderberichte DR Kongo, 5. April 2004; unter: <http://www.kas.de/proj/home/pub/7/1/year-2004/dokument_id-4435/index.html> (08.02.2005). 427 Vgl. Tull, 2005b: S. 216. 428 Vgl. Institute for Security Studies (ISS)/ Wolters, Stephanie: Continuing Instability in the Kivus: Testing the DRC transition to the limit, ISS Paper 94, October 2004b, S. 2. 429 Vgl. HSS/IBZ, Juli 2004: S. 1. 430 Vgl. Tull, 2005b: S. 217f. 431 Vgl. ebd. S. 218. 100 Ostkongo offiziell zu Kongolesen machte. Außerdem nahm sich das Übergangsparlament der Organisation der angesichts der infrastrukturellen und finanziellen Lage schwierigen Wählererfassung an. 432 Gerade das neue Staatsbürgerschaftsrecht stellte einen großen Schritt dar: Wie schon an anderer Stelle ausgeführt, war die Frage nach der Nationalität der rwandischstämmigen Ethnien im Ostkongo eine der entscheidenden Konfliktursachen im Gebiet der Großen Seen. Das Gesetz allein konnte die Lage im Osten jedoch nicht befrieden, sondern rief zunächst vermehrten Protest der Autochthonen und ethnische Säuberungen hervor. 433 Im November 2004 wurde schließlich auch das neue Armeegesetz verabschiedet, das festgelegte, dass die Hälfte der geschätzten ca. 300.000 Kämpfer der am Konflikt beteiligten Milizen in die Streitkräfte der DR Kongo FARDC integriert werden sollten. Die andere Hälfte stellte den dem DDRRR-Prozess zuzuführenden Teil der Milizen dar. 434 Ein Verfassungsentwurf und die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen für die Abhaltung der Wahlen standen jedoch immer noch aus. Immer wahrscheinlicher wurde, dass der für Juli 2005 angesetzte Wahltermin auf Grund der massiven Verzögerungen nicht eingehalten werden konnte, und so sprach man Anfang 2005 erstmals offiziell über die Verschiebung der Wahlen. In der Folge kam es im Januar zu Generalstreiks und Unruhen, die gewaltsam beendet wurden. 435 Die angespannte nervöse Gesamtsituation offenbarte die Angst der Bevölkerung, abermals um die Demokratisierung betrogen zu werden, wie es in der Geschichte des Landes bereits drei Mal nach anfänglichen Hoffnungszeichen geschehen war. Am 30. Juni 2005 endete die Übergangsphase, innerhalb der die Wahlen ursprünglich hätten abgehalten werden sollen. Die Ziele der fragilen Übergangsregierung waren nach zwei Jahren Amtszeit jedoch immer noch alles andere als in Reichweite und die bisher erlangten Fortschritte waren nur sehr mühsam und nach langen zähen Verhandlungsprozessen erreicht worden. In erster Linie zeichnete dafür die Verweigerungshaltung der RCD, der MLC, aber auch der Teile der Vorgängerregierung in der Übergangsregierung verantwortlich, ihre alten Machtbereiche aufzugeben und die anstehenden Aufgaben gemeinsam zu lösen. 436 432 Vgl. HSS/IBZ, September 2004: S. 2. Vgl. Johnson, Dominic: Jagd auf die „Ruander“ des Kongo, in: die tageszeitung, 29.09.2004c, S. 10. 434 Vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) (Hrsg.)/ Sebahara, Pamphile: Das sicherheitspolitische Umfeld in der DR Kongo, FES Hintergrundberichte aus der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, Bonn 2006, S. 4; unter: http://library.fes.de/pdf-files/iez/03575.pdf (04.04.2006). 435 Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.): Monatsbericht Januar 2005 – Demokratische Republik Kongo, S. 1; unter: <http://www.hss.de/downloads/DemRepKongoJanuar2005.pdf> (10.06.2005). 436 Vgl. ISS/Wolters, 2004a: S. 16. 433 101 Die Übergangsphase wurde im Juni 2005 um ein halbes Jahr mit der Option auf weitere sechs Monate verlängert, wie es von der Übergangsverfassung ermöglicht wurde. Die erwarteten schweren Proteste der Bevölkerung und der von der Übergangsregierung ausgeschlossenen Parteien wie der UDPS gegen die Verlängerung der Übergangsphase blieben weitgehend aus, nicht zuletzt wegen massiver Präsenz von Sicherheitskräften und hartem Vorgehen gegen Demonstranten am 30. Juni 2005, dem Tag des Ablaufs der ursprünglichen Amtszeit der Übergangsregierung. 437 7.3.2 Neuer Schwung in der verlängerten Übergangsphase Bereits vor der Verlängerung der Übergangsphase war der Entwurf einer neuen Verfassung unter massivem Druck des internationalen Komitees zur Unterstützung des Demokratisierungsprozesses CIAT zuerst im März 2005 im Eiltempo vom Senat beschlossen und im Mai schließlich von der Nationalversammlung feierlich angenommen worden. 438 In einem verhältnismäßig reibungslosen Referendum wurde die Verfassung schließlich im Dezember 2005 von der Bevölkerung bestätigt. 439 Das Referendum war verschoben worden, da sich die Wählerregistrierung auf Grund großer logistischer und technischer Schwierigkeiten verzögerte. Auch die Verabschiedung des Wahlgesetzes durch die beiden Kammern verzögerte sich durch unzählige Änderungsanträge bis zum 21. Februar 2006. 440 Hinsichtlich der Reform bzw. des Aufbaus des Sicherheitssektors, der neben dem DDRRRProzess der Rebellengruppen auch die Schaffung eines einheitlichen Polizeiapparates und einer neuen nationalen Armee umfasst, schien sich derweil Bewegung abzuzeichnen. Eine neue Dynamik in dieser, einer der zentralsten Aufgaben, die den Fortschritt des Demokratisierungsprozesses bedingen, schien sich mit dem nahenden Auslaufen der ersten 437 Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.): Monatsbericht Juli/August 2005 – Demokratische Republik Kongo, S. 1; unter: <http://www.hss.de/downloads/DemRepKongoAugust2005.pdf> (06.06.2006) und Vgl. Johnson, Dominic: Tote bei Demonstrationen im Kongo, in: die tageszeitung, 01.07.2005b, S. 9. 438 Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.): Monatsbericht März 2005 – Demokratische Republik Kongo, S. 2; unter: <http://www.hss.de/downloads/DemRepKongoMaerz2005.pdf> (10.06.2005). 439 Vgl. Tull, Denis M.: Democratic Republic of Congo, Länderbeitrag, in: Mehler, Andreas/ Melber, Henning/ van Walraven, Klaas (Hrsg.): Africa Yearbook 2005. Politics, Economy and Society South of the Sahara, Leiden 2005c, S. 217-231, S. 219. 440 Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.): Monatsbericht Februar 2006 – Demokratische Republik Kongo, S. 2; unter: <http://www.hss.de/downloads/Kongo_02-06.pdf> (07.04.2006). Die Mitglieder der Übergangsregierung hatten ein natürliches Bedürfnis, die Wahlen herauszuzögern, um die drohende Abwahl durch die unzufriedene Bevölkerung zu verschieben: Änderungsanträge erwiesen sich in diesem Zusammenhang als probates Mittel. (Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.): Monatsbericht Januar 2006a – Demokratische Republik Kongo, S. 2; unter: <http://www.hss.de/downloads/0601_Monatsbericht_Kongo.pdf> (07.04.2006). 102 Frist der Übergangsperiode aber auch vor dem Hintergrund der wachsenden Gewalt im Ostkongo zu entwickeln. Die bislang betriebene freiwillige Entwaffnung der Milizen, vor allem der FDLR, musste als gescheitert angesehen werden und sowohl die Regierung in Kinshasa, die MONUC und sogar die AU ergriffen nunmehr härtere Maßnahmen. Die MONUC erzielte so durchaus einige Etappenerfolge im DDRRR-Prozess, die Bemühungen der Regierung waren jedoch eher hilfloser Natur, denn die bis auf einzelne Brigaden immer noch sehr unstrukturierte und undisziplinierte Armee tat sich schwer, den jahrelang im Guerillakampf erprobten rwandischen Hutu-Milizen die Stirn zu bieten. 441 So liegen die Fortschritte bei der Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration der Rebellen bis heute hinter den ursprünglichen Plänen zurück. Die Ziele im Rahmen der Bildung der neuen nationalen Armee blieben trotz der mehrmaligen Verschiebung des Wahltermins bis zum 30. Juli 2006 unerreicht: Im Februar 2006 waren erst sechs der geplanten 18 Brigaden formiert, deren Verhalten, Versorgungslage und militärische Leistungsfähigkeit zudem nicht ermutigend wirkten. 442 Eine weitere Verschlechterung der Zustände entstand durch die Selbstbedienung der militärischen Führung am Sold für „fiktive Soldaten“ 443 , die nur auf dem Papier existierten, für die jedoch Sold ausgezahlt wurde – direkt an die Generäle. Immer wieder waren die Soldaten so gezwungen, ihren Lebensunterhalt auf andere Weise, meist mit Gewalt zu sichern. 444 Hinzu kommt, dass die beteiligten ehemaligen Konfliktparteien, die nun nebeneinander in der Übergangsregierung saßen, auch Präsident Kabila, ihre schlagkräftigsten eigenen Einheiten weitgehend aus der Reform des Sicherheitssektors herausgehalten haben, um sich die militärische Option der Korrektur eines nicht erwünschten Wahlausgangs bzw. militärisches Drohpotential zu erhalten. 445 Für die beteiligten Akteure stellte die Wahl in gewissem Maße die „Fortführung des Krieges (1998-2003) mit anderen Mitteln“ 446 dar. Die militärische Entscheidung konnte nicht herbeigeführt werden, so musste nun die Wahl über sie entscheiden: Doch die Konfliktparteien haben nicht sechs Jahre Krieg geführt, „um ihre 441 Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) (Hrsg.)/ Sebahara, Pamphile: Die aktuelle Lage in der DR Kongo: Ein Update zur Verlängerung der Übergangsperiode und zur anhaltenden Gewalt im Osten, FES Kurzberichte aus der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, Bonn 2005, S. 5f; unter: http://library.fes.de/pdffiles/iez/02977.pdf (10.06.2006). 442 Vgl. Tull, Denis M.: Die Demokratische Republik Kongo vor den Wahlen. Chancen und Risiken für den Friedensprozess, Stiftung Wissenschaft und Politik/ Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, SWP-Aktuell Nr. 12, Februar 2006, S. 3; unter: <http://www.swp-berlin.org/de/common/get_document.php?asset_id=2843> (03.04.2006). 443 Misser, François: Fiktive Soldaten halten Kongos Generäle reich, in: die tageszeitung, 15.11.2005, S. 11 und vgl. International Crisis Group (ICG) (Hrsg.): Escaping the Conflict Trap: Promoting Good Governance in the Congo, ICG Africa Report No. 114, 20 July 2006c, S. 10ff. 444 Vgl. ICG, 2006c: S. 12. 445 Vgl. Tull, 2006: S. 3. 446 Tull, 2006: S. 1. 103 soeben erlangte Macht durch Wahlen wieder einzubüßen.“ 447 Darum haben sie ihre Milizen als militärisches Drohpotential aus dem DDRRR-Prozess herausgehalten, allen vorweg Joseph Kabila, dessen Präsidialgarde GSSP größere Schlagkraft besitzt als die kongolesische Regierungsarmee. So unterhielten auch Jean-Pierre Bemba und Azarias Ruberwa bis weit nach den Wahlen eigene, einige hundert Mann starke Kampftruppen, obwohl ihnen nur jeweils eine kleine Leibgarde als Personenschutz zugestanden hätte. Die Gefechte der jüngsten Zeit in Kinshasa zwischen der Regierungsarmee und den Männern Bembas in Folge ihrer Weigerung, sich der Entwaffnung und Demobilisierung anzuschließen, offenbarten das Konfliktpotential der weiterhin nicht entscheidend vorangekommenen Entwaffnung und Demobilisierung der Milizen. 448 Die Übertragung der Aufgabe der Entwaffnung der Rebellengruppen auf die Übergangsregierung, d.h. auf eine Versammlung von Persönlichkeiten, die keinerlei Interesse an einer Auflösung „ihrer“ Rebellenorganisationen hatte, stand ohnehin unter keinen guten Vorzeichen. Die mangelnden Ergebnisse der Reform des Sicherheitssektors sind also in wesentlichem Maße als Resultat dieser Entscheidung zu sehen, für die unter anderem die Weltbank verantwortlich zeichnet. 449 Ein funktionierender einheitlicher Polizeiapparat entstand bis zu den Wahlen ebenfalls nicht: Lediglich in Kinshasa war im Rahmen der EU-Polizeimission EUPOL Kinshasa (European Union Police Kinshasa) eine Einheit von 1.000 integrierten Polizeikräften und eine von der EU, Frankreich, Südafrika und Angola ausgebildete und ausgerüstete 4.000 Mann starke Eingreiftruppe der Polizei einsatzbereit gemacht worden, um die Wahlen in der Hauptstadt abzusichern. 450 7.3.3 Der Aufbau territorialer und funktionaler Repräsentation: Parteiensystem und Zivilgesellschaft Für die zahlreichen Mitglieder der Übergangsregierung und ihre Interessengruppen bedeutete der Amtsantritt 2003 gleichzeitig den inoffiziellen Start des Wahlkampfs. Kabilas Unterstützer hatten bereits 2002 die PPRD (Parti pour la Reconciliation de la Développement) gegründet, die sich von nun an in einem stetigen Aufbauprozess befand, um 447 Ebd. Vgl. Johnson, Dominic: Krieg der Privatarmeen, in: die tageszeitung, 24.03.2007d, S. 11. 449 Misser, François: „Die Armee hat keinerlei Disziplin“, Interview mit dem EU-Sonderbeauftragten für die Großen Seen Aldo Ajello, in: die tageszeitung, 26.03.2007, S. 4. 450 Vgl. International Crisis Group (ICG) (Hrsg.): Congo’s Elections: Making or Breaking the Peace, ICG Africa Report No. 108, 27 April 2006b, S. 6. 448 104 ihm bei den für 2005 bzw. 2006 geplanten Wahlen ausreichenden Rückhalt zu bieten. 451 Auch die anderen Parteien machten sich an den Ausbau bzw. die Revitalisierung ihrer Organisationen in den Provinzen, die nun zumindest formal wieder die Verwaltungseinheiten der DR Kongo bildeten. Die Parteienlandschaft, also die Ebene der territorialen Repräsentation, gab zum Ende der Übergangsphase ein relativ schwaches Bild, das im Wesentlichen bis heute Bestand hat: Die meisten Parteien verfügen über keine ideologischen Grundlagen und sind meist lediglich bestrebt, an der Macht teilzuhaben, ohne über ein klares Programm zu verfügen, das festlegt, was sie mit den angestrebten Entscheidungsbefugnissen anfangen. 452 Zumeist verfügen die Parteien über nur sehr schwache interne Strukturen, sind meist „top down“, d.h. undemokratisch organisiert und es existiert nur eine mangelnde Bindung an ihre Mitglieder und Unterstützer. 453 Auf Grund der somit in der Regel auch nur schwach ausgeprägten Parteidisziplin der Mitglieder, kommt es zu häufigen Wechseln von der einen Partei zur anderen. Finanzielle Schwierigkeiten des Großteils der kleinen Parteien beschränken den Handlungsspielraum zudem meist in starkem Maße. 454 Von Bedeutung waren im Vorfeld der Wahlen neben der schon genannten PPRD lediglich sieben weitere Parteien: die UDPS unter Etienne Tshisekedi, die MLC Jean-Pierre Bembas, die PALU Antoine Gizengas, die PDSC (Parti Démocrate et Social Chrétien), der Rest von Mobutus ehemaliger Einheitspartei, die MPR/FP (Mouvement Populaire de la Révolution – Fait Privé), die RCD mit ihren Abspaltungen und die PCR (Parti Chrétien Républicaine). 455 Die nicht in der Übergangsregierung vertretene politische Opposition verfügte auf Grund ihrer großen Fragmentierung, hervorgerufen durch eine nicht vorhandene Zulassungsbegrenzung von Parteien, kaum über Geschlossenheit: Von den über 400 Parteien in der DR Kongo meldeten sich 269 zu den Parlamentswahlen 2006. 456 Durch den Boykott des Wahlprozesses geriet zudem die größte Oppositionspartei UDPS nachhaltig ins politische Abseits: Ihr wurden im Vorfeld der Wahlen die größten Chancen auf den zweiten Platz, hinter der populärsten Partei, der PPRD Kabilas, vorausgesagt. Im Juli 2006, unmittelbar vor der anstehenden ersten Runde der Präsidentschaftswahlen und der Parlamentswahlen, kam die bis dahin wenig polarisierte kongolesische Parteienlandschaft in Bewegung und es bildeten sich zwei bedeutende Lager. Auf der einen Seite stand Jean- 451 Vgl. Tull, 2004: S. 183. Vgl. Kabemba, 2005: S. 172f. 453 Vgl. ebd. S. 173 und S. 175. 454 Vgl. ebd. 455 Vgl. Kabemba, 2005: S. 173. 456 Vgl. ICG, 2006b: S. 22f. 452 105 Pierre Bemba mit seinem im Juni gegründeten Zusammenschluss kongolesischer Nationalisten RENACO (Regroupement des Nationalistes Congolaises), auf der anderen Seite hielten Joseph Kabila und das Präsidentenlager mit ihrer Plattform AMP (Alliance pour la Majorité Présidentielle) dagegen, die offenbar der UMP (Union pour un Mouvement Populaire) des französischen Präsidenten Jacques Chiracs nachempfunden worden war. 457 Auf der Ebene der funktionalen Repräsentation fällt das Resümee ähnlich aus wie hinsichtlich der Parteienstruktur: Die DR Kongo verfügt über eine in der nachautoritären Zeit rapide gewachsene pulsierende Zivilgesellschaft mit mannigfaltigen Organisationen wie z.B. Menschenrechtsgruppen und Frauen- und Jugendorganisationen. 458 Jedoch fehlt auch hier die interne Strukturierung, die Organisation, die den Interessengruppen die Kapazitäten geben könnte, wirklich effektiv die politische Partizipation zu befördern und politische Entscheidungsprozesse zu beeinflussen. 459 Weitere Probleme sind, wie auch bei einer Vielzahl der Parteien, die verbreitete ethnische Abgegrenztheit der Organisationen, sowie deren interne undemokratische Strukturen: In der Regel gibt der Präsident bzw. Vorsitzende der jeweiligen Gruppierung organisationsintern die Regeln und Postenbesetzungen vor. Die Loyalität der zivilgesellschaftlichen Organisationen gilt allzu oft nur ihrer ethnischen Herkunft bzw. ihrer Finanziers, deren politischen Interessen sie wegen der finanziellen Gebundenheit vielfach entsprechen. 460 Bilanzierend muss festgestellt werden, dass sich allein aus der Notwendigkeit heraus, ob der langen Absenz des Staates im Großteil des Landes zwar eine im Kleinen funktionierende Zivilgesellschaft entwickelt hat, die vielfach im Rahmen der inzwischen etablierten Schattenwirtschaft dazu beitrug bzw. beiträgt das Überleben in gewissen Regionen des Landes zu sichern. Trotz des von ihr ausgehenden massiven Drucks, der dazu beitrug, den Demokratisierungsprozess wieder in Gang zu bringen und trotz ihres großen Einflusses während des innerkongolesischen Dialogs hat die Zivilgesellschaft auf Grund der beschriebenen Faktoren jedoch nicht das Gewicht bekommen, den Demokratisierungsprozess aktiv mitzugestalten und effektive intermediäre Strukturen zur Interessenvermittlung zwischen Gesellschaft und politischen Institutionen aufzubauen. 457 Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.): Monatsbericht September 2006 – Demokratische Republik Kongo, S. 2; unter: <http://www.hss.de/downloads/0609_MB_Kongo.pdf> (20.11.2006). 458 Erwähnt werden muss in diesen Zusammenhang auch die wichtige Rolle der Kirchen, die jedoch durch die langen Jahre des Krieges und durch die ethnischen Zerwürfnisse, die auch sie nicht unberührt ließen, geschwächt wurde. 459 Vgl. Kabemba, 2005: S. 175. 460 Vgl. ebd. S. 176. 106 7.3.4 Die neue Verfassung der DR Kongo vom Februar 2006 Die neue Verfassung der Dritten Republik vom 18. Februar 2006 gab nun den bislang fehlenden Rahmen zur Schaffung regulärer Staatlichkeit in der einsetzenden Phase der Konsolidierung vor. 461 Neben der Verankerung von Menschen- und Bürgerrechten, dem klassischen Prinzip der Gewaltenteilung, eines Mehrparteiensystems und der Bestätigung der exklusiven kongolesischen Staatsbürgerschaft, wurde in der Verfassung die Errichtung eines semipräsidentiellen Regierungssystems mit eingeschränkten, aber weiterhin starken Befugnissen des Präsidenten festgelegt. Er ist der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, erklärt den Krieg, ernennt den Premierminister aus den Reihen der Parlamentsmehrheit sowie die anderen Minister des Kabinetts und kann im Falle einer anhaltenden Krise zwischen Regierung und Parlament die Nationalversammlung auflösen. 462 Er muss ein Mindestalter von 30 Jahren haben, wird in einer direkten Wahl für fünf Jahre gewählt und darf maximal zwei Amtszeiten regieren. Der Premierminister führt die Regierungsgeschäfte und verantwortet sie vor der Legislative: Das bereits in der Übergangsphase Nationalversammlung und Senat bleibt erhalten. bestehende 463 Zwei-Kammer-System aus Nationalrat und Senat können gemeinsam die Entlassung des Premierministers und des Staatspräsidenten beim Verfassungsgericht beantragen. Ebenso ist die Möglichkeit eines Misstrauensvotums der Nationalversammlung gegen die Regierung vorgesehen. 464 Vor dem Hintergrund der territorialen Ausdehnung der DR Kongo und des sich aller Voraussicht nach mittelfristig nicht ändernden Zustands der ländlichen Infrastruktur war eine Stärkung der Provinzregierung dringend nötig, um das Land regierbar zu machen. Rebellen und zivile Opposition, die eine strikt föderale Staatsform gefordert hatten, hatten sich bei der Verfassungsbildung allerdings nicht durchsetzen können: Die neue Verfassung benennt die Staatsform der DR Kongo zwar nicht explizit, bezeichnet sie aber als unteilbaren Einheitsstaat. 465 Den Provinzen wird jedoch eine größere Autonomie als bisher gewährt: Sie verfügen über Rechtspersönlichkeit, werden von eigenen Provinzregierungen und Provinzparlamenten regiert und erheben 40 Prozent der ihnen zustehenden Steuern selbst.466 Anstelle der bisher existierenden Gliederung in elf Provinzen legt die Verfassung die 461 Vgl. République Démocratique du Congo/ Assemblée National: Constitution de la République Démocratique du Congo, Kinshasa Février 2006; unter: <http://www.cei-rdc.cd/news/constitution.pdf> (20.06.2006). 462 Vgl. ebd. Art. 78, 79, 86 und 148. 463 Vgl. ebd. Art. 100. 464 Vgl. ebd. Art. 146. 465 Vgl. ebd. Art. 1. 466 Vgl. ebd. Art. 2. 107 Einteilung der DR Kongo in 25 Provinzen und die Hauptstadt Kinshasa fest 467 , deren gewählte Gouverneure sowie deren Stellvertreter vom Staatspräsidenten eingesetzt werden. 468 Praktisch ergänzen sich also zentralistische und föderalistische Funktionen: Auf der einen Seite zeigt sich Zentralismus mit der staatlichen Kontrolle über die dezentralisierte Verwaltungsstruktur der Provinzen sowie die unteren Verwaltungsebenen, dem einheitlichen Polizeiapparat, der einheitlichen Judikative und der Ernennung der Provinzgouverneure und ihrer Stellvertreter durch den Staatspräsidenten, andererseits gibt es föderalistische Züge durch die Machtabgabe der Regierung in Kinshasa an die durch diese Stärkung der provinzialen Selbstverwaltung autonomeren Provinzregierungen. Vor dem Hintergrund der territorialen Ausdehnung der DR Kongo und des sich aller Voraussicht nach mittelfristig nicht ändernden Zustands der ländlichen Infrastruktur war eine Stärkung der Provinzregierung dringend nötig, um das Land regierbar zu machen. Die von Exekutive und Legislative unabhängige Judikative wurde durch die neue Verfassung ebenfalls reformiert: Der Obergerichtshof, wie es ihn in der Übergangsphase gab, gliedert sich verfassungsmäßig in Verfassungsgericht, Kassationshof (oberster Gerichtshof) und Oberstes Verwaltungsgericht. 469 Als Nationalsymbole wurde die Flagge wieder eingeführt, die bereits 1964 als Nationalflagge gedient hatte. Die Nationalhymne und der Name „Demokratische Republik Kongo“ wurden beibehalten. Dem Phasenmodell Merkels entsprechend, trat der Demokratisierungsprozess in der DR Kongo mit dem Inkrafttreten der neuen Verfassung am 18. Februar 2006 in die dritte und damit letzte, langwierigste Phase des Prozesses ein: Etwa 16 Jahre nachdem Mobutu sich durch den fortschreitenden Niedergang seines Regimes gezwungen sah, zumindest formal eine Öffnung des Systems herbeizuführen und einer etwa genauso langen Zeit der Blockade, der Sabotage und der Verzögerung ging es nun daran, die in einem zähen Prozess und auch erst in Grundzügen entworfenen demokratischen Strukturen zu konsolidieren. Zuvorderst war die große Herausforderung der Abhaltung der Wahlen anzugehen. Vor dem Hintergrund der instabilen Gesamtsituation sowie den zahlreichen beschriebenen, nach wie vor von der Regierung ungelösten Aufgaben und Problemen geben die Vorzeichen dieser Konsolidierung allen Anlass zur Skepsis. 467 Vgl. ebd. Vgl. ebd. Art. 80. 469 Vgl. ebd. Art. 149. 468 108 Zudem sind wichtige Elemente dieser Phase bis heute wie beschrieben nur sehr unzureichend ausgeprägt: Das Parteisystem befindet sich in einem vergleichsweise unstrukturierten Zustand, die Zivilgesellschaft verfügt über relativ geringe Einflussmöglichkeiten. Die Gerichtsbarkeit zeigte sich auch noch in der einsetzenden Konsolidierungsphase schwach, unterfinanziert, politisiert und richtete ihr Fähnchen nach dem Wind des Präsidenten. 470 So wurde der vielfach vorgekommene Machtmissbrauch in dieser Phase nicht durch Gerichte geahndet. Die gesamte politische Kultur auf Parlaments- und Regierungsebene zeigte sich fernab demokratischen Gebarens: Die ICG (International Crisis Group) resümiert im April 2006: „Political advancement still comes trough graft and intimidation. The logic of the ballot has not yet replaced the logic of the gun; it has merely become an appendix to it.” 471 Phase III – Einsetzende Konsolidierung 7.4 Der Wahlprozess 2006 und die Regierungsbildung: Transition Die neue Verfassung der DR Kongo trat nach zweimaliger Verschiebung durch den Präsidenten Joseph Kabila schließlich am 18. Februar 2006 in Kraft. Da die Übergangsphase zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Verfassung noch im Gange war, hatten Teile der Übergangsverfassung für die Dauer des Übergangsprozesses weiterhin Gültigkeit, wodurch die Rechtmäßigkeit der Institutionen der Übergangsphase (wie die 1+4 Regelung hinsichtlich der Regierungsbesetzung) abgesichert wurde. 472 Das Inkrafttreten der Verfassung legte den Grundstein für das am 21. Februar 2006 von Nationalversammlung und Senat in einer gemeinsamen Sitzung verabschiedete Wahlgesetz, dass die Wahlmodalitäten regelte. Am 9. März 2006 trat es mit der Unterzeichnung durch Präsident Kabila leicht verspätet in Kraft. 7.4.1 Für Wahlvorbereitungen: Wählerregistrierung und Wahlkampf die Durchführung der weiteren Wahlvorbereitungen war die unabhängige Wahlkommission CEI verantwortlich. Der nächste Schritt nach Inkrafttreten des Wahlgesetzes war die Benennung der Präsidentschaftskandidaten: Insgesamt stellten sich 33 470 Vgl. ICG, 2006b : S. 22. Ebd. 472 Vgl. HSS/IBZ, Februar 2006: S. 1f. 471 109 Präsidentschaftskandidatinnen und -kandidaten zur Wahl 473 , für die Parlamentswahl meldeten sich mehr als 9600 Kandidatinnen und Kandidaten an. 474 Jedoch wurde nahezu jede mit dem Wahlprozess in Verbindung stehende Frist nicht eingehalten und von der CEI aufgestellte Wahlkalender verloren so wiederholt ihre Gültigkeit: Es kam immer wieder zu Verschiebungen, sei es bei der Anmeldefrist für die Kandidaten, der Veröffentlichung der Liste mit den gültigen Kandidatenanmeldungen, bei der Wählerregistrierung oder in der Konsequenz dem Wahltermin. So konnte auch der ursprünglich angesetzte Wahltermin für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 18. Juni 2006 nicht eingehalten werden. Stattdessen wurde im Ende April von der CEI veröffentlichten Wahlkalender der 30. Juli als endgültiger Wahltermin für die erste Runde der Präsidentschafts- und die Parlamentswahlen festgelegt. 475 Der DR Kongo stand ein wahrer Wahl-Marathon bevor: Insgesamt elfmal wurden die Kongolesen an die Urne gebeten: Nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 30. Juli waren auch noch die 26 Provinzparlamente zu wählen sowie mehrere Kommunalwahlen abzuhalten. Erst danach wurden die zweite Parlamentskammer, der Senat, gewählt und die Provinzgouverneure und Bürgermeister bestimmt. Wählerregistrierung Die Wählerregistrierung stellte einen äußerst komplizierten und langwierigen Prozess dar, mit dem die CEI im Juni 2005 in Kinshasa begann 476 und für dessen landesweite Durchführung sie etwa ein Dreivierteljahr benötigte. Für die Erstellung der fälschungssicheren Wahlkarten musste modernstes technisches Gerät bis in die äußersten Winkel des Landes transportiert werden, das die Größe Westeuropas hat und in weiten Teilen über keine funktionierende Infrastruktur verfügt. 477 Es galt etwa 28 Millionen Kongolesen im wahlberechtigten Alter zu registrieren: Nur waren schon seit Jahren keine Identifikationsausweise mehr erstellt, geschweige denn Geburten- und Sterbefälle registriert worden. Die Existenz eines jeden Wählers musste somit einzeln mittels noch vorhandener Dokumente oder Zeugen überprüft 473 Vgl. Mission d’Observation Électorale de l’Union Européenne (Hrsg.): Manuel de Référence. Élections présidentielles, législatives et provinciales République Démocratique du Congo 2006, Kinshasa 2006, S. 93ff. 474 Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.): Monatsbericht April 2006 – Demokratische Republik Kongo, S. 1; unter: <http://www.hss.de/downloads/0604_Monatsbericht_Kongo.pdf> (05.08.2006). 475 Vgl. ebd. S. 2. 476 Vgl. FES/Sebahara, 2005: S. 3. 477 Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.): Sonderbericht Wahlen 2006 – Demokratische Republik Kongo, Januar 2006b, S. 1; unter: <http://www.hss.de/downloads/Kongo__Sonderbericht_Wahlen_2006_2.pdf> (13.12.2006). 110 werden. War dies erfolgreich geschehen, erhielten die Wähler allerdings einen hochmodernen Wählerausweis mit computergespeicherten Daten, der auch gleichzeitig als Identifikationsausweis dient. 478 Im Februar 2006 war die Wählerregistrierung abgeschlossen: Etwa 25 Millionen Kongolesen hatten sich registrieren lassen. Nicht unter ihnen waren die Anhänger der größten Partei aus der Opposition: Die UDPS unter Etienne Tshisekedi hatte ihre Anhänger im Vorfeld des Verfassungsreferendums dazu aufgefordert, den Wahlprozess und somit auch die Registrierung der Wähler zu boykottieren: Erst als der Wille der Bevölkerung, Wahlen abzuhalten, durch die Bestätigung der Verfassung manifestiert worden war, unterstützte die UDPS den Wahlprozess und versuchte, eine nachträgliche Registrierung ihrer Wähler zu erwirken, jedoch vergebens. 479 In der Folge meldete sich Tshisekedi auch nicht als Präsidentschaftskandidat an. Der vollkommene Ausschluss der UDPS aus dem Wahlprozess, der einem politischen „Selbstmord“ 480 gleichkam, war einerseits bedauerlich, weil sie als „Volkspartei“ nun im demokratischen Ränkespiel fehlte, andererseits schuf der Ausschluss eine sehr unvorteilhafte Ausgangslage für den Wahlprozess, da die UDPS zwar politisch ins Abseits geraten war, jedoch immer noch gute Mobilisierungskapazitäten hatte, und somit Aufrufe der Partei zu Protesten zu erwarten waren. Ungleicher Wahlkampf Die Mobilisierungskapazitäten der UDPS offenbarten sich am Tag des offiziellen Wahlkampfauftaktes. Der UDPS-Generalsekretär hatte unmittelbar vor Beginn des Wahlkampfes nicht nur zum Boykott sondern auch zur Verhinderung des Wahlkampfes aufgerufen. So kam es gleich am ersten Wahlkampftag, dem 30. Juni 2006, zu Demonstrationen der Wahlgegner. 481 Der Wahlkampf wurde von den ressourcen- und aussichtsreichsten Kandidaten dominiert: Joseph Kabila, der symbolisch als unabhängiger Kandidat antrat, Jean-Pierre Bemba vom MLC und Pierre Pay-Pay, dem ehemaligen Zentralbankchef unter Mobutu, der für die CODECO (Coalitions des Démocrates Congolais) antrat. Kabilas und Bembas „erleichterter 478 Vgl. ebd. S. 2. Vgl. HSS/IBZ, Februar 2006: S. 1. 480 Scheen, Thomas: Der Selbstmord einer favorisierten Partei, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.07.2006b; unter: <http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437BAA85A49C26FB23A0/Doc~ED5E17DD863DE491B8 82973EF5D76DD85~ATpl~Ecommon~Scontent.html> (23.09.2006). 481 Vgl. Johnson, Dominic: Konfuser Wahlkampfauftakt im Kongo, in: die tageszeitung, 01.07.2006c, S. 10. 479 111 Zugang“ 482 zu den staatlichen Ressourcen ermöglichte ihnen im Vergleich zu den anderen Präsidentschaftskandidaten einen flächendeckenden Wahlkampf im infrastrukturell unerschlossenen Kongo. Beiden chancenreichen Kandidaten gleich war die politische und ideologische Inhaltslosigkeit ihres Wahlkampfs: Gegen Kabila wurden vor allem von seinem ärgsten Konkurrenten Bemba, der sich als „Sohn des Landes“ darstellte, nationalistische Argumente lanciert: Kabila sei ein Ausländer, ein Rwander, vertrete somit die Interessen des ungeliebten Nachbarn und habe den Kongo „durch unvorteilhafte Verträge ans Ausland verkauft“ 483 . Mit diesem Bezug auf seine eigene „Congolité“ beherrschte Bemba die Wahlkampfdebatte, die er mit den ihm gehörenden Radio- und Fernsehstationen zusätzlich zu seinen Gunsten anheizen konnte. Kabila nutzte die Anfeindungen Bembas, um sich als gemäßigter Kandidat zu profilieren. Er stellte sich als Friedensbringer und Präsident der Einheit dar. 484 Ein politisches Programm, eine politische Nachwahlperspektive für die Zukunft des Landes präsentierte keiner der beiden Kontrahenten. Die aus vielen Gründen mangelnden Möglichkeiten des Großteils der Wähler, sich politisch zu informieren, erschwerten zudem einen landesweiten politisch inhaltlichen Wahlkampf. In Kinshasa bzw. den urbanen Ballungszentren wäre dies noch am ehesten möglich gewesen, da man hier die politische Debatte durch die erhöhte Medienpräsenz am intensivsten führen kann. 485 Die Polarisierung, die sich trotz des fehlenden inhaltlichen Diskurses zwischen der Plattform AMP Kabilas und der RENACO Bembas entwickelte, entstand folglich vorwiegend aus machtpolitischen Bestrebungen, denn auf Grund politischer Kontroversen. Während des gesamten Wahlkampfes war die Lage im gesamten Land sehr angespannt und spitzte sich immer weiter zu, je näher der Wahltag rückte. Durchgehend kam es zu Zusammenstößen zwischen Kabilas und Bembas bewaffneten Kräften. Die Angst vor Wahlbetrug war groß, zumal bekannt wurde, dass einige Millionen mehr Wahlzettel als nötig gedruckt worden waren und aus Sicherheitsgründen nur in 53 der 64 Wahlzentren, in denen die Wahlergebnisse zusammengetragen werden würden, europäische Wahlbeobachter zugegen sein würden. 486 Mit dem Wahlkampfauftakt kamen auch die ersten Soldaten der 482 Stroux, Daniel: Wahlen im Kongo: Das Ende einer langen Transition? Giga Focus Nr. 9/2006, German Institute of Global and Area Studies, Institut für Afrika Kunde, Hamburg 2006, S. 3. 483 Vgl. ebd. S. 2. 484 Vgl. ebd. 485 Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.): Sonderbericht Wahlen. Wahlen im Kongo: Aufbruch in die Fremde, Juli/August 2006, S. 3; unter: <http://www.hanns-seidel-stiftung.de/downloads/Kongo_Wahlkampf.pdf> (13.12.2006). Die Medien boten jedoch zumeist Propaganda und einseitige Informationen, je nachdem, welchem Kandidaten das entsprechende Medium hörig war. 486 Vgl. Johnson, Dominic: Wo Granaten aus den Hosentaschen rutschen, in: die tageszeitung, 27.07.2006e, S. 8. 112 EUFOR RD Congo, der Schutztruppe der EU, die den friedlichen Ablauf der Wahlen absichern sollte, in der Hauptstadt an. Von Mitte Juni bis Ende November 2006 waren zwischenzeitlich ca. 2.400 Mann der vorwiegend von Frankreich und Deutschland gestellten Truppe im Kongo, d.h. in Kinshasa, bzw. als Reserve in Gabun stationiert. 487 7.4.2 Die ersten freien Wahlen in der DR Kongo seit über vier Jahrzehnten Erste Runde der Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen Am 30. Juli 2006 fanden mit den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der DR Kongo die größten jemals von der UN überwachten und mit mehr als 420 Millionen US$ „wohl auch die teuersten [Wahlen] in der Geschichte der modernen Demokratie“488 statt. Nach angespannten Wochen im Vorfeld verlief der Wahlsonntag hingegen in relativer Ruhe. Die lange Zeit der Stimmauszählung und sich häufende Berichte über zahlreiche Unregelmäßigkeiten ließen die Wochen nach der Wahl umso turbulenter werden. Am 20. August 2006 war schließlich klar, dass die beiden favorisierten Kandidaten Kabila und Bemba in eine schon im Vorfeld auf den 29. Oktober 2006 gelegte Stichwahl ziehen müssten. Bemba hatte insgesamt nur 20% der Stimmen geholt, Kabila jedoch mit 44,8% die nötige absolute Mehrheit verfehlt. Überraschend besetzte Antoine Gizenga von der PALU, der Weggefährte des ersten Präsidenten Patrice Lumumba, den dritten Platz hinter den beiden Favoriten. Bemba hatte in Kinshasa und weiten Teilen des Westkongo mit seiner nationalistischen Propaganda die Mehrheiten auf sich vereint, während Kabila mit seinem auf die Erfolge im Friedensprozess fokussierten Wahlkampf vor allem im kriegsgeschüttelten Osten Wählerstimmen hatte ziehen können. Bereits vor Bekanntwerden des amtlichen Endergebnisses fand eine sehr starke, aggressive Polarisierung zwischen Kabila und Bemba statt. 489 Nach der Bekanntgabe des Ergebnisses kam es in der Hauptstadt zwei Tage lang zu schweren Auseinandersetzungen zwischen den 487 Der Einsatz der Truppe bzw. deren Umfang war auf europäischer Seite lange Gegenstand heftiger Kontroversen. (Vgl. z.B. Johnson, Dominic: Europäische Planspiele in Kinshasa, in: Le Monde diplomatique, 07.07.2006d, S. 9). Auf der Seite der Kongolesen weckte der Truppeneinsatz verbreitet Skepsis, denn in den Augen vieler stellte die französisch dominierte EUFOR lediglich die Absicherungstruppe für den Wahlsieg des Frankreich-Verbündeten Kabila dar. (Vgl. z.B. Johnson, Dominic: EUFOR mahnt Kongos Opposition mit Tiefflügen, in: die tageszeitung, 28.07.2006f, S. 9). 488 Scheen, Thomas: Unrealistische Erwartungen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.04.2006a; unter: <http://www.faz.net/s/Rub28FC768942F34C5B8297CC6E16FFC8B4/Doc~EE743A646D19149C49D7CB000A 2C91152~ATpl~Ecommon~Scontent.html> (08.04.2006). Die DR Kongo trug von den Kosten nur etwa 20 Mio. Der Rest wurde zur Hälfte von der EU samt ihren Mitgliedstaaten finanziert. 489 Johnson, Dominic: Kongo auf einer Reise ins Ungewisse, in: die tageszeitung, 07.08.2006g, S. 10. 113 vom DDRRR-Prozess ferngehaltenen Privatarmeen der Kontrahenten, der Präsidialgarde Kabilas und der Miliz Bembas. Erst intensive diplomatische Bemühungen des CIAT, des Präsidenten Südafrikas Thabo Mbeki, des EU-Außenministers Javier Solana und des Präsidenten der AU, Denis Sassou-Nguesso führten Kabila und Bemba schließlich Mitte September bei einem Treffen zusammen, das den weiteren friedlichen Verlauf der Wahlen sichern sollte. 490 Hinsichtlich der Wahl zur Nationalversammlung zeigte sich ein ähnliches Ergebnis wie bei den Präsidentschaftswahlen: Die AMP Kabilas war mit ca. 44% und rund 230 Sitzen wegen der knapp verfehlten absoluten Mehrheit der 500 Sitze des Parlaments auf einen Koalitionspartner zur Regierungsbildung angewiesen, die Plattform RENACO Jean-Pierre Bembas erzielte 23% und erhielt damit 116 Sitze. 491 Gizengas PALU sicherte sich mit 34 Sitzen den dritten Platz und wurde so zum Königsmacher für die beiden Kandidaten der Stichwahl. Am 22. September 2006 trat die neu gewählte Nationalversammlung zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Die Stichwahl Kabila gegen Bemba Der zweite Wahlgang der Präsidentschaftswahlen und die Provinzparlamentswahlen waren auf den 29. Oktober 2006 gelegt worden. 492 So begannen sich im Vorfeld neue Allianzen zu bilden: Bemba seinerseits tat sich mit zahlreichen anderen ehemaligen Präsidentschaftskandidaten zusammen und gründete die UN (L’Union pour la Nation), die Bembas immer noch stark medialisierten Wahlkampf unterstützte. Mitte September waren dessen zwei Fernsehsender und seine Radiostation in Kinshasa mit unbekannter Ursache abgebrannt, danach jedoch wieder auf Sendung gegangen. 493 Auf der anderen Seite gab Antoine Gizenga überraschend bekannt, dass er und seine PALU Kabila für die Stichwahl unterstützen würden. Sein Preis dafür war allerdings hoch: Kabila verpflichtete sich dazu, 490 Seit den Ereignissen vom 20. bis 22. August hatten Kabila und Bemba unter Vermittlung der MONUC eine Kommission zur gegenseitigen Vertrauensbildung gegründet, die gemeinsam Militärpatrouillen durchführte. (Vgl. Stroux, 2006: S. 3). 491 Vgl. Stroux, 2006: S. 4. 492 Verfassungsgemäß hätte die Wahl binnen 15 Tagen nach Verkündung der Ergebnisse des ersten Wahlgangs abgehalten werden müssen. Logistische Probleme rechtfertigten jedoch die Verschiebung, die vom Obersten Gerichtshof bestätigt wurde. 493 Vgl. Stroux, 2006: S. 2. Bembas Radiosender wurde von Medienexperten mit dem Propagandasender “Radio Mille Collines“ verglichen, der beim Genozid in Rwanda eine unheilvolle Rolle gespielt hat. Auch Kabila nutzte die nationalen Rundfunksender, um seine Wahlpropaganda zu verbreiten. (Vgl. Speiser, Dunja: DR Kongo: Etappensieg. Bei der Präsidentschaftswahl bleibt die internationale Gemeinschaft gefordert, Stiftung Wissenschaft und Politik/ Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, SWP Aktuell Nr. 43, September 2006, S. 2; unter: <http://www.swp-berlin.org/de/common/get_document.php?asset_id=3287> (12.10.2006). 114 dass die PALU im Falle eines Wahlsieges den Premierminister stellen dürfe. 494 Auch Nzanga Mobutu, der Sohn Mobutu Sese Sekos, der ebenfalls als Präsidentschaftskandidat angetreten war, kündigte seine Unterstützung für Kabila an. 495 Die DR Kongo verharrte kurz vor dem Tag der Entscheidung in einer Angststarre. 496 Auch die Stichwahl verlief, trotz des im Vorfeld sowohl für die Präsidentschaftswahl als auch für die Provinzwahlen wieder sehr aggressiv geführten Wahlkampfes und der Befürchtungen nach den Auseinandersetzungen im August, die offiziell 23 Tote forderten, relativ friedlich und ruhig. Das Problem stellte jedoch nicht der Wahltag selbst, sondern eher die unmittelbare Zeit danach dar: Zwar hatten sich die Plattformen Kabilas und Bembas Ende Oktober verpflichtet, das Wahlergebnis zu akzeptieren und sich friedlich zu verhalten, eine Garantie war dies jedoch nicht: Bemba hatte in Kinshasa etwa 1.000 Kämpfer, Kabila ca. 5.000 Mann unter Waffen und schweres Gerät in seinen Militärkasernen zusammengezogen. 497 Der im Vorfeld erwartete deutliche Sieg Kabilas stellte sich nicht ein: Bemba konnte sein Wahlergebnis von 20% im ersten Wahlgang auf 42% in der Stichwahl mehr als verdoppeln. Kabilas Wahlsieg mit 58% wurde am 27. November 2006 vom Obersten Gericht bestätigt, womit auch Jean-Pierre Bemba seine Ablehnungshaltung der Wahlniederlage aufgab, nicht jedoch seine Kritik am Wahlablauf und seine Zweifel an der Unparteilichkeit der CEI. Im Großen und Ganzen fanden die Wahlen internationalen Beobachtern zufolge weitgehend frei und demokratisch statt. Vereinzelte Unregelmäßigkeiten mussten, die Umstände der Durchführung berücksichtigend, schlicht einkalkuliert werden. Der weitgehend friedliche Ablauf der Wahlen ist jedoch eher dem “glücklichen“ Wahlausgang als allein der Präsenz internationaler Truppen zuzuschreiben: Neben den EUFOR-, MONUC- und PolizeiPatrouillen bewirkte nicht unwesentlich die entgegen geltender Vereinbarungen vorgenommene und von internationaler Seite tolerierte massive Ballung der KabilaStreitkräfte in Kinshasa die weitgehend friedliche Hinnahme des Wahlergebnisses. Größere gewalttätige Auseinandersetzungen nach der offiziellen Bekanntgabe der Ergebnisse blieben bis auf einige Ausnahmen um die gerichtliche Anfechtung des Ergebnisses durch Bemba somit aus. 494 Vgl. HSS/IBZ, September 2006: S. 3. Vgl. ebd. 496 Vgl. Johnson, Dominic: In Angststarre, in: die tageszeitung, 28.10.2006h, S. 6. 497 Vgl. ebd. 495 115 7.4.3 Regierungsbildung und vollzogene Transition Nach dem planmäßigen Ende der EUFOR-Mission Ende November 2006 498 wurde Kabila am 6. Dezember 2006 in Kinshasa als Präsident vereidigt. Zum Jahresende ernannte Kabila Antoine Gizenga per Dekret zum Premierminister, und erfüllte damit die vor der Stichwahl getroffene Abmachung mit Gizenga. Erwartungsgemäß verliefen die Wahlen der Provinzparlamente, der Gouverneure wie auch das Zusammentreten des Senats und die Bildung der neuen Regierung durch Gizenga nicht ohne Verzögerungen. Überraschend setzte sich die Plattform der Regierungsparteien auch bei der Mehrzahl der Provinzwahlen durch und kontrolliert nun sieben der elf Provinzen. Auch die Wahlen zum Senat am 19. Januar und die Wahl der Provinzgouverneure am 27. Januar 2007 499 entschied die Allianz Kabilas mehrheitlich für sich. 500 Bei den Präsidentschaftswahlen hatte Bemba noch die Mehrzahl der Provinzen für sich gewonnen. Offiziell abgeschlossen war die Regierungsbildung erst nach über zwei Monaten der koalitionsinternen Verhandlungen mit der Bekanntgabe der Besetzung der insgesamt 60 zu vergebenen Regierungsämter am 5. Februar 2007. 501 Sechs Staatsminister-, 34 Minister- und 20 Vizeministerposten waren zu vergeben: Von den durch Gizenga eingesetzten Persönlichkeiten waren 70% der Öffentlichkeit unbekannt, was als Anzeichen gesehen wurde, dass sich die DR Kongo womöglich endlich von der etablierten alten Herrschaftselite löst. 502 498 Die Akzeptanz der EUFOR-Soldaten seitens der kongolesischen Bevölkerung hatte nach der anfänglichen Skepsis stark zugenommen und verbreitet gab es Hoffnung, das Mandat würde bis zum Abschluss der Regierungsbildung verlängert werden. (Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.): Monatsbericht Oktober 2006 – Demokratische Republik Kongo, S. 3f.; unter: <http://www.hss.de/downloads/0610_MB_Kongo.pdf> (02.01.2007). Die europäische Ausbildungsmission für Polizeikräfte EUPOL (European Union Police) wurde jedoch um ein weiteres halbes Jahr verlängert. (Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.): Monatsbericht November 2006 – Demokratische Republik Kongo, S. 2; unter: <http://www.hss.de/downloads/0611_MB_Kongo.pdf> (02.02.2007). 499 In den beiden Kasaï-Provinzen mussten die Wahlen wegen Unregelmäßigkeiten bei den Anmeldungen der Kandidaten auf den 15. Februar 2007 verschoben werden. (Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung (HSS)/ Institut für Internationale Begegnung und Zusammenarbeit (IBZ) (Hrsg.): Monatsbericht Januar/Februar 2007 – Demokratische Republik Kongo, S. 2; unter: <http://www.hss.de/downloads/0702_MB_Kongo.pdf> (15.03.2007). 500 Keine Überraschung stellte die Wahl Bembas zum Senator dar. Unter den Senatoren befinden sich auch einige namhafte ehemalige Regierungsmitglieder der Übergangsphase und teilweise sogar noch aus der MobutuÄra. (Vgl. HSS/IBZ, Januar/Februar 2007: S. 2). 501 Der Einigung waren wochenlange Diskussionen über den komplizierten Parteienproporz und die Dominanz der AMP vorausgegangen, die 18 Ministerposten erhielt. Der PALU Gizengas kamen sechs Posten zu. Aufsehen erregte die Vergabe des Landwirtschaftsministeramtes an den Mobutu-Sohn Nzanga Mobutu. Daneben führte auch die Ernennung André Kasongo Ilungas zum Außenhandelsminister zu Irritationen: Er trat sein Amt nie an und seine Identität konnte nicht abschließend geklärt werden. Seiner Partei zufolge existiere der zum Minister Ernannte überhaupt nicht. (Vgl. HSS/IBZ, Januar/Februar 2007: S. 2). Nur neun Ministerposten gingen an Frauen. 502 Vgl. Johnson, Dominic: Gute Posten für Kabilas Freunde, in: die tageszeitung, 07.02.2007c, S. 10 und vgl. Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) (Hrsg.)/ Ostheimer, Andrea Ellen: Was lange währt wird letztlich gut…? 116 Am 24. Februar 2007 erfolgte die Amtseinführung der Regierung Gizenga vor dem Parlament. Damit war der Transitionsprozess im Sinne der Übertragung der illegitimen Machtausübung auf demokratisch legitimierte, verfassungsmäßige Institutionen, eingeleitet durch die Übergangsphase, endgültig abgeschlossen. Naturgemäß ist mit dieser Transition jedoch erst der Grundstein für die weitere Entwicklung gelegt worden: Massive Probleme stellen sich der gewählten Regierung und einer erfolgreichen Konsolidierung der jungen kongolesischen Demokratie in den Weg. Die unmittelbare Nach-Wahl-Situation soll im Folgenden kurz umrissen werden. Unter Punkt acht wird auf die Aspekte der Konsolidierung gesondert eingegangen. 7.4.4 Geleerte Staatskassen nach den Wahlen Die finanzielle Lage der DR Kongo nach den Wahlen stellt sich katastrophal dar: Obwohl der bedeutendste Teil der Wahlkosten von der internationalen Gemeinschaft getragen wurde, haben die Wahlen die Staatskassen geleert. Nicht unwesentlich trugen dazu die beiden Spitzenkandidaten Kabila und Bemba bei, die ihre Wahlkampfkosten weitgehend mit staatlichen Ressourcen gedeckt zu haben scheinen. Anfang 2006 hatte die Weltbank Haushaltszuschüsse für die DR Kongo gestoppt, weil die Regierung Zuwendungen in Höhe von 200 Mio. US$ nicht belegen konnte. Es ist zu vermuten, dass Teile der Mittel in den Wahlkampf geflossen sind: Kabila gab insgesamt angeblich etwa 50 Millionen US$ für Wahlkampfzwecke aus, Bemba etwa 20 Millionen. 503 Das Haushaltsdefizit verfünffachte sich in der zweiten Jahreshälfte 2006 von im Juni 5 Mrd. FC (Franc Congolais), was etwa 7,5 Mio. € entspricht, auf 27 Mrd. FC (ca. 40 Mio. €) im Oktober. 504 Der latente Zustand der Unsicherheit während der Wahlphase ließ die Inflation ebenfalls wieder zunehmen: Im November betrug sie offiziell ca. 20%. 505 Die Zusammenarbeit mit den Bretton-Woods-Institutionen war, wie beschrieben, wieder aufgenommen worden, umfangreiche Entschuldungsprogramme wurden der DR Kongo im Falle der Einhaltung strikter Vorgaben des IWF und der Weltbank in Aussicht gestellt und auch die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit zwischen der DR Kongo und den Regierungsbildung in der DR Kongo findet ihren Abschluss, KAS Länderberichte DR Kongo, 6. Februar 2007, S. 1; unter: <http://www.kas.de/db_files/dokumente/laenderberichte/7_dokument_dok_pdf_10098_1.pdf> (08.03.2007). 503 Vgl. Tull, 2006: S. 3. 504 Vgl. HSS/IBZ, November 2006: S. 3. 505 Vgl. ebd. 117 Geberländern ist wieder angelaufen. Erst kürzlich unterzeichnete z.B. Frankreich mit Kabila ein Abkommen über 235 Millionen Euro Entwicklungshilfe. 506 Die wirtschaftliche Lage ist dennoch nach wie vor katastrophal, der Lebensstandard des Großteils der Bevölkerung alarmierend und bedrohlich für den Konsolidierungsprozess: Im an natürlichen Ressourcen reichsten Land Afrikas beträgt das durchschnittliche jährliche ProKopf-Einkommen ca. 120 US$ (2005). 507 7.4.5 Die unverändert kritische Sicherheitslage während und nach den Wahlen Die vielfältigen Mahnungen im Vorfeld der Wahlen, sollten Recht behalten 508 : Erfolgreich abgehaltene Wahlen bedeuten für die DR Kongo noch lange nicht automatisch Frieden, Stabilität und Aufschwung. Während des Wahlprozesses war die Sicherheitslage im Osten des Kongo unverändert kritisch: Im Süd-Kivu kam es im November 2006 zu schweren Gefechten zwischen der FDLR und der kongolesischen Armee. Zeitgleich startete Rebellenführer Nkunda mit seiner neu gegründeten CNDP (Congrès National pour la Défense de Peuple) im Nord-Kivu eine Offensive gegen die Regierungsarmee und die MONUC, obwohl er im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen Gesprächsbereitschaft mit dem neuen Präsidenten angekündigt hatte. 509 Erst Mitte Januar konnte der erneute, heftige Gewaltausbruch um den rwandischstämmigen Nkunda reguliert werden: Unter rwandischer Vermittlung schlossen Kabila und Nkunda Frieden. Das Ergebnis war in erster Linie ein Abkommen zur Machtabsicherung Nkundas. Seine Rebellengruppe kontrolliert nun weiterhin die von ihnen beherrschten Regionen rund um Goma, jedoch wurde sie mit einem Teil der kongolesischen Armee FARDC zu zwei gemischten Brigaden zusammengeführt – die Strukturen behielten die Rebellenformationen allerdings, ebenso ihr eigenes Kommando. 510 Im Gegenzug verpflichtete sich Nkunda, mit seinen Truppen nicht mehr gegen die Regierungsarmee zu kämpfen. Stattdessen sollten die beiden entstandenen Brigaden die immer noch aktiven rwandischen Hutu-Milizen bekämpfen. Zu den bis dahin schwersten Unruhen seit der Wahl kam es Anfang Februar 2007 im Zusammenhang mit den vom Regierungslager gewonnenen Gouverneurswahlen in Kinshasa 506 Vgl. Johnson, Dominic: Hilfe aus Paris, in: die tageszeitung, 26.03.2007g, S. 4. Vgl. Angaben des Auswärtigen Amtes; unter: <http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laender/KongoDemokratischeRepublik.html> (12.12.2006). 508 Vgl. etwa Johnson, Dominic: Auf tönernen Füßen. Die Wahlen im Kongo sind noch lange kein Garant für Frieden, in: Internationale Politik, Jg. 61, (April 2006b) 4, S. 50-56 und Tull, 2006 sowie Scheen, 2006a. 509 Vgl. Johnson, Dominic: Kongos neuer Krieg weckt alte Spannungen, in: die tageszeitung, 20.12.2006j, S. 10. 510 Vgl. Johnson, Dominic: Kongos neuer Krieg ist vorerst beendet, in: die tageszeitung, 22.01.2007a, S. 10 und vgl. Johnson, 2007d. 507 118 und der Provinz Bas-Congo, in deren beiden Provinzparlamenten das Oppositionsbündnis Bembas die Mehrheit hält. 511 Ein daraufhin ausgerufener Generalstreik wurde mit massiver Gewalt durch die Polizei und die Regierungsarmee beendet.512 7.5 Systemtheoretische Einordnung und Typisierung des Systemwechsels 7.5.1 Systemtheoretische Einordnung des Systemwechsels Im Rahmen der Darstellung des Verlaufes des Demokratisierungsprozesses ab der Ermordung L.-D. Kabilas wurde die theoretische Reflexion zugunsten der Übersichtlichkeit der Schilderung des Prozesses vernachlässigt. Deshalb soll im Folgenden eine nachträgliche systemtheoretische Einordnung des Prozesses erfolgen. Stabilität bezieht ein politisches System in entscheidendem Maße aus seiner Fähigkeit, die Probleme zu lösen, die ihm von systeminterner und systemexterner Seite gestellt werden. Ist diese Problemlösungskapazität nicht in ausreichendem Maße vorhanden, arbeitet das System also ineffizient, kommt es einerseits systemintern zu Destabilisierungstendenzen, die das Gesamtsystem gefährden, andererseits durch die fehlende Anpassungsfähigkeit des Systems an seine Umwelt zu Diskrepanzen mit eben jener Umwelt, also mit den Systemen, die ihrerseits Wandlungsdruck auf des ineffizientere System ausüben. Denn: „Nur Systeme, die in der Lage sind, Umweltbedingungen sich schnell, anzupassen, effektiv und haben auf ressourcenschonend Dauer eine an veränderte Stabilisierungs- und Existenzchance.“ 513 Die Systemkrise infolge des Staatszerfalls, in der die DR Kongo im Jahr 2001 steckte, war das Resultat eines langen Erosionsprozesses, der bereits mit dem Putsch und der Machtübernahme Mobutus 1965 und der Etablierung seines kleptokratischen Regimes einsetzte. 514 Unter Punkt 7.1.1 und 7.1.2 wurden die Gründe bereits umrissen, die zum Niedergang des Systems unter Mobutu führten. Die Systemkrise setzte sich unter L.-D. Kabila fort: Anstelle 511 Im Rahmen der Wahlen war es augenscheinlich zu massiven Korruptionsfällen gekommen, die die kuriosen und von der Bevölkerung angezweifelten Wahlergebnisse erklären würde. (Vgl. Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) (Hrsg.)/ Ostheimer, Andrea Ellen: Dominanz der Alliance pour la Majorité Présidentielle (AMP) konsolidiert sich in den demokratischen Institutionen der DR Kongo, KAS Länderberichte DR Kongo, 31. Januar 2007, S. 1; unter: <http://www.kas.de/db_files/dokumente/laenderberichte/7_dokument_dok_pdf_10049_1.pdf> (04.03.2007). 512 Vgl. Johnson, Dominic: Vorwürfe gegen Kongos Armee, in die tageszeitung, 06.02.2007b, S. 11. Auch angolanische Truppen rückten ein, um den Generalstreik niederzuschlagen. Wenige Wochen später besetzten sie Teile der Provinz Bandundu auf der Suche nach illegal eingewanderten Kongolesen. (Vgl. HSS/IBZ, Januar/Februar 2007, S. 3). 513 Sandschneider, 1995: S. 123. 514 Vgl. Tull, 2005a: S. 78. 119 der Überwindung der Krise dramatisierte sich die Lage durch den zweiten Kongokrieg und den bereits unter Mobutu heraufbeschworenen und nun forcierten Staatszerfall noch. Über Problemlösungskapazitäten, d.h. Leistungsfähigkeit, verfügte das System zu diesem Zeitpunkt in keinem der relevanten Bereiche in ausreichendem Maße 515 : - - - - Weder politisch noch sozial hatte das System infolge des Staatszerfalls noch eine integrierende Wirkung. Es existierte kein souveräner Nationalstaat mehr, das staatliche Gewaltmonopol war weitgehend aufgelöst und die durch die geschürten ethnischen Konflikte aufgerissenen Gräben zogen sich tief durch die Gesellschaft. Ressourcenmobilisierung war durch den auf nationaler Ebene handlungsunfähigen Rumpfstaat nicht mehr möglich. Von internationaler Anpassungsfähigkeit im Sinne der Befähigung des Systems, friedlich geregelte Beziehungen zu anderen Staaten aufrecht zu erhalten konnte auch nur noch eingeschränkt gesprochen werden: International war die DR Kongo unter L.-D. Kabila schließlich sehr isoliert. Die Beteiligung der Bevölkerung an politischen Entscheidungsprozessen war trotz der scheindemokratischen „Reformversuche“ Kabila Seniors nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Von einer Verteilung des Sozialproduktes durch wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen, auch jenseits des Marktes konnte keine Rede sein: Nicht einmal mehr der Markt existierte. Die wirtschaftliche Lage war katastrophal, während Kabila versuchte, sie mit Mitteln, die noch aus Zeiten des Kommunismus stammten, zu konsolidieren. Die öffentliche Versorgung, Sozialleistungen, Gesundheitswesen usw. lag brach. In diesem Kontext maximaler Destabilisierung wirkte die Ermordung Kabilas als dramatisierender Moment, der die verbliebenen Systemstrukturen marginalisierte. Zum Zeitpunkt der Ernennung Joseph Kabilas zum neuen Staatspräsidenten herrschte überspitzt formuliert „Systemlosigkeit“. Die Systemkrise, die zuvorderst durch die weiterhin nicht vorhandenen Problemlösungskapazitäten des Systems hervorgerufen worden war, führte die DR Kongo im Rahmen des Staatszerfalls und dem Mord an L.-D. Kabila somit in einen enorm strukturschwachen Zustand: Im Osten des Landes füllten die sich in den 90er Jahren etablierenden Warlordstrukturen, Muster politisierter Ethnizität und eine Rückbesinnung auf althergebrachte, traditionale Formen der Organisation des Zusammenlebens diese Strukturlosigkeit teilweise aus. Auf der Ebene des Gesamtsystems fehlte jedoch eine effektive funktionale Strukturierung. Mit der Ernennung Joseph Kabilas waren die politischen Karten trotz der Hypotheken bei den Getreuen des Vaters neu gemischt. In diesem Zustand der Labilität bestand weiterhin der 515 Vgl. Punkt 3.2.3, S. 28f. 120 bereits unter Mobutu und Kabila Senior gewachsene systeminterne Druck von Seiten der Zivilgesellschaft, die sich trotz ihrer schwachen Organisationsstrukturen „zu einem wichtigen und nicht mehr zu übersehenden Faktor bei der Demokratisierung des Landes entwickelt“ 516 hatte. Das Herrschaftssystem L.-D. Kabilas hatte jede Legitimation verloren, wie die verheerende Leistungsbilanz des Systems offenbart: Für die Bevölkerung war schlicht die Grenze des Zumutbaren erreicht, der Unmut über die Lebenssituation der verarmten Masse und die Kriegsmüdigkeit trat offen zutage. Die Liberalisierungsphase unter Mobutu hatte der Opposition eben doch zu einem gewissen Grad an Organisation verholfen. Vor allem die Medien übernahmen hier wichtige Aufgaben, auch wenn sie sich unter L.-D. Kabila immer wieder Repressionen ausgesetzt sahen. Andererseits kam der Wirkung des internationalen Kontexts eine gesteigerte Bedeutung zu, die Schmitter, wie an anderer Stelle erwähnt, in die vier verschiedenen Kategorien timing, events, trends und cycles unterscheidet. 517 Das timing betreffend sind mehrere Faktoren zu berücksichtigen: Für die Gebergemeinschaft waren zum Zeitpunkt der Machtübernahme Joseph Kabilas verschiedene Prioritäten bedeutend: einerseits die Einhaltung von Menschenrechten und die Einführung und Etablierung demokratischer Normen (die Beendigung des Krieges und Demokratisierung der DR Kongo), und andererseits wirtschaftliche Interessen bezüglich des Zugangs zu den Rohstoffvorkommen der DR Kongo. Nicht zuletzt durch die im Kongo stationierten UNBlauhelme und die, zugegebenermaßen nur leicht gesteigerte Medienpräsenz des Konflikts war die internationale Gemeinschaft zudem unter größerem Zugzwang sich in den Konflikt einzubringen. So erfolgte durch die internationale Gemeinschaft von außen ein massiver Druckaufbau auf den neuen Machthaber, den labilen Systemzustand in Richtung der Belebung des seit Jahren stagnierenden Friedens- und Demokratisierungsprozesses zu lenken. Joseph Kabila war auf die äußere Unterstützung angewiesen, denn über systeminterne Legitimation verfügte er nicht. Die internationale Gemeinschaft war ihrerseits bereit seine Machtposition zu sichern, weil sie in ihm den berechenbarsten Akteur sah, der obendrein bereit war, dem westlichen Ausland den Zugang zu den Rohstoffreichtümern der DR Kongo zu gewährleisten. So wurde Joseph Kabila zur Wiederaufnahme des Friedens- und des Demokratisierungsprozesses gedrängt. 516 Matthiesen, 2005: S. 142. Vgl. Punkt 5, S. 55ff. timing: aktuelle internationale Normen, außenpolitische Bündnisfaktoren, regionale Konstellationen; events: Kriege, militärische Interventionen oder massive Kapitalflucht; trends: Art und Weise der Integration in den Weltmarkt; cycles: internationale Lage der Wirtschaftskonjunktur und Auslandsverschuldung. 517 121 Die entscheidenden Aspekte die Kategorie der events betreffend wurden bereits genannt: Der Kriegszustand und der Staatszerfall hatten verheerende Auswirkungen auf alle Gebiete des gesellschaftlichen Lebens. Andererseits hatten sich die Rahmenbedingungen für den Friedensprozess dahingehend geändert, dass die wirtschaftlichen Interessen der in den Konflikt eingebundenen Nachbarländer im Osten durch den erwähnten UN-Bericht über die illegale Ausbeutung der Rohstoffe offenbart worden waren, und sich somit ihre strategische Position im Konflikt erheblich verschlechterte. Die bislang verwendete Sicherheitsargumentation vor allem Rwandas und Ugandas hatte vor diesem Hintergrund stark an Glaubwürdigkeit verloren. Bezüglich der Integration der DR Kongo in den Weltmarkt, die Schmitter unter der Faktorengruppe trends einordnet, ist die Feststellung zu machen, dass eine derartige Einbindung der DR Kongo nicht existierte. Lediglich auf der Ebene illegalen Rohstoffhandels durch internationale illegale Netzwerke erfolgte der Warenaustausch. Ein regulärer Außenhandel war faktisch unmöglich. Auch die Weltwirtschaftslage hatte auf Grund der in der DR Kongo zum überragenden Großteil auf Schattenwirtschaft basierenden Wirtschaft im Land keinen bedeutenden direkten Einfluss. Die formelle Wirtschaftstätigkeit war mit dem Staatszerfall nahezu bedeutungslos geworden. Auf der anderen Seite hatte die massive Auslandsverschuldung einen destabilisierenden Einfluss auf die Regierung und trug wahrscheinlich auch zur Gesprächsbereitschaft Joseph Kabilas mit der Gemeinschaft der Geberländer bei. Die Vorzeichen für den Systemwechsel waren also andere und die Situation zeigte sich dieses Mal folglich ergebnisoffener als noch 1990, als Mobutus kohärente Staatsklasse wie eine undurchdringliche Masse jede ihre Macht und Wohlstand gefährdende Veränderung erstickte und 1996, als die Demokratisierung so nah schien und schließlich doch in der Herrschaft Kabila Seniors und dem verheerenden Krieg in Afrikas Mitte endete. Letztlich läuft die Betrachtung des Systemwechsels aus theoretischer Perspektive jedoch auf die große Frage der politischen Systemwechselforschung hinaus. System oder Akteur, Struktur oder Handlung: Was bestimmt in letzter Konsequenz den Verlauf? 518 Es ist systemtheoretisch nur sehr vage zu erklären, warum sich mit Joseph Kabilas Amtsübernahme der Demokratisierungsprozess wieder in Gang setzte. Sind die systemischen bzw. strukturellen Zwänge durch den bestehenden systeminternen und den systemexternen Druck für Kabila so groß gewesen, dass es für ihn keine andere Wahl gab, als sich der vom systeminternen wie externen Reformdruck vorgegebenen Richtung anzuschließen? Oder 518 Vgl. Merkel, 1996. 122 gaben ihm diese Einflüsse lediglich sehr stark eingeengte constraints, d.h. Handlungskorridore vor, in deren Rahmen er sich auch für einen anderen, mit Sicherheit riskanteren Weg hätte entscheiden können? War es also letzten Endes doch der Akteur Kabila selbst, der sich auf Grund einer rationalen Präferenzanalyse dafür entschied, seine Machtstellung mit der internationalen Gemeinschaft im Rücken durch das Revidieren der Positionen seines Vaters in Richtung freier Marktwirtschaft, Konzilianz in den Friedensverhandlungen und der Wiederbelebung des Demokratisierungsprozesses zu sichern? Die Antwort auf diese Frage wird ohne eine eingehende Analyse des Prozesses, die auch die Akteursebene einschließt nicht verlässlich zu beantworten sein. Die Systemwechselforschung Akteursverhaltens sieht konfrontiert: Systemwechselprozess der DR sich Als permanent deutliches Kongo ist mit der Unwägbarkeit Beispiel aus dem z.B. die starke des dargestellten Verzögerung des Demokratisierungsprozesses unter der Übergangsregierung heranzuziehen: Neben den strukturellen Problemen innerhalb der Regierung, sowie allgemeinen logistischen und technischen Schwierigkeiten spielten taktische Einflüsse und Strategien der Akteure in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle. Die Abhaltung freier Wahlen war für den Großteil der Interessengruppen und ihrer Vertreter, die durch die paritätische Zusammensetzung der Übergangsregierung von 2003 ungewählt zu Amt und Würden gekommen waren, gleichbedeutend mit dem Verlust eben jener Machtposition und des Zugriffs auf öffentliche Geldquellen: Aus welchem Grund hätten sie also mit dem Vorantreiben des Wahlprozesses ihren neu erworbenen Status gleich wieder aufgeben sollen? Wie unter Punkt fünf ausgeführt, sind eingehende mehrdimensionale Untersuchungen des Systemwechselprozesses von Nöten, die alle relevanten Ebenen in die Analyse einbeziehen, um so ein umfassenderes Bild der Vorgänge des Prozesses zu erhalten. Eine derartige Systemwechselanalyse geht jedoch weit über den gesetzten Anspruch und die Möglichkeiten dieser Arbeit hinaus. 7.5.2 Typisierung des Systemwechsels Eine Typisierung des Systemwechsels der DR Kongo nach den sechs von Merkel beschriebenen Idealtypen gestaltet sich schwierig und muss zweigeteilt beantwortet werden: einerseits bezogen auf den verhinderten Systemwechsel unter Mobutu Anfang der 90er Jahre und andererseits bezüglich des Systemwechsels unter Joseph Kabila und der Übergangsregierung. 123 Die Systemkrise, die das Mobutu-Regime spätestens Mitte bis Ende der 80er Jahre voll ergriffen hatte, provozierte einen Regimewechsel von unten, der jedoch nicht vollendet wurde. 519 Er mündete in einen ausgehandelten Systemwechselprozess, der infolge der Ressourcenübermacht des ancien régimes zu großen Teilen erfolgreich blockiert werden konnte. Die weiterhin bestehende systemimmanente ökonomische Krise, der Zerfall des Staates und der von L.-D. Kabila fortgeführte Machtmissbrauch verursachten ein weiteres Anwachsen der Delegitimation: Seine Ermordung schließlich hätte infolge des Machtvakuums wahrscheinlich zu einem totalen Regimekollaps geführt, wäre nicht Joseph Kabila binnen weniger Tage als neuer Machthaber installiert worden. Die Frage, welchen Typ der infolge der von Joseph Kabila bzw. der internationalen Gemeinschaft angeregten Wiederbelebung des Demokratisierungsprozesses vollzogene Systemwechsel darstellt, ist schwierig zu beantworten: Einerseits war der systeminterne Druck durch die Zivilgesellschaft gegeben. Er hatte bereits unter Mobutu zu einer, jedoch nur teilweise vollzogenen Öffnung des Systems beigetragen und L.-D. Kabila zurück an den Verhandlungstisch mit Rwanda und Uganda in Lusaka gezwungen. 520 Ohne den internationalen Druck hätte die Wiederaufnahme des Systemwechselprozesses unter Joseph Kabila in dieser Form jedoch mit Sicherheit nicht stattgefunden, vielleicht sogar überhaupt nicht. Dennoch ist der Prozess am ehesten als von unten erzwungener Systemwechsel zu sehen, denn mutmaßlich wäre die Legitimitätsschwäche einer möglichen neuen autoritären Herrschaft unter einem Nachfolger L.-D. Kabilas nur mit so hohen Kosten, d.h. massiver Repression, auszugleichen gewesen, dass das Erreichen eines einigermaßen stabilen autoritären Systems sowohl kurz als auch mittelfristig unrealistisch gewesen wäre. An dieser Stelle von einem durch die Delegitimation des Systems erzeugten point of no return zu sprechen ist sicher ein wenig überzogen, denn die erfolgte Wiederaufnahme des Demokratisierungsprozesses durch Joseph Kabila kann nicht als einzige und ausschließliche Entwicklungsmöglichkeit gesehen werden. Der Druck durch die Bevölkerung sowie der internationale Druck machten diesen Weg aber zum wahrscheinlichsten, wobei natürlich immer die bereits erwähnte Unwägbarkeit des Akteurshandelns berücksichtigt werden muss. Die lange Dauer der mehrfach verlängerten Übergangsphase spiegelt deutlich das Desinteresse der an der Übergangsregierung beteiligten ehemaligen Konfliktparteien an einem Fortschreiben 519 520 des Demokratisierungsprozesses wider. Das massive Drängen der Vgl. Stroux, 1996: S. 122. Vgl. ebd. S. 125 und vgl. Matthiesen, 2005: S. 142. 124 internationalen Gemeinschaft auf Fortschritte in der Übergangsphase war der wichtigste Garant dafür, dass die in der Übergangsverfassung festgelegte maximale Länge der Übergangsfrist überhaupt einigermaßen eingehalten wurde. Es sind bei diesem Systemwechsel jedoch auch Elemente des ausgehandelten und des von alten Regimeeliten gesteuerten Systemwechsels zu erkennen: So war es Joseph Kabila, der aus der Position des Staatspräsidenten heraus (unter dem systeminternen und -externen Druck) den Friedensprozess wieder belebte. An den Verhandlungen zur Übergangsphase waren schließlich alle relevanten Akteure beteiligt, Rebellengruppen, Regierung und zivile Opposition, die sich in einem zähen Verhandlungsprozess zur Übergangsregelung durchrangen. Genauere Erkenntnisse zu allen Faktoren, die den Systemwechsel beeinflussten, wird, wie bereits betont wurde, erst eine mehrdimensionale Untersuchung des Demokratisierungsprozesses bringen, die auch die Strategien der beteiligten Akteure innerhalb der vorgegebenen strukturellen Grenzen und Zwänge beleuchtet. 125 8. Stand der demokratischen Konsolidierung im März 2007 und zentrale Konsolidierungsprobleme Vor dem beschriebenen Hintergrund und zu einem Zeitpunkt, da gerade erst einige Monate seit den Wahlen vergangen sind, nach Anzeichen der Konsolidierung einer demokratischen Ordnung in der DR Kongo zu suchen scheint – zurückhaltend formuliert – schwierig. Dennoch sollen im Folgenden, auf das Ebenenmodell der Konsolidierung Wolfgang Merkels zurückzugreifend, sofern möglich, in kurzer Form Momentaufnahmen der verschiedenen Konsolidierungsebenen gemacht werden. 8.1 Konsolidierungsebenen Merkel zufolge vollzieht sich die Konsolidierung, wie oben bereits ausgeführt wurde, auf vier analytischen Ebenen, die in einer zeitlichen Abfolge stehen und zu großen Teilen aufeinander aufbauen 521 : 1. Konstitutionelle Konsolidierung 2. Repräsentative Konsolidierung 3. Verhaltenskonsolidierung 4. Konsolidierung einer Bürgergesellschaft 8.1.1 Konstitutionelle Konsolidierung (Makro-Ebene: Strukturen) Die konstitutionelle Konsolidierung erfolgt auf der Makroebene und umfasst die grundlegenden politischen Verfassungsinstitutionen wie eine gewählte Regierung, Parlament, Wahlsystem und Judikative. Formell gesehen, ist die Einsetzung der in der neuen Verfassung der DR Kongo festgelegten Institutionen bislang nur zum Teil erfolgt: Das vorgeschriebene Wahlsystem hat mit dem logistisch extrem anspruchsvollen und weitgehend westlichen Kriterien genügenden Wahlmarathon des vergangenen Jahres zumindest seine Funktionalität als demokratisch organisierter Machtzugang bewiesen. Von Konsolidierung im Sinne eines gefestigten Bestandteils des demokratischen Verfahrens in der DR Kongo kann jedoch keine Rede sein. Als Fußnote muss den Wahlen zudem der Aspekt der massiven internationalen 521 Vgl. Punkt 4.1.3, S. 45ff. 126 Unterstützung, sowohl finanzieller als auch logistischer Art, angefügt werden, ohne die deren Durchführung nicht möglich gewesen wäre. Aus den Wahlen sind eine formell der Verfassung entsprechende, demokratisch legitimierte Regierung und ein Staatsoberhaupt, sowie ein Zwei-Kammer-System hervorgegangen. Über den Konsolidierungsgrad lässt sich bislang allerdings noch kein Urteil bilden. Ohne Frage wird der legitime Machtanspruch der Regierung jedoch weiterhin von Kräften in der Gesellschaft in Frage gestellt bzw. abgelehnt. 522 Bezüglich der Judikative muss die Frage nach Konsolidierung einer unabhängigen Gerichtsbarkeit klar negativ beantwortet werden: Eine viel zu geringe Zahl von Gerichten und Richtern sowie Korruption, Geldmangel und politische Einflussnahme sorgen nach wie vor verbreitet für Straflosigkeit und verhindern die Etablierung der Judikative als Kontrollinstanz der Regierung. 523 8.1.2 Repräsentative Konsolidierung (Meso-Ebene: Akteure) Die repräsentative Konsolidierung betrifft die territoriale und funktionale Interessenrepräsentation: Wie bereits unter Punkt 7.3.3 ausgeführt, weisen diesbezüglich sowohl das Parteiengefüge als auch die zivilgesellschaftliche Organisation in der DR Kongo trotz der großen Bandbreite von Parteien einerseits und zivilgesellschaftlichen Interessengruppen andererseits einen zu geringen Organisationsgrad auf, um eine effektive Interessenrepräsentation auf beiden Ebenen zu ermöglichen. Zudem stellen strukturelle Hemmnisse, wie ungeklärte Finanzierungsfragen oder die Verteilung der Gruppierungen und Interessenvertretungen entlang ethnischer Grenzen, zusätzliche Hürden dar. Die bloße, in der DR Kongo ohne Frage vorhandene Differenzierung der Gesellschaft reicht nicht aus: Damit sie integriert sein kann, ist ein gewisses Maß an Organisation zwingend nötig, um so gemeinsamen Interessen auf politischer Ebene Gehör zu verschaffen. 524 Ein funktionierendes System verbandlicher Selbstorganisation der Gesellschaft stellt gerade bei Systemwechseln eine entlastende Stütze für die jungen politischen Institutionen und die 522 Die jüngsten Unruhen in Kinshasa im März 2007 haben gezeigt, dass das staatliche Gewaltmonopol selbst in den ruhigeren Landesteilen nach wie vor keinen ausreichenden Bestand hat: Ganz abgesehen von den Unruheprovinzen: Der in einigen Regionen im Osten des Landes weiterhin bestehende Kriegszustand und die zu Teilen immer noch nicht entwaffneten und demobilisierten Milizen in der DR Kongo stellen die bedeutendsten Herausforderungen für die Konsolidierung der Regierung dar. 523 Ende 2006 verfügte die DR Kongo bei etwa 60 Mio. Einwohnern nur über etwa 60 Gerichte und ca. 2500 Richter. (Vgl. Eveleens, Ilona: Kongos zahnlose Freiheitswächter, in: die tageszeitung, 29.11.2006, S. 10.) 524 Vgl. Merkel, 1999, S. 160. 127 politischen Parteien dar, die oftmals mit unerfahrenen Eliten besetzt sind 525 : Die mäßige Konsolidierung dieser Ebene wirkt sich entsprechend negativ auf die Konsolidierung der vorgenannten Ebene der Strukturen in der DR Kongo aus. 8.1.3 Verhaltenskonsolidierung (Meso-Ebene: informelle politische Akteure) Ob die auf dieser dritten Ebene agierenden „informellen“ politischen Akteure (Militär, Großgrundbesitzer, Finanzkapital, Unternehmer, radikale Bewegungen usw.) ihre Interessen innerhalb der demokratischen Normen und Institutionen oder gegen sie verfolgen, hängt in wesentlichem Maße davon ab, inwieweit die beiden vorgenannten Ebenen konsolidiert sind. Die mäßigen bis unzureichenden Konsolidierungsfortschritte der ersten und zweiten Ebene ziehen somit problematische Entwicklungen auf dieser Stufe nach sich: Die jüngsten Kämpfe in Kinshasa in Folge der Weigerung der irregulären Miliz Bembas, sich entwaffnen zu lassen, sind ein gutes Beispiel für eine Intervention durch eine paramilitärisch organisierte Gruppierung, also einen informellen politischen Akteur, dessen Interessen durch die gewählte Regierung berührt wurden. Deutlich wird die negative Beeinflussung dieser Ebene durch die unzureichende Konsolidierung der ersten und zweiten Stufe außerdem angesichts der immer noch im Land aktiven und den Staat in Frage stellenden Milizen wie der FDLR, marodierenden und plündernden Armeeeinheiten, dem unverändert stattfindenden Raubbau an den Ressourcen des Landes durch kriminelle Netzwerke, sowie der Korruption, die nach wie vor sowohl das politische Verfahren, die Judikative wie auch das gesellschaftliche Leben durchdringt. 8.1.4 Konsolidierung einer Bürgergesellschaft (Mikro-Ebene: Bürger) Diese Ebene ist die zumeist als letzte konsolidierte, u.a. deshalb, weil sie zu großen Teilen auf den zuvor benannten Ebenen aufbaut, deren Verfestigung Voraussetzung für das Entstehen und die Konsolidierung einer Bürgergesellschaft ist. Diese kann sich nur entfalten, wenn „der Staat und seine Institutionen ins moralische Geflecht der Gesellschaft eingebunden sind, […] dem Recht zum Durchbruch verholfen wird und die Gewalt domestiziert wird.“ 526 525 Vgl. ebd. Wirz, Albert: Krieg, Staatszerfall und Staatsbildung: Das Beispiel des Kongo, in: Spillmann, Kurt R./ Wenger, Andreas (Hrsg.): Zeitgeschichtliche Hintergründe aktueller Konflikte VIII, Zürcher Beiträge zur Sicherheitspolitik und Konfliktforschung, Vol. 60, Zürich 2001, S. 119-141, S. 138. 526 128 Der beschriebene Konsolidierungszustand der zuvor betrachteten Ebenen lässt nur den Schluss zu, dass es in der DR Kongo bislang keine konsolidierte Bürgergesellschaft geben kann und die Konsolidierung dieser letzten, den Konsolidierungsprozess „versiegelnden“ Instanz noch in weiter Ferne scheint. 8.2 Probleme und Herausforderungen für die demokratische Konsolidierung 8.2.1 Jean-Pierre Bembas politisches Ende – das Ende der Opposition in Kinshasa? Infolge des Ablaufens eines Ultimatums, das die Armeeführung Bemba und Ruberwa am 6. März 2007 gestellt hatte, um ihre irregulären, noch immer in Kinshasa und in der Nähe der Stadt stationierten Kämpfer in die FARDC einzugliedern, eskalierte am 22. März 2007 erneut die Gewalt in Kinshasa. Ruberwa war dem Ultimatum gefolgt, die etwa noch 500 Mann starke Miliz Bembas sträubte sich jedoch gegen den Auflösungsbefehl der Armee und besetzte vorübergehend das Stadtzentrum Kinshasas. Daraufhin ging Kabila mit der Regierungsarmee und seiner Präsidialgarde hart gegen die Miliz Bembas vor und zerschlug sie weitgehend. 527 Bemba hatte sich zu Beginn der Kämpfe in eine Residenz der südafrikanischen Botschaft abgesetzt, denn gegen ihn war in der DR Kongo mittlerweile Haftbefehl wegen Hochverrats erlassen worden. Die Kämpfe in der gesamten Innenstadt forderten offiziellen Angaben zufolge etwa 60 Tote, inoffizielle Quellen sprachen jedoch von über 300 Opfern. 528 Aus der Sicht des Demokratisierungsprozesses sind diese jüngsten Ereignisse ein schwerer Rückschlag: Die Weigerung Bembas, seine Milzen aufzugeben, provozierte einerseits deren Zerschlagung, andererseits aber auch die Zerstörung seiner politischen Position, jene des Anführers der Opposition in Kinshasa. Zwar wurde das harte Vorgehen von vielen Seiten der internationalen Gemeinschaft scharf kritisiert, die Vision einer funktionierenden Opposition unter der Integrationsfigur Bemba als Teil einer funktionierenden Demokratie in der DR Kongo ist jedoch zerplatzt. 529 Sein Senatorenamt scheint für Bemba wohl ebenso verloren wie die Chance überhaupt wieder in die DR Kongo zurückzukehren, ohne mit einer Haftstrafe rechnen zu müssen. Kabilas und Bembas Verständnis von Sieg und Niederlage mit einem triumphierenden Gewinner und einem am Boden liegenden Verlierer, das sich schon im Vorfeld der Wahlen 527 Vgl. Johnson, Dominic: Entscheidungsschlacht in Kinshasa, in: die tageszeitung, 24.03.2007e, S. 9. Vgl. Johnson, Dominic: Der Löwe tötet die Ameise, in: die tageszeitung, 26.03.2007f, S. 4. 529 Vgl. Johnson, Dominic: Harte Worte gegen Joseph Kabila, in: die tageszeitung, 29.03.2007h, S. 10. 528 129 abzeichnete, ist im Rahmen der jüngsten Entwicklungen wieder offen zutage getreten. Kabila setzte alles daran seinen Kontrahenten vollkommen auszuschalten, was ihm nun gelungen sein dürfte: „Statt der Opposition Raum zu geben, [nahm] er ihr den Führer.“ 530 Am 24. März 2007 rechtfertigte Kabila den rücksichtslosen Einsatz des Militärs und verkündete, für die Suche nach Konsens sei im Kongo kein Platz mehr: „Es ging darum ein für allemal die Ordnung wiederherzustellen, … um jeden Preis […] egal was die UNO denkt.“ 531 Nun verbreitet sich in der Opposition, auf Grund der von Kabila und seiner Garde abermals an den Tag gelegten Härte, Furcht davor, er könnte gegen sie vorgehen. 532 Auf der anderen Seite stellt der Verlust der Oppositions-Galionsfigur Bemba eine erhebliche Schwächung des für die Konsolidierung einer demokratischen Kultur so immanent bedeutsamen Oppositionslagers dar. 8.2.2 Konsolidierungshindernisse und Herausforderungen Von wesentlicher Bedeutung für die Stabilität und somit auch für die Konsolidierung der jungen demokratischen Ordnung nach einem Systemwechsel ist, wie schon mehrfach betont wurde, die diffuse und spezifische Unterstützung der Bevölkerung für das demokratische System: „Demokratien können sich nur dann entwickeln und konsolidieren, wenn […] die Unterstützung der Bevölkerung für demokratische Prinzipien bis zur Erreichung einer ‚kritischen Masse’ an Befürwortern zunimmt.“ 533 Die weitgehend fehlende vorautokratische Demokratie-Erfahrung der kongolesischen Bevölkerung erschwert das Erreichen dieser kritischen Masse an passiven Befürwortern. Der Schlüssel hierzu ist Vertrauen: Vertrauen der Bürger in die demokratischen Institutionen, in die politische Elite, in das Rechtssystem, den Polizeiapparat und die nationale Armee. Kann dieses Vertrauen in der Bevölkerung nicht geweckt werden, stehen die Konsolidierungschancen schlecht: Momentan geschieht dies in der DR Kongo noch alles andere als genügend. Das Vertrauen der Kongolesen in ihre politische Elite, die Parteien und die staatlichen Institutionen ist durch jahrelangen Machtmissbrauch, strukturelle Korruption und die vielfach offenbarte politische Unfähigkeit der Entscheidungsträger schwer erschüttert, wozu die Übergangsregierung sicher ihren Teil beigetragen hat. 530 Scheen, Thomas: Ein schwerer Schlag gegen die Opposition, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.03.2007, S. 6. 531 Johnson, 2007h. 532 Vgl. Mobateli, Angelo: L’opposition craint d’être muselée, in: Le Potentiel, 28.03.2007. 533 Tetzlaff, Rainer: Demokratie und Entwicklung in Afrika. Enttäuschende Bilanz? Vortrag im Rahmen der Fachtagung: ‚Im Süden nichts Neues? Demokratie und Entwicklung in Afrika’ am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen, Campus Duisburg, 20. Juli 2005, S. 7. 130 Auf der anderen Seite wurde die spezifische Unterstützung angesprochen: Auch sie erfordert Vertrauen der Bevölkerung, einerseits in die Gewährleistung von Sicherheit durch einen souveränen und territorial integrierten Nationalstaat, andererseits in die Garantie materieller Wohlfahrt im Rahmen des staatlichen Einflussbereiches. Hinsichtlich der Gewährleistung von Sicherheit im körperlichen Sinn, ist die Leistungsbilanz alles andere als zufrieden stellend, wie die schleppende Reform des Sicherheitssektors zeigt. Auf der anderen Seite verhöhnt der Begriff “materielle Wohlfahrt“ die Ärmsten der Armen in der DR Kongo nahezu: 80% der Kongolesen leben unter der absoluten Armutsgrenze von unter 1 US$ am Tag. Ausreichend Nahrung, medizinische Versorgung oder etwa Bildung stellen für einen Großteil der Kongolesen unbezahlbaren Luxus dar. 534 Hinsichtlich beider Legitimationsebenen, sowohl der normativen als auch der leistungsbezogenen, sieht die Bilanz der DR Kongo bislang also alles andere als positiv genug aus, um zu erwarten, sie könnten Impulse in Richtung wachsender Legitimität aussenden. Momentan verwischt die Nach-Wahl-Euphorie diese Realität noch etwas: Die Frage ist, was geschieht, wenn sich die Verklärung auflöst und die Masse der Bevölkerung desillusioniert feststellt, dass es keine kurzfristige Verbesserung ihrer Lebensbedingungen durch die Demokratisierung geben wird und dass der Aufbauprozess ein langer, schwieriger und komplizierter ist? 535 Neben der Armutsbekämpfung bleibt die erfolgreiche Durchführung der Reform des Sicherheitssektors und das Durchsetzen des staatlichen Gewaltmonopols im gesamten Land eine der wichtigsten Voraussetzungen für die demokratische Konsolidierung nach der Regierungsbildung in der DR Kongo: Eine zentrale Rolle spielt hierbei der bisher nur in Teilen erfolgte Aufbau einer strukturierten, disziplinierten und angemessen besoldeten nationalen Armee und eines einheitlichen starken Polizeiapparates, sowie die Entwaffnung und Demobilisierung der immer noch im Land aktiven Milizen: Ob das Eingliedern von Rebelleneinheiten in Brigaden der FARDC unter eigenem Kommando nach dem Modell Nkunda sich hierbei als gute Entscheidung erweisen wird, ist bislang nicht abzusehen. Sicher nicht im Interesse der Konsolidierung kann es sein, wenn auf diese Weise die Einflusszonen der Rebellengruppen bestehen bleiben, wie im Fall Nkunda geschehen, und somit das staatliche Gewaltmonopol in der Konsequenz regional nur teilweise oder gar nicht durchgesetzt wird. Schon fordern andere Rebellengruppen eine ähnliche Sonderstellung. 536 534 Vgl. Davis, Mike: Die kleinen Hexen von Kinshasa, in: Le Monde diplomatique, 15.12.2006, S. 11. Vgl. Scheen, 2006a. 536 Vgl. Johnson, 2007d. 535 131 Durch die Beratung der EUSEC (European Communications Security and Evaluation Agency) wurden im Rahmen der Armeereform jedoch auch schon einige Erfolge erzielt: So sind z.B. die Soldzahlungsmechanismen neu geordnet worden, indem die Zahlungsstränge von den Kommandosträngen getrennt wurden. 537 In Teilen des Landes bleibt das staatliche Gewaltmonopol allerdings untergraben, immer noch sind große Teile der Milizen nicht entwaffnet und demobilisiert worden: Die Präsidialgarde Kabilas, die eine größere Schlagkraft besitzt als die Regierungsarmee, darf vom Entwaffnungs- und Integrationsprozess dabei nicht ausgenommen werden. Die zentrale Frage in diesem Kontext lautet jedoch: Woher soll der Druck kommen, der den Staatspräsidenten dazu bringt, sich von seiner Privatarmee zu trennen? Eine weitere Bedrohung des Konsolidierungsprozesses bildet die instabile Lage im Ostkongo, die eng mit dem stockenden DDRRR-Prozess und dem fehlenden staatlichen Gewaltmonopol verknüpft ist. Die territoriale Integrität des Landes ist durch den auf die angrenzenden Länder immer noch bedrohlich wirkenden Zustand der Ost-Provinzen nach wie vor gefährdet. Zudem stellt die Konstellation aus einer an Rohstoffen reichen DR Kongo mit den zwei ressourcenlosen, jedoch dicht besiedelten Nachbarländern Rwanda und Burundi ein permanentes Destabilisierungspotential für die Region dar. Hoffnung macht in diesem Zusammenhang der Prozess der Friedenskonferenz für das Afrika der Großen Seen nach KSZE-Vorbild, als Chance, die Ressourcen der Region dem gemeinsamen Nutzen aller Staaten der Großen Seen dienen zu lassen. 538 Nachdem sich der ehemalige Oppositionsführer Bemba, der in der Stichwahl immerhin etwa zwei Fünftel der Stimmen auf sich vereinen konnte, auf die demokratischen Spielregeln eingelassen hatte, sorgte zudem die Besetzung aller Leitposten der Regierung durch Vertreter der Wahlgewinner für neue Spannungen: Die Opposition wurde auf diese Weise durch die Wahlgewinner weitgehend von der politischen Gestaltung ausgeschlossen, wodurch der Boden für neue Proteste und Gewalt bereitet wurde. Bembas Verschwinden von der politischen Bühne in der DR Kongo lässt eine Marginalisierung der Opposition befürchten, 537 Vgl. Misser, 2007. Die Kopplung der Zahlungs- an die Kommandostränge hatte in der Vergangenheit zur bereits beschriebenen massiven Unterschlagung von Soldzahlungen geführt. (Vgl. Punkt 7.3.2, S. 103). 538 Bereits 2004 hatte das erste Zusammentreffen der ‚Internationalen Konferenz für Frieden und Sicherheit in den Großen Seen’ zwischen Angola, Burundi, der DR Kongo, Kenia, Kongo-Brazzaville, Rwanda, Sambia, Sudan, Tansania, Uganda und der Zentralafrikanischen Republik in Dar es-Salaam stattgefunden. Im Dezember 2006 unterzeichneten die elf Staatschefs den „Pakt von Nairobi“, der den Rahmen für eine regionale Zusammenarbeit und die Finanzierung grenzüberschreitenden Wiederaufbaus vorgab. (Vgl. Johnson, Dominic: Ein Stabilitätspakt für Afrika, in: die tageszeitung, 16.12.2006i, S. 9). 132 denn auch die bedeutendste oppositionelle Instanz, die UDPS, ist, wie mehrfach erwähnt, weder im Parlament vertreten noch an der Regierung beteiligt. Auch die jüngsten Entwicklungen bezüglich der Opposition lassen für die Konsolidierung des demokratischen Systems in der DR Kongo also ein gerüttelt Maß an Skepsis zu: Die entscheidende Frage ist, wie stark der Verlust Bembas für die Opposition wiegt, denn ohne eine funktionierende, intakte und rege Opposition ist ein Ungleichgewicht in der jungen demokratischen Ordnung zu erwarten, das die Konsolidierung gefährdet. Dieses potentielle Konsolidierungshindernis durch das mögliche Fehlen einer tatsächlichen Opposition ist vor dem beschriebenen bescheidenen Maß an Einfluss der funktionalen Repräsentationsinstanzen, d.h. der Zivilgesellschaft als stabilisierendes Element, und angesichts des schwachen Organisationsgrades der meisten Parteien als umso dramatischer zu sehen. Die hier getroffenen Feststellungen zum Stand der Konsolidierung betreffend muss an dieser Stelle die Einschränkung gemacht werden, dass es für eine valide Bestandsaufnahme wenige Monate nach Abschluss der Regierungsbildung schlicht zu früh ist: Gezeigt wurde jedoch, das die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Konsolidierung nicht sehr positiv erscheinen, und jede Menge Angriffspunkte für die Entwicklungszusammenarbeit liefern. 133 9. Schlussbetrachtung: Quo vadis DR Kongo? Zunächst sind einige Anmerkungen zur Relevanz der Vorgehensweise und der verwendeten Instrumente zu machen, bevor die Perspektiven der demokratischen Konsolidierung dargestellt werden. Das etwas erweiterte Systemwechselmodell Wolfgang Merkels hat sich auf Grund seiner relativ offenen, universalen Gestalt als wertvoll erwiesen, um den Demokratisierungsprozess der DR Kongo zu periodisieren. Durch das Hinzufügen der zwei Retardationsphasen vor der eigentlichen Transition ergab sich trotz einiger Unschärfen, die durch die schlecht mögliche trennscharfe Unterscheidung der Hauptphasen entstanden, ein insgesamt schlüssiges Abbild des Demokratisierungsprozesses in der DR Kongo. 539 Die theoretische Reflexion des Systemwechselprozesses erfolgte durch die weitgehende Beschränkung auf die systemische Ebene jedoch erwartungsgemäß wenig tiefgründig. Der tatsächliche Erkenntniswert, der aus der rein systemtheoretisch orientierten Betrachtung von Systemwechseln hervorgeht, bleibt somit wie erwartet eher gering. Dies gilt umso mehr für einen so speziellen Systemwechsel wie jenen in Kongo/Zaire, der durch viele verschiedene Faktoren, die von der Systemtheorie nur schlecht bis gar nicht aufgenommen werden können, beeinflusst wird. Es zeigte sich in der Untersuchung deutlich, was unter Punkt fünf bereits mit Bezug auf die Ansicht Merkels konstatiert wurde. Eine wirklich umfassende Systemwechselanalyse kann nur unter Berücksichtigung aller für den Systemwechsel relevanten Teilaspekte bzw. Ebenen geschehen. Die Systemebene ist in Systemwechselprozessen von großer Bedeutung, vor allem was die Befunde zur Legitimität und Stabilität des politischen Systems angeht. Im Systemwechselprozess selbst, vor allem in den Momenten der größten Unsicherheit, in denen sich, wie mehrfach bereits erwähnt wurde, auch die Bandbreite der Handlungsoptionen der Akteure durch die verflüssigten Strukturen massiv vergrößert, spielen aber eben auch die anderen Ebenen, allen voran die Akteursebene in Korrelation mit den strukturellen Gegebenheiten eine entscheidende Rolle. Der „Königsweg“ 540 der Systemwechselanalyse, auf dessen Suche sich die Systemwechselforschung befindet, kann jedoch nicht einfach in Form eines allgemeingültigen Modells festgeschrieben werden: Er besteht vielmehr darin, fallgerecht eine 539 Es muss angemerkt werden, dass der im Titel der Arbeit verwendete Begriff des „Transitionsprozesses“ vor dem Hintergrund des verwendeten merkelschen Modells eine rein begriffliche Überbewertung der Transition hervorruft, die im Sinne Merkels lediglich den Augenblick des Machtübergangs von autokratischem zu den demokratischen bzw. demokratiewilligen Kräften des Systems bezeichnet, in seiner landläufigen Verwendung jedoch den Systemwechsel- bzw. Demokratisierungsprozess in seiner Gesamtheit umfasst. Letzteres entspricht dem Verständnis, welches die Verwendung des Begriffes „Transitionsprozess“ implizieren sollte. 540 Vgl. Merkel, 1996. 134 mehrdimensionale Untersuchung des jeweiligen, individuellen Systemwechsels vorzunehmen, bei der das für jede Ebene passende und am besten geeignete theoretische Instrument zur Analyse herangezogen wird. Merkel beschreibt diesen Königsweg als „Ansatz zur Systemwechselforschung, Legitimationserfordernisse, der Sozial- funktionale und Teilsystemlogiken, Machtstrukturen, Institutionen systemische sowie den internationalen Kontext als zu konkretisierende constraints für das strategische Handeln politischer Akteure begreift“ 541 . Nur so kann der Systemwechselprozess in der Gesamtheit der ihn ausmachenden Teilaspekte und Einflüsse erfasst und ausgeleuchtet werden. Nun soll gefragt werden, welche Ergebnisse aus der vorliegenden Untersuchung trotz der gemachten Einschränkungen hervorgehen. Was waren die entscheidenden Einflussfaktoren, die die Wiederbelebung des Friedens- und Demokratisierungsprozesses unter Joseph Kabila bewirkten? Wie auch schon bei der Analyse der Ursachen, die Mobutu 1990 zur Liberalisierung zwangen, sind mit internen und externen Faktoren zwei wesentliche Einflussbereiche zu unterscheiden. Auf der einen Seite wurde der massive systeminterne Legitimationsdruck bereits beschrieben, dem das Regierungssystem L.-D. Kabilas in seinen letzten Herrschaftsjahren ausgesetzt war. Der neue, von der alten Herrschaftselite installierte Machthaber Joseph Kabila bot für diesen massiven Druck, der im Vergleich zu 1990 von einer weitaus stärker manifestierten Zivilgesellschaft ausging, eine noch bessere Angriffsfläche als sein Vater. Auf der anderen Seite spielte der Druck, der von internationaler Seite auf den politischen Entscheidungsträgern lastete, eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Rolle für die Entscheidung Kabilas, sich wirtschaftlich und politisch kooperativ zu verhalten. Auch während des in Gang gekommenen Demokratisierungsprozess war das internationale Drängen ständig von Nöten, um den Prozess von den überwiegend an der Erhaltung des Status Quo interessierten Regierungsmitgliedern nicht vollends zum Erliegen bringen zu lassen. Die Gretchenfrage der sozialwissenschaftlichen Theorie konnte bezogen auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand durch die Analyse jedoch nicht hinreichend beantwortet werden: Hat das System bzw. die Struktur die Entwicklung im „Kongo in der Stunde Null“ 542 erzwungen, oder haben die Akteure, allen voran Joseph Kabila, unter den Handlungsoptionen, die unter der Wirkung der constraints noch übrig blieben, lediglich die Option des Machterhalts durch Kooperation gewählt? Die gewonnenen Erkenntnisse zeigen zwar, dass 541 542 Ebd. S. 325. Johnson, 2004a: S. 93. 135 die Handlungsoptionen der politischen Entscheidungsträger durch die strukturellen Gegebenheiten die Akteure sehr stark in ihrer Entscheidung beeinflussen mussten. Um die Frage jedoch verlässlich beantworten zu können, bedarf es eben jenes integrierten Analyseansatzes, der zuvor besprochen wurde. Erst wenn neben der systemischen Ebene auch das Akteursverhalten im Kontext mit den strukturellen Bedingungen untersucht wird, werden sich genauere Schlüsse Entwicklungen ziehen bezüglich lassen: des Zustandekommens Eine der weiterführende zu beobachtenden Untersuchung des Systemwechselprozesses ist also notwendig. Für die Konsolidierung der erreichten demokratischen Fortschritte in der DR Kongo ist die Beantwortung der Frage nach der System- bzw. Akteursrolle in diesem Systemwechselprozess eine nicht unbedeutende: Immer noch ist unklar, ob die Entwicklung der DR Kongo tatsächlich in die Richtung einer konsolidierten Demokratie in einem gefestigten Rechtstaat geht, d.h. die Entwicklung der democratic structure zur democratic substance voranschreiten wird oder ob es sich bei den gegenwärtigen Entwicklungen doch nur um das aus anderen afrikanischen Ländern bekannte „unwürdige Verhandlungsspiel – Geld gegen gespieltes Wohlverhalten“ 543 der entscheidenden Eliten handelt. Der alte und neue kongolesische Staatspräsident wäre nicht das erste afrikanische Staatsoberhaupt, das der Verführung der Macht und der Selbstbereicherung vollends erliegt und die errungenen Demokratisierungsfortschritte wieder über Bord wirft. Joseph Kabila steht, was die Selbstbereicherung betrifft, bereits in der Kritik. So soll er sich bzw. seiner Familie in der Übergangsphase äußerst lukrative Bergbauverträge zugeschanzt und mittlerweile ein beträchtliches Vermögen angehäuft haben. 544 Nach wie vor verfügt der Staatschef in der DR Kongo trotz der Schmälerung seiner Macht durch die neue Verfassung über eine sehr starke Stellung. Vor dem Hintergrund der sich manifestierenden Oppositionsschwäche, der immer noch sehr schwachen demokratischen Institutionen und der weiterhin in der Hand Kabilas befindlichen, massiven irregulären militärischen Ressourcen stellt dies keine gute Voraussetzung für die Konsolidierung noch ungefestigter demokratischer Strukturen dar. Doch auch andere Szenarien der Bedrohung sind denkbar, denn den Staat in Frage stellende Kräfte existieren in der DR Kongo zur Genüge und die Gesellschaft ist gerade erst wieder im Begriff zusammenzuwachsen. Neue, massive Gewaltausbrüche im Osten der DR Kongo etwa könnten sich ohne weiteres zu einer tiefen Krise der jungen Dritten Republik auswachsen. Der Einfluss, den Bembas Verschwinden von 543 Tetzlaff, 2005: S. 6. Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.)/ Schadomsky, Ludger: Wer steht zur Wahl?; unter: <http://www.bpb.de/themen/Z0ZQBA.html> (02.02.2006). 544 136 der politischen Landkarte auf den Gegensatz zwischen West- und Ostkongo haben wird, der sich auch in den Wahlergebnissen widerspiegelte, ist bislang nicht einzuschätzen. Um abschließend noch einmal die unter Punkt 8.2 beschriebenen, wichtigsten Hindernisse für eine erfolgreiche Konsolidierung in der DR Kongo zusammenzufassen: Der Konsolidierungsprozess ist auf der einen Seite durch das nach wie vor unbefriedigte Bedürfnis nach Sicherheit in der Bevölkerung belastet. Dies beinhaltet einerseits die Sicherheitsfrage im ganz körperlichen Sinne durch die unzureichende, schleppende Reform des Sicherheitssektors (Armee, Polizei, DDRRR-Prozess) und das schwache staatliche Gewaltmonopol, andererseits aber auch die sozioökonomische Situation: Der Großteil der Kongolesen lebt in dramatischer Armut. Ohne den Ärmsten der Armen aus dieser Krise zu helfen, verschlechtern sich die Chancen der demokratischen Konsolidierung erheblich, wie eine nach wie vor gültige, grundlegende Feststellung der Modernisierungstheorie lautet. Gerade die sozioökonomische Entwicklung stellt für Afrika eines der zentralen Probleme dar, die die Konsolidierung erschweren. 545 Dennoch ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass dieser ursprünglich von der Modernisierungstheorie nachgewiesene deutliche Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Entwicklung und Demokratisierung kein absolut ausschließendes Kriterium darstellt: Mali ist das beste Beispiel für ein ethnisch stark segmentiertes Land, das zu den ärmsten der Welt zählt, und in dem sich trotz dieser Widrigkeiten eine demokratische Ordnung entwickeln konnte – allerdings ebenfalls mit großer externer Unterstützung. 546 Eine zentrale Rolle für die Konsolidierung spielt zudem eine breite, intakte, aktive und einflussreiche Zivilgesellschaft und eine funktionierende Parteienstruktur, die sich stützend in den Konsolidierungsprozess einbringen. Nach wie vor behindern die undemokratischen und ineffizienten Organisationsstrukturen, massive Korruption und ethnische Zerwürfnisse eine effektive Interessenvertretung durch die zivilgesellschaftlichen Organisationen. Ähnlich gilt dies für die Parteien. Die große Menge an bestehenden Organisationen kann dabei als Problem aber auch als Chance gesehen werden. 547 Von großer Bedeutung ist ein „gesellschaftlicher Grundkonsens“ 548 , der in der DR Kongo trotz aller ethnischen Gegensätze unbestritten existiert: Nur muss dieser auch durch Organisation manifestiert, effizient umgesetzt bzw. dessen Einfluss auf politischer Ebene geltend gemacht werden. Momentan ist 545 Vgl. Merkel, Wolfgang: „Einer der schwierigsten Fälle auf dem schwierigsten Kontinent“, Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 06.04.2006; unter: <http://www.faz.net/s/RubFC06D389EE76479E9E76425072B196C3/Doc~E6CE7491D3A504FA78AA3EF3E C79026E7~ATpl~Ecommon~Scontent.html> (10.05.2006). 546 Vgl. ebd. 547 Vgl. Matthiesen, 2005: S. 143. 548 Ebd. 137 die Aktionsfähigkeit der Zivilgesellschaft diesbezüglich jedoch durch zu starke Fraktionierung und die mangelnde Struktur stark eingeschränkt: Ein Problem, das die politische Opposition bereits unter Mobutu schwächte und daran hinderte, entscheidenden Einfluss auf das Regime auszuüben. Es muss noch einmal betont werden: Die internationale Gemeinschaft spielte mit dem von ihr ausgeübten Einfluss auf den Demokratisierungsprozess die entscheidende Schlüsselrolle, die die DR Kongo dorthin gebracht hat, wo sie sich heute befindet 549 : In einem nach wie vor nicht stabilen Nach-Wahl-Zustand, der erst ganz am Beginn der Konsolidierung steht, deren Vorzeichen, wie beschrieben, alles andere als von vorteilhafter Ausprägung sind und die Konsolidierung erheblich erschweren und zusätzlich verlängern werden. Das weitere langfristige Engagement der internationalen Gemeinschaft (nicht nur der Weltbank und des IWF) ist deshalb unabdingbar, damit sich eine funktionierende Demokratie in der DR Kongo entwickeln kann und ein abermaliger Rückfall zu autoritärer Herrschaft unter den beschriebenen schlechten Konsolidierungsvoraussetzungen verhindert wird. 550 Unterstützung im Bildungsbereich, Stärkung der zivilgesellschaftlichen Organisation und das Weiterführen der Beratung beim Aufbau einer effektiven Verwaltungsstruktur sowie des Sicherheitssektors sind dabei mindestens genauso wichtig, wie die Stärkung im ökonomischen Bereich. Die Nachhaltigkeit der Entwicklung wird vor dem Hintergrund der großen Bedeutung der internationalen Unterstützung von der Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft abhängen, stärkere Verpflichtungen in der DR Kongo einzugehen. 551 Wolfgang Merkel spricht vom Demokratisierungsprozess der DR Kongo als einem der „schwierigsten Fälle auf dem schwierigsten Kontinent.“ 552 Wie massiv allein die sozioökonomische Krise der DR Kongo nach den Jahrzehnten der Ausbeutung und des Krieges tatsächlich ist, wird deutlich, wenn man sich das von der Weltbank berechnete best case scenario vor Augen hält: Bei einem Wirtschaftswachstum von jährlich 4% würde die DR Kongo mindestens 200 Jahre brauchen, bis wieder das Wohlstandsniveau von 1960 erreicht wäre. 553 Die Kongolesen müssen sich auf einen sehr langen, von vielen Unwägbarkeiten begleiteten Prozess des Wiederaufbaus einstellen. Noch ist dies nur einem kleinen Teil der Bevölkerung des Landes wirklich klar. 549 Vgl. Kabemba, 2005: S. 176. Zu diesem Engagement gehört z.B. auch die strikte Kontrolle darüber, wo die Entwicklungshilfezahlungen tatsächlich ankommen, denn die Selbstbedienungsmentalität und die Korruption vor Ort zählen unverändert zu den größten Gegnern von Fortschritt und einer erfolgreichen Entwicklungszusammenarbeit. 551 Vgl. Merkel, 2006. 552 Ebd. 553 Vgl. Johnson, Dominic: Labor der Weltbank, in: die tageszeitung, 22.06.2004b, S. 4. 550 138 10. Literatur- und Quellennachweis Adelman, Howard/ Rao, Govind C. (Hrsg.): War and Peace in Zaire/ Kongo, Trenton/ Asmara 2004 Almond, Gabriel A.: Politische Systeme und politischer Wandel, in: Zapf, Wolfgang (Hrsg.): Theorien des sozialen Wandels, Köln/ Berlin 31971, S. 211-227 Ders./ Powell, Bingham (Hrsg.): Comparative Politics, Boston 1966 Basedau, Matthias: Erfolgsbedingungen von Demokratie im subsaharischen Afrika. 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