Spanien - Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales

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Spanien - Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales
Spanien
Dr. Kurt Madlener, M.C.L.
Referent am Max-Planck-Institut
für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg i. Br.
696
Spanien
Inhaltsübersicht
Abkürzungsverzeichnis ................................................................................... 697
I.
Rahmenbedingungen und rechtstatsächlicher Hintergrund
für den Einsatz Besonderer Ermittlungsmaßnahmen................. 698
II.
Allgemeine Grundsätze des Ermittlungs- und
Untersuchungsverfahrens .................................................................. 701
1.
2.
3.
4.
Ermittlungsverfahren, Untersuchungsverfahren, Hauptverfahren....
Legalitäts- und Opportunitätsprinzip................................................
Aufgaben- und Zuständigkeitsverteilung zwischen den
staatlichen Verfahrensbeteiligten .....................................................
Die Verteidigung im Ermittlungs- und
Untersuchungsverfahren...................................................................
701
704
704
706
III. Grundsätze und Grenzen der Sachverhaltserforschung ............ 707
1.
2.
IV.
Verfassungsrechtliche Vorgaben...................................................... 707
Regelung des Ermittlungsverfahrens................................................ 709
Besondere Ermittlungsmaßnahmen im einzelnen ........................ 710
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Rasterfahndung.................................................................................
Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung ................................
Längerfristige Observation...............................................................
Einsatz technischer Mittel ................................................................
Verdeckte Ermittler ..........................................................................
Verbindung mehrerer der genannten Ermittlungsmaßnahmen.........
710
710
711
711
713
715
V.
Rechtliche Folgen unzulässiger Ermittlungsmaßnahmen .......... 715
VI.
Reformen................................................................................................ 716
Literaturverzeichnis ...................................................................................... 718
Der Verfasser dankt einer Reihe spanischer Kollegen für wertvolle Hinweise, insbesondere
Professor Dr. Víctor Moreno Catena, Unterstaatssekretär im Innenministerium, Dr. José de
la Puente, Kabinettsdirektor des Staatssekretärs für Sicherheit, D. José Romero Samaral,
Chefinspekteur der Nationalpolizei, D. Pedro Rodríguez Nicolás, Generalkommissar der
Gerichtspolizei der Nationalpolizei, Oberst Guillermo Ostos Mateo, Direktor der Gerichtspolizei der Zivilgarde, Professor Dr. Vicente Gimeno Sendra, Verfassungsrichter, D. Siro
García, Präsident des Strafsenats der Audiencia Nacional, D. Baltasar Garzón Real, Untersuchungsrichter der Audiencia Nacional, D. Javier Zaragoza, Leiter a.i. der Sonderstaatsanwaltschaft für Drogenkriminalität, Professor Dr. Alfonso Serrano Gómez.
Stand: 1.2.1993
697
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
APL
Actualidad Penal Legislación
BIJM
Boletín de Información del Ministerio de Justicia
BJC
Boletín de Jurisprudencia Constitucional
BOCG
Boletín Oficial de las Cortes Generales
B.O.E.
Boletín Oficial del Estado
CE
Constitución Española
CP
Código Penal
ETA
Euskadi Ta Askatasuna (Baskenland und Freiheit)
GRAPO
Grupo Revolucionario Anti-Fascista Primero
de Octubre
LECRIM
Ley de Enjuiciamiento Criminal
LOPJ
Ley Orgánica del Poder Judicial
M.F.
Ministerio Fiscal
PJ
Poder Judicial
RAJ
Repertorio Aranzadi Jurisprudencia
RAL
Repertorio Aranzadi Legislación
RUDP
Revista Universitaria de Derecho Procesal
STC
Sentencia Tribunal Constitucional
STS
Sentencia Tribunal Supremo
698
I.
Spanien
Rahmenbedingungen und rechtstatsächlicher Hintergrund
für den Einsatz Besonderer Ermittlungsmaßnahmen
Zwei Phänomene der Organisierten Kriminalität stehen in Spanien im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit: Der Terrorismus und die Betäubungsmittelkriminalität. Der Terrorismus geht von Gruppen wie ETA und GRAPO aus,
die bereits seit Jahrzehnten in Spanien operieren und eine ständige Bedrohung für öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen.1 Von den Attentaten dieser Organisationen sind insbesondere Polizei und Militär betroffen.
Zwischen diesen Gruppen und der Staatsmacht herrscht ein Kampf, der von
beiden Seiten unter Einsatz aller Kräfte geführt wird.
Die Methoden der Terrorismusbekämpfung unterliegen einer gewissen Vertraulichkeit. Es ist deswegen verhältnismäßig schwierig zu wissen, welche
Mittel im einzelnen angewandt werden. Im Vordergrund dieser Untersuchung stand daher der Kampf gegen die Betäubungsmittelkriminalität.
Spanien ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen, möglicherweise dem
wichtigsten Durchgangsland für die Einfuhr von Betäubungsmitteln nach
Europa geworden. Parallel dazu ist auch die Suchtkriminalität in Spanien
angewachsen. Dies hat dazu geführt, daß die Regierung eine Reihe von
Maßnahmen ergriffen hat, um sowohl die Suchtkriminalität als auch den
Handel mit Betäubungsmitteln (narcotráfico) zu bekämpfen. Diesem Ziel
galt die Verkündung eines Plan Nacional sobre Drogas durch die Regierung im Jahre 1985,2 die Bildung einer besonderen Suchtmittelbehörde (Delegación del Gobierno para el Plan Nacional sobre Drogas)3 im Bereich
des Ministeriums für Gesundheit und Konsum sowie eine Reihe von Reformen auf dem Gebiet des Strafrechts und der Gerichtsverfassung.4
1
2
3
4
Zu Geschichte, Ideologie, Struktur und Tätigkeit dieser und anderer terroristischer Organisationen siehe das von der Generaldirektion der Nationalpolizei für die Ausbildung ihrer Beamten herausgegebene Buch von José Fernández Díaz/Mauricio Moya
Lucendo, Técnicas de investigación, 2. Aufl. Madrid 1991, S. 205 ff.
Siehe dazu Real Decreto 1677/1985, de 11 de septiembre de coordinación interministerial para la ejecución del Plan Nacional sobre Drogas (RAL Nr. 2273).
Die Behörde befaßt sich nicht nur mit den Betäubungsmitteln im engeren Sinne, sondern auch mit den Problemen von Alkohol und Tabak, was die Verwendung des allgemeinen Begriffs drogas rechtfertigt. Strafrechtlich relevant sind aber in erster Linie
die Betäubungsmittel. Das spanische Betäubungsmittelstrafrecht ist nicht im Nebenstrafrecht geregelt, sondern in Art. 344 ff. CP.
Siehe dazu Madlener, Landesbericht Spanien, S. 1091, 1097. Neuestens ausführlich
Reeg, Die Bekämpfung der organisierten Betäubungsmittelkriminalität im spanischen
Strafrecht.
Rahmenbedingungen
699
Die Strafverfolgung auf dem Gebiet der Betäubungsmittelkriminalität ist
fast vollkommen zentralisiert. Dies gilt sowohl für die Polizei und die
Staatsanwaltschaft als auch für Untersuchungsgerichte und erkennende Gerichte.
Die spanische Regierung verfügt über zwei voneinander unabhängige Polizeiorganisationen, nämlich die Policía Nacional und die Guardia Civil.5
Daneben gibt es in den Städten und Gemeinden Spaniens die Ortspolizei
und in drei Ländern (Comunidades Autónomas), nämlich im Baskenland, in
Katalonien und in Navarra, Polizeieinheiten dieser Länder.6 Für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, insbesondere der Drogenkriminalität und des Terrorismus, sind aber in erster Linie die beiden genannten
Polizeiorganisationen des Zentralstaats, die Nationalpolizei und die Zivilgarde, zuständig. Beide haben für den Kampf gegen den Terrorismus und
die Betäubungsmittelkriminalität eigene Einheiten der Gerichtspolizei (policía judicial)7 gebildet, die im wesentlichen in Madrid zusammengefaßt sind,
aber auf dem gesamten Territorium Spaniens operieren.
In ähnlicher Weise ist die gerichtliche und staatsanwaltschaftliche Zuständigkeit geregelt. Die Zuständigkeit zur Aburteilung von Drogendelikten
kommt, soweit von der Straftat mehr als eine der 50 Provinzen Spaniens betroffen ist, der Audiencia Nacional mit Sitz in Madrid zu, und zwar entweder dem 2. Senat (dem Strafsenat)8 oder einem Einzelrichter (Juez Central
de lo Penal), dessen Strafgewalt Strafen bis sechs Jahre Dauer umfaßt.9 Für
Terrorismusdelikte ist die Audiencia Nacional stets zuständig.10 Bei diesem
Gericht bestehen auch Untersuchungsgerichte. Ihre Zuständigkeit entspricht
5
6
7
8
9
10
Die Zivilgarde ist eine militärisch verfaßte Polizeieinheit, die sowohl dem Verteidigungs- als auch dem Innenministerium unterstellt ist. Zu ihren Aufgaben gehört u.a. der
Grenzschutz, weswegen ihr bei der Bekämpfung des Drogenschmuggels besondere Bedeutung zukommt; siehe López Garrido, Fuerzas y Cuerpos de Seguridad, S. 364.
Siehe dazu Barcelona Llop, El régimen jurídico de la policía de seguridad, S. 178-195;
López-Nieto y Mello, La Policía Municipal; Castells Arteche, La Policía Autónoma.
Zur Gerichtspolizei siehe Art. 126 CE, Art. 443-446 LOPJ, Art. 282-298 LECRIM,
Art. 29-36 Ley Orgánica de Fuerzas y Cuerpos de Seguridad sowie das Real Decreto
769/1987 sobre Regulación de la Policía Judicial (RAL Nr. 1492). Die Angehörigen
der Gerichtspolizei sind Hilfsbeamte (auxiliares) der Richter und Staatsanwälte
(Art. 283 LECRIM).
Art. 62, 65 Ziff. 1 Buchst. d LOPJ.
Art. 14 Ziff. 3 LECRIM i.d.F. des Organgesetzes Nr. 7/1988 vom 28.12.1988 (RAL
Nr. 2605).
Diese Zuständigkeit findet sich in der Übergangsbestimmung (disposición transitoria)
des Organgesetzes Nr. 4/1988 vom 25.5.1988 (RAL Nr. 1136).
700
Spanien
der des erkennenden Gerichts.11 Die Untersuchungsrichter der Audiencia
Nacional sind demgemäß für die gerichtliche Voruntersuchung von Terrorismusdelikten und - falls mehr als eine Provinz betroffen ist - auch für
Straftaten der Betäubungskriminalität im ganzen Staatsgebiet zuständig.
Des weiteren sind bei der Audiencia Nacional zwei Staatsanwaltschaften gebildet worden, deren Zuständigkeit sich ebenfalls auf das ganze Staatsgebiet
erstreckt. Eine dieser Staatsanwaltschaften ist auf die Drogenkriminalität
spezialisiert: Die Fiscalía Especial para la Prevención y Represión del
Tráfico Ilegal de Drogas.12
Zwischen den zentralen Gerichtspolizeieinheiten der Nationalpolizei und
der Zivilgarde, die auf die Betäubungskriminalität spezialisiert sind, und der
Sonderstaatsanwaltschaft besteht eine enge Zusammenarbeit. Während traditionell der spanische Staatsanwalt eine eher passive Rolle hat, da er weder
Ermittlungen noch eine Voruntersuchung führt, sondern sich im Vorverfahren auf rechtliche Stellungnahmen beschränkt, ist die Rolle des Sonderstaatsanwalts anders. Sie entspricht weitgehend dem Modell, das im Zuge
der Strafprozeßreform angestrebt wird.13 Danach soll der Staatsanwalt eng
mit der Gerichtspolizei auf dem Gebiet der Ermittlungen zusammenarbeiten,
die ihm zu diesem Behufe im Ermittlungsverfahren (bis zur Eröffnung der
gerichtlichen Voruntersuchung) unterstellt ist.14 Dieses Modell trifft bei den
spanischen Staatsanwälten bisher auf eine gewisse Zurückhaltung. Im Rahmen der Sonderstaatsanwaltschaft dagegen scheint es verwirklicht zu sein.
Eine ebenfalls sehr enge Zusammenarbeit besteht zwischen den für Drogendelikte zuständigen Untersuchungsrichtern der Audiencia Nacional und
der Gerichtspolizei wie auch der Staatsanwaltschaft. Formell wird die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Untersuchungsrichter dadurch eingeleitet, daß der Untersuchungsrichter ein Untersuchungsverfahren (sumario)
oder ein Vorverfahren (diligencias previas) eröffnet. Auf dem Gebiet der Organisierten Kriminalität geschieht das in der Regel sehr früh, nämlich dann,
11
12
13
14
Art. 88 LOPJ.
Gesetz Nr. 5/1988 vom 24.3.1988 (RAL Nr. 670).
Siehe dazu Gimeno Sendra, Justicia 1988 (Nr. IV), S. 829-834.
Art. 126 CE; Art. 283 ff., 781 Abs. 2, 785bis LECRIM; Art. 443 ff. LOPJ; Art. 31, 35
Ley Orgánica de Fuerzas y Cuerpos de Seguridad; Art. 20 Real Decreto 769/1987
sobre Regulación de la Policía Judicial (RAL Nr. 1492).
Allgemeine Grundsätze des Ermittlungsverfahrens
701
wenn z.B. die Polizei die richterliche Anordnung einer Telefonüberwachung
gemäß Art. 579 LECRIM beantragt.15 Vor der Eröffnung eines solchen Untersuchungs- oder Vorverfahrens durch den Richter arbeitet die Polizei mit
der Staatsanwaltschaft zusammen, wenn sie sich z.B. bei juristisch schwierigen Fragen der Unterstützung der Staatsanwaltschaft versichern will.
Wird ein Angehöriger der Gerichtspolizei als Beauftragter (comisionado)
eines Gerichts oder einer Staatsanwaltschaft tätig, so kommen ihm besondere Befugnisse zu. Er kann dann die Leiter von Behörden (autoridades) um
Amtshilfe ersuchen, Unterstützung aber auch von Privatpersonen verlangen.16
Die erste Phase der polizeilichen Ermittlungstätigkeit endet mit dem Ermittlungsbericht (atestado),17 der dem Untersuchungsrichter zugeleitet wird.
Spätestens von diesem Zeitpunkt an ist dieser Herr des Verfahrens.
II.
Allgemeine Grundsätze des Ermittlungs- und
Untersuchungsverfahrens
1.
Ermittlungsverfahren, Untersuchungsverfahren, Hauptverfahren
Das spanische Strafverfahren ist wesentlich anders als das deutsche strukturiert. Der Grund ist zum einen darin zu suchen, daß das spanische Recht
nach wie vor die gerichtliche Voruntersuchung vorsieht, und zum anderen in
der anderen Ausgestaltung der Stellung der Staatsanwaltschaft.
Einen dem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren des deutschen Rechts
vergleichbaren Verfahrensabschnitt kennt die Ley de Enjuiciamiento Criminal von 1882 nicht. Das spanische Strafverfahren beginnt mit dem Eingang
der notitia criminis beim Untersuchungsrichter.18 Diese erhält er meist von
der Polizei in Gestalt eines Ermittlungsberichts (atestado). Er faßt das Er15
16
17
18
Diese Anordnung setzt die Eröffnung eines richterlichen Untersuchungsverfahrens
voraus; Gimeno Sendra u.a., Derecho Procesal, S. 343 (Moreno Catena).
Art. 34 Abs. 2 Ley Orgánica de Fuerzas y Cuerpos de Seguridad; Art.13 Real Decreto 769/1987 sobre Regulación de la Policía Judicial (RAL Nr. 1492). Siehe dazu
Queralt Jiménez/Jiménez Quintana, Manual de Policía Judicial, S. 37-41.
Art. 292 ff., 789 LECRIM. Siehe dazu Cabo Mansilla, El atestado policial.
Piqué Vidal u.a., El proceso penal práctico, S. 109.
702
Spanien
gebnis der Ermittlungen zusammen, welche die Polizei im Rahmen ihrer
Pflicht, Straftaten aufzuklären,19 anzustellen hat.
Dieser vor dem Beginn des Strafverfahrens liegende Abschnitt polizeilicher
Ermittlungen ist im allgemeinen sehr kurz: Der Ermittlungsbericht ist gemäß Art. 295 LECRIM binnen 24 Stunden dem Gericht (dies ist in der Praxis die Regel) oder der Staatsanwaltschaft vorzulegen.
Mit der Vorlage des Ermittlungsberichts beim Untersuchungsrichter beginnt
das Untersuchungsverfahren (sumario),20 dem traditionell sehr großes Gewicht im spanischen Strafverfahren zukommt. Dies hängt damit zusammen,
daß herkömmlicherweise eine im Untersuchungsverfahren vor einem mit
allen Garantien der Unabhängigkeit ausgestatteten Richter durchgeführte
Beweisaufnahme, die der Gerichtssekretär, oft als "Notar des Gerichts" bezeichnet, beglaubigt hat, in der Hauptverhandlung nicht wiederholt wird.
Die Beweise werden somit praktisch aus der Voruntersuchung übernommen.21 Die Einwendungen gegen dieses Verfahren, das dem Geist der
Ley de Enjuiciamiento Criminal von 1882 widerspricht,22 liegen auf der
Hand.
Dieses herkömmliche Bild des spanischen Strafverfahrens hat indessen in
den vergangenen Jahren gewisse Korrekturen erfahren. Sie beruhen einmal
auf Eingriffen des Gesetzgebers, zum anderen auf der Rechtsprechung des
Verfassungsgerichts.
Durch eine Novelle des Jahres 198823 wurde das sogenannte "abgekürzte
Verfahren" (procedimiento abreviado) eingeführt, bei dem es sich nicht um
19
20
21
22
23
Art. 282 LECRIM. Vgl. Art. 163 Abs. 1 StPO.
Auch durch den Eingang einer Anzeige (denuncia, Art. 259 ff. LECRIM) oder Privatklage (querella, Art. 270 ff. LECRIM). Eine Definition des sumario gibt Art. 299
LECRIM.
Zur eingeschränkten Bedeutung von Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsgrundsatz
im spanischen Strafprozeß siehe Volkmann-Schluck, Der spanische Strafprozeß zwischen Inquisitions- und Parteiverfahren, S. 85, 105 ff.
In seiner Begründung des Gesetzentwurfs bezeichnete es der Justizminister Manuel
Alonso Martínez am 14.9.1882 als "la idea fundamental ... que en el juicio oral y
público es donde ha de desarrollarse con amplitud la prueba, ..."; die Begründung ist
abgedruckt in Calvo Sánchez u.a., Ley de Enjuiciamiento Criminal y legislación
complementaria, S. 14-30 (21).
Ley Orgánica 7/1988, de 28 de diciembre; RAL Nr. 2605. Siehe dazu Madlener, Landesbericht Spanien, S. 1103 f.
Allgemeine Grundsätze des Ermittlungsverfahrens
703
eine besondere Verfahrensart handelt,24 sondern um das Verfahren, das zur
Aburteilung aller Taten Anwendung findet, die nicht mit mehr als zwölf
Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind.25 In diesem Verfahren soll gemäß
Art. 785bis LECRIM eine investigación preliminar in der Art eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens stattfinden. Je nach dem Ergebnis dieses
Verfahrens stellt die Staatsanwaltschaft ein oder veranlaßt eine gerichtliche
Voruntersuchung, die hier als diligencias previas bezeichnet wird (Art. 789
Ziff. 2 LECRIM). Der Untersuchungsrichter braucht die Entscheidung der
Staatsanwaltschaft aber nicht abzuwarten, sondern kann das Verfahren jederzeit an sich ziehen (Art. 785bis Ziff. 3 LECRIM). Das Ziel einer Beschleunigung des Strafverfahrens soll u.a. dadurch erreicht werden, daß der
Untersuchungsrichter nur dann weitere Ermittlungen vornehmen läßt oder
selbst vornimmt, wenn die von der Polizei durchgeführten nicht ausreichen,
um Anklage zu erheben; auf jeden Fall sollen nur diligencias esenciales ausgeführt werden.26
Die angestrebte Beschränkung der Ermittlungstätigkeit des Untersuchungsrichters könnte tendenziell durchaus zu einer Neuverteilung der Gewichte
zwischen Voruntersuchung und Hauptverhandlung führen. Es ist aber noch
zu früh, um darüber etwas aussagen zu können. Jedoch ist festzustellen, daß
das Institut der Voruntersuchung sich in einer schweren Krise befindet.27
Auch der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts wohnt die Tendenz inne,
die Bedeutung der Voruntersuchung zu vermindern und die der Hauptverhandlung zu verstärken. Dies zeigt sich insbesondere darin, daß das Verfassungsgericht die Übernahme von Beweisen aus der Voruntersuchung nicht
ohne weiteres zuläßt, sondern die Bedeutung der Beweiserhebung in der
Hauptverhandlung betont.28
24
25
26
27
28
Die Einordnung in das IV. Buch der LECRIM "De los procedimientos especiales"
("Besondere Arten des Verfahrens") ist irreführend.
Art. 779 LECRIM, Art. 30 CP.
Art. 789 Ziff. 3 LECRIM: "Sólo en el caso de que las diligencias practicadas en el
atestado no fueren suficientes para formular acusación, así como cuando el procedimiento se iniciare por denuncia presentada en el Juzgado o por querella, el Juez ordenará a la Policía judicial o practicará por sí las diligencias esenciales encaminadas a
determinar la naturaleza y circunstancias del hecho, las personas que en él hayan participado y el órgano competente para el enjuiciamiento, ...".
So Almagro Nosete: "La instrucción sumaria ... se halla inmersa en una profunda
crisis ..."; Gimeno Sendra u.a., Derecho Procesal, S. 503.
Siehe dazu im einzelnen Burgos Ladrón de Guevara, El valor probatorio de las diligencias sumariales en el proceso penal español, insbes. S. 105 ff.
704
Spanien
Inwieweit sich dieser durch die genannte Rechtsprechung eingeleitete Umbruch in der Praxis der für die einzelnen Gerichtsbezirke in Strafsachen zuständigen erstinstanzlichen Gerichte29 durchgesetzt hat, ist schwer zu beurteilen. Empirische Untersuchungen sind nicht ersichtlich. Es scheint aber
klar zu sein, daß er im Rahmen der Audiencia Nacional weitgehend vollzogen ist. Dies bedeutet, daß im Bereich der Drogenkriminalität die Voruntersuchung überwiegend lediglich eine Vorbereitung der Hauptverhandlung
beinhaltet.
2.
Legalitäts- und Opportunitätsprinzip
Im spanischen Strafverfahrensrecht herrscht das Legalitätsprinzip,30 das allerdings gewissen Einschränkungen unterliegt. So gibt es die Möglichkeit
von Absprachen zwischen Anklage und Verteidigung, um das Verfahren abzukürzen.31
Weitere Ausnahmen vom Legalitätsprinzip sind derzeit in der Diskussion,32
haben aber noch keinen Niederschlag im Gesetz gefunden. Nicht übersehen
werden darf, daß der spanische Untersuchungsrichter bei der Bewertung der
im Rahmen der Voruntersuchung festgestellten Verdachtsmomente einen
nicht unbeträchtlichen Spielraum hat, so daß auch insofern das Legalitätsprinzip praktisch eine gewisse Flexibilität aufweist.
3.
Aufgaben- und Zuständigkeitsverteilung zwischen den staatlichen Verfahrensbeteiligten
Die Vorfeldermittlung ist Sache der Polizei, wobei präventive und repressive Tätigkeit nicht immer genau zu unterscheiden ist. Im Rahmen der Dro29
30
31
32
Unseren Amtsgerichten vergleichbar (aber mit größerer Strafgewalt ausgestattet) sind
die mit Einzelrichtern besetzten Juzgados de lo Penal, unseren Landgerichten die Audiencias Provinciales; siehe dazu Madlener, Landesbericht Spanien, S. 1097 ff.
Art. 105 LECRIM.
Siehe dazu Montero Aroca u.a., Derecho jurisdiccional, S. 297 ff. (Gómez Colomer);
Armenta Deu, Criminalidad de bagatela, S. 202 ff., 213 ff.; Gimeno Sendra, ZStW
104 (1992), S. 223-233.
Siehe die ausführlichen Literaturhinweise bei Fernández Entralgo, Los principios
procesales y procidementales de la Ley Orgánica 7/1988, S. 32; Fernández Entralgo
sieht hier einen anglo-amerikanischen Einfluß, der über die Bundesrepublik vermittelt
werde. Siehe ferner Armenta Deu, Criminalidad de bagatela, S. 143 ff., insbes. 192 ff.
Allgemeine Grundsätze des Ermittlungsverfahrens
705
genkriminalität geht es aber stets auch darum, Betäubungsmittel und Beteiligte zu ermitteln und in Gewahrsam zu nehmen, so daß hier nach Ansicht
der Polizei die repressive Tätigkeit eindeutig überwiegt.
Solange der Untersuchungsrichter noch kein Verfahren eingeleitet hat, werden die Ermittlungen in der ausschließlichen Zuständigkeit der Polizei geführt, die gemäß Art. 295 LECRIM verpflichtet ist, den Untersuchungsrichter oder die Staatsanwaltschaft binnen 24 Stunden davon zu unterrichten.
Der Unterstellung der Gerichtspolizei unter die Staatsanwaltschaft33 dürfte
im allgemeinen in der Praxis bisher keine nennenswerte Bedeutung zukommen. Der Versuch, über Gesetzesreformen zu erreichen, daß der Staatsanwalt aktiv an den Ermittlungen teilnimmt und sich nicht - wie es seiner herkömmlichen Rolle im spanischen Vorverfahren entspricht - auf die Abgabe
rechtlicher Stellungnahmen zu den Maßnahmen des Untersuchungsrichters
beschränkt, kommt anscheinend nur langsam voran.
Anders ist es jedoch auf dem Gebiet der Drogenkriminalität. Hier hat sich in
den letzten Jahren eine enge Zusammenarbeit zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft ergeben. Diese Zusammenarbeit entspricht dem Modell der
zukünftigen Stellung der Staatsanwaltschaft im spanischen Strafverfahrensrecht. Sie wird dadurch erleichtert, daß auf dem Gebiet der Drogenkriminalität zentrale Polizeieinheiten tätig sind. Alle Beteiligten kennen sich
daher und stehen in ständiger Verbindung miteinander. Mit der Staatsanwaltschaft werden insbesondere auch solche Maßnahmen besprochen, die
möglicherweise im Strafverfahren von der Verteidigung angegriffen werden
könnten.
Der Untersuchungsrichter wird eingeschaltet, wenn entweder die Ermittlungstätigkeit der Polizei zu einem gewissen Abschluß gekommen ist und
diese einen Ermittlungsbericht (atestado) vorlegen kann oder wenn die Polizei der richterlichen Anordnung von Zwangsmaßnahmen oder Telefonüberwachung bedarf. Spätestens gleichzeitig mit einer entsprechenden richterlichen Anordnung wird das Untersuchungsverfahren eröffnet. In diesem
Verfahren kann der Richter der Gerichtspolizei Weisungen für ihre weitere
Ermittlungstätigkeit geben.34 Gerade auf dem Gebiet der Betäubungsmittel-
33
34
Siehe die in Anm. 14 aufgeführten Rechtsnormen.
Siehe die in Anm. 14 aufgeführten Rechtsnormen.
706
Spanien
kriminalität ist die Zusammenarbeit zwischen dem Untersuchungsrichter
und den Spezialeinheiten der Polizei sehr eng.
Die Zusammenarbeit zwischen den Behörden, die an der Strafverfolgung
mitwirken, wird durch Comisiones de Coordinación gefördert. Auf Regierungsebene besteht ein Koordinierungsausschuß, dem u.a. der Präsident des
Obersten Gerichts, der Justizminister, der Innenminister, der Generalstaatsanwalt und der Staatssekretär für Sicherheit angehören. Den entsprechenden Kommissionen in den 50 Provinzen Spaniens gehören jeweils der
Präsident des Landgerichts (Audiencia Provincial), der Oberstaatsanwalt,
der Direktor des Amtsgerichts in der Provinzhauptstadt sowie die Leiter der
Nationalpolizei und der Zivilgarde auf Provinzebene an.35
4.
Die Verteidigung im Ermittlungs- und Untersuchungsverfahren
Mit der Rückkehr Spaniens zur Demokratie wurde die Stellung der Verteidigung im Verfahren erheblich verstärkt. Grundlegend ist Art. 24 der Verfassung von 1978:
"Jede Person hat bei der Wahrnehmung ihrer legitimen Rechte und Interessen
Anspruch auf wirksamen Schutz durch Richter und Gerichte. In keinem Fall
darf jemand ohne Verteidigung bleiben.
Ebenso haben alle das Recht auf einen gesetzlich bestimmten ordentlichen
Richter, auf Verteidigung und auf Rechtsbeistand, auf Information über die
gegen sie erhobene Anklage, auf einen öffentlichen Prozeß ohne ungebührliche Verzögerungen und mit allen Garantien, auf Verwendung von für ihre
Verteidigung geeigneten Beweismitteln und darauf, nicht gegen sich selbst
aussagen und sich schuldig bekennen zu müssen, sowie auf die Vermutung
der Unschuld. Das Gesetz regelt die Fälle, in denen aus Gründen der Verwandtschaft oder des Berufsgeheimnisses keine Verpflichtung zur Aussage
über mutmaßliche Straftaten besteht."36
35
36
Art. 31 ff. Real Decreto 769/1987, de 19 de junio, sobre la regulación de la Policía
Judicial.
Übersetzung von López Pina, Spanisches Verfassungsrecht, S. 560.
Grundsätze und Grenzen der Sachverhaltserforschung
707
Während der Voruntersuchung hat der Verteidiger grundsätzlich das Recht,
bei Untersuchungshandlungen anwesend zu sein.37 Auch steht ihm Einsicht
in die Untersuchungsakten zu.38
Noch weiter gehen die Rechte der Verteidigung, wenn eine Festnahme erfolgt ist. Auch dies ist verfassungsrechtlich garantiert. Art. 17 Abs. 3 Satz 2
CE bestimmt folgendes:
"Dem Festgenommenen wird der Beistand eines Anwaltes bei den polizeilichen und richterlichen Ermittlungen nach Maßgabe des Gesetzes garantiert."39
Art. 520 Ziff. 2 Buchst. c LECRIM gestattet demgemäß, daß der Verteidiger
bei der polizeilichen Vernehmung des Festgenommenen, bei Gegenüberstellungen usw. anwesend ist.40
Nur für einen Zeitraum bis zu einem Monat können der Verteidigung diese
Rechte gemäß Art. 302 Abs. 2 LECRIM entzogen werden, falls der Richter
durch Beschluß (auto) anordnet, daß das Verfahren geheim ist (declaración
de secreto de sumario). Die im Gesetz nicht geregelte Frage, ob die Monatsfrist verlängert werden kann, hat das Verfassungsgericht bejaht.41
III.
Grundsätze und Grenzen der Sachverhaltserforschung
1.
Verfassungsrechtliche Vorgaben
Die spanische Verfassung von 1978 enthält in Art. 14 ff. einen Grundrechtskatalog. Die dort normierten Grundrechte sind unmittelbar anwendbares
Recht.42 Im Hinblick auf die "Besonderen Ermittlungsmaßnahmen" ist
Art. 18 CE von besonderer Bedeutung:
37
38
39
40
41
42
Siehe Art. 118 Abs. 1, 302 Abs. 1, 520 Ziff. 2 LECRIM. Dies gilt aber nicht für die
Vernehmung von Zeugen, denn diese machen ihre Aussagen "einzeln und geheim in
Gegenwart des Untersuchungsrichters und des Gerichtssekretärs" (Art. 435 LECRIM).
Die Akten geben allerdings kein vollständiges Bild von der Tätigkeit des Untersuchungsrichters: siehe Art. 315 Abs. 2 LECRIM. Kritisch dazu: Vázquez Iruzubieta,
Doctrina y Jurisprudencia de la Ley de Enjuiciamiento Criminal, Abs. 2 der Anm. zu
Art. 315.
Übersetzung von López Pina, Spanisches Verfassungsrecht, S. 560.
Siehe im einzelnen Moreno Catena, La defensa en el proceso penal, S. 61 ff.
STC 176/1988, de 4 de octubre; BJC 1988, S. 1233-1239.
Art. 53 CE.
708
Spanien
"1. Das Recht auf Ehre, auf die persönliche und familiäre Intimsphäre und
auf das eigene Bild wird gewährleistet.
2. Die Wohnung ist unverletzlich. Ohne Einwilligung des Inhabers oder gerichtlichen Beschluß darf keine Wohnung betreten oder durchsucht werden, es
sei denn, ein Straftäter wird auf frischer Tat betroffen und verfolgt.
3. Das Geheimnis der Kommunikation, insbesondere das Post-, Fernmeldeund Fernsprechgeheimnis, wird gewährleistet, soweit keine gegenteilige richterliche Entscheidung vorliegt.
4. Das Gesetz beschränkt die Verwendung von gespeicherten Daten, um die
Ehre sowie die persönliche und familiäre Intimsphäre der Bürger und die volle Ausübung ihrer Rechte zu gewährleisten."43
Allerdings sind bisher erst wenige gesetzliche Vorschriften zur Regelung
der in Art. 18 CE normierten Grundrechte und ihrer möglichen Einschränkungen ergangen.44 Ein Beispiel ist die Telefonüberwachung, die in Art. 579
LECRIM geregelt ist. Ein anderes Beispiel ist der Datenschutz. Das dazu
1992 ergangene Gesetz45 stellt indessen in den Art. 20 ff. die Polizei weitgehend im Interesse der öffentlichen Sicherheit (seguridad pública) und der
Strafverfolgung (represión de infracciones penales) von den Datenschutzvorschriften frei.
Im übrigen fehlt es aber noch an gesetzlicher Regelung. Die Folge ist ein
erhebliches Maß an Unsicherheit. Die von der Verfassung gezogenen Grenzen sind zwar von der Polizei zu achten. Ihre Verletzung kann insbesondere
unter dem Gesichtspunkt eines unerlaubten Eindringens in die Privatsphäre
und des Abschneidens der Verteidigungsrechte (indefensión) im Strafverfahren zu Beweisverwertungsverboten führen.46 Mangels gesetzlicher Regelung
sind diese Grenzen jedoch oft schwer zu bestimmen. Der Schutz von Inter-
43
44
45
46
Übersetzung von López Pina, Spanisches Verfassungsrecht, S. 558.
Solche Vorschriften bedürfen der Form eines "Organgesetzes" (Ley orgánica), das nur
mit absoluter Mehrheit beschlossen, abgeändert oder abgeschafft werden kann
(Art. 81 CE).
Der Regierungsentwurf 121/000059 mit dem Titel "Regulación del tratamiento automatizado de los datos de carácter personal" ist abgedruckt in APL Nr. 8 (1991),
S. 703-739, das Organgesetz (Nr. 5/1992 vom 29.10.1992) in RAL Nr. 2347. Das Gesetz sieht keine Strafbestimmungen vor (diese bleiben einer Ergänzung des Strafgesetzbuches vorbehalten; Exposición de motivos, RAL Nr. 2347, S. 8930), wohl aber
Ordnungswidrigkeiten.
Siehe dazu Damián Moreno, PJ Nr. 16/1989, S. 151 ff. und weitere unten IV.4 und V
angeführte Literatur.
Grundsätze und Grenzen der Sachverhaltserforschung
709
essen Dritter, die lediglich notwendigerweise (z.B. bei der Telefonüberwachung) ebenfalls betroffen sind, wird generell als weniger wichtig eingeschätzt.
2.
Regelung des Ermittlungsverfahrens
Das Ermittlungsverfahren der Polizei ist verhältnismäßig wenig geregelt.
Gesetze und Dekrete geben lediglich einen allgemeinen Rahmen für die
Aufgabe der Polizei und die Zusammenarbeit mit anderen staatlichen Stellen (siehe oben II.).
Die daraus folgenden Probleme werden in der Literatur, soweit ersichtlich,
nicht erörtert. Von der Praxis wird die Ansicht vertreten, daß Ermittlungen
grundsätzlich erlaubt sind, wenn sie nicht in grundgesetzlich geschützte Interessen (insbesondere Intimsphäre und Verteidigungsrechte) eingreifen.
Zu berücksichtigen ist auch, daß die spanische Polizei traditionell recht frei
operieren kann. Gesetzliche Bestimmungen oder Rechtsprechung, die diese
Befugnisse der Polizei einschränkten, sind selten. Allerdings hat das Verfassungsgericht in den letzten Jahren einige Entscheidungen zum Problem der
Beweisverbote erlassen, welche die spanische Polizei nötigen, bei ihrer Ermittlungstätigkeit insbesondere eine Verletzung der Intimsphäre und der
Verteidigungsrechte sorgfältig zu vermeiden.47
Abgesehen von Zwangsmaßnahmen wie Festnahme, Durchsuchung, Beschlagnahme, Postkontrolle, bedarf lediglich die Telefonüberwachung der
richterlichen Anordnung.48 In Eilfällen kann sie durch das Innenministerium
oder den Direktor für Staatssicherheit für beschränkte Zeit angeordnet werden, wenn die Maßnahme gegen bewaffnete Banden, Terroristen oder Aufständische gerichtet ist.49 Ob dieses Verfahren stets eingehalten wird, ist
fraglich. Allerdings können Beweise, die unter Verletzung dieses Verfahrens erlangt worden sind, im Strafverfahren nicht verwertet werden.50
47
48
49
50
Siehe dazu Damián Moreno, PJ Nr. 16/1989, S. 151 ff.
Art. 579 Abs. 2-4 LECRIM.
Art. 579 Abs. 4 LECRIM.
Siehe dazu die unten IV.4 aufgeführte Literatur.
710
Spanien
IV.
Besondere Ermittlungsmaßnahmen im einzelnen
1.
Rasterfahndung
Der Datenschutz ist in Spanien erst seit 1992 geregelt. Das Datenschutzgesetz vom Oktober 1992 dürfte für die Ermittlungstätigkeit der Polizei aber
kaum nachteilige Folgen haben, da für ihre präventive und repressive Ermittlungstätigkeit besondere Vorschriften gelten, durch die sie weitgehend
von den sonst geltenden Beschränkungen befreit wird.51
Auch die Rasterfahndung ist nicht gesetzlich geregelt. Rechtsverordnungen
(Dekrete) oder interne Normen des Innenministeriums oder der Polizeiorganisationen gibt es dazu ebenfalls nicht. Sie wird aber von den Strafverfolgungsorganen für zulässig erachtet.
Entscheidungen zur Rasterfahndung scheinen bisher nicht ergangen zu sein;
in der Literatur ist keine Diskussion dazu ersichtlich.
Der Untersuchungsrichter muß nur dann eingeschaltet werden, wenn auf private Datenbanken zurückzugreifen ist, beispielsweise die der Stromversorgungsunternehmen, Banken und Sparkassen usw. In dieser Hinsicht scheinen sich aber keine Schwierigkeiten zu ergeben.
2.
Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung
Diese Maßnahme wird offensichtlich in weitem Umfange angewandt. Wichtige Erkenntnisquellen sind außer den Grenzkontrollen auch die Registrierung der Gäste in den Hotels und Pensionen. Aufgrund einer Verordnung
des Innenministeriums sind die Beherbergungsbetriebe verpflichtet, ein
Gästebuch nach amtlichem Modell zu führen und die Meldezettel der Gäste
binnen 24 Stunden nach deren Ankunft der zuständigen Polizeibehörde vorzulegen.52 Dabei ist auch die Übermittlung durch Telefax oder Datenträger
zugelassen.53 Bei der Anmeldung muß die Kennkarte (Documento Nacional
51
52
53
Siehe oben III.1.
Orden 30 septiembre 1959 (Ministerio Gobernación), RAL Nr. 1416. An die Stelle
dieser Verordnung ist jetzt getreten: Orden de 14 de febrero de 1992 sobre Librosregistro y partes de entrada de viajeros en establecimientos de hostelería y otros análogos; B.O.E. Nr. 48 vom 25.2.1992; APL 1992, S. 218-221.
Abschnitt 3, Ziffer 1.2 bis 1.4 der Verordnung vom 14.2.1992.
Besondere Ermittlungsmaßnahmen im einzelnen
711
de Identidad) vorgelegt werden. Nummer und Datum der Kennkarte sind zu
vermerken.54 Autovermietungen sind ebenfalls meldepflichtig. Die Möglichkeit, die eingehenden Daten mittels der EDV auszuwerten, wird geprüft,
ist aber noch nicht im Stadium der Anwendung.
Die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung wird als unproblematisch
angesehen und eine Regelung für überflüssig. In diesem Zusammenhang
wurde von spanischen Gesprächspartnern bemerkt, daß man sich keine
Probleme schaffen müsse, wo keine seien.
3.
Längerfristige Observation
Diese Überwachungsmethode wird für notwendig gehalten, soweit es sich
um Terrorismus und Betäubungsmittelkriminalität handelt. Daß sie nicht in
sehr weitem Umfang angewandt werden kann, hängt mit den enormen Kosten, insbesondere dem großen Personaleinsatz, zusammen.
Eine Regelung durch Gesetz oder Rechtsverordnung gibt es nicht. Auch interne Normen sind nicht festgestellt worden. Wegen des erheblichen Aufwandes, den jede längerfristige Observation verursacht, ergibt es sich von
allein, daß sie nur in den Fällen angewandt wird, in denen sie unbedingt erforderlich erscheint.
Rechtsprechung zur längerfristigen Observation gibt es nicht. Eine Diskussion in der Literatur ist nicht ersichtlich.
4.
Einsatz technischer Mittel
In der Praxis werden alle technischen Mittel der Überwachung eingesetzt,
Richtmikrofone, Video, Foto, Übertragungs- und Peilsender usw. Die Anwendung dieser technischen Mittel wird als unverzichtbar bei der Bekämpfung des Terrorismus und der Betäubungsmittelkriminalität angesehen. Offensichtlich sind diese Mittel auch erfolgreich.
54
Dekret Nr. 357/62 vom 22.2.1962 (RAL Nr. 395). Dekret Nr. 196/76 vom 6.2.1976
(RAL Nr. 291). Siehe auch Art. 12 Abs. 1, Art. 23 Buchst. k, Art. 28 Abs. 1 Buchst. a
Ley Orgánica 1/1992, de 21 de febrero, sobre Protección de la Seguridad Ciudadana,
RAL Nr. 421. Nach diesen Vorschriften können wegen Verstößen gegen die Meldeordnung Geldbußen bis 50.000 Peseten verhängt werden.
712
Spanien
Weder durch Gesetz noch durch Verordnung ist die Anwendung dieser Apparate im Zuge der Verbrechensbekämpfung geregelt, wenn man von der
Telefonüberwachung (Art. 579 Abs. 2-4 LECRIM) absieht.55 Art. 579
Abs. 3 LECRIM kann jedoch dahingehend verstanden werden, daß jede Art
akustischer Überwachung von comunicaciones aufgrund richterlicher Anordnung zulässig ist.56 Anscheinend sind Anordnungen zur Anbringung von
Abhörgeräten auch ergangen. Da die Unverletzlichkeit der Wohnung aber
zu achten ist, werden die Geräte vor allem in Hotels usw. eingesetzt.
Eine Sonderregelung sieht Art. 579 Nr. 4 LECRIM für den Fall vor, daß sich
die Ermittlungen auf Straftaten bewaffneter Banden, Terroristen oder Aufständischer beziehen. Liegt diese Voraussetzung vor, so kann bei Eilbedürftigkeit die Abhöranordnung vom Innenminister oder dem Direktor für
Staatssicherheit getroffen werden. Der zuständige Untersuchungsrichter ist
dann sofort (inmediatamente) von der Anordnung und ihrem Grund zu unterrichten und hat sie binnen 72 Stunden nach ihrem Erlaß zu bestätigen
oder zu widerrufen.57
Liegt eine gemäß Art. 579 Abs. 2, 3 oder 4 LECRIM ergangene Anordnung
nicht vor,58 so sind die Ermittlungshandlungen rechtswidrig wegen unerlaubten Eindringens in die Intimsphäre und Abschneidens von Verteidigungsmöglichkeiten. Außerdem ist das Abhören von Telefongesprächen sowie die
Benutzung von Einrichtungen zum Abhören, zur Übertragung, Aufzeichnung oder Wiedergabe von akustischen Signalen (sonido) durch Amtsträger
ohne gerichtliche Anordnung gemäß Art. 192bis CP strafbar.59 Als mögliche Rechtfertigungsgründe werden Gehorsamspflicht des Untergebenen
55
56
57
58
59
Im Zivilrecht findet sich dagegen eine eingehende Regelung: Ley Orgánica 1/1982,
de 5 de mayo, sobre protección civil del derecho al honor, a la intimidad personal y
familiar y la propia imagen (RAL Nr. 1197). Zur verfassungs- und strafrechtlichen
Problematik der Telefonüberwachung siehe Cobo del Rosal (Hrsg.), Comentarios a la
legislación penal, Bd. VII: Delitos contra el secreto de las comunicaciones ("escuchas
telefónicas").
Queralt Jiménez/Jiménez Quintana, Manual de Policía Judicial, S. 135.
Kritisch dazu Moreno Catena, in: Gimeno Sendra u.a., Derecho Procesal, S. 348 f.
Zu Voraussetzungen und Verfahren bei richterlicher Anordnung siehe de Llera Suárez-Bárcena, PJ 1986, S. 9-23.
Siehe dazu González Guitián, Escuchas clandestinas realizadas por funcionarios públicos (Art. 192 bis). Soweit der Täter kein Amtsträger ist, macht er sich nach Art. 497bis
CP strafbar. Erstmals ist 1992 ein Journalist wegen Abhörens eines Telefongesprächs
verurteilt worden; siehe El País vom 3.3.1992. Zu beiden Strafvorschriften (Art. 192bis
und Art. 497bis CP) siehe Higuera Guimerá, BIMJ Nr. 1414, 1415.
Besondere Ermittlungsmaßnahmen im einzelnen
713
(obediencia debida, Art. 8 Nr. 16 CP), Amtsausübung (ejercicio del cargo,
Art. 8 Nr. 11 CP)60 und Notstand (Art. 8 Nr. 7 CP) genannt.61
Rechtsprechung ist lediglich zur Telefonüberwachung, insbesondere zur
Frage des Verwertungsverbots aufgrund rechtswidrig erlangter Beweismittel, ersichtlich.62 Auch in der Literatur werden allein sie und gelegentlich
die akustische Überwachung allgemein erörtert.
5.
Verdeckte Ermittler
Das Einschleusen von Polizeibeamten in Banden wird praktiziert. Regelungen durch Gesetz oder Verordnung oder interne Normen des Innenministeriums oder der Polizei sind nicht ersichtlich.
Die Maßnahme wird verfassungsrechtlich nicht als bedenklich angesehen.
Auch wird die Frage der milieubedingten Straftaten kaum erörtert. Man
macht aber geltend, daß ein Polizist Straftaten nicht begehen und daß ihm
dies auch nicht gestattet werden darf. In Notfällen müsse über Vorschriften
des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs geholfen werden. Neben den
Vorschriften über den Notstand kommt dort insbesondere Art. 8 Nr. 11 CP
in Betracht:
"Von der strafrechtlichen Verantwortung sind ausgenommen:
...
11. Wer in Erfüllung einer Pflicht, in gesetzmäßiger Ausübung eines Rechtes,
eines Berufes oder eines Amtes handelt."63
Problematisiert wurde aber die Frage, inwieweit die Einschleusung des
Polizeibeamten mehr oder weniger zwangsläufig dazu führt, daß dieser zu
Delikten anstiftet, beispielsweise zum Ankauf oder Verkauf von Drogen.
Dazu sind Gerichtsentscheidungen ergangen, die im Hinblick auf angebliche
60
61
62
63
Siehe die Übersetzung der Vorschrift unten 5.
Siehe das von der Generaldirektion der Polizei für Ausbildungszwecke herausgegebene Lehrbuch des Besonderen Teils von Jodra Arribas, Derecho Penal, Parte Especial,
S. 576.
Siehe dazu López Barja de Quiroga, Las escuchas telefónicas y la prueba ilegalmente
obtenida; López-Fragoso Alvarez, Las intervenciones telefónicas en el proceso penal;
Lozano-Higuero Pinto, RUDP 4 (1990), S. 453-458.
Übersetzung von Antonio Quintano-Ripollés und Johanna Heilpern de Quintano unter
Mitwirkung von Helmut Scharff, Das Spanische Strafgesetzbuch.
714
Spanien
Anstiftung durch Polizeibeamte die Drogentäter freisprachen.64 Obwohl
diese Rechtsprechung inzwischen korrigiert wurde,65 ist, um Schwierigkeiten zu vermeiden, ein Verfahren der sogenannten "kontrollierten Übergabe"
(entrega controlada oder entrega vigilada) von Drogen durch die Praxis entwickelt worden. Kennzeichnend für dieses Verfahren ist insbesondere, daß
vor jeder dieser Übergaben zumindest die Staatsanwaltschaft, ggf. auch der
Untersuchungsrichter, davon unterrichtet wird. Auf diese Weise will sich die
Polizei vor dem Vorwurf schützen, daß sie einerseits das Legalitätsprinzip
verletze, indem sie nicht alsbald nach Bekanntwerden eines Verdachts zugreife, und auf der anderen Seite zur Begehung von Straftaten anstifte.
Das Verfahren hat sich nach Ansicht der Sonderstaatsanwaltschaft für Drogendelikte bewährt. Bis zum 31.12.1991 hatte sie 124 kontrollierten Übergaben zugestimmt. Als Ergebnis wurden fast 200 Personen (rund 75 % davon Ausländer) festgenommen sowie 166 kg Heroin, 2.758 kg Kokain und
7.646 kg Haschisch beschlagnahmt. Sie hat daher vorgeschlagen, eine entsprechende Regelung in den Entwurf für einen neuen Código Penal aufzunehmen.66
Inzwischen ist das Verfahren gesetzlich geregelt, und zwar im Strafverfahrensgesetz. Durch eine Novelle vom Dezember 199267 wurde eine neue
Vorschrift eingefügt, Art. 263bis LECRIM. Danach können der Untersuchungsrichter, die Staatsanwaltschaft und die Leiter der Gerichtspolizeieinheiten von der Provinzebene aufwärts die circulación o entrega vigilada
von Drogen und anderen verbotenen Substanzen zulassen. Falls die Anordnung
von der Gerichtspolizei getroffen wird, ist die Sonderstaatsanwaltschaft für
Drogen oder - falls bereits ein gerichtliches Verfahren eröffnet ist - der zuständige Untersuchungsrichter sofort zu unterrichten. Wie die Bezeichnung
64
65
66
67
Siehe dazu Ruiz Antón, La provocación policial como forma de reprimir el tráfico
ilícito de drogas, S. 320 ff.
Siehe die Nachweise bei Ruiz Antón, a.a.O., und neuestens STS vom 17.11.1992 (RAJ
9344).
Fiscalía Especial para la Prevención y Represión del Tráfico Ilegal de Drogas, Sugerencias al proyecto de Código Penal en materia de drogas, Madrid 1992 (maschinenschriftlich).
Organgesetz Nr. 8/1992 vom 23.12.1992 (APL 1992, S. 1283-1287). Siehe auch
Art. 11 der Wiener UN-Drogenkonvention von 1988, die am 11.11.1990 für Spanien
in Kraft getreten ist (APL 1990, S. 750-784); Art. 73 des Schengener Übereinkommens vom 19.6.1990 betreffend den schrittweisen Abbau der Grenzkontrollen an den
gemeinsamen Grenzen (der deutsche, französische und niederländische Text des Übereinkommens ist abgedruckt in der Drucksache des Bundesrates Nr. 121/92).
Rechtliche Folgen unzulässiger Ermittlungsmaßnahmen
715
circulación o entrega vigilada schon erkennen läßt, findet die Regelung
nicht nur auf die Übergabe von Drogen Anwendung, sondern sie gestattet
auch den (überwachten) Transport. Aus der in Art. 263bis Ziff. 2 LECRIM
enthaltenen Definition ergibt sich, daß dies auch für Ein- und Ausfuhr gilt.
Als Ziel gibt die Vorschrift die Entdeckung oder Identifizierung Tatverdächtiger sowie Amtshilfe für ausländische Behörden zu diesem Zweck an.
Zum Verdeckten Ermittler sind im übrigen keine Entscheidungen ersichtlich. Auch in der Literatur wird die Frage nicht diskutiert, abgesehen vom
Problem der Anstiftung durch Polizeibeamte.
6.
Verbindung mehrerer der genannten Ermittlungsmaßnahmen
Regelmäßig werden verschiedene Maßnahmen kombiniert, sei es zum
Schutz Verdeckter Ermittler, sei es zur Ermöglichung einer besseren Observation. Da die einzelnen Maßnahmen als unproblematisch gelten, sieht
man auch hinsichtlich der Verbindung mehrerer Maßnahmen keine Notwendigkeit einer Regelung. Derzeit gibt es weder durch Gesetz noch durch Verordnung noch durch interne Normen eine solche Regelung.
Daß ein Verdeckter Ermittler Gespräche aufzeichnet, wird als weniger problematisch angesehen als die Aufzeichnung von Gesprächen, bei denen kein
Verdeckter Ermittler anwesend ist. Es wird hier eine Parallele zur Telefonüberwachung gezogen, wo hinsichtlich eines Gesprächspartners eine richterliche Anordnung vorliegt, hinsichtlich der anderen Gesprächspartner aber
nicht. Im Fall des Verdeckten Ermittlers ist dieser selbst mit der Aufzeichnung einverstanden, was fehlt, ist die Zustimmung der anderen Gesprächspartner, die aber als überflüssig erachtet wird.
Rechtsprechung gibt es dazu nicht, in der Literatur wird, soweit ersichtlich,
die Frage nicht erörtert.
V.
Rechtliche Folgen unzulässiger Ermittlungsmaßnahmen
In der wissenschaftlichen Diskussion und in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts spielt in den letzten Jahren das Beweisverwertungsverbot eine
716
Spanien
gewisse Rolle.68 Dabei geht es im Bereich der Ermittlungsmaßnahmen aber
regelmäßig um die Telefonüberwachung. Entscheidungen, die die oben behandelten Besonderen Ermittlungsmaßnahmen betreffen, sind dagegen nicht
ersichtlich.
Die Verwertung von Zufallserkenntnissen scheint deswegen keine Probleme
zu stellen, weil die Polizei regelmäßig die Quelle ihrer Erkenntnisse nicht
angibt. Deswegen stellt sich auch nicht die Frage, ob sie Erkenntnisse aus
ihrer präventiven Tätigkeit zur Strafverfolgung verwerten kann oder nicht.
VI.
Reformen
Allgemein ist bei den Strafverfolgungsbehörden die Ansicht anzutreffen,
daß eine Regelung der Ermittlungsmaßnahmen nur punktuell wünschenswert ist. Solche Regelungen werden insbesondere da erstrebt, wo sie dem
Schutz der Polizei dienlich sein können, z.B. beim Problem des Verdeckten
Ermittlers.
Das umstrittene Gesetz sobre Protección de la Seguridad Ciudadana hat
zwar die Befugnisse der Polizei in mehrfacher Hinsicht erweitert,69 hinsichtlich der hier untersuchten Ermittlungsmaßnahmen aber keine Regelungen gebracht.
Bemerkenswert ist, daß sich im Entwurf 1992 für ein neues Strafgesetzbuch70 eine Vorschrift findet, die der Polizei einen erhöhten Schutz dann zu
gewähren geeignet ist, wenn sie ohne richterliche Erlaubnis technische Mittel zur Observation einsetzt.71 Als solche Mittel werden genannt "technische
Vorrichtungen zur Abhörung, Übermittlung, Aufzeichnung oder Wiedergabe von Ton oder Bild". Strafbar macht sich der Polizeibeamte, der diese
Mittel ohne richterliche Anordnung einsetzt nur, wenn das geschieht, um
68
69
70
71
Siehe Damián Moreno, PJ Nr. 16/1989, S. 151 ff; Asencio Mellado, Prueba prohibida
y prueba preconstituida, S. 103-115; Fernández Entralgo, La Ley 1990 Bd. 1,
S. 1180-1206; siehe ferner die oben Anm. 62 angeführten Autoren.
So sind beispielsweise unter bestimmten Voraussetzungen Straßenkontrollen und allgemein Razzien, Durchsuchung von Fahrzeugen usw. möglich; siehe Art. 19 Abs. 2
Ley Orgánica 1/1992, de 21 de febrero, RAL Nr. 421.
Proyecto de Código Penal 1992, BOCG, Serie A, Nr. 102-1 vom 23.9.1992.
Art. 545 des Entwurfs. So auch schon Art. 535 des Vorentwurfs 1992, Ministerio de
Justicia, Madrid 1992, S. 152.
Reformen
717
die Intimsphäre der Betroffenen zu verletzen (para vulnerar la intimidad de
las personas). Daraus läßt sich möglicherweise ableiten, daß es nicht strafbar ist, wenn er eine andere Absicht verfolgt, etwa die, eine Straftat zu verhindern oder Betäubungsmittel sicherzustellen. Die Vorschrift steht im Abschnitt über Beamtendelikte. Die Reform ist allerdings zumindest vorläufig
gescheitert, da das Parlament im Frühjahr 1993 vorzeitig aufgelöst wurde.
Die Strafverfahrensreform in Spanien ist ins Stocken geraten, so daß in
nächster Zeit nicht mit der Ablösung des Strafverfahrensgesetzes von 1882
zu rechnen ist. Möglicherweise wird in der V. Legislaturperiode, die nach
den Parlamentswahlen vom 6.6.1993 begonnen hat, dazu ein neuer Anlauf
genommen.
718
Spanien
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