Höherer Wirkungsgrad von Gasturbinen

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Höherer Wirkungsgrad von Gasturbinen
Neues Hochtemperatur-Dichtsystem
Höherer Wirkungsgrad
von Gasturbinen
DIETER SPORER
ARNO REFKE
MARIAN DRATWINSKI
MITCH DORFMAN
SULZER METCO
IACOPO GIOVANNETTI
MASSIMO GIANNOZZI
MANUELE BIGI
GE OIL&GAS
Wegen steigender Preise und der Notwendigkeit zur
Emissionsverringerung wird der effiziente Einsatz von
Brennstoffen in Gasturbinen immer wichtiger. Anstreifschichten im Verdichter von Gasturbinen tragen schon
seit geraumer Zeit zur Steigerung der Effizienz bei. Zur
weiteren Verbesserung des Wirkungsgrads konzentrieren sich die Bemühungen zurzeit auf Dichtungen in
einem der heißesten Bereiche, der ersten Turbinenstufe. Im Rahmen eines europäischen Gemeinschaftsprojekts unter der Leitung von GE Oil&Gas haben Sulzer
Metco und GE ein neues Dichtsystem mit Anstreifschichten für Hochdruckturbinen entwickelt und getestet. Bei diesem Projekt entwickelte Sulzer Metco eine
neue keramische Beschichtung, die durch atmosphärisches Plasmaspritzen (APS) aufgetragen wird. Ein
Maschinentest bestätigte Leistungsfähigkeit und
wirtschaftliche Vorteile des neuen Dichtsystems. Die
Leistungssteigerung übertrifft die Vorhersagen aus den
Modellrechnungen.
Wirkungsgradsteigerungen in
Gasturbinen können durch
die Minimierung des Spalts zwischen stationären und rotierenden
Teilen erzielt werden. Seit den
60er-Jahren sind verschiedene Verfahren zur Spaltkontrolle in Triebwerken eingeführt worden. Das
thermische Spritzen von Anstreifschichten ist hierfür ein relativ einfaches, zuverlässiges und kosten-
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SULZER TECHNICAL REVIEW 2/2008
günstiges Verfahren. Während
sich Beschichtungen zur Spaltkontrolle im Verdichter weitgehend
durchgesetzt haben, rückte in
jüngster Zeit die Verbesserung der
viel heißeren Turbinenstufen in
den Vordergrund. Die extremen
Gastemperaturen in diesen Stufen
sind eine Herausforderung für
Aufbau und Haltbarkeit der Dichtsysteme. Andererseits ist gerade
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dort die Reduzierung von störender Spaltströmung zur Steigerung
des Wirkungsgrads am aussichtsreichsten. Erneut erweist sich das
thermische Spritzen als sehr wirksames Mittel zur Erreichung dieses Ziels.
Gehäusering
Gehäusedichtsegment
3 Anstreifschicht
4 Leitschaufel
5 HDT-Schaufel
1
2
1
2
3
4
5
Prognostizierte
Leistungssteigerung
1 Dichtsysteme in Gasturbinen haben erheblichen Einfluss auf deren
Gesamtwirkungsgrad. Im Rahmen eines europäischen Forschungsprojekts entwickelte Sulzer Metco ein neues Dichtsystem für die heiße
Hochdruckturbinen-(HDT-)Stufe.
und eine Verbesserung des Gesamtwirkungsgrads um etwa einen. Ähnliche Werte ergaben sich
für die Verbesserung der Stufenund Maschinenleistung.
Keramische Beschichtungen
verringern Metalltemperatur
Mit FE-Simulationen wurde eine
dichte MCrAlY-Anstreifschicht
mit einer Standard-Anstreifschicht
auf Zirkonoxidbasis verglichen.
Die keramische Anstreifschicht reduziert die maximale Metalltemperatur des Trägersegments um
20% und die thermisch induzierten Radialverschiebungen um
34%. Ferner verkleinert die keramische Anstreifschicht auf Zirkonoxidbasis rechnerisch den Bereich, in dem die mechanische
Spannung größer ist als die Streckgrenze des Substratwerkstoffs. Daher konzentrierten sich die weiteren Entwicklungen auf Materialien auf Zirkonoxidbasis.
Nachfolgend wurde das Dichtsystem mit einer 1 mm starken
Deckschicht über einer 0,15 mm
starken MCrAlY-Haftschicht ausgelegt. Als Haftschichtmaterial
wurde Amdry 962 von Sulzer
Metco, eine gegen Heißgasoxidation beständige Ni-22Cr-10Al-1Y-
Legierung, gewählt. Haft- und
Deckschicht wurden mit einem
9-MB-Brenner von Sulzer Metco
durch atmosphärisches Plasmaspritzen (APS) aufgebracht (siehe
Kasten S. 6); (Bild 3).
Thermoschockbeständigkeit
Grundforderungen an die keramische Anstreifschicht sind Anstreiffähigkeit und Beständigkeit gegen
Thermoschock und Erosion.
Durch einen zyklischen Ofentest
mit einer Spitzentemperatur von
1150 °C bewertete GE Oil&Gas die
thermische Wechselbeständigkeit
der gewählten Materialien (Bild 4).
Ziel war die Entwicklung eines anstreifbaren Schichtsystems mit einer erheblich verbesserten Thermoschockbeständigkeit bei großer
Schichtdicke, wie sie bei Anstreifsystemen erforderlich ist.
Beschichtungen aus Durabrade
100
Relativer Spalt (%)
Mit Anstreifschichten lässt sich der
Spalt einer Turbinenstufe im Betriebs- oder Heißzustand auf einfache Art reduzieren: Die Spitzen
der Laufschaufeln können in den
beschichteten Stator schneiden,
wobei deren Beschädigung auf ein
Minimum beschränkt bleibt. Allerdings muss der Spalt im Anfangsbzw. Kaltzustand so ausgelegt
sein, dass bei allen Betriebsbedingungen ein optimaler Luftspalt gewährleistet ist. Um dies zu erreichen, ist die Entwicklung des Stufenspalts zu berechnen. Anhand
der Finite-Elemente-(FE-)Methode
erfolgte eine thermische und mechanische Analyse für die Auslegung der Hochdruckstufe der betreffenden Gasturbine (Bild 1). Die
Turbinenstufe zeigt eine monotone Spaltreduktion: Der kleinste
Spalt (Pinch Point) wird bei stationären Betriebsbedingungen erreicht, wobei sich die Spalte mit
oder ohne Anstreifschicht unterscheiden (Bild 2). Mit Anstreifschicht lässt sich der Mindestspalt
im Heißzustand um über 90% verkleinern. Mit numerischer Strömungsberechnung (computational
fluid dynamics, CFD) wurden die
Leistungsvorteile durch den verkleinerten Spalt für die Hochdruckstufe alleine und die Gesamtmaschine berechnet. Die Simulationen prognostizierten eine
Steigerung des Stufenwirkungsgrads um rund 3 Prozentpunkte
Ohne Anstreifschicht
Mit Anstreifschicht
80
60
40
2 Spaltentwicklungen
für die betreffende
HDT-Stufe der Gasturbine. Kaltstart, stationärer Betrieb und
Heißstart.
20
0
0
4000
16 000
20 000
Zeit (s)
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Plasmaspritztechnologie
Keramische Deckschicht auf
Zirkonoxidbasis (1000 μm)
Haftschicht Amdry 962 (150 μm)
Gehäusesegment (Substrat)
3 Sulzer-9 MB-Plasmabrenner, Aufbau des Dichtsystems und Haftschichtmaterial.
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Temperatur (°C)
4 Testeinrichtung
zur Qualifizierung
keramischer
Anstreifschichten
bei GE Oil&Gas
und angewandter
Thermoschockzyklus.
2192, einem neuen Pulver für
Anstreifschichten von Sulzer
Metco aus Dysprosiumoxid-stabilisiertem (Dy2O3) Zirkonoxid mit
Zusätzen aus Polyesterverbindungen, haben im Vergleich zu Materialien aus Yttriumoxid-stabilisierten Zirkonoxid (YSZ) hinsichtlich
der zyklischen Lebensdauer erhebliche Vorteile (Bild 5). Dadurch
kann die erforderliche Dicke der
Anstreifschicht erreicht werden,
ohne dass die Lebensdauer unter
schroffen Thermowechselbedingungen verkürzt wird.
Aufheizen
Halten
Abkühlen
10
45
5
1150
50
Zeit (min)
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Unbehandelte Schaufelspitzen
sparen Kosten
Normalerweise erfordert der Einsatz von keramischen Dichtungen
eine Panzerung der Schaufelspitzen. Hierfür wird standardmäßig
kubisches Bornitrid (cBN) oder Siliziumkarbid (SiC) verwendet. Die
Schaufelpanzerung ist teuer, und
ein System, das von unbehandelten reinen Metallschaufeln angestreift werden kann, bietet erhebliche wirtschaftliche Vorteile für
den Endnutzer. Auf dem Anstreifschicht-Prüfstand von Sulzer Innotec führten die Sulzer-Experten
verschiedene Versuche durch (siehe STR 2/2007, S. 23). Mit diesem
Komponentenprüfstand kann das
Anstreifverhalten von Keramik bei
extrem hohen Temperaturen geprüft werden. Die Tests wurden
bei einer Oberflächentemperatur
der Beschichtung von 1100 °C mit
cBN-gepanzerten und unbehandelten Schaufeln durchgeführt. Im
Wesentlichen konnte für gepanzerte Schaufeln ein gutes Anstreifverhalten für viele Beschichtungen
festgestellt werden. Allerdings
zeigte nur die Durabrade-2192-Beschichtung mit einem bestimmten
Porositätsgrad das für ungepan-
Plasmaspritzen kann unter atmosphärischen, Vakuum- und Niederdruckbedingungen durchgeführt
werden. Es ist wohl das flexibelste Verfahren zum thermischen
Spritzen, weil es genug Energie
entwickeln kann, um jedes Material zu schmelzen. Da Pulver als
Beschichtungsgrundstoff verwendet wird, ist die Zahl der möglichen Beschichtungsmaterialien
nahezu unbegrenzt. Ein Hochfrequenzlichtbogen wird zwischen der Düse, die als Anode
dient, und einer Kathode gezündet. Die Prozessgase (meist
Mischungen aus Argon, Stickstoff,
Wasserstoff und Helium), die zwischen den Elektroden strömen,
werden ionisiert und bilden eine
Flamme aus heißem Plasma mit
einer Temperatur von 6600 °C bis
16 600 °C (höher als die auf der
Sonnenoberfläche). Wird das Beschichtungsmaterial in das Plasma injiziert, schmilzt es und kann
auf das Substrat – das zu beschichtende Material – gespritzt werden.
Der Prozessgasfluss und der
Kathodenstrom bestimmen die
erzeugte Energiemenge. Da beide
Faktoren genau reguliert werden
können, sind wiederholbare und
vorhersehbare Beschichtungsergebnisse möglich. Ferner können Ort und Winkel der Materialzugabe in die Spritzflamme sowie
die Entfernung des Brenners zur
Zielkomponente gesteuert werden. Diese Faktoren ermöglichen
eine hohe Flexibilität bei der Einstellung geeigneter Spritzparameter für Materialien mit unterschiedlichsten Schmelztemperaturen.
Wärmezyklen bis zum Versagen
Durabrade 2192
Standardmaterial YSZ
400
300
200
100
0
0
10
20
30
40
50
Porosität der Deckschicht (%)
5 Thermoschockbeständigkeit von
Durabrade-2192-Beschichtungen im
Vergleich zu Standard-YSZ-Beschichtungen (alle getesteten Beschichtungen waren 1 mm dick).
zerte Schaufeln erforderliche Anstreifverhalten und wies gleichzeitig eine zufrieden stellende Erosionsbeständigkeit auf (Bild 6).
Leistung höher als erwartet
Nach der Materialtestphase wurde das Amdry-962/Durabrade2192-Dichtsystem in der Praxis in
einer Gasturbine getestet (Bild 7).
Sulzer Metco beschichtete die
Dichtungssegmente im Gehäuse
mit dem ausgewählten Material
entsprechend einer Richtlinie von
GE Oil&Gas. Diese beruhte auf
den Ergebnissen des Labortests
von Sulzer Innotec.
Der Test umfasste 100 thermische
Zyklen. Dabei war das neu entwickelte Dichtsystem für die Hochdruckstufe die einzige Änderung
gegenüber der Referenzturbine.
Die Bewertung des Dichtsystems
nach dem Test zeigte, dass kein
Abplatzen der Schicht stattfand.
Damit wurden die Thermoschockergebnisse aus dem Labor bestätigt. Die ermittelte gute Oberflächenstabilität weist auf eine zufrieden stellende Erosionsbeständigkeit der keramischen Deckschicht hin. Der gemessene Verschleiß an den ungepanzerten Turbinenschaufeln durch Anstreifen
im Betrieb war gering und blieb
innerhalb der akzeptablen Werte.
Die Leistung der Turbine konnte
um 1,8 und der Maschinenwirkungsgrad um 1,3 Prozentpunkte
6 Testergebnisse der Anstreifversuche bei 1100 °C. Links: Sulzer Metco 2460
gegen cBN-gepanzerte Schaufeln. Mitte: Durabrade 2192 gegen cBN-gepanzerte Schaufeln. Rechts: Durabrade 2192 gegen unbehandelte Schaufeln.
Spitzengeschwindigkeit 410 m/s
Eintauchrate 5 μm/s
Spitzengeschwindigkeit 410 m/s
Eintauchrate5 μm/s
7 Endmontierte Dichtsegmente
einer Hochdruckturbine, bei der
das neue Amdry-962/Durabrade2192-Dichtsystem zum Einsatz
kommt.
gesteigert werden. Diese Werte
liegen leicht über den Prognosen
der Simulationen.
Das Gemeinschaftsprojekt mit GE
ist ein Beispiel für das Bestreben
von Sulzer Metco, neue Lösungen
in enger Zusammenarbeit mit
Endnutzern zu entwickeln. Dank
der erzielten Leistungssteigerungen bietet das entwickelte Dichtsystem erhebliche wirtschaftliche
und umwelttechnische Vorteile für
Hersteller und Nutzer von Gasturbinen.
Spitzengeschwindigkeit 410 m/s
Eintauchrate 5 μm/s
20 mm
Dank
Die hier vorgestellten Arbeiten wurden in Teilen von der Europäischen
Kommission im Rahmen eines «EESD FP5»-Projekts (Akronym
ABRANEW; Projekt-Nr. NNE5-2001-411) gefördert. Wir bedanken uns bei
der Europäischen Kommission für die Unterstützung unserer Bemühungen.
1 mm
Schaufelverschleiß +1,2%
Schaufelverschleiß –3,9%
Schaufelverschleiß +2,8%
Spitzengeschwindigkeit 410 m/s
Eintauchrate 500 μm/s
Spitzengeschwindigkeit 410 m/s
Eintauchrate 500 μm/s
Spitzengeschwindigkeit 410 m/s
Eintauchrate 500 μm/s
Schaufelverschleiß +1,7%
Schaufelverschleiß +3,6%
Schaufelverschleiß +26,0%
Kontakt
Sulzer Metco (Canada) Inc.
Dieter Sporer
Wies 21a
6677 Schattwald
Österreich
Telefon +43 5675 43 272
Fax
+43 5675 43 272
[email protected]
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