Deutsche Pfadfinderbewegung

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Deutsche Pfadfinderbewegung
Deutsche Pfadfinderbewegung
-Begleittext-
1. Situation um 1900 in Deutschland
Gesellschaftliche Situation ähnlich wie in England: „Jugend” gibt es nicht. Kinder werden
entweder als Kinder behandelt oder schnellstmöglich zu Erwachsenen gemacht. Ihre
Interessen und Bedürfnisse bleiben unerkannt. Deutschland sieht sich unter Kaiser
Wilhelm II. und Reichskanzler Bismarck als mächtiges Land und möchte Großmacht
werden. Militarismus (alte Filme: „Haben Sie gedient?“), aufstrebende Wirtschaft
(Grundlagen der heutigen Großindustrie), Großstädte.
2. Die Anfänge
1909 übersetzt Dr. Alexander Lyon das Buch „Scouting for boys“ von Baden-Powell. Er
übersetzt es nicht wörtlich, sondern fügt eigene Gedanken hinzu. Sein Buch erscheint
unter dem Titel „Das Pfadfinderbuch“. Der Begriff „Pfadfinder“ ist eine Wortschöpfung,
da die wörtliche Übersetzung von „scout“ eigentlich „Späher“ ist, was die Deutschen
nicht für die richtige Bezeichnung der Gruppen hielten.
Englische Pfadfinder führen in diesem Jahr ein Wanderlager durch, die das Interesse an
der Pfadfinderei weckt. Die ersten Gruppen in München und Bamberg entstehen. Schon
bald gibt es auch Gruppen für Mädchen, und die kirchliche Jugendarbeit macht sich
Gedanken über christliche Pfadfindergruppen.
1911 wird der DEUTSCHE PFADFINDERBUND (DPB) gegründet. Maximilian Bayer
wird erster Reichsfeldmeister. Ähnlich wie in England sind die Pfadfinder in ihrer
Anfangsphase militärisch geprägt. Es gibt als Organisationsformen „Züge“ und
„Kompanien“ statt Sippen, die Feldmeister sind meist Berufsoffiziere. Dies zeigt sich
auch in den Abzeichen. Als Bundessymbol des DPB wird das Abzeichen der
Kundschafter der deutschen Armee gewählt, da auch die Lilie Abzeichen der englischen
war.
3. Der Erste Weltkrieg
Inzwischen gibt es in Deutschland ca. 100.000 Pfadfinder, darunter auch Mädchen (im
BUND DEUTSCHER PFADFINDERINNEN) und erste kirchliche Gruppen. Die
Kirche hatte den Trend zur Pfadfinderei natürlich erkannt und versucht, auch in diesem
Bereich Fuß zu fassen.
Im Ersten Weltkrieg ziehen viele junge Deutsche mit Begeisterung ins Feld. Die
Begeisterung ist im ganzen Volk vorhanden (ganze Abiturjahrgänge ziehen nach den
Prüfungen gegen Frankreich). Maximilian Bayer ruft die Pfadfinder auf, dem Militär als
Funker, Ordonnanzen, Nachrichtenübermittler usw. zu helfen. Er selbst stirbt 1917 in
Lothringen. Viele der bisherigen Männer, die Pfadfindergruppen führten, sind nun im
Krieg und Jugendliche werden Führer. Das System „Jugend führt Jugend” entsteht.
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fabian hofmann
1999
Nach dem Krieg ist in Deutschland das Militär am Boden zerstört. Außerdem beginnt die
Gesellschaft sich aufzuspalten. Zahllose Parteien bevölkern den Reichstag, in der Kunst
entstehen die seltsamsten Werke, der Pluralismus beginnt Fuß zu fassen.
In dieser Situation, der Zersplitterungsphase, beginnt auch der DPB zu bröckeln. Einige
„Oppositionsführer“ werden ausgeschlossen. Bald gibt es 15 Bünde, darunter der Bund
der Neupfadfinder, die Waldpfadfinder, das Schwarze Pfadfinderkorps und viele andere.
Der DPB hat nur noch etwa 8.700 Mitglieder.
1925 entsteht der erste christliche (evang.) Bund, der CHRISTLICHEN
PFADFINDERSCHAFT DEUTSCHLANDS (CPD).
Tusk bringt einige „Erfindungen” in die Pfadfinderei ein:
Nach dem Krieg aufgekommen war auch die Wandervogel-Bewegung. Sie waren eine sehr
freie Jugendgruppe, die Natur erleben und die Welt sehen wollten. Damals großer Trend
zu Freiheit und Natur, zum „Erwachen“ der Jugend. In ihrer Art waren sie weniger
„scoutistisch”-miliärisch, sondern eher „bündisch”.
Zuerst konkurrierten sie mit den Pfadfindern, schlossen sich aber 1925 zum BUND DER
PFADFINDER UND WANDERVÖGEL zusammen.
1929 wird die DEUTSCHE PFADFINDERSCHAFT SANKT GEORG (DPSG) als
katholischer Verband gegründet. Mehrere Verbände (u.a. DPB und CPD) schließen sich
zum Deutschen Pfadfinderverband (DPV) zusammen, um international anerkannt zu
werden. Anerkannt wird nämlich jeweils nur ein Verband pro Staat.
4. Die Zeit des Nationalsozialismus
Die NSDAP gewinnt immer mehr Macht, Hitler gelangt 1933 an die Regierung. Das
totalitäre System der Nazis besteht auf der Kontrolle des ganzen Lebens im Staate natürlich auch nach einer einzigen, staatlichen Jugendorganisation. Zuerst werden
Jugendliche in die Hitlerjugend (HJ) und den Bund Deutscher Mädel (BDM) gedrängt.
Der Druck auf die Jugendverbände wird aber immer stärker:
Im April besetzt die HJ das Büro des Reichsausschusses der dt. Jugendbewegung.
Pfingsten wird ein 10.000-Teilnehmer-Lager des Großdeutschen Pfadfinderbundes von
Polizei und HJ abgebrochen. Der Landrat argumentiert: „Die Bevölkerung ist durch die
große Menge verunsichert.“
5. Das Verbot
1934: Vom evang. Reichsbischof wird die Evang. Jugend und die CPD in die HJ
eingegliedert. Die Pfadfinder werden als „Zufluchtstelle von dem Staat feindlich
gesinnten Personen” bezeichnet und daher verboten.
Die DPSG hat ca. 16.000 Mitglieder, da sie der einzige noch bestehende
Pfadfinderverband ist. In einem Abkommen mit dem Papst hatte Hitler den Schutz aller
kath. Einrichtungen garantiert. Die DPSG darf jedoch keine Tracht tragen, keine Wimpel
und Banner führen und muß sich „Gemeinschaft Sankt Georg“ nennen. 1938 schließlich
wird auch sie aufgelöst.
Deutsche Pfadfinderbewegung
fabian hofmann
1999
Während des Zweiten Weltkriegs sehen sich viele Pfadfinder noch weiterhin den Idealen
von Freiheit, Brüderlichkeit und Internationalität verbunden. Der Hitler-Attentäter Graf
Schenk von Stauffenberg war Pfadfinder, die Gebrüder Scholl Wandervögel.
Im Mai 1945 kapituliert Deutschland, Hitler begeht Selbstmord.
6. Nach dem Krieg
Im Juni 1945 erhält die erste DPSG-Gruppe die erste Lizenz als Pfadfindergruppe. Sie
werden zwar von den Besatzungsmächten gefördert, aber auch kontrolliert.
1946 wird in der amerik. Besatzungszone der BUND DEUTSCHER PFADFINDER
gegründet. Dort finden sich alle interkonfessionellen Pfadfindergruppen außer dem
DPB. Der BDP, die CPD und die DPSG schließen sich zum RING DEUTSCHER
PFADFINDER (RDP) zusammen, um gemeinsam die internationale Anerkennung zu
bekommen.
Im gesamten Westen sind die Pfadfinder inzwischen vertreten. In der sowjet.
Besatzungszone (später DDR) sind die Pfadfinder verboten, es gibt nur die staatliche
FREIE DEUTSCHE JUGEND (FDJ). Ihr gehört auch Tusk an.
7. Austrittswellen
1955 treten verschiedene Gruppen aus dem BDP aus, da sie mehr bündische (freie) als
scoutistische (strenge) Pfadfinderarbeit betreiben wollen. Weitere Austritte folgen:
In den 60er Jahren, der „Flower-Power”-Zeit, werden die Jugendlichen politisch aktiver.
Sie engagieren sich gegen den Vietnam-Krieg, gegen Atomenergie, gegen die
Regierungskoalition aus SPD und CDU/CSU. Da es mit dieser überwältigenden
Mehrheit im Bundestag keine wirkliche „Opposition“ mehr gibt, bilden vor allem
Studenten die „außerparlamentarische Opposition“ (APO).
Auch der BDP beschäftigt sich viel mit politischen Fragen, eine eher unverbindliche
offene Jugendarbeit entsteht. Die Pfadfindergesetze und das Versprechen werden im
BDP abgeschafft, die Jugendlichen offen zum Ungehorsam gegen Elternhaus und Schule
aufgefordert.
BDP-Führer nehmen 1968 an einer Demonstration gegen die „Ermordung” des
Studentenführers Rudi Dutschke teil.
Das Weltbüro bemerkt die Politisierung des BDP und droht dem RDP mit Ausschluß
aus dem Weltbund. Daraufhin wird der BDP aus dem RDP ausgeschlossen. Da es diesen
„Ausschluß“ satzungsrechtlich gar nicht hätte geben dürfen, wird der Ring aufgelöst und später neu gegründet.
Ebenso unzufrieden mit der Politisierung sind viele Mitglieder. Es kommt zu weiteren
Austrittswellen. Daraus entsteht u.a. der Bund der Pfadfinder, später BUND DER
PFADFINDERINNEN UND PFADFINDER (BdP) und 1970 der Deutsche
Pfadfinder e.V., der sich später DEUTSCHER PFADFINDER-VERBAND (DPV)
nennt.
1971 beschließt die DPSG, in einer Unterorganisation (Pfadfinderinnenschaft St. Georg PSG) Mädchen aufzunehmen.
Die CPD und andere evangelische Gruppen schließen sich zum VERBAND
CHRISTLICHER PFADFINDERINNEN UND PFADFINDER (VCP) zusammen.
Deutsche Pfadfinderbewegung
fabian hofmann
1999
Aktuelle Entwicklungen
Der Ring deutscher Pfadfinderverbände (RdP) setzt sich nun aus DPSG, VCP und BdP
zusammen. Der DPV, der gegen den BdP um die Aufnahme konkurrierte, bleibt außen
vor. Er hatte seine politische Neutralität bewahrt. Alle anderen hatten sich politisch links
betätigt, und dadurch erschien der DPV rechtsgerichtet. Die DPSG und ihre
Mädchenorganisation Pfadfinderinnenschaft St. Georg (PSG) haben damals
beispielsweise weder Tracht noch Banner - das ist „zu militärisch“. Der RdP wird
international anerkannt.
Ausgetretene aus allen Ringverbänden, zum Beispiel die Katholische Pfadfinderschaft
Europas (KPE) [aus der DPSG], die Christliche Pfadfinderschaft Deutschlands (CPD)
[aus dem VCP] und der Deutsche Pfadfinder-Verband (DPV) [aus dem BDP] bilden als
Gegenpol zum RdP den Deutschen Pfadfinder-Ring (DPR).
Deutsche Pfadfinderbewegung
fabian hofmann
1999