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JbAC_Titel_53.qxd 18.09.2011 11:10 Seite 1 JAHRBUCH FÜR ANTIKE UND CHRISTENTUM JAHRGANG 53 · 2010 ASCHENDORFF VERLAG MÜNSTER WESTFALEN JbAC_Titel_53.qxd 18.09.2011 11:10 Seite 2 BEGRÜNDET VON THEODOR KLAUSER, EDUARD STOMMEL, ALFRED STUIBER FORTGEFÜHRT VON ERNST DASSMANN, JOSEF ENGEMANN, ALFRED HERMANN, KLAUS THRAEDE HERAUSGEGEBEN VON GEORG SCHÖLLGEN, SIBLE DE BLAAUW, THERESE FUHRER, WINRICH LÖHR ANSCHRIFT DER REDAKTION: F. J. DÖLGER-INSTITUT, OXFORDSTRASSE 15, D-53111 BONN TELEFON 00 49-(0)228-73 61 70 · TELEFAX 73 61 81 · E-MAIL: [email protected] ES WIRD GEBETEN, BESPRECHUNGSEXEMPLARE NUR NACH RÜCKSPRACHE MIT DER SCHRIFTLEITUNG EINZUSENDEN ABKÜRZUNG: JbAC DIESE PUBLIKATION WIRD ALS VORHABEN DER NORDRHEIN-WESTFÄLISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND DER KÜNSTE IM RAHMEN DES AKADEMIENPROGRAMMS VON DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND UND DEM LAND NORDRHEIN-WESTFALEN SOWIE VOM VEREIN ZUR FÖRDERUNG DES F. J. DÖLGER-INSTITUTS UND DER RICHARD UND ANNE-LIESE GIELEN-LEYENDECKER-STIFTUNG GEFÖRDERT. © 2011 ASCHENDORFF VERLAG GMBH & CO. KG, MÜNSTER DAS WERK IST URHEBERRECHTLICH GESCHÜTZT. DIE DADURCH BEGRÜNDETEN RECHTE, INSBESONDERE DIE DER ÜBERSETZUNG, DES NACHDRUCKS, DER ENTNAHME VON ABBILDUNGEN, DER FUNKSENDUNG, DER WIEDERGABE AUF FOTOMECHANISCHEM ODER ÄHNLICHEM WEGE UND DER SPEICHERUNG IN DATENVERARBEITUNGSANLAGEN BLEIBEN, AUCH BEI NUR AUSZUGSWEISER VERWERTUNG, VORBEHALTEN. DIE VERGÜTUNGSANSPRÜCHE GEMÄSS § 54 ABS. 2 URHG WERDEN DURCH DIE VERWERTUNGSGESELLSCHAFT WORT WAHRGENOMMEN. GESAMTHERSTELLUNG: ASCHENDORFF DRUCKZENTRUM GMBH & CO. KG, MÜNSTER, 2010 앝 GEDRUCKT AUF SÄUREFREIEM, ALTERUNGSBESTÄNDIGEM PAPIER 쑗 ISSN ■ 0075-2541 LEINEN ISBN 978-3-402-■10702-7 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/003-004.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm INHALT Aufsätze Boris Dunsch Menander bei Paulus. Oralität, Performanz und Zitationstechnik im Corpus Paulinum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Christian Hornung Die Sprache des Römischen Rechts in Schreiben römischer Bischöfe des 4. und 5. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Jan Stenger Chorikios und die Ekphrasis der Stephanoskirche von Gaza. Bildung und Christentum im städtischen Kontext . . . . . . . . . . . . . 81 Walburga Gerszke Die Chlamys in der Spätantike. Mit einem Beitrag von Marie Schoefer zu der Chlamys im Musée des Tissus in Lyon (mit einer Abb. im Text und Taf. 1/8) . 104 Galit Noga-Banai From a Cabin in the Sky to the Eternal City (with pls. 9/11) . . 140 Gerhard Steigerwald Wen stellt die Tochter Pharaos dar? Eine Hypothese zum Obergadenmosaik »Rückgabe des Moseknaben an die Pharaos durch seine Amme« in S. Maria Maggiore in Rom (mit Taf. 12/3) . . . . . . . . . . . . . . 153 Pascal Weitmann Das »Narrendiptychon« der Kathedrale von Sens und die Apotheosetafel in London als Denkmale des späten Heidentums (mit Taf. 14) . . . . . . 176 . . . . Besprechungen A. Cain / N. Lenski (Hrsg.), The Power of Religion in Late Antiquity. Besprochen von Karl Leo Noethlichs . . . . . . . . . . 185 F. R. Prostmeier / H. E. Lona (Hrsg.), Logos der Vernunft – Logos des Glaubens. Besprochen von Winrich Löhr . . . . . . . . . . . . . . 192 R. S. Bagnall, Early Christian Books in Egypt. Besprochen von Winrich Löhr . . . . . . . . . 194 T. D. Barnes, Early Christian Hagiography and Roman History. Besprochen von Winrich Löhr . . . . . . . . . . . . . . 195 S. Moll, The Arch-Heretic Marcion. Besprochen von Katharina Greschat . . . . . . 199 S. Morlet, La Démonstration évangélique d’Eusèbe de Césarée. Besprochen von Bernard Pouderon . . . . . . . . . . . . . 201 Les lois religieuses des empereurs romains de Constantin à Théodose II (312–438) II. Besprochen von Georg Klingenberg . . . . . . . . . . . . . 202 U. Reutter, Damasus, Bischof von Rom (366–384). Leben und Werk. Besprochen von Christian Hornung . . . . . . . . 204 . . . . . . . . . . . . . . . . . C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/003-004.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Inhalt 4 M. Bažil, Centones Christiani. Besprochen von Heinz-Günther Nesselrath . . . . . . . . 208 H. Leppin / H. Ziemssen, Maxentius. Der letzte Kaiser in Rom. Besprochen von Sanne van Poppel . . . . . . . . . . . . . 214 B. Brenk, The Apse, the Image and the Icon. Besprochen von Josef Engemann . . . . . . . . . . . . . . . . 216 D. Nuzzo, Tipologia sepolcrale delle catacombe romane. Besprochen von Norbert Zimmermann . . . . . . . . . . . . 220 M. Oppermann, Das frühe Christentum an der Westküste des Schwarzen Meeres und im anschließenden Binnenland. Besprochen von Renate Pillinger . . . . . . . . . . . . . 224 D. Mauskopf Deliyannis, Ravenna in Late Antiquity. Besprochen von Mariëtte Verhoeven . . . . . . . . . . . . 224 Franz Joseph Dölger-Institut zur Erforschung der Spätantike . . . . . . . 227 Verein zur Förderung des Franz Joseph Dölger-Instituts der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn e. V. . . . . . . . . . . . . . . 227 Berichte für das Jahr 2009 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/005-019.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm MENANDER BEI PAULUS Oralität, Performanz und Zitationstechnik im Corpus Paulinum 1. Menanderzitate im Corpus Paulinum? Ein Forschungsproblem Zu den außerchristlichen Quellen, die auf die Texte des Neuen Testaments eingewirkt haben, gehört, zumindest zu einem gewissen Anteil, dessen Umfang in der Forschung unterschiedlich eingeschätzt wird, auch das antike Drama. Hierbei stellen allerdings die wenigsten derartigen intertextuellen Bezugnahmen Zitate im engeren bzw. traditionellen Wortsinne1 dar. Zumeist nämlich, etwa im Fall der Beziehung von Lc. 4,23 (»Arzt, heile dich selbst«) zu Aesch. Prom. 473/52 oder auch 1 Tim. 6,10 (Wurzel allen Übels ist die Gier nach Geld) zu Soph. Ant. 295/300, handelt es sich eher um etwas, das man als Anklang, Reminiszenz, Anspielung u. ä.3 bezeichnen könnte, nicht aber um eigentliche Zitate im engeren Sinne, zumal nicht um wörtliche, sondern vielmehr um ähnlich klingende Formulierungen vergleichbarer Inhalte, welche sich durch die Hineinnahme allgemeinen Spruchgutes bzw. populärer Weisheitslehren in die Texte des Neuen Testaments erklären lassen4. Auch von Menander, dem Komödiendichter, einem der neben Homer, Euripides und Isokrates5 bedeutendsten und am meisten verbreiteten Schulautoren vom Hellenismus bis in byzantinische Zeit, glaubt die Forschung im paulinischen Briefcorpus Zitate, Ähnlichkeiten in der Formulierung und inhaltliche Anklänge gefunden zu haben6. Im folgenden sollen die jeweils vermuteten intertextuellen Bezüge zwischen Menander und Paulus untersucht werden. Der bei weitem prominenteste, schon in der Antike häufig diskutierte Vers ist 1 Cor. 15,33: vheroysin fhf urfst milai kaka. Die Wörter ergeben, zumal wenn sie an einer Stelle mit Elision (urf́sh’ milai) gelesen werden7, einen metrisch unauffälligen jambischen Trimeter. Die zweite Stelle, 1 Tim. 1,15 (und 4,9 mit identischem Biti (2001) 859 bezeichnet als Zitat im traditionellen Sinn »eine wörtliche Anführung von unbestimmter Länge, die aus einem Werk in das andere [. . .] übertragen wird« und deutlich als »Gast« im anderen Text gekennzeichnet wird. Einen erweiterten Zitatbegriff legt dagegen etwa Menke (2001) 675 zugrunde, die von einem Motiv, das auch nichtsprachlich (bildlich oder tonal) sein könne, spricht, welches aus einem fremden Zusammenhang entnommen und »also solches erkennbar in einen aktuellen Kontext« eingebaut werde. 2 In der Forschung ist die Zuschreibung dieses Dramas an Aischylos umstritten. Doch besteht jedenfalls weitgehend insofern Konsens, als es in die Zeit der drei großen klassischen Tragiker Aischylos, Sophokles und Euripides datiert wird. 3 Zu den verschiedenen Termini vgl. Freund (2000) 20/8 (hier: 21), der in der Einleitung seiner Arbeit eine gute allgemeine Diskussion des Zitatbegriffs bietet. Hilfreich ist auch Müller (2003) 1 19/40, der zum Teil andere Schwerpunkte setzt und die Ausführungen bei Freund gut ergänzt. 4 Vgl. den Überblick bei Breitenbach (2004), wo sich auch die genannten Beispiele finden; eine Übersicht und Analyse der methodischen Probleme bietet Renehan (1973). 5 Vgl. Vegge (2000) 372. 6 Zu Menander als Schulautor vgl. zB. Morgan (1998) 97/100. 122/5. Er wurde im Unterricht allerdings wohl vor allem in Form von einzelnen Versen eingesetzt, die zu Sammlungen zusammengestellt wurden. 7 Für die Entstehungszeit des Textes ist scriptio plena allerdings nicht ungewöhnlich, vgl. Renehan (1973) 29; Grant (1965) 160: »Either he [Paulus] or some scribe has not indicated the elision«. Es kommt ohnehin häufig vor, daß eine Elision im Schriftbild nicht abgebildet wird, vgl. West (1982) 11. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/005-019.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 6 Boris Dunsch Text) wurde von Oldfather und Daly als mögliches Zitat aus Menanders Adelphoi b’ identifiziert. Da dieses Stück nur in wenigen Fragmenten überliefert ist8, stützen sie ihre Argumentation auf eine Stelle in der vom Menanderstück adaptierten römischen Komödie Adelphoe des Terenz (V. 955: et dictumst vere et re ipsa fieri oportet)9. Desweiteren hat Danker für eine Reihe von anderen Stellen im NT, nicht nur bei Paulus, einen Bezug zu Stellen aus dem Dyskolos behauptet10, und Renehan referiert die These, Phil. 3,1 enthalte einen jambischen Trimeter, der einem Komödiendichter, möglicherweise Menander, zugeordnet werden könne11. Da die Diskussion des Zitats im Korintherbrief wegen seiner Bedeutung und Eigenart länger ausfallen wird, sei sie an den Schluß des Hauptteils dieser Untersuchung gestellt. Oldfather und Daly erkennen, wie gesagt, in einem Vers aus Terenz’ Adelphoe (955: et dictumst vere et re ipsa fieri oportet) eine Ähnlichkeit zu der Einleitungs- und Beglaubigungsformel in 1 Tim. 1,15 und 4,9: pistc lgoc ka psfc apodouÇc axioc12. Terenz, so lautet die Begründung, habe ja, wie er selbst sagt, mit seiner lateinischen Komödie die Adelphoi Menanders übertragen, und aufgrund der Ähnlichkeit »the thought immediately suggested itself that here was a line of Menander imbedded in the words [.. .] of I Timothy«13. Zunächst ist festzustellen, daß es sich bei 1 Tim. um einen der deuteropaulinischen Pastoralbriefe handelt, also um ein Pseudepigraphon. Dies ist vor allem an der gegenüber den authentischen Paulusbriefen eingetretenen Veränderung der Gemeindesituation erkennbar, die eine stärkere formale Organisation mit Leitungsgremien und Amtsträgern voraussetzt. Insofern sind diese Briefe (und mithin 1 Tim.) nicht genau datierbar, aber sicher nachpaulinisch14. Dennoch soll die Stelle im folgenden untersucht werden, da ja auch der anonyme Verfasser von 1 Tim. Menander gekannt und benutzt haben könnte. Die auf den ersten Blick ansprechende Intuition von Oldfather/Daly bildet die Grundlage der Rekonstruktion des von ihnen vindizierten Menanderverses, die durch einfache Umstellung der Wörter psfc und apodouÇc erfolgt, wodurch Krasis mit ka eintreten kann und sich ein – allerdings etwas merkwürdiger – jambischer Trimeter ergeben würde: pistc lgoc kapodouÇc psfc axioc15. Doch abgesehen davon, daß die Verwendung des Wortes apodouf́ in einer Menanderkomödie lexikalisch nicht unproblematisch wäre16, bleibt festzuhalten,daß es sich hier um eine sehr allgemeine AusVgl. die Zusammenstellung der Fragmente bei Gratwick (1999) 206/8. 9 Oldfather/Daly (1943). 10 Danker (1963/64). 11 Renehan (1973) 42f. 12 An anderen Stellen (1 Tim. 3,1; 2 Tim. 2,11; Tit. 3,8) heißt es bei Paulus nur pistc lgoc. 13 Oldfather/Daly (1943) 202. 14 Vgl. Niebuhr (2003) 286f; Klauck (1998) 243/6. Vielleicht sind sie sogar erst im frühen (?) 2. Jh. nC. entstanden, vgl. Porter (1997) 538. Vgl. jetzt auch Glaser (2009) mit der attraktiven und dort gut begründeten These, daß es sich bei den Pastoralbriefen um einen späterhin ins Corpus Paulinum integrierten Briefroman handelt. Auch Oldfather/ Daly (1943) 2033 zeigen sich der Verfasserproblematik bereits durchaus bewußt, messen ihr aber keine allzu große Bedeutung zu. 8 Eine von Oldfather/Daly (1943) 2032 erwogene Alternativfassung lautet pistc lgoc ka psfc axioc apodouÇc, wird aber aus metrischen Gründen verworfen, da auf diese Weise im fünften Fuß des Verses ein Prokeleusmatiker stünde. 16 Das Wort, das zuerst bei Thukydides erscheint (4,81), ist nach Ausweis von LSJ in der griechischen Dichtung gar nicht belegt und nach Katsouris (2004) insbesondere nicht für Menander, bei dem das Verb apod ueshai ebenfalls nicht belegt ist. Das Wort apodouf́ scheint prosaischen Charakter zu haben, ebenso das dazugehörige Verb, für das LSJ nur einen Beleg aus der Dichtung anführen (Aristoph. eccl. 712); darauf deuten auch die bei Oldfather/ Daly (1943) 2035 selbst aufgelisteten Belege für apodouf́, von denen ebenfalls keiner aus der Dichtung stammt. In Junktur mit axioc ist das Wort überdies erst seit Diodor (1,47,4) belegt. Vgl. auch die 15 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/005-019.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Menander bei Paulus 7 sage handelt, die – das ist der entscheidende Aspekt – nicht ohne einen Kontext zitierbar ist. Anders als die Verse der unter Menanders Namen zirkulierenden Gnomologien, bei denen ein Vers je einen in sich abgeschlossenen Gedanken transportiert, handelt es sich bei dem von Oldfather/Daly postulierten um einen Vers, dessen dialogischer Charakter seiner Semantik nachgerade eingeschrieben ist. So wundert es auch nicht, daß sich dieser Vers in keiner heute bekannten Sammlung von Menandersentenzen findet. Gleichzeitig ist die in diesem Trimeter gemachte Aussage von so allgemeinem, ja trivialem Charakter, daß es nicht allzu erstaunlich wäre, wenn man irgendein Papyrusfragment mit einem ähnlichen Vers fände. Überdies ist zu bedenken, daß der Vers in seinem Kontext in Terenz’ Adelphoe so zu verstehen ist, daß Aeschinus seinen Adoptivvater Micio nachdrücklich (oportet) bittet, dem Vorschlag seines leiblichen Vaters, Demea (dem Bruder Micios) zu folgen und Hegio, den nächsten Verwandten des verstorbenem Mannes seiner künftigen Frau Sostrata, durch Überlassung einer größeren Menge Ackerland finanziell zu unterstützen (Ter. Ad. 949/58)17: Mi(cio). quid facere? De(mea). agellist hic sub urbe paullum quod locitas foras. 950 huic demus quo fruatur. Mi. paullum id autemst? De. si multumst, tamen faciundumst: pro patre huic est, bonus est, noster est: recte datur. postremo non meum illud verbum facio quod tu, Micio, bene et sapienter dixti dudum? ›vitium commune omniumst quod nimium ad rem in senecta adtenti sumus.‹ hanc maculam nos decet 955 effugere. Ae(schinus). et dictumst vere et re ipsa fieri oportet, mi pater. Mi. quid istic? dabitur. De. quandoquidem hic volt, gaudeo. nunc tu germanu’s pariter animo et corpore! suo sibi gladio hunc iugulo. Bei Terenz soll also ein ganz spezieller Vorschlag in die Tat umgesetzt werden; der Charakter des Verses ist deutlich adhortativ markiert. Die Stoßrichtung des von Oldfather/Daly rekonstruierten griechischen Verses ist eine andere, da es dort darum geht, eine Aussage für gut zu befinden und anzunehmen; der griechische Vers stellt also eine Bekräftigungsformel dar. Überdies findet sich Vers 955 in einem Abschnitt der Adelphoe, der in der vorliegenden Form wahrscheinlich ohnehin nicht auf Menander zurückgeht, da im griechischen Original Micio den Vorschlägen, die Demea und Aeschinus ihm gegen Ende des Stücks machen, gar nicht so ablehnend gegenüberstand wie bei Terenz18. Mithin ist es auch aus dramaturgischer Sicht zweifelhaft, ob ein solcher oder ähnlicher Vers, wie Oldfather/Daly ihn rekonstruieren, überhaupt je in den menandrischen Adelphoi b’ gestanden haben könnte. Nach diesem negativen Befund sei ein Blick auf die These von Danker geworfen, der kurz nach Publikation des Dyskolos-Papyrus (1959) eine ganze Reihe von Ähnlichkeiten zwischen dem neugefundenen Menanderstück und sprachlich-stilistischen Belege bei Bauer (1971) 178, die das Bild nicht verändern. 17 Die Sprecherverteilung in den Versen 955f richtet sich, wie der gesamte zitierte Text, nach der überzeugenden Lösung in der Ausgabe von Gratwick (1999). 18 Hierauf deutet zB. der Hinweis im Terenzkommentar des Donat (Don. Ter. Ad. 938), daß sich bei Menander Micio nicht über die Hochzeit mit Sostrata beschwert habe. Vgl. die einleuchtende Diskussion bei Gratwick (1999) 45 und 200f. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/005-019.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 8 Boris Dunsch Erscheinungen im Neuen Testament festzustellen glaubte19. Doch möchte ich mich hierbei kurz fassen: Keines der von Danker diskutierten Phänomene ist von einer ausreichenden Spezifität, um einen direkten Bezug zwischen Menander und den Autoren des Neuen Testaments plausibel zu machen. Statt einer detaillierten Diskussion und Widerlegung aller von Danker aufgezählten Beispiele sei es genug, eine – wie es bei Danker heißt – »striking parallel«20 vorzustellen. Im Philipperbrief ermahnt Paulus die Gemeinde zur Einheit und fordert sie auf, am Glauben nach seinem Vorbild festzuhalten (Phil. 1,27/2,18). Im Rahmen dieser Argumentation verweist er auf Jesus (Phil. 2,5/11) und dessen Gehorsam, der sich unter anderem in der sich selbst entäußernden Erniedrigung (Phil. 2,7: aytn Þk nwsen) in der Annahme der Gestalt eines Sklaven (morvf̀n dofflloy lab[n) manifestiert habe. Dies bringt Danker mit einem Abschnitt aus dem Dyskolos in Verbindung, in dem der junge Liebhaber Sostratos sich den Unbilden des Bauernlebens aussetzt, um die Hand des von ihm geliebten Mädchens zu erringen (Dysc. 767/9): »It is possible to be so taken up with kenotic theories that we are inclined to forget that Paul would strike a responsive chord in the minds of readers for whom this motif appears to have been a commonplace«21. Doch abgesehen davon, daß sich die beiden Texte hinsichtlich ihrer Lexik deutlich unterscheiden und auch keine Parallelen im Gedankengang erkennbar sind, wäre ein auf diese Weise implizierter Vergleich zwischen Jesus und einem jungen Liebhaber aus der Komödie, zumal bei einem so bedeutsamen und ernsten Thema wie der Theologie der Kenosis, sicherlich eher kontraproduktiv gewesen. Die übrigen Versuche Dankers, Bezüge zwischen dem NT und Menander aufzuweisen, sind ebenso wenig überzeugend wie dieser, so daß das Unternehmen Dankers, wie das von Oldfather/Daly, als gescheitert angesehen werden darf, was nicht heißt, daß man von vornherein ausschließen kann, daß es weitere Allusionen oder Zitate im NT geben könnte, die wir nur nicht als solche erkennen bzw. klassifizieren können22. Ein weiterer Versuch, solche doch zu entdekken, sei im folgenden diskutiert. Renehan referiert die Versuche von Gelehrten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in Phil. 3,1 ein Komödienzitat nachzuweisen23. Es handelt sich hierbei um eine Silbenfolge, die einen jambischen Trimeter mit Hephthemimeres24 darstellt (Þmo mn oyk knfrn, ymin d asval c). Allerdings kann man gewichtige Einwände gegen eine solche Identifikation erheben. Während es nicht unbedingt von Bedeutung ist, daß Paulus das Zitat in keiner Weise markiert, auch nicht zB. durch einen vorangehenden Imperativ, wie in 1 Cor. 15,33 (mf̀ plan¼she), so bleibt doch festzuhalten, daß einerseits, wie Renehan feststellt, der Gegensatz zwischen oyk knfrn und asval c nicht besonders prononciert und bedeutungsschwer, sondern doch eher alltagssprachlich zu sein scheint, und daß andererseits die Wortstellung (Pronomen–m n–Adjektiv / Pronomen–d –Adjektiv) eher unpoetisch ist bzw. dem natürlichen Satzbau entspricht. Doch so berechtigt Renehans Einwände sein mögen, gibt es einen noch gravierenderen: Der Satz hat einfach keine echte gnomische Qualität, sondern einen trivialen, Danker (1963/64). Ebd. 368. 21 Ebd. 22 Vgl. Renehan (1973) 42/5 (pessimistisch); Vegge (2000) 373. Interessante Kriterien, wie man »inserted material« in den Paulusbriefen identifizieren könnte, entwickelt Richards (2004) 94/108. Bult19 20 mann (1910) 95 vermutete weitere Dichterzitate bei Paulus, zB. 1 Cor. 5,6 (= Gal. 5,9), das er für einen verstümmelten gnomischen Senar hielt. 23 Renehan (1973) 42f. 24 Dies wäre für einen Trimeter, zumal einen Komödienvers, kein ungewöhnlicher Verseinschnitt, vgl. West (1982) 40f. 88. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/005-019.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Menander bei Paulus 9 situationsbezogenen Inhalt. Mit anderen Worten: Man könnte ihn sich kaum als dekontextualisierte Sentenz vorstellen. Welche über einen bestimmten situativen Rahmen hinausgehende Botschaft sollte der gnomische Vers (wenn er denn einer wäre) auch vermitteln? Etwa daß etwas, das einem selber nicht lästig ist, andere sicher macht? Auf welche allgemeine Situation des menschlichen Alltags sollte sich eine derart änigmatische, in isolierter Form geradezu merkwürdig klingende Gnome beziehen? Überdies ist erwartungsgemäß die zweite Person Plural, die in der vermeintlichen Sentenz vorkommt, in den Menandri Sententiae überhaupt nicht nachzuweisen (und nur einmal in der Comparatio Menandri et Philistionis, aber dort nicht im gnomischen Teil der Sammlung25), und der Dativ der ersten Person Singular, der ebenfalls vorkommt, nur zweimal, aber jeweils in nicht-kontrastiven Kontexten, in denen sich ein Sprecher-Ich nicht an einen anderen (in der zweiten Person), sondern in einer Art moralischem Appell an sich selbst richtet26. Insofern ist in der Tat Renehan zuzustimmen, daß es sich nicht um ein Komödienzitat – oder überhaupt ein Dramenzitat – handelt. Jedoch sollte man nicht ohne weiteres mit Renehan annehmen, daß sich das jambische Metrum speziell an dieser Stelle ausschließlich dem Zufall verdankt27. Die Paulusbriefe sind immerhin gestaltete griechische Prosa, und das Metrum unterstreicht die von Paulus hier sicherlich intendierte Kontrastwirkung, zumal der Verseinschnitt (in diesem Fall eine Hephthemimeres) genau an der Stelle auftritt, an der das inhaltlich kontrastierende Kolon (mit ymin) einsetzt. So dient die Rhythmisierung der Briefprosa in diesem Fall der Unterstützung des ausgedrückten Gedankens. Es handelt sich nicht um eine Sentenz, aber der Autor macht sich die den griechischsprachigen Rezipienten durch orale Praxis eingeprägte Sentenzhaftigkeit des Musters ›jambischer Trimeter‹ zunutze, um einer konkreten Botschaft, in einer Art ›paragnomischem‹ Gebrauch, durch den metrischen Charakter der Formulierung größeres Gewicht zu verleihen. 2. Die Sentenz in 1 Cor. 15,33: Oralität und Performanz in den Paulusbriefen Anders verhält es sich mit dem bereits erwähnten berühmten Zitat in 1 Cor. 15,33. Durch seine metrische Verfaßtheit – es handelt sich auch hierbei um einen jambischen Trimeter – ist die Äußerung dem Publikum des Paulus28 sofort und unmittelbar als hervorgehoben, wenn nicht sogar als Zitat, erkennbar, auch wenn der Apostel es nicht eigens als solches markiert, etwa durch eine Einleitungsformel29. Dies gilt trotz Men. comp. 2,6 J. Men. mon. 251. 481 J. Daher auch die Verwendung der unbetonten Pronominalform (moi). 27 Vgl. Renehan (1973) 43 in einer rhetorischen Frage: »Cannot the iambic meter be due to chance?« 28 Hier und im folgenden wird systematisch postuliert, daß alles, was sich an Text in den authentischen Paulusbriefen findet, letztlich auch Paulus als Autor zuzurechnen ist, obwohl der Entstehungsprozeß der paulinischen Episteln bekanntermaßen im einzelnen sehr kompliziert ist, da wir zB. von Schrei25 26 bern wissen, derer sich Paulus bedient hat, und zB. auch die Möglichkeit besteht, daß mehrere, zunächst einzeln verfaßte und versendete Briefe zu einem späteren Zeitpunkt in der Tradition zu einem einzigen zusammengefaßt wurden, vgl. zB. Klauck (1998) 178f; zum methodischen Ansatz vgl. Porter (1997) 538f. 29 Es sei denn, man möchte mf̀ plan¼she explizit als Einleitungsformel ansehen, was immerhin möglich ist, vgl. zB. Sandelin (1976) 142; Schrage (2001) 247. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/005-019.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 10 Boris Dunsch der Tatsache, daß der jambische Trimeter den Griechen als der Form der Alltagssprache besonders nahestehender Vers galt30. Der Fluß des Prosatextes wird von einem Vers unterbrochen, was, für sich genommen, bereits Zeichen genug ist. Es handelt sich hierbei um einen besonderen Fall von Intertextualität: Einerseits ist den Rezipienten beim Hören des Verses ohne weiteres klar, daß hier etwas mit dem Anspruch von Sentenzhaftigkeit geäußert wird; insofern ist die Intertextualität markiert. Andererseits wird ihnen wohl nicht ohne weiteres deutlich, auf welchen Intertext der Apostel sich mit der ›Sentenz‹ bezieht; insofern bleibt die Intertextualität unmarkiert31. Wie dem auch sei, auf jeden Fall erregt die metrische Verfaßtheit die Aufmerksamkeit der Rezipienten. Der Vers wird auf diese Weise hervorgehoben, und sein gnomisch-paränetischer Inhalt erhält besonderes Gewicht. Überdies unterstreicht das Metrum als formales Merkmal theatralischer Fiktionalität32 nachdrücklich die performative Qualität des Korintherbriefs33. Hier sollte auch bedacht werden, daß die christlichen Gemeinden schon in früher Zeit als singend vorgestellt werden müssen; Paulus zB. erwähnt Eph. 5,19 und Col. 3,16 Psalmen, Lobgesänge und geistliche Lieder (qalmoic ka ymnoic ka <daic pneymatikaic)34. Wenn auch im einzelnen unklar bleibt, um was für Lieder es sich gehandelt hat, so wird hier doch auf jeden Fall die auditive Dimension des frühen Gemeindelebens deutlich. Gerade wenn man die Gewöhnung der Gemeindemitglieder an viele Arten von Liedern in Rechnung stellt, sollte man postulieren dürfen, daß dies ein Verfasser von laut zu rezitierenden Botschaften an die Gemeinde berücksichtigt, und man sollte mithin jede metrische Struktur, die sich im Corpus Paulinum finden läßt, zumindest einer ernsthaften kontext- und funktionsbezogenen Analyse unterziehen. Es ist übrigens nach den Maßstäben antiker griechischer wie römischer Rhetorik nicht selbstverständlich, daß man Dichterzitate ganz unverändert in Prosa einflicht, da dies gegen das Gebot der stilistischen und rhythmischen Einheitlichkeit des Textes verstößt35. Dennoch war diese Praxis nicht zuletzt in den hellenistischen Philosophenschulen üblich, allerdings, wie es scheint, in verschiedenen Graden der Virtuosität und Subtilität36. Den psychagogischen Effekt solcher Zitate, insbesondere solcher von deut30 Vgl. zB. Aristot. rhet. 3,8, 1408b 33/5; poet. 1449a 24/8. 31 Zur Terminologie vgl. Müller (2003) 23/7. Im vorliegenden Fall scheint eine Unterscheidung von markierter bzw. unmarkierter Intertextualität allerdings nicht besonders hilfreich zu sein, da sie inkonkludent bleibt. 32 Vgl. die These von Bakker (1998) 64, die dieser zwar mit Bezug auf den fiktionalen Charakter des poetischen Sprechaktes in der frühgriechischen Dichtung äußert, die aber ebenso auch auf die hier zu diskutierende Stelle bei Paulus angewendet werden kann: »Das Metrum kann angesehen werden als ein formales Merkmal der theatralischen Fiktionalität, indem es die Geschaffenheit einer formalen gespielten Rolle hervorhebt: keiner wird seine Gedanken spontan in einen [sic] metrischen Diskurs ausdrücken, und die bewußte Wahl einer metrischen Form betont um so stärker, daß der produzierte Diskurs einem ganz anderen Medium angehört als der bloße Gedanke«. 33 In diesem Zusammenhang ist die Beobachtung interessant, daß Paulus auch an andere Stelle (Tit. 1,12) einen Vers unter Beibehaltung der metrischen Form, in diesem Fall einen daktylischen Hexameter, zitiert: KrÇtec ae qeystai, kak hfra, gast rec arga. Es handelt sich hierbei um ein Zitat aus Epimenides (Epimenid.: VS 3 B 1), vgl. Renehan (1973) 36. 34 Vgl. den Hinweis bei Hose (2006) 75. 35 So zB. Aristot. rhet. 3,8, 1408b. Vgl. Freund (2000) 21 und Müller (2003) 432 mit Nachweisen. 36 Vgl. Cic. Tusc. 2,26, wo besonders betont wird, wie sorgfältig Philon, der akademische Philosoph und Lehrer Ciceros, Zitate ausgewählt und in den Kontext seiner Reden gestellt hat, ganz im Gegensatz zum Stoiker Dionysios. Tatsächlich scheint diese Zitationspraxis in der Stoa seit Chrysipp besonders extensiv betrieben worden zu sein (Diog. Laert. 7,180f). Allerdings bezieht sich Cicero auf die im Text vorangegangene lange Reihe von Dichterzitaten von zum Teil großer Länge (Cic. Tusc. 2,19/ 26). Paulus hingegen verwendet nur einen einzigen C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/005-019.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Menander bei Paulus 11 lich sentenziösem Charakter, unterstreicht Seneca: Non vides, quemadmodum theatra consonent, quotiens aliqua dicta sunt, quae publice adgnoscimus et consensu vera esse testamur? 37 Die auditive Dimension der beiden zuletzt besprochenen Paulustexte führt zu der Frage nach der Rezeptionssituation, die für die Briefe insgesamt zugrunde gelegt werden kann. Die Rezeptionssituation der Briefe ist entweder die der Rezitation vor einem Publikum, dem der Brief verlesen wird – dies war die zu Paulus’ Zeit übliche Praxis38 –, oder die des einzelnen Lesers, der den Brief – wie in der Antike ebenfalls üblich – sich selbst laut vorliest. In beiden Fällen wird der Übergang von Prosa zu Dichtung, also von nichtmetrischer zu metrischer Verfaßtheit des Textes, seine spezielle auditive Wirkung nicht verfehlt haben39. Überdies eröffnet der Vers dem Rezitierenden, der nicht mit dem Apostel identisch sein muß, sofern er vor einer Gruppe von Zuhörern aus der Gemeinde spricht, gewisse theatralische Möglichkeiten, da er bei der Intonation der Worte die Gelegenheit zur Ethopoiie40 erhält und auf diese Weise ein besonderes performatives Element diesen Brieftext zusätzlich dynamisiert. Zugleich stellt der Einsatz solch geformten Textmaterials aufgrund einer gewissen Bekanntheit zumindest mit der rhythmischen Struktur des Vorgetragenen, die man bei den Rezipienten voraussetzen darf, auch immer einen potentiell besseren emotionalen Rapport mit diesen her als eine rein argumentativ aufgebaute Rede in bloßer Prosa41. Die jüngere Forschung hat gezeigt, daß der Vortrag der Paulusbriefe in den Gemeinden den Charakter einer rhetorischen Performance42 hatte, also einer Interaktion von Rezitierendem oder Rezitierenden und deren Zuhörerschaft, wie sie allgemein der antiken Auffassung vom Brief als einem Gespräch zwischen Abwesenden, die aber als quasipräsent gedacht werden43, entspricht44, was unter anderem auch der Parousietopos deutlich macht (besonders 1 Cor. 5,3f; 1 Thess. 2,17; Col. 2,5)45. Der Einsatz einer so auf Oralität beruhenden Allusionstechnik ist just im Osterkapitel (1 Cor. 15) von besonderer Bedeutung, da in diesem durchgängig die Mündlichkeit als Medium, in dem das Evangelium auf Menschen wirkt, thematisiert wird46. Vers, ähnlich wie dies sehr häufig auch Sokrates in den platonischen Dialogen tut. 37 Sen. ep. 108,8. 38 Dies geht zB. aus 1 Thess. 5,27 hervor; vgl. zB. Dormeyer (1993) 62; Porter (1997) 540; Bachmann (2003) 32. Ausführlich hierzu jetzt Oestreich (2004); vgl. auch Achtemeier (1990). 39 Die Ansprechbarkeit der Zuhörer für auditive Effekte betont zu Recht zB. auch Achtemeier (1990) 18. 40 Zum Einsatz von Ethopoiie und Prosopopoiie bei Paulus, vor allem im Römerbrief, vgl. Stowers (1994). 41 Vgl. Richards (2004) 95: »Quoting preformed tradition was – and is – a very powerful tool for building bridges with an audience«. 42 Dies wird anschaulich von Botha (1993) 413 dargestellt: »He [Paulus] sent a handwritten, corrected but not without errors, ambiguous, damaged, travel- worn manuscript with someone he trusted, to have that one, or someone else, present his intentions and symbols verbally and bodily to others. [. . .] What we should be looking for is an emotional, subjective, playing-up-to-the-audience human being, making meaning present and evoking authority«. Der Performanzcharakter wird nachdrücklich, aber nicht immer hinreichend fundiert herausgearbeitet von Welborn (2005) passim; zu einem sehr dezidiert performanzorientierten Verständnis zB. von 1 Cor. 4,9f (h atron; mwro), das mir aber nicht hinreichend philologisch begründet zu sein scheint, vgl. zB. ebd. 3. 43 Vgl. Müller (1980) 141. 44 Den Interaktionscharakter unterstreicht zB. Oestreich (2004) 225 mit Anm. 2 (dort weitere Literatur). 45 Vgl. Klauck (1998) 155. 46 Vgl. Bachmann (2003) 40f. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/005-019.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 12 Boris Dunsch 3. 1 Cor. 15,33: Welche Art Zitat? Doch über seinen Performanzcharakter hinaus reizt Paulus mit diesem Vers das Potential zu ironischem Spiel mit der spannungsreichen Tatsache aus, daß es sich um ein – wie auch immer näher zu charakterisierendes – Stück antiker Dichtung handelt, das einem Zitat aus dem Alten Testament, der Septuaginta-Referenz in Vers 32 vgwmen ka pwmen, ayrion gr apohnßf́skomen (Jes. 22,13), die wohl ihrerseits Zitat des Propheten aus einem Trinklied ist47, gegenübergestellt wird48. Das AT-Zitat dient hierbei gleichsam als auctoritas des zu meidenden, ja zu verwerfenden carpe-diem-Standpunkts, der sich an vielen Stellen als Topos in der paganen griechischen und römischen Dichtung findet49, doch hier aus jüdischer Quelle formuliert wird. In einigermaßen überraschendem Kontrast hierzu wird ausgerechnet ein als solcher deutlich markierter griechischer Vers prononciert als auctoritas für den entgegengesetzten Standpunkt angeführt. Die beiden Zitate stehen sich gegenüber, sie korrespondieren einander. Reizvoll muß dabei nicht zuletzt die pagane Provenienz des Sinnspruchs erscheinen. Hier muß nun nach der Herkunft des Verses im Horizont des Paulus und seiner Zeitgenossen gefragt werden. Paulus zitiert ihn ohne weitere Angabe; doch eine genauere Bestimmung der Provenienz ist für ein besseres Verständnis des Effekts, den er wahrscheinlich erzielen wollte, wichtig. Zum Zweck der Kontrastierung im oben skizzierten Kontext wäre es funktional gesehen besonders dienlich, wenn es sich bei dem Trimeter (a) um einen Komödienvers50 handelte, nicht (b) eine Tragödienreminiszenz, wie von Teilen der Forschung angenommen wird51, oder (c) um allgemeines, sozusagen im oralen »public domain« frei verfügbares Spruchgut52. In der Forschung sind alle drei Positionen von (a) bis (c) vertreten worden, heute gilt aber mehrheitlich eine vierte als wahrscheinlich, nach der (d) der Vers zuerst von Euripides in einer Tragödie verwendet und Menander ihn dann von dort in eine seiner Komödien übernommen hat53. Es wäre außerdem zwar theoretisch denkbar, daß (e) Euripides und Menander aus derselben Quelle geschöpft haben; aber welche sollte das gewesen sein? Doch abgesehen von den inneren Gründen, welche gegen Hypothese (e) sprechen: Für die hier im Mittelpunkt stehende Frage ist vor allem interessant, welche AnnahVgl. Lindemann (2000) 352. Daß Paulus die Septuaginta während seiner Schulzeit kennengelernt hat, macht zB. MurphyO’Connor (1996) 47f plausibel; vgl. auch Hengel (1996) 89. 49 Vgl. zB. Muecke (1993) 209 zu Hor. sat. 2,6,93/7; Lindemann (2000) 353. 50 So zB. Bultmann (1910) 95; Grant (1965) 160; Watson (1973) 243; Koch (1986) 43; Garrison (1997) 15f; Porter (1997) 574 (mit der einschränkenden Ergänzung »possibly Euripides«). 51 So zB. Strecker/Schnelle (1996) 401; Schrage (2001) 247. Kannicht weist den Vers in seiner Ausgabe der Euripidesfragmente (TrGF 5) eindeutig dem Tragödiendichter zu (Eur. frg. 1024,4 Kannicht). 52 Als allgemeines Spruchgut ordnet den Vers zB. Easterling (1995) 155f ein. Der Gedanke findet 47 48 sich zB., appliziert auf einen konkreten Fall, auch in Philostr. vit. soph. 502, vgl. Lee (1971), und in Philon, quod deterius potiori insidiari soleat 38, vgl. Sandelin (1976) 142; Wolff (1996) 400. Für die Spruchgutthese spricht auch, daß die Idee der Sentenz sich in ähnlicher Form auch schon vor Euripides findet, vgl. die Belege bei Renehan (1973) 34 und Lindemann (2000) 353. 53 Vgl. zB. die Positionen von Gelehrten aus der ersten Hälfte des 20. Jh., die Traill (2001) 287116 referiert; Renehan (1973) 31; Wolff (1996) 400. Kassel und Austin weisen den Vers in ihrer Ausgabe der Menanderfragmente (PCG 6,2) dem Komödiendichter zu (Men. frg. 165 K./A.), weisen aber in ihrem Anmerkungsapparat darauf hin, daß der Vers von Euripides übernommen wurde. Vgl. auch Breitenbach (2004) 104. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/005-019.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Menander bei Paulus 13 men Paulus und seine zeitgenössischen Rezipienten über die Provenienz des Verses getroffen haben könnten. Aus dieser Perspektive stellt sich die Frage nach einer verlorenen gemeinsamen Quelle nicht, da es wohl nicht in deren Horizont lag, eine solche Frage in Betracht zu ziehen. Von diesem Standpunkt aus ist auch Hypothese (d), so zutreffend sie traditionsgeschichtlich sein mag54, für das Verständnis der Verwendung des Verses durch Paulus von sekundärer Bedeutung. Man darf annehmen, daß Paulus den Vers entweder als Zitat aus einer Komödie oder Tragödie oder aber als Sentenz kannte. Während die Bekanntschaft mit einem griechischen Drama für Paulus nicht ausgeschlossen werden kann, hat doch die Annahme, daß er selbst den Vers als gnomisch aufgefaßt hat, die größere Wahrscheinlichkeit für sich55. In der Tat lief dieser Vers in der Antike als Spruchgut um, wofür unter anderem auch sein Vorkommen in den Menandri Sententiae spricht (Men. mon. 808 J.)56. Zudem war Menander ein auch in jüdischen Kreisen bekannter Autor, wie vor allem seine Verwendung in (teils pseudepigraphischer) jüdischer Literatur zeigt57. Mit der Sentenz gibt Paulus den Zuhörern der Briefrezitation eine leicht zu memorierende Verhaltensmaxime mit auf den Weg58, mit der ausgestattet sie sich wieder in die Welt mit ihren Verwirrungen und Verführungen begeben konnten. Die Wirkung des Verses entfaltet sich dabei nicht, wie Schmeller zu Recht beobachtet hat, durch den allgemeinen Inhalt, sondern durch »die konkrete Füllung, die er [Paulus] ihm durch den Kontext gibt«59. 4. 1 Cor. 15,33: Ein Zitat aus Menanders Thais? Was in diesem Zusammenhang auf jeden Fall in Zweifel gezogen werden muß, ist die gezielte Zuschreibung des Verses an Menanders Komödie Thais, wie sie in der Forschung immer noch durchaus gängig ist60. Diese Zuschreibung beruht auf nicht mehr als einer Marginalie, welche Henri Estienne (Henricus Stephanus) im Jahr 54 Gegen die Argumentation, die zuletzt Kannicht im Apparat seiner Fragmentausgabe referiert und die sich vor allem auf die vox tragica h[o]fflneka im V. 3 des Papyrusfragments (Eurip. frg. 1024 Kannicht = PHib. 7,91/4) stützt, läßt sich wenig sagen; vgl. auch Renehan (1973) 3019. Allerdings muß das Fragment nicht unbedingt Euripides zugeschrieben werden, dessen Autorschaft für die Versreste in dem betreffenden Teil des Papyrus nur indirekt erschlossen wurde, da die Verse 10/22 des Papyrus vom Schreiber der euripideischen Elektra (367–379) zugeordnet werden. Nun hat PHib. 7 insgesamt allerdings Anthologiecharakter, so daß eine Zuschreibung nicht mit Sicherheit vorgenommen werden kann, vgl. Koch (1986) 4341. 55 So zB. auch Koch (1986) 44. 56 Die Gnomai monostichoi (Menandri Sententiae) wurden von der Kaiserzeit an unter dem Namen Menanders in meist akrostichisch-alphabetisch geordneten Gnomologien zusammengefaßt, deren weite Verbreitung vor allem ihrer Bedeutung für die Elementarschule geschuldet ist, vgl. Easterling (1995) 155. Da in sie Material anderer Autoren eingegangen ist (mon. 217 J. ist zB. eine christliche Umformung von Aesch. frg. 301 Radt), sind sie für die Textkritik Menanders prinzipiell unergiebig. Doch hat Menander in der späteren Antike gerade als sentenziöser Weisheitslehrer gewirkt und im kulturellen Gedächtnis überlebt; vgl. zuletzt Liapis (2007). 57 Vgl. Schmeller (1987) 365f. Zu denken ist dabei zB. an Pseudo-Justins gnomologischen Traktat über die Alleinherrschaft Gottes (de monarchia) oder die Hexametersammlung, die seit dem 1. Jh. nC. unter dem Namen des Phokylides umlief, aber auch an Menanderbezüge bei Philon von Alexandria (zB. Abr. 134 = Men. frg. 670 K./A.). 58 Zu mnemotechnischen Aspekten topischer Formulierungen in den Paulusbriefen, die in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden sollten, vgl. Botha (1993) 423. 59 Schmeller (1987) 366. 60 Vgl. zB. Traill (2001) 287 (»generally attributed to the Thais«). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/005-019.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 14 Boris Dunsch 156961 »in uno ex vetustis exemplaribus N.T.« gesehen zu haben berichtet, und einer Nachricht von Wettstein (Wetstenius) in seiner Ausgabe des Neuen Testaments im Jahr 1752, der aus einer »versione Syra posteriore in marg.« und »Schol. Cod. 10« (beide verloren) die Worte Menndroy toy kwmikoy gn[mf Þn Hadia anführt62. Die Zuschreibung an die Thais darf aufgrund dieser schwachen dokumentarischen Evidenz als kaum gesichert gelten. Es ist daher zu empfehlen, sie in künftigen Ausgaben des Textes des Neuen Testaments nicht mehr in dieser Form zu vermerken63. Sollte der Vers nun aber doch von Euripides stammen und aus einer seiner Tragödien in eine Komödie Menanders gelangt sein, in der eine Hetäre auftrat, so ist es zwar nicht möglich, aus dem Vers selbst zu erschließen, in einem wie gearteten Kontext und mit welcher Stoßrichtung er bei Menander (wenn er denn menandrisch ist) geäußert worden sein könnte. Vielleicht ist in diesem Zusammenhang folgendes Gedankenspiel erlaubt: Es könnte zB. eine Stelle aus Plautus’ Epidicus (400/3) eine in ungefähr vergleichbare dramatische Situation darstellen, wo es um die Unterscheidung der guten Sitten eines freigeborenen Mädchens (virgo) und der schlechten einer Prostituierten (lupa) geht: cave siris cum filia mea copulari hanc neque conspicere. iam tenes? in aediculam istanc sorsum concludi volo. divortunt mores virgini longe ac lupae. Eine solche Konstellation ist zumindest ebenso wahrscheinlich wie die in der Forschung mehrfach vorgeschlagene, nach der es sich um die Beschreibung eines jungen Liebhabers handelt, dessen gute Sitten durch den Umgang mit einer Prostituierten verdorben worden sind64. Sollte Paulus allerdings, auch wenn dies nach dem bisher Gesagten wenig wahrscheinlich ist, Menander zitieren wollen, so erhielte ein solches Zitat, wenn es denn aus einem Kontext wie dem angedeuteten stammte (und dies den Zuhörern des Paulus auch bewußt wäre), eine besondere Spitze und ironische Qualität, geht es doch im Kontext um die Absage an die Vergnügungen dieser Welt. Mit anderen Worten: Paulus würde in diesem Fall ausgerechnet ein ›weltliches‹ Theaterzitat65 zur Mißbilligung alltäglicher Zerstreuungen verwenden und es auf diese Weise dekontextualisieren, ironisieren und die Gemeinde damit gleichsam immunisieren, zumal er dieses Zitat gegen ein nicht-paganes aus der Septuaguinta ins Feld führen würde, in dem freilich nun umgekehrt dafür plädiert wird, das schnell dahingleitende Leben voll auszukosten. Aber dies muß Spekulation bleiben. Ob nun Spruchgut oder Dramenzitat – Paulus handhabt den Vers virtuos und bindet ihn auf äußerst geschickte und argumentativ intelligente Weise in seinen Kontext ein. Ähnlich geschickt war er schon mit der weiter oben erwähnten ›paragnomischen‹ Vgl. Koch (1986) 44f. Die Zitate aus Stephanus und Wettstein folgen dem Apparat zu Men. frg. 165 K./A. 63 Vgl. Renehan (1973) 32. 64 So zB. Traill (2001) 287 mit Hinweis auf ältere Forschung. 65 Es sei hier nur angedeutet, daß sich auch an anderen Stellen in 1 Cor. möglicherweise Referenzen auf das antike Theater finden; die deutlichste vielleicht in 1 Cor. 13,1, wo das Zungenreden mit 61 62 »dröhnendem Erz« (ualkc fu\n), zum anderen mit einer »lärmenden Pauke« (kfflmbalon alalzwn) verglichen wird. Der erste Ausdruck bezieht sich wahrscheinlich auf die metallenen Resonanzgefäße, die nach antiken Zeugnissen im Theater zur Schallverstärkung eingesetzt wurden, vgl. Klein (1986), während der zweite möglicherweise eine Anspielung auf den alzwn, einen Charaktertyp aus der Komödie (»Prahlhans«, oft in der Gestalt des prahlerischen Soldaten, miles gloriosus), darstellt. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/005-019.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Menander bei Paulus 15 Äußerung verfahren. Insofern ist es berechtigt, die Frage nach dem Bildungshintergrund des Paulus zu stellen, und man hat dies, nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit dem Zitat in 1 Cor. 15,33, in der Forschung auch oft getan. Hierzu bestehen die unterschiedlichsten Auffassungen, die zum Teil von Vorsicht und Zurückhaltung geprägt sind und Paulus eher weniger als mehr griechische Bildung zusprechen (so zB. Hengel66, Metzner67), bis zu solchen, die von einem »intensiven Einfluß griechischhellenistischen Denkens auf Paulus«68 sprechen. Vielleicht ist, zumal wenn man sich die literarischen Fähigkeiten vergegenwärtigt, die in den Schriften des Apostels an vielen Stellen unstrittig erkennbar sind, die vermittelnde Position von Vegge bedenkenswert, der feststellt, daß Paulus sich wohl einerseits »ohne Zweifel immer als Jude definiert« hat, daß aber andererseits gerade zu dem von ihm gelebten Judentum »gehörte [.. .], daß eine griechisch-hellenistische Bildung sein integraler Bestandteil war«69, auch wenn er – was die exakte Bestimmung des Umfangs dieser Art von Bildung bei ihm wohl immer sehr erschweren wird – die Wahl getroffen hatte, sie nicht zur Schau zu stellen (1 Cor. 2,2/5). 5. Die theologische (Re-)Codierung der Sentenz in 1 Cor. 15,33 Nach der Diskussion der Funktion und der möglichen Zuweisung des Verses sei nun noch etwas zur Interpretation seines Wortlauts gesagt. Wenn man die im Trimeter vorkommenden Wörter auf dem Hintergrund paulinischer Terminologie betrachtet, so stellt man fest, daß sie semantisch in besonderer Weise aufgeladen sind: vheroysin fhf urf́sh’ milai kaka. Das Verb vherein findet sich im NT nicht in den Evangelien, sondern fünfmal im Corpus Paulinum (davon viermal in den beiden Briefen an die Korinther)70 sowie je einmal im zweiten Petrusbrief 71 und in der Offenbarung des Johannes72. Von besonderem Interesse ist von diesen Belegen die Äußerung in 1 Cor. 3,17: e7 tic tn nan toy heoy vherei, vherei toyton hec. Hier wird mit epanaleptischem Nachdruck formuliert, daß denjenigen, der den »Tempel Gottes« (im vorigen Vers wurde dieser unter Fortführung der architektonischen Metapho66 Vgl. zB. Hengel (1996) 89: »Wirkliche griechische, an bekannter ›klassischer Literatur‹ erworbene Bildung fehlte entweder ganz, so bei Markus, Matthäus, Johannes und wohl auch bei Paulus, oder war doch recht mangelhaft«. 67 Metzner (2000) 568 konstatiert, daß Paulus »aufgrund seiner pharisäischen Herkunft das hellenistische Schulsystem nicht selbst durchlaufen hat«. Vgl. auch Porter (1997) 537: »At best, he [Paulus] may have had the kind of rhetorical knowledge that any intelligent and widely-travelled citizen of the Hellenistic world would have had«. Ähnlich auch schon Achtemeier (1990) 20. 68 So Schnelle (2003) 62, wobei er gleichzeitig einschränkend feststellt, daß offenbleiben müsse, »[o]b und inwieweit Paulus Werke der klassischen griechischen Literatur und Dichtung kannte«. 69 Vegge (2000) 491; ähnlich, wenn auch deutlich abgestuft Stowers (1994) 181: »Paul’s Greek educa- tion level is roughly equivalent to that of someone who had primary instruction with a grammaticus [. . .] and then had studied letter writing and some elementary rhetorical exercises«. Etwas optimistischer urteilen, im Kontext rhetorischer Analysen der Narrenrede des Paulus (2 Cor. 11,16/12,13), die an die Form eines Redeagons erinnert, zB. Forbes (1986) 24 und Ebner (1991) 105f. 70 1 Cor. 3,17 und 15,33; 2 Cor. 7,2 und 11,3; Eph. 4,22. Der Epheserbrief ist nach überwiegender Meinung der heutigen Forschung wohl das Werk eines Paulusschülers, vgl. zB. Niebuhr (2003) 248, vielleicht um 80/90 nC., vgl. Klauck (1998) 238. 71 2 Petr. 2,12. Der zweite Petrusbrief wird meist ins frühe 2. Jh. nC. datiert, vielleicht zwischen 125 und 130 nC., vgl. Feldmeier (2003) 335, und ist jedenfalls der wohl jüngste Brief des NT, vgl. Klauck (1998) 314. 72 Apc. 19,2. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/005-019.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 16 Boris Dunsch rik von 3,10/5 mit der Gemeinde selbst gleichgesetzt73) verdirbt, Gott verdirbt74. Das Verderben, von dem die Rede ist, vollzieht sich im Kontext der Auseinandersetzungen in der Gemeinde, die, um im Bild zu bleiben, als Gefährdung des Tempelbaus wahrgenommen werden. Es ist dasselbe Bemühen, eine Gefährdung der Gemeinde zu vermeiden, das aus der Verwendung des Zitats in 1 Cor. 15,33 spricht, und Paulus spricht auch hier wieder davon, das etwas eigentlich Wertvolles, Gutes, in Gefahr ist, verdorben zu werden: vheroysin fhf urf́sh’ milai kaka. Mit vergleichbarer Intention scheint Paulus auch 2 Cor. 11,3 zu formulieren: voboymai d mf́ pwc, >c ovic Þxfptfsen Eyan Þn tßÇ panoyrgßa aytoy, vharßÇ t nof́mata ym\n ap tÇc apltftoc ka tÇc agntftoc tÇc e%c tn Uristn. Dagegen findet sich 2 Cor. 7,2 eine wohl weniger theologisch motivierte als vielmehr alltagsweltliche Verwendung des Verbs: uwrf́sate fm¼c: oyd na fdikf́samen, oyd na Þvheramen, oyd na Þpleonektf́samen75. Das Wort øfhoc (»Charakter«) ist im NT nur in dem von Paulus zitierten Sinnspruch belegt. Die Vokabel urfstc hingegen ist ein im NT vielfach verwendetes Adjektiv; lautlich fällt es mit uristc zusammen76, und es scheint nicht ausgeschlossen, daß auch im NT mit diesem lautlichen Phänomen gespielt wurde77. Insofern könnte vielleicht erwogen werden, daß die fhf urfst aus dem von Paulus angeführten Vers bei seinen Rezipienten in der Gemeinde zumindest die Assoziation wecken, daß es sich hierbei um Menschen handelt, die durch die Nachfolge Christi selbst zu urfsto geworden sind – eine Eigenschaft, die sie sich nun, so dann der Sinn des Verses, bewahren müßten. Denn der Vers ist zwar eigentlich eine Aussage, aber eine solche, die implizit eine Aufforderung zum Handeln bzw. Unterlassen darstellt. Unterlassen werden sollen nach der Intention des Sinnspruchs die milai kaka, der schlechte Umgang bzw. – hier nutzt Paulus die brachylogische Formulierung der Sentenz – der Umgang mit Schlechten, wobei die Verwendung des Adjektivs kakc Sündhaftigkeit bzw. schlechthin böses Tun impliziert78. Das Wort mila wiederum ist nur an dieser Stelle im NT belegt und kann, bei aller Vagheit, zunächst »Umgang«, »Verkehr«, »Vertrautheit« bedeuten, aber auch »Lehrgespräch« oder »gelehrtes Gespräch«. Schon zB. Justin verwendet es im Sinne von »kirchlicher Rede«, »Predigt«79. Es ist wohl keine Überinterpretation der Paulusstelle, wenn man versucht, auch im Wortlaut des Trimeters, zumindest in der Art, in der speziell die Zuhörer von 1 Cor. dessen Worte verstanden haben könnten, eine erste Tendenz hin zur Entwicklung der späteren kirchlichen Terminologie zu erblicken. Sollten die hier angestellten Überlegungen zutreffend sein, dann wäre eine Art, den Vers zu verstehen – und zwar eine, die den Rezipienten des Paulusbriefes wohl nahegelegen hätte – die folgende: vheroysin fhf urf́sh’ milai kaka hieße in etwa 73 In 1 Cor. 6,19 wird nicht die Gemeinde, sondern jeder einzelne Gläubige als »Tempel des Heiligen Geistes« bezeichnet. 74 Das Präsens scheint mir in beiden Fällen wichtig zu sein, da ausgedrückt werden soll, daß beide Ereignisse zeitlich zusammenfallen (indem man das eine tut, vollzieht sich auch das andere). 75 Die nicht paulinischen Belege sollen in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben, obschon auch Eph. 4,22 und 2 Petr. 2,12 von einem speziellen, für die seelische Verfassung der Gläubigen relevanten Verderben die Rede zu sein scheint. 76 Vgl. Alex. Lycopol. c. Manich. 24, p. 34, 18ff, zitiert bei Bauer (1971) 1754. 77 Vgl. schon Lc. 6,35; recht deutlich Eph. 4,32. In 1 Petr. 2,3 ist in vielen Handschriften statt urfstc sogar uristc überliefert. 78 Vgl. die Belege bei Bauer (1971) 785f s. v. kakc 1 b und vor allem c (t kakn = die Sünde). 79 Iustin. M. dial. 28; 85. Belege bei Bauer (1971) 1120. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/005-019.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Menander bei Paulus 17 »der Umgang mit Lehren, die Sündhaftes verkünden oder rechtfertigen, zerstört die Seelen derer, die in Christus leben«. Diese stärker theologisierte Lesart steht neben oder sogar über der banalen Lebensweisheit, daß schlechter Umgang die Sitten verdirbt (die dadurch natürlich nicht falsch wird). Es spricht für die Behutsamkeit der paulinischen Rezipientensteuerung an dieser Stelle, daß er diesen guten Rat in einer Weise gibt, die zugleich eindringlich und indirekt, und damit eben nicht aufdringlich, ist80. Die Alltagsweisheit wird so auf eine konkrete, für Paulus bedeutsame Ebene transponiert und kann auf diese Weise zu wirkendem Wort werden. 6. Alltagsweisheit als auctoritas Oldfather und Daly hatten die Stelle im ersten Korintherbrief ihrer eigenen Untersuchung vorangestellt, geradezu als programmatisches Motto – in der Annahme, daß, wenn sich im paulinischen Briefcorpus ein Menander-Zitat findet, sich noch weitere finden lassen sollten. Die hier vorgelegte Untersuchung vertritt eine weniger optimistische Position. Zugegeben: Möglicherweise kann der Vers Menander zugeschrieben werden, möglicherweise auch schon Euripides. Ebenso wäre es möglich, daß der Trimeter von Euripides zu Menander und von dort in den weiteren Umlauf gelangte. Für menandrische Euripides-imitatio könnte man immerhin zahlreiche Beispiele anführen81. Das macht diesen Vers jedoch noch lange nicht zu einem Menander- oder Euripides-Zitat. Zweifellos wird Euripides bzw. Menander von Paulus hier de facto zitiert, allerdings ohne daß ihm selbst klar gewesen sein muß, daß er damit diesen speziellen Autor zitiert – dafür spricht schon die Hervorhebung des Verses aus dem ihn umgebenden Text – und die Tatsache, daß hier überhaupt etwas ›zitiert‹ wird, kann kaum jemandem in seinem Publikum entgangen sein. Ob nun aber Paulus ausdrücklich Menander oder Euripides zitieren wollte bzw. sein Publikum ausdrücklich einen der beiden (oder sogar beide, sozusagen in ›Überblendung‹) zitiert hörte – und nicht doch vielmehr bloße Spruchweisheit, das ist abschließend nicht zu klären, aber es ist unwahrscheinlich82. Insofern sollte auch in künftigen Ausgaben des griechischen Neuen Testaments auf die Angabe »Menander, Thais«, zugunsten eines Verweises zB. auf die Menandersentenzen (oder ersatzweise die Euripidesfragmente), verzichtet werden. Keine uns bekannte Zuweisung des Trimeters – weder die an Menander noch die an Euripides – stammt aus vorpaulinischer Zeit. Der Vers könnte also ebenso gut eine von Paulus im Schulunterricht oder auf der Straße aufgeschnappte Lebensweisheit sein83, die man in späterer Zeit, unter dem Bedürfnis, den unverkennbaren jambi80 Ich bin weniger zuversichtlich als zB. Schrage (2001) 248, der die Sentenz vor allem anderen als Mittel der »innergemeindliche[n] Abgrenzung und Warnung vor den Auferstehungsleugnern« versteht. Die Absage an einen »Umgang mit Vertretern eines epikureischen Lebensgenusses oder eines moralischen Indifferentismus außerhalb der Gemeinde«, die Schrage für kaum wahrscheinlich hält, halte ich für mindestens ebenso von Paulus intendiert. 81 Vgl. zB. Zagagi (1995) 55/9. 11715. 82 So charakterisiert zB. Zeegers-Vander Vorst (1972) 21 die Zitierweise bei Paulus als »occasionnel«; Schmeller (1987) 365120 bezeichnet es als Menander-Zitat (aus der Thais), das aber »für Paulus kein Zitat im eigentlichen Sinn, sondern eine allgemein geläufige Sentenz war«. 83 Sandelin (1976) 143 vermutet wegen der Bezüge zu Philon quod deterius potiori insidiari soleat 38 (vgl. oben Anm. 52) Bezüge zur »alexandrinischen Weisheitstradition«, was im Prinzip eine attraktive C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/005-019.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 18 Boris Dunsch schen Trimeter einem der beiden großen Dramatiker zuzuordnen, dann entweder Menander oder Euripides beilegte, so wie es einem gerade einfiel. Solch eilfertige Zuschreibung hat es in der Antike durchaus öfter gegeben, und auch hier wäre sie möglich. Immerhin formuliert auch Tertullian, unser ältester nachpaulinischer Zeuge, so, daß die Autorschaft offenbleibt bzw. man eher auf die Idee kommen könnte, er beschreibe Spruchgut: memor illius versiculi sanctificati per apostolum ›bonos corrumpunt mores congressus mali‹84, wobei seine gelungene lateinische Übersetzung ein jambischer Senar, das Äquivalent zum griechischen jambischen Trimeter, ist85. Marburg Boris Dunsch Literatur Achtemeier, Paul J., Omne verbum sonat. The New Testament and the oral environment of late Western Antiquity: JournBiblLit 109 (1990) 3/27. Bachmann, Michael, Vom Lesen des Neuen Testaments: K.-W. Niebuhr (Hrsg.), Grundinformation Neues Testament. Eine bibelkundlich-theologische Einführung2 (Göttingen 2003) 32/45. Bakker, Egbert, Fiktionalität und Medienwechsel im Altgriechischen. Von Homer zu Thukydides: Christine Ehler / Ursula Schäfer (Hrsg.), Verschriftung und Verschriftlichung. 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Zudem folge, so formuliert er, bei auf kaiserliche Anordnung hin neugegründeten Städten die Ordnung des kirchlichen Sprengels dem staatlichen und öffentlichen Modell: toic politikoic ka dfmosoic tfflpoic ka t\n Þkklfsiastik\n paroiki\n f t´xic akoloyhetw1. Vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen Inkulturation der Kirche in die spätantike Gesellschaft ist der 17. Kanon des Konzils von Chalkedon ein wichtiger Zeuge dafür, dass sich die Kirche auch beim Aufbau eigener Rechts- und Verwaltungsstrukturen an den staatlichen orientierte und sie sich zur Vorlage nahm2. In der Forschung sind Grundzüge dieses Phänomens verschiedentlich beschrieben worden3, und besonders Gaudemet widmete dem Verhältnis von kirchlicher und staatlicher Rechtsentwicklung in der Spätantike eine eigene Studie4. Angesichts der Bedeutung des Phänomens ist es gleichwohl erstaunlich, dass das Corpus römisch-bischöflicher Schreiben bisher nicht angemessen unter dem Gesichtspunkt von Adaptation und Übernahme des römischen Rechts untersucht wurde. In der Literatur wies man auf das Thema seit der Studie von Getzeny5 oftmals nur knapp hin6; eine detaillierte Aufarbeitung aus altertumswissenschaftlicher Perspektive blieb hingegen bis heute aus7. Dabei ist eine genauere formale und stilistische Analyse der Schreiben römischer Bischöfe nicht nur für die kirchliche Verfassungsgeschichte außerordentlich aufschlussreich, sondern auch für die Erforschung der römischen Primatsgeschichte. Denn am Ende des vierten Jahrhunderts lässt sich eine Zäsur hinsichtlich Stellung und Anspruch des römischen Bischofs beobachten: Dieser verlangt jetzt in Fragen der Disziplin und des Glaubens einen Vorrang vor seinen Amtsbrüdern, die sich in dieser Zeit vermehrt mit Anfragen an ihn wenden. Seine Antwortschreiben nutzt er zur Einschärfung der kirchlichen Disziplin und zugleich auch zur Durchsetzung eines neuen 1 Conc. Chalced. cn. 17 vJ. 451 (36 Beneševič, Synagoga L titulorum). 2 Vgl. Ohme, Kirchenrecht 1099/101. 1130/34, bes. 1133f; jedoch Gelas. frg. 17 (493 Thiel): Territorium non facere dioecesim olim noscitur ordinatum. 3 Vgl. u. a. Le Bras, Droit romaine; Feine, Fortleben; Gaudemet, Église; Faivre, Naissance; Haensch, Amtsinhaber; Herrmann, Ecclesia; Humphries, Emperor; Ohme, Kirchenrecht; Pferschy, Variae; Wotke, Papstbriefe. Vgl. Gaudemet, Formation. Getzeny, Stil. 6 Vgl. u. a. Ullmann, Gelasius; McShane, Romanitas; Reutter, Damasus; Speigl, Päpste; Wessel, Leo; zu Cyprian auch Bastiaensen, Cérémonial und Hoffmann, Strukturen. 7 Jasper, Decretal tradition hat römisch-bischöfliche Schreiben der Spätantike aus mediävistischer Perspektive untersucht. 4 5 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 21 Führungsanspruchs. Dazu bedient er sich nicht nur einer ausgefeilten theologischen Argumentation und Berufung auf die petrinische Sukzession8, sondern auch eines mehr und mehr formalisierten Briefverkehrs, der die systematische Rezeption des römischen Rechts und der staatlichen Verwaltung verrät. Besonders reizvoll ist es daher, die Schreiben der römischen Bischöfe von der Mitte des vierten Jahrhunderts bis in die Zeit Leos des Großen (440–461)9 genauer zu untersuchen; es ist die Epoche des angedeuteten Umbruchs in der römischen Primatsentwicklung, die auch einen interessanten Einblick in ihre Legitimierungsmechanismen verspricht. Hierbei ist zunächst von einer Charakterisierung der Kommunikation auszugehen, wie sie sich aus Termini, die den Briefwechsel zwischen Rom und den Provinzen bezeichnen, ergibt. Sie wird dann mit dem Befund in den zeitgenössischen kaiserlichen Konstitutionen verglichen, um auf Parallelen aufmerksam zu machen. Die Form der Schreiben römischer Bischöfe weist im vierten und fünften Jahrhundert erhebliche Veränderungen auf, die in unterschiedlichem Maße auf Übernahmen aus der kaiserlichen Kanzlei zurückzuführen sind. Die bisherige Tendenz der Forschung, die seit Siricius von Rom (384–398) verfassten Schreiben römischer Bischöfe allzu schnell als Dekretalen10 zu bezeichnen, ist gerade deshalb durch eine genaue Zuordnung der Schreiben zu differenzieren, um Übernahmen und Parallelisierungen in den einzelnen Gruppen präzise analysieren zu können. Denn, so wird sich zeigen, gerade in den Disziplinarbriefen, in denen der römische Bischof zunächst untergründig, dann aber zunehmend autoritativ Entscheidungen formuliert, ist eine Beeinflussung durch die kaiserlichen Konstitutionen nachzuweisen. Schließlich erscheint es besonders aufschlussreich, ausgewählte Aspekte des Stils römisch-bischöflicher Schreiben genauer zu untersuchen. Im Rahmen dieses Beitrags müssen sie notwendig auf wenige charakteristische beschränkt bleiben: Die Anredeformen und der Gebrauch des Pluralis maiestatis sollen daher eigens analysiert werden. Der Primat des römischen Bischofs, so wie er sich in der berücksichtigten Umbruchszeit vom vierten zum fünften Jahrhundert ausprägt, wird zum einen durch Theologumena abgesichert. In ihren Schreiben rezipieren die Bischöfe die paulinische Leibmetapher, identifizieren Rom mit dem caput des kirchlichen Leibes11, berufen sich auf Petrus und Paulus sowie die Doppelapostolizität der römischen Gemeinde12. Nicht unberücksichtigt bleiben aber darf in der Erforschung der Entstehungsbedingungen des römischen Primats und seiner Legitimierung zum anderen die Form und der Stil der römisch-bischöflichen Schreiben. Sie sind ein implizites, aber wesentliches Element des neuen Machtanspruchs. Ihre Genese soll daher hier, nach Studien zu einem zentralen Einzeltext, der sogenannten ersten Dekretale des Siricius13, verfolgt werden, um aufzuzeigen, wie der römische Bischof sich als Instanz oberhalb aller anderen Instanzen generiert und gleichsam innerkirchlich, von seinem Vgl. Caspar, Geschichte 263; Ullmann, Gelasius 21f. 9 Vgl. Martin, Leo. 10 Zu dieser Briefform vgl. auch Hornung, Directa 41f. 11 Vgl. Sir. ep. 1,15,20 (PL 13, 1146): ad Romanam ecclesiam utpote ad caput tui corporis; Anastas. ep. 3 (ACO 1,5, 4 Schwartz): [. . .] partesque corporis mei 8 per spatia diversa terrarum; Innoc. ep. 17,1 (PL 20, 527): [. . .] adverti sedi apostolicae, ad quam relatio quasi ad caput ecclesiarum currebat; 37,1 (PL 20, 603): ad nos quasi ad caput atque apicem episcopatus referre; Bonif. ep. 14,1 (PL 20, 777). 12 Vgl. Ullmann, Gelasius 8f. 22; Dassmann, Kirche 971f. 13 Vgl. Hornung, Directa. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 22 Christian Hornung Anspruch her, die Stelle einzunehmen versucht, die im weltlichen Bereich der Kaiser innehat. II. Charakterisierung der römisch-bischöflichen und kaiserlichen Kommunikation II.1. Der Befund in den Briefen römischer Bischöfe Allgemeine Bezeichnungen, die die Briefe zwischen dem römischen Bischof und anderen Gemeinden benennen, sind litterae, epistula oder auch scriptum. Sie finden sich im vierten und fünften Jahrhundert sowohl für die Schreiben Roms als auch für die aus verschiedenen Regionen in Rom eingetroffenen. Eine, unter Umständen hierarchische, Differenzierung in der Terminologie existiert nicht. So führt Siricius von Rom in seinem Schreiben vJ. 385 litterae des Himerius von Tarragona an14, Innozenz (402–417) nennt in einem Brief vJ. 414 unspezifisch litterae mazedonischer Bischöfe15, und auch Zosimus (417–418) überliefert, dass an ihn von nordafrikanischen Bischöfen litterae gerichtet worden seien16. Für den umgekehrten Vorgang, nämlich dass Schreiben Roms als litterae bezeichnet werden, sind ebenso zahlreich Belege erhalten17. Epistula und scriptum stehen demgegenüber quantitativ zurück; Damasus (366–384), Innozenz, Bonifatius (418–422) und Leo der Große aber gebrauchen die Bezeichnungen sowohl für eigene als auch für empfangene Briefe18. Spezifischere Bezeichnungen sind ab der Zeit des Siricius erhalten. Vor allem in den Prooemien und den Schlusspartien der Briefe wird deutlich, dass der Briefwechsel seit dieser Zeit, d. h. ab dem Ende des vierten Jahrhunderts, mit technischen Begriffen belegt wird. In der ersten Dekretale des Siricius werden der Brief des Himerius als relatio bzw. als consultatio und der des Siricius als responsum bezeichnet19. An die apulischen Bischöfe Agapitus, Macedonius und Marianus eröffnet Innozenz sein Schreiben so: Multa in provincia contra canones ecclesiasticos decretaque maiorum usurpari a plurimis, et relationes diversorum, et suggestiones fidissimae retulerunt 20. Durch Berichte ist der römische Bischof über Verstöße gegen die kirchliche Disziplin in Kenntnis gesetzt (referre). Mit zwei Begriffen bezeichnet er die eingegangenen Schreiben näher: Er nennt sie relatio und suggestio, die beide fast synonym einen ›Bericht‹ meinen21. Nachfolger des Innozenz haben ebenfalls an sie gesendete Briefe mit diesen Vokabeln beschrieben22. Leo der Große beispielsweise fordert in einem Sir. ep. 1,15,20 (PL 13, 1146). Innoc. ep. 17,1 (PL 20, 527). 16 Zosim. ep. 12,1 (PL 20, 677). 17 Vgl. Innoc. ep. 7,1 (PL 20, 503); Zosim. ep. 12,1 (PL 20, 676): Nihil egimus, quod non ad vestram notitiam nostris ultro litteris referremus; Sixt. ep. 1,1 (PL 50, 583): ad vestram fraternitatem [. . .] has litteras dedimus; Leo M. ep. 5,6 (PL 54, 516): recurrentibus litteris u. ö. 18 Vgl. Innoc. ep. 17,1 (PL 20, 527): Qui [scil. archidiaconus] cum tradidisset epistolas, eas praecepi illico recenseri; Bonif. ep. 5,1 (PL 20, 760): [. . .] post epistolas nostras pro ecclesiasticae disciplinae observatione transmissas; Leo M. ep. 5,5 (PL 54, 616): Hoc vestra dilectio 14 15 nostris epistolis admonitum esse cognoscat; 6,6 (PL 54, 619); 15,1 (PL 54, 678): fraternitatis tuae scripta demonstrant u. ö. 19 Sir. ep. 1,1 (PL 13, 1132). 20 Innoc. ep. 39 (PL 20, 606). 21 Zu suggestio in der spezifischen Bedeutung als ›Vorschlag‹ vgl. Corcoran, Empire 167. 22 Vgl. Bonif. ep. 5 (PL 20, 761): tuae sanctitatis [. . .] relatio; Coelest. ep. 4,3,5 (PL 50, 433): nuper missa relatione ex orientalibus ad nos partibus; 13,2 (PL 50, 471): ad relationem fratrum; Sixt. ep. 1,1 (PL 50, 583): ex relatione fratrum; Leo M. ep. 23,1 (PL 54, 731): insinuatio tuae relationis u. ö. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 23 Schreiben an illyrische Metropolitanbischöfe vJ. 444 dazu auf, causae graviores vel appellationes in Verbindung mit einer relatio an ihn zu schicken, damit er ein Endurteil fällen könne23. Daneben finden sich weitere Begriffe, mit denen der römische Bischof an ihn gerichtete Schreiben bezeichnet. Consultatio, das der relatio weitgehend synonym ist, begegnet bereits bei Siricius24. Bonifatius verwendet es erneut: Credebamus, post epistolas nostras pro ecclesiasticae disciplinae observatione transmissas, omnibus aditum praesumptionibus praecludendum, cum ad consultationem dilectionis tuae praebuissemus debitum pro causarum aestimatione responsum25. Während er seine eigenen Briefe hier unspezifisch als epistolae bezeichnet, nennt er das von Rufus, Bischof von Thessalonike und ebendort Vikar Roms26, erhaltene Schreiben eine consultatio, auf die er eine Antwort gegeben habe. Es lässt sich festhalten, dass relatio und consultatio in der römischen Kirchenverwaltung nur als Bezeichnung für empfangene Schreiben dienen. Dies gilt ebenso für die petitio, die ausschließlich an Rom gerichtet, nicht aber von Rom verfasst wird27. Bei anderen technischen Begriffen ist der Befund nicht ebenso eindeutig. Commonitorium etwa, der ›Auftrag‹ oder auch das ›Ansuchen‹28, gebrauchen die römischen Bischöfe sowohl von ihren eigenen Schreiben29 als auch von an sie adressierten30. Der libellus bezeichnet allgemein ein Schreiben, das als ›Eingabe‹ in offiziellem Kontext eingereicht oder zugestellt wird. Innozenz berichtet, dass er durch einen libellus erfahren habe, dass ein nicht näher bekannter Modestus31 trotz offensichtlicher Weihehindernisse ordiniert worden und sogar zum Bischofsamt aufgestiegen sei32, und Leo der Große wird durch einen libellus darüber informiert, dass der Priszillianismus in Spanien auch zu seiner Zeit noch nicht überwunden sei33. Weitere Belege verdeutlichen, dass das Wort oft in einem gleichsam gerichtlichen Kontext verwendet wird. Die derart bezeichneten Briefe haben offiziellen Charakter: Accepimus enim libellum Eutychis presbyteri, qui se queritur, accusante Eusebio episcopo, immerito communione privatum34. Libellum appellationis35 23 Leo M. ep. 5,6 (PL 54, 616): Si quae vero causae graviores vel appellationes emerserint, eas sub ipsius relatione ad nos mitti debere decrevimus, ut nostra secundum ecclesiasticum morem sententia finiantur. 24 Sir. ep. 1,1 (PL 13, 1132). 25 Bonif. ep. 5 (PL 20, 761). 26 Vgl. zum Aufkommen des Vikariats von Thessalonike MacDonald, Vicariate 478/82; Dunn, Innocent 124/48. 27 Vgl. Zosim. ep. 12,1 (PL 20, 677); Bonif. ep. 5,4 (PL 20, 763); Leo M. ep. 6,2 (PL 54, 617): Postquam itaque nobis petitio tuae dilectionis innotuit per filium nostrum Nicolaum presbyterum, ut [. . .]. 28 Vgl. Berger, Dictionary 440 s. v. Commonitorium. 29 Vgl. Innoc. ep. 24,1,1 (PL 20, 547): [. . .], quo litteris vel commonitorio vestro, ut dat sancti Spiritus gratia, respondere possimus; Zosim. ep. 15,1 (PL 20, 681): [. . .] et verba canonum, quae in pleniorem firmitatem huic commonitorio inseruimus. 30 Vgl. Leo M. ep. 15,1 (PL 54, 678): commonitorii series. 31 Vgl. Pietri/Pietri, Prosopographie 2, 1520 s. v. Modestus. 32 Innoc. ep. 39 (PL 20, 606). 33 Leo M. ep. 15,1 (PL 54, 678). 34 Leo M. ep. 23,1 (PL 54, 731); vgl. ep. 23,1 (PL 54, 733): [. . .], ut contestatorios libellos in Constantinopolitana urbe proponeret. 35 Leo M. ep. 23,1 (PL 54, 731). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 24 Christian Hornung Den unterschiedlichen Begriffen, mit denen der römische Bischof die an ihn adressierten Schreiben charakterisiert, stehen korrespondierende Termini gegenüber, die für die eigenen Briefe gebraucht werden. Auf eine Anfrage, d. h. eine relatio, consultatio oder auch einen libellus, antwortet der Römer in einem responsum oder rescriptum. Es sind die am häufigsten in diesem Kontext begegnenden Termini36, die auch durch ihre verbalen Entsprechungen (respondere bzw. rescribere) vertreten sein können37. Weitere Selbstbezeichnungen der Briefe römischer Bischöfe sind deutlich seltener: Zu nennen sind decretum oder auch decretale constitutum, mandatum oder auch admonitio. Ein decretum haben nach Damasus bereits seine Vorgänger erlassen und damit auf Anfragen geantwortet38; auch Siricius bezeugt, dass bereits von Liberius (352–366) heute nicht mehr erhaltene generalia decreta erlassen worden sind39. Bei den Nachfolgern werden Schreiben römischer Bischöfe ebenfalls mit dem Terminus belegt. Es genügen daher wenige Beispiele40. Bemerkenswert ist eine epistula des Zosimus, in der erneut auf eine Anfrage ein decretum in Anliegen der Kirchendisziplin erlassen wird41. Als ein Oberbegriff für römische Entscheidungen dient decretalia constituta. Er findet sich bis auf Leo den Großen nur an zwei Stellen und ist für Schreiben des römischen Bischofs reserviert; eine weitere Spezifizierung der Kommunikationssituation aber, in der er verwendet wird, ist nicht möglich, vielmehr scheint er allgemein römische Schreiben zu bezeichnen42. Mandatum und admonitio sind gering belegt. Ersteres verwendet nur Zosimus technisch vom Auftrag des römischen Bischofs43, Letzteres wechselt in den Briefen zwischen technischem und freiem Gebrauch, wobei im Einzelfall eine präzise Trennung kaum durchzuführen ist44. II.2. Der Befund in den römischen Rechtsquellen und spätantiken Sammlungen Die Neuordnung des Römischen Reiches durch Diokletian und Constantin den Großen führt in der Spätantike zu einer absoluten Herrschaft, dem Dominat, in der 36 Vgl. Sir. ep. 1,15,20 (PL 13, 1146): Et ad singulas causas, de quibus per filium nostrum Bassianum presbyterum ad Romanam ecclesiam, utpote ad caput tui corporis, retulisti, sufficientia quantum opinor responsa reddidimus; Innoc. ep. 6,1 (PL 20, 496): Proponam igitur singula, subiiciamque responsum; Zosim. ep. 12,1 (PL 20, 677): Satisque illis scriptis, quae ad illa rescripseratis, credidimus esse responsum; Bonif. ep. 5 (PL 20, 761): Credebamus, post epistolas nostras pro ecclesiasticae disciplinae observatione transmissas, omnibus aditum praesumptionibus praecludendum, cum ad consultationem dilectionis tuae praebuissemus debitum pro causarum aestimatione responsum; Coelest. ep. 13,2 (PL 50, 471) u. ö. 37 Vgl. Sir. ep. 1,15,20 (PL 13, 1146): [. . .] haec, quae ad tua rescripsimus consulta; Innoc. ep. 6,1 (PL 20, 495): Consulenti tibi, frater charissime, quid de proposita specie unaquaque sentirem, pro captu intelligentiae meae quae sunt visa respondi, quid sequendum vel docilis ratio persuaderet, vel auctoritas lectionis ostenderet, vel custodita series temporum demonstraret; 24,4,3 (PL 20, 551): [. . .], ut quae ipse tam necessario percontatus es, et nos tam elimate respondimus, communi omnium consensu studioque serventur u. ö. 38 PsDamas. ep. 3 (PL 13, 432). 39 Sir. ep. 1,1,2 (PL 13, 1133). 40 Vgl. Coelest. ep. 3 (PL 50, 427); Leo M. ep. 1,1 (PL 54, 593); 4,5 (PL 54, 614). 41 Zosim. ep. 14 (PL 20, 679). 42 Vgl. Coelest. ep. 5,1 (PL 50, 437); Leo M. ep. 4,5 (PL 54, 614). 43 Zosim. ep. 15,1 (PL 20, 681): [. . .] cuncta peragite, maxime cum et hoc nostrum possitis habere mandatum, et verba canonum, quae in pleniorem firmitatem huic commonitorio inseruimus. 44 Vgl. Zosim. ep. 9,1,1 (PL 20, 670): Super hac admonitione nostra habeatur aliena; Bonif. ep. 5,1 (PL 20, 761): Apud quosdam autem admonitionem nostram inefficacem cognovimus fuisse; Coelest. ep. 13,9 (PL 50, 483): [. . .], si abutuntur nostra salubri admonitione. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 25 der Kaiser an der Spitze einer zentral auf ihn ausgerichteten Verwaltung des Reiches steht45. Die Veränderung der Reichsstruktur zeigt hierbei Einflüsse auf die zeitgenössische Kommunikation zwischen Princeps und den Magistraten und lässt sich an den Verfahren der Gesetzgebung ablesen46. Das entscheidende kaiserliche Instrument zur Setzung neuer Normen, mit dem dieser sein im Dominat ›nicht mehr angezweifelte[s] Rechtsetzungsmonopol‹47 ausübt, sind die Konstitutionen48. In den Quellen werden sie als constitutio generalis49, lex edictalis50, edictum51 und novella52 bezeichnet. Die unterschiedlichen Begriffe sind einerseits Indiz einer nicht immer präzisen Terminologie, anderseits verweisen sie auf die unterschiedlichen Formen der Gesetzgebung, die unter dem Oberbegriff subsumiert werden53: 1) Die edicta knüpfen an die Tradition der magistratischen Edikte an, die auch weiterhin fortbesteht54. Sie sind Willenskundgebungen des Kaisers gegenüber der Bevölkerung; ihre Veröffentlichung erfolgt durch Verlesung (pronuntiatio), Anschlag oder briefliche Zustellung55. 2) Die rescripta sind Antwortschreiben des Princeps auf Anfragen eines Beamten oder einer Privatperson. Sie können in Form einer eigenständigen Epistel ergehen, oft jedoch sind sie als knappe subscriptio nur unter der Anfrage notiert56. 3) Eine dritte Form kaiserlicher Konstitutionen sind die mandata, gerichtet an Beamte, in denen der Kaiser ›administrative Anweisungen zur Durchführung von Maßnahmen‹57 erlässt58. 4) Und schließlich sind die decreta zu nennen, die als kaiserliche Entscheidung sowohl ein Endurteil als auch eine Zwischenstufe im gerichtlichen Verfahren bezeichnen. Ihre Verbindlichkeit und Übertragbarkeit auf andere Fälle werden unterschiedlich beurteilt; als Entscheidungen im Einzelfall sind sie zunächst auf diesen begrenzt, können aber später auf ähnlich gelagerte Fälle übertragen werden59. Die unterschiedlichen Formen der Konstitutionen weisen auf verschiedene Möglichkeiten der kaiserlichen Kommunikation hin. Die edicta als kaiserliche Verordnungen, die allgemeine Rechtsbestimmungen treffen und fast als Synonym zu einem allgemeinen Gesetz erscheinen60, können hinsichtlich ihrer Geltung auf Provinzen oder Orte begrenzt sein61. Ein Gesetz Constantins vJ. 322 verpflichtet zudem dazu, dass sie datiert sein müssen, damit ihnen Geltung zukommt62, und ein späteres aus Vgl. Wieacker, Rechtsgeschichte 2, 179/81 sowie zu Formen der Sakralisierung des Kaisers Fears, Herrscherkult 1065. 46 Für die frühere Zeit vgl. Daube, Forms. 47 Wieacker, Rechtsgeschichte 2, 200; vgl. Liebs, Gesetz 12. 48 Vgl. Gai. inst. 1,5 (1, 142 Seckel/Kuebler) sowie allgemein Peter, Brief 198/212. 49 Vgl. Cod. Theod. 1,1,5 vJ. 429 (1,2, 28 Mommsen); 1,1,6 praef. vJ. 435 (1,2, 29 Mommsen). 50 Vgl. Cod. Theod. 2,31,1 vJ. 422 (1,2, 122 Mommsen); 10,10,31 vJ. 422 (1,2, 548 Mommsen); Edict. Imp. Valent. = Leo M. ep. 8 (PL 54, 623). 51 Vgl. Gai. inst. 1,5 (1, 142 Seckel/Kuebler); Inst. 1,2,6 (1, 1 Krueger). 52 Vgl. Cod. Theod. 1,1,6,3 vJ. 435 (1,2, 29 Mommsen). 53 Vgl. Pieler, Rechtsliteratur 571; Hoffmann, Strukturen 109f. 54 Vgl. Liebs, Gesetz 15. 45 55 Vgl. Louis-Lucas/Weiss, Edictum, Decretum; Kaser, Ediktstil; Benner, Emperor; Pieler, Rechtsliteratur 571. 56 Vgl. Brassloff, Epistula; Berger, Dictionary 680 s. v. Rescripta principum; Schnebelt, Reskripte. 57 Vgl. Hoffmann, Strukturen 109. 58 Vgl. Kreller, Mandatum 1023/5; Cuq, Mandatum 1570f. 59 Vgl. Louis-Lucas/Weiss, Edictum, Decretum; Hesky, Decretum 2289/91; Berger, Dictionary 426 s. v. Decreta principum; Wenger, Quellen 463f sowie zur weiteren Differenzierung kaiserlicher Konstitutionen ebd. 425/38. 60 Vgl. Liebs, Gesetz 20. 61 Vgl. Cod. Theod. 1,1,6 praef. vJ. 435 (1,2, 29 Mommsen). 62 Vgl. Cod. Theod. 1,1,1 vJ. 322 (1,2, 27 Mommsen): Si qua posthac edicta sive constitutiones sine die et consule fuerint deprehensa, auctoritate careant. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 26 Christian Hornung der Zeit von Theodosius II und Valentinian III regelt ihre Aufbewahrung in Sammlungen63. Grundsätzlich sind die Edikte eine Form, durch die der Kaiser Bestimmungen erlassen kann64, ohne dass hierfür Anfragen aus den Provinzen oder von Magistraten vorliegen. Ähnliches gilt auch für die mandata65. Sie ergehen als administrative Anweisungen in brieflicher Form66 an Beamte und statten sie, etwa die mit polizeilichen Aufgaben betrauten curiosi, mit Rechten aus67, was auch zu Missbrauch Anlass bieten kann68. Sind sie zunächst auf den Einzelfall begrenzt, so verdeutlicht bereits ihre Sammlung in einem liber mandatorum und ihre Archivierung, dass ihnen eine über den Einzelfall hinausgehende Geltung beigemessen wird. Im Dominat besitzen sie Gesetzeskraft69. Das Bedeutungsspektrum von decretum ist weit. Einerseits ist es auf Entscheidungen bezogen, die in gerichtlichen Verfahren ergehen70, andererseits wird es allgemein von kaiserlichen Normen und Erlassen gebraucht und kann dann die Festsetzung bezeichnen71. In einem Gesetz der Kaiser Theodosius II und Valentinian III beispielsweise heißt es: [. . .] codicis cunctas colligi constitutiones decernimus, quas Constantinus inclitus et post eum divi principes nosque tulimus, [. . .] 72. Decernimus erscheint als allgemeiner Oberbegriff der kaiserlichen Bestimmung und darin synonym mit anderen Termini, die eine Anordnung bezeichnen. An seiner Stelle erscheinen statuere, constituere oder iubere73 bzw. die entsprechenden Substantive 63 Vgl. Cod. Theod. 1,1,6 praef. vJ. 435 (1,2, 29 Mommsen): Omnes edictales generalesque constitutiones vel in certis provinciis seu locis valere aut proponi iussae, quas divus Constantinus posterioresque principes ac nos tulimus, indicibus rerum titulis distinguantur, ita ut non solum consulum dierumque supputatione, sed etiam ordine compositionis apparere possint novissimae. Ac si qua earum in plura sit divisa capita, unumquodque eorum, diiunctum a ceteris apto subiciatur titulo et circumcisis ex quaque constitutione ad vim sanctionis non pertinentibus solum ius relinquatur. 64 Vgl. Inst. 1,2,6 (1, 1 Krueger): Quodcumque imperator per epistulam constituit vel cognoscens decrevit vel edicto praecepit, legem esse constat: Haec sunt, quae constitutiones appellantur. 65 Vgl. Cuq, Mandatum 1570f. 66 Vgl. Ulp. Dig. 47,11,6 praef. (2, 784 Krueger/ Mommsen). 67 Vgl. Cod. Theod. 6,29,10 vJ. 412 (1,2, 293 Mommsen): [. . .] antiqua consuetudo servetur, ut curiosi idonei per diversas regiones atque provincias, litora insuper portusque et loca alia transmittantur, conmonitoriis competentibus atque mandatis instructi pro administratione tuae sublimitati commissa proque huius legis auctoritate. 68 Vgl. Cod. Theod. 1,3,1 vJ. 383 (1,2, 33 Mommsen): Si quis asserat, cum mandatis nostris se venire secretis, omnes sciant, nemini quicquam, nisi quod scriptis probaverit, esse credendum, nec ullius dignitate terreri, sive ille tribuni sive notarii sive comitis praeferat potestatem, sed sacras nostras literas esse credendas; 12,12,11 vJ. 386 (1,2, 27 Mommsen): Si quis vel civitatis vel provinciae vel corporis alicuius ita prosequi desideria voluerit, ut non omnia mandata litterarum, decretorum auctoritate demonstret, inauditus ac sine effectu remeare protinus iubeatur. 69 Vgl. Cuq, Mandatum 1570. 70 Vgl. Cod. Theod. 11,30,8,1 vJ. 319 (1,2, 626 Mommsen): Nam decreta nostra debet ingerere iudicanti ut ipso etiam dissimulante iudice reluctari et tamquam manibus iniectis eos de iudicio producere ac rationum officio traditos statuti prioris nexibus obligare, quorum desideriis violari nostras prospexerit sanctiones; 11,30,43 vJ. 384 (1,2, 635 Mommsen) sowie Berger, Dictionary 426 s. v. Decreta principum. 71 Vgl. Hesky, Decretum 2289/91. 72 Cod. Theod. 1,1,5 vJ. 429 (1,2, 28 Mommsen). 73 Vgl. Cod. Theod. 8,4,4 vJ. 349 (1,2, 367 Mommsen): [. . .], ideoque etiam nunc iubemus, ut [. . .]; 11,30,24 vJ. 348 (1,2, 630 Mommsen): [. . .] ac pronuntiamus gravissimam notam esse subiturum, quisquis haec a nobis constituta neglexerit; 11,30,47 vJ. 386 (1,2, 636 Mommsen); 11,30,50 vJ. 393 (1,2, 636 Mommsen): Eum, qui procuratorem suum cum appellatione ante sententiam adversum se latam ad iudicium dirigit, iudiciaria auctoritate iubemus praeiudicialis multae excipere ac sustinere iacturam; 11,30,51 vJ. 393 (1,2, 636f Mommsen) u. ö. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 27 statutum, constitutum oder iussum74, die den Vorgang bzw. die Norm kaiserlicher Gesetzgebung bezeichnen. Den hier zuletzt ausführlicher zu behandelnden rescripta oder auch responsa sind eine Vielzahl kaiserlicher Konstitutionen zuzurechnen. Sie sind formal Antworten auf einen eingegangenen Bericht oder ein Gesuch und gehören zu den entscheidenden Instrumenten, durch die der Kaiser Gesetze erlässt. Zudem informieren sie über den Briefwechsel zwischen dem Princeps und Beamten in den Provinzen des Römischen Reiches. Der Codex Theodosianus stellt Bestimmungen über die rescripta in einem eigenen Abschnitt zusammen75. Gegenüber dem ius besitzen sie nach einem Gesetz Constantins vJ. 315 nur Geltung, wenn sie mit diesem übereinstimmen76; auch soll ein früheres Reskript nicht durch ein späteres aufgehoben werden können77, und Richter, die Reskripte missachten oder verzögern, sollen bestraft werden78. Ein Gesetz der Kaiser Arcadius und Honorius vJ. 398 ist aufgrund der Begrifflichkeit besonders interessant: An den Praefectus praetorio Eutychianus erlassen sie folgende, nur noch fragmentarisch erhaltene Norm: Rescripta ad consultationem emissa vel emittenda, in futurum his tantum negotiis opitulentur, quibus effusa docebuntur79. Sie legt fest, dass auf Anfragen (consultatio) ergangene oder zu erlassende Beamtenreskripte (rescriptum) künftig nur noch für die Geschäfte gelten sollen, auf die hin sie erlassen werden. In äußerster Knappheit zeigt der Passus die typische Terminologie eines Briefverkehrs zwischen Kaiser und Beamten: Ersterer ist Verfasser der rescripta80, letzterer Steller der consultatio81. Beide Begriffe korrespondieren präzise miteinander82. Dabei kann das Wort consultatio durch das synonyme relatio vertreten sein; auch suggestio wird verwendet, ohne dass die Bedeutung wechselt83. So geht eine Norm des Kaisers Constantius II aus dem Jahr 349 auf eine suggestio vicarii Mesopotamiae zurück, nach der Personen unerlaubt ihre Aufgaben als Statthalter im Stich lassen und sich einer militärischen Laufbahn zuwenden84. Ein späteres Gesetz aus dem Jahr 364 ist ebenfalls durch die suggestio eines kaiserlichen Beamten (comes) hervorgerufen: Sol74 Vgl. Cod. Theod. 8,4,4 vJ. 349 (1,2, 367 Mommsen): statuti [. . .] auctoritas; 11,29,6 vJ. 416 (1,2, 623 Mommsen); 11,30,2 vJ. 314 (1,2, 624 Mommsen). 75 Vgl. Cod. Theod. 1,2,1/12: De diversis rescriptis (1,2, 30/3 Mommsen). 76 Cod. Theod. 1,2,2 vJ. 316 (1,2, 30 Mommsen): Contra ius rescripta non valeant, quocumque modo fuerint impetrata. Quod enim publica iura praescribunt, magis sequi iudices debent; vgl. Simon, Kaiserrecht 11/6; Liebs, Gesetz 17. 77 Cod. Theod. 1,2,3 vJ. 316 (1,2, 30 Mommsen): Id observetur, ut [. . .] nec rescripto posteriore derogetur priori [scil. firmitas]. 78 Cod. Theod. 1,2,7 vJ. 356 (1,2, 31 Mommsen): Mulctabuntur iudices, qui rescripta contempserint aut distulerint. 79 Cod. Theod. 1,2,11 vJ. 398 (1,2, 33 Mommsen). Vgl. Lécrivain, Rescriptum 844/6. Vgl. Lécrivain, Relatio 830. 82 Vgl. Ulp. Dig. 1,16,6,1 (1, 33 Krueger/Mommsen): Legatos non oportet principem consulere, sed proconsulem suum, et is ad consultationes legatorum debebit respondere; 4,4,11,2 (1, 129 Krueger/Mommsen): Ad quam consultationem successori eius Venidio Quieto rescripsit [scil. Imperator Severus]; 49,1,1,1 (2, 864 Krueger/Mommsen): Quaesitum est, an adversus rescriptum principis provocari possit, forte si praeses provinciae vel quis alius consulerit et ad consultationem eius fuerit rescriptum. 83 Vgl. Lécrivain, Relatio 830. 84 Cod. Theod. 8,4,4 vJ. 349 (1,2, 367 Mommsen): Iuxta suggestionem vicarii Mesopotamiae de his, qui officia praesidalia deserentes ad sacramenta militiae adspirasse noscuntur, [. . .]. 80 81 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 28 Christian Hornung daten fordern unmäßiges Kostgeld (cenaticum) von den Einwohnern einer Provinz, in der sie stationiert sind85. Das Gesetz schreitet hiergegen ein. Dass einer kaiserlichen Antwort in Streitsachen eine series relationis vorauszugehen habe, schärft ein Gesetz vom Jahr 369 ein86; es ist aufschlussreich, da im Gesetzestext die geforderte relatio, wohl in einer begrifflichen Variation, unmittelbar als consultatio erneut aufgegriffen wird87. Weitere Beispiele für die Synonymität von relatio und consultatio sind folgende: [. . .] iubeas, ut, si cui forte relatio tua minus plena vel contraria videatur, is refutatorias preces similiter tibi aput acta offerat intra dies quinque, quam illi exemplum consultationis tuae obtuleris88. [. . .] sancimus, ut, si ad consultationem anno decurso non fuerit aliqua ratione responsum, litigatores quorum interest collectis omnibus gestis et ipsius relationis exemplis veniendi ad comitatum nostrae serenitatis habeant liberam facultatem89. Das erste Gesetz stammt aus der Zeit Constantins. Werde der Kaiser in einem Zivilprozess, so die Norm, durch eine relatio vom Provinzstatthalter konsultiert und halte eine streitende Partei deren Inhalt für unzureichend, dann solle es binnen fünf Tagen möglich sein, eine Widerlegung (refutatoriae preces) an den Provinzstatthalter zu richten. Im Wortlaut des Gesetzes wechselt die Bezeichnung der Konsultation an den Kaiser zwischen relatio und consultatio, ein weiteres Indiz dafür, dass beide synonym verwendet werden. Und auch das zweite, etwas spätere Gesetz wechselt zwischen beiden Termini und nennt die Anfrage an den comitatus, den kaiserlichen Hof90, eine consultatio oder relatio, auf die innerhalb eines Jahres ein responsum zu ergehen habe. Zudem möglich ist, dass consultatio und relatio verbalisiert erscheinen, also durch consulere oder referre ersetzt sind91. Grundsätzlich ist Folgendes festzuhalten: Die unterschiedlichen Formen kaiserlicher Konstitutionen lassen unterschiedliche Kommunikationsweisen in der Verwaltung erkennen. Der Kaiser erlässt teilweise aufgrund eigenen Antriebs im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenz Normen (etwa in den edicta oder mandata), teilweise sind sie auch durch konkrete Anfragen hervorgerufen. Im Wortlaut des Gesetzes kann sich dann eine Bezugnahme auf die in der Anfrage geschilderte causa finden, die auf einen Briefwechsel zwischen Kaiser und Beamten hinweist92. Zudem korrespondieren einzelne Begriffe: Auf eine relatio bzw. consultatio ergeht ein kaiserliches rescriptum bzw. ein responsum; Appellationen (appallationes, preces), Klagen (petitiones93) und schriftliche Cod. Theod. 7,4,12 vJ. 364 (1,2, 317 Mommsen). Cod. Theod. 11,29,4 vJ. 369 (1,2, 622 Mommsen): Si quando ratio aut necessitas est in negotiis nostra iudicia requirendi exspectandique responsa, omnem omnino causam relationis series comprehendat, ut recitata consultatione, quae ita est dirigenda, propemodum actorum recensione non opus sit. 87 Cod. Theod. 11,29,4 vJ. 369 (1,2, 622 Mommsen): recitata consultatione. 88 Cod. Theod. 11,30,1 vJ. 312/13 (?) (1,2, 623f Mommsen). 89 Cod. Theod. 11,30,47 vJ. 386 (1,2, 636 Mommsen). 85 86 Vgl. Kunkel, Consilium (Consistorium) 426/36; Demandt, Spätantike 276f. 91 Vgl. Cod. Theod. 11,30,1 vJ. 312/13 (?) (1,2, 623f Mommsen); 11,30,5 vJ. 316 (1,2, 625 Mommsen). 92 Vgl. Cod. Theod. 7,4,12 vJ. 364 (1,2, 317 Mommsen): In provinciis statione militum adfici possidentes Ursicini comitis suggestione cognovimus, [. . .]; 8,1,15 vJ. 415 (1,2, 364 Mommsen): Ex insinuatione magnificentiae tuae cognitis his, [. . .] u. ö. 93 Vgl. Cod. Theod. 12,12,3 vJ. 364 (1,2, 726 Mommsen). 90 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 29 Eingaben (libelli 94) werden an einen Beamten bzw. den Kaiser gerichtet. Rescriptum und responsum bleiben als Termini ebenso exklusiv für kaiserliche Festsetzungen reserviert wie mandatum oder decretum; sie begegnen in den Gesetzen des Dominats nicht für Entscheidungen eines Richters oder Magistrats. Dies zeigt, dass sie terminologisch besetzt sind und über sie ein hierarchisches Subordinationsverhältnis markiert wird, durch das der Kaiser seine Position als oberster Gesetzgeber beschreibt95. II.3. Auswertung und Vergleich Der Überblick über die Bezeichnungen der Briefe römischer Bischöfe lässt eine in steigendem Maße formalisierte Kommunikation zwischen der römischen und den anderen Gemeinden erkennen. Briefbezeichnungen werden mehr und mehr präzise verwendet (etwa relatio, consultatio bzw. responsum, rescriptum), wodurch deutlich wird, dass sich eine Terminologie in der innerkirchlichen Korrespondenz ausprägt. Die Kommunikation erscheint über die gewählten Termini formalisiert. Sie weisen den einzelnen Briefpartnern spezifische Positionen zu, nämlich den nach Rom schreibenden Bischöfen die eines Anfragenden bzw. Berichtenden, dem römischen Bischof selbst die eines Antwortenden bzw. eines Entscheidenden. Mangels einer ausreichenden Anzahl von erhaltenen Anfragen muss hierbei die Auswertung weitgehend auf die römischen Bischofsschreiben beschränkt bleiben. Es ist ungewiss, ob und in welchem Maße die Bischöfe in den Provinzen diese Terminologie für ihre Schreiben nach Rom aufgriffen. Der römische Bischof aber gebraucht sie ab Siricius systematisch und übernimmt damit – das zeigt die Auswertung der römischen Rechtsquellen – eine Begrifflichkeit, die aus den zeitgleichen kaiserlichen Konstitutionen bekannt ist. Damit dürfte auch eine Adaptation des amtlichen Hierachieverhältnisses zwischen den bischöflichen Amtsbrüdern einhergehen, das sich gerade aufgrund der präzisen und wechselseitig exklusiven Verwendung der Termini mehr und mehr etabliert: Der römische Bischof erlässt – vergleichbar dem Kaiser – decreta, mandata, constituta oder auch rescripta, der Bischof in den Provinzen – vergleichbar einem Magistrat – hingegen ist der Verfasser von consultationes oder relationes. Eine tabellarische Übersicht verdeutlicht die über die Begriffe gegebene Vergleichbarkeit zwischen römisch-bischöflicher und kaiserlicher Kommunikation. 94 Vgl. Cod. Theod. 11,30,29 vJ. 362 (1, 2, 631f Mommsen): Omnes legitimae appellationes, quaecumque fuerint contra audientiam tuae gravitatis interpositae, indubitanter suscipiantur et post latam sententiam intra triginta dies universa, quae in eiusmodi negotio geruntur, cum refutatoriis precibus seu libellis ad nostrum comitatum mittantur. 95 Zur Abgrenzung eines allgemeinen Gesetzes von einer kaiserlichen Vergünstigung vgl. Liebs, Gesetz 18/23. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Christian Hornung 30 Bezeichnungen kirchlicher Kommunikation Bezeichnungen staatlicher Kommunikation Termini Schreiben an den römischen Bischof Schreiben des römischen Bischofs Schreiben an den Kaiser litterae Innoc. ep. 17,1 (PL 20, 527); Zosim. ep. 12,1 (PL 20, 677) u. ö. Innoc. ep. 7,1 (PL 20, 503); Leo M. ep. 39 (PL 54, 814) u. ö. Cod. Theod. 4,13,9 vJ. 381/86 (1,2, 194 Mommsen); 6,4,7 vJ. 353 (1,2, 250 Mommsen); 7,7,1 vJ. 368 (?) (1,2, 326 Mommsen); Paul. Dig. 31,87,4 (2, 65 Krueger/Mommsen) u. ö. epistula Innoc. ep. 17,1 (PL 20, 527); Zosim. ep. 12,1 (PL 20, 677); Coelest. ep. 13,2 (PL 50, 471) u. ö. Zosim. ep. 14 (PL 20, 679); Bonif. ep. 5,1 (PL 20, 761); Leo M. ep. 5,5 (PL 54, 616) u. ö. Gai. Inst. 1,5; Ulp. Dig. 1,4,1,1 (1, 14 Krueger/Mommsen); Cod. Theod. 1,2,1 (1,2, 30 Mommsen) u. ö. scriptum Sixt. ep. 14,1 (PL 50, 485); Leo M. ep. 15,1 (PL 54, 678); 39 (PL 54, 813) u. ö. Zosim. ep. 12,1 (PL 20, 677); Leo M. ep. 5,6 (PL 54, 616); 39 (PL 54, 813) u. ö. Cod. Theod. 1,3,1 vJ. 383 (1,2, 33 Mommsen); 6,35,5 vJ. 328 (1,2, 305 Mommsen); 11,16,20 vJ. 380 (1,2, 603 Mommsen) u. ö. libellus Innoc. ep. 39 (PL 20, 606); [. . .] sicuti in nunc dato nobis libello monstratum est; Leo M. ep. 15,1 (PL 54, 678): et libelli tui textus eloquitur; 23,1 (PL 54, 731): Accepimus enim libellum Eutychis presbyteri; 23,1 (PL 54, 733): contestatorios libellos Cod. Theod. 11,30,24 vJ. 348 (1,2, 630 Mommsen): refutatorios libellos; Paul. Dig. 2,4,15 (1, 46 Krueger/Mommsen): [. . .] qui libellum principi dat. appellatio / preces Zosim. ep. 12 (PL 20, 677): ex appellatione pristina; Leo M. ep. 5,6 (PL 54, 616): Si quae vero causae graviores vel appellationes emerserint; 23,1 (PL 54, 731): libellum appellationis Plin. ep. 10,58,9; Cod. Theod. 11,30,8,1 vJ. 319 (1,2, 626 Mommsen): appellatione vel consultatione pendente; 1,2,10 vJ. 396 (1,2, 32 Mommsen): Si nostrae fuerint tranquillitati preces oblatae, [. . .] edictum Schreiben des Kaisers Cod. Theod. 1,1,1 vJ. 322 (1,2, 27 Mommsen): edicta sive constitutiones; 1,1,6 vJ. 435 (1,2, 29 Momm- C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts Termini 31 Bezeichnungen kirchlicher Kommunikation Bezeichnungen staatlicher Kommunikation Schreiben an den römischen Bischof Schreiben an den Kaiser Schreiben des römischen Bischofs Schreiben des Kaisers sen): omnes edictales generalesque constitutiones; 1,2,3 vJ. 316 (?) (1,2, 30 Mommsen): ante edictum propositum mandatum Zosim. ep. 15,1 (PL 20, 681): [. . .] nostrum [. . .] mandatum; Leo M. ep. 39 (PL 54, 814): [. . .] ad fraternitatem tuam nostros credimus pervenisse, per quos plenius scriptis mandatisque nostris instructum te esse retines Cod. Theod. 1,3,1 vJ. 383 (1,2, 33 Mommsen): mandatis nostris; 6,22,3 vJ. 340 (1,2, 269 Mommsen): tanto magis oportet iussis obsequi, parere praeceptis, inservire mandatis eos, qui [. . .]; Paul. Dig. 1,18,3 (1, 35 Krueger/Mommsen): in mandatis principum decretum Sir. ep. 1,1,2 (PL 13, 1133): generalia decreta; Zosim. ep. 14 (PL 20, 679): decreto nostro sanximus; Coelest. ep. 3 (PL 50, 427): ex decretorum nostrorum sanctione discetis; Leo M. ep. 1,1 (PL 54, 593): per auctoritatem canonum decretorumque nostrorum Cod. Theod. 11,30,8,1 vJ. 319 (1,2, 626 Mommsen): decreta nostra; 11,30,43 vJ. 384 (1,2, 635 Mommsen): ex nostris decretis; 12,12,11 vJ. 386 (1,2, 728 Mommsen): [. . .], ut non omnia mandata litterarum, decretorum auctoritate demonstret relatio / consultatio – responsum / rescriptum Sir. ep. 1,1 (PL 13, 1132): fraternitatis tuae relatio; 1,1 (PL 13, 1132): consultationi tuae; 1,15,20 (PL 13, 1146): ad tua [. . .] consulta; Bonif. ep. 5,1 (PL 20, 761): consultationem dilectionis tuae; 5,1 (PL 20, 761): tuae sanctitatis relatio; Coelest. ep. 13,2 (PL 50, 471): ad relationem fratrum; Leo M. ep. 5,6 (PL 54, 616): [. . .] eas sub ipsius relatione ad nos mitti debere decrevimus Sir. ep. 1,1 (PL 13, 1132): responsum competens; 1,15, 20 (PL 13, 1146): rescripsimus; Bonif. ep. 5,1 (PL 20, 761): responsum; Coelest. ep. 13,2 (PL 50, 471): responsum Cod. Theod. 1,2,11 vJ. 398 (1,2, 33 Mommsen): ad consultationem; 11,29,4 vJ. 369 (1,2, 622 Mommsen): relationis series; 11,30,9 vJ. 319 (1,2, 626 Mommsen): relationes iudicum; 11,30,47 vJ. 386 (1,2, 636 Mommsen): ad consultationem Cod. Theod. 1,2,11 vJ. 398 (1,2, 33 Mommsen): rescripta; 11,29,4 vJ. 369 (1,2, 622 Mommsen): responsa; 11,30,9 vJ. 319 (1,2, 626 Mommsen): rescripta nostra; 11,30,47 vJ. 386 (1,2, 636 Mommsen): responsum C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 32 Christian Hornung III. Die römisch-bischöflichen Briefformen und die kaiserlichen Rechtssetzungen III.1. Der Befund in den Briefen römischer Bischöfe Die Form römisch-bischöflicher Schreiben ist variabel. Sie ist abhängig von ihrem Anlass und ihrer Entstehungszeit. Auch der jeweilige Adressat eines Briefes, handelt es sich um einen oder mehrere, sind es Amtsbrüder oder die weltlichen Herrscher, beeinflusst die Komposition. Eine grundsätzliche Differenzierung in drei Gruppen, die die bisher in der Forschung vertretenen zur Grundlage nimmt und weiter differenziert96, scheint dennoch sinnvoll. Zu unterscheiden sind 1) ›Disziplinarbriefe‹ (III.1.1). Sie umfassen die Gruppe eigentlicher ›Antwortbriefe‹ (III.1.1.1), die an Rom gestellte Fragen, meist in Bezug auf die Gemeinde- und Klerikerdisziplin, beantworten und von der Kommunikationssituation her weitgehend den kaiserlichen Responsa entsprechen, und sog. ›Lehrbriefe‹, die den Dekreten und Mandaten der Kaiser nahestehen (III.1.1.2). Anlass kann die Kenntnis von Missständen sein, die Rom ohne eine spezifische Anfrage erlangt, oder auch die Sorge für die Etablierung einer einheitlichen kirchlichen Disziplin. Fast den Kunstbriefen sind die 2) ›theologischen Traktatbriefe‹ (III.1.2) zuzurechnen. Sie sind im Kontext umfassender theologischer, u. a. christologischer, Erörterungen anzusiedeln und wahren oft nur äußerlich die Briefform. Die 3) ›Gemeinschafts- und Begleitbriefe‹ (III.1.3) bilden eine weitere Gruppe unter den Schreiben römischer Bischöfe. Die Ankündigung der eigenen Bischofsnachfolge, die Beglückwünschung zu einer Wahl oder auch die Empfehlung kirchlicher Gesandter bestimmen ihren Inhalt. III.1.1. Disziplinarbriefe III.1.1.1. Antwortbriefe Erst unter den Schreiben des Damasus sind Antwortbriefe zahlreicher erhalten. Ein erster liegt mit seinem fünften Schreiben, adressiert an Acholius von Thessalonike und andere mazedonische Bischöfe, vJ. 380 vor97. Durch Briefe (decursis litteris dilectionis vestrae) war Rom davon in Kenntnis gesetzt, worden, dass der Kyniker Maximus in Konstantinopel zum Bischof geweiht worden war, ein Umstand, der zum Eingreifen veranlasst. Das Schreiben wird mit einem Prooemium eröffnet; rhetorische Fragen betonen die innere Beteiligung98, und biblische Belege bestärken sie99. Der weitere Aufbau ist vom Ereignis bestimmt (die Bischofsernennung des Maximus wird verurteilt; auf einem künftig in Konstantinopel abzuhaltenden Konzil soll ein würdiger Kandidat zum Bischof gewählt werden100), und abschließend wird angemahnt (commoneo), dass Bischofstranslationen zu unterbinden seien. Ein expliziter Briefschluss fehlt und verdeutlicht, dass das Schreiben, abgesehen vom Prooemium, nicht schematisch aufgebaut ist. 96 98 97 99 Vgl. etwa Wotke, Papstbriefe 1107/15. Damas. ep. 5 (16 Silva-Tarouca); vgl. Reutter, Damasus 441/67. 100 Damas. ep. 5 (16 Silva-Tarouca). Damas. ep. 5 (16 Silva-Tarouca). Damas. ep. 5 (17 Silva-Tarouca). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 33 Ein weiterer aus dem Episkopat des Damasus erhaltener Brief vJ. 378/79101 weist schon deutlicher eine Strukturierung auf102. Das Synodalschreiben, wahrscheinlich an Presbyter in Beirut oder einer naheliegenden syrischen Stadt gerichtet, eröffnet mit einem umfassenden Prooemium (u. a. Verweis auf den apostolischen Stuhl)103, leitet über zu einem Bericht über bereits ergangene Verurteilungen des Timotheus von Beirut, eines Schülers des Apollinaris von Laodicea104, und seiner Irrlehren, bietet eine Argumentation mit biblischen Belegstellen und schließt mit einem Ausblick, der eine allgemeine Strafe formuliert: Wer ähnlich dem Timotheus gegen die Kirche ankämpfen wolle, der werde mit ihm am Tag des Gerichts zugrunde gehen, so der Wortlaut105. Prooemium, Bericht, Argumentation und Strafformel sind die einzelnen Abschnitte des Schreibens, das damit bereits einen grundsätzlichen, durch die Anfrage veranlassten Aufbau erkennen lässt. Aus dem Episkopat des Siricius haben sich zwei Antwortbriefe erhalten. Neben dem in seiner Autorschaft umstrittenen Synodalbrief an gallische Bischöfe106 ist besonders die sog. erste Dekretale vJ. 385 zu erwähnen, die einen stringenten formalen Aufbau zeigt107. Das Schreiben eröffnet mit einem ausführlichen Prooemium, in dem Siricius seine Nachfolge anzeigt, die Beantwortung der an Damasus gerichteten Anfrage (relatio) als Anlass formuliert und unter Berufung auf die Petrusnachfolge (haeres) seine besondere Aufsichtsfunktion für die Gesamtkirche benennt: Quia officii nostri consideratione non est nobis dissimulare, non est tacere libertas quibus maior cunctis Christianae religionis zelus incumbit 108. Die einzelnen Kapitel des Responsum (so die Eigenbezeichnung des Schreibens) sind im ersten Teil von der Anfrage des Himerius bestimmt. So beginnt Siricius die Thematisierung der gemeindedisziplinären Fragen mit folgendem Satz: Prima itaque paginae tuae fronte signasti 109, und es folgt eine kurze Darstellung der in Spanien praktizierten Wiedertaufe, die auf Himerius zurückgehen dürfte. Die römische Beurteilung der Situation schließt sich syntaktisch eng in einem relativischen Satzanschluss an: Quod non licet, cum hoc fieri et Apostolus vetet, et canones contradicant et post cassatum Ariminense concilium missa ad provincias a venerandae memoriae praedecessore meo Liberio generalia decreta prohibeant [. . .]110. Eine Strafformel steht am Ende des ersten Kapitels, die diejenigen mit Ausschluss von der Gemeinschaft bedroht, die an der Wiedertaufe festhalten111. Vgl. Thompson, Correspondence 263f; Reutter, Damasus 429/40. 102 Damas. ep. 7 = Theodrt. h. e. 5,10 (GCS NF 5, 295/7 Parmentier/Hansen). 103 Damas. ep. 7 = Theodrt. h. e. 5,10,1f (GCS NF 5, 295 Parmentier/Hansen). 104 Damas. ep. 7 = Theodrt. h. e. 5,10,2 (GCS NF 5, 295 Parmentier/Hansen); vgl. Lietzmann, Apollinaris 153f. 105 Damas. ep. 7 = Theodrt. h. e. 5,10,6 (GCS NF 5, 295/7 Parmentier/Hansen): [. . .], met toffltoy 101 mowc apoleitai ostic df́ pote bofflletai t\ kanni tÇc Þkklfsac antipalaisi. Vgl. Sir. ep. 10 (VigChr Suppl. 73, 24/48 Duval); Hornung, Directa 270/86. 107 Vgl. Caspar, Geschichte 261/3 sowie Hornung, Directa 40/74. 108 Sir. ep. 1,1 (PL 13, 1132f). 109 Sir. ep. 1,1 (PL 13, 1133). 110 Sir. ep. 1,1 (PL 13, 1133). 111 Sir. ep. 1,1 (PL 13, 1134): A quo tramite vos quoque posthac minime convenit deviare, si non vultis a nostro collegio synodali sententia separari. 106 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 34 Christian Hornung Was hier beispielhaft für das erste Kapitel dargestellt ist, lässt sich auch in den weiteren Kapiteln des Schreibens (bis Kap. 9) nachweisen: Auf einen kurzen Bericht über die kirchendisziplinäre Situation in Spanien112 folgt jeweils die römische Beurteilung, oftmals verbunden mit einer Rechtsargumentation, die auf biblische Belegstellen zurückgreift113. Die Einleitung der Norm kann syntaktisch eng in einem relativischen Satzanschluss erfolgen114 und im AcI stehen; übergeordnete Verben sind u. a. iubere 115, decernere116 und mandare117 in der ersten Pers. Pl.; Strafformeln bei Zuwiderhandlung erscheinen vereinzelt118. Ingesamt zeigt die erste Dekretale also einen schematisch wiederkehrenden Aufbau, der inhaltlich an der Anfrage des Himerius orientiert ist. Erst im zweiten Teil des Schreibens (ab Kap. 9) scheint Siricius anlasslos Bestimmungen über das Klerikerrecht zu erlassen, die im Rahmen einer römischen Synode getroffen worden sein dürften119; dort fehlen die Berichte über die kirchendisziplinäre Situation, so dass nur die jeweilige Norm formuliert wird120. Unter den Nachfolgern des Siricius121 sind erst mit Innozenz zahlreicher Briefe erhalten, die ein Urteil über die Formentwicklung römischer Bischofsschreiben erlauben. Seine Antwortbriefe gehen nach Gallien, Nordafrika oder auch in den kirchlichen Osten, und ihr Umfang variiert erheblich. Ein Schreiben an Bischof Laurentius von Tivoli beispielsweise ist äußerst knapp122; andere Schreiben hingegen sind ausführliche Antwortbriefe in der bei Siricius erstmals begegnenden Form. Zu nennen sind der sechste Brief an Exsuperius von Toulouse vJ. 405123, der 17. Brief an verschiedene mazedonische Bischöfe vJ. 414124, der 24. Brief an Alexander von Antiochien vJ. 415125 und der 25. Brief aus dem Folgejahr, adressiert an Decentius, Bischof von Eugubino126. Sie beginnen jeweils mit einem Prooemium, in dem die Autorität Roms unterstrichen wird: Die römische Gemeinde ist das caput ecclesiarum127, der Ort, wo Petrus und seine Nachfolger eine Disziplin begründet haben, der die anderen Kirchen folgen müssen128. Disziplinäre Missstände, Unordnung und Verwahrlosung veranlassen Rom zum Eingreifen129. In den sich anschließenden Normerlassen orientiert sich Innozenz an den gestellten Fragen, worauf einzelne Einleitungsphrasen hinweisen: Einleitungen der Berichte verdeutlichen, dass Siricius an diesen Stellen weiterhin auf das Schreiben des Himerius rekurriert: ep. 1,2,3 (PL 13, 1134): ut asseris; 1,3,4 (PL 13, 1136): adiectum est; 1,5,6 (PL 13, 1137): De his vero non incongrue dilectio tua apostolicam sedem credidit consulendam, [. . .] u. ö. 113 Vgl. Sir. ep. 1,7,8/11 (PL 13, 1138/41). 114 Vgl. Sir. ep. 1,3,4 (PL 13, 1136): Quos a Christi corpore et sanguine [. . .] iubemus abscidi; 1,5,6 (PL 13, 1137): De quibus [. . .] id duximus decernendum u. a. 115 Vgl. Sir. ep. 1,3,4 (PL 13, 1136). 116 Vgl. Sir. ep. 1,5,6 (PL 13, 1137). 117 Vgl. Sir. ep. 1,6,7 (PL 13, 1137). 118 Vgl. Sir. ep. 1,7,11 (PL 13, 1140f): Quilibet episcopus, presbyter, atque diaconus, quod non optamus, deinceps fuerit talis inventus, iam nunc sibi omnem per nos indulgentiae aditum intelligat obseratum: Quia ferro necesse est excidantur vulnera, quae fomentorum non senserint medicinam; 1,15,20 (PL 13, 1146f). 112 Vgl. Sir. ep. 1,1 (PL 13, 1132): in conventu fratrum. Vgl. Hornung, Directa 47/53. 121 Von Anastasius, dem unmittelbaren Nachfolger des Siricius, ist nur ein wenig strukturiertes Antwortschreiben erhalten (ep. 3 [ACO 1,5, 3 Schwartz]). 122 Innoc. ep. 41 (PL 20, 607f). 123 Innoc. ep. 6 (PL 20, 495/502); vgl. Getzeny, Stil 51. 124 Innoc. ep. 17 (PL 20, 526/37). 125 Innoc. ep. 24 (PL 20, 547/51). 126 Innoc. ep. 25 (PL 20, 551/61). 127 Innoc. ep. 17,1 (PL 20, 527). 128 Vgl. Innoc. ep. 25,2 (PL 20, 552). 129 Vgl. Innoc. ep. 17,1 (PL 20, 527): Qui cum tradidisset epistolas, eas praecepi illico recenseri, in quibus multa posita pervidi, quae stuporem mentibus nostris inducerent, [. . .]. 119 120 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 35 Proposuisti, quid de his observari debeat, quos in diaconii ministeriis aut in officio presybyterii positos incontinentes esse aut fuisse130. Ventum est ad tertiam quaestionem131. Der Verfasser der Antwort scheint die eingegangene Anfrage förmlich abzuarbeiten und auf die einzelnen Punkte im Detail einzugehen132. Die jeweiligen Briefe erlangen dadurch eine strikte Form. Wie bereits bei Siricius lassen sich jeweils ein Prooemium, ein Bericht über die kirchlichen Missstände und ihre disziplinäre Beurteilung unterscheiden. Ein abschließender Publikationsauftrag an den Adressaten verdeutlicht zudem, dass Innozenz die im Einzelfall an ihn gestellten Fragen für ein weitergehendes Anliegen nutzt. So soll über die Verbreitung der Schreiben eine allgemeine Kirchendisziplin nach römischem Vorbild etabliert werden. An Victricius von Rouen sendet Innozenz daher nicht nur eine Beantwortung der gestellten Fragen, sondern einen liber regularum, fast ein Kompendium der frühen Kirchendisziplin für Kleriker und Laien, wie er im Prooemium ankündigt133. Am Schluss seines Schreibens nennt er die Bestimmungen im Singular eine regula134, die, wenn sie befolgt werde, in der Kirche Häresien und Schismen beseitige. Innozenz ist damit für die Eröffnung einer umfassenderen Verwendung von Antwortbriefen ein wichtiger Zeuge135. Unter seinen Nachfolgern setzt sich die Gattung, hervorgerufen durch vermehrte Anfragen aus den Provinzen, fort. Zosimus schreibt etwa in seinem sechsten Brief vJ. 417 an Bischof Hilarius136 und untersagt dem gallischen Amtsbruder, in der Provinz Narbonensis prima Bischofsweihen vorzunehmen. Das kurze Schreiben weist die bekannten Bestandteile auf: Ein Bericht geht einer Bestimmung voraus (eingeleitet mit ergo)137, den Schluss des Schreibens bildet eine Strafformel: Si quid contra haec, frater charissime, quae a nobis sunt sub Dei iudicio statuta, tentaveris: Non solum quos faciendos credideris, episcopatum obtinere non possint, sed etiam ipse catholica communione discretus, sero de illicitis praesumptionibus ingemiscas138. Sein Nachfolger Bonifatius schickt Antwortbriefe nach Gallien und in die sog. sieben Provinzen139 sowie an Rufus, Bischof von Thessalonike140. Coelestin schreibt iJ. 432 an Maximianus von Konstantinopel141. Die Briefe sind im Einzelnen kurz und kaum mit den umfangreichen des Innozenz zu vergleichen. Aufgrund der kirchenpolitischen Situation werden andere Schreiben notwendiger, in denen theologische Kontroversen ausführlicher behandelt werden können142. Innoc. ep. 6,1,2 (PL 20, 496). Innoc. ep. 17,3,7 (PL 20, 530). 132 Vgl. Innoc. ep. 25,8,12 (PL 20, 561): His ergo, frater charissime, omnibus quae tua dilectio voluit a nobis exponi, prout potuimus, respondere curavimus, ut ecclesia tua Romanam consuetudinem, a qua originem ducit, servare valeat atque custodire. 133 Innoc. ep. 2,1 (PL 20, 470); terminologisch greift die kirchliche Rechtssprache in liber regularum zudem die aus dem zivilen Recht bekannten libri regularum auf, die spätantik ›Entscheidungsgrundlage im Rechtsvollzug römischer Provinzbeamter‹ sind; Ohme, Kanon 58. Innoc. ep. 2,14,17 (PL 20, 481). Zu ersten Dekretalsammlungen vgl. Gaudemet, Formation 158f. 136 Zos. ep. 6 (PL 20, 666/8). 137 Zos. ep. 6,2 (PL 20, 667). 138 Vgl. Zos. ep. 6,2 (PL 20, 668). 139 Bonif. ep. 3 (PL 20, 756/8). 140 Bonif. ep. 5 (24/7 Silva-Tarouca). 141 Coelest. ep. 24 (PL 50, 547f). 142 Zu den theologischen Traktatbriefen vgl. 40/2. 130 134 131 135 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 36 Christian Hornung Unter den zahlreichen Briefen Leos des Großen liegen Antwortbriefe beispielsweise in seinem 108. und 119. Schreiben vor. So formuliert er an Theodorus von Forumiulium: Haec autem, frater, quae ad interrogationem dilectionis tuae ideo respondi, ne aliquid contrarium sub ignorantiae excusatione gereretur, in metropolitani tui notitiam facies pervenire143. Auch wenn den Kapiteln des Schreibens nicht zu entnehmen ist, welche Fragen Theodorus im Einzelnen stellte, so ist durch die umfassende Behandlung der altkirchlichen Buße der Kontext deutlich. Ihre Regelung steht im Vordergrund, die Leo mit differenzierten Bestimmungen genauer zu fassen sucht144 und mit verschiedenen biblischen Belegen, die gleichwohl in keiner logischen Abfolge stehen, begründet145. Der Aufbau des 108. Briefes ist grundsätzlich planvoll; die Kapitel bestehen aus einer, oft knappen, Beschreibung der jeweils vorliegenden causa, es folgt eine Bestimmung. Dass Leo hier auf ein Prooemium verzichtet, ist wohl dadurch bedingt, dass er über die Anfrage, die eigentlich zunächst durch die Provinz zu entscheiden gewesen wäre, unwillig ist146. Gegenüber Theodorus, den er wegen der Verletzung des vorgesehenen Instanzenweges maßregeln will, verzichtet er daher auf eine übliche Einleitung. Auf einen vorliegenden Brief antwortet Leo auch in seinem 119. Schreiben vJ. 453 an Maximus von Antiochien (litterarum tuarum textus ostendit147); den historischen Hintergrund bildet das Fortbestehen der Irrlehren des Nestorius und Eutyches. An ein Prooemium schließt er die Verurteilung der Häresien an und leitet mit itaque zur Mahnung über, gegen sie vorzugehen sowie in häufigeren Berichten (relationes) über den Erfolg der Maßnahmen zu informieren148. Ab dem vierten Kapitel des Schreibens wendet sich Leo gegen den Versuch der antiochenischen Kirche, eine Privilegierung zu erlangen149. Diese war offenbar auch ein Gegenstand des Anschreibens, wie sich aus der Antwort folgern lässt: Unde cum aliquid Antiochenae ecclesiae privilegiis dilectio tua agendum esse crediderit, propriis litteris studeat explicare, ut nos consultationi tuae absolute et congrue respondere possimus150. Weitere Antwortbriefe aus der Zeit Leos liegen in seinem 166. und 168. Brief vor. Ihr Aufbau ist trotz unterschiedlichen Inhalts analog und im Vergleich mit anderen Schreiben, in denen eine hohe rhetorische Verklausulierung die Struktur bisweilen verdeckt, klar. An ein Prooemium151 schließt sich jeweils die Nachricht über eingegangene Schreiben an (im 166. mit dem seltenen Wort suggestio bezeichnet)152: Leo betont, dass er schon oft die titubantia fratrum corda beruhigt habe153. Es folgen die Dar- Leo M. ep. 108,6 (PL 54, 1014). Leo M. ep. 108,1. 3f (PL 54, 1011/3). 145 Leo M. ep. 108,4 (PL 54, 1013): [. . .] dicente spiritu Dei per prophetam: Cum conversus ingemueris, tunc salvus eris. Et alibi: Dic tu iniquitates tuas prior, ut iustificeris. Et iterum: Quia apud Dominum misericordia est, et copiosa apud eum redemptio. 146 Leo M. ep. 108,1 (PL 54, 1011). 147 Leo M. ep. 119,1 (PL 54, 1041). 143 144 Leo M. ep. 119,3 (PL 54, 1042). Leo M. ep. 119,4 (PL 54, 1043): Nunc autem ad omnia generaliter pronuntiare sufficiat, [. . .]. 150 Leo M. ep. 119,3 (PL 54, 1043). 151 Leo M. ep. 166,1 (PL 54, 1191f); 168,1 (PL 54, 1209f). 152 Leo M. ep. 166,1 (PL 54, 1192); 168,1 (PL 54, 1209f). 153 Leo M. ep. 166,1 (PL 54, 1191). 148 149 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 37 stellung des Gegenstands (Tauffragen), eingeleitet durch comperimus154 bzw. comperi155, Argumentation, Normfestsetzung und Ausführungsbestimmungen. Die Überleitung vom Bericht über die causa zur Norm erfolgt mit igitur156, und ein Publikationsauftrag erscheint vor der Datierung157. Beide Briefe stimmen somit in einem weitgehend gemeinsamen Aufbauschema überein, das stringent durchgehalten ist: Einleitungsformeln, in denen die Motivation zur Abfassung des Schreibens, etwa die bischöfliche Sorge für die Gesamtkirche, benannt wird, eröffnen die Briefe. Der eigentliche Text gliedert sich in eine Schilderung der causa, eine Argumentation mit kirchendisziplinärer Beurteilung und einen Publikationsauftrag. Auch Leo verwendet somit ein seit Siricius und Innozenz begegnendes Schema der Antwortbriefe. III.1.1.2. Lehrbriefe Unter den amtlichen Schreiben der römischen Bischöfe sind Lehrbriefe zahlreich. Ihre Form ist grundsätzlich nicht so eng vorgegeben, wie es bei den Antwortbriefen zu beobachten war, die durch die einzelnen Anfragepunkte oft bis ins Detail strukturiert sind. Lehrschreiben bleiben, neben sich grundsätzlich mit der Zeit ausprägenden Formelementen, untereinander different, abhängig von ihrem Inhalt oder der mit ihnen verfolgten Intention. Beispiele liegen bereits unter Liberius vor. In einem ersten Brief trifft er Bestimmungen über die Wiederaufnahme von sog. Arianern158, in einem zweiten handelt er, gemeinsam mit anderen italischen Bischöfen, über Bedingungen der Gemeinschaft mit der römischen Kirche159. Beide Briefe werden mit einer Sentenz eröffnet160, die als Ausgangspunkt der Ausführungen dient, unterschiedlich ist aber aufgrund des Inhalts der nachfolgende Aufbau. Es wechseln argumentierende Passagen mit Bestimmungen (eingeleitet mit igitur)161, und eine topische Terminologie, die Freude artikuliert, mit Formulierungen, die Ausschluss und Abgrenzung benennen (rescindimus)162. Eine Schlussformel lässt sich nicht aufzeigen. Unter Damasus und Siricius findet sich der bisherige Befund tendenziell bestätigt. Confidimus quidem163 vJ. 371 beispielsweise zeigt außer einer Einleitung im eigentlichen Brieftext keine standardisierte Form; diese ist ausschließlich der Argumentation verpflichtet164, nämlich die orientalischen Bischöfe angesichts der Ausbreitung des sog. Arianismus auf die Verurteilung der Synode von Rimini und zur Übereinstimmung Leo M. ep. 166,1 (PL 54, 1192). Leo M. ep. 168,1 (PL 54, 1210). 156 Leo M. ep. 168,1 (PL 54, 1210). 157 Leo M. ep. 166,2 (PL 54, 1194f). 158 Lib. ep. 8: Imperitiae culpam = Collect. Antiariana Parisina Series B 4,1 (CSEL 65, 156f Feder). 159 Lib. ep.: Divini muneris gratia = Collect. Antiariana Parisina Series B 4,2 (CSEL 65, 158f Feder). 160 Lib. ep. 8: Imperitiae culpam = Collect. Antiariana Parisina Series B 4,1,1 (CSEL 65, 156 Feder): Imperitiae culpam oblitterat resipiscens; Lib. ep.: Divini muneris gratia = Collect. Antiariana Parisina Series B 4,2 (CSEL 65, 158 Feder): Divini muneris gratia 154 155 est, ut secundum apostolum omnes unum sapere, omnes unum confiteri coeperimus. 161 Lib. ep. 8: Imperitiae culpam = Collect. Antiariana Parisina Series B 4,1,2 (CSEL 65, 157 Feder). 162 Lib. ep.: Divini muneris gratia = Collect. Antiariana Parisina Series B 4,2,1 (CSEL 65, 158 Feder). 163 Griechische Übersetzungen des ursprünglich lateinischen Synodalschreibens bei Theodrt. h. e. 2,22,1/12 (GCS NF 5, 146/50 Parmentier/Hansen); Soz. h. e. 6,23,7/15 (GCS NF 4, 266/8 Bidez/ Hansen); vgl. Reutter, Damasus 260/89. 164 Damas. ep. 1 (ZNW 35, 19f Schwartz). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 38 Christian Hornung mit Nizäa zu verpflichten165. Lediglich die Verwendung von relatio und comperimus ist möglicherweise technisch166, hat aber keine weitere Auswirkung auf den Aufbau des Schreibens (etwa die präzise Darlegung der causa). Der siebte Brief des Siricius an verschiedene Bischöfe weist deutlicher Formelemente auf: In einem Prooemium wird die ständige Gefährdung der Kirche durch den Teufel veranschaulicht, der ihn nicht ruhen lasse: At vero quia non patitur nos quiete ab incursione sua vacare hostis antiquus [. . .]167. Ausrufe (Stilmittel der exclamatio168) verdeutlichen die Brisanz, innere Betroffenheit und Entrüstung (Deinosis169): O infelix audacia! O desperatae mentis astutia!170 Vom Teufel wird angenommen, dass er in den Häresien wirksam ist; Jovinians Lehre wird daher verworfen und am Ende des Schreibens seine Verurteilung ausgesprochen171. Prooemium und Brieftext mit abschließender Beschlussformulierung lassen sich als Formbestandteile benennen. Noch deutlicher sind diese im sechsten Schreiben des Siricius ausgeprägt, das ebenfalls an verschiedene Bischöfe adressiert ist. Zwar ist auch dieses nicht auf eine Anfrage hin geschrieben, aber konkrete innerkirchliche Missstände und ihre Beurteilung veranlassen den Verfasser zu einer stärkeren Gliederung. Ein Prooemium eröffnet den Brief, in dem Siricius die besondere Sorge (cura) hervorhebt, die ihm als römischem Bischof für die Gesamtkirche obliege: Et cui omnium ecclesiarum cura est, si dissimulem, audiam Domino dicente: Reiicitis mandatum Dei, ut traditiones vestras statuatis172. Eine Darstellung der causae (Missstände bei Klerikerweihen) schließt sich an, die in einer Normfestsetzung verurteilt werden. Eigenständige Beschlüsse ergehen gegen die zu schnelle Aufnahme von Mönchen in den Klerus, die nicht durch eine Schilderung konkreter Missstände hervorgerufen sein dürften173. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Lehrschreiben den Antwortschreiben besonders dort verwandt sind, wo in ihnen einzelne disziplinäre Bestimmungen erlassen werden174. Bei Innozenz ist dieses Phänomen ebenfalls zu beobachten. Sein drittes Schreiben ist, wie Wenzlowsky vermutet175, nachträglich an die Bischöfe des ersten Konzils von Toledo vJ. 400 adressiert176. Ganz unterschiedliche disziplinäre Anliegen machen das Schreiben in den Augen des römischen Bischofs dringend: So wird neben Voraussetzungen für die Aufnahme in den Klerus der richtige Umgang mit reuigen PriszilliaThompson, Correspondence 244/7. Damas. ep. 1 (ZNW 35, 19 Schwartz): Sed Gallorum atque Venetensium fratrum relatione comperimus nonnullos [. . .]. 167 Sir. ep. 7,1 (PL 13, 1168). 168 Vgl. Lausberg, Handbuch 399 § 809. 169 Vgl. Rutherford, Deinotes 471. 170 Sir. ep. 7,2 (PL 13, 1168). 171 Sir. ep. 7,4 (PL 13, 1171): Unde Apostoli secuti praeceptum quia aliter quam quod accepimus annuntiabant, omnium nostrum tam presbyterorum et diaconorum, 165 166 quam etiam totius cleri, unam scitote fuisse sententiam, ut Jovinianus, Auxentius, Genialis, Germinator, Felix, Plotinus, Martianus, Januarius et Ingeniosus, qui incentores novae haeresis et blasphemiae inventi sunt, divina sententia et nostro iudicio in perpetuum damnati extra ecclesiam remanerent. 172 Sir. ep. 6,1,1 (PL 13, 1164). 173 Sir. ep. 6,2,4 (PL 13, 1165f). 174 Sir. ep. 6 (PL 13, 1164/6). 175 Vgl. Wenzlowsky, Päpste 3, 26f. 176 Innoc. ep. 3 (PL 20, 486/93). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 39 nern behandelt. Die einzelnen Kapitel weisen hierbei eine wiederkehrende Struktur auf: Der Gegenstand wird geschildert, eine kirchendisiziplinäre Bestimmung folgt. Ein Beispiel kann dies verdeutlichen, in dem sich Innozenz gegen unerlaubte Ordinationen wendet177: Nam de ordinationibus, quas pravae consuetudinis vitio Hispanienses episcopos celebrare cognoscimus, [. . .]. Es schließt sich eine längere Erörterung an (u. a. erweitert durch zahlreiche rhetorische Fragen), in der eine Bestimmung formuliert wird: [. . .], fuerat aliqiud secundum maiorum traditionem statuendum, [. . .]. Quorum factum ita reprehendimus, ut propter numerum corrigendorum ea, quae quoquo modo facta sunt, in dubium non vocemus, sed Dei iudicio dimittamus [. . .]. Der Aufbau der Norm ist formal strikt und durchaus vergleichbar mit der bereits bekannten Struktur aus den Antwortschreiben. Ganz anders ist ein kurzes Mahnschreiben des Innozenz an Juliana, eine römische Aristokratin178, vJ. 413 gestaltet. Knapp und ohne formalen Aufbau fordert es zum Verbleib im Glauben auf179. Form und Duktus wechseln nach dem jeweiligen Anlass, ein Merkmal, das sich bis zu Leo dem Großen bei Lehrschreiben beobachten lässt. Von Zosimus, Bonifatius, Coelestin und Sixtus (432–440) sind ebenfalls Beispiele erhalten. Ein kurzes Disziplinarschreiben an Proculus von Arles vJ. 418 etwa stammt von Zosimus, der darin gegen unerlaubte Weihen einschreitet180. In seiner Kürze weist der Brief Elemente einer Darstellung der causa und einer Normfestsetzung auf; ein Prooemium oder gar eine Schlussformel fehlen. Lediglich eine Strafandrohung und ein Publikationsauftrag erscheinen: Sed sciant quibus hanc epistulam volumus in notitiam pervenire, suscipi se nullatenus posse, qui aut contra regulas repente, aut postquam illi interdiximus, sunt ordinati181. Gleiches gilt für Bonifatius. Als er im Jahr 422 an Bischof Rufus von Thessalonike schreibt und ihn u. a. mahnt, seine Amtsfürsorge als Bischof wahrzunehmen, ist der Aufbau frei182; in Metaphern (Hirt, Fischer) beschreibt er seine Aufgaben, ohne dass sich dabei präzise einzelne Teile benennen ließen. Deutlicher ist ein Lehrschreiben an alle thessalischen Bischöfe gegliedert, in dem Bonifatius dazu auffordert, die Autorität des Rufus als römischer Vikar anzuerkennen. In einem Prooemium wird der Vorrang Roms betont: Die Stadt ist die Quelle (fons) bzw. das Haupt (caput) der Kirche183. Der berichtende Teil setzt mit audio ein: Gewisse Bischöfe verweigern die Anerkennung der Autorität184, der normsetzende Abschnitt eröffnet mit folgender Formulierung: Accipite ergo admonitionem et correptionem nostram, ex quibus unam pontificibus, alteram dissidentibus exhibemus185. Innoc. ep. 3,4,7 (PL 20, 490f). Pietri/Pietri, Prosopographie 1, 1169/71 s. v. Anicia Iuliana 3. 179 Innoc. ep. 15 (PL 20, 518f). 180 Zosim. ep. 10 (PL 20, 673f). 181 Zosim. ep. 10 (PL 20, 674). 177 178 Bonif. ep. 13 (27/32 Silva-Tarouca). Bonif. ep. 14,1 (34f Silva-Tarouca); vgl. Medico, Collégialité 372f. 184 Bonif. ep. 14,2 (35 Silva-Tarouca). 185 Bonif. ep. 14,3 (35 Silva-Tarouca). 182 183 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Christian Hornung 40 Die Bischöfe werden darauf verpflichtet, den Vorrang des Rufus anzuerkennen. Der allgemeinere Charakter des Schreibens, das an alle Bischöfe Thessaliens adressiert ist, führt wohl dazu, eine größere formale Strenge einzuhalten. Unter Leo dem Großen ist die Anzahl der Lehrschreiben enorm. Der Römer schreibt an Bischöfe in verschiedenen Provinzen oder an Kaiser und antwortet nicht mehr nur auf ihre Anfragen, sondern agiert eigenständig in den christologischen und kirchendisziplinären Auseinandersetzungen seiner Zeit. Die zahlreichen Lehrbriefe sind Indiz einer ausgebauten, selbstgewissen Stellung Roms in der Gesamtkirche. Ein Beispiel für einen äußerst kurzen Lehrbrief liegt mit Leos 17. Schreiben an sizilische Bischöfe vor, in dem gegen die Veruntreuung von Kircheneigentum vorgegangen wird186. Fast unvermittelt beginnt das Schreiben, der vorliegende Fall wird genannt und eine Bestimmung getroffen, die auch Kleriker mit Strafe bedroht, sollten sie zum Missbrauch kirchlichen Eigentums ihre Zustimmung geben187. Der Brief schließt mit der Datierung ohne Schlussformel. Leo begrenzt hier das Schreiben auf das Notwendige (causa und Norm) und trifft eine knappe Dienstanweisung188. Umfangreicher und formal strukturierter ist der 16. Brief, ebenfalls an sizilische Bischöfe, vJ. 447189. Die Einschärfung, dass grundsätzlich nur an Ostern und Pfingsten getauft werden solle, nutzt Leo zu einer Darlegung. Ein Prooemium (Berufung auf Petrus), eine Benennung der causa und eine Rechtsargumentation folgen aufeinander; Überlegungen zur Taufe Jesu durch Johannes und die Notwendigkeit eines jährlichen Konzils in Rom schließen das Schreiben ab, das trotz gleichen Adressatenkreises wie beim 17. Brief wesentlich umfangreicher und argumentierender ist. Eine Fülle biblischer Belege wird bemüht190, und abweichende Positionen werden argumentativ entkräftet191: Dass die Veruntreuung von Kirchengut unerlaubt ist, ist selbstverständlich; die unterschiedlichen Tauftermine hingegen sind umstritten und müssen umfangreicher erörtert werden. Der unterschiedliche Anlass bestimmt also Form und Aufbau der Lehrschreiben. Für beides, sowohl kurze als auch längere Lehrschreiben, gibt es weitere Beispiele. Zu nennen sind der kurze 67. Brief an Ravennius von Arles vJ. 450192 sowie der 81. Brief an Julianus von Kos vJ. 451193; als längere Lehrbriefe können der 117. Brief, ebenfalls an Julianus, vJ. 453194 und der 124. Brief an palästinische Mönche vJ. 453 genannt werden195. Unter Leo werden sie aufs äußerste rhetorisch gestaltet und geraten bisweilen zu ausführlichen Abhandlungen theologischer Fragestellungen. III.1.2. Theologische Traktatbriefe Sie sind relativ eng mit der Gruppe der Lehrbriefe verwandt. Wenn sie hier dennoch von ihnen unabhängig behandelt werden, so geschieht dies, weil die in ihnen gebotenen theologischen Darlegungen oft so umfangreich sind, dass sie die Gattung Brief zu überschreiten scheinen und sich eigenständigen Traktaten annähern. 186 187 188 189 190 Leo Leo Vgl. Leo Leo M. ep. 17 (PL 54, 703/6). M. ep. 17 (PL 54, 705). Leo M. ep. 81. 86 (PL 54, 916f. 924f). M. ep. 16 (PL 54, 695/704). M. ep. 16,2 (PL 54, 697f). 191 192 193 194 195 Leo Leo Leo Leo Leo M. ep. 16,1 (PL 54, 696f). M. ep. 67 (PL 54, 886f). M. ep. 81 (PL 54, 915/7). M. ep. 117 (PL 54, 1037/9). M. ep. 124 (PL 54, 1061/8). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 41 Mit Leo dem Großen erlangt die Form eine neue Qualität. Die christologischen Auseinandersetzungen seiner Zeit zwingen ihn, vor allem in Schreiben an den Osten, längere Widerlegungen von Irrlehren zu geben. Im Jahr 449 schreibt Leo an Flavian, Bischof von Konstantinopel, einen längeren Brief, in dem er gegen Eutyches die Zwei-Naturen-Lehre darlegt196. Formal ist das Schreiben ein Antwortbrief; Flavian hat an den Römer geschrieben, und Leo greift das Schreiben auf197. Schnell leitet aber das Prooemium auf den Gegenstand, nämlich die Lehre des Eutyches hin198, die im eigentlichen Briefcorpus widerlegt wird199. Hierfür greift Leo auf das Glaubensbekenntnis zu Gott als dem Vater und zu Jesus Christus als seinem eingeborenen Sohn zurück200 und stützt seine Argumentation intensiv auf biblische Belegstellen. Am Ende der dogmatischen Erörterung über die Person Christi folgt eine Normfestsetzung: Eutyches soll, wenn er widerruft, wieder in die Kirche aufgenommen werden201; eine namentliche Nennung der römischen Gesandten und eine Grußformel beschließen den Brief202. Stark gegliedert ist das 15. Schreiben Leos an Bischof Turribius von Astorga, in dem 16 Thesen des Priszillianismus ausführlich widerlegt werden. Leo thematisiert die einzelnen Punkte der priszillianistischen Lehre kapitelweise, ganz so, wie sie ihm von Turribius übermittelt worden sind203. Abschließend fordert er dazu auf, ein allgemeines oder zumindest ein gallisches Konzil einzuberufen, um gegen den auch unter Bischöfen verbreiteten Priszillianismus vorzugehen (aliqui inter episcopos qui huius haereseos contagio polluantur)204. Unter den Vorgängern Leos finden sich theologische Traktatbriefe bei Damasus und Innozenz. Letztlich aber bleiben alle sowohl hinsichtlich Umfang als auch theologischer Argumentation hinter Leo zurück. Damasus schickt beispielsweise an Paulinus von Antiochien ein Glaubensbekenntnis in Briefform205. An ein Prooemium, das die Ausgangssituation (nämlich die Beunruhigung über Häresien, besonders die des Apollinarismus: breviter indicaveram me in articulo iam profectionis eius aliqua ex parte commotum) schildert, schließen sich zunächst (primum) die Verpflichtung auf das Bekenntnis von Nizäa, dann (deinde) weitere christologische Grundlegungen an. Sie bilden das eigentliche Briefcorpus und schreiben Nizäa fort: Id est, confitendus ipse sapientia, sermo filius Dei humanum suscepisse corpus [. . .]206. Ausschlussdrohungen folgen für diejenigen, die dem Bekenntnis nicht zustimmen (anathemizat). Von Innozenz haben sich Beispiele theologischer Traktatbriefe in seiLeo M. ep. 28 (PL 54, 755/82). Leo M. ep. 28,1 (PL 54, 755): Lectis dilectionis tuae litteris, [. . .]. 198 Leo M. ep. 28,1 (PL 54, 755): Et quae prius videbantur occulta, nunc nobis reserata patuerunt. Quibus Eutyches, qui presbyterii nomine honorabilis videbatur, multum imprudens et nimis imperitus ostenditur, [. . .]. 199 Leo M. ep. 28,2/5 (PL 54, 757f). 200 Leo M. ep. 28,2 (PL 54, 757). 201 Leo M. ep. 28,6 (PL 54, 779): De quo si fideliter atque utiliter dolet, et quam recte mota sit episcopalis auctoritas vel sero cognoscit; vel si ad satisfactionis plenitudi196 197 nem omnia quae ab eo male sunt sensa viva voce et praesenti subscriptione damnaverit, non erit reprehensibilis erga correctum quantacumque miseratio. 202 Leo M. ep. 28,6 (PL 54, 779/81). 203 Vgl. die jeweilige Einleitung zu den Kapiteln: ep. 15,1 (PL 54, 680): Primo itaque capitulo [. . .]; 15,2 (PL 54, 681): In secundo capitulo [. . .] usw. 204 Leo M. ep. 15,17 (PL 54, 690/2). 205 Damas. ep. 3 (PL 13, 356f); vgl. Thompson, Correspondence 252/4; Reutter, Damasus 350/67. 206 Damas. ep. 3 (PL 13, 356). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 42 Christian Hornung nem 29. Schreiben an ein karthagisches Konzil vJ. 416, in dem er die antipelagianische Position der nordafrikanischen Konzilsväter lobt207, und seinem nur noch fragmentarisch überlieferten 43. Brief an Severianus, Bischof von Gabala, erhalten208. III.1.3. Gemeinschafts- und Begleitbriefe Eine bestimmte Form der Gemeinschafts- und Begleitbriefe entwickelt sich im vierten und fünften Jahrhundert nicht. Diese amtlichen Schreiben sind kurz und daher kaum in einzelne Abschnitte zu untergliedern; dennoch sind auch sie rhetorisch stilisiert und gerade dort, wo es sich um Gemeinschaftsbriefe im engeren Sinne (d. h. die Anzeige der Bischofsnachfolge209) handelt, besonders kunstvoll gestaltet. Innozenz schreibt iJ. 402 an Anysius von Thessalonike und gibt in rhetorisch gefeilter Form seine Amtsnachfolge bekannt. Dazu gehören die Nennung bzw. die Berufung auf Vorgänger210, die Betonung einer ordnungsgemäßen Wahl211 und eine metaphorische Sprache (hier die Kirche als Schiff)212. Diese Elemente begegnen 30 Jahre später erneut bei Sixtus. Als er an Cyrill von Alexandrien schreibt und seine Amtsnachfolge bekannt gibt, beruft auch er sich auf die Gnade Gottes, bei der Weihe anwesende Zeugen und die Eintracht (concordia), in der sie sich vollzogen habe213. Eine präzise Scheidung von Formelementen ermöglicht erst der zweite Teil des Schreibens. Sixtus teilt Cyrill mit, dass Johannes von Antiochien214, Anhänger des Nestorius, erst dann wieder in die katholische Kirche aufgenommen werden könne, wenn er seine Irrlehre verworfen habe215. Eine metaphernreiche Verurteilung des Nestorius stellt er der Bestimmung voran216, und ein Publikationsauftrag (haec vero ad notitiam vicinorum fratrum volo mitti) beschließt das Schreiben217. Erst in dem Teil also, in dem der Brief die eigentliche Gattung der Gemeinschaftsbriefe verlässt und sich den Lehrbriefen annähert, ist eine Struktur deutlicher auszumachen. Der Befund wird durch Gemeinschaftsbriefe im weiteren Sinn bestärkt. Sie können kurze Bestätigungen sein, etwa dass eine Gesandtschaft in Rom eingetroffen ist218, und auch Trostfunktion für Bischöfe erlangen, die während der homöischen Auseinandersetzungen verbannt worden sind219. Darüber hinaus fehlt ein stringentes Formular, dem sie folgen. Für die Begleitbriefe gilt Ähnliches. Innozenz schreibt etwa iJ. 417220 an Augustinus. Der Brief beginnt mit einer Sentenz, die die Motivation zur Briefabfassung angibt: 207 Innoc. ep. 29 = Aug. ep. 181 (CSEL 44, 701/14 Goldbacher); vgl. zu Innozenz’ kirchenpolitischer Agitation in der pelagianischen Auseinandersetzung Wermelinger, Rom 116/33. 208 Innoc. ep. 43 (PL 20, 611f). 209 Vgl. Schneider, Brief 579. 210 Innoc. ep. 1 (20 Silva-Tarouca): Cum deus noster Christus sanctae memoriae virum Anastasium episcopum, licet celeriter, ad se vocare dignatus sit, [. . .]; cui etiam anteriores tanti ac tales viri praedecessores mei episcopi, id est, sanctae memoriae Damasus, Siricius atque supra memoratus vir ita detulerunt, ut [. . .]. 211 Innoc. ep. 1 (20 Silva-Tarouca): Consentientibus sanctis sacerdotibus omnique clero ac populo cum pace. Innoc. ep. 1 (20 Silva-Tarouca): [. . .] ne eius [scil. Dei] ecclesia aliquantulum sine rectoris gubernaculo remaneret; vgl. zur Bildersprache Dassmann, Kirche 998/1000. 213 Sixt. ep. 1 (PL 50, 583/5); vgl. auch ep. 2,1 (PL 50, 587/9). 214 Vgl. Grillmeier, Jesus 433/5. 215 Sixt. ep. 1,5 (PL 50, 587). 216 Sixt. ep. 1,3f (PL 50, 585/7). 217 Sixt. ep. 1,6 (PL 50, 587). 218 Vgl. Innoc. ep. 20 (PL 20, 543). 219 Vgl. Lib. ep. 3: Opto tranquilissime (CCL 8, 311/ 6 Diercks). 220 Innoc. ep. 32 (PL 20, 597f). 212 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 43 In familiaribus scriptis dilectio vera consistit. Darauf fährt er fort, dass er, Innozenz, ihm, verbunden mit weiteren Schreiben, in denen er die Position des apostolischen Stuhls zur Relatio der doppelten Synode (ad relationem duplicis synodi) formuliert habe, den Bruder Julius (Bischof oder untergeordneter Kleriker?) als Boten sende. Lassen sich auch hier eine Einleitungsphrase und der weitere Inhalt differenzieren, so bleibt der Brief insgesamt ohne weitere Strukturelemente. Unter den Schreiben Leos des Großen findet sich die Beobachtung bestätigt. Seine Begleitschreiben sind zwar rhetorisch stilisiert, jedoch weisen sie keine strikte Form auf, sondern variieren je nach Anlass. In seinem 87. Brief etwa empfiehlt er Bischof Anatolius von Konstantinopel zwei Presbyter zur Aufnahme und bezeugt ihren aufrechten Glauben, den sie, der Häresie angeklagt, in Rom bekannt hätten221. Der insgesamt kunstvolle Brief schließt mit einer Mahnung: Per hos ergo, frater charissime, cum testimonio nostro ad propria revertentes, dilectioni tuae nostra scripta direximus, fidenter hortantes ut qui gratia apostolicae communionis ornantur, etiam tuo favore per omnia se gaudeant adiuvari. Eine Differenzierung von Formbestandteilen ist nicht möglich. Ebenso weist ein Schreiben an Kaiser Marcian vJ. 451222, in dem Leo sein Fehlen auf dem bevorstehenden Konzil von Chalkedon entschuldigt223, zwar Elemente eines Prooemiums224 und ein nachfolgendes Briefcorpus auf, allerdings sind die Teile nicht derart von einander abgegrenzt, dass sich eine deutliche Strukturierung des Schreibens aufzeigen ließe. III.2. Der Befund in den römischen Rechtsquellen und spätantiken Sammlungen III.2.1. Allgemeines Kaiserliche Konstitutionen des Dominats folgen in ihrem Aufbau grundsätzlich einem regelmäßigen Formschema: Sie gliedern sich zunächst in das einleitende Protokoll, dann den Text, der das Corpus der gesetzlichen Bestimmung konstituiert, und schließlich das Eschatokoll, das den Text durch Unterschrift und Datierung abrundet. Protokoll, Text und Eschatokoll, die drei grundsätzlichen Bestandteile, lassen sich wiederum weiter untergliedern. Leo M. ep. 87 (PL 54, 926). Vgl. Stickler, Marcianus 83/5. 223 Vgl. Martin, Leo 1190f. 224 Leo M. ep. 94 (PL 54, 941): Sanctum clementiae vestrae studium, quo ad reparationem pacis ecclesiasticae 221 222 synodum habere voluistis, adeo libenter accepi, ut, quamvis eam fieri intra Italiam poposcissem, et aptius exspectari tempus optassem, quo [. . .]. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Christian Hornung 44 Protokoll 1. Intitulatio 2. Inscriptio Text 1. 2. 3. 4. 5. Eschatokoll 1. Subscriptio 2. Datierung Prooemium Narratio Dispositio Publikationsbefehl Strafformel Schematische Darstellung eines allgemeinen spätantiken Gesetzes III.2.2. Das Protokoll Es wird eröffnet durch die Nennung des Autors, hier des Princeps. Sein Name kann durch Titel und Majestätsbezeichnungen ergänzt sein (Intitulatio); ein ohne Zweifel besonderes Beispiel ist das Preisedikt Diokletians, das zahlreiche Ehrennamen der Augusti und Caesares anführt225. Der Adressat wird in der sog. Inscriptio genannt; abhängig von seiner gesellschaftlichen Stellung ist sie bald kurz226, bald, wo der Kaiser angeschrieben wird, umfassend227. Die regelmäßige Abfolge stellt ursprünglich den Verfasser dem Empfänger eines Schreibens voran; in einer ab dem vierten Jahrhundert begegnenden Respektformel kann allerdings auch der Empfänger zuerst genannt werden und somit dem Verfasser vorangehen228. III.2.3. Der Text In den Rechtsquellen breiter belegt als das oft durch seine Überlieferung in Sammlungen gekürzte Protokoll229 ist der Gesetzestext. Er wird gewöhnlich durch das Prooemium eröffnet230, das die Aufmerksamkeit des Adressaten wecken soll, allgemeinere Aussagen in feierlichem Ton über die Herrschaft des Kaisers formuliert und wesentlich seiner Selbstdarstellung dient231. Ein Brief der Augusti Valentinian I, Valens und des Caesars Gratian an den Praefekten Praetextatus vom 12. 1. 368 wird beispielsweise mit einer allgemeinen Sentenz eröffnet: Vgl. Edict. Diocletiani praef. (90 Lauffer); Ries, Prolog 186. 226 Vgl. Ulp. Coll. 15,3 (2,2, 381 Seckel/Kuebler): Iuliano proconsuli Africae; Collect. Avell. 12 (CSEL 35,1, 53 Guenther): Maximino vicario urbis Romae. 227 Vgl. Collect. Avell. 29 (CSEL 35,1, 74 Guenther): Domino semper illustri et cuncta magnifico meritoque sublimi ac praecelso patrono Constantio. 228 Vgl. Collect. Avell. 29 (CSEL 35,1, 74 Guenther); Getzeny, Stil 79; Stowers, Letter writing 20. 229 Vgl. die Anweisung Justinians, bei der Sammlung der Konstitutionen für seinen Codex die Prooemien 225 auszulassen und nur die eigentlichen Bestimmungen der Normen aufzunehmen (Cod. Iust. const. De novo codice componendo [2, 1 Krueger]): quibus specialiter permisimus resecatis tam supervacuis, quantum ad legum sodilitatem pertinet, praefationibus [. . .]; tollendis quidem tam praefationibus nullum suffragium sanctioni conferentibus sowie Ries, Prolog 199f. 230 Vgl. zur Funktion des Prooemium in der antiken Gerichtsrede Lausberg, Handbuch § 266/79 sowie Ries, Prolog. 231 Vgl. Pieler, Rechtsliteratur 572 sowie besonders Hunger, Prooimion. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 45 Ea nobis est innata moderatio, ut publicam disciplinam sine cuiusquam calamitate munire cupiamus232. Das kurze Prooemium benennt die Motivation der Herrscher, mit der nachfolgenden Norm disziplinär einzugreifen (publicam disciplinam munire), und im Terminus moderatio eine typische kaiserliche Herrschertugend233. Die Beilegung von Aufruhr und politischer Instabilität werden auch in einem weiteren kaiserlichen Schreiben vJ. 419 als Abfassungsgrund genannt: Cum ad sanandum primae perturbationis errorem hoc genus consilii clementia nostra reparandae pacis cupida repperisset, [. . .]234. Gleichmütig könne man nicht ignorieren, so heißt es im Folgenden, dass den Vorschriften der kaiserlichen Milde fast ein öffentlicher Krieg angesagt worden sei und sie gleichsam mit Füßen getreten würden235. In der Junktur aequo animo dissimulare non possumus wird rhetorisch auf die innere Betroffenheit des Herrschers angespielt, die zur politischen Einflussnahme treibt. Das Motiv findet sich in Variationen auch andernorts. So stellen Gratian und Valentinian II in einem Brief aus dem Jahr 378 oder 379 ihren Bestimmungen über Wiedertäufer eine rhetorische Frage voran, in der die Pflichtvergessenheit eines Beamten (vicarius) gerügt und der Unwille darüber (Deinosis236) betont wird237: Nostra praecepta per vestram neglegentiam destituta quae tandem poterit ferre patientia? 238 Die rhetorische Frage erfüllt hierbei, was der vorangegangene Beleg durch die Junktur topisch leistet: Sie begründet die Gesetzesinitiative239. In den Prooemien kaiserlicher Konstitutionen sind ferner die Begriffe cura und sollicitudo beliebt, mit denen der Herrscher die Amtspflichten gegenüber Untertanen und Reich charakterisiert. Eine kaiserliche Novelle vJ. 439 formuliert, dass sich der Princeps bei Tag und bei Nacht den Angelegenheiten des Menschengeschlechts widme und sich für den Willen der Schwachen einsetze240. Eine Novelle Justinians vJ. 541 wird mit folgender Phrase eröffnet: Nostrae serenitatis sollicitudo remediis invigilat subiectorum nec cessamus inquirere, si quid sit in nostra re publica corrigendum241. Sorge (sollicitudo) und Wachsamkeit (invigilare) für den Staat herrschen vor. Sie sind typische Charakteristika des spätantiken Herrscherbildes, das besonders in den Collect. Avell. 7,1 (CSEL 35,1, 49 Guenther). Vgl. Heumann/Seckel, Handlexikon s. v. mit weiteren Belegen. 234 Collect. Avell. 31,1 (CSEL 35,1, 76 Guenther). 235 Collect. Avell. 31,1 (CSEL 35,1, 76 Guenther): Aequo animo dissimulare non possumus praeceptis clementiae nostrae publicum paene bellum quo calcarentur indictum. 236 Vgl. Rutherford, Deinotes 471. 237 Vgl. Honig, Humanitas 42. 238 Collect. Avell. 13,1 (CSEL 35,1, 54 Guenther). 232 233 Vgl. auch einen Brief Constantins an Macarius und die übrigen Bischöfe Palästinas (Eus. vit. Const. 3,52 [GCS Eus. 1, 99 Heikel]): t oøyn Þstin, adelvo 239 prosvilstatoi, ço tf̀n ymetran parelhn agunoian f proeirfmnf di tf̀n prc t heion eylbeian oyu o6a te ggonen aposiwpÇsai. 240 Theod. Nov. 16 praef. (2, 37 Mommsen/Meyer): [. . .] ideo divinis sensibus die noctuque res humani generis pertractantes gratum duximus deficientium quoque voluntatibus subvenire. 241 Iust. Nov. 114 (3, 533 Schoell). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 46 Christian Hornung Prooemien aufscheint242. Zu nennen sind ferner das kaiserliche Bemühen um Gerechtigkeit, sein Einsatz für die Aufrechterhaltung der Ordnung und sein, im Bild formuliert, heilendes Eingreifen dort, wo sie bereits gestört ist243. Die Narratio244 schließt sich an das Prooemium an. Sie schildert den Tatbestand bzw. den Kontext245, der der Hintergrund der Gesetzesinitiative ist. Auch in diesem Teil der Urkunde kann das Prooemium noch oft über Formulierungen fortwirken, die den Unwillen oder die Betroffenheit des Kaisers zum Ausdruck bringen. Wenn die Konstitution ein Antwortschreiben auf eine Anfrage ist, sind zudem Verben charakteristisch, die sich auf die Mitteilung beziehen. So schreiben Valentinian I und Gratian in einem Brief an den Vikar Aginatus vJ. 368: ut prudentia tua scripsit246 und zehn Jahre später an den Vikar Aquilinus: audivimus, bevor sich eine ausführliche Narratio anschließt247. Der hier geschilderte Kontext ist das Fundament der nachfolgenden Bestimmung des dispositiven Teils. Dieser stützt sich auf die Richtigkeit des Berichteten, so dass für die Reskripte gilt, dass nur dann, wenn sich die Narratio auf Wahres bezieht (si preces veritate nituntur248), die im dispositiven Teil getroffenen Normen gelten. Das Zentrum der Konstitution ist die Dispositio. Sie enthält die eigentliche Bestimmung249. Im Codex Theodosianus und Iustinianus ist sie häufig allein erhalten. Dort aber, wo der dispositive Teil noch in ein umfassendes Urkundencorpus integriert ist, kann er durch itaque eingeleitet sein250; die Konjunktion bezieht sich auf die in der Narratio geschilderten Missstände zurück und schließt kausal an. Charakteristisch sind Verben, die eine Anordnung oder einen Befehl zum Ausdruck bringen: Admonere 251, censere 252, iubere 253, praecipere 254, velle 255 u. a. sind daher in diesem Teil zahlreich; sie stehen meist in der ersten Person Plural, dem sog. Pluralis maiestatis. Die Aussage kann zudem durch die Häufung mehrerer Verben verstärkt sein256. Die Norm selbst wird in einem von den Verben des Bestimmens, Anordnens oder Fürsorgens abhängigen AcI oder ut-Satz genannt. So setzt ein Edikt der Augusti Diokletian und Maximian sowie der Caesares Constantin und Maximin vJ. 302 (?) über die Mathematici fest: Vgl. Hunger, Prooimion 98. Vgl. umfassend Hunger, Prooimion 180/7. 244 Vgl. Lausberg, Handbuch § 290. 245 Vgl. Wilcken, Kaiserreskripten 39. 246 Collect. Avell. 9,1 (CSEL 35,1, 50 Guenther). 247 Collect. Avell. 13,4 (CSEL 35,1, 55 Guenther); weitere Narrationes bei Eus. vit. Const. 3,52. 62 (GCS Eus. 1, 99f. 109f Heikel); Collect. Avell. 15,1 (CSEL 35,1, 60 Guenther) u. ö. 248 Cod. Iust. 1,23,7 praef. vJ. 477 (2, 76 Krueger); vgl. Wenger, Quellen 430. 249 Vgl. Pieler, Rechtsliteratur 572. 250 Vgl. Collect. Avell. 7,2 (CSEL 35,1, 49 Guenther); 9,2 (CSEL 35,1, 51 Guenther); Viden, Chancery tradition 122/7; Pferschy, Variae 77. 251 Vgl. Collect. Avell. 31,6 (CSEL 35,1, 78 Guenther). 252 Vgl. Coll. Mos. 6,4,2 (2,2, 351 Seckel/Kuebler); Collect. Avell. 15,3 (CSEL 35,1, 61 Guenther); 33,3 242 243 (CSEL 35,1, 80 Guenther); Cod. Iust. 3,4,1,1 vJ. 440 (2, 125 Krueger); 3,26,7 vJ. 349 (2, 131 Krueger). 253 Vgl. Ulp. Coll. 15,3,6 (2,2, 383 Seckel/Kuebler); Collect. Avell. 9,1 (CSEL 35,1, 51 Guenther); Const. Sirm. 14 vJ. 409 (1,2, 918 Mommsen) = Cod. Theod. 16,2,31. 254 Vgl. Ulp. Coll. 15,3,6 (2,2, 383 Seckel/Kuebler); Collect. Avell. 15,4 (CSEL 35,1, 61 Guenther); Cod. Iust. 3,4,1,1 vJ. 440 (2, 125 Krueger); 10,48,14 vJ. 391 (2, 421 Krueger); Const. Sirm. 14 vJ. 409 (1,2, 918 Mommsen) = Cod. Theod. 16,2,31. 255 Vgl. Collect. Avell. 13,11 (CSEL 35,1, 57 Guenther). 256 Vgl. Cod. Iust. 3,26,9 vJ. 365 (2, 131 Krueger): Quae res cum fuerit certis probationibus declarata, sancimus et edicimus, ut, si in provincialem hanc audaciam quisquam moliri fuerit ausus, publice vivus concremetur. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 47 Iubemus namque auctores quidem ac principes [scil. mathematicorum] una cum abominandis scripturis eorum severiori poenae subici [. . .]; consentaneos vero et usque adeo contentiosos capite puniri praecipimus257. In einem weiteren kaiserlichen Schreiben vJ. 419 heißt es in der Dispositio: Praecipimus [. . .] extraordinaria praesumptione summota Bonifatium interdicta confestim urbe prohiberi258. Die jeweiligen Bestimmungen stehen im AcI, ihre Einleitung erfolgt durch iubere bzw. praecipere in der ersten Person Plural. Ein Beispiel für eine Norm, die in einem abhängigen ut-Satz formuliert ist, liegt in einem kaiserlichen Edikt vJ. 295 (De incestis nuptiis) vor: In quo id etiam providendum quam maxime esse censuimus, ut [. . .]259. Bisweilen fehlt auch ein einleitender Satz, dem ein ut-Satz folgte; die Norm wird dann im bloßen iussiven Konjunktiv formuliert260. Die einzelnen Dispositiones haben unterschiedlichen Umfang; bald sind sie äußerst knapp, bald ausführlich und um Differenzierungen und zahlreiche Ausführungsbestimmungen ergänzt, die typischer Weise durch ita tamen ut eingeleitet werden. Im bereits genannten Edikt Diokletians und Maximians (De incestis nuptiis vJ. 295) wird beispielsweise für die bis zum Erlass der Bestimmung eingegangenen unerlaubten Ehen indulgentia gewährt261. Eine anschließende Ausführungsbestimmung (ita tamen ut) greift die allgemeine Aussage auf und präzisiert, dass denen, die eine unerlaubte Ehe geschlossen hätten, Gnade gewährt worden sei. Einschränkend aber bestimmt die Norm, dass in solchen Ehen gezeugte Kinder ungesetzliche Nachkommen seien262. Umfangreiche Ausführungsbestimmungen enthält auch ein kaiserlicher Brief Valentinians I und Gratians an die Provinz Asia, der detaillierte Bestimmungen über die Wiederaufrichtung von Stadtmauern und die Landrückgabe bietet263. Den Abschluss der Dispositio kann die Anrede des Adressaten bilden. Sie wirkt retardierend, bevor der Text zum Epilog weiterschreitet264. Dieser enthält häufig einen Publikationsbefehl265 oder eine Strafformel, die zum Befolgen der Norm mahnt und ihr Überschreiten mit einer Sanktion belegt266. 257 Coll. Mos. 15,3,6 (2,2, 383 Seckel/Kuebler); Fögen, Enteignung 26/34. 258 Collect. Avell. 15,4 (CSEL 35,1, 61 Guenther). 259 Coll. Mos. 6,4,2 (2,2, 351 Seckel/Kuebler). 260 Vgl. Cod. Iust. 9,8,3 vJ. 314 (2,2, 373 Krueger): Si quis alicui maiestatis crimen intenderit, [. . .], sciat se quoque tormentis esse subdendum, si aliis manifestis indiciis accusationem suam non potuerit comprobare; 7,39,2,1 vJ. 365 (2, 311 Krueger). 261 Vgl. Munier, Indulgentia 70. 262 Coll. Mos. 6,4,3f (2,2, 352 Seckel/Kuebler); vgl. Collect. Avell. 13,12 (CSEL 35,1, 58 Guenther); 31,5f (CSEL 35,1, 77 Guenther). 263 Ep. ad Eutrop. (1, 270/2 Bruns, Fontes). 264 Vgl. Eus. h. e. 10,7,13 (GCS Eus. 2,2, 891 Schwartz); vgl. Kussmaul, Pragmaticum 56. 265 Vgl. Coll. Mos. 6,4,7 (2,2, 353 Seckel/Kuebler); Collect. Avell. 31,7 (CSEL 35,1, 78 Guenther): Per omnes vero titulos vel loca, quae conventu celebri frequentantur, haec statuimus proponentur, ut [. . .]; 37,3 (CSEL 35,1, 84 Guenther): Denique praedicante beatitudine tua id ad cunctorum clericorum notitiam volumus pervenire, ut [. . .]. 266 Vgl. Coll. Mos. 6,4,8 (2,2, 353 Seckel/Kuebler): Nec enim ullam in tam nefario scelere quisquam aestimet veniam se consequi posse, qui in tam evidens crimen et post edictum nostrum non dubitabit inruere; indirekt Constantin in einer Verordnung an Anylinus, Prokonsul in Africa: Eus. h. e. 10,5,17 (GCS Eus. 2,2, 887 Schwartz): [. . .] opwc toffltw fm\n t\ prostg- mati Þpimelesttfn se peihrufsin paresufknai katamhoimen; vgl. Kussmaul, Pragmaticum 56f. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Christian Hornung 48 III.2.4. Das Eschatokoll Es beschließt die Urkunde. Wie das Protokoll gehört das Eschatokoll nicht mehr zum eigentlichen Text und kann eine letzte Grußformel, die vom Kaiser selbst geschrieben ist, oder die Datierung enthalten. So ist unter ein Schreiben an den Stadtpräfekten Salustius vJ. 386 ein kaiserlicher Gruß gesetzt: Divinitas te servet per multos annos, parens karissime atque amantissime 267. Ein schlichtes Vale Ampeli karissime atque amantissime erscheint unter einem wenig früheren kaiserlichen Brief268. Datierungsbelege finden sich bei weiteren Schreiben269. III.2.5. Beispiele spätantiker kaiserlicher Konstitutionen Die Abschnitte einer typischen kaiserlichen Konstitution finden sich exemplarisch im Edikt Diokletians und Maximians über inzestuöse Ehen (De incestis nuptiis) sowie in einem kaiserlichen Reskript vJ. 419, das im Zusammenhang der römischen Bischofsnachfolge des Bonifatius steht. Das Verbot, die Ehe mit Personen einzugehen, zu denen aufgrund von Blutsverwandtschaft oder Verschwägerung ein ›Nahverhältnis‹270 besteht, schärft das Edikt Diokletians und Maximians ein, das in der Lex Dei sive Collatio legum Mosaicarum et Romanarum erhalten ist271. Es datiert in das Jahr 295 und steht im Kontext weiterer römischer Inzestverbote272 und diokletianischer Restaurationsbemühungen am Ende des dritten Jahrhunderts. Hier von Belang ist sein formaler Aufbau. Schema einer spätantiken kaiserlichen Konstitution Protokoll Text Intitulatio Inscriptio Prooemium 1. Quoniam piis religiosisque mentibus nostris ea, quae Romanis legibus caste sancteque sunt constituta, venerabilia maxime videntur atque aeterna religione servanda, dissimulari ea, quae a quibusdam nefarie incesteque commissa sunt, non oportere credimus: Ea cum vel cohibenda sunt vel etiam vindicanda, insurgere nos disciplina nostrorum temporum cohortatur. Ita enim et ipsos immortales deos Romano nomini, ut semper fuerunt, faventes atque placatos futuros esse non dubium est, si cunctos sub imperio nostro agentes piam religiosamque quietem castam in omnibus more maiorum colere perspexerint vitam. Collect. Avell. 3,3 (CSEL 35,1, 47 Guenther). Collect. Avell. 11,4 (CSEL 35,1, 53 Guenther). 269 Vgl. Collect. Avell. 7,2 (CSEL 35,1, 50 Guenther); 14,8 (CSEL 35,1, 60 Guenther); 15,5 (CSEL 35,1, 61 Guenther) u. ö. Mommsen, Strafrecht 682. Vgl. Coll. Mos. 6,4,1/8 (2,2, 351/3 Seckel/ Kuebler); Liebs, Jurisprudenz 623/5. 272 Vgl. Mommsen, Strafrecht 682/8; Thraede, Blutschande 62f. 267 270 268 271 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 49 Schema einer spätantiken kaiserlichen Konstitution Text Eschatokoll Narratio 2. In quo id etiam providendam quam maxime esse censuimus, ut matrimoniis religiose atque legitime iuxta disciplinam iuris veteris copulatis tam eorum honestati, qui nuptiarum coniunctionem sectantur, quam etiam his, qui deinceps servata religione nascentur, incipiat esse consultum et honestate nascendi etiam posteritas ipsa purgata sit. Id enim pietati maxime placuit, ut sancta necessitudinum nomina optineant apud affectus suos piam ac religiosam consanguinitati debitam caritatem. Nefas enim credere est ea, quae in praeteritum a compluribus constat esse commissa, cum pecudum ac ferarum promiscuo ritu ac inlicita conubia instinctu execrandae libidinis sine ullo respectu pudoris ac pietatis inruerint. Dispositio 3. Sed quaecumque antehac vel imperitia delinquentium vel pro ignorantia iuris babaricae inmanitatis ritu ex inlicitis matrimoniis videntur admissa, quamquam essent severissime vindicanda, tamen contemplatione clementiae nostrae ad indulgentiam volumus pertinere. Ita tamen, ut, quicunque in ante actum tempus inlicitis incestisque se matrimoniis polluerunt, hactenus adeptos se esse nostram indulgentiam sciant, ut post tam nefaria facinora vitam quidem sibi gratulentur esse concessam: sciant tamen non legitimos se suscepisse liberos, quos tam nefaria coniunctione genuerunt. Ita enim fiet, ut de futuro quoque nemo audeat effrenatis cupiditatibus oboedire, cum et sciant ita praecedentes admissores iustiusmodi criminum venia liberatos, ut liberorum, quos inlicite genuerint, successione arceantur, quae iuxta vetustatem Romanis legibus negabatur. Et optaremus quidem nec ante quiquam eiusmodi commissum, quod esset aut clementia remittendum aut legibus corrigendum. 4. Sed posthac religionem sanctitatemque in conubiis copulandis volumus ab unoquoque servari, ut se ad disciplinam legesque Romanas meminerint pertinere: et eas tantum sciant nuptias inlicitas, quae sunt Romano iure permissae. 5. Cum quibus autem personis tam cognatorum quam ex adfinium numero contrahi non liceat matrimonium, hoc edicto complexi sumus: cum filia, nepte, pronepte, itemque matre, avia, proavia: et ex latere amita ac matertera, sorore, sororis filia et ex ea nepte. Itemque ex adfinibus privigna, noverca, socru, nuru ceterisque, quae antiquo iure prohibentur, a quibus cunctos volumus abstinere. 6. Nihil enim nisi sanctum ac venerabile nostra iura custodiunt, et ita ad tantam magnitudinem Romana maiestas cunctorum numinum favore pervenit, quoniam omnes leges suas religione sapienti pudorisque observatione devinxit. Publikationsbefehl 7. Quare hoc edicto nostro volumus omnibus palam fieri, quod praeteritorum venia, quae per clementiam nostram contra disciplinam videtur indulta, ad ea tantum delicta pertineat, quae in diem III. Kal. Ianuariarum Tusco et Anullino Coss. videntur comissa. Strafformel 8. Si qua autem contra Romani nominis decus sanctitatemque legum post supra dictum diem deprehendentur admissa, digna severitate plectentur. Nec enim ullam in tam nefario scelere quisquam aestimet veniam se consequi posse, qui in tam evidens crimen et post edictum nostrum non dubitabit inruere. Subscriptio Datierung Dat. . . . Kal. Maias, Damasco Tusco et Anullio coss. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 50 Christian Hornung Das Edikt, so wie es in der Collatio erhaltent ist, erscheint ohne sein ursprüngliches Protokoll. Intitulatio und Inscriptio haben sich also nicht erhalten. Die heute knappe Nennung der Augusti Diokletian und Maximian sowie der Caesares Constantius und Maximian stammt vom Verfasser der Rechtssammlung und verzichtet auf Majestätsbezeichnungen der Herrscher. Der erste Abschnitt ist das Prooemium. Diokletian benennt allgemein seine Verpflichtung, dort, wo die durch die römischen Gesetze caste sancteque normierten Verhältnisse gefährdet sind, einzugreifen und disziplinär tätig zu werden. Er hebt seine Sorge für das Reich und den mos maiorum hervor, bei dessen Bewahrung auch zukünftig die Begünstigung durch die Götter gewährleistet sei. Das Prooemium rekurriert damit auf Tradition und Sitte, die es zu wahren gelte. Inhaltlich bereitet es das Verbot inzestuöser Ehen vor, verbleibt aber zugleich im Rahmen einer noch unspezifischen Motivationsbegründung für die kaiserliche Gesetzesinitiative. Die Überleitung zur Narratio erfolgt fließend (ab Coll. Mos. 6,4,2)273. Das Edikt schildert, dass in der Vergangenheit aufgrund einer execranda libido unerlaubte Ehen eingegangen worden seien; gemeint sind nicht genauer spezifizierte Eheschließungen zwischen Verwandten. Das alte Recht sei damit gebrochen worden und mache eine neue Normsetzung erforderlich. Sie schließt sich ab Coll. Mos. 6,4,3 an. Für die Vergangenheit billigt der Kaiser imperitia und ignorantia denjenigen zu, die in inzestuösen Ehen leben. In der Dispositio stellt er die Delinquenten unter die kaiserliche indulgentia274, was wohl weitgehende Amnestie für sie bedeutete. Ausdrücklich aber hält er fest, dass in inzestuösen Verbindungen geborene Kinder keine legitime Nachkommenschaft seien (sciant tamen non legitimos se suscepisse liberos). In Zukunft (posthac) sollen inzestuöse Ehen mit blutsverwandten und mit verschwägerten Personen – sie werden im Edikt ausdrücklich aufgezählt – hart bestraft werden. Eine nach dem Publikationsbefehl (Coll. Mos. 6,4,7) angeführte Poenformel hält fest, dass einer, der in einer solchen Verbindung lebt, mit keiner Gnade rechnen könne, sondern mit angemessener Strenge (digna severitas) gezüchtigt werde (Coll. Mos. 6,4,8). Das abschließende Eschatokoll ist nur unvollständig erhalten. Es nennt als Abfassungsdatum die Kalenden des Monats Mai, als Jahr das Konsulat des Damascus Tuscus und des Annius Anullinus275. Eine zweite exemplarische Konstitution ist ein Reskript, rund 120 Jahre später. Hintergrund ist die Auseinandersetzung zwischen dem Presbyter Bonifatius und dem Archidiakon Eulalius, die sich iJ. 419 nach dem Tod des römischen Bischofs Zosimus entzündete. Auf dessen Nachfolge erhoben beide Anspruch, und die stadtrömische Gemeinde spaltete sich darüber in zwei feindliche Lager. Über die Ereignisse informieren in der Collectio Avellana erhaltene Briefe, die zwischen dem Kaiser und dem damaligen Stadtpräfekten Symmachus zahlreich ausgetauscht wurden276. Einer ist das am 26. März 419 verfasste Reskript, durch das Eulalius, der unerlaubt nach Rom zurückgekehrt war, erneut aus der Stadt gewiesen wird277. Vgl. Ries, Prolog 191. Vgl. Munier, Indulgentia. 275 Vgl. Jones/Martindale/Morris, Prosopography 1, 79 s. v. Annius Anullinus; ebd. 1, 926f s. v. Nummius Tuscus 1. 273 274 Vgl. Collect. Avell. 14/6. 18/33 (CSEL 35,1, 59/ 63. 65/80 Guenther). 277 Collect. Avell. 31 (CSEL 35,1, 76/8 Guenther). 276 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 51 Schema einer spätantiken kaiserlichen Konstitution Protokoll Intitulatio Inscriptio Prooemium / Narratio Text Eschatokoll 1. Cum ad sanandum primae perturbationis errorem hoc genus consilii clementia nostra reparandae pacis cupida repperisset, ut, donec de confirmatione urbani sacerdotii sententia procederet absoluta, uterque eorum, quorum causa tumultus antea concrevisset, a sacratissimae urbis conversatione seiunctus futuri iudicii expectatione penderet spatio, quo contineretur, alterutri evidenter expresso: 2. Aequo animo dissimulare non possumus praeceptis clementiae nostrae publicum paene bellum quo calcarentur indictum; movendi eius caput Eulalium, qui iussa transcenderit, extitisse, secundum ordinem praeceptorum paulisper abesse non passum, Symmache parens karissime. Dispositio 3. Unde sublimitas tua hoc nos statuisse cognoscat, ut et salubris superior ordo praecepti et moderata synodi ordinatio debeat custodiri, quod aliter fieri non posse censemus, nisi Eulalius omnimodis urgueatur, ut omni celeritate ab urbe dis<ce>dens insolenti populo praesens incitamenta non praebeat nec innocentibus causa mortis existat. 4. Cui esse dubium non debebit, si in hac praesumptionis obstinatione duraverit, non solum de statu suo iudicium iam prolatum verum etiam de salutis discrimine proferendum (culpa enim nullam veniam iam meretur, quae cum praedicitur non cavetur), nihil ex hoc excusationis habituro, quod se invitum a plebe asserat retentari. 5. Si qui autem ex numero clericorum communicandum Eulalio iudicio pendente censuerit, pari se sciat sententia esse damnandum; laicos vero, qui post interdictum mansuetudinis nostrae communionem Eulalii putaverint expetendam, honestioris loci poenam proscriptionis, servos vero capitis esse subituros nec ab hoc periculo dominos exuendos. 6. Primates vero regionum nisi spiritum plebis inconditae domuerint et frenarint, sciant se raptos ultimo iudicio esse subdendos. Spolitinus autem episcopus, sicut dudum fuerat definitum, sanctis paschae diebus ordinem festae sollemnitatis implebit. Cui ad celebranda mysteria Lateranensem ecclesiam soli patere decernimus, reliquis qui hoc praesumere voluerint propulsatis. Sane si praedictis sacerdos Spolitanae civitatis † in loco eius sanctorum mysteriorum ordinem completurus suscipi debeat admonemus. Publikationsbefehl 7. Per omnes vero titulos vel loca, quae conventu celebri frequentantur, haec quae statuimus proponentur, ut universis liqueat et noluisse nos turbidum aliquid perpetrari et adhuc ut turbata componi debeant opperiri. Strafformel Sciat sane sublimitas tua primiscrinium et reliquum officium, quod tuis actibus obsecundat, non solum gravissimae multae dispendiis affligendum sed et supplicium capitis sortiturum, nisi enixa opera commodata statutis clementiae nostrae praebere maturarit effectum. Subscriptio Datierung Dat. VII. Kal. April. Ravennae C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 52 Christian Hornung Das Reskript ist unvollständig erhalten. Es fehlt das Protokoll, das Verfasser und Adressat genannt haben dürfte. So setzt die kaiserliche Antwort sogleich mit dem Text ein. Prooemium und Narratio sind hier noch schwerer zu trennen als im oben besprochenen Edikt (Collect. Avell. 31,1f). Ein Motivationsgrund zur Abfassung des Schreibens scheint in der Gerundivkonstruktion clementia nostra reparandae pacis cupida durch: Es ist die Sorge des Kaisers um Frieden, die zum disziplinären Eingreifen zwingt. Ein weiter ausgeführtes Prooemium aber findet sich nicht, sieht man von der topischen Aussage, dass man über die Missstände nicht schweigend hinweggehen könne, ab (aequo animo dissimulare non possumus). Mit diesen Elementen des Prooemium verbunden ist die Narratio. Sie nimmt Bezug auf bereits ergangene Bestimmungen, die Bonifatius und Eulalius bis zu einem Entscheid des Streites (sententia) aus der Stadt gewiesen haben, und auf den Bericht des Symmachus, nach dem Eulalius wieder in der Stadt erschienen ist278. Den Abschluss von Prooemium und Narratio und damit den Übergang zur Norm bildet eine formelhafte Binnenanrede (Symmache parens karissime)279. Die nachfolgende Dispositio ist durch zahlreiche Ausführungsbestimmungen differenziert (Collect. Avell. 31,3/6). Zunächst wird festgesetzt, dass Eulalius schnellstmöglich (omni celeritate) aus der Stadt weichen müsse; Kleriker, die mit ihm in Gemeinschaft stehen, sollen wissen, dass sie durch das gleiche Urteil verdammt sind, Laien von höherem Rang werden mit der poena proscriptionis und Sklaven gar mit dem Tod bedroht (capitis esse subituros), wenn sie weiterhin eine Verbindung zu Eulalius unterhalten. Schließlich bestimmt das kaiserliche Schreiben, dass Achilleus von Spoleto280 allein den Osterfeierlichkeiten in der Laterankirche vorstehen solle. Ein Publikationsbefehl mit einer Strafformel beschließt den Text des Reskripts (Collect. Avell. 31,7: per omnes vero titulos vel loca [...] haec quae statuimus proponentur). Symmachus wird zur Bekanntmachung des Schreibens verpflichtet, und in deutlicher Sprache werden auch sein Primiscrinium281 und die übrige Verwaltung dazu angehalten, die Verbreitung der Statuta zu gewährleisten: Sciat sane sublimitas tua primiscrinium et reliquum officium [. . .] non solum gravissimae multae dispendiis affligendum sed et supplicium capitis sortiturum. Das Eschatokoll ist knapp und wahrscheinlich ebenfalls unvollständig. Es erscheinen lediglich die Datierung, ohne Angabe der damaligen Konsuln, und als Abfassungsort Ravenna. Eine eigenständige Subscriptio des Kaisers fehlt. III.3. Auswertung und Vergleich Die Schreiben römischer Bischöfe im vierten und fünften Jahrhundert bis auf Leo den Großen erweisen sich unter formalen Gesichtspunkten als durchaus different. Dennoch scheint es sinnvoll, drei Grundformen zu unterscheiden, ohne damit Gefahr zu laufen, eine allzu große schematische Enge anzulegen und die Vielfalt der BriefforVgl. Collect. Avell. 29 (35,1, 74/6 Guenther). Zu Binnenanreden bei Augustin vgl. Divjak, Binnenanrede, bes. 291; ders., Epistulae 904. 278 279 Vgl. Pietri/Pietri, Prosopographie 1, 10f s. v. Achilleus. 281 Vgl. Ensslin, Primiscrinius. 280 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 53 men zu unterschlagen. Es lassen sich benennen: 1) Disziplinarbriefe (Antwort- sowie Lehrbriefe), 2) Theologische Traktatbriefe und 3) Gemeinschafts- und Begleitbriefe. Die relative Häufigkeit, mit der sie in den einzelnen Episkopaten auftreten, ist unterschiedlich. Unter Siricius beispielsweise lassen sich keine eigenständigen theologischen Traktatbriefe nachweisen; bei ihm und seinem Nachfolger Innozenz überwiegen die auch Dekretalen282 genannten Antwortbriefe, die in kirchlichen Rechtsfragen detalliert Auskunft gewähren. Bei Leo dem Großen fällt auf, dass Disziplinarschreiben sowie die theologischen Traktatbriefe besonders häufig sind. Gemeinschafts- und Begleitbriefe sind in allen Episkopaten anzutreffen. Eine Gegenüberstellung der Form römisch-bischöflicher Schreiben mit zeitgleichen kaiserlichen Konstitutionen zeigt vor allem bei den stärker strukturierten Schreiben, also den Disziplinarbriefen, weitgehende Übereinstimmungen auf. Hier ist ganz deutlich, dass sowohl der Aufbau insgesamt (Prooemium, Narratio, Dispositio usw.) als auch einzelne Überleitungsphrasen und Signalwörter teilweise wörtlich mit zeitgenössischen römischen Rechtstexten übereinstimmen283. Differierend ist die inhaltliche Ausgestaltung, die bei den römisch-bischöflichen Schreiben oft von einem spezifisch christlichen Vokabular beeinflusst ist. Ein Vergleich des kaiserlichen Reskripts vJ. 419 an den römischen Stadtpräfekten Symmachus284 mit einem Schreiben Leos des Großen vJ. 443 an italische Bischöfe zeigt auffallende Parallelen. Schema einer spätantiken kaiserlichen Konstitution Protokoll Text Intitulatio Leo episcopus urbis Romae Inscriptio omnibus episcopis per Campaniam, Picenum, Tusciam et universas provincias constitutis in Domino salutem 285. Prooemium / Narratio 1. Cum ad sanandum primae perturbationis errorem hoc genus consilii clementia nostra reparandae pacis cupida repperisset, ut, donec de confirmatione urbani sacerdotii sententia procederet absoluta, uterque eorum, quorum causa tumultus antea concrevisset, a sacratissimae urbis conversatione seiunctus futuri iudicii expectatione penderet spatio, quo contineretur, alterutri evidenter expresso: Vgl. Naz, Décrétales 1064f; Duggan, Decretals 707; Jasper, Beginning 13f. 282 283 284 285 Ut nobis gratulationem facit ecclesiarum status salubri dispositione compositus, ita non levi nos maerore contristat, quoties aliqua contra constituta canonum ecclesiasticamque disciplinam praesumpta vel commissa cognoscimus: Quae si non qua debemus vigilantia resecemus, illi qui nos speculatores esse voluit excusare non possumus, permittentes sincerum corpus ecclesiae, quod ab omni macula purum custodire debemus, ambientium improba contagione foedari, cum ipsa sibi membrorum per dissimilationem compago non congruat. Vgl. Getzeny, Stil 85/90. Siehe oben. Leo M. ep. 4 (PL 54, 610/4). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Christian Hornung 54 Schema einer spätantiken kaiserlichen Konstitution Dispositio 2. Aequo animo dissimulare non possumus praeceptis clementiae nostrae publicum paene bellum quo calcarentur indictum; movendi eius caput Eulalium, qui iussa transcenderit, extitisse, secundum ordinem praeceptorum paulisper abesse non passum, Symmache parens karissime. Admittuntur passim ad ordinem sacrum, quibus nulla natalium, nulla morum dignitas suffragatur; et qui a dominis suis libertatem consequi minime potuerunt, ad fastigium sacerdotii, tamquam servilis vilitas hunc honorem capiat, provehuntur; et probari Deo posse creditur, qui domino suo necdum probare se potuit. 3. Unde sublimitas tua hoc nos statuisse cognoscat, ut et salubris superior ordo praecepti et moderata synodi ordinatio debeat custodiri, quod aliter fieri non posse censemus, nisi Eulalius omnimodis urgueatur, ut omni celeritate ab urbe dis<ce>dens insolenti populo praesens incitamenta non praebeat nec innocentibus causa mortis existat. 4. Cui esse dubium non debebit, si in hac praesumptionis obstinatione duraverit, non solum de statu suo iudicium iam prolatum verum etiam de salutis discrimine proferendum (culpa enim nullam veniam iam meretur, quae cum praedicitur non cavetur), nihil ex hoc excusationis habituro, quod se invitum a plebe asserat retentari. 5. Si qui autem ex numero clericorum communicandum Eulalio iudicio pendente censuerit, pari se sciat sententia esse damnandum; laicos vero, qui post interdictum mansuetudinis nostrae communionem Eulalii putaverint expetendam, honestioris loci poenam proscriptionis, servos vero capitis esse subituros nec ab hoc periculo dominos exuendos. 6. Primates vero regionum nisi spiritum plebis inconditae domuerint et frenarint, sciant se raptos ultimo iudicio esse subdendos. Spolitinus autem episcopus, sicut dudum fuerat definitum, sanctis paschae diebus ordinem festae sollemnitatis implebit. Cui ad celebranda mysteria Lateranensem ecclesiam soli patere decernimus, reliquis qui hoc praesumere volue- Duplex itaque in hac parte reatus est, quod et sacrum ministerium talis consortii vilitate polluitur, et dominorum, quantum ad illicitae usurpationis temeritatem pertinet, iura solvuntur. Ab his itaque, fratres charissimi, omnes provinciae vestrae abstineant sacerdotes; et non tantum ab his, sed ab aliis etiam qui originali aut alicui conditioni obligati sunt volumus temperari: nisi forte eorum petitio aut voluntas accesserit, qui aliquid sibi in eos vindicant potestatis. Debet enim esse immunis ab aliis, qui divinae militiae fuerit aggregandus; ut a castris dominicis quibus nomen eius ascribitur, nullis necessitatis vinculis abstrahatur. [. . .] C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 55 Schema einer spätantiken kaiserlichen Konstitution rint propulsatis. Sane si praedictis sacerdos Spolitanae civitatis † in loco eius sanctorum mysteriorum ordinem completurus suscipi debeat admonemus. Publikationsbefehl 7. Per omnes vero titulos vel loca, quae conventu celebri frequentantur, haec quae statuimus proponentur, ut universis liqueat et noluisse nos turbidum aliquid perpetrari et adhuc ut turbata componi debeant opperiri. Sciat sane sublimitas tua primiscrinium et reliquum officium, quod tuis actibus obsecundat, non solum gravissimae multae dispendiis affligendum sed et supplicium capitis sortiturum, nisi enixa opera commodata statutis clementiae nostrae praebere maturarit effectum. Hoc itaque admonitio nostra denuntiat, quod si quis fratrum contra haec constituta venire tentaverit, et prohibita fuerit ausus admittere, a suo se noverit officio submovendum, nec communionis nostrae futurum esse consortem, qui socius esse noluit disciplinae. Ne quid vero sit quod praetermissum a nobis forte credatur, omnia decretalia constituta, tam beatae recordationis Innocentii, quam omnium decessorum nostrorum, quae de ecclesiasticis ordinibus et canonum promulgata sunt disciplinis, ita a vestra dilectione custodiri debere mandamus, ut si quis in illa commiserit, veniam sibi deinceps noverit denegari. Dat. VII. Kal. April. Ravennae Data sexto idus Octobris, Maximo iterum et Paterio viris clarissimis consulibus. Strafformel Subscriptio Eschatokoll Datierung Beide Briefe betonen im Prooemium die innere Betroffenheit der Verfasser an den jeweiligen Missständen, die zum disziplinären Eingreifen veranlassen (ad sanandum primae perturbationis errorem bzw. ita non levi nos maerore contristat, quoties [.. .]). Die Schilderung des Gegenstandes (causa), der zur Klage Anlass gibt, folgt: Im kaiserlichen Schreiben ist es der Umstand, dass der Diakon Eulalius trotz Verbots erneut in Rom aufgetreten ist, im Brief des römischen Bischofs ist es das Wissen darum, dass Personen ohne Überprüfung ihrer Abstammung und ihres Lebenswandels in den Klerus gelangen. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 56 Christian Hornung In beiden Schreiben schließt sich hieran der dispositive Teil an: Eulalius ist aus der Stadt zu weisen, und alle, die mit ihm in Kontakt stehen, sind mit Strafe zu belegen. Für Klerikerkandidaten soll gelten, dass sie an keinen anderen, d. h. weltlichen Herrn gebunden sein dürfen. Der Anschluss der Bestimmungen an die Narratio erfolgt sprachlich mit unde bzw. itaque 286. Die Normen selbst werden mit einem übergeordneten Verb des Beschließens oder Festsetzens eingeleitet (censemus, volumus) und stehen im AcI (hoc nos statuisse) oder im jussiven Konjunktiv (ab his itaque, fratres charissimi, omnes provinciae vestrae abstineant sacerdotes); bisweilen sind beide Konstruktionen auch miteinander verbunden ([scil. clericus] pari se sciat sententia esse damnandum). Im Brief Leos beschließt das eigentliche Briefcorpus eine Strafformel: Die neu ergangenen Bestimmungen sind ebenso wie die der Vorgänger zu befolgen, Gnade bei einem Normverstoß wird ausgeschlossen. Im kaiserlichen Brief ist der Strafformel noch ein Publikationsbefehl vorgelagert: Per omnes vero titulos vel loca, quae conventu celebri frequentantur, haec quae statuimus proponentur. Das Schreiben des römischen Bischofs zeigt im direkten Vergleich mit dem kaiserlichen eine große Ähnlichkeit. Sein Aufbau und seine Sprache sind ebenso formelhaft: Die Anrede des Adressaten ist abstrakt (vestra dilectio), und der Verfasser verwendet zur Selbstbezeichnung die 1. Pers. Pl. (Pluralis maiestatis), ganz so, wie es für die zeitgenössischen kaiserlichen Konstitutionen charakteristisch ist. Auch wenn das Schreiben Leos einer gänzlich anderen Thematik entstammt, durch die Adressierung an mehrere Bischöfe auf eine breite Rezeption angelegt und von einer spezifisch christlichen Metaphorik (etwa die Kirche als Leib) bestimmt ist, lässt sich eine Parallelität des Aufbaus nachweisen: Die Schreiben der römischen Bischöfe sind am Formular kaiserlicher Konstitutionen orientiert. Die folgende Übersicht macht auf weitere Beziehungen aufmerksam. Vgl. zu Konjunktionen am Beginn der Narratio auch Pferschy, Variae 75. 286 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts Schema einer spätantiken kaiserlichen Konstitution Protokoll 57 Phrasen und Signalwörter Kaiserliche Konstitutionen Römisch-bischöfliche Schreiben Intitulatio Inscriptio Coll. Mos. 6,4,1 (2,2, 351 Seckel/Kuebler): dissimulari ea [. . .] non oportere credimus Sir. ep. 1,1 (PL 13, 1132): Non est nobis dissimulare, non est tacere libertas, [. . .]. Sir. ep. 6,1 (PL 13, 1164): Et cui omnium ecclesiarum cura est, si dissimulem, audiam Domino dicente: [. . .]. Leo M. ep. 118,1 (PL 54, 1039): congruum fuit [. . .] non tacere Coll. Mos. 6,4,1 (2,2, 351 Seckel /Kuebler): Ita enim et ipsos immortales deos Romano nomini [. . .] faventes atque placatos futuros esse non dubium est, si cunctos sub imperio nostro agentes piam religiosamque quietem castam in omnibus more maiorum colere perspexerint vitam. Text Prooemium Damas. ep. 1 (ZNW 35, 19 Schwartz): Confidimus quidem, Sanctitatem vestram Apostolorum instructione fundatam, eam tenere fidem, eamque plebibus intimare, quae a maiorum institutis nulla ratione dissentiat. Sir. ep. 5 (CCL 149, 60 Munier): statuta maiorum Innoc. ep. 2,1 (PL 20, 470): ea [. . .] ab omnibus observari cupiamus, quae tamen apostolica et patrum traditione sunt constituta. Innoc. ep. 25,1 (PL 20, 551f): Si instituta ecclesiastica, ut sunt a beatis Apostolis tradita, integra vellent servare Domini sacerdotes, Const. ep. = Eus. vit. Const. 3,52 nulla diversitas, nulla varietas in (GCS Eus. 1, 99 Heikel): t oøyn ipsis ordinibus et consecrationibus Þstin, adelvo prosvilstatoi, ço haberetur. tf̀n ymetran parelhn agunoian f proeirfmnf di tf̀n prc t Sir. ep. 7,2 (PL 13, 1168): O inheion eylbeian oyu o6a te ggofelix audacia! O desperatae mentis nen aposiwpÇsai. astutia! Collect. Avell. 13,1 (CSEL 35,1, 54 Guenther): Nostra praecepta per vestram neglegentiam destituta quae tandem poterit ferre patientia? Coelest. ep. 5,1 (PL 50, 436): Quae enim a nobis res digna servabitur, si decretalium norma constitutorum pro aliquorum libito, licentia populis permissa, frangatur? C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Christian Hornung 58 Schema einer spätantiken kaiserlichen Konstitution Phrasen und Signalwörter Kaiserliche Konstitutionen Römisch-bischöfliche Schreiben Collect. Avell. 31,1 (CSEL 35,1, Innoc. ep. 7,1 (PL 20, 501): 76 Guenther): ad sanandum Quam quidem rem sola patientiae primae perturbationis errorem consolatio sanare potest. Leo M. ep. 10,2 (PL 54, 629): [. . .] et Deo nostro per boni operis ministerium, remotis perturbationum scandalis, placeamus. Prooemium Collect. Avell. 31,2 (CSEL 35,1, Damas. ep. 3 (PL 13, 356): 77 Guenther): Aequo animo [. . .] breviter indicaveram, me dissimulare non possumus in articulo iam profectionis eius aliqua ex parte commotum. Damas. ep. 5 (16 Silva-Tarouca): Decursis litteris dilectionis vestrae [. . .] satis sum contristatus. Leo M. ep. 168,1 (PL 54, 1209f): Magna indignatione commoveor et multo dolore contristor, [. . .]. Text Collect. Avell. 3,1 (CSEL 35,1, 47 Guenther): detulisti Sir. ep. 1,2,3 (PL 13, 1134): ut asseris Collect. Avell. 9,1 (CSEL 35,1, Zosim. ep. 14 (PL 20, 679): Ex 50 Guenther): ut tua prudentia relatione fratris nostri Archidami presbyteri, qualiter suscepti sitis vel scripsit quid egeritis, cognovimus. Narratio Collect. Avell. 13,4 (CSEL 35,1, Bonif. ep. 15,2 (PL 20, 779): 55 Guenther): audivimus Certo enim cognovimus indice apud Corinthum [. . .] synodum congregandam super eius discutiendo statu, [. . .]. Const. Sirm. 14 vJ. 409 (1,2, 918 Leo M. ep. 13, 3 (PL 54, 665): Et Mommsen) = Cod. Theod. 16, quia memorati fratris nostri sollicita relatione cognovimus [. . .]. 2, 31: comperimus Coll. Mos. 6,4,3 (2,2, 352 Seckel/Kuebler): volumus Dispositio Sir. ep. 1,2,3 (PL 13, 1135): ita infantibus [. . .] omni volumus celeritate succurri. Zosim. ep. 15,7 (PL 20, 783); Coelest. ep. 3 (PL 50, 429); 22,8 (PL 50, 543) Coll. Mos. 6,4,1 (2,2, 352 Damas. ep. 3 (PL 13, 357): Seckel/Kuebler): ita tamen, ut Quicumque huic epistolae subscribere voluerit, ita tamen ut in eccle- C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts Schema einer spätantiken kaiserlichen Konstitution 59 Phrasen und Signalwörter Kaiserliche Konstitutionen Römisch-bischöfliche Schreiben siasticis canonibus, quos optime nosti, et in Nicaena fide ante subscripserit, hunc debebis absque aliqua ambiguitate suscipere Coll. Mos. 6,4,1 (2,2, 352 Seckel/Kuebler): ita tamen fiet, ut Sir. ep. 10,4,12 (38 Duval): In lege[m] veteris testamenti scriptum est ad suscitandum semen defuncti fratris oportere ducere uxorem, ita tamen si liberos ex eadem minime reliquisset. Collect. Avell. 7,2 (CSEL 35,1, 49 Guenther): Itaque quoniam animadversionum occasionibus non favemus, [. . .]. Sir. ep. 1,11,13 (PL 13, 1142): Quicumque itaque se ecclesiae vovit obsequiis a sua infantia, ante pubertatis annos baptizari, et lectorum debet ministerio sociari. Coelest. ep. 5,2 (PL 50, 436f): Talibus itaque, fratres charissimi, qui iuris nostri, id est, canonum gubernacula custodimus, necesse est obviemus. Text Dispositio Collect. Avell. 13,11 (CSEL 35,1, 57 Guenther): Volumus autem, ut [. . .]; Const. Sirm. 16 vJ. 408 (1,2, 921 Mommsen) = Cod. Theod. 5,7,2 Leo M. ep. 6, 2 (PL 54, 617) Collect. Avell. 15, 3 (CSEL 35, 1, 61 Guenther): censemus Sir. ep. 1,5,6 (PL 13, 1137); Innoc. ep. 30,6 = Aug. ep. 182, 6 (CSEL 44, 721 Goldbacher); Bonif. ep. 13,4 (PL 20, 777) Collect. Avell. 15,4 (CSEL 35,1, Innoc. ep. 30,6 = Aug. ep. 182, 6 61 Guenther): praecipimus (CSEL 44, 721 Goldbacher); Leo M. ep. 2,2 (PL 54, 598); 18 (PL 54, 708) Collect. Avell. 31,3 (CSEL 35,1, Leo M. ep. 10,9 (PL 54, 636) 77 Guenther): Unde sublimitas tua hoc nos statuisse cognoscat, ut [. . .]. Collect. Avell. 31,5 (CSEL 35,1, Sir. ep. 1,8,12 (PL 13, 1142); 77 Guenther): decernimus; Leo M. ep. 4,3 (PL 54, 613); 17 Const. Sirm. 14 vJ. 409 (1,2, 919 (PL 54, 705) Mommsen) = Cod. Theod. 16,2,31 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Christian Hornung 60 Schema einer spätantiken kaiserlichen Konstitution Phrasen und Signalwörter Kaiserliche Konstitutionen Römisch-bischöfliche Schreiben Collect. Avell. 31,6 (CSEL 35,1, Leo M. ep. 5, 2 (PL 54, 615); 78 Guenther): admonemus 168, 1 (PL 54, 1210) Dispositio Const. Sirm. 14 vJ. 409 (1,2, 918 Sir. ep. 1,3,4 (PL 13, 1136); InMommsen) = Cod. Theod. 16, noc. ep. 30,6 = Aug. ep. 182, 7 2, 31: iubemus (CSEL 44, 722 Goldbacher) Coll. Mos. 6,4,7 (2,2, 353 Seckel/Kuebler): Quare hoc edicto nostro volumus omnibus palam fieri, quod [. . .]. Sir. ep. 1,15,20 (PL 13, 1146): [. . .] ea, quae ad te speciali nomine generaliter scripta sunt, per unanimitatis tuae sollicitudinem, in universorum fratrum nostrorum notitiam perferantur Innoc. ep. 24,3,4 (PL 20, 551) Publikationsbefehl Collect. Avell. 31,7 (CSEL 35,1, 78 Guenther): Per omnes vero titulos vel loca, quae conventu celebri frequentantur, haec quae statuimus proponentur, ut [. . .]. Bonif. ep. 3,2 (PL 20, 758): Nos autem per omnes provincias litteras dirigimus, ne excusationem sibi ignorationis sibi obtendat, [. . .]. Const. Sirm. 12 vJ. 407 (1,2, 917 Sixt. ep. 1,6 (PL 50, 587): Haec vero ad vicinorum fratrum notiMommsen) = Cod. Theod. tiam volo mitti per pietatem tuam, 16,5,43. ut [. . .]. Const. Sirm. 16 vJ. 408 (1,2, 921 Mommsen) = Cod. Theod. 5,7,2: [. . .], inlustris magnificentia tua legis tenorem litteris suis edictisque propositis ad omnium iudicum et provincialium notitiam faciet pervenire. Leo M. ep. 166,2 (PL 54, 1194): Quam rem, frater charissime, ideo generaliter ad omnium vestrum volumus pervenire notitiam, [. . .]. Coll. Mos. 6,4,8 (2,2, 353 Seckel/Kuebler): Si qua autem contra Romani nominis decus [. . .] deprehendentur admissa, digna severitate plectenur. Sir. ep. 1,1,2 (PL 13, 1134): A quo tramite vos quoque posthac minime convenit deviare, si non vultis a nostro collegio synodali sententia separari. Sir. ep. 1,7,11 (PL 13, 1140). Strafformel Zosim. ep. 6,2 (PL 20, 668): Si contra haec, frater charissime, quae a nobis sunt sub Dei iudicio statuta, tentaveris: non solum quos faciendos credideris, episcopatum obtinere non possint, sed etiam ipse catholica communione discretus, sero de illicitis praesumptionibus ingemiscas. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts Schema einer spätantiken kaiserlichen Konstitution 61 Phrasen und Signalwörter Kaiserliche Konstitutionen Römisch-bischöfliche Schreiben Bonif. ep. 15,9 (PL 20, 784): Sibi certe huius praesumptionis auctores imputabunt in posterum, cum se viderint apostolicae charitatis extorres. Coelest. ep. 3 (PL 50, 429): Sed hac praeceptione cognoscent, et eum qui refragandum nostrae auctoritati vel illius crediderit iussioni, a fraternitatis coetu, cum ipse se separet, segregandum. Strafformel Eschatokoll Subscriptio Datierung IV. Merkmale des römisch-bischöflichen Briefstils und der kaiserlichen Rechtssprache IV.1. Der Befund in den Briefen römischer Bischöfe IV.1.1. Anredeformen Die Briefe der Bischöfe Roms richten sich im innerkirchlichen Austausch an verschiedene Kollegen des Westens oder des Ostens287, und dort, wo die römischen Bischöfe ab dem fünften Jahrhundert auch häufiger gegenüber den Kaisern als Repräsentanten der Kirche auftreten, an die weltlichen Herrscher. Auch sie werden somit zu Adressaten der Briefe, was zu einer Differenzierung in der Titulatur führt. Zunächst zum innerkirchlichen Briefwechsel: Als abstrakte Substantive gebrauchen die römischen Bischöfe für die Anrede ihrer Amtskollegen charitas, fraternitas, gravitas, pietas, sanctitudo und sinceritas. Sie sind zumeist durch ein Possesivpronomen der 2. Pers. Sgl. oder, wo die Adressaten mehrere sind, der 2. Pers. Pl. näher bestimmt: charitas tua288/vestra289, fraternitas tua290/vestra291, gravitas tua292, pietas tua293, sanctitudo vestra294 und sinceritas tua295/vestra296. Zu diesen Grundformen können verschiedene Vgl. für die griechischen Anredeformen Dinneen, Titles. 288 Vgl. Sir. ep. 1,7,8 (PL 13, 1138); 4 (PL 13, 1149); Innoc. ep. 1 (PL 20, 465); Bonif. ep. 4,2 (PL 20, 760); 5,4 (PL 20, 763); 13,1 (PL 20, 775); Coelest. ep. 11,1 (PL 50, 459); Leo M. ep. 9 (PL 54, 624); 14,1 (PL 54, 671); 72 (PL 54, 897); 113,2 (PL 54, 1026); 159,1 (PL 54, 1036) u. ö. 289 Vgl. Lib. ep.: Optissimum nobis: PL 8, 1383; Damas. ep. 1 (ZNW 35, 20 Schwartz); Innoc. ep. 7,1 (PL 20, 501f); 30,2 = Aug. ep. 182,3(CSEL 44, 717 Goldbacher); 31,5 = Aug. ep. 183,5 (CSEL 44, 729 Goldbacher); Zosim. ep. 2,8 (PL 20, 653f); Bonif. ep. 15,6 (PL 20, 783); Coelest. ep. 17,1 (PL 50, 503); 25,2 (PL 50, 549f); Leo M. ep. 59,2 (PL 54, 868) u. ö. 287 Vgl. Sir. ep. 1,1 (PL 13, 1132); 1,15,20 (PL 13, 1146); Innoc. ep. 13,1 (PL 20, 516); 19,1 (PL 20, 540); Zosim. ep. 2,2 (PL 20, 650); Bonif. ep. 4,2 (PL 20, 760); 5 (PL 20, 761); Coelest. ep. 11,1 (PL 50, 459); Leo M. ep. 1,2 (PL 54, 594) u. ö. 291 Vgl. Felix II ep.: PL 13, 28; Innoc. ep. 31,1 = Aug. ep. 183,1 (CSEL 44, 724 Goldbacher); Bonif. ep. 15,4 (PL 20, 781); Coelest. ep. 5,1 (PL 50, 437); Leo M. ep. 10,2 (PL 54, 629f); 13,4 (PL 54, 666) u. ö. 292 Vgl. Innoc. ep. 13,2 (PL 20, 515); 24,3 (PL 20, 551). 293 Vgl. Coelest. ep. 8,1f (PL 50, 447/9); Sixt. ep. 1,1 (PL 50, 583). 294 Vgl. Sir. ep. 10,2 (VigChr Suppl. 73, 26 Duval). 295 Vgl. Innoc. ep. 13,2 (PL 20, 516). 296 Vgl. Sir. ep. 6,1,2 (PL 13, 1164); 7,1 (PL 13, 1168). 290 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 62 Christian Hornung Erweiterungen treten, bei denen die Anreden durch Substantive oder Adjektive ergänzt sind: Damas. ep. 1 (ZNW 35, 20 Schwartz): vestrae sententia charitatis Innoc. ep. 26, 1 (PL 20, 565): sanctae charitati tuae Zosim. ep. 2, 2 (PL 20, 650): fraternitatis vestrae de adventu ac discussione Coelest. ep. 11, 1 (PL 50, 459): ad tuae fraternitatis scripta Sehr häufig nennt der Römer den Adressaten, sofern er Bischof ist, auch frater297. Geradezu grundsätzlich ist frater zudem ergänzt durch Adjektive im Superlativ: etwa frater charissime oder frater dilectissime298. Ist hingegen ein untergeordneter Kleriker Adressat des Schreibens, dann kann filius als Anrede dienen. So spricht beispielsweise Innozenz Hieronymus in einem Schreiben mit fili dilectissime299 an ebenso wie Leo der Große den Presbyter Eutyches300. – Weitere ehrende Adjektive sind in der Anrede der Adressaten zahlreich belegt; hier überwiegt der Superlativ gegenüber der Grundform. Zu nennen sind amantissimus301, beatissimus302, carissimus303, dilectissimus304 und optimus305, die sowohl attributiv zu einem Substantiv treten als auch absolut stehen können. Soweit zur innerkirchlichen Anrede der Amtskollegen des römischen Bischofs. Schreibt dieser nun an den Kaiser, so verwendet er weitgehend andere Titulaturen: Er nennt ihn clementia vestra306, mansuetudo vestra307, pietas vestra308 und serenitas vestra309, während etwa die in der innerkirchlichen Korrespondenz so beliebte charitas ebenso wie fraternitas und sanctitudo, wohl um die hierarchische Stellung unter dem Kaiser zu betonen, zurücktreten. Auffallend ist die grundsätzliche Anrede der Herrscher in der 2. Pers. Pl., wohingegen die Bischöfe in der 2. Pers. Sgl. angesprochen werden310. In einigen Schreiben römischer Bischöfe finden sich Selbstbezeichnungen durch abstrakte Substantive. Hierbei wird auf eine Terminologie zurückgegriffen, die von den Anreden an bischöfliche Kollegen und die Kaiser bekannt ist. Oftmals ist die Aus- Vgl. Schelkle, Bruder 639f. Vgl. Lib. ep.: Me frater carissime 1,1 (CCL 9, 121 Bulhart): frater carissime; 5: Sciebam domine frater 1,1 (CCL 9, 122 Bulhart): domine frater charissime; Damas. ep. 3 (PL 13, 356): dilectissime frater; Sir. ep. 1,15,20 (PL 13, 1146): frater charissime; 4 (PL 13, 1148f): frater charissime; Anast. ep. 1 (PL 20, 73): frater charissime; 2,3 (PL 20, 76); Innoc. ep. 1 (PL 20, 465); 6 (PL 20, 495); 12 (PL 20, 513); 20 (PL 20, 543); Zosim. ep. 6,2 (PL 20, 668); 10 (PL 20, 674); Bonif. ep. 12,2 (PL 20, 773); 13,1 (PL 20, 775); Coelest. ep. 11,1 (PL 50, 461); 13,11 (PL 50, 483); Sixt. ep. 1,1 (PL 50, 583): dilectissime frater; 7,1 (PL 50, 610); Leo M. ep. 6, 3 (PL 54, 618); 23,2 (PL 54, 733); 36 (PL 54, 810) u. ö. 299 Innoc. ep. 34 (PL 20, 600). 300 Leo M. ep. 20 (PL 54, 713). 301 Vgl. PsDamas. ep. 5 (PL 13, 440): frater amantissime et in Christo semper sacerdos; Innoc. ep. 10 (PL 20, 512): amantissimi. 302 Vgl. Damas. ep. 3 (PL 13, 353): beatissimi. 303 Vgl. Lib. ep.: Me frater carissime 1,1 (CCL 9, 121 Bulhart); Innoc. ep. 3,6,9 (PL 20, 492): fratres carissimi. 297 298 Vgl. Jul. ep.: PL 8, 908; Lib. ep.: Non doceo: 13, 1371; Felix II ep.: PL 13, 18; Damas. ep. 2 (ZNW 35, 21 Schwartz); 3 (PL 13, 356); Sir. ep. 5 (PL 13, 1156); 7,3 (PL 13, 1168); Innoc. ep. 3 (PL 20, 486); 13,3 (PL 20, 516); 15 (PL 20, 519); Zosim. ep. 3,2 (PL 20, 655); Bonif. ep. 13 (PL 20, 774); 15,1 (PL 20, 779); Coelest. ep. 3 (PL 50, 427); 14 (PL 50, 485); 21 (PL 50, 528); Sixt. ep. 1, 1 (PL 50, 583); 7 (PL 50, 610); Leo M. ep. 6 (PL 54, 617); 14, 11 (PL 54, 675); 59,5 (PL 54, 872) u. ö. 305 Vgl. Innoc. ep. 1 (PL 20, 465): viro optimo atque in Deo semper fideliter laboranti; 13,3 (PL 20, 516). 306 Vgl. Bonif. ep. 1,3 (PL 20, 751); Leo M. ep. 29 (PL 54, 781); 82,1 (PL 54, 917). 307 Vgl. Coelest. ep. 19,1 (PL 50, 511); Leo M. ep. 43 (PL 54, 823); 45,1 (PL 54, 833) u. ö. 308 Vgl. Bonif. ep. 1,3 (PL 20, 751); Coelest. ep. 19,1. 3 (PL 50, 511f); Leo M. ep. 24,1 (PL 54, 736); 45,1 (PL 54, 833); 82,1 (PL 54, 917). 309 Vgl. Leo M. ep. 156,3 (PL 54, 1130). 310 Vgl. jedoch Bonif. ep. 7 (PL 20, 767): Wechsel von mansuetudo vestra und mansuetudo tua innerhalb eines Schreibens. 304 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 63 drucksweise distanziert und spricht von der auctoritas311 oder der pietas312 der sedes apostolica, die eine Entscheidung treffe und von der kirchlichen Gemeinschaft ausschließe313. An anderen Stellen spricht der Römer auch selbstbewusst von der auctoritas nostra314. Abschließend ist auf die Anredeformen und Titulaturen für den römischen Bischof einzugehen, die von Kollegen und Kaisern verwendet werden. Von ihnen haben sich nur vereinzelt Anschreiben erhalten. Die Anreden stimmen zunächst mit bereits beschriebenen überein. So finden sich beatitudo und sanctimonia, die teils durch ein Possessivpronomen der 2. Pers. Sgl.315, teils durch eines der 2. Pers. Pl.316 ergänzt sind. Unter den Titulaturen, die exklusiv dem römischen Bischof vorbehalten bleiben und seine Funktion oder auch ihn als Amtsinhaber bezeichnen, sind u. a. apostolatus317, corona318, dominus319, reverentia320 und auch papa321 zu nennen, wobei papa außerhalb der römischen Schreiben auch auf andere Bischöfe bezogen wird322. Festzustellen ist allerdings, dass die Römer keinen ihrer Vgl. Sir. ep. 1,7,11 (PL 13, 1140): [. . .] noverint se ab omni ecclesiastico honore [. . .] apostolicae sedis auctoritate deiectos; Innoc. ep. 30,6 = Aug. ep. 182, 6 (CSEL 44, 721 Goldbacher): ecclesiastica communione privari apostolici vigoris auctoritate censemus; Sixt. ep. 7 (PL 50, 610); 10 (PL 50, 618): sedis apostolicae decrevit auctoritas; Leo M. ep. 1,2 (PL 54, 594) u. ö. 312 Vgl. Leo M. ep. 12,5 (PL 54, 661): Cogimur secundum sedis apostolicae pietatem. 313 Vgl. zur Anrede sedes apostolica Batiffol, Papa 103/11; Marot, Collégialité 42/8. 314 Vgl. Bonif. ep. 12,2 (PL 20, 773); 15,9 (PL 20, 784); Leo M. ep. 23,2 (PL 54, 733); 81 (PL 54, 916): [. . .], cum tibi ad hoc et tuus animus et nostra auctoritas suffragetur. 315 Vgl. für beatitudo tua: Brief fünf nordafrikan. Bischöfe an Innozenz = Aug. ep. 177, 19 (CSEL 44, 688 Goldbacher); Brief Augustins an Innozenz = Innoc. ep. 42,2 (PL 20, 608); Brief Augustins an Bonifatius = Bonif. ep. 6,1 (PL 20, 764); Brief des Kaisers Honorius an Bonifatius = Bonif. ep. 8 (PL 20, 768); Brief Augustins an Coelestin = Aug. ep. 209, 1 (CSEL 57, 347 Goldbacher); Brief an Coelestin = Aug. ep. 209, 10 (CSEL 57, 352 Goldbacher); Brief des Kaisers Marcian an Leo = Leo M. ep. 76 (PL 54, 903); Brief der Pulcheria Augusta an Leo = Leo M. ep. 77 (PL 54, 905); ferner für sanctimonia tua: Brief fünf nordafrikan. Bischöfe an Innozenz = Aug. ep. 177, 15 (CSEL 44, 683 Goldbacher); Brief des Kaisers Honorius an Bonifatius = Bonif. ep. 8 (PL 20, 768); Brief an Coelestin = Aug. ep. 209, 6 (CSEL 57, 350 Goldbacher); Brief des Kaisers Marcian an Leo = Leo M. ep. 100,1 (PL 54, 971). 316 Vgl. für beatitudo vestra: Brief des Athanasius von Alexandrien an Felix II: Felix II ep.: PL 13,11; Brief des Bischofs Paschasinus von Lilybäum an Leo = Leo M. ep. 3,1 (PL 54, 606); ferner für sanctimonia vestra: Brief von Bischöfen des Metropolitanbereichs von Arles an Leo = Leo M. ep. 65,4 (PL 54, 883). 317 Vgl. für apostolatus tuus: Brief des Kaisers Honorius an Bonifatius = Bonif. ep. 8 (PL 20, 768); für 311 apostolatus vester: Brief des Athanasius von Alexandrien an Felix II: Felix II ep.: PL 13, 11; Brief des Bischofs Paschasinus von Lilybäum an Leo = Leo M. ep. 3,1 (PL 54, 606f); Brief von Bischöfen des Metropolitanbereichs von Arles an Leo = Leo M. ep. 65,1 (PL 54, 879f); Batiffol, Papa 112/6; ferner Marot, Collégialité 55/60. 318 Vgl. für corona vestra: Brief des Bischofs Paschasinus von Lilybäum an Leo = Leo M. ep. 3,1 (PL 54, 606); Brief von Bischöfen des Metropolitanbereichs von Arles an Leo = Leo M. ep. 65,1 (PL 54, 879f); Brief gallischer Bischöfe an Leo = Leo M. ep. 68,2 (PL 54, 889). 319 Vgl. Innoc. ep. 26,1. 6 (PL 20, 565. 568); 27,3 (PL 20, 571); Bonif. ep. 2,1 (PL 20, 753); Coelest. ep. 2,1 (PL 50, 424); Leo M. ep. 3,1 (PL 54, 606); 68,1 (PL 54, 889): domine sancte, beatissime pater, et apostolica sede dignissime papa. 320 Vgl. für reverentia vestra: Synodalbrief des Konzils von Ephesus vJ. 431 an Coelestin = Coelest. ep. 20,1 (PL 50, 513); für reverentia tua: Synodalbrief des Konzils von Ephesus vJ. 431 an Coelest. = Coelest. ep. 20,4 (PL 50, 519); Brief des Bischofs Flavian von Kpel an Leo = Leo M. ep. 22,4 (PL 54, 727); Brief der Pulcheria Augusta an Leo = Leo M. ep. 77 (PL 54, 907). 321 Vgl. Brief der Kaiser Valens und Ursacius an Julius = Jul. ep.: PL 8, 911; Brief römischer Presbyter an Kaiser Honorius = Bonif. ep. 1 (PL 20, 750); Brief Augustins an Bonifatius = Bonif. ep. 6,1 (PL 20, 764); Brief an Coelestin = Aug. ep. 209 (CSEL 57, 347 Goldbacher); Brief des Bischofs Paschasinus von Lilybäum an Leo = Leo M. ep. 3,1. 3 (PL 54, 606. 609). 322 Vgl. Faust. Rei. grat. prol. (CSEL 21, 3 Engelbrecht) an Bischof Leontius von Arelate; Sidon. ep. 9,3 (MG AA 8, 151 Krusch) an Faustus sowie Lumpe, Bedeutung 25/7; D. Krömer, Art. papa: ThesLL 10, 1, 1 (1982/2010) 245f. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 64 Christian Hornung Amtsbrüder mit papa bezeichnen und der Titel somit im berücksichtigten Corpus auf den römischen Bischof beschränkt bleibt323. Auch bei den mehr exklusiven Bezeichnungen für die römischen Bischöfe wechseln die Anreden in der 2. Pers. Sgl. und der 2. Pers. Pl., bisweilen sogar im selben Brief324. Dies deutet darauf hin, dass sich ›ihr‹ bzw. ›euer‹ noch nicht titulär durchgesetzt hat. Zudem ist der Wechsel der oftmals synonymen Anreden dem Bestreben zuzurechnen, Wiederholungen zu vermeiden. Diesem Ziel dienen wohl auch die neben den abstrakten Substantiven zahlreich verwendeten Adjektive: amantissimus325, beatissimus326, dignissimus327 und sanctissimus328: Brief des Flavian von Kpel an Leo = Leo M. ep. 27,1 (PL 54, 749): Deo amantissime Synodalbrief des Konzils von Mileve vJ. 416 an Innoc. = Aug. ep. 182, 6 (CSEL 44, 662 Goldbacher): Domine beatissime papa Brief gallischer Bischöfe an Leo = Leo M. ep. 68 (PL 54, 887f): Beatissimo patri et apostolica sede dignissino papae Leoni Brief des Athanasius von Alexandrien an Felix II = Felix II ep.: PL 13, 16: Doctor sanctissime. IV.1.2. Die Verwendung des Pluralis maiestatis Seit Damasus lässt sich in den römisch-bischöflichen Schreiben die Verwendung des Pluralis maiestatis vermehrt beobachten. Während Ambrosius und Augustinus ihre Schreiben grundsätzlich in der 1. Pers. Sgl. verfassen329, gebraucht der Römer die 1. Pers. Pl. nicht nur in Synodalbriefen330, bei denen sie sich aus der angenommenen Verfasserschaft aller versammelten Bischöfe erklärt (soziativer Plural), sondern auch in Schreiben, die von ihm in eigener Person in andere Provinzen versendet werden. An Paulinus von Antiochien schickt er iJ. 376 ein Glaubensbekenntnis (fidem misimus331) und fordert dazu auf, es denen, die sich von der Häresie bekehren, zur Auf- Batiffol nimmt eine tituläre Ausprägung von papa erst im 6. Jh. an; vgl. ders., Papa 99/103. 324 Vgl. Synodalbrief des Konzils von Ephesus vJ. 431 an Coelestin = Coelest. ep. 20,1. 4 (PL 50, 513. 519): Wechsel von reverentia tua und reverentia vestra in der Anrede des römischen Bischofs. 325 Vgl. Brief des Flavian von Kpel an Leo = Leo M. ep. 22,4 (PL 54, 727). 326 Vgl. Brief des Athanasius von Alexandrien an Felix II = Felix II ep.: PL 13, 11; Synodalbrief des Konzils von Karthago vJ. 416 an Innozenz = Aug. ep. 175 (CSEL 44, 652 Goldbacher); Brief fünf nordafrikan. Bischöfe an Innozenz = Aug. ep. 177 (CSEL 44, 669 Goldbacher); Brief Augustins an Bonifatius = Bonif. ep. 6,1 (PL 20, 764); Brief an Coelestin = Aug. ep. 209 (CSEL 57, 347 Goldbacher); Brief gallischer Bischöfe an Leo = Leo M. ep. 68,1 (PL 54, 887). 323 Vgl. Brief gallischer Bischöfe an Leo = Leo M. ep. 68 (PL 54, 887f). 328 Vgl. Brief des Athanasius an Felix II = Felix II ep.: PL 13, 16: doctor sanctissime; ebd.: PL 13, 17: sanctissime pater; sanctissime pater patrum; Synodalbrief des Konzils von Ephesus vJ. 431 an Coelestin = Coelest. ep. 20 (PL 50, 511); Brief des Flavian von Kpel an Leo = Leo M. ep. 22 (PL 54, 723); Brief des Flavian von Kpel an Leo = Leo M. ep. 26 (PL 54, 747); Brief des Anatolius von Kpel an Leo = Leo M. ep. 132 (PL 54, 1082). 329 Vgl. Sasse, Numero 66f sowie zum augustinischen Briefcorpus Löhr, Briefsammlung. 330 Vgl. Damas. ep. 1 (ZNW 35, 19 Schwartz): Confidimus quidem sanctitatem vestram [. . .] eam tenere fidem; ex Gallorum atque Venetensium fratrum relatione comperimus [. . .]; 4 (285 Turner): Anathematizamus eos qui [. . .] u. ö. 331 Damas. ep. 3 (PL 13, 356). 327 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 65 nahme vorzulegen332. Auch in seinem fünften Brief an Acholius und andere mazedonische Bischöfe, in dem sich Damasus besorgt über die Bischofsweihe des Kynikers Maximus zeigt333, erscheint die 1. Pers. Pl. in der Selbstbezeichnung: Qui igitur is fuerit ardor animi, quam foeda praesumptio, scire non possumus334. Gleichwohl auffallend ist bei den zitierten Schreiben des Damasus, dass die 1. Pers. Pl. und Sgl. unvermittelt wechseln. Den Brief an Acholius beginnt Damasus in der 1. Pers. Sgl.: satis contristatus sum335 und an Paulinus heißt es zur Charakterisierung der Informationsübermittlung: [.. .] per Petronium presbyterum breviter indicaveram336. Auch wenn somit Singular und Plural noch changieren, begegnet bei Damasus bereits die 1. Pers. Pl. zur Selbstbezeichnung, ein Befund, der ihn von seinem Vorgänger Liberius unterscheidet. Denn bei ihm ist es noch üblich, Schreiben in der 1. Pers. Sgl. zu verfassen337 und etwa auch Kaiser Constantius II in der 2. Pers. Sgl. anzureden338. In der ersten Dekretale des Siricius ist die 1. Pers. Pl. vorherrschend. Die Prädikate lauten ausnahmslos: quam cum [.. .] legeremus, successimus, negamus, portamus339 usw. Trotz des eindeutigen Befunds für das erste Schreiben des Siricius wechseln Singular und Plural in den weiteren Schreiben zahlreich, sowohl in Synodalbriefen340 als auch in Schreiben, die nur Siricius zum Absender haben341. Bei dem Nachfolger, Anastasius, lässt sich eine Tendenz beobachten, die auf eine systematischere Differenzierung und Verwendung der Numeri hindeutet: Denn Anastasius gebraucht die 1. Pers. Sgl. besonders am Anfang seiner Briefe. An Venerius, Bischof von Mailand (ca. 400–408), schreibt er: Dat mihi plurimum [laetitiae] illud Christi amore f[actum]342, und auch gegenüber Simplicianus verwendet er zunächst den Singular: Conventus litteris memorati convenio sanctitatem tuam343. Besonders im dispositiven Teil, in dem er Anordnungen trifft, wechselt der Numerus dann in den Plural: damnavimus, postulavimus344, admittamus345. Bei Innozenz findet sich diese Entwicklung bestätigt346. In Briefen, in denen der Plural nicht aufgrund der Gemeinschaft von Bischöfen auf einer Synode notwendig ist, wird Damas. ep. 3 (PL 13, 357): Non quod haec ipsa, quae nos scribimus, non potueris convertentium susceptioni proponere, [. . .]. 333 Vgl. Thompson, Correspondence 264/7; Reutter, Damasus 450/4. 334 Damas. ep. 5 (16 Silva-Tarouca). 335 Damas. ep. 5 (16 Silva-Tarouca). 336 Damas. ep. 3 (PL 13, 356). 337 Vgl. Lib. ep.: Me frater carissime 1,1 (CCL 9, 121 Bulhart): Me frater carissime, ad solatium vitae praesentis erigit invicta fides tua; 5: Sciebam domine frater 1,1 (CCL 9, 122 Bulhart): Sciebam, domine frater carissime, quod [. . .]; 6: Quamvis sub imagine 1, 1 (CCL 9, 124 Bulhart): Optaveram enim, fratres devotissimi, [. . .]; 7: Opto tranquilissime (CCL 8, 311 Diercks): Opto tranquilissime imperator, ut [. . .]; daneben jedoch ep. 7: Opto tranquilissime (CCL 8, 312 Diercks): [. . .], quam similiter recitavimus atque insinuavimus episcopis Italis. 338 Vgl. Lib. ep. 7: Opto tranquilissime (CCL 8, 311. 315f Diercks): Clementia tua; Dei omnipotentis clementia te nobis custodiat, clementissime ac religiosissime Auguste; zum historischen Kontext Thompson, Correspondence 190f. 332 Sir. ep. 1,1 (PL 13, 1132f); vgl. jedoch ep. 1,1 (PL 13, 1132f): [. . .] fraternitatis tuae relatio me iam in sede ipsius constitutum [. . .] invenit; 1,1,2 (PL 13, 1133): a venerandae memoriae praedecessore meo Liberio. 340 Vgl. Sir. ep. 5 (CCL 149, 59. 62 Munier): conscientia nostra; qua de re hortor, moneo, rogo. 341 Vgl. Sir. ep. 6,1,3 (PL 13, 1165): dico; nostro iudicio; ep. 6,3,5 (PL 13, 1166): admoneo; convenio sowie Sasse, Numero 58: Cur Siricius singulis locis unum vel alterum numerum elegerit, saepe non intellexi. 342 Anast. ep. 1 (PL Suppl. 1, 791). 343 Anast. ep. 2,2 (CSEL 55, 158 Hilberg). 344 Anast. ep. 2,2 (CSEL 55, 158 Hilberg). 345 Anast. ep. 3 (ACO 1,5, 3 Schwartz). 346 Vgl. Innoc. ep. 3,1 (PL 20, 486): Saepe me et nimia cum tenere cura sollicitum super dissensione et schismate ecclesiarum; 3,4,7 (PL 20, 490f): cognoscimus; dimittamus; comperimus; cupimus; inducemus; 6,1 (PL 20, 495f): pro captu intelligentiae meae; proponam; 6,2,6 (PL 20, 499): videamur; 6,3,8 (PL 20, 499): legimus; habemus; 13,2 (PL 20, 515): me; 13,3 (PL 20, 516): mandamus; iussimus; manifestavimus u. ö.; daneben auch freier Wechsel zwischen Sgl. und Pl. ep. 14 (PL 20, 518): cognoscimus neben exposui atque edixi. 339 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Christian Hornung 66 er besonders zur Einleitung der Bestimmungen gebraucht, während der Singular im Prooemium erscheint und wie ein Relikt der persönlichen Privatbriefe wirkt. Mit Zosimus verstetigt sich der Gebrauch des Pluralis maiestatis347. Neben einzelnen, unmotiviert scheinenden Wechseln des Numerus348 ist die 1. Pers. Pl. weitgehend üblich; das gilt sowohl für die formaleren Antwortbriefe349 als auch für die kürzeren Gemeinschafts- und Begleitbriefe. Die Benennung des römischen Bischofs kann auch hinter die Formulierung sedes apostolica bzw. sedis apostolicae auctoritas zurücktreten350. Bonifatius und Coelestin fügen sich in die aufgezeigte Entwicklung einer immer verbreiteteren Verwendung der 1. Pers. Pl. Besonders ihre Anordnungen werden durch entsprechende Verben des Befehlens und des Bestimmens im Plural eingeleitet: Etwa in einem Schreiben des Bonifatius an gallische Bischöfe und die Bischöfe der sog. sieben Provinzen351, einem weiteren an Rufus vJ. 422352 und auch in Briefen Coelestins, ebenfalls nach Gallien353 oder Süditalien354. Grundsätzlich gilt aber auch zu Beginn des fünften Jahrhunderts, dass der Pluralis maiestatis nicht generell durchgesetzt ist. In den Briefen finden sich weiterhin Stellen, an denen die 1. Pers. Sgl. erscheint, teilweise auch im selben Brief wechselnd. Ein Schreiben an gallische Bischöfe etwa eröffnet Coelestin in der 1. Pers. Pl. (cuperemus; ad nostram [.. .] laetitiam355), als zweite disziplinäre Bestimmung legt er fest, dass niemandem, besonders aber keinem Sterbenden, die Buße versagt werden dürfe; in diesem Abschnitt wechseln 1. Pers. Pl. und Sgl. unmittelbar: Horremus, fateor, tantae impietatis aliquem reperiri, ut de Dei pietate desperet 356. Und wenig später erneut: Quid hoc, rogo, aliud est, quam [. . .]357. Auch bei Bonifatius findet sich Vergleichbares (scrinii nostri monimenta neben putavero358; audio episcoporum quosdam [.. .] novum quidpiam [...] tentare neben admonitionem et correptionem nostram359), was kaum ausreichend mit einer floskelhaften Verwendung von Verbformen360 erklärt werden kann. Zudem gebrauchen beide römischen Bischöfe die 1. Pers. Sgl. in eigenen Schreiben an den Kaiser361, der wiederum in der 2. Pers. Pl. angesprochen wird. Hier ist es der Bescheidenheitstopos, der zum Verzicht Vgl. Sasse, Numero 58. Vgl. Zosim. ep. 2,7f (PL 20, 653): admonui; commoneo; 7,1 (PL 20, 668): meo [. . .] examini. 349 Vgl. Zosim. ep. 3,1f (PL 20, 654): dixerimus; accepimus; 4,2 (PL 20, 662): praetermisso fratre nostro Patroclo; 4,4f (PL 20, 664): agnovimus; iussimus. 350 Vgl. Zosim. ep. 2,1 (PL 20, 649): apostolicae sedis auctoritate; 3,3 (PL 20, 656); 6,1 (PL 20, 667): ab apostolica sede. 351 Bonif. ep. 3,2 (PL 20, 758): Decrevimus vestrum debere intra provinciam esse iudicium. 352 Bonif. ep. 13,4 (PL 20, 777): Maximum [. . .] in totum sacerdotii censemus honore privandum. 353 Coelest. ep. 4,1 (PL 50, 430): [. . .] et quae observanda sunt sanciamus. 347 348 Coelest. ep. 5,2 (PL 50, 437): commonemus; vgl. ep. 6,4 (PL 50, 441): praediximus; 14,8 (PL 50, 497): commendamus; 21,1,2 (PL 50, 530): admonemus. 355 Coelest. ep. 4,1 (PL 50, 430). 356 Coelest. ep. 4,2,3 (PL 50, 432). 357 Coelest. ep. 4,2,3 (PL 50, 432); vgl. ep. 14,1 (PL 50, 485): mihi locuturo neben nos. 358 Bonif. ep. 4,2f (PL 20, 760). 359 Bonif. ep. 14,2f (PL 20, 777f). 360 Etwa fateor oder rogo. 361 Vgl. Bonif. ep. 7 (PL 20, 766) an Kaiser Honorius: ecclesiae meae [. . .] cura; meo quidem sermone; Coelest. ep. 19,2 (PL 50, 512): rogo; per fratres et coepiscopos meos Arcadium et Proiectum; der soziative Plural ist durchaus möglich Coelest. ep. 23,4 (PL 50, 546) an Kaiser Theodosius: obsecramus et poscimus; rogamus pietatem vestram, ut [. . .]. 354 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 67 auf den Plural zwingt. Ein Wechsel der Numeri besteht besonders im Episkopat des Sixtus fort362. Leo der Große zeigt in der Mitte des fünften Jahrhunderts eine Entwicklungsstufe, die Grundlinien erkennen lässt. Bei praecipere363, pati364, iubere365 und decernere366 gebraucht Leo die 1. Pers. Pl., wenn er eigene Bestimmungen gegenüber Mitbischöfen oder anderen Klerikern festzulegen sucht. Ebenso ist im Prooemium und gesamten Urkundentext der Plural weitgehend durchgesetzt367, auch wenn einzelne Abweichungen fortbestehen: So überwiegt in Briefen des römischen Bischofs, die an Kaiser oder Kaiserin gerichtet sind, der Singular in der Eigentitulatur368, und auch in anderen Kontexten kann noch constituimus369 neben constituo370 sowie nostra praesentia371 neben mea praesentia372 stehen. IV.2. Der Befund in den römischen Rechtsquellen und spätantiken Sammlungen IV.2.1. Anredeformen In den kaiserlichen Konstitutionen des vierten und fünften Jahrhunderts findet sich eine Fülle verschiedener Anredeformen373. Um sie zu beschreiben, scheint, wie bei den Schreiben römischer Bischöfe, eine grundsätzliche Differenzierung sinnvoll, die zunächst nach dem Verwender der Anrede kategorisiert, d. h. zwischen Kaiser und Beamten unterscheidet, dann jeweils Titulaturen in der Anrede und der Selbstbezeichnung trennt. Zur Selbstbezeichnung374 verwendet der Kaiser in seinen Schreiben verschiedene abstrakte Substantive375. Zu nennen sind besonders clementia, mansuetudo, numen376, pietas377, serenitas378 oder tranquillitas379. Sie sind regelmäßig mit einem Possesivpronomen Vgl. Sixt. ep. 1,1 (PL 50, 583): nos neben mihi; 2,1 (PL 50, 587): laetatus sum neben nostra ordinatio; 2,2 (PL 50, 589): misi; 5,1. 3 (PL 50, 602f): sed convenit a tristibus nos ad laeta transire neben mihi; 10 (PL 50, 616/8): nur 1. Pers. Pl. 363 Vgl. Leo M. ep. 2,2 (PL 54, 598); 92 (PL 54, 936). 364 Vgl. Leo M. ep. 27 (PL 54, 752); 66,1 (PL 54, 884); 129,3 (PL 54, 1078). 365 Vgl. Leo M. ep. 4,2 (PL 54, 612). 366 Vgl. Leo M. ep. 19,2 (PL 54, 712). 367 Vgl. Sasse, Numero 61. 368 Vgl. Sasse, Numero 60. 369 Vgl. Leo M. ep. 5,4 (PL 54, 616); 19,2 (PL 54, 714); 167,13 (PL 54, 1207). 370 Vgl. Leo M. ep. 162,2 (PL 54, 1145); 168,2 (PL 54, 1211). 371 Vgl. Coelest. ep. 19,1 (PL 50, 511) an Kaiser Theodosius. 372 Vgl. Leo M. ep. 89 (PL 54, 930). 373 Vgl. grundsätzlich Hirschfeld, Rangtitel; Corcoran, Empire 324/6. 374 Vgl. Honig, Humanitas 85/126. 375 Vgl. Hirschfeld, Rangtitel 676. 376 Vgl. Cod. Theod. 1,9,2 vJ. 386 (1,2, 44 Mommsen): Ordinem vero militiae atque stipendia nemo prae362 vertat, etiamsi nostri numinis per obreptionem detulerit indultum. 377 Vgl. Coll. Mos. 6,4,2 (2,2, 351 Seckel/Kuebler): Id enim pietati nostrae maxime placuit, ut [. . .]; Cod. Theod. 15,1,37 vJ. 398 (1,2, 809f Mommsen): Nemo iudicum in id temeritatis erumpat, ut inconsulta pietate nostra novi aliquid operis existimet inchoandum vel ex diversis operibus aeramen aut marmora vel quamlibet speciem, quae fuisse in usu vel ornatu probabitur civitatis, eripere vel alio transferre sine iussu tuae sublimitatis audeat. Etenim si quis contra fecerit, tribus libris auri multabitur. 378 Vgl. Ulp. Coll. 15,3,4 (2,2, 382 Seckel/Kuebler): De quibus sollertia tua serenitati nostrae rettulit; Collect. Avell. 3,1 (CSEL 35,1, 47 Guenther): [. . .] et omnem situm locorumque faciem sermonis congrui diligentia nostrae serenitatis auribus intimasti; 9,3 (CSEL 35,1, 51 Guenther); 33,1 (CSEL 35,1, 79 Guenther): Moderatione praecipua egit nostra serenitas, ne locum possit invenire praesumptio. 379 Vgl. Ulp. Coll. 15,3,8 (2,2, 383 Seckel/Kuebler); Cod. Theod. 16,2,15,2 vJ. 360 (1,2, 840 Mommsen): [. . .], maxime cum in comitatu tranquillitatis nostrae alii episcopi, qui de Italiae partibus venerunt, et illi quoque, qui ex Hispania adque Africa commearunt, probaverint id maxime iuste convenire, ut [. . .]. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 68 Christian Hornung der 1. Pers. Pl. verbunden, selten ist ein Possessivpronomen der 1. Pers. Sgl.380. Unter den genannten Bezeichnungen überwiegen clementia und mansuetudo, die sich inhaltlich gleichwohl mit anderen berühren. Clementia ist seit Caesar ›Leitbegriff der Innenpolitik‹381, der sie gegenüber seinen Gegnern anwendet, auch im Prinzipat wird sie als eine Tugend des Princeps genannt382, und als Anrede des Kaisers findet sie sich besonders häufig in der Historia Augusta383. Sie bleibt als Titel auf den Kaiser beschränkt: [. . .], tamen contemplatione clementiae nostrae ad indulgentiam volumus pertinere384. [. . .], quales ad virum clarissimum Simplicium quondam vicarium litteras clementia nostra transmiserit, [. . .]385. [. . .], etiamsi quis id a nostra clementia vel exposita vel suppressa veritate meruerit386. Mansuetudo kommt, entgegen clementia, als Selbstbezeichnung der Kaiser eher spät auf. Erst die christlichen Herrscher gebrauchten ab dem vierten Jahrhundert den Begriff für ihre Regierungstätigkeit387; dann allerdings wird er zahlreich verwendet: Sic enim mansuetudinis nostrae indulgentiam temperamus, ne [. . .]388. In qua re Afrodisium v. c. tribunum et notarium dirigi a nostra mansuetudine placuit, ut [. . .]389. Allein aufgrund der Quellensituation – so sind die Konstitutionen zumeist vom Kaiser bzw. in seinem Auftrag verfasste Schreiben – lassen sich weitaus häufiger Belege für Anredeformen an Beamte als an den Kaiser finden390. Sie begegnen im Textzusammenhang in verschiedener Form, zum einen als direkte Anrede: parens karissime atque amantissime391, zum anderen als abstraktes Substantiv, oft ergänzt durch ein Possesivpronomen oder ein Adjektiv: gravitas tua392 bzw. egregia sublimitas tua393. Die direkte Anrede kann unterschiedlich umfangreich sein. So erscheint nur der Eigenname mit einem ehrenden Adjektiv im Superlativ 394, oder die Grundform wird durch Substan- Vgl. Cod. Theod. 1,8,2 vJ. 424 (1,2, 43 Mommsen): Laterculi curam totius scias ad tuae sublimitatis sollicitudinem pertinere, ita ut tuo arbitratu ex scrinio memoriae totius minoris laterculi dignitates, hoc est praepositurae omnes, tribunatus et praefecturae iuxta consuetudinem priscam clementiae meae auctoritate deinceps emittantur. 381 Vgl. Winkler, Clementia 213. 382 Vgl. etwa Senecas De Clementia; Honig, Humanitas 114/8. 383 Vgl. Hist. Aug. Ael. 2,1; Hist. Aug. Ver. 11,4; Hist. Aug. Heliog. 35,3; Hist. Aug. Gord. 12,1 u. ö. 384 Coll. Mos. 6,4,3 (2,2, 352 Seckel/Kuebler); vgl. auch Coll. Mos. 6,4,7 (2,2, 353 Seckel/Kuebler). 385 Collect. Avell. 13,2 (CSEL 35,1, 55 Guenther); vgl. auch Collect. Avell. 3,3; 15,3; 20,1; 31,1. 2. 7 (CSEL 35,1, 47. 61. 67. 76/8 Guenther). 386 Cod. Theod. 1,7,4 vJ. 414 (1,2, 43 Mommsen); vgl. Const. Sirm. 11 vJ. 412 (1,2, 915 Mommsen) = 380 Cod. Theod. 16,2,40; Const. Sirm. 14 vJ. 409 (1,2, 919 Mommsen) = Cod. Theod. 16,2,31. 387 Vgl. Berger, Dictionary 575 s. v. Mansuetudo; Honig, Humanitas 118/21; F. Bömer, Art. mansuetudo: ThesLL 8 (1936/1966) 329. 388 Collect. Avell. 12,3 (CSEL 35,1, 54 Guenther). 389 Collect. Avell. 15,5 (CSEL 35,1, 61 Guenther); vgl. auch Collect. Avell. 12,1; 13,3. 7 (CSEL 35,1, 53. 55f Guenther). 390 Vgl. Hirschfeld, Rangtitel 676f. 391 Collect. Avell. 7,2 (CSEL 35,1, 50 Guenther); vgl. Const. Sirm. 12 vJ. 407 (1,2, 917 Mommsen) = Cod. Theod. 16, 5, 43. 392 Optat. App. 3 (CSEL 26, 205 Ziwsa). 393 Collect. Avell. 8,2 (CSEL 35,1, 50 Guenther). 394 Vgl. Ulp. Coll. 15,3,1 (2,2, 381 Seckel/Kuebler): Iuliane karissime; Collect. Avell. 5,1 (CSEL 35,1, 48 Guenther): Praetextate karissime nobis. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 69 tive und weitere Adjektive erweitert. Hierbei existieren verschiedene Kombinationsmöglichkeiten, ohne dass eine Differenzierung nach dem Rang des Adressaten stets gegeben ist395. Als Adjektive besonders beliebt sind carissimus, iocundissimus und amantissimus; sie haben topischen Charakter396. Unter den abstrakten Substantiven hat sublimitas eine weite Verbreitung397. Der Kaiser redet mit diesem Begriff die verschiedensten – illustren und auch spectablen – Beamten an: Collect. Avell. 6,2 (CSEL 35,1, 49 Guenther) an den p. u. Praetextatus: praecelsa sublimitas tua Cod. Theod. 1,8,1 vJ. 415 (1,2, 43 Mommsen) an den mag. mil. Florentius: sublimitatis tuae officio Cod. Theod. 16,5,29 vJ. 395 (1,2, 864 Mommsen) an den mag. off. Marcellus: sublimitatem tuam investigare praecipimus [. . .] Cod. Theod. 1,8,2 vJ. 424 (1,2, 43 Mommsen) an den vir illustris comes et quaestor Sallustius: ad tuae sublimitatis sollicitudinem pertinere Cod. Theod. 1,12,5 vJ. 396 (1,1, 49 Mommsen) an den proconsul Asiae Simplicius: sub tuae sublimitatis agere potestate Cod. Theod 1,15,2 vJ. 348 (1,1, 51 Mommsen) an den vicarius Africae Caesonianus: tua sublimitas Ferner kann sublimitas auch durch ehrende Adjektive ergänzt sein: Collect. Avell. 8,2 (CSEL 35,1, 50 Guenther) an den p. u. Olybrius: egregia sublimitas tua Cod. Theod. 11,30,27 vJ. 357 (1,2, 631 Mommsen): laudabilis sublimitas tua Cod. Theod. 14, 4, 10, 5 vJ. 419 (1, 2, 783 Mommsen): diurna sublimitas tua Als weitere Anredeformen werden u. a. folgende verwendet: auctoritas tua398, celsitudo tua399, eminentia tua400, excellentia tua401, eximietas tua402, magnificentia tua403, magni395 Vgl. Collect. Avell. 3,3 (CSEL 35,1, 47 Guenther): Parens karissime atque amantissime; 4,2 (CSEL 35,1, 48 Guenther): Piniane karissime ac iocundissime; 6,1 (CSEL 35,1, 47 Guenther): Praetextate karissime ac iocundissime; 7,2 (CSEL 35,1, 50 Guenther): Praetextate parens karissime atque amantissime; 10,2 (CSEL 35,1, 52 Guenther): Olybri parens karissime atque amantissime; 11,1 (CSEL 35,1, 52 Guenther): Ampeli parens karissime atque amantissime; 31,2 (CSEL 35,1, 77 Guenther): Symmache parens karissime; ferner Jerg, Vir 85. 396 Nach Blaise, Handbook 35 ist die Verbreitung der Superlative und der stärker emotionalisierten Sprache spätantiker Rechtstexte auf christlichen Einfluss zurückzuführen. 397 Vgl. Collect. Avell. 5,2; 7,2; 10,1; 15,3. 5; 31, 7 (CSEL 35, 1, 48f. 51. 61. 78 Guenther); Cod. Theod. 1,5,3 vJ. 331 (1,2, 35 Mommsen); 1,8,1 vJ. 415 (1,2, 43 Mommsen); 15,1,37 vJ. 398 (1,2, 810 Mommsen); 15,1,49 vJ. 412 (1,2, 813 Mommsen); 16,5,15 vJ. 388 (1,2, 861 Mommsen); 16,5,29 vJ. 395 (1,2, 864 Mommsen); 16,5,30,2 vJ. 396 (1,2, 865 Mommsen) sowie Jerg, Vir 118f. 398 Vgl. Cod. Theod. 1,5,2 vJ. 327 (?) (1,2, 35 Mommsen): ad tuae auctoritatis iudicium pervenire; 16,2,15,2 vJ. 360 (?) (1,2, 840 Mommsen): sublimis auctoritas tua sowie Lévy, Dignitas 63/91. 399 Vgl. Cod. Theod. 1,6,6 vJ. 368 (1,2, 40 Mommsen): illustris sinceritas tua; 1,16,5 vJ. 329 (?) (1,2, 56 Mommsen): officiales vestrae celsitudinis; Cod. Iust. 12,29,2 vJ. 474 (2, 467 Krueger). 400 Vgl. Cod. Theod. 15,1,25 vJ. 389 (1,2, 807 Mommsen): sublimis eminentia tua; 15,1,38 vJ. 398 (1,2, 810 Mommsen): excellens eminentia tua. 401 Vgl. Cod. Theod. 15,1,43 vJ. 405 (1,2, 811 Mommsen): [. . .] rescripta ad excellentiam tuam referri praecipimus; 9,17,2 vJ. 349 (1,2, 464 Mommsen); Cod. Iust. 2,7,11,2 vJ. 460 (2, 99 Krueger). 402 Vgl. Collect. Avell. 30,1 (CSEL 35,1, 76 Guenther). 403 Vgl. Cod. Theod. 1,7,4 vJ. 414 (1,2, 43 Mommsen): inlustris magnificentia tua; 1,9,3 vJ. 405 (1,2, 44 Mommsen): Magnificentia tua matriculam scholae agentum in rebus ex nostra auctoritate tractabit atque perficiet, ut [. . .]; 15,1,53 vJ. 425 (1,2, 814 Mommsen): magnificentia tua; Const. Sirm. 11 vJ. 412 (1,2, 915 Mommsen) = Cod. Theod. 16,2,40; Const. Sirm. 12 vJ. 407 (1,2, 917 Mommsen) = Cod. Theod. 16,5,43; Const. Sirm. 16 vJ. 408 (1,2, 921 Mommsen) = Cod. Theod. 5,7,2. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 70 Christian Hornung tudo tua404, praestantia tua405 und sinceritas tua406. Sie sind zumeist vom illustren Amtsträger gebraucht407. Zu den Anredeformen, die vom Kaiser auch auf niedere Staatsdiener bezogen werden, zählen gravitas408 oder der Typus parens karissimus in Verbindung mit verschiedenen Ergänzungen, besonders amantissimus 409. Ist ein Beamter Verfasser eines Schreibens und der Kaiser Adressat410, dann werden als direkte Anreden besonders abstrakte Substantive bevorzugt, die sich exklusiv nur in Bezug auf den Kaiser finden. Hierzu gehören clementia411, maiestas412, numen413 und pietas414, die zumeist mit dem Possesivpronomen der 2. Pers. Pl. erscheinen; daneben begegnen Ergänzungen mit ehrenden Attributen im Superlativ: domine semper illustrissime et sacratissime415. Andere Titel haben ein weiteres Verwendungsgebiet und können auch in Bezug auf einen Beamten gebraucht werden: etwa excellentia vestra416, magnitudo vestra417 und sublimitas vestra418. Belegstellen in den Berichten der Beamten, in denen Anreden gehäuft und in kurzer Folge begegnen, verdeutlichen zudem, dass die Titel synonym gebraucht werden und ihr Wechsel dem Bestreben nach Variation geschuldet ist: Collect. Avell. 14,7 (CSEL 35,1, 60 Guenther): Relatio des p. u. Symmachus an Kaiser Honorius: Et quoniam pietatis vestrae est de hac parte ferre iudicium, statim pro competenti sollicitudine vestram maiestatem credidi consulendam, ut quid de hac parte pietas vestra decernat, praecepto vestri numinis evidenter informer. Vgl. Cod. Theod. 15,1,27 vJ. 390 (1,2, 807 Mommsen): officium magnitudinis tuae; 15,1,51 vJ. 413 (1,2, 813 Mommsen): studio ac provisione tuae magnitudinis. 405 Vgl. Cod. Theod. 1,7,4 vJ. 414 (1,2, 43 Mommsen): apparitores officii tuae praestantiae; 7,18,8,2 vJ. 383 (?) (1,2, 346 Mommsen): tuae praestantia potestatis. 406 Vgl. Cod. Theod. 1,6,8 vJ. 382 (1,2, 40 Mommsen): praecelsa sinceritas tua; 15,1,17 vJ. 365 (1,2, 805 Mommsen): Si quid sinceritas tua his urbibus, quibus praeest, putaverit deferendum [. . .]; Collect. Avell. 13,3 (CSEL 35,1, 55 Guenther): laudanda et spectata sinceritas tua. 407 Vgl. Hirschfeld, Rangtitel 676f; Jerg, Vir 110/9. 408 Vgl. Optat. App. 7 an den vicarius Aelafius (CSEL 26, 205f Ziwsa); Cod. Theod. 1,2,1 vJ. 314 (?) an den praefectus vigilum Iulius Antiochus (1,2, 30 Mommsen): officium gravitatis tuae; 1,5,1 vJ. 325 an den p. p. Constantius (1,2, 35 Mommsen): Ad scientiam nostram referat gravitas tua; 15,1,13 vJ. 364 (?) an den dux Daciae ripensis Tautomedus (1,2, 804 Mommsen): in limite gravitati tuae commisso; 16,2,1 vJ. 313 (?) (1,2, 835 Mommsen): [. . .] quem tua gravitas invenerit ita vexatum; ferner Lévy, Dignitas 53 (zur Verbindung von gravitas mit verschiedenen Epitheta); Gross, Gravitas 762; Corcoran, Empire 325f. 409 Vgl. Collect. Avell. 3,3 (CSEL 35,1, 47 Guenther): Divinitas te servet per multos annos, parens karissime atque amantissime; 11,1 (CSEL 35,1, 52 Guenther): Ampeli parens karissime atque amantissime; Consult. 9,1 (2,2, 509 Seckel/Kuebler): Volusiane parens carissime atque amantissime. 410 Protokolle von an den Kaiser gerichteten Schreiben sind nur in geringer Anzahl erhalten. Die Anrede des Kaisers ist hier mit zahlreichen ehrenden 404 Attributen ausgeschmückt; vgl. Collect. Avell. 29 (CSEL 35,1, 74 Guenther): Domino semper illustri et cuncta magnifico meritoque sublimi ac praecelso patrono Constantio Symmachus und mit identischem Protokoll 32 (CSEL 35,1, 78 Guenther). 411 Vgl. Collect. Avell. 16,2 (CSEL 35,1, 62 Guenther): [. . .], quod felicitati clementiae vestrae ascribendum est; 19,3 (CSEL 35,1, 62 Guenther): Quod ne in aliquo clementiam vestram lateret, [. . .]. 412 Vgl. Collect. Avell. 14,7 (CSEL 35,1, 60 Guenther): [. . .] statim pro competenti sollicitudine vestram maiestatem credidi consulendam; 16,8 (CSEL 35,1, 63 Guenther); 19,4 (CSEL 35,1, 67 Guenther). 413 Vgl. Collect. Avell. 14,7 (CSEL 35,1, 60 Guenther): Praecepto vestri numinis evidenter informer; 19,1 (CSEL 35,1, 66 Guenther): [. . .], quatenus praeceptis numinis vestri oboedientiam commodarem. 414 Vgl. Collect. Avell. 14,7 (CSEL 35,1, 60 Guenther): Et quoniam pietatis vestrae est de hac parte ferre iudicium; 16,1. 6f (CSEL 35,1, 63 Guenther); 19,2 (CSEL 35,1, 66 Guenther): [. . .], ut nihil futuro cognoscente pietate vestra deesset examini. 415 Collect. Avell. 32,2 (CSEL 35,1, 78 Guenther). 416 Vgl. Collect. Avell. 29,6 (CSEL 35,1, 75 Guenther): Unde [. . .] excellentiae vestrae suggerere properavi, ut [. . .]; 32,4 (CSEL 35,1, 79 Guenther): salva excellentia vestra. 417 Vgl. Collect. Avell. 29,6 (CSEL 35,1, 75 Guenther): [. . .] magnitudo vestra decernat. 418 Vgl. Collect. Avell. 29,6 (CSEL 35,1, 76 Guenther): [. . .] quod sublimitatis vestrae felicitas avertat sowie zur besonders inschriftlich begegnenden Ehrentitulatur ›Super omnes retro principes‹ Scheithauer, Principes. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 71 Collect. Avell. 16,8 (CSEL 35,1, 63 Guenther): Relatio des p. u. Symmachus an Kaiser Honorius: Unde ea, quae populus Romanus publico gaudio diversis acclamationibus agens gratias maiestati vestrae credidit publicanda, relationi meae universa subieci, ut agnosceret pietas vestra et quanta quiete vobis propitiis correcta sint [. . .] et quanta gratia suscepta sint, quae clementia vestra divino iudicio et [. . .] decernenda credidit et [. . .] constituit. IV.2.2. Die Verwendung des Pluralis maiestatis In seiner Dissertation über den Gebrauch des Pluralis maiestatis legt Sasse dar, dass im dritten Jahrhundert unter Gordian III (238–244) die 1. Pers. Pl. als kaiserliche Selbstbezeichnung vermehrt aufkomme419. Dabei könne der Numerus in den erhaltenen Konstitutionen der Zeit noch ohne erkennbaren Grund wechseln: Cod. Cod. Cod. Cod. Iust. Iust. Iust. Iust. 2,17,2 4,58,2 10,3,3 5,12,8 vJ. vJ. vJ. vJ. 241 239 239 240 (2, (2, (2, (2, 107 185 397 205 Krueger): Krueger): Krueger): Krueger): temporum meorum disciplina non possum animadvertere procurator meus iudicamus420 Im vierten und fünften Jahrhundert wird der Pluralis maiestatis zahlreicher. Die Konstitutionen seit Constantin421 lassen erkennen, dass die Kaiser den Plural nutzen (etwa Constantius II und Julian: comperimus422, iubemus423, permittimus424, praecipimus425 oder auch das Possessivum noster426); er ist vom soziativen Plural dort kaum zu unterscheiden, wo mehrere Herrscher als Normgeber erscheinen427. Hierfür sind Gesetze aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts zu nennen, die die Verfasserangaben Valentinian I und Valens428, Valentinian I, Valens und Gratian429 sowie Valentinian II, Gratian und Theodosius I430 bieten431. Auch aus der Zeit des Arcadius und Honorius432 sowie aus der des Honorius und Theodosius II433 existieren vergleichbare Belege. Sasse, Numero 7; vgl. Corcoran, Empire 318. Vgl. Cod. Iust. 8,33,2 vJ. 530 (2, 348 Krueger): a nostra serenitate; 12,35,5,1 (2, 470 Krueger): nostra indulgentia. 421 Vgl. Cod. Theod. 8,1,1 vJ. 319 (1,2, 360 Mommsen): sanximus; iubemus; 8,1,3 vJ. 333 (1,2, 360 Mommsen): praecipimus. 422 Vgl. Cod. Theod. 15,1,9 vJ. 362 (1,2, 803 Mommsen); vgl. auch Const. Sirm. 14 vJ. 409 (1,2, 918 Mommsen) = Cod. Theod. 16,2,31. 423 Vgl. Cod. Theod. 8,1,5 vJ. 357 (1,2, 361 Mommsen): iussimus; 8,1,8 vJ. 363 (1,2, 362 Mommsen); vgl. auch Const. Sirm. 14 vJ. 409 (1,2, 918 Mommsen) = Cod. Theod. 16,2,31. 424 Vgl. Cod. Theod. 10,19, 2 vJ. 363. 425 Vgl. Cod. Theod. 8,18,4 vJ. 339 (1,2, 423 Mommsen); 8,1,5 vJ. 357 (1,2, 361 Mommsen); 15,1,9 vJ. 362 (1,2, 803 Mommsen). 426 Vgl. Cod. Theod. 8,18,4 vJ. 339 (1,2, 423 Mommsen): nostram iussionem; 11,16,5 vJ. 343 (1,2, 598 Mommsen): privatas res nostras; 10,14,2 vJ. 348 (1,2, 552 Mommsen): nonnulli in nostro vel patris nostri obsequio constituti; 11,16,10 vJ. 362 (1, 2, 600 Mommsen): nostra scientia; consuetudo vel dispositio nostra. 419 420 Vgl. Corcoran, Empire 318f. Vgl. Cod. Theod. 11,12,3 vJ. 365 (1,2, 595 Mommsen): militibus nostris; concessimus. 429 Vgl. Cod. Theod. 11,10,2 vJ. 369 (1,2, 593 Mommsen): permittimus; ignoramus; 15,7,1 vJ. 371 (1,2, 821 Mommsen): iubemus. 430 Vgl. Cod. Theod. 10,10,12 praef. vJ. 380 (1,2, 542 Mommsen): iubemus; 16,1,2 praef. vJ. 380 (1,2, 833 Mommsen): clementiae nostrae; 16,5,5 vJ. 379 (1,2, 856 Mommsen): pater noster; mandavimus. 431 Vgl. Corcoran, Empire 319. 432 Vgl. Cod. Theod. 5,14,35 vJ. 395 (1,2, 233 Mommsen): nostri aerarii; permittimus; 5,14,36 vJ. 396 (?) (1,2, 233 Mommsen): mandamus; iubemus; 11,14,2 vJ. 396 (1,2, 596 Mommsen): decrevimus; 11,14,3 vJ. 397 (1,2, 596 Mommsen): nostro arbitrio; 11,16,20 vJ. 395 (1,2, 603 Mommsen): patrimonium nostrum; a nostra serenitate; 16,2,29 vJ. 395 (1,2, 844 Mommsen): a parentibus nostris; temporibus nostris; cupimus. 433 Vgl. Cod. Theod. 5,16,32 (1,2, 236 Mommsen): volumus; praecipimus; 8,10,4 vJ. 412 (1,2, 405 Mommsen): constituimus. 427 428 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 72 Christian Hornung Über eine geraume Zeit hin wechseln zudem Singular und Plural in den Konstitutionen; die Kaiser gebrauchen beide Numeri in der Selbstbezeichnung, auch wenn der Singular deutlich seltener begegnet434. Kaiser Julian etwa ordnet iJ. 362 an, dass ein Gesetz seines Onkels Constantin aufgehoben werden solle (patrui mei Constantini constitutionem iubemus aboleri), das verheirateten feminae minores gestattet, ohne Kenntnis ihres Ehemannes etwas vom eigenen Besitz zu verkaufen435; die 1. Pers. Sgl. (meus) und Pl. (iubemus) stehen hier im selben Satz. Noch bei Theodosius II im fünften Jahrhundert findet sich ein solch auffallender Wechsel der Numeri innerhalb eines Gesetzes: Neben dem Pluralis maiestatis censuimus steht beneficio mei numinis436. Dennoch bezeugt Theodosius II eine Tendenz, dass mit Beginn des fünften Jahrhunderts sich der Pluralis maiestatis durchsetzt437, und schon in den Konstitutionen des Anastasius (491–518) findet sich kein Beleg mehr für die 1. Pers. Sgl., die vollständig dem Plural gewichen ist. IV.3. Auswertung und Vergleich Römisch-bischöfliche Schreiben entwickeln sich, das zeigen die untersuchten Gesichtspunkte (Anredeformen sowie die Verwendung des Pluralis maiestatis), zu immer ausgefeilteren Kunsttexten. Bei Leo dem Großen in der Mitte des fünften Jahrhunderts lässt sich ein weitgehender Abschluss von Entwicklungen beobachten, die im vierten Jahrhundert ihren Anfang genommen haben: Leo differenziert präzise in der Anrede der Adressaten und verwendet in Schreiben an den Kaiser bzw. die Kaiserin clementia vestra, mansuetudo vestra oder pietas vestra, nicht aber in solchen an den christlichen Amtskollegen, für den er frater tuus bzw. fraternitas tua, charitas tua oder gravitas tua gebraucht438. Der Pluralis maiestatis, der längere Zeit bis zur allgemeinen Durchsetzung benötigt, ist bei Leo in der Selbstbezeichnung weitgehend üblich. Die aufgezeigten Entwicklungen der römisch-bischöflichen Korrespondenz haben nur teilweise Parallelen in der übrigen christlichen Briefliteratur. Entsprechungen finden sich vor allem bei den Anredeformen. So spricht Ambrosius Kaiser Theodosius ebenfalls mit clementia oder pietas an439 und verbindet die Titulaturen mit schmückenVgl. Cod. Theod. 2,5,1 (1,2, 82 Mommsen): Constantini patrui mei; 6,27,2 vJ. 363 (1,2, 282 Mommsen): in consulatu meo quarto; 8,12,7 vJ. 355 (1,2, 411 Mommsen): mei genitoris; 9,34,6 vJ. 355 (1,2, 487 Mommsen): apud me; 11,34,2 vJ. 355 (1,2, 645 Mommsen): beneficio meo; per me cognoscam. 435 Cod. Theod. 3,1,3 vJ. 362 (1,2, 127 Mommsen); vgl. ähnliche Wechsel von Sgl. und Pl. Cod. Theod. 8,5,12 vJ. 362 (1,2, 378 Mommsen): Quoniam cursum publicum fatigavit quorundam inmoderata praesumptio et evectionum frequentia, quas vicaria potestas et praesidum adque consularium officia prorogare non desinunt, curam ac sollicitudinem huius rei nos subire compulsi faciendarum evectionum licentiam cunctis abduximus. Exceptis igitur vobis nulli evectionem licebit facere de cetero. Sed ut necessitates publicae impleantur, vicariis denas vel duodenas evectiones manu mea perscriptas ipse permittam, praesidibus vero binas annuas faciat vestra sublimitas, quibus 434 ad separatas provinciarum secretasque partes necessariis ex causis officiales suos dirigere possint. 436 Cod. Theod. 11,1,33 vJ. 424 (1,2, 578f Mommsen). 437 Vgl. Cod. Theod. 1,1,5 vJ. 429 (1,2, 28 Mommsen); 1,7,4 vJ. 414 (1,2, 43 Mommsen); 1,8,1 vJ. 415 (1,2, 43 Mommsen); 1,9,3 vJ. 405 (1,2, 44 Mommsen); 6,29,10 vJ. 412 (1,2, 293 Mommsen); 11,30,65 vJ. 415 (1,2, 640 Mommsen); 11,30,68 vJ. 429 (1,2, 641 Mommsen) u. ö.; aber: Cod. Theod. 1,8,2 vJ. 424 (1,2, 43 Mommsen): clementiae meae auctoritate. 438 Vgl. Engelbrecht, Titelwesen 38/40. 439 Vgl. Ambr. ep. 25 (CSEL 82,1, 177 Faller): pietatis tuae disciplinis; clementia tua; 1a,4. 13 (CSEL 82,3, 164. 168 Zelzer): pietatem tuam; clementiae tuae; 2 (82,3, 179 Zelzer): clementia tua u. ö. sowie Engelbrecht, Titelwesen 20f; Adams, Latinity 124f. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 73 den Attributen440; Augustinus nennt den notarius Marcellinus spectabilitas tua und praestantia tua441 sowie, in einem späteren Schreiben, nobilitas tua442. Es zeigt sich, dass bei Ambrosius und Augustinus die Anredeformen in Briefen an die weltliche Macht mit denen in der römisch-bischöflichen Korrespondenz vergleichbar sind443, wohingegen beide den Pluralis maiestatis zur Selbstbezeichnung nicht gebrauchen. Zu den kaiserlichen Konstitutionen des vierten und fünften Jahrhunderts existieren in den römisch-bischöflichen Schreiben auffallende Parallelen. Bei den Anredeformen gibt es sowohl in den römisch-bischöflichen als auch kaiserlichen Schreiben ein System, durch das ein Hierarchieverhältnis zwischen Verfasser und Adressat markiert wird. Der Kaiser redet Beamte u. a. mit den abstrakten Anredeformen auctoritas, gravitas, magnitudo oder sublimitas, ergänzt um schmückende Adjektive oder Possessivpronomina in der 2. Pers. Sgl., an, für ihn bleiben in der Selbstbezeichnung clementia und auch mansuetudo reserviert, die kein Beamter von sich gebraucht. Ebenfalls existieren in der Anrede des Beamten an den Kaiser exklusive Titel. Neben den bereits genannten clementia und mansuetudo sind numen und maiestas zu nennen. Im römisch-bischöflichen Briefverkehr begegnet ein ganz vergleichbares System exklusiver und wechselseitiger Anredeformen. Der römische Bischof spricht den Adressaten seiner Briefe, sofern er Amtsbruder ist, mit spezifisch christlichen (frater, fraternitas, sanctitudo) und weniger christlich-religiös gefärbten Titeln (gravitas, pietas) an. Den niedrigeren Kleriker, hier Presbyter oder Diakon, nennt er filius. Als Selbstbezeichnung begegnen auctoritas und auch sedes apostolica. Ist der Römer angesprochen, so finden sich exklusiv u. a. dominus, reverentia und papa. Im innerkirchlichen Briefverkehr ist somit ein, wenn auch nicht in allen Titulaturen austauschbares, so doch vergleichbar hierarchisch organisiertes Kommunikationssystem etabliert. Zudem sind einzelne Anredeformen offensichtlich aus dem zivilen Briefverkehr entlehnt: Hierzu zählen gravitas, pietas und sinceritas. Eine Nähe zwischen römisch-bischöflichem und kaiserlichem Briefverkehr wird in Schreiben besonders evident, in denen sich der Bischof an den Kaiser oder auch der Kaiser an den Bischof wendet. Liberius nennt iJ. 354 Constantius II tranquillissimus imperator, pietas tua, prudentia tua oder tranquillitas tua444; unter den Schreiben des Bonifatius hat sich ein Brief des römischen Presbyteriums an Kaiser Honorius vJ. 419 erhalten. Der Kaiser wird mit clementia vestra, perennitas vestra und dem unspezifischeren pietas vestra angesprochen445, wobei die exklusiven Titel für den Kaiser offensichtlich von den römischen Bischöfen übernommen werden. Coelestin und Leo verwenden ebenfalls entsprechende Titulaturen und die 2. Pers. Pl., die sich im fünften Jahrhundert durchsetzt446. 440 Vgl. Ambr. ep. 73 (CSEL 82,3, 34 Zelzer): beatissimo principi et clementissimo imperatori Valentiniano Augusto; 75,4 (CSEL 82,3, 75 Zelzer): clementissime imperator; ep. extr. coll. 6,1 (CSEL 82,3, 186 Zelzer): imperatores clementissimi beatissimique et gloriosissimi principes Gratiane, Valentiniane et Theodosi; 8,1 (CSEL 82,3, 198 Zelzer): imperator tranquillissime ac fidelissime. 441 Aug. ep. 128,1. 4 (CSEL 44, 30. 33 Goldbacher); vgl. Divjak, Epistulae 972f. 442 Aug. ep. 129,1 (CSEL 44, 34 Goldbacher); zu Titulaturen bei Augustinus vgl. ferner Engelbrecht, Titelwesen 29/36. Für weitere christliche Briefcorpora (etwa das des Athanasius und Basilius im kirchlichen Osten sowie das des Cyprian und Hieronymus im kirchlichen Westen) vgl. Dinneen, Titles; O’Brien, Titles 9/23. 444 Lib. ep. 7: Opto tranquilissime (CCL 8, 311/6 Diercks). 445 Bonif. ep. 1 (PL 20, 750/2). 446 Coelest. ep. 19,3 an Theodosius (PL 50, 512): [scil. nos] hoc a pietate vestra suppliciter deposcentes, quod [. . .]; Leo M. ep. 24,2 an Theodosius (PL 54, 736): Et quia causae meritum, fidei ratio et laudabilis sollicitudo vestrae pietatis exigit, necesse est [. . .]; 43 ad 443 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 74 Christian Hornung Der Kaiser wiederum spricht den römischen Bischof in der 2. Pers. Sgl. an, das in den Schreiben in auffallendem Gegensatz zur 1. Pers. Pl. seiner eigenen Person steht; als abstrakte Anredeformen dienen apostolatus447, beatitudo448, reverentia449, sanctimonia450 und sanctitas451. Nur an einer Stelle, im Brief des Kaisers Marcian an Leo den Großen vJ. 450, findet sich die 2. Pers. Pl. in der Anrede des Bischofs: Nostris utique desideriis vestra sanctitas satisfaciet et [. . .]452. Der wechselseitige Briefverkehr zwischen Kaiser und römischem Bischof verdeutlicht, dass kirchlicherseits die Anredeformen genau beobachtet und angewendet wurden. Der innerkirchliche Briefverkehr erscheint als Abbild des kaiserlichen, und in beiden Kommunikationssystemen existieren unspezifische und exklusive Anredeformen, die ein Hierarchieverhältnis zwischen Verfasser und Adressat beschreiben. Der Pluralis maiestatis ist ein weiteres spezifisches Merkmal römisch-bischöflicher Schreiben. Ab Damasus lässt er sich bei den römischen Bischöfen nachweisen, und mit Anastasius zu Beginn des 5. Jahrhunderts wird er häufiger. Bei Letzterem fällt die Verwendungsweise der 1. Pers. Pl. auf; denn sie scheint sich zunächst im dispositiven Teil der Briefe durchzusetzen, in dem Teil also, in dem die römischen Bischöfe, vergleichbar den Kaisern, ihre Bestimmungen erlassen, die wiederum formal an die zeitgenössische Gesetzessprache angelehnt sind. Volumus, mandamus oder iubemus sind typische Einleitungsverben des dispositiven Teils in kaiserlichen Konstitutionen und römischbischöflichen Schreiben. Zum festgestellten Kunstcharakter der römisch-bischöflichen Schreiben tragen ferner verschiedene Stilmittel bei, die hier nicht eigens untersucht werden können. Im Bereich der Wortstellung ist besonders auf zwei Phänomene aufmerksam zu machen: die Voranstellung des Genitivattributs und den Gebrauch des Hyperbatons. In ihrer großen Quantität, mit der sie in den Briefen der römischen Bischöfe begegnen, erscheinen sie als ein charakteristisches Stilmerkmal, das zudem, etwa in Bezug auf die Stellung des Genitivattributs, gerade gegensätzlich zum zeitgenössischen Sprachgebrauch verwendet wird453 und ein Vorbild in der juristischen Sprache besitzt454. Theodosium (PL 54, 823): Quae confessio cum impie nunc a paucis quibusdam laedatur, omnes nostrarum partium ecclesiae, omnesque sacerdotes mansuetudini vestrae cum lacrymis supplicant propter appellationem in Flaviani episcopi libello contentam, ut [. . .]; mit auffallendem Wechsel zwischen 2. Pers. Pl. und Sgl. Bonif. ep. 7 ad Honorium (PL 20, 767): Habet refugium, tuae mansuetudinis animum cum suae religionis veneratione coniunctum: Cum quidquid huic proficiat, vos agatis, conferatis fratribus et consacerdotibus meis, probatissimis viris, a me et ab omnibus qui ecclesiam faciunt istam, ad te legatis: Quibus, precamur, sacrae causam religionis prosequentibus, in urbe vestrae mansuetudinis hoc animo, quo postulatis annuitis, in perpetuum statui universalis ecclesiae consulatis; Leo M. ep. 82,1 an Marcian (PL 54, 917): Quamvis per Constantinopolitanos clericos ad pietatem tuam ante rescripserim, sumptis tamen clementiae vestrae litteris per virum illustrem praefectum urbis filium meum Tatianum, magnam materiam gratulationis accepi. 447 Vgl. Honorius an Bonif. = Bonif. ep. 8 (PL 20, 768). 448 Vgl. Honorius an Bonif. = Bonif. ep. 8 (PL 20, 768); Marcian an Leo = Leo M. ep. 76 (PL 54, 903); Pulcheria an Leo = Leo M. ep. 77 (PL 54, 905). 449 Vgl. Pulcheria an Leo = Leo M. ep. 77 (PL 54, 907). 450 Vgl. Honorius an Bonif. = Bonif. ep. 8 (PL 20, 768). 451 Vgl. Marcian an Leo = Leo M. ep. 76 (PL 54, 903). 452 Marcian an Leo = Leo M. ep. 76 (PL 54, 903). 453 Zur spätantik üblichen Postposition des Genitivattributs vgl. Leumann/Hofmann/Szantyr, Grammatik 2, 409; Adams, Approach 73. 78. 454 Zur in der Rechtssprache gebräuchlichen Praeposition des Genitivattributs vgl. Kalb, Juristenlatein 50; Breywisch, Wortstellung. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 75 V. Schluss Das vierte und fünfte Jahrhundert ist die Zeit eines wachsenden Führungsanspruchs der römischen Kirche und ihres Bischofs. In ihr kommt es zum Aufbau einer kirchlichen Hierarchie, die im Westen auf die römische Gemeinde enggeführt wird. Speigl hält fest: ›Ungefähr von der Mitte unseres Zeitraums (380) an stehen die römischen Bischöfe nicht mehr unter der Vorherrschaft der reichspolitischen Verhältnisse, sondern beginnen institutionell ihren Primat in der West- und der Ostkirche aufzubauen, wobei ein solcher Aufbau zunächst für die Westkirche schneller gelingt, die grundlegende Petrusdoktrin jedoch auch auf ein Ausgreifen des Primats nach dem Osten hinzielt‹455. Ein wesentliches Element, das der Verbreitung des Primatsanspruchs dient, sind die Schreiben der römischen Bischöfe. Ihre Zahl steigt in dieser Zeit enorm an und ermöglicht es der römischen Gemeinde, über oft disziplinäre Einzelentscheidungen und doktrinäre Festsetzungen die Kirchenprovinzen nach dem eigenen Vorbild zu prägen. Die Briefe sind das Instrument, mit dem der römische Bischof in der Kirche regiert und den Primat durchzusetzen versucht. Zu seiner Legitimierung dienen inhaltlich die genannten Theologumena: Mt. 16,18 wird exklusiv auf den römischen Bischofssitz bezogen456, und die Universalkirche wird paulinisch als Leib mit dem Haupt in Rom interpretiert457. Ebenso soll die Doppelapostolizität in Petrus und Paulus die römische Gemeinde vor allen anderen Kirchen des Westens auszeichnen458. Bei der Interpretation der römisch-bischöflichen Briefe darf aber ein wesentlich formales Element nicht unberücksichtigt bleiben, das im Zentrum dieser Untersuchung stand; denn die Briefe zeigen ab dem Ende des vierten Jahrhunderts, zunächst fast unmerklich und untergründig umgesetzt, dann mehr und mehr explizit artikuliert, auffallende begriffliche und formale Übereinstimmungen mit kaiserlichen Konstitutionen. Das lässt grundsätzlich den Versuch erkennen, eine dem zivilen Bereich vergleichbare innerkirchliche Kommunikation und Hierarchie aufzubauen. Das erste Interesse der Studie lag daher auf den Begriffen, mit denen der Briefwechsel zwischen dem römischen Bischof und seinen Kollegen charakterisiert wird. Hier zeigt sich, dass über die Terminologie (consultatio, relatio, responsum, rescriptum, admonitio, communitorium, decretum, mandatum) die Verwaltung des Römischen Reiches gleichsam systematisch als Vorlage genutzt wird, um ein innerkirchliches Hierarchieverhältnis zu etablieren, das der römischen Kirche eine Führungsrolle und den anderen Kirchen eine davon abhängige, untergeordnete Rolle zuweist. Der römische Bischof erlangt in diesem Prozess formal eine Position, die im zivilen Bereich der des Kaisers vergleichbar ist, und der Amtsbruder wird auf die eines untergeordneten Magistrats verwiesen459. Die Analyse von Form und Stil der römisch-bischöflichen Schreiben zeigte weitere Entsprechungen auf. Der Aufbau besonders der Disziplinarbriefe ist am Formular kaiserlicher Konstitutionen orientiert, und auch der Stil zeigt gerade dort, wo er sich vom zeitgenössischen Sprachgebrauch anderer Briefautoren, etwa Ambrosius, Hieronymus Speigl, Päpste 43. Vgl. Ludwig, Primatsworte. 457 Vgl. Sir. ep. 1, 15,20 (PL 13, 1146): ad Romanam ecclesiam utpote ad caput tui corporis. 455 456 Vgl. Ullmann, Gelasius 8f. 22; Dassmann, Kirche 971f. 459 Vgl. Getzeny, Stil 35. 458 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 76 Christian Hornung und Augustinus, unterscheidet, Übernahmen aus der kaiserlichen Rechtssprache. Die Parallelen reichen bis in einzelne Formulierungen, die den Disziplinarbriefen der römisch-bischöflichen Korrespondenz und den kaiserlichen Konstitutionen gemeinsam sind. In der Forschung werden die Disziplinarbriefe dort, wo sie Antwortschreiben sind, seit der Directa ad decessorem des Siricius vJ. 385 als Dekretalen bezeichnet. Stickler definiert sie als Schreiben, in denen etwas disziplinär entschieden wird460. Daher sind sie von anderen römisch-bischöflichen Schreiben zu differenzieren: Die theologischen Traktatbriefe sowie die Gemeinschafts- und Begleitbriefe bestehen neben den Disziplinarbriefen fort. Ihre Form ist wesentlich individueller vom Anlass bestimmt, und eine generelle Beeinflussung durch das römische Recht ist nicht nachzuweisen. Doch gerade in den Briefen, in denen der römische Bischof etwas bestimmt und festlegt, er also versucht, auf seine Amtskollegen disziplinär einzuwirken und seinen Vorrang auszubauen, begegnet eine auffallende Orientierung am staatlichen Bereich und damit am System von Über- und Unterordnung. Die Untersuchung der Briefe römischer Bischöfe zeigt im Detail Übernahmen und Berührungen mit der staatlichen, kaiserlichen Korrespondenz und Gesetzessprache auf461. Wie bereits der zitierte 17. Kanon des Konzils von Chalkedon andeutet, sich etwa aus der Beeinflussung frühchristlicher Synoden hinsichtlich Organisation, Sitzungsverlauf und Wahlverfahren durch römische Senatssitzungen ergibt462 und sich schließlich aus der Parallelisierung des kirchlichen Cursus clericorum mit dem öffentlichen Cursus honorum folgern lässt463, so lehnt sich auch der kirchliche Briefverkehr an staatliche Vorlagen an. Die römische Kirche findet hier im vierten und fünften Jahrhundert eine entwickelte Verwaltung vor, die sie in Technik und Institution (etwa dem Kanzleiwesen464) adaptiert465. Entscheidend sind im Zusammenhang der römisch-bischöflichen Korrespondenz die damit angestrebten Konsequenzen: Die Orientierung des Briefverkehrs am kaiserlichen dient dem römischen Bischof zum Ausbau der kirchlichen Hierarchie. Die zahlreichen Anfragen aus den Provinzen, die bereits eine besondere Stellung Roms anzuerkennen scheinen, geben ihm Gelegenheit dazu, die innerkirchliche Verwaltung zu zentralisieren und so seine herrschende Position zu untermauern, die gerade in dem Moment wächst, da Roms staatliche Bedeutung geschwächt wird466. Der römische Bischof versucht, in der Kirche dieselbe Stellung einzunehmen wie der Kaiser im Reich, und suggeriert seinen Anspruch wesentlich durch die Parallelisierung der eigenen Korrespondenz mit der kaiserlichen. Insofern sind die römisch-bischöflichen Schreiben, die am Ende des vierten Jahrhunderts selbstbewusst als zweite Säule des kirchli460 Stickler, Historia 18f; vgl. Jasper, Decretal tradition 13f. 461 Vgl. Getzeny, Stil 91/3; Ohme, Kirchenrecht 1133f. 462 Vgl. Gaudemet, Formation 106f; Ohme, Kirchenrecht 1134; Weckwerth, Konzil 56/8; ders., Ablauf 77f. 187f. 463 Vgl. Zos. ep. 9,1,2 (PL 20, 671): Si enim officia saecularia principem locum, non vestibulum actionis ingressis, sed per plurimos gradus examinato temporibus deferunt: Quis ille tam arrogans, tam impudens invenitur, ut in coelesti militia, quae pensius ponderanda est, et sicut aurum repetitis ignibus exploranda, statim dux esse desideret, cum tyro ante non fuerit, et prius velit docere, quam discere? 464 Vgl. Leclercq, Chancellerie; Wotke, Papstbriefe 1111/3. 465 Vgl. Le Bras, Droit Romain 380f; Feine, Fortleben. 466 Vgl. Stockmeier, Primat 327; Speigl, Päpste 43f; Diefenbach, Erinnerungsräume und für die spätere Zeit Liebeschuetz, Decline 157f. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/020-080.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Sprache des Römischen Rechts 77 chen Rechts neben die Synodalentscheidungen treten467, als implizites Element der Konstruktion des Primatsanspruchs weitaus gewichtiger, als es bisher angenommen wurde. Bonn Christian Hornung LITERATURVERZEICHNIS Adams, J. 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C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/081-103.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm CHORIKIOS UND DIE EKPHRASIS DER STEPHANOSKIRCHE VON GAZA Bildung und Christentum im städtischen Kontext 1. Gaza, ein Musterfall christlich-hellenischer Symbiose? »Er ist ein Liebhaber der Frömmigkeit und ehrt die Feste und Heiligtümer der Christen, nur mischt er irgendwie aus Nachlässigkeit und ohne jegliche Überlegung Mythen und pagane [hellenische] Geschichten in seine Schriften, obwohl es nicht nötig wäre«1. Mit diesen Worten würdigt der byzantinische Patriarch Photios in seinem Kompendium der griechischen Literatur die Reden des spätantiken Autors Chorikios von Gaza. Obgleich er grundsätzlich positiv über dessen Werke urteilt, löst es bei dem Byzantiner des neunten Jahrhunderts unübersehbar Verwunderung und Unverständnis aus, daß ein Gebildeter der Zeit Justinians so ungeniert pagane Mythen erzählen konnte. Hier wirkte immer noch das Unbehagen der antiken Christen an den wunderhaften und moralisch anstößigen Geschichten der traditionellen Kultur nach. Ganz anders klingt das Urteil der neueren Forschung, die sich seit einigen Jahren mit großem Interesse der Stadt Gaza in der Spätantike angenommen hat2. Sie führt gerade diese Gemeinde Palästinas immer wieder als Paradebeispiel einer gelungenen, problemlosen Harmonie zwischen dem Christentum und der traditionellen Kultur und Bildung an. So firmiert Gaza in den neuesten Darstellungen von Yakov Ashkenazi und Claudia Tiersch als Musterfall einer Symbiose von alter Kultur und neuer Religion, da hier nicht die Verwerfungen zu bemerken seien, die der Übergang zu einer christlichen Kultur anderswo gezeitigt habe3. Die kulturelle Identität Gazas habe in einer Verbindung von Hellenismus und Christentum bestanden. Als Kronzeugen für diese Behauptung bemüht man gerne ebenjenen Chorikios, der in seinen sehr traditionell gehaltenen Reden unter Beweis stelle, wie unproblematisch die Beziehung zwischen Christentum und paidea im spätantiken Gaza gewesen sei4. Wie ist diese Diskrepanz zu erklären? Handelt es sich bei den Vorbehalten des Photios um die unangemessene Kritik eines Byzantiners, die bei den Mitbürgern des Chorikios nur Kopfschütteln ausgelöst hätte? Oder sollte der Patriarch doch aufmerksamer gelesen haben als moderne Forscher, mit anderen Worten: hat vielleicht die heutige Wissenschaft das moderne Ideal einer multikulturellen Gesellschaft auf das spätantike Gaza projiziert? Immerhin ist in den letzten Jahren das Paradigma einer von Koexistenz und Transformation, weniger aber von Brüchen und Niedergang charakterisierten Spät1 Phot. bibl. cod. 160,102b: Esti d ka tÇc eysebeac Þrastf́c, t Uristian\n orgia ka temnf tim\n: plf̀n oyk o(d’ opwc lig[rwc ka l gw sn oyden mfflhoyc ka 5storac llfnikc, oy don, Þgkatamgnysi toic aytoy syggrmmasin. Der Lektüre des Chorikios gewid- met ist der Abschnitt 160,102b/103a. 2 Bitton-Ashkelony/Kofsky (2004); Saliou (2005b); Tiersch (2008). 3 Ashkenazi (2004) 206f (»[. . .] sophists and priests, Hellenistic heritage and Christian devotion, Chri- stian worship and pagan festivals, and perhaps even Chalcedonians and anti-Chalcedonians, existed alongside each other in a harmony«, 207); Tiersch (2008) 69. 73. 77. 90f (sie betont allerdings stärker die Persistenz der traditionellen Kultur). Sivan (2008) 346f spricht von dem »cosmopolitan character« Gazas. 4 Zum gegenwärtigen Stand der Chorikios-Forschung vgl. die Beiträge in Saliou (2005b). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/081-103.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 82 Jan Stenger antike in die Kritik geraten und kontrovers diskutiert worden5. In diesem Aufsatz soll die beobachtete Diskrepanz der Einschätzungen zum Anlaß genommen werden, die Stellung der traditionellen paidea in Gaza etwas genauer unter die Lupe zu nehmen, als dies bisher getan wurde. Unbefriedigend ist an den bisherigen Deutungen, daß die überlieferten Texte in ihrer Komplexität bisweilen unterschätzt und nicht genau genug gelesen werden und die relevanten Faktoren, welche den Umgang mit der Bildung bedingten, nicht die nötige Beachtung finden. Als Ausgangspunkt soll die von Photios beanstandete Verwendung von Mythen bei Chorikios dienen, die, wie schon ein oberflächlicher Blick zeigt, tatsächlich in großer Zahl in seinem Œuvre auftauchen. Hier bietet sich eine epideiktische Rede an, die Chorikios um das Jahr 540 zu Ehren des Bischofs seiner Heimatstadt vorgetragen hat (or. 2)6. Dieser geistliche Würdenträger namens Markianos7 war ebenso wie der Redner Schüler des Prokop von Gaza gewesen und näher mit Chorikios bekannt, wovon eine weitere panegyrische Rede auf den Bischof (or. 1) sowie eine Grabrede auf dessen Mutter zeugen (or. 7)8. Anläßlich der mit einem großen städtischen Fest begangenen Weihung einer Kirche, die Markianos hatte errichten lassen9, würdigt der Redner in seinem Panegyricus die Herkunft und die Taten des Bischofs weitgehend in Übereinstimmung mit den seit Jahrhunderten etablierten rhetorischen Konventionen der Gattung. Das familiäre Umfeld und die soziale Stellung finden ebenso Beachtung wie das Eintreten des Bischofs für die Sicherheit der Stadt und, dem Anlaß angemessen, sein Engagement für die Verschönerung Gazas sowie die umfangreiche Bautätigkeit10. Insbesondere diese ist es, welche die Aufmerksamkeit des Chorikios auf sich zieht, nimmt doch die detaillierte Beschreibung der Stephanoskirche ziemlich genau das mittlere Drittel der Ansprache ein (25/51)11. Nach einigen einleitenden Vorbemerkungen zur Ekphrasis (25/7) unternimmt Chorikios mit seinem Publikum einen Gang durch die Stadt bis zum Kirchenbau, widmet sich sodann den vorgelagerten Säulenhallen, betritt den Sakralraum, dessen Mauerwerk und kostbare Materialien eingehender beschrieben werden, ehe er abschließend die technische und ästhetische Meisterleistung in einem fiktiven Agon rühmt12. Detailliert gibt Chorikios im Verlauf der Beschreibung den Eindruck wieder, den der Bau auf den Betrachter macht. Ebenso wie die Kubatur der Architektur wecken Details der Konstruktion und die bildliche Ausschmückung das Interesse des Festredners. Da er den ganzen Passus als PeriWard-Perkins (2007) 14/8; Mitchell (2007) 6f. Litsas (1980) 2451 zur Datierung. 7 PLRE 3B, 819f s. v. Marcianus 1. Litsas (1980) 67/71; Hevelone-Harper (2005) 112/6; Tiersch (2008) 70/3. 8 Zu Markianos’ Ausbildung bei Prokop Chor. or. 2,7 (allerdings ohne namentliche Nennung Prokops); vgl. or. 1,6. Ashkenazi (2004) 196. Der erste Panegyricus ist vermutlich vor dem Jahr 536 entstanden. Litsas (1980) 236f1. Einen Panegyricus auf Markianos scheint auch Prokop gehalten zu haben (Chor. or. 8,51). 9 Chor. or. 2, dial. 2; 1; 76/8. Die Kirche befand sich außerhalb der Stadt (or. 2,28). Das Fest fand im Sommer statt (or. 2,29f. 32), nach Litsas (1980) 25249 am 2. August. Das traditionelle Fest für den Märtyrer lag im Dezember. 5 6 10 Siehe etwa Chor. or. 2,7/9 (Bildung); 8,12 (Familie). 16/8 (Bautätigkeit). Zu den panegyrischen Topoi vgl. Menander Rhetors Traktat zum Basilikos Logos. Menander Rhetor 377,9/28 empfiehlt, zum Abschluß auch auf die Prosperität der Städte und auf Feste einzugehen. 11 Der Beschreibung zufolge handelte es sich um eine dreischiffige Emporenbasilika mit einem Atrium. Abel (1931) 26f; Thümmel (1997) 64; Saliou (2005) 180/2; PolaŃski (2009) 169/71. 12 Chor. or. 2,28f. (Eingang, pr hyra). 30/2 (Atrium, protemnisma). 33f (Raum für Kirchendiener, Raum für die Begrüßung des Bischofs, östliche Portikus). 35/51 (Kircheninneres). 52/5 (Agon). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/081-103.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Chorikios und die Ekphrasis der Stephanoskirche von Gaza 83 hegese eines Besuchers anlegt, findet die Ekphrasis naturgemäß ihren Höhepunkt in der östlichen Apsis der Kirche, die besonders gründlich vorgestellt wird (37/45). Da der Text sich an dieser augenscheinlich entscheidenden Stelle zu äußerster Komplexität steigert, sei sie hier ausführlich zitiert13: (41) Miß¼ z[nßf, tf̀n yperttfn vfm, kainn Þpkeitai suÇma. k\non fmsea toyto kalofflsfc gewmetrac akf́koa labofflsfc Þntey he tÇc prosfgorac tf̀n avormf́n. (42) tehata tic tyun Þn ymin t dndron tf̀n ptyn, ftic e% mn k rf t pr teron øfn – e%s gr o& toyto myhologoysin, d Borac aytf̀n ÞrwtikßÇ zflotypßa divheire ka dein\c Þleoysa t phoc f GÇ vytn anÇken m[nymon tßÇ parhnw: toyto mn oyte pehomai lgoysin oyte pr keitai lgein, all’ oti vrei karpn çoc nomzetai k\noc. aytf t\ suf́mati tÇc prosfgorac f pr vasic. tosoyton 1uw soi mroc di’ e%k noc e%pein. e% d t p¼n akofflein poheic, “d pwc 1uei: (43) anf̀r xffllwn dfmioyrgc kfflkloyc Þx fc ayt\ ddwken ylfc f tunf pnte tn arihmn 2kaston 7sa dfflo tem]n ka t\n tmfmtwn Þnna synqac Þk mn t\n akrwn allf́loic, Þk d t\n mswn tßÇ z[nßf çfn artwc yperttfn proseipon %srihma toffltoic Þpstfse xfflla koilnac ktwhe mn Þx eyroc arxmena, kat brau d meiofflmena prc akron x kyrtofflmen te tosoy ton oson tßÇ koil tfti synarm sai toy touoy ka tc apntwn koryvc e%c man synagag]n frma te kmqac fdiston apdeixe hama. (44) all gr pnte mn kfflkloyc dua tem[n, Þnna d m non tmfmtwn ypogrqac tf̀n Þrgasan Þpizftoy ntac ym¼c e% tonyn toy mroyc Þxsfc dißfrfmnoy k twc a%shnomai t leipon mroc toy kfflkloy. (45) aytoy ka toy mn 1nhen, toy d 1nhen t\n Þnna keimnoy aqc amvotroic Þk tÇc aytÇc ylfc Þpkeitai t pr sw koilainomnf syneisvroysa klloyc proshf́kfn e%k noc aytßÇ gegrammnfc Þn msw toy prosttoy t\n olwn. urysc d ka ur[mata t p¼n 1rgon vaidrfflnei toy to. (41) Auf einem Band14 [der Apsis], nämlich dem höchsten, liegt eine neuartige Form auf. Einen Halbzapfen nennt dies die Geometrie, wie ich gehört habe, wobei die Bezeichnung folgenden Ursprung hat. (42) Es hat vielleicht schon einer bei euch den Pinienbaum betrachtet, und ob dieser vorher ein Mädchen war – es gibt Leute, die diesen Mythos erzählen; Boreas aber hat aus erotischer Eifersucht das Mädchen zugrunde gerichtet, und aus tiefem Mitleid mit dem Leiden hat die Erde eine Pflanze mit dem gleichen Namen wie die Jungfrau hervorgebracht; weder glaube ich denen, die das erzählen, noch ist es meine Absicht, es wiederzugeben, sondern nur zu sagen, daß der Baum eine Frucht trägt, die Zapfen genannt wird. Dies ist der Grund für die Benennung der Form. So viel kann ich dir15 durch ein Bild sagen. Wenn du aber das Ganze zu hören begehrst, so verhält es sich folgendermaßen. (43) Ein Tischler, der aus dem Material, das ihm sein Handwerk gegeben hat, Kreise geschnitten hat, fünf an der Zahl, und zwar jeden in zwei gleiche Teile, und von den Segmenten neun miteinander an ihren Spitzen verbunden hat, an ihren Mitten aber mit dem Band, das ich soeben als das höchste bezeichnet habe, hat in gleicher Anzahl wie diese Holzbretter darauf gelegt, nachdem er sie gewölbt hat, die von unten breit anfangen und allmählich schmaler werden und sich zu einem spitzen Scheitelpunkt krümmen, so daß sie sich an die Wölbung der Mauer fügen; und indem er die Spitzen von allen an einem Punkt zusammengeführt hat und sie allmählich gebogen hat, hat er einen äußerst angenehmen Anblick geschaffen. (44) Aber während ich zwar fünf Kreise entzwei schneide, aber nur die Verarbeitung von neun Segmenten beschreibe, bemerke ich, daß ihr wahrscheinlich den übrig gebliebenen Teil des Kreises vermißt. (45) Ebendieser Teil ist in zwei gleiche Stücke geteilt, und das eine liegt auf der einen Seite der neun Segmente, das andere auf der anderen. Auf beiden liegt ein Bogen aus demselben Material auf, der vorne gewölbt ist und zur größeren Schönheit des Bildes beiträgt, das auf ihm gemalt ist, in der Mitte, nämlich das des Herrschers aller Dinge. Gold und Farben lassen dieses ganze Werk erstrahlen. 13 Der Text folgt der Ausgabe von Foerster/ Richtsteig (1929). Eine gedruckte deutsche Übersetzung existiert nicht. Ins Englische sind Teile der Beschreibung übertragen worden von Downey: Smith (1950) 155/7, Downey (1963) 137f, Mango (1972) 68/72 und Litsas (1980); ins Französische von Abel (1931) 24/6. 14 Chorikios meint damit die horizontalen Steinlagen des Mauerwerks. 15 Angeredet ist hier Bischof Markianos. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/081-103.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 84 Jan Stenger Chorikios krönt die Beschreibung der Apsis einerseits mit einer mythologischen, bildhaften Erklärung, andererseits mit einer umfangreicheren, exakten geometrischen Analyse, die zusammen die ausdrücklich als neuartig bezeichnete Form des Gewölbes dem Bischof und dem Festpublikum näher bringen sollen16. Das Nebeneinander der beiden Arten der Beschreibung wirft die Frage auf, wozu es des Mythos bedarf, wenn dem Wortlaut nach die minutiöse technische Analyse zur ganzen Erklärung genügt? Will Chorikios damit sagen, daß die Geschichte von Boreas rein der Ausschmückung dient und sozusagen ein Residuum der literarischen Konvention ist? Um die Tragweite des Passus einschätzen zu können, soll die Interpretation einen zweifachen Pfad einschlagen. Zum einen liegt hier die literarische Beschreibung eines Kunstwerks vor, weshalb der Text in den Horizont der Praxis der Ekphrasis zu stellen ist. Nur wenn berücksichtigt wird, an welchen Rezeptionserwartungen Chorikios seine Darstellung orientierte, wird es möglich sein, deren Implikationen für das zeitgenössische Publikum zu analysieren. Zum anderen handelt es sich bei dem Text nicht primär um einen Lesetext, sondern um eine Rede, die zu Ehren einer Persönlichkeit während eines städtischen Festes vor einem großen Publikum zu Gehör gebracht wird, so daß ihre spezifische Aussage auch nur in diesem urbanen Kontext adäquat verstanden werden kann. Im dritten Abschnitt des Aufsatzes wird deshalb versucht, diese pragmatische Dimension für die Deutung der Ekphrasis fruchtbar zu machen. So wird sich zeigen lassen, daß die Beschreibung des Apsisgewölbes implizit grundsätzlich Stellung bezieht zur Position der Bildung in Gaza. 2. Die Ekphrasis des Apsisgewölbes – Mythos und Wissenschaft Wenden wir uns also zuerst dem Aspekt der Ekphrasis zu17. Bekanntermaßen erfreute sich diese literarische Verfahrensweise in der Spätantike und der frühbyzantinischen Zeit großer Beliebtheit und war, wie die Progymnasmata zeigen, fest in den rhetorischen Lehrbetrieb integriert18. Nach der in der Antike gültigen Definition ist die Ekphrasis nicht, wie der Terminus in der Moderne verengt wird, auf die literarische Beschreibung von Kunstwerken beschränkt, sondern besteht in der möglichst anschaulichen, plastischen Beschreibung eines beliebigen Objekts oder Vorgangs, seien es Tempeltüren, seien es loci amoeni oder auch festliche Anlässe und Zeremonien19. Ziel des Verfahrens ist es, durch Worte in großer Detailfülle dem Hörer oder 16 Aus Chorikios’ Beschreibung geht ziemlich deutlich hervor, daß er das Gewölbe der Apsis meint. Siehe Maguire (1978). Smith (1950) 38f hingegen geht davon aus, daß eine Kuppel über der Vierung der Kirche beschrieben werde. 17 Die Literatur zu dieser literarischen Form in der Antike und später ist unüberschaubar. Stellvertretend seien hier lediglich folgende Arbeiten genannt, denen weitere Literaturhinweise entnommen werden können: Fowler (1991); Goldhill (2007); Webb (2009); ferner weitere Beiträge in 102 Heft 1 (2007) von Classical Philology. Immer noch grundlegend Friedländer (1912). Speziell zur Spätantike vgl. auch den Überblicksartikel von Downey (1959). 18 Theon prog. 118,6/120,11; Hermog. prog. 10; Aphth. prog. 36/8; Nicol. prog. 67/71. Zu den Progymnasmata Webb (2009) 39/59. 19 Theon prog. 118,7 (1kvrasc Þsti l goc perifgfmatikc Þnarg\c yp’ oqin agwn t dflofflmenon). Kunstwerke und Gebäude werden als eigenständiges Thema der Ekphrasis in der erhaltenen Theorie erstmals behandelt bei Nicol. prog. p. 69, Z. 4/11. In der Praxis bildeten fiktive oder reale Gebäude natürlich längst den Gegenstand von Ekphraseis, etwa Hom. Od. 7,81/102. 112/32 (Palast des Alkinoos); Eur. Ion 184/218 (Apollontempel); Vitr. 5,1 (Basilika von Fanum Fortunae); Luc. Dom. Arnulf (2004) 33/50. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/081-103.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Chorikios und die Ekphrasis der Stephanoskirche von Gaza 85 Leser einen visuellen, geradezu lebendigen Eindruck des Gegenstandes zu vermitteln, so daß er sich vor dem inneren Auge ein Bild davon macht oder eine Vorstellung (vantasa) formt20. Die Rhetorik hat dafür den Terminus der Þnrgeia oder evidentia geprägt21. Zieht sich die Ekphrasis als literarische Praxis im sechsten Jahrhundert durch die ganze Literatur vom Epigramm bis hin zur Geschichtsschreibung, so kann sie insbesondere für die Stadt Gaza und ihre rhetorische Schule als charakteristisch gelten. Dort suchten sich die Autoren mit Vorliebe Artefakte und Architektur als Objekte aus, um ihre rhetorischen Fähigkeiten zur Geltung zu bringen22. Beispielsweise verfaßte Prokop Beschreibungen eines Gemäldezyklus23 und einer mechanischen Kunstuhr24, während Johannes von Gaza ein kosmologisches Kuppelgemälde in einem öffentlichen Winterbad als Thema wählte25. Mit einigem Recht könnte man sagen, daß Chorikios’ Werk von der Technik der Ekphrasis strukturiert wird, läßt er doch kaum eine Gelegenheit aus, in seinen Reden Stadträume, Gebäude, Bilder oder Feste möglichst anschaulich vor Augen zu stellen26. Zudem macht er sich wiederholt theoretische Gedanken über das Verhältnis von Text und Objekt im Rahmen seiner Ekphraseis27. Auch in der vorliegenden Rede bleibt die auf Þnrgeia zielende Beschreibung keineswegs auf den Kirchenbau beschränkt, sondern prägt gleichermaßen die übrigen Teile, etwa die Darstellung der Festlichkeiten. Sowohl die antike Rhetorik als auch die moderne Literaturtheorie ist bei der Ekphrasis primär an der spezifischen Wirkung auf den Rezipienten und mittelbar am Status des Textes im Verhältnis zur Realität interessiert. Freilich ist eine grundlegende Differenzierung vorzunehmen, die in der modernen Diskussion oft genug außer acht gelassen wird28. Für die Funktion der Ekphrasis im Hinblick auf den Rezipienten ist es ein erheblicher Unterschied, ob etwas Abwesendes oder Fingiertes beschrieben wird oder ob die Beschreibung im Angesicht des physisch präsenten Objekts rezipiert wird. Im ersten Falle, der von Rhetorik und Literaturkritik in den Mittelpunkt gerückt wird, geht es um die textuelle Erzeugung von Präsenz, um die Evozierung einer vantasa im Rezipienten und den damit einhergehenden Erkenntnisakt. Rhetoriker wie Quintilian stellen heraus, daß die Ekphrasis unter Umgehung des rationalen Denkens direkt beim Hörer Affekte auslösen könne, was sie für den Redner zu einem besonders effektiven Instrument mache29. Da die vor dem inneren Auge hervorgerufene vantasa, wie mehrfach gesagt wird, dem sinnlich wahrgenommenen Eindruck beinahe nicht nachsteht, wird hier die Differenz von sinnlich wahrnehmbarer Wirklichkeit und Vorstellung nachgerade negiert30. Im zweiten Falle hingegen kann dies keine entscheidende Rolle spielen, weil das Objekt selbst physisch präsent ist, wodurch das Wort scheinbar überflüssig wird31. Dann kommt es zu einem Wettstreit zwischen den Medien Text und Bild, und der Autor bzw. Redner strebt danach, sich in diesem Agon als ebenbürtigen, Siehe Quint. inst. 6,2,29f; PsLongin. 15,1. Webb (2009) 87/106 zur Rolle der Þnrgeia in der Ekphrasis. 22 Zu spätantiken Architekturbeschreibungen siehe Arnulf (2004) 81/7; Saradi (2006) 71/8. 23 Friedländer (1939); Talgam (2004). 24 Diels (1917). 25 Friedländer (1912). 20 21 26 Siehe beispielsweise Chor. or. 1 (Sergioskirche mit Langhauszyklus); 7,15 (Jenseits). Vgl. Phot. bibl. cod. 160,102b. 27 Chor. or. 1,15f. 46f; 2,25/7. 28 Vgl. allerdings Webb (2009) 172/4. 29 Quint. inst. 6,2,30 und 32; PsLongin. 15,9. Goldhill (2007); Vogt-Spira (2007) 26. 35; Webb (2009) 98/100. 30 Vogt-Spira (2007) 26f. 31 Luc. Dom. 1f; Chor. or. 1,16 und 46. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/081-103.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 86 Jan Stenger wenn nicht überlegenen Künstler zu inszenieren. Die Sinneswahrnehmung tritt in Konkurrenz zum inneren, geistigen Auge, dessen Bild vom Text erzeugt wird. Die Vorzüge des Verfahrens liegen dann darin, einerseits durch die lineare Anlage des Textes und die Notwendigkeit der Selektion die Wahrnehmung der Rezipienten zu steuern. Die Ekphrasis lenkt die Aufmerksamkeit auf den Prozeß der Perzeption und schult diese als besondere Kompetenz. Andererseits vermag der Text verborgene Aspekte, eventuell eine symbolische Bedeutung des Objekts zum Vorschein zu bringen, das heißt, die Worte erzeugen auch hier Präsenz, lassen etwas Abwesendes anwesend sein32. Ständig wird der Rezipient aufgerufen, seine Sinneswahrnehmung und die textuell evozierte Vorstellung miteinander zu vergleichen. Dadurch wird hier gerade die Differenz zwischen dem sinnlich erfahrbaren Objekt und der literarischen Repräsentation oder Mimesis hervorgehoben. Zumal in einem christlichen Kontext kann dies relevant werden, wenn etwa die theologische Bedeutung eines Bauwerks oder einer bildlichen Darstellung sichtbar gemacht wird. Im folgenden soll deshalb danach gefragt werden, ob Chorikios, der sich des erwähnten Agons mit dem bildenden Künstler bewußt ist33, die Ekphrasis nutzt, um die Perzeption seines Publikums zu lenken und eine tiefere Bedeutungsebene des Gebäudes zu eröffnen. Wenn er sich dem Apsisgewölbe zuwendet, begnügt sich Chorikios nicht damit, Form und Konstruktion dieses Bauteils detailliert zu schildern, sondern er greift den geometrischen Fachterminus ›Zapfen‹ (k\noc, 41)34 als Anknüpfungspunkt heraus, um einen Mythos in seine Beschreibung einzuführen. In lediglich groben Strichen skizziert er die Geschichte des Windgottes Boreas, der sich in Rivalität zum Hirtengott Pan um die Nymphe Pitys bemüht. Da diese ihre Gunst Pan erweist, stürzt Boreas mit einer Bö die junge Frau von einem Felsen, so daß sie zu Tode kommt. Wie Chorikios bemerkt, greift die Erde in das Geschehen ein, indem sie aus Mitleid anstelle der Nymphe einen Baum gleichen Namens, die Pinie oder Fichte (griechisch ptyc), emporwachsen läßt35. Statt den ohnehin wenig komplexen Mythos in voller Länge auszuerzählen, geht Chorikios mit wenigen Andeutungen über die Geschichte hinweg, da es ihm offensichtlich allein um die Herleitung des geometrischen Terminus, also um den aitiologischen Aspekt des Mythos, geht. Er setzt voraus, daß sein Publikum, in erster Linie Bischof Markianos, der hier angeredet wird, über hinreichendes mythologisches Wissen verfügt, um den ganzen Kontext zu supplieren. Durch die ›Leerstellen‹ in seiner narrativen Präsentation gibt der Festredner zu verstehen, daß er und seine Rezipienten über dieselbe Bildung verfügen, so daß knappe Anspielungen ausreichen. Zudem läßt Chorikios in seine Beschreibung ein implizites Kompliment für seine Hörer einfließen, da er nicht auf die gängige Erzählung des Boreasmythos zu rekurrieren scheint. Obgleich gerade in der Spätantike die eifersüchtige Verfolgung der Pitys mehrfach bezeugt ist – Chorikios konnte sie etwa von Libanios und Prokop Webb (1999) 69f. 73f. Chor. or. 1,15f; 2,25f. Vgl. Procop. Gaz. horol. praef. 34 Im terminologischen Gebrauch der Geometrie kommt das Wort beispielsweise bei Apollonios von Perge, Konika vor, wo es den Kegel bezeichnet (Definitionen in con. 1 def. 1 [1, 6 Heiberg]). Wie Paulus Silentiarius’ Ekphrasis der Hagia Sophia zeigt, 32 33 ließen sich architektonische Termini auch in eine poetische Beschreibung integrieren. Vgl. die Liste bei Friedländer (1912) 1243. 35 Siehe auch Quint. Smyrn. 8,204/6; Anth. Pal. 9,376; Liban. narr. 4 und 32 (8, 33f. 54f Förster); Nonn. Dion. 12,314/8; Procop. Gaz. decl. 2; Geopon. 11,10. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/081-103.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Chorikios und die Ekphrasis der Stephanoskirche von Gaza 87 kennen –, ist es zumeist die Nereïde Oreithyia, auf die sich die sexuelle Begierde des Windgottes richtet36. Als mutmaßlicher ausgewiesener Kenner, so impliziert Chorikios, wird Markianos diesen Rückgriff auf die seltenere Fassung zu würdigen wissen. Die mythologische Anspielung ist demnach weit davon entfernt, lediglich einen Terminus herzuleiten, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte. Vielmehr fungiert sie als Ausweis einer literarischen Bildung, die Gemeinsamkeit zwischen dem Redner, dem primären Adressaten Markianos und dem Festpublikum herstellt. Diese latente Funktion fällt zumal ins Auge, wenn man bedenkt, daß für die Erklärung des geometrischen Fachbegriffs auch der bloße Rekurs auf den Pinienbaum genügt hätte. Die Integration der Gemeinschaft scheint indessen ihre Grenzen zu haben, da die Geschichte von Boreas nicht jedermanns Gefallen findet. Was an dem Mythos sogleich ins Auge fällt, ist die rhetorische Form seiner Präsentation. Chorikios beläßt es nicht bei der Anspielung, nein, er weist die Geschichte anonymen Mythenerzählern zu, nur um sich direkt im Anschluß von diesen zu distanzieren. Es sei gar nicht seine Absicht, den Mythos wiederzugeben. Obgleich er selbst es ist, der ohne Notwendigkeit – man denke an Photios’ Kritik – diese Anspielung in die Ekphrasis hineinträgt, erweckt Chorikios den Anschein, als bringe der Gebrauch des Terminus ›Zapfen‹ nun einmal das mythische Aition mit sich, ohne daß er sich dagegen wehren könne37. Um sein Unbehagen, sein inneres Sich-Sträuben vollends sinnfällig zu machen, durchbricht er die syntaktische Konstruktion. Der Anakoluth soll die Schwierigkeiten des Redners mit dem paganen Mythos für die Hörer geradezu spürbar werden lassen, die Syntax besitzt gewissermaßen mimetische Qualitäten. Noch dazu ergänzt Chorikios, daß es lediglich um die bildhafte Erklärung (di’ e%k noc e%pein) des geometrischen Fachbegriffs gehe. Der Mythos wird auf die Ebene des Bildes verwiesen, das rein illustrativen Zwecken dient. Als wäre die Distanzierung noch nicht deutlich genug, hält der Redner schließlich fest, daß der Mythos lediglich einen Teil erläutern könne, während das Ganze der exakten technischen Analyse vorbehalten bleibe (tosoyton [.. .] mroc, t p¼n). Möglichen Vorbehalten seiner Hörer gegenüber der Geschichte kommt er entgegen, indem er zum einen mit Nachdruck betont, er glaube den Gewährsleuten des Mythos überhaupt nicht. Chorikios stellt also den Realitätsgehalt der Episode in Frage und verbannt sie in das Reich der Fiktion, so daß ihre Relevanz minimiert wird. Zum anderen nimmt er entscheidende Retuschen an dem überlieferten Mythos vor, welche die Geschichte in den Ohren der Zeitgenossen weniger anstößig klingen lassen. Wie man ohne weiteres erkennt, handelt es sich bei der Erzählung von Boreas und Pitys um eine klassische Metamorphose. Ein Mensch oder menschenähnliches Wesen wird von einem Gott verfolgt und auf dem Punkt höchster Gefahr bzw. im Tode in eine Pflanze verwandelt. In dieser Form begegnen wir der Episode auch bei anderen Autoren38. Nicht so jedoch bei Chorikios. Er spricht nicht von einer Verwandlung der Pitys, sondern läßt nach deren Tod die Pinie wachsen, die zwar zur Erinnerung denselben NaSimon. frg. 3 (IEG 22, 115f West); Aeschyl. frg. 281 (TrGF 3, 378f); Herodt. 7,189; Plat. Phaedr. 229b/d; Ov. met. 6,682/721; Apollod. bibl. 3,199. 37 Vergleichbar ist das Vorgehen in Chor. or. 1,33, wo Chorikios betont, der bildende Künstler habe nicht die ›mythischen Vögel‹ der Dichter, Nachtigall und Zikade, dargestellt, damit sie nicht den sakralen 36 Ort störten. Auch dort ist es also erst der Redner selbst, der dieses Element willkürlich in die Beschreibung des Sakralbaus einführt, um sich gleichzeitig davon zu distanzieren. 38 Anth. Pal. 9,376; Liban. narr. 4 (8, 33f F.); Procop. Gaz. decl. 2. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/081-103.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 88 Jan Stenger men wie die Nymphe trägt, jedoch nicht mit dieser identisch ist. Mit der Abwandlung geht eine charakteristische ethische Tendenz einher. Obgleich er sich auf knappe Anspielungen beschränkt, verzichtet Chorikios nicht darauf, das Movens von Boreas’ Handeln äußerst negativ zu charakterisieren (ÞrwtikßÇ zflotyp), der Erde hingegen ein vollkommen edles Motiv, nämlich Mitleid, zuzuschreiben (dein\c Þleoysa t phoc). Seinem immerhin zur Weihe einer Kirche versammelten Festpublikum weist der Redner durch diese Gewichtung zwischen dem paganen ›Dämon‹ und der Schöpfung Gottes einen Weg, auf dem es dem Mythos seine Anstößigkeit nehmen und ihn in ihre christliche Weltanschauung integrieren kann39. Wie wir auch sonst in dieser Zeit Versuchen begegnen, traditionelle Mythen durch allegorische Deutung für einen christlichen Kontext akzeptabel zu machen40, setzt Chorikios deutliche Signale, um seinen Hörern ein Interpretationsangebot zu machen. Der hier beobachtete Umgang mit dem Mythos, die Vorsicht oder Reserve gegenüber solchen Geschichten, ist in Chorikios’ Œuvre beileibe kein Einzelfall. Beinahe immer, wenn er auf Mythen oder mythenhafte Erzählungen zu sprechen kommt, beeilt er sich zu versichern, daß es sich eben lediglich um myhoi handele, um unglaubhafte Erfindungen ohne eine Referenz auf die Realität41. Obgleich die Reden, wie Photios mit Recht bemerkt, gespickt sind mit mythologischen oder literarischen Anspielungen, verwirft der Autor diese immer wieder aufs neue. Sein Verdikt trifft dabei keineswegs nur Mythen im engeren Sinne, also traditionelle Erzählungen von Göttern und Heroen, sondern ebenso Erzählungen der Historiographie, denen man seinen Glauben versagen müsse. In der ersten Lobrede auf Markianos beispielsweise rühmt Chorikios diesen dafür, daß er sowohl in der weltlichen Literatur als auch in der theologischen Bildung bewandert sei, doch läßt er keinen Zweifel daran, welchem Zweig der paidea allein Relevanz zukomme: Die Mythen habe der Adressat bereits in seiner Jugend verlacht und als nutzlose, spielerische Unterhaltung bewertet42. Und in einer Rede auf die Brumalia des Kaisers Justinian weist Chorikios es von sich, an Mythen zu glauben, die Alexander den Großen zum Sohn des Zeus machten. Nebenbei sei vermerkt, daß er diesen Hinweis ebenso ohne Notwendigkeit, beinahe gewaltsam in seine Argumentation einfügt und durch einen Anakoluth auf dessen Anstößigkeit aufmerk- Zur Eifersucht im christlichen Denken vgl. beispielsweise Joh. Chrys. virg. 52. 40 Aus dem Kontext von Gaza ist in erster Linie an Prokops Ekphrasis des Gemäldes von Phaidra und Hippolytos zu denken, deren ethische Deutung den Mythos unter den Leitbegriff der swvrosfflnf stellt und ihn damit auch für ein christliches Publikum akzeptabel macht. Liebeschuetz (2001) 226. Auf dem kosmologischen Bild, das Johannes beschreibt, ist inmitten der Figuren der paganen Kosmologie das christliche Kreuz dargestellt (Joh. Gaz. descr. 1,29/44); zudem eröffnet Johannes die Ekphrasis zuerst mit einer Anrufung der Musen und Apollons, dann mit einer des christlichen Gottes (1,1/28). 41 Vgl. Webb (2006) im Hinblick auf Chorikios’ Deklamationen und Verteidigung der Mimen; Greco (2007) 109. 39 Chor. or. 1,6: Noc mn «n Þk poiftikÇc Þdrqw t kllista syllgwn mn o ti urf́simon 1vy, prosmeidi\n d toic mfflhoic e%c an nfton eyvrosfflnfn ypolab]n pepoiÇshai toic Omfrdaic, ›sper Þn alsei poiklw ka tc oqeic kfloynti t\n e%si ntwn 1sti mn t synteloynta tf̀n urean, e%s d kyprittoi kfflklw ka pltanoi kaln ypfuoysai ka akarpon eyhyman e%sgoysai t\ kektfmnw tn u\ron (»Als junger Mann pflücktest du 42 von der Dichtkunst das Schönste, indem du sammeltest, was nützlich war, aber über die Mythen lächeltest, da du annahmst, daß sie von den Homeriden zur nutzlosen Erheiterung gedichtet seien, so wie in einem bunten Hain, der den Blick der Besucher bezaubert, manches dem Nutzen dient, es aber auch ringsum Zypressen gibt und Platanen, die schön widerhallen und dem Besitzer des Grundes fruchtlose Wohlgemutheit spenden«). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/081-103.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Chorikios und die Ekphrasis der Stephanoskirche von Gaza 89 sam macht43. Zahlreiche ähnliche Äußerungen der Distanzierung finden wir in den übrigen Reden, selbst in den Deklamationen versäumen es die Sprecher nicht, den fehlenden Realitätsbezug von Mythen und Erzählungen zu erörtern44. Nicht zuletzt in der vorliegenden Ansprache steckt er sogleich in der einleitenden Dialexis seinen literaturtheoretischen Rahmen ab, indem er Herodots Beschreibung des babylonischen Tempels in das Reich der Fabel verweist, um sich davon abzusetzen45. Wir können also festhalten, daß Chorikios sich stets Mühe gibt, vor seinem Auditorium den Mythos, ja sogar die literarische Überlieferung als einen Bereich des Spiels und der Unterhaltung auszugrenzen. Er spricht ihr jegliche Relevanz für die Wirklichkeit ab und definiert sie als Sphäre der Illusion bzw. Fiktion. Nicht umsonst taucht in diesem Zusammenhang mehr als einmal der Begriff pl´sma auf, der den fiktionalen Status der Literatur zu Bewußtsein bringt46. Besonders deutlich hat Chorikios sein Literaturverständnis sicherlich in der Apologie der Mimen formuliert, wenn er bestreitet, daß derartige mimetische Darbietungen die Zuschauer psychisch in irgendeiner Weise beeinflussen könnten47. Die behauptete Autonomie der literarischen Sphäre gestattet es ihm, gleichzeitig pagane Mythen vorzutragen und sich von ihnen zu distanzieren, ihre Bedeutung zu relativieren. Man könnte im Hinblick auf den oben zitierten Passus von einer praemunitio sprechen, da Chorikios mit der Selbstkorrektur möglichen Einwänden gegen seinen Mythos vorbeugt. Er spielt zwar auf die Geschichte des Boreas an, geht aber noch im selben Atemzug über sie hinweg bzw. distanziert sich von ihr. Er erzählt und erzählt gleichzeitig nicht. Scheinbar spontan, wie der Anakoluth suggeriert, verfertigt der Redner den Text erst beim Vortrag und manipuliert durch diesen Kunstgriff die Wahrnehmung des Publikums. Der Hörer stolpert gewissermaßen zusammen mit dem Autor über den Text und wird zur Reflexion über dessen Inhalt angeregt. Warum wollte Chorikios auf die an sich nicht notwendige Anspielung nicht verzichten, wenn sie ihm doch solches Unbehagen bereitete? Aufschluß vermag hier der weitere Text zu geben, da er ausdrücklich die ganze Erklärung bieten soll. In den folgenden Paragraphen beschreibt Chorikios das Apsisgewölbe zwar bemerkenswert umständlich, aber mit stupender Präzision, so daß man eine Rekonstruktionsskizze danach anfertigen kann48. In einer kunstvollen Darstellung von äußerster Komplexität nimmt der Redner die Perspektive des Konstrukteurs ein, damit das Publikum ermessen kann, welche Überlegung und Planung, welche technische Kompetenz hinter dem sichtbaren Gewölbe steckt. Hierbei macht er es sich zunutze, daß 43 Chor. or. 13, 7: all ka Alxandron tn Vilppoy, oy gr Þprueta moi pistefflein toic mfflhoic Dic e(nai paida tn anhrwpon, Þpeidf̀ Prsac kaheile, toyto gr pehomai, dait vasi poiÇsai basilikf̀n ka toic daitym si propnein vilotfsac (»Aber als Alexander, der Sohn Philipps – denn es kommt mir nicht in den Sinn, den Mythen zu glauben, daß der Mensch ein Sohn des Zeus gewesen sein soll – die Perser besiegt hatte – dies glaube ich nämlich –, soll er ein königliches Mahl gegeben haben und den Gästen den Becher der Freundschaft zugetrunken haben«). 44 Chor. or. 3,20; 5,4; 12,54; 16,2f; 18,5; 20,6; 21,2; 26,89; 29,86f. 89; 30,2. Chor. or. 2, dial. 2. Siehe etwa Chor. or. 3,20; 15,6; 16,5; 20, theoria 1; 42, theoria 2. 47 Chor. or. 32,76f. Webb (2006) 118f. 48 Einen Rekonstruktionsversuch mit Hilfe vergleichbarer spätantiker Kirchenbauten hat Maguire (1978) unternommen (zeichnerische Umsetzung ebd. 322). Nicht überzeugen kann allerdings seine Interpretation, daß sich der Terminus ›Halbzapfen‹ nicht auf die Form des gesamten Gewölbes, sondern nur auf die der neun Kreissegmente beziehe (ebd. 324). 45 46 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/081-103.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 90 Jan Stenger diese Form der Fokalisierung, also die Wahrnehmung mit den Augen des schaffenden Künstlers oder Handwerkers, bereits seit Homers Schildbeschreibung als eine Form der Rezipientensteuerung in der Ekphrasis etabliert war49. Während der Betrachter nur den optischen Eindruck des vollendeten Gewölbes empfängt, verleiht Chorikios auch den unsichtbaren Aspekten der Konstruktion Präsenz und ermöglicht erst dadurch eine vollständige Wahrnehmung des Gewölbes. Erst das imaginierte Zuschauen beim Prozeß der Anfertigung, dem die narrative Sequenz des Textes entspricht, läßt erahnen, welche Berechnungen und Arbeitsschritte erforderlich sind, bis das konische Gewölbe fertig auf dem Mauerwerk ruht. Die Ekphrasis spielt hier unverkennbar die Spezifika des Textes gegenüber dem visuellen Eindruck aus. Dessen Statik wird transformiert in eine dynamische Vorstellung vor dem inneren Auge des Publikums50. So ruht die Aufmerksamkeit der Betrachter viel länger und intensiver auf dem Gewölbe, als es beim bloßen Betrachten der Fall wäre. Nicht zuletzt in dieser Lenkung der Perzeption sieht Chorikios die Aufgabe seiner Ekphraseis51. Im Rahmen der Rede kommen diesem Passus auf den ersten Blick primär zwei Funktionen zu. Erstens läßt die detaillierte Beschreibung der Konstruktion Rückschlüsse zu auf die Qualitäten und Kompetenzen desjenigen, der für sie verantwortlich ist. Dies ist in erster Linie nicht der Konstrukteur, sondern der Auftraggeber des Bauwerks, Bischof Markianos. Seine Begeisterung für Kunst und architektonische Konstruktion, also für tunf, tritt in der Rede klar hervor52. Das rhetorische Verfahren, durch die Ekphrasis von Bauten den Erbauer zu preisen, war im sechsten Jahrhundert üblich, wie etwa die Bauten Prokops von Caesarea eindrücklich demonstrieren53. Zweitens lenkt Chorikios aber die Aufmerksamkeit auf seine eigene Kompetenz. Wir werden Zeugen eines Wettstreits zwischen dem Künstler, der das Werk vollbracht hat, und dem Autor, dem lediglich Worte zu Gebote stehen. Doch ohne die Worte bliebe das eigentliche Kunstwerk unsichtbar. Chorikios erreicht in diesem Teil der Ekphrasis den Gipfel seiner Meisterschaft und stellt unter Beweis, daß er sowohl über das technische Fachwissen verfügt als auch imstande ist, das äußerst komplexe Werk in angemessener Form zu repräsentieren. Gewissermaßen vollendet erst er das Gewölbe und sorgt zudem für dessen Ruhm selbst bei Menschen, die es gar nicht mit eigenen Augen gesehen haben54. Es ist kein Zufall, daß Chorikios vorrangig Wert auf die geometrischen Prinzipien des Gewölbes legt. Vielmehr zeigt er dieses Interesse ebenso in der ersten Rede für Markianos, wenn er die Kirche des Sergios beschreibt55. Dort bringt er seine Wert- Zur Funktion der Fokalisierung in der Ekphrasis Fowler (1991). 50 Bewegung bzw. Dynamik spielt bei Ekphraseis des öfteren eine Rolle und läßt den medialen Unterschied zwischen Text und Kunstwerk um so deutlicher hervortreten. Webb (1999) 64/8. Dies gilt auch, wenn Chorikios seine Ekphraseis als Perihegesen anlegt. 51 Chor. or. 2,26. Vgl. Procop. Gaz. horol. 7f. 52 Chor. or. 2, dial. 2. 34. 37. 42/5. 53 Siehe MacCormack (1976) 46/54 zur lateinischen Panegyrik und Cameron (2006) 20/3 zur griechischen Literatur. Vgl. auch Webb (2009) 174f. 49 Diese Funktion seiner Rede betont Chorikios abschließend selbst, wenn er den auswärtigen Festbesuchern nahelegt, in ihrer Heimat von dem zu erzählen, was sie – vermittelt durch seine Rhetorik – gesehen haben: Chor. or. 2,75. Vgl. ferner or. 1,16. 55 Fertiggestellt wurde sie vor 536 (Erwähnung der Kirche in or. 3,60/5). Zu dieser Kirche siehe Abel (1931) 12/23; Smith (1950) 39f; Thümmel (1997) (mit Übersetzung der Ekphrasis und hypothetischer Rekonstruktion des Grundrisses). 54 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/081-103.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Chorikios und die Ekphrasis der Stephanoskirche von Gaza 91 schätzung für die Kunst der Konstrukteure zum Ausdruck, indem er sich expressis verbis ihrer Terminologie bedient (or. 1, 27): e% d dei mfd t\n mfuanopoi\n atimsai tf̀n tunfn, all’ >c an Þkeinoi vaien, e%pein, kylndroy mroc rhn Þvstfke t\ Þdvei tetrtoy mroyc ayt\ svarac Þpikeimnoy kenÇc (»Wenn man nicht die Kunst der Ingenieure geringschätzen darf, sondern so, wie sich jene ausdrücken würden, sprechen soll, so steht ein Teil eines Zylinders aufrecht auf dem Grund, wobei der vierte Teil einer Hohlkugel auf ihm liegt.«). Die perfekte Konstruktion ist für ihn ein essentieller Aspekt des Gebäudes, der spezielle Aufmerksamkeit verdient. Nun könnte man nicht ohne Recht bemerken, daß die aufwendige Ekphrasis des Gewölbes ihren Zielpunkt und ihre Rechtfertigung erst in Christus finde, ist es doch der Pantokrator, der sowohl im Kirchenbau selbst als auch in dessen rhetorischer Repräsentation über der Apsis thront56. Wie der Architekt, so scheint auch der Redner sein Können in den Dienst der christlichen Religion zu stellen. So käme der Ekphrasis eine weitere panegyrische Funktion zu, indem sie dem höheren Lobe Christi bzw. Gottes gewidmet wird. Falsch ist dieses Verständnis nicht, allein es greift zu kurz. Wer die Lobrede auf Markianos aufmerksam studiert, wird bemerken, welch marginale Rolle in ihr alles genuin Christliche spielt, obgleich ein neuer Kirchenbau im Mittelpunkt steht57. Nicht nur meidet der Redner in attizistischer Manier christliche Terminologie und verwendet stattdessen die traditionellen Begriffe, etwa wenn er durchweg den Bau als ne[c oder tmenoc bezeichnet58, sondern er verzichtet ebenso darauf, die religiöse Funktion der Bauwerke und ihre spirituelle Bedeutung ins Zentrum zu stellen. Im Vergleich mit anderen spätantiken Ekphraseis von Sakralbauten fällt ins Auge, daß Chorikios die Stephanoskirche von Gaza beinahe in rein weltlichen Kategorien analysiert, die ebenso geeignet wären, um ein Forum oder eine Bäderanlage zu beschreiben59. Schon die Beschreibung der Kirche von Tyros, die Euseb von Caesarea aus dem gleichen festlichen Anlaß, der Weihung, vorgetragen hat, unterscheidet sich signifikant, insofern Euseb überhaupt nicht an der Konstruktion oder Schönheit interessiert ist, sondern die symbolische, theologische Bedeutung des Baus zum Thema seiner Festrede macht60. Mit theologischen Reflexionen und unter Berufung auf zahl56 Ob es sich um ein Mosaik oder eine Malerei handelte, ist der Beschreibung nicht zu entnehmen. Downey (1963) 136 lokalisiert die Darstellung nicht wie Mango (1972) 7084 und Maguire (1978) 320 am Triumphbogen, sondern im Apsisgewölbe. 57 Bereits in der Dialexis der vorliegenden Rede gibt Chorikios eine entsprechende Rezeptionshaltung vor, wenn er nicht etwa auf die Beschreibung des Salomonischen Tempels in der Bibel oder Ekphraseis christlicher Kirchen rekurriert, sondern auf Herodots Beschreibung des Tempels von Babylon, um sich mit dieser zu messen (or. 2, dial. 1f). Auch am Ende der Rede werden Herodots Erwähnungen von Weihungen paganer Tempel aufgegriffen (Alyattes und Kroisos, 77f). Vgl. Herodt. 1,19. 22. 50f. 181. Noch dazu parallelisiert Chorikios die gegenwärtige Festversammlung mit einer Feier für Apollon auf Delos (dial. 3). 58 Chor. or. 2,1. 2. 3. 4. 17. 18. 21. 26 u. ö. Es wäre verfehlt, daraus auf eine Distanz zum Christentum oder gar auf pagane Tendenzen schließen zu wol- len. Auch andere Autoren dieser Zeit verwenden die klassischen Begriffe, weil sie durch die Gattungstradition vorgegeben sind. Man kann also nur konstatieren, daß die Entscheidung für eine bestimmte literarische Gattung und damit für einen spezifischen Sprachcode den Darstellungs- und Deutungsrahmen vorgibt, in den die christliche Umwelt, hier der Kirchenbau, eingeordnet wird. Cameron (1965). Barnes (1996) 178/80 hingegen sieht Chorikios aufgrund der fehlenden christlichen Prägung seiner Reden als Heiden. 59 Unzutreffend daher das Urteil von Saradi (2006) 386 über die beiden Kirchenbeschreibungen des Chorikios. Sie zeigten die »spirituality of the interior. These texts, written in a classicizing vocabulary and articulated in conformity with the rules of rhetoric, stress the churches’ celestial grandeur«. Dies gilt für die Stephanoskirche gerade nicht. 60 Eus. h. e. 10,4. Die Kirche war von Bischof Paulinus ca. 310–320 errichtet worden. Euseb hielt die Festansprache bei der Weihe. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/081-103.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 92 Jan Stenger reiche Bibelstellen läßt Euseb die Kirche von Tyros als sinnlich wahrnehmbares Abbild des unsichtbaren himmlischen Tempels erscheinen61. Später lassen dann Paulus Silentiarius und Prokop von Caesarea keinen Zweifel daran, daß Kaiser Justinian bei der Errichtung der Hagia Sophia unter dem Schutz Gottes gestanden habe, ja daß Gott sogar in die Erbauung eingegriffen habe62. Mehrfach begegnen wir in den Ekphraseis christlicher Sakralbauten wundersamen Ereignissen, die auf Gottes Wirken zurückgeführt werden63. Von alldem ist in der zweiten Rede des Chorikios nichts zu spüren. Zwar versäumt er nicht, die Frömmigkeit des Markianos als Beweggrund für die Errichtung anzuführen, aber im weiteren Verlauf wird der religiöse Aspekt nur noch obenhin gestreift64. Weitaus größere Bewunderung wird den weltlichen Annehmlichkeiten der einzelnen Bauteile bei verschiedenen klimatischen Bedingungen geschenkt, der kunstvollen handwerklichen Behandlung der kostbaren Materialien und dem bunten Treiben bei dem Fest zu Ehren des Heiligen Stephanos65. Wenn er das Atrium beschreibt, schildert Chorikios in Anlehnung an Homer einen locus amoenus mit hell klingenden Winden, Weinstöcken, klarem Wasser und vielfältigen Pflanzen66; er vergißt nicht einmal den praktischen Nutzen der Portiken, bei Niederschlag den Eintretenden einen trockenen Platz zu bieten67. Die Ekphrasis des Festes lenkt nicht etwa die Aufmerksamkeit auf den Patron von Kirche und Feier. Vielmehr ist Chorikios an dem technischen Wunderwerk einer Illumination interessiert, die durch Schriftzüge Segenswünsche für Kaiser, Kaiserin und Bischof zum Ausdruck bringt68. Genau dieses rein säkulare Interesse spiegelt sich in der vorgestellten technischen Analyse des Apsisgewölbes wider. Nicht umsonst taucht das Wortfeld tunf als Leitmotiv allenthalben in der Rede auf69. Die Ekphrasis des Gewölbes verselbständigt sich, wird zum rhetorischen Selbstzweck, zumal sie nichts zum genuin christlichen Verständnis des Bauwerks beisteuert. Schlaglichtartig wird dies durch das Ungleichgewicht zwischen ihr und der Christusdarstellung beleuchtet. Nachdem er zuvor kurz das Bild Christi zwischen Johannes dem Täufer und Stephanos erwähnt hat70, tut er es hier in einem Auch bei der Beschreibung der Grabeskirche in Jerusalem (vit. Const. 3,26/40) ist Euseb vorrangig an der religiösen Bedeutung interessiert. Konstantin reinigt den Bauplatz mit Hilfe Gottes (3,26,6f). Der Ort selbst bezeugt die Auferstehung. Ein wörtlich zitierter Brief des Kaisers an den Bischof zeigt, daß es ihm um die spirituelle Bedeutung geht. Die Kirche soll den Sieg des Erlösers über den Tod verherrlichen. Arnulf (2004) 146/50. 62 Paul. Sil. Soph. 6/11. 300/3. Procop. aed. 1,1,25. 61. 63 Paul. Sil. Soph. 193/7; Procop. aed. 1,7,3/5. 64 Chor. or. 2,2. 27. 77. 65 Dies unterstreicht noch einmal der die Ekphrasis beschließende Agon, der ausschließlich die technischen und ästhetischen Qualitäten berücksichtigt (52/8). Bezeichnend ist, daß Chorikios als Motiv für die Wiederherstellung der Apostelkirche allein angibt, Markianos habe einen Schandfleck an einem stark frequentierten Weg beseitigen wollen (17f). Bei einem weiteren Sakralbau kommt es nur darauf an, daß er zuvor für Feiern zu klein gewesen sei (19f). 61 Chor. or. 2,33; siehe Hom. Il. 1,249; Od. 4,567. Auch bei der Erwähnung der Sergioskirche in or. 3,61 geht es rein um die ästhetischen Aspekte des Kirchenbaus. 67 Chor. or. 2,32; ferner 30,71. 68 Chor. 2,63/9. In or. 1,10f hingegen wird das Heiligenfest von vornherein unter dem Aspekt gesehen, die Erinnerung an die Taten der Heiligen wachzuhalten und die Besucher zu einem frommen Leben anzuhalten. 69 Chor. or. 2, dial. 2f; 25f. 34. 37. 39. 43. 55. 74. 76. 70 Chor. or. 2,38. Selbst an dieser Stelle ist die kaum so zu nennende Beschreibung auf das Nötigste beschränkt, wobei Chorikios Christus nicht einmal erwähnt, sondern nur Stephanos und Johannes d. T.: 1sti <d’> amvotrwhen swn andr\n synwrc, kte66 roc t synf́hf sfflmbola vrwn, mn t tmenoc 1uwn Þn dexiß¼ toic hewmnoic, par d tf̀n lain tn Pr dromon oqei (»Zu beiden Seiten befindet sich das Paar heiliger Männer, wobei ein jeder die charakteristischen Erkennungszeichen trägt, der eine das Heiligtum, den Betrachtern zur Rechten, links aber wirst du den Prodromos sehen«). Der Text läßt nicht er- C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/081-103.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Chorikios und die Ekphrasis der Stephanoskirche von Gaza 93 Halbsatz ab, der uns fast nichts über die Ausführung der Darstellung verrät. Ein Bildnis des Flusses Nil mit seinen idyllischen Szenerien wird hingegen detaillierter gewürdigt71. An der Konstruktion der Kuppel jedoch entfaltet Chorikios sein ganzes Können72. Wenn wir uns in Erinnerung rufen, daß Ekphraseis auf den Prozeß der Perzeption aufmerksam machen und die Wahrnehmung lenken, so können wir konstatieren, daß der Redner seinem Publikum gezielt eine bestimmte Perspektive vorgibt: Die Hörer werden aufgerufen, den Sakralbau als weitgehend weltliches Kunstwerk wahrzunehmen. Mit seiner Ekphrasis gibt Chorikios ihnen die Kategorien an die Hand, mit denen sie den Kirchenbau in ihre Perzeption des gesamten städtischen Raumes einordnen können. Wir haben mit der Ekphrasis des Apsisgewölbes zwei verschiedene Modi kennengelernt, das Bauwerk wahrzunehmen und zu deuten. Mythos und exakte Wissenschaft treten nebeneinander, um verborgene Aspekte des Kirchenbaus zum Vorschein zu bringen. Dabei läßt, wie die rhetorische Gewichtung zeigt, die mythologisch-bildhafte Darstellung der präzisen Geometrie eindeutig den Vortritt. Gemeinsam ist beiden Verfahren, daß sie – wie die rhetorische Praxis ihrerseits – Zweige der traditionellen paidea repräsentieren, auf der einen Seite die literarische Bildung, auf der anderen die wissenschaftliche Geometrie oder Technik. Auf beiden Gebieten kann Chorikios durch die Ekphrasis glänzen und seine Kompetenz zur Schau stellen. Gleichzeitig erfüllen beide den Zweck, als panegyrische Motive die Bildung und Kultiviertheit des Adressaten Markianos gebührend zu würdigen73. Verankert wird der ganze Passus durch den Rekurs auf Christus Pantokrator. Nachdem der Mythos als anstößig relativiert und zudem eine Möglichkeit zur Allegorese aufgezeigt worden ist, wird er ausbalanciert durch eine weltanschaulich neutrale Disziplin, die noch dazu ihren formalen Höhepunkt in der Christusdarstellung zu finden scheint. Indes macht die Oberkennen, ob der Kirchenpatron, der Märtyrer Stephanos, gemeint ist oder der Stifter der Kirche. Es wäre allerdings erstaunlich, wenn der Märtyrer nicht dargestellt wäre. Abel (1931) 27; Downey (1963) 136; Mango (1972) 7084; Maguire (1978) 320. 71 Chor. or. 2, 50: Mikroy me parÇlhen Neiloc, aytc mn potamc oydamoy gegrammnoc, çon tr pon zwgrvoi grvoysi potamofflc, refflmasi d ka symb loic toic o%keoic ypovain menoc leim\s te par tc ouhac aytoy. ka gnf pantown rnwn osa toic Þkenoy pollkic loy mena refflmasin toic leim\sin Þndiait¼tai (»Bei- nahe wäre mir der Nil entgangen. Der Fluß selbst ist zwar nirgends so dargestellt, wie die Maler Flüsse malen, vielmehr erscheint er mit seinen Fluten und charakteristischen Zeichen sowie mit Auen entlang seinen Gestaden. Und vielfältige Arten von Vögeln, soviele sich oft in seinen Fluten baden, halten sich in den Auen auf«). Im übrigen zeigt Chorikios hier eine ähnliche Reserve wie bei den paganen Mythen, indem er hervorhebt, daß der Nil nicht als Personifikation dargestellt sei, sondern naturalistisch als Fluß. Nildarstellungen in christlichen Sakralbauten sind für die spätantike bzw. frühbyzantinische Zeit mehrfach bezeugt, doch vermied man die Personifikation. Es handelte sich immer um ein etwas problematisches Sujet, da der Nil zwar einer der Paradies- flüsse war, aber auch in paganen Kontexten Bedeutung hatte. Siehe Maguire (1999); PolaŃ ski (2009). Stellenweise begegnet man aber selbst in Kirchen der justinianischen Zeit paganen Bildmotiven wie Göttern, Satyrn und Kentauren. Saradi (2006) 383. 72 In seiner Ekphrasis der Sergioskirche hingegen widmet sich Chorikios ausführlich auch dem Bildprogramm, insbesondere dem Langhauszyklus. Auch die Darstellungen in der Apsis werden detaillierter gewürdigt als bei der Stephanoskirche. Anscheinend war die Sergioskirche wesentlich reichhaltiger ausgeschmückt. Chor. or. 1,29/33. 46/71. Thümmel (1997) 63f. 73 Auch Greco (2007) geht auf das Verhältnis von Ekphrasis, Mythos und Bildung bei Chorikios ein, zieht aus ihrer Interpretation jedoch andere Schlüsse als der vorliegende Aufsatz, indem sie die paidea des Chorikios auf eine primär ästhetische, allenfalls eskapistische Funktion beschränkt: »Coricio sembra chiudersi in un mondo di letteratura, in cui la paidea tradizionale, ormai privata dei contenuti più profondi a favore della cultura cristiana, continua a mantenere la sua rassicurante e preziosa bellezza« (ebd. 117). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/081-103.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 94 Jan Stenger flächlichkeit des Bezuges auf Christus bewußt, daß das christliche Element gleichsam nur Firnis ist. Es zieht sich als dünner Film über die traditionelle paidea, die Chorikios und seinem Adressaten eigentlich am Herzen liegt. 3. Konstellationen des urbanen Kontexts Kann man diesen Befund im Sinne der communis opinio als geglückte Symbiose der traditionellen Kultur und der christlichen Religion bezeichnen? Immerhin ist uns aufgefallen, wie sich Chorikios nicht nur in dieser Rede bemüht, möglichen Vorbehalten gegen den Mythos Rechnung zu tragen. Weshalb diese Reserve, wenn in Gaza die vielbeschworene Harmonie herrschte? Warum war es nötig, den an sich belanglosen Mythos von Boreas zu entschärfen und die exakte Wissenschaft christlich zu verbrämen? Eine Antwort auf diese Fragen ist im urbanen Kontext des zeitgenössischen Gaza zu suchen74. Bildungsphänomene der Antike, zumal der Spätantike, lassen sich nur dann hinreichend verstehen, wenn man sie in ihrer Verankerung in den städtischen Zentren begreift. Auch wenn es Formen der Wissensvermittlung auf dem Lande gegeben hat, die nicht so gut dokumentiert sind, war die höhere Bildung stets an die Kultur der Stadt gebunden75. Nur dort waren die institutionellen, sozialen und ökonomischen Voraussetzungen gegeben, unter denen ein umfangreicher und differenzierter Schulbetrieb gedeihen konnte. Insbesondere in den Metropolen des spätantiken Reiches, im Osten in Konstantinopel, Athen, Antiochia und Alexandria, existierten Bildungsinstitutionen, die ihre Schüler aus der gesellschaftlichen Oberschicht rekrutierten und diesen die nötige paidea vermittelten, um an der politischen Führung auf Reichs- und Provinzebene teilzuhaben. Zu nennen wären etwa die Schulen des Libanios, Themistios oder Himerios im vierten Jahrhundert. Wie wir aus zahlreichen Dokumenten wissen, übten diese schulischen Zentren auf die aufstrebenden Provinzeliten eine große Anziehung aus, so daß junge Männer sich für ein Studium bei einem renommierten Lehrer fernab ihrer Heimat entschieden76. Von entscheidender Bedeutung waren in diesem Bildungsbetrieb persönliche Kontakte unter Lehrern, zwischen Lehrern und ihren ehemaligen und aktiven Studenten sowie zwischen Lehrern und politischen Amtsträgern. Das Corpus der Reden und Briefe des Libanios legt dafür ein eindrückliches Zeugnis ab77. Wenn man versucht, ein spätantikes Bildungsphänomen zu kontextualisieren, kann man von diesen Tatsachen nicht absehen. So ist es auch hier erforderlich, die Bildungskonzeption des Chorikios im Rahmen der urbanen Kultur von Gaza und der Konstellationen von städtischen Faktoren zu analysieren. Selbstverständlich kann dies 74 Dieser Ansatz ist insofern durch die Rede selbst vorgezeichnet, als Chorikios durchweg auf den urbanen Kontext rekurriert, angefangen von der Definition der Vorzüge einer Stadt (or. 2,5), über die Perihegese durch den Stadtraum bis hin zum Euergetismus für die Stadt, dem städtischen Festkalender und der Rivalität zwischen Städten. Zum spätantiken Gaza siehe Downey (1963); Glucker (1987); Bitton-Ashkelony/Kofsky (2004); Sivan (2008) 328/47; Tiersch (2008). Zu den Informationen über Gaza, die wir Chorikios entnehmen können, Saliou (2005a). 75 Liebeschuetz (2001) 223f. 76 Watts (2004). Es gab aber auch Stimmen, daß es nicht auf Schulorte mit Renommée ankomme, sondern auf die Lehrerpersönlichkeiten (Themist. or. 27). 77 Cribiore (2007). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/081-103.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Chorikios und die Ekphrasis der Stephanoskirche von Gaza 95 in diesem Rahmen nicht in vollem Umfang geleistet werden, so daß sich die folgenden Ausführungen auf eine Skizze beschränken müssen. Hierbei kann man zum einen auf die sog. Konstellationsforschung, eine neue Form der Ideengeschichte, und die Stadtbzw. Raumsoziologie zurückgreifen, sofern man deren Ansätze für die spätantiken Gegebenheiten modifiziert. Die von Dieter Henrich konzipierte und vor allem auf den deutschen Idealismus angewandte Konstellationsforschung78 geht davon aus, daß die Erschließungsleistungen des Denkens nicht allein auf diejenigen, mit deren Namen sie verknüpft sind, zurückgeführt werden können und auch nicht allein von diesen beherrscht werden, sondern daß der durch persönliche Konstellationen konstituierte Denkraum ihnen gewissermaßen Aufgaben vorzeichnet. Die intellektuellen Leistungen bedeutender Persönlichkeiten bilden sich demnach aus dem Bezugssystem der Konstellationen heraus und heben sich von diesem ab. Folgerichtig widmet sich die Konstellationsforschung, hierin der politischen Ideengeschichte Quentin Skinners verwandt79, in einer historischen Mikroanalyse dem dichten Zusammenhang wechselseitig aufeinander einwirkender Personen, Theorien, Probleme oder Dokumente, und zwar in der Weise, daß nur die Analyse des Zusammenhangs, nicht aber seiner isolierten Bestandteile ein Verstehen der Leistungen, Ideen und Theorien möglich macht. Die Interpretation des Werkes eines Autors muß deshalb mit einem klaren Bewußtsein von den Vorgaben des Denkraums, in den es hineingestellt worden ist, erfolgen. Für ein adäquates Verständnis ist es unerläßlich, die in einem Denkraum auftretenden Gesprächslagen und die Interaktionen der intellektuellen Akteure zu rekonstruieren. Damit soll nicht postuliert werden, daß sich große intellektuelle Leistungen rein aufgrund der Gegebenheiten des Denkraums hinreichend erklären ließen; vielmehr gehen sie von den Konstellationen im jeweiligen Denkraum aus, lösen sich dann jedoch von diesem. Dieser Ansatz ist m. E. im Hinblick auf Chorikios und Gaza in der Hinsicht weiterzuentwickeln, daß der Denkraum bzw. der Begriff der Konstellation etwas anders gefaßt werden muß. Wenn man die Stadt nicht als einen materiellen ›Behälter‹ begreift, sondern als relationalen Raum, der durch Praktiken und Interaktionen geprägt wird, so konstituieren sich Konstellationen nicht nur durch Individuen, sondern ebenso durch soziale Gruppen, Institutionen, aber auch Feste und Bauten. Die Vorstellungswelt eines Autors wird durchaus auch von dem physischen Raum, der ihn umgibt, geformt, ebenso wie er auf die Wahrnehmung dieses Raumes zurückwirken kann. Im Anschluß an die Stadtsoziologie wird hier angenommen, daß die grundlegenden Strukturen einer Stadt nicht allein die Außenwahrnehmung der Stadt dominieren, sondern auch die Praktiken der Menschen im städtischen Raum formen80. Gesten, Gewohnheiten, Handlungen und – hier besonders relevant – Urteile entwickeln und entfalten sich in Abhängigkeit vom Vergesellschaftungskontext der Stadt. Mit Rekurs auf den Bourdieuschen Habitusbegriff geht man davon aus, daß in einer Stadt ortsspezifische Bewertungs-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata hervortreten81. Henrich (2004); Freundlieb (2003) 16/9; Mulsow/Stamm (2005). 79 Die wichtigsten Texte sind in deutscher Übersetzung jetzt gesammelt bei Mulsow/Mahler (2010). 78 80 81 Löw (2008) 87/95. Löw (2008) 87/9. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/081-103.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 96 Jan Stenger Die Stadtsoziologie behauptet damit keine raumdeterministischen Verhaltenszwänge, sondern stellt die These auf, daß Orte als sozial konstruierte Phänomene Eigenlogiken entwickeln, die sich auf die Erfahrungsmuster derer, die in ihnen leben, auswirken. Einen Zugang zu den Konstellationen im spätantiken Gaza und dem Denkraum des Chorikios bietet vor allem die Persönlichkeit des Bischofs Markianos, mit dem der Redner wie erwähnt näher bekannt war und ohne Zweifel das Programm seiner Rede abgestimmt hatte. Aus den Werken des Chorikios und den Briefen der Mönche Barsanuphios und Johannes wissen wir genug, um den kirchlichen Amtsträger einschätzen zu können82. Markianos entstammte einer wohlhabenden Familie der sozialen Elite Gazas, aus der neben Beamten noch zwei weitere Bischöfe hervorgegangen waren. Vor seiner Wahl zum Bischof genoß er eine gründliche rhetorische Ausbildung in der Schule Prokops, nach dessen Tode er vielleicht zeitweise die Leitung dieser Institution übernahm83. In seiner Zeit als Bischof engagierte sich Markianos im politischen Leben seiner Heimatstadt, indem er beispielsweise im Jahr 529 zur Beilegung von Konflikten beitrug oder maßgeblich den Wiederaufbau der Stadtbefestigung organisierte84. Wie wir aus Chorikios’ Reden erfahren, legte Markianos großen Wert darauf, als Euerget seiner Stadt wahrgenommen zu werden. Er entfaltete eine umfangreiche, keineswegs nur kirchliche Bautätigkeit zur Verschönerung Gazas, trug zur Annehmlichkeit von städtischen Festen bei und mehrte Gazas Prestige bei den Nachbarstädten85. Eine vorrangige Aufgabe während seiner Amtszeit war die Rekrutierung des Klerus, wobei es einen Widerstreit gab, ob man sich bei der Auswahl der Kandidaten an den asketischen Werten oder den klassischen kulturellen Normen orientieren sollte. Auch in diesem Falle zeigte sich der Bischof als ein Vertreter der Elitenkultur. Er konsultierte in dieser Frage den Mönch Johannes, war freilich über dessen Auswahl erstaunt, da der Eremit allein auf die spirituelle Eignung sah. Markianos selbst hingegen hatte der klassischen Bildung und den rhetorischen Fähigkeiten den 82 Edition der Briefe bei Neyt u. a. (2002); englische Übersetzung Chryssavgis (2006/7). Man muß sich allerdings bewußt sein, daß die Zuweisung von Briefen der Mönche an den Bischof als Adressaten hypothetisch ist, da in der Überlieferung der Briefe die Namen der Empfänger getilgt worden sind. Hevelone-Harper (2005) 108/16 mit Anm. 7 und 8 hat jedoch wahrscheinlich machen können, daß einige an den Bischof von Gaza gerichtete Schreiben Markianos gelten (ep. 804ff). Die Wahl eines neuen Bischofs, von der in den Briefen die Rede ist (ep. 793/804), fand wohl im zweiten Jahrzehnt des sechsten Jahrhunderts statt, nachdem man den bisherigen Amtsinhaber vertrieben hatte. Dieser wandte sich an den Kaiser, vermutlich an Anastasios. Nach Chorikios scheint Markianos Ende des zweiten Jahrzehnts Bischof geworden zu sein. Siehe Litsas (1980) 67. Tiersch (2008) 72f folgt der Identifizierung des in den Briefen angesprochenen Bischofs mit Markianos. Unentschieden hingegen Neyt u. a. (2002) 31f. 83 Rhetorische Ausbildung: Chor. or. 2,7; Leitung der Schule: or. 8,50 (falls die Andeutung so zu verstehen ist). 84 Chor. or. 1,7; 2,16 (Stadtbefestigung). Im Jahr 529 wurden Truppen unter Führung des dux der Palaestina prima Aratios wegen einer Rebellion in die Region von Gaza entsandt. Es kam zu Übergriffen der Soldaten auf die Landbevölkerung (Barsanuphios, ep. 831) und Konflikten in der Stadt (Chor. or. 2,23f; 3,10/9). Markianos intervenierte und wandte sich außerdem in dieser Angelegenheit an die Mönche Barsanuphios und Johannes (ep. 831/3), von dem er sich sogar einen Brief an den Beamten diktieren ließ (ep. 834). Während in den Briefen der Bischof ziemlich passiv und zögerlich erscheint, preist Chorikios ihn selbstverständlich für seine Tatkraft. Außerdem vermeidet der Redner Kritik an Aratios, dem er etwa 535/6 einen Panegyricus gewidmet hatte (or. 3). Zu Aratios PLRE 3A, 103f s. v. Aratius. Hevelone-Harper (2005) 114. Zu den weltlichen Funktionen der Bischöfe in den Städten des Ostens Liebeschuetz (2001) 137/55. 85 Chor. or. 1; 2,17/21 (Kirchenbauten). 58 und 75 (Rivalität mit anderen Städten). 59/75 (Fest); 3,60; 8,51f (weltliche Bauten). Zum Euergetismus von Bischöfen in den östlichen Städten Saradi (2006) 181/4. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/081-103.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Chorikios und die Ekphrasis der Stephanoskirche von Gaza 97 Vorzug gegeben86. Wenn wir für die Spätantike zwei Typen des Bischofs differenzieren können, den Mönch-Bischof und den Elitenbischof 87, so besteht kein Zweifel, welcher Kategorie Markianos zuzurechnen ist. Er versah sein geistliches Amt ganz in den überkommenen Kategorien eines Angehörigen der politischen und sozialen Führungsschicht88. Von paidea und Euergetismus mochte er auch als Kleriker nicht lassen, obgleich er, wie seine Korrespondenz mit den Mönchen zeigt, durchaus darauf bedacht war, in der Öffentlichkeit als prinzipienfester Geistlicher wahrgenommen zu werden. Zu diesem Bild paßt, daß wir keine Indizien dafür besitzen, daß sich Markianos in den erbitterten christologischen Kontroversen seiner Zeit engagierte. Daß die Rhetorik nicht nur bei Markianos, sondern auch im öffentlichen Leben Gazas einen starken Stand hatte, war nicht zuletzt das Verdienst der angesehenen Schule Prokops89. Bemerkenswert an dieser Institution ist, daß hier Rhetorik im traditionellen Sinne gelehrt wurde, ohne daß man der immer deutlicheren christlichen Prägung des Lebens Rechnung getragen hätte90. An Prokops Werken läßt sich ablesen, daß für ihn die Religion und die Rhetorik zwei selbständige Bereiche konstituierten. So fehlen in seinen weltlichen Schriften Bezüge zur Bibel gänzlich, und in den geistlichen Werken sind Anspielungen auf die klassischen Autoren eine Seltenheit91. War die Rhetorik so als eigenständiger, autonomer Bereich markiert, so sah man sie in Gaza gleichwohl als unerläßlich für die Religion an. Da in der Stadt, soweit wir wissen, keine spezielle Institution existierte, wo man die allegorische Auslegung der Bibel betrieben hätte, lernten die christlichen Schüler bei dem Sophisten, wie man Texte las, deren Sprache erklärte und sie schließlich auf einer recht elementaren, faktischen Ebene interpretierte92. Da literarische Interpretation und Bibelexegese gleichermaßen auf diesen Fähigkeiten beruhten, erachtete man die Ausbildung beim Sophisten auch für die Theologie als nützlich93. Mehrfach vertraten Prokop, Aeneas von Gaza und Chorikios selbst die Ansicht, daß das sophistische Training auch für andere Berufe 86 Johannes, ep. 805/9. 811. Hevelone-Harper (2005) 115f. 87 Rapp (2005). 88 Dies kann gerade der Vergleich zeitgenössischer hagiographischer Texte über Bischöfe und Mönche mit den Reden des Chorikios zeigen, auch wenn natürlich literarische Gattungsunterschiede in Rechnung zu stellen sind. Chorikios ist weit davon entfernt, Markianos irgendwelche spirituellen Erlebnisse oder gar Wundertaten zuzuschreiben, sondern stellt ihn vielmehr als weltlichen Amtsträger dar (siehe bes. or. 1,83: t asty prytanefflontoc 5erwc). Vgl. dagegen die Mönchsviten des Kyrill von Skythopolis. 89 Zur sog. Schule von Gaza Seitz (1892); Downey (1958) 307/19; Litsas (1980) 2/19; Kennedy (1983) 169/77; Glucker (1987) 51/4; Penella (2009) 1/8. Wenn man hier von einer ›Schule‹ spricht, muß man sich darüber im klaren sein, daß wir relativ wenige Anhaltspunkte für eine Einschätzung des Schulbetriebs haben. Das einzige Testimonium dafür, daß Chorikios die Nachfolge Prokops als Leiter der Schule angetreten hat, ist Phot. bibl. cod. 160, 103a. 90 Etwas anders könnte es unter umgekehrten Vorzeichen in den theologischen Werken des Aeneas und Prokops aussehen. Tiersch (2007) 77f glaubt dort einen Beitrag zur Plausibilisierung des Christentums bemerken zu können. Das zeige, daß es in Gaza weiterhin bei Gebildeten gewisse Zweifel gegenüber dem Christentum gegeben habe. 91 Vgl. die quellenanalytische Studie von ter Haar Romeny (2007). 92 Hierbei ist freilich zu bedenken, daß die Ausbildung christlicher Kleriker gerade im Osten des Reiches nicht organisiert und institutionalisiert war, auch wenn es Ansätze zu spezifisch christlichen Bildungseinrichtungen gab. Insgesamt änderte sich das Bildungswesen trotz der fortschreitenden Christianisierung nur wenig. Chorikios selbst erwähnt in or. 2,8, daß Markianos sein theologisches Rüstzeug in einer Schule seines Onkels erhalten habe. Litsas (1980) 246f17 vermutet, daß es sich bei diesem Onkel um Aeneas von Gaza gehandelt habe. 93 Vgl. Ashkenazi (2004) 198. 200f; ter Haar Romeny (2007) 189f. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/081-103.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 98 Jan Stenger vorteilhaft sei94, und zwar ausdrücklich auch für angehende Kleriker95. Die weltliche Rhetorik war folglich als Propädeutik der Theologie fest etabliert, wenn auch nicht bei allen unumstritten, wie Johannes’ Kritik an Markianos belegt96. Die starke Präsenz der klassischen Kultur und ihre Koexistenz mit dem Christentum manifestierte sich auch andernorts im privaten wie im öffentlichen Leben Gazas. Angehörige der städtischen Elite schmückten Gebäude mit traditionellen, der paganen Mythologie und Literatur entnommenen Bildprogrammen. Die mechanische Kunstuhr auf einem städtischen Platz zeigte zu den Tagesstunden die zwölf Arbeiten des Herakles97. Ein führender Bürger namens Timotheos etwa war nicht nur als Euerget tätig, sondern gab wohl für ein öffentliches Gebäude eine Bilderserie mit dem Mythos von Phaidra und Hippolytos in Auftrag, die von Prokop beschrieben wurde. Ebenso wie der Redner ausführlich das mythologische Sujet mit einer Ekphrasis würdigt, betont er, gleichsam zur Entschuldigung, daß es sich bei dem Auftraggeber um einen außerordentlich frommen Christen handele, der sich auch in der Armenfürsorge engagiere98. Das Verfahren ähnelt dem, das wir bei Chorikios’ Ekphrasis der Stephanoskirche beobachten konnten. Der aus Gaza gebürtige Proconsul der Palaestina prima, Stephanos99, führte gleichermaßen ein beträchtliches weltliches Bauprogramm in seiner Heimatstadt durch und beteiligte sich am Bau der Sergioskirche und nahm an der Einweihung der Kirche teil100. Bemerkenswert ist, daß er traditionelle pagane Feste und Theaterdarbietungen förderte, ferner die Vollendung des Theaterbaus betrieb, während der Bischof Markianos ihn genau für dieses Engagement rügte, weil er damit kirchliche Verbote übertrete101. Abgesehen von solchen individuellen Haltungen formte auch der öffentliche Raum das Verhältnis von traditioneller Kultur und christlicher Weltanschauung. Feste mit ursprünglich paganem Hintergrund wurden anscheinend weiterhin begangen, ohne daß man daran Anstoß nahm102, und andererseits waren, wenn wir Chorikios 94 Anwalt: Chor. or. 7, 8; Procop. Gaz. ep. 29, 41 und 148; Arzt: Procop. Gaz. ep. 102 und 122. 95 Aen. Gaz. ep. 15; Chor. or. 2,8f. Vgl. ferner die Haltung des Markianos, wie sie in ep. 809 des Mönchs Johannes widergespiegelt wird. Die gleiche Haltung wird auch in der von Marcus Diaconus verfaßten Vita des Bischofs Porphyrios vertreten (8). 96 Johannes, ep. 809. Chorikios rechnet zudem damit, daß es Kritik an Prokops Bildungsprogramm und an seinem eigenen Lob der Rhetorik geben könne. In or. 8,21f imaginiert er einen Interlocutor, der sich wundern könnte, daß Prokop sich gar nicht religiösen Schriften zugewandt habe (das Lob war bis dahin rein weltlich). Darauf entgegnet Chorikios, daß Prokop so viel Anteil an dieser Bildung gehabt habe, daß er abgesehen von seinem Äußeren beinahe Priester gewesen sei. Er habe sich in den Schriften der Frömmigkeit und in denen der Gegner hervorragend ausgekannt. 97 Procop. Gaz. horol. 24/43. 72/5; zum Standort 11/3. Diels (1917) 6,13/8. 98 Procop. Gaz. imag. 42: Þk patrc eysebf̀c ka toic Þn Þnde tc tffluac Þpanorhofflmenoc. Der Stifter war selbst im Bild verewigt. Friedländer (1939) 83/5; Talgam (2004) 216. 99 PLRE 3B, 1184f s. v. Stephanus 7. Litsas (1980) 76/80. 100 Chor. or. 1,30; 3,54f. 60/5. Litsas (1980) 170 bezieht or. 3,60/5 auf die Stephanoskirche. Die Beschreibung der Lage der Kirche in der Stadt paßt jedoch eher zur Kirche des Sergios. Vgl. den Apparat bei Foerster/Richtsteig (1929) 64. 101 Johannes, ep. 836. Hevelone-Harper (2005) 115 bezieht dieses Schreiben auf Stephanos. Chorikios hingegen preist Stephanos’ Engagement: Chor. or. 3,55f. 102 Dies gilt wohl für das Fest der Rosalia, das im Frühling begangen wurde und ursprünglich mit dem Totenkult in Verbindung stand. Da es inzwischen religiös indifferent geworden war, ließ es sich problemlos in den Festkalender einer christlichen Stadt integrieren. Der mit Aphrodite verknüpfte Tag der Rosen scheint in Gaza eine wichtige Rolle gespielt zu haben, da er wiederholt in den überlieferten Schriften behandelt wird. Vgl. Joh. Gaz. Anakreontea 4 und 5; Procop. Gaz. imag. 1; decl. 1/6; ep. 18; vgl. ep. 11; Chor. or. 16 und 39. Auch die im Winter begangenen Brumalia, die ursprünglich dem Dionysos/Bromios gegolten hatten, nun aber von Justinian persönlich neu geordnet worden wa- C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/081-103.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Chorikios und die Ekphrasis der Stephanoskirche von Gaza 99 glauben können, die neuen christlichen Heiligenfeste nicht zuletzt auch weltliche Vergnügungen, bei denen die städtische Gemeinschaft ihre kollektive Identität inszenierte. Wir dürfen nicht vergessen, daß genau bei solchen öffentlichen, im Stadtraum begangenen Festen ein Redner wie Chorikios immer wieder aufs neue vor einem großen Publikum die ererbte Bildung im Gedächtnis der Stadt verankern konnte103. Zudem hatten seit der Zeit um 400 Kirchenbauten unübersehbar die paganen Tempel aus dem Stadtbild verdrängt und als markante Orientierungspunkte die urbane Topographie neu ausgerichtet und strukturiert104. Diese materielle Transformation des Stadtraumes wird von Chorikios aufmerksam registriert105. Er konstatiert, daß der Kirchenbau in seinen großen Dimensionen einen ins Auge springenden Punkt darstelle, an dem sich Reisende von weither orientieren könnten; als eine Art städtisches Signet ziehe die Kirche die Menschen nachgerade von selbst an106. Es ist also aus seiner Perspektive nur folgerichtig, daß er die zeitlose Tauglichkeit der traditionellen rhetorischen Formen unter Beweis stellt, indem er sie auf neue, christliche Gegenstände appliziert. Diese Skizze mag genügen, um zu veranschaulichen, daß Chorikios’ Ekphrasis in einem urbanen Klima produziert und rezipiert wurde, in dem sich die ererbte Kultur in beachtlichem Ausmaß behaupten und zeigen konnte, es jedoch gleichzeitig nötig war, sie an die christlichen Rahmenbedingungen zu adaptieren und auf diesem Wege möglicher Kritik zuvorzukommen. Von dieser kulturellen Identität Gazas war der Panegyricus auf Markianos mit seiner Ekphrasis der Kirche tief durchdrungen. Um die Spezifik des Klimas zu erfassen, lohnt es sich, en passant einen Blick auf die Kultur der Zeit Justinians zu werfen107. Forscher wie Averil Cameron und John Liebeschuetz haben herausgearbeitet, daß das sechste Jahrhundert einen Einschnitt bedeutet, was den Umgang mit dem klassischen Erbe angeht. Während es vorher gelang, pagane Mythologie und Literatur auch im christlichen Reich zu pflegen, indem man sie als weitgehend autonome Sphäre definierte, erschwerte die verstärkte Christianisierung unter Justinian eine solch tolerante Haltung. Zudem wandelte sich die gesellschaftliche Rolle der Bildung und damit auch deren öffentliche Wahrnehmung. Nicht nur endete 529 der Lehrbetrieb in der Athener Akademie, pagane Mythen verschwanden allmählich aus Literatur und Kunst, und die Beschäftigung mit der klassischen Literatur nahm merklich ab. Schulbildung wurde zunehmend auf das Vermitteln von ren, wurden in Gaza gefeiert. Chorikios geht in seiner kurzen Ansprache zu diesem Fest ausschließlich auf dessen politischen Charakter ein (or. 13). Bemerkenswert ist allerdings, daß Chorikios in der Rede Zeus als den Schöpfer der Welt anruft. Siehe Belayche (2004) 14. 19; Tiersch (2008) 80; Penella (2009) 31. 103 Zur Häufigkeit der Feste siehe Chor. or. 2,73f, zu öffentlichen Vorträgen vor großem Publikum or. 1,3f; 8,9. 104 Dies wird in der Überlieferung mit dem Wirken des Bischofs Porphyrios (395–420) in Verbindung gebracht, das genretypisch überzeichnet in der Vita des Marcus Diaconus geschildert wird. Ihm wird das Verdienst zugeschrieben, das Christentum in Gaza gegen paganen Widerstand durchgesetzt und das Heiligtum Marneion vernichtet zu haben. Zu den Vorgängen siehe Sivan (2008) 330/7; Tiersch (2008) 60/8 (mit weiterer Literatur). 105 Zur christlichen Neuausrichtung der urbanen Topographie im sechsten Jahrhundert siehe Saradi (2006) 385/426. Bauer (2008) hebt mit Recht hervor, daß dies nicht allein eine Sache der realen materiellen Umgestaltung des Stadtraumes war, sondern ebenso der Wahrnehmung durch die Menschen, die sich in der Stadt bewegten. Allein die Existenz von Kirchenbauten mache noch nicht die Christianisierung des städtischen Raumes aus. 106 Chor. or. 3,61; ferner 2,28f. Ergänzt wird die Perspektive des Chorikios durch die Mosaikkarte von Madaba, die für Gaza auch zwei Kirchen zeigt. 107 Zum folgenden siehe Cameron (1991) 189/208; Maas (1992) 24f. 27. 114f; Liebeschuetz (2001) 239/48; Saradi (2006) 78/81. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/081-103.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 100 Jan Stenger Hintergrundwissen eingeengt, das nötig war, um theologische Texte verstehen zu können. Das Ansehen klassizistischer Autoren wie Prokop von Caesarea und Agathias soll natürlich nicht geleugnet werden; es geht hier um eine allgemeine Tendenz108. Aber selbst klassizistische Werke wie die Prokops orientierten sich nun unübersehbar an christlichen Deutungsmustern. Zudem verlor die paidea ihre Bedeutung als Ausweis der sozialen und politischen Elite des Reiches109. Verwaltungsreformen der 530er Jahre sorgten dafür, daß sich die kostspielige klassische Bildung nicht mehr lohnte, wenn man im Staatsdienst Karriere machen wollte110. Religiöse und weltliche Faktoren leisteten Hand in Hand einem Relevanzverlust der paidea Vorschub. Zwar bedeutete all dies keinen völligen Verzicht auf die traditionellen Formen und Themen, geschweige denn einen allgemeinen kulturellen Niedergang, aber die umfassende christliche Prägung des gesamten Lebens ließ einen unbefangenen Umgang mit der kulturellen Tradition kaum mehr zu. Es bildete sich eine weitgehend monolithische christliche Gesellschaft heraus, in der das Studium der Heiligen Schrift und christlicher Texte die klassische Elitenbildung ersetzte, also die entstandene kulturelle Lücke füllte. Cameron spricht von einem christlichen totalizing discourse, dem die bildende Kunst, die Literatur, ja das gesamte Denken unterworfen gewesen seien111. Wenn man in Anlehnung an die moderne Stadtsoziologie für Städte eine ›Eigenlogik‹, also einen spezifischen Habitus, ansetzt, der das Leben im jeweiligen Stadtraum formt und sich in den Praktiken der Einwohner manifestiert112, so könnte man die Eigenlogik Gazas vor diesem Hintergrund in einer Beharrung oder Provinzialität sehen113. Weitab vom Zentrum Konstantinopel war es in Gaza, wo theologische Kontroversen augenscheinlich nicht so entschieden ausgefochten wurden, auch unter Justinian noch möglich, sich teilweise dem allumfassenden christlichen Diskurs zu entziehen und die Welt in dem ererbten, klassischen Koordinatensystem zu interpretieren. Man hielt an dem kulturellen Klima fest, das noch die Regierungszeit des Anastasios geprägt hatte114. Wie allerdings Chorikios’ wiederholtes Unbehagen an der Mythologie zeigt, waren gewisse Zugeständnisse nötig, um sich im christlichen Reich diese Enklave klassischer Kultur bewahren zu können. Er integrierte die Rezeption durch potentielle Kritiker schon im voraus in seine Reden. Das Bild einer vorgeblich perfekten Harmonie von klassischer Kultur und Christentum in Gaza bedarf folglich einer Revision. Überbetont wurde der angenommene allgemeine kulturelle Niedergang bzw. tiefgreifende Bruch noch von Lemerle (1971) 68/73. 109 Ein verzerrtes Bild des kulturellen Verfalls zeichnet Prokop von Caesarea in den Anekdota, und zwar explizit im Hinblick auf die städtischen Verhältnisse. Diese Krise der Stadt macht sich in seinen Augen vor allem am Verfall der klassischen Bildung und der Oberschicht bemerkbar, da diese das Rückgrat der städtischen Kultur und Identität bilden. Procop. hist. arc. 26,1/11. 110 Von entscheidender Bedeutung sind die Maßnahmen des Praetorianerpraefekten Johannes von Kappadokien, welche die Verwaltung effizienter machen sollten. Auf eine höhere Bildung wurde dabei weniger Wert gelegt. Zudem entschloß sich Justinian 108 im Jahre 535 dazu, Gesetze nicht mehr auf Latein zu erlassen, was ebenfalls ein deutliches Signal setzte, daß eine umfassende Bildung für eine Karriere nicht mehr vonnöten war. Vgl. die Klagen bei Johannes Lydus (Lyd. Mag. 3,28,3; 2,12; 3,42; 68). Maas (1992) 27. 29. 87f. 114f. 111 Cameron (1991) 2f. 200. 220f. 112 Löw (2008) 73/87; Berking/Löw (2008). 113 Vgl. Downey (1958) 317/9. 114 Als repräsentativ mag vielleicht Prokops Panegyricus auf Anastasios gelten, der kaum christliches Gedankengut erkennen läßt und den Kaiser weitgehend in traditionelle Deutungsmuster einordnet, etwa wenn er dessen Abstammung auf Herakles zurückführt. Siehe Nicks (2000); Jeffreys (2006); ter Haar Romeny (2007) 177; Penella (2009) 4f. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/081-103.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Chorikios und die Ekphrasis der Stephanoskirche von Gaza 101 In diesem Sinne hat die Ekphrasis des Apsisgewölbes eine latente, tatsächlich symbolische Bedeutung. Diese liegt nicht in einer theologischen Aussage, sondern in dem Bekenntnis zur ungebrochenen Fortgeltung der traditionellen Bildung unter den Vorzeichen einer christlichen Gesellschaft. Der hier analysierte Passus spiegelt somit in nuce eine subversive Haltung gegenüber dem justinianischen Zeitgeist wider. Indem Chorikios mögliche Kritik am Mythos antizipiert und die Geometrie oberflächlich christlich ausrichtet, gleichzeitig aber damit sein eigenes und Markianos’ Bildungsprogramm propagiert, unterwandert er, gewissermaßen durch mimikry, eine äußerliche Anpassung, den christlichen Diskurs. Er führt implizit den Nachweis, daß die klassische paidea unerläßlich ist, um einen Kirchenbau adäquat zu verstehen. Gerade die Praxis der Ekphrasis eignete sich für dieses Anliegen, weil sie durch die Wahl eines Betrachterstandpunkts und die Selektion von Gegenständen darauf aufmerksam macht, daß es stets mehrere Arten gibt, die Welt wahrzunehmen und zu deuten. Chorikios führt damit vor Augen, daß auch eine christlich transformierte Umwelt nicht zwangsläufig in rein christlichen Kategorien interpretiert werden muß, sondern sich in den traditionellen Deutungsrahmen einordnen läßt. Wenn man die Ekphrasis in ihrem städtischen Kontext und den beeinflussenden Konstellationen analysiert, kommt ein eigenständiges, individuelles Bildungskonzept der Spätantike zum Vorschein. Es lohnt sich also, bei einem Gebäude auch hinter die Fassade zu blicken. Berlin Jan Stenger Literaturverzeichnis Abel, F.-M., Gaza au VIe siècle d’après le rhéteur Chorikios: RevBibl 40 (1931) 5/31. Arnulf, A., Architektur- und Kunstbeschreibungen von der Antike bis zum 16. Jahrhundert (München/ Berlin 2004). Ashkenazi, Y., Sophists and Priests in Late Antique Gaza According to Choricius the Rhetor: BittonAshkelony/Kofsky (2004) 195/208. Barnes, T. D., Christians and the Theater: W. J. Slater (Hg.), Roman Theater and Society (Ann Arbor 1996) 161/80. Bauer, F. A., Die Stadt als religiöser Raum in der Spätantike: ArchRelGesch 10 (2008) 179/206. Belayche, N., Pagan Festivals in Fourth-Century Gaza: Bitton-Ashkelony/Kofsky (2004) 5/22. Berking, H. / M. Löw (Hg.), Die Eigenlogik der Städte. 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Es liegt indes auf der Hand, daß die präzise Benennung der Kleidung unverzichtbar ist zur Identifizierung dargestellter Personen und Bildthemen. Die spätantike Gesellschaft bildet ein hochdifferenziertes, nach Rang und Herkunft streng gegliedertes System, dessen Strukturen gerade auch in der Vielfalt der Gewänder, ihrer realen oder symbolischen Gestalt, ablesbar sind. Kleiderordnungen und die strikte Sanktionierung von Übertretungen unterstreichen den Willen der Herrscher zu einer Reglementierung des Habitus der Untertanen2. Mäntel als Zeichen von Rang und Stand spielen in diesem System eine besondere Rolle3. Bei der spätantiken Chlamys handelt es sich um einen Mantel, der in der Selbstdarstellung der Eliten und in der Herrscherrepräsentation sowohl in der paganen als auch in der christlichen Ikonographie eine herausragende Rolle spielt. Wir vermissen jedoch eine verläßliche Definition und Abgrenzung zu anderen Mänteln. In Wörterbüchern, in der kostümkundlichen und archäologischen Fachliteratur werden vor allem folgende Positionen vertreten: der griechischstämmige Begriff Chlamys sei bedeutungsgleich mit Paludamentum, der lateinischen Bezeichnung für den römischen Feldherrenmantel; der Begriff Chlamys ersetze in der Spätantike das lateinische Paludamentum; die Begriffe seien in ihrer Bedeutung zu unterscheiden: Paludamentum bezeichne den Feldherrenmantel, Chlamys eine zivile Diensttracht. Diese Uneindeutigkeit rechtfertigt den Versuch, die Verwendung des Begriffs, eventuelle Bedeutungsverschiebungen und seine Konkretisierung im Bild genauer zu untersuchen, um zu einer verbindlichen, aus den Bild- und Textquellen begründeten Sprachregelung zu gelangen. * Frau Professor Dr. Sabine Schrenk und Herrn Professor Dr. Konrad Vössing sei herzlich dafür gedankt, daß sie diese Studie angeregt und hilfreich begleitet haben. 1 So schon J. P. Wild, The clothing of Britannia, Gallia belgica and Germania inferior: ANRW II,12,3 (1985) 366: »References to clothing abound in Roman literature, but they are rarely very explicit and in many cases the precise identification of the garment mentioned is in doubt«. Cod. Theod. 14,10,1,1/3. R. Delbrueck, Die Consulardiptychen (Berlin 1929) 32. Neuere Untersuchungen: F. Kolb, Römische Mäntel: RömMitt 80 (1973) 69/162; M. Harlow, Clothes maketh the man: L. Brubaker / J. M. H. Smith, Gender in the early medieval world (Cambridge 2004) S. 45/69. 2 3 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Chlamys in der Spätantike 105 Die Chlamys ist ein außerordentlich langlebiges Gewand. Veränderungen der Form und Bedeutung sind im Verlauf der Jahrhunderte nicht auszuschließen. Daher wird zunächst die historische Entwicklung nachgezeichnet bis zum Beginn der Spätantike um 300 nC. Der eigentliche Untersuchungszeitraum umfaßt die Zeit des 4. bis 7. Jahrhunderts nC. Methodisch wird der Sprachgebrauch antiker literarischer und normativer Texte bildlichen Darstellungen der paganen und frühchristlichen Kunst gegenübergestellt. Das Quellenmaterial ist nicht zu jeder Zeit in gleicher Dichte verfügbar. Manche Entwicklungen lassen sich nur anhand der Schriftquellen erschließen, bei anderen Fragen stützen wir uns hauptsächlich auf die Aussagen der archäologischen Denkmäler. Die Auswahl der Bildzeugnisse erfolgt nach ihrem Aussagewert zu Form und Trageweise des Mantels4. Neben diesen primär realienkundlichen Aspekten steht die Frage nach den Trägern, dem Darstellungskontext und damit dem Gebrauch im Vordergrund. Die Auswertung der antiken Texte erlaubt die Annahme, daß der aus dem Griechischen in die lateinische Sprache übernommene Begriff Chlamys in seiner Bedeutung den lateinischen Bezeichnungen Sagum und Paludamentum nahesteht und einen Jagd- oder Militärmantel meint. Seit den Anfängen der römischen Geschichte scheint die Bezeichnung Paludamentum für den Mantel des kriegführenden Feldherrn gesichert5. Wendungen wie »paludamentum/sagum sumere, paludamentum/ sagum deponere« unterstreichen in ihrer Bedeutung »in den Krieg ziehen, den Krieg beenden« den militärischen Charakter der Mäntel. Im folgenden soll daher der Bedeutungsumfang der Bezeichnung Chlamys aufgezeigt und auf eventuelle Veränderungen hin untersucht werden. Der Unterschied von Sagum und Paludamentum ist erst in den literarischen Quellen der Kaiserzeit und Spätantike genauer zu erfassen. Soldaten, vor allem Kavalleristen, tragen das Sagum, während das Paludamentum dem Feldherrn und den hohen Offizieren vorbehalten ist. In einem erweiterten Bedeutungszusammenhang finden wir das Sagum auch als Decke, Jagdmantel und wärmenden Mantel für Diener und Sklaven. Der Trageweise nach gehören Paludamentum, Sagum und Chlamys zu den auf der rechten Schulter gefibelten Mänteln. Auch wenn das Paludamentum in der archäologischen Literatur häufig als halbrund, das Sagum hingegen als rechteckig beschrieben werden, erlauben weder Texte noch Bildquellen die Festlegung auf eine bestimmte Form oder Länge6. Da der Sprachgebrauch der Kaiserzeit die Chlamys dem Bedeutungshorizont des Paludamentums zuordnet – mit diesem vollzieht die Chlamys auch die Entwicklung zur kaiserlichen Insignie – müssen Form und Gebrauch zunächst im Vergleich mit dem Paludamentum definiert werden, und das Sagum kann von der Untersuchung ausgeschlossen werden. Über eine zivile oder militärische Konnotation des Begriffs Chlamys in der Spätantike ist damit noch keine endgültige Aussage getroffen. Nicht alle Gattungen und Bildthemen sind in gleicher Weise geeignet. Mythologische Szenen folgen im wesentlichen klassisch-antiken Bildtraditionen und sind für spätantike Gewandstudien nur bedingt aussagefähig. 5 Livius 1,26; 25,16; Sueton, Divus Iulius 64; Divus Augustus 10. 4 D. Richter, Das römische Heer auf der Trajanssäule. Propaganda und Realität (Mannheim 2004) 47f bleibt bei der traditionellen Meinung, das Sagum bestehe aus einem rechteckigen, häufig fransenbesetzten Stoff. Der Stoff werde an einer Schmalseite umgeschlagen und dann mit der gefalteten Kante um die Schulter gelegt und gefibelt. 6 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 106 Walburga Gerszke Zu den gefibelten Mänteln, die wir vor allem aufgrund der schriftlichen Quellen recht gut fassen können, gehört auch die Lacerna. Der Mantel wird von allen Ständen getragen, als wollener Wettermantel und als auffälliges, farbenprächtiges Seidengewand. Mit Vorliebe scheinen sich die Römer bei den Spielen in der Lacerna gezeigt zu haben, um Reichtum, Rang oder auch nur eine fingierte Würde zu demonstrieren. Ammians Beschreibung der mit beiden Händen gerafften, fransenbesetzten Lacerna deutet darauf hin, daß der Mantel über beide Schultern gelegt und vor der Brust geschlossen wurde7. Die Texte belegen meines Erachtens, daß die Lacerna weder Dienstkleid noch Standesstracht war, sondern dem privaten Bereich angehörte8. Als Militärmantel war die Lacerna »nur eine vorübergehende Modeerscheinung«9. Die Chlamys hingegen kann seit dem beginnenden 4. Jahrhundert als Dienstkleid sozial hochrangiger Personen definiert werden. Ein funktionaler Zusammenhang mit der Lacerna ist daher nicht zu erkennen. 2. Die Herkunft der Chlamys Die Chlamys, so wird angenommen, stammte aus Thrakien oder Makedonien und verbreitete sich schnell über ganz Griechenland. Die Ableitung des Namens ulamfflc von einer thessalisch-aiolischen Verbform ulianw – wärmen erscheint plausibel für einen Mantel der nördlichen Regionen. Im Gegensatz zum drapierten Himation, das von beiden Geschlechtern getragen wurde, war die Chlamys den Männern vorbehalten, ein Mantel der Reiter und Krieger, der Jäger und Reisenden. Eine längsrechteckige Stoffbahn wurde in der Querachse gefaltet, über die linke Schulter gelegt und auf der rechten Schulter mit einer Fibel gehalten10. Der Stoffüberschuß der oberen Kante fiel in einer Zickzacklinie herab und endete über den Knien in Zipfeln. An den Zipfeln hingen in der Regel kleine Kugeln als Gewichte. Der rechte Arm war frei beweglich, der linke Arm bedeckt. Wünschte der Träger größere Armfreiheit, schlug er die Stoffbahn über die linke Schulter zurück oder schlang sie um den Unterarm. Die Chlamys bedeckte Hüften und Oberschenkel und war selten mehr als knielang. Die Schmal- und Längsseiten konnten durch Fransen und farblich abgesetzte Borten verziert sein (Taf. 1a). Unter der Chlamys trugen die Männer einen kurzen Chiton. Als Material diente vor allem Wolle, aber auch leichtere Gewebe. Eine Vorstellung von der Farbigkeit griechischer Chlamyden vermitteln die Wandmalereien eines makedonischen Grabhauses des ausgehenden 4. Jahrhunderts vC. Neben dunklen Erdtönen dominieren leuchtende Farben mit kontrastierenden Kanten11. Ammian. Marc. 14,6,9: »(. . .) ambitioso vestium cultu ponentes, sudant sub ponderibus lacernarum, quas in collis insertas iugulis ipsis annectunt, nimia subtegminum tenuitate perflabilis, exceptantes eas manu utraque et vexantes crebris agitationibus, maximeque sinistra, ut longiores fimbriae tunicaeque perspicue luceant (. . .)«. 8 So auch D. Schlinkert, Ordo senatorius und nobilitas (Stuttgart 1996) 198. Zur Lacerna vor allem Kolb, Römische Mäntel 116/61. 7 Ebd. 131. M. Bieber, Griechische Kleidung (Berlin 1928) 23 nimmt eine Größe von ca. 2 × 1,5 m an. Die Webkanten bildeten die Längsseiten, die Kettfäden lagen an den Schmalseiten. 11 Wandmalerei einer makedonischen Grabkammer bei Thessaloniki, 2. H. 4. Jh./Anfang 3. Jh., bei H. Brekoulaki, La peinture funéraire du Macédoine 2 (Athen 2006) Taf. 91. 99. 9 10 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Chlamys in der Spätantike 107 Über die Entwicklung der Chlamys in hellenistischer Zeit können wir keine genauen Aussagen machen. Unter Alexander d. Gr. haben sich offensichtlich Schnitt und Funktion des Mantels verändert, denn Plutarch und Plinius d. Ä. vergleichen den Grundriß der neu zu gründenden Stadt Alexandria mit dem halbkreisförmigen makedonischen Königsmantel12. Man kann diese aus großer zeitlicher Entfernung geschriebenen Berichte verwerfen, man kann sie aber auch als Reflex auf kaiserliche Prunkmäntel der frühen Kaiserzeit verstehen. Der Dekor des »Sternen- oder Planetenmantels«, den Nero bei seiner Rückkehr aus Griechenland trägt, kann sich angemessen nur auf einer halbrund geschnittenen Chlamys entfalten13. Der makedonische Ornat, bestehend aus Purpurchlamys, Kausia und Diadem, wird von den hellenistischen Herrschern mit Ausnahme der Kausia übernommen. Die Chlamys, so scheint es, zeichnete sich durch besondere Kostbarkeit aus14. Reiche figürliche Darstellungen waren appliziert oder eingewebt, so daß man sich den hellenistischen Königsmantel länger und stoffreicher vorstellen sollte als die griechische Urform. Mit der Eroberung des östlichen Mittelmeerraumes lernen die Römer die Chlamys kennen, als Jagd- und Militärmantel und als Herrschaftsinsignie. In welcher Bedeutung der Begriff in die lateinische Sprache übernommen wird, läßt sich zunächst nur am Sprachgebrauch der antiken Autoren untersuchen, da im Repräsentationsbild der späten Republik und des Prinzipats Toga und Paludamentum dominieren. Cicero verteidigt C. Rabirius Postumus, dem man vorwarf, sich am ägyptischen Königshof in »landesverräterischer« Manier mit dem griechischen Pallium bekleidet zu haben, indem er auf prominente »Kleidersünder« der Vergangenheit hinweist: Schon L. Sulla habe sich in Neapel in der Chlamys gezeigt, und auf dem römischen Kapitol existiere ein Standbild des L. Cornelius Scipio Asiaticus »non solum cum chlamyde sed etiam cum crepidis«15. Im Zusammenhang der Rede wird deutlich, daß »griechische« Mäntel wie Pallium und Chlamys bereits in republikanischer Zeit von den Römern getragen wurden, aber nicht den Status der Toga, der offiziellen Tracht des »civis Romanus«, besaßen. Der im kleinasiatischen Aphrodisias aufgefundene »Fries des Zoilos« vermittelt eine Vorstellung vom Aussehen der Chlamys im ausgehenden 1. Jahrhundert vC. (Taf. 1b)16. Aus lateinischen Quellen zur Kaiserzeit entnehmen wir, daß der Begriff »Chlamys« nicht mit einem genau definierten Kleidungsstück korrespondiert, sondern neben Jagd- und Militärmänteln auch kostbare Luxusgewänder bezeichnet. Apuleius unterscheidet zwischen der Chlamys als Jagdmantel und dem Paludamentum als Insignie des Heerführers17. Diese Unterscheidung ist auf kaiserzeitlichen Denkmälern kaum nachzuvollziehen. Eindeutig definieren läßt sich nur das Paludamentum des Feldherrn im Kontext kriegerischer Aktionen oder an der repräsentativen Panzer- oder 12 Plutarch Alexander 26; Plin. n. h. 5,62: »eam (scil. Alexandriam) . . . ad effigiem Macedonicae chlamydis orbe gyrato laciniosam, dextra laevaque anguloso procursu«. Kolb, Römische Mäntel 151 ist gleichfalls der Ansicht, daß die hellenistische Chlamys halbkreisförmig war. 13 Athenaeus 12, 535; Sueton, Nero 25: »distinctaque stellis aureis chlamys«. 14 Plutarch, Antonius 54; Athenaeus 12, 535. 537. 15 Cicero, pro C. Rabirio Postumo 10,26. 16 »C. Iulius Zoilos«, Fries des Zoilos, 1. H. 1. Jh. nC., FO Geyre (Aphrodisias), AO Aphrodisias-Museum, Inv. nr. M 79.10.174. Bei dem Dargestellten handelt es sich um einen Freigelassenen des Augustus und ehemaligen Sklaven Caesars, der sich in mehrfacher Hinsicht um seine Heimatstadt Aphrodisias und um deren Beziehungen zu Rom verdient gemacht hatte. R. R. R. Smith, The monument of C. Julius Zoilos (Mainz 1993) Pl. 13. 17 Apuleius met. 11,8,1/3; apol. 22,7. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 108 Walburga Gerszke Reiterstatue (Taf. 1d). Um hingegen die gefibelten Mäntel auf den zahlreichen Jagddarstellungen der Zeit zu bezeichnen, fehlen hinreichende Unterscheidungskriterien. Plinius d. Ä. und Tacitus scheinen die Begriffe Paludamentum und Chlamys synonym zu verwenden. Beide Autoren berichten von einer unter Kaiser Claudius veranstalteten Naumachia: Der Kaiser, seine Gemahlin und deren Sohn Nero nehmen als Zuschauer an der Seeschlacht teil. Tacitus spricht von dem »insigne paludamentum« des Kaisers und der »chlamys aurata« der Kaiserin. Plinius hingegen, im Buch über die Metalle, bezeichnet den Mantel der Agrippina als »paludamentum aureo textili« und verweist auf die kleinasiatische Herkunft derartiger Gewebe18. Offenbar handelt es sich bei den Mänteln des Kaisers und der Kaiserin um formverwandte oder in der Form identische Mäntel. Der Unterschied, den beide Autoren hervorheben, besteht in der materiellen Kostbarkeit des Mantels der Agrippina und im Anspruch der Kaiserin, den gleichen Mantel wie ihr Gemahl zu tragen. Von einem weiteren Beispiel weiblicher Grenzüberschreitung, diesmal in kriegerischem Kontext, spricht Sueton: Caesonia, die Geliebte und spätere Gemahlin Caligulas, begleitet den Kaiser auf dem Feldzug »chlamyde peltaque et galea ornatam«19. Der »chlamys aurata« des Tacitus lassen sich zahlreiche Texte zur Seite stellen, die mit dem Begriff Chlamys ein kostbares Kleidungsstück, purpurfarben und golddurchwirkt, verbinden. Caligula paradiert bei einem »inauditum genus spectaculi« in einer von Gold und Edelsteinen strotzenden Chlamys20. Nero, aus Griechenland zurückkehrend, feiert seine Rückkehr nach Italien in einem phantastischen, griechisch-hellenistische Traditionen aufgreifenden Kostüm21. Auch wenn wir keine zeitgenössischen Abbilder derartiger Prunkmäntel haben, wird die Aussage der Autoren indirekt durch das Höchstpreisedikt Diokletians bestätigt: Lohnfestsetzungen für Sticker und Seidenweber, die eine Chlamys weben oder besticken, sind ein Indiz für die Herstellung aufwendiger Mäntel, die eher dem zivilen als dem militärischen Bereich zuzuordnen sind22. Mit diesem Kleiderluxus kontrastiert die in der Historia Augusta erwähnte »hirta chlamys« des Septimius Severus. Die Wortwahl entspricht der Tendenz des Autors, den »guten« Kaisern bescheidene Kleidung zuzuschreiben, weist möglicherweise aber auch auf das Vorhandensein schlichter Chlamyden hin23. Unter den Soldatenkaisern wird der Purpurmantel – Paludamentum oder Chlamys genannt – die unverzichtbare Insignie bei der Akklamation im Feldlager. Die Karikatur einer solchen »Erhebung« findet sich im folgenden 4. Jahrhundert bei Ammian, wenn er den Herrschaftsantritt des Usurpators Procopius beschreibt »Stetit itaque subtabidus, nusquam reperto paludamento, (.. .) hastatusque purpureum itidem pannulum laeva manu gestabat, (.. .)«24. Diese Entwicklung wird von Diokletian in der Neuordnung des Hofzeremoniells festgeschrieben25. Die kniefällige Verehrung des Kaisers in der »adoratio purpurae« unterstreicht die zentrale Rolle des Purpurmantels, Chlamys oder Paludamentum genannt, im Hofzeremoniell. Tacitus, ann. 12,56,3; Plinius, nat. hist. 23,19,63. Sueton, Caligula 25. 20 Cass. Dio 59,17,3; Sueton, Caligula 19. 21 Cass. Dio 77,4; 59,17,3. 9; Sueton, Caligula 19; Nero 25; Hist. Aug. Helvetius Pertinax 8,2; Septimius Severus 19,7; Gallienus 16,4, Claudius 17,5/7; vgl. Athenaeus 12,535. 18 19 Diokletians Preisedikt. Hrsg. S. Lauffer (Berlin 1971) 20,3. 4. 23 Hist. Aug. Septimius Severus 20,7. 24 Ammian. Marc. 26,6,15. 25 Eutrop, brev. 9,26. 22 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Chlamys in der Spätantike 109 Die mehrfache Erwähnung der Chlamys in Diokletians Höchstpreisedikt belegt ihre Verbreitung im ausgehenden 3. Jahrhundert. Neben einem ausdrücklich als »militärisch« bezeichneten Manteltyp sind Chlamyden von unterschiedlicher Qualität, Machart und Herkunft aufgelistet26. Eine Erklärung der Bezeichnungen »chlamys simplex« und »chlamys duplex« liefert die originale Chlamys in Lyon (s. u. S. 137f Taf. 7): Die Restauratorinnen konnten nachweisen, daß der nahezu kreisrunde Stoff in der Längsachse gefaltet und dann in der Form eines Halkreises über die Schulter gelegt und gefibelt wurde. Die »chlamys simplex« bestand demnach nur aus einer halbrunden oder halbovalen, nicht doppelt gelegten Stoffbahn. Am Ende des 3. Jahrhunderts nC. gewinnen wir somit eine Vorstellung von der Form des Chlamys genannten Mantels, seine Zweckbestimmung bleibt jedoch weiterhin unklar. Weiterführende Erkenntnisse erhalten wir erst durch die Denkmäler des 4. Jahrhunderts nC. Elfenbeinarbeiten und farbige Mosaiken beschreiben gefibelte Mäntel mit großer Genauigkeit im Detail, Name und Status der Dargestellten vermitteln wertvolle Informationen über die Träger und die Bedeutung der Chlamys. Ein neuer Typ der Chlamys entwickelt sich in einem repräsentativ-zivilen Kontext, ohne jedoch die Verwendung des Begriffs für den Soldatenmantel zu verdrängen. 3. Die Chlamys in der Spätantike 3.1. Die Chlamys in tetrarchischer Zeit: Die Wandmalereien des Kaiserkultraums in Luxor und das Mosaik der »Großen Jagd« in Piazza Armerina Auch die Texte des 4. Jahrhunderts erlauben noch keine klaren Aussagen zu Form und Bedeutung der Chlamys. Während Ammian »paludamentum« durchgehend im traditionellen lateinischen Wortsinn als Feldherrenmantel verwendet, konstatiert der Grammatiker Nonius Marcellus die Ablösung des »älteren« Begriffs: »paludamentum est vestis, quae nunc clamis dicitur«27. Hieronymus verwendet den Begriff Chlamys in unterschiedlicher Weise, synonym mit Paludamentum für den Mantel eines Christenverfolgers, distinktiv für das Dienstkleid des Hofbeamten, die Chlamys28. In seiner Bibelübersetzung folgt er der griechischen Vorlage und nennt den Mantel, den die Soldaten des Statthalters Christus zum Spott umlegen, eine »chlamys coccinea«29. Im gleichen militärischen Sinn wird auch der Mantel des heiligen Martin, Offizier der kaiserlichen Garde, als Chlamys bezeichnet30. Die um 400 nC. verfaßte Historia Augusta kennt Chlamyden in militärischer und ziviler Verwendung31. Die Tendenz des unbekannten Autors, zeitgenössische Zustände in die Vergangenheit des 2. und 3. Jahrhunderts zu projizieren, erlaubt es, die Kaiserviten in realienkundlicher Hinsicht Der materielle Wert einer Chlamys ist sehr unterschiedlich anzusetzen, s. F. Morelli, Tessuti e indumenti nel contesto economico tardoantico. I prezzi: AntTard 12 (2004) 55/78. 27 Nonius Marcellus p. 538,32. 28 Hier. ep. 1,7: »itaque furens et anhelus lictor paludamento in cervicem retorto, dum totas expedit vires, fibulam, quae chlamydis mordebat oras, in hu26 mum excussit (. . .)«; ep. 3 (60),9: »Referret, inquam, alius, quod in Palatii militia sub chlamyde et candenti lino corpus eius cilicio tritum sit«. 29 Mt. 27,27f. 30 Sulpicius Severus, vita sancti Martini 3,2. 31 Hist. Aug. Helvius Pertinax 8,2; Divus Claudius 17,5/7. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 110 Walburga Gerszke auch als Quelle für das 4. Jahrhundert heranzuziehen32. Eine von Ambrosius zur Körperverhüllung der Frauen propagierte Chlamys scheint keinen Widerhall gefunden zu haben33. Die Analyse des Sprachgebrauchs bringt also keine definitorische Klarheit. Als nächstes richtet sich der Blick auf aussagefähige archäologische Denkmäler der Tetrarchenzeit. Die nur in Resten erhaltene Ausstattung des tetrarchischen Kaiserkultraums im römischen Militärlager von Luxor ist dank der Aquarelle, die der Ägyptologe J. G. Wilkinson in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts angefertigt hat, im Gesamtkonzept rekonstruierbar. In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts erfolgte unter Johannes G. Deckers eine detaillierte Bestandsaufnahme der Wandmalereien und eine Analyse des Bildprogramms34. Die neueste Restaurierung durch amerikanische Wissenschaftler bestätigt die Qualität der Ausmalung. Für unsere Fragestellung relevant sind die Darstellungen der Südwand seitlich der zentralen Apsis. Die Wandfelder A und A’ zeigen auf die Bildmitte hin angeordnete Figurenreihen, die sich huldigend einem Doppelthron nähern. Die Kleidung der dargestellten Figuren ist in ihren Grundbestandteilen identisch: Gegürtete, reich dekorierte Ärmeltuniken, auf der rechten Schulter gefibelte Mäntel und leichte geschnürte Schuhe. Cingulum und Zwiebelknopffibel kennzeichnen die Dargestellten als Soldaten. Von der restlichen Gruppe unterscheiden sich auf dem Wandfeld A zwei nach links gewendete Personen. Sie tragen wadenlange fransenbesetzte Mäntel, einer der Männer hält einen Pilzknaufstock. In gleicher Weise sind einige Personen auf der Wandfläche A’ aus ihrer Umgebung herausgehoben (Taf. 1e). Das gut erhaltene mittlere Figurenpaar zeigt auffällige Dekorfelder im Winkel von Saum und vertikaler Vorderkante der Mäntel. Es handelt sich um großflächige braune Orbiculi, rund und sternförmig, mit weißem Ornament. Die Figur im wadenlangen Mantel mit dem sternförmigen Dekor gehört zu einer Dreiergruppe, die wie auf Wandfeld A durch einen Pilzknaufstock hervorgehoben ist. Im bekannten Denkmälerbestand sehen wir auf diesen Darstellungen zum ersten Mal Mäntel mit Dekorfeldern, die ansonsten nur Tuniken schmücken. Nur wenige, zentral im Vordergrund des Bildfeldes plazierte Personen tragen diese auffälligen Mäntel. Man darf vermuten, daß diese Mantelträger in der militärischen Hierarchie einen höheren Rang einnehmen als die übrigen Personen. Die in Luxor gemachten Beobachtungen werden gestützt durch die Darstellung der »Großen Jagd« in Piazza Armerina35. Das Fußbodenmosaik behandelt ein zeitgenössisches Thema, die Großwildjagd und den Transport der gefangenen Tiere. Daher kann auch die Kleidung der Entstehungszeit zugeordnet werden36. Die zahlreichen an 32 Ich schließe mich hier der Forschungsmeinung an, die die Kaiserbiographien einem einzigen Autor zuschreibt und um 400 nC. datiert: A. MolinierArbo, »Imperium in virtute esse non in decore«. Le discours sur le costume dans l’Histoire Auguste: F. Chausson, Costume et société dans l’Antiquité et le haut Moyen-Âge (Paris 2003) 67/83. 33 Ambrosius, de virginib. 2,4,29 »Sume habitum qui abscondat feminam (. . .), induere clamidem qui occultet membra virginis . . ., sume pilleum qui tegat crines, abscondat ora«. 34 Luxor, Kaiserkultraum des römischen Militärlagers, Wandmalerei der Südwand, Wandflächen A und A’, um 300 nC.; J. G. Deckers, Die Wandmalerei im Kaiserkultraum von Luxor: JbDAInst 94 (1979) 600/52. 35 »Die große Jagd«, Fußbodenmosaik, um 320 nC., Römische Villa, Piazza Armerina/Sizilien. 36 H. Mielsch, Realität und Imagination im »Großen Jagdmosaik« von Piazza Armerina: Festschr. N. Himmelmann (Mainz 1989) 459/66; K. M. D. Dunbabin, Mosaics of Roman North Africa (Oxford 1978) 201f. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Chlamys in der Spätantike 111 der Jagd beteiligten Personen unterscheiden sich durch ihre Tätigkeit und Kleidung. Nur tunikatragende Figuren sind mit untergeordneten Arbeiten beschäftigt37. Die eigentliche Jagd und Jagdaufsicht wird von Männern in gefibelten Mänteln ausgeübt. Auch in dieser Gruppe gibt es Unterschiede in der ausgeführten Tätigkeit, im Dekor der Tuniken, im Dekor und in der Form der Mäntel, im charakteristischen Zubehör. Nur ein Teil der Personen trägt das rote Cingulum des militärischen Dienstes, während die schmale Gürtung bei den untergeordneten Personen nicht oder kaum sichtbar ist. Eine kleine Gruppe ist durch Pileus und Pilzknaufstock ausgezeichnet. Zu diesem Personenkreis gehört auch der sogenannte »dominus« (Taf. 1c)38. Der Blick des Betrachters richtet sich mit besonderer Aufmerksamkeit auf diese Figur, die von zwei bewaffneten Leibwächtern begleitet wird und einen Mantel trägt, der sich in Länge und Dekor von den übrigen Mänteln unterscheidet. Der ockerfarbene, auf der rechten Schulter gefibelte Mantel fällt in einer geraden Linie vor und hinter dem Körper bis zu den Waden und endet in einer weichen Kurve, die möglicherweise einen halbrunden Schnitt andeuten soll39. Die Kanten sind mit einer breiten Borte versehen. An dieser Randborte sitzt unterhalb der Taille ein Dekorfeld in der Form eines Halbovals. Das schwarzgrundige Element mit weißem Ornament wiederholt sich an der hinteren Mantelinnenkante. Wir können vermuten, daß es sich insgesamt um vier Dekorfelder handelt, die an den Stoffinnen- und Außenseiten sichtbar sind. Die Leibwächter tragen den gleichen Mantel, jedoch ohne Dekorfelder. Auch die leichten schwarzen Campagi des »dominus« kontrastieren mit den militärischen Stiefeln der Begleiter. Nur zwei weitere Figuren tragen Dekorfelder auf dem Mantel, der sogenannte »Wagenschieber« und ein Soldat auf Löwenjagd. Die genaue Form ihrer Mäntel ist kaum zu beurteilen, da die vordere Stoffbahn über den linken Arm und die Schulter nach hinten geworfen ist. Im abgerundeten Winkel von Saum und Vorderkante sitzen schwarzgrundige Orbiculi. Der Mantel des »Wagenschiebers« ist fransenbesetzt. M. L. Rinaldi, die sich ausführlich mit dem »Kostüm« der Mosaiken von Piazza Armerina beschäftigt hat, konstatiert meines Erachtens mit Recht, daß die Form der im Jagdmosaik abgebildeten Mäntel nicht genau definiert ist40. Die Bezeichnung dieser Jagdmäntel als Chlamys rechtfertigt sich jedoch aus der vorhergegangenen Analyse des kaiserzeitlichen Sprachgebrauchs. Wir hatten zunächst festgestellt, daß der soziale Status der dargestellten Personen nicht nur an ihrer Tätigkeit, sondern auch an ihrer Kleidung ablesbar ist. Unter den vielfältigen Abstufungen von Kleid und Zubehör gebührt den mit Dekorfeldern ausgezeichneten Mänteln besondere Aufmerksamkeit. Offensichtlich werden hier Rangunterschiede beschrieben, die wir feststellen, aber noch nicht genau in ihrer Bedeutung einordnen können. Die beiden Denkmäler des beginnenden 4. Jahrhunderts weisen damit eindeutig auf Veränderungen des Mantels hin. Orbiculi, die bisher nur auf Tuniken zu finden waren, »wandern« nun auf Militär- und Jagdmäntel. Die Dekorfelder sitzen zunächst im Winkel zwischen Saum und vertikaler Mantelkante. Auf dem Mantel des »dominus« 37 Es handelt sich bei allen Figuren der »Großen Jagd« um die Ärmeltunika. 38 Die divergierenden Auffassungen zum Besitzer der Villa und die kontroverse Identifikation der dargestellten Personen stehen hier nicht zur Diskussion. 39 In Schnitt und Trageweise vergleichbar sind die Mäntel der Tetrarchen auf dem Galeriusbogen, Thessaloniki, um 300 nC. 40 M. L. Rinaldi, Il costume romano e i mosaici di Piazza Armerina: RivIstArch 13/14 (1964/65) 200/ 68. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 112 Walburga Gerszke werden die halbierten Dekorfelder dann an der vorderen und hinteren Mantelkante »verankert« und einander zugeordnet. M. L. Rinaldi ist zuzustimmen, wenn sie die Mäntel der »Großen Jagd« als »premesse sulla forma e sull’uso della clamide« im 4. Jahrhundert betrachtet41. Man kann jedoch noch einen Schritt weiter gehen und die Dekorfelder, die um 300 nC. auch auf Mänteln erscheinen, in Verbindung mit dem Dekor bringen, den die archäologische Wissenschaft als Tablion bezeichnet. Die Bezeichnung »Tablion« für das rechteckige Dekorfeld der Beamtenchlamys ist in der literarischen Überlieferung äußerst rar. Der oströmische Geschichtsschreiber Johannes Malalas berichtet von der Unterwerfung des Lazenenfürsten Zthatios unter die Oberherrschaft des byzantinischen Kaisers. Durch Taufe, Krönung und Heirat mit einer Byzantinerin wird der Lazene symbolisch in die kaiserliche Familie aufgenommen und von Justinian I mit höchsten Ehren bedacht. Statt des traditionell purpurfarbenen Tablions trägt Zthatios auf seiner weißen Chlamys nunmehr ein goldenes »königliches« Tablion mit dem Bildnis des Kaisers42. Der Hofbeamte und Schriftsteller Johannes Lydos verwendet den Plural »Tablia« für die Dekorfelder auf der »chlamysartigen« Mandye ( d mandfflfc ulamffldoc e(doc) des Prätorianerpräfekten. Auch wenn F. Kolb die Angaben zur Tracht des PPO in Zweifel zieht, unterstützt die Textstelle doch die Annahme, daß die Dekorfelder mit dem Begriff »Tablia« bezeichnet und als typisches Merkmal der Chlamys zugeordnet wurden43. Wir hatten in den literarischen Quellen zur Kaiserzeit eine eindeutige Bestimmung und Abgrenzung des Begriffs Chlamys nicht gefunden. Die Darstellungen in Luxor und Piazza Armerina weisen auf ein erstes formales Unterscheidungskriterium hin: Nur der mit Tablia ausgezeichnete Mantel wird in der Folge als Chlamys bezeichnet, fehlen die Dekorfelder, verwenden wir den Begriff Paludamentum. Wenn die Auszeichnung durch Tablia nicht beliebig ist, muß sich die Chlamys auch in ihrem Gebrauch vom Paludamentum unterscheiden. Ob diese Hypothese gerechtfertigt ist, soll die Untersuchung möglichst zahlreicher und aussagefähiger spätantiker Denkmäler erweisen. Der Blick richtet sich vor allem auf die Weiterentwicklung der in Luxor und Piazza Armerina beobachteten Phänomene und auf die Beobachtung von Trägerkreis und Darstellungskontext. 3.2. Die Chlamys der Beamten Im ausgehenden 4. und vor allem im 5. Jahrhundert nC. verfügen wir über einen größeren Bestand an Denkmälern aus unterschiedlichen Regionen des Reiches und in unterschiedlichen Medien, so daß wir die Entwicklung der Chlamys auf einer breiteren Grundlage als zuvor verfolgen können. Die in diesem Kapitel betrachteten Werke geben Aufschluß über das Aussehen der zeitgenössischen Chlamys und vor allem über Rinaldi (o. Anm. 40) 220. Johannes Malalas, chron. 17,9: 1uon ant porvyroy tabloy urysoyn basilikn tablon. Vgl. das goldene Büstentablion der Ariadne (Taf. 4d). 43 Johannes Lydos, mag. 2,13: t\n Þn fmin legom nwn tablwn; Kolb, Römische Mäntel (o. Anm. 3) 140f. 41 42 Der Begriff tablon findet sich nicht im klassischgriechischen Wortschatz. Ob es sich um eine Ableitung vom lateinischen tabula handelt, kann hier nicht diskutiert werden. Zu Begriff und Bedeutung des Tablions s. u. S. 132f. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Chlamys in der Spätantike 113 die Träger44. Aufgrund von Inschriften, historischen Hintergrundinformationen und Attributen, auch aufgrund der Exklusivität der Objekte selbst läßt sich der Trägerkreis eingrenzen auf ranghohe Amtsträger im zivilen kaiserlichen Dienst. Bei der Deutung spätantiker Denkmäler muß bedacht werden, daß es sich mehrheitlich um Repräsentationsbilder handelt. Kleidung hat in dieser Darstellungsform intentionalen Charakter: Sie spiegelt den gesellschaftlichen Status, den Darstellungskontext und die beabsichtigte Wirkung auf den Betrachter. Exemplarisch sei auf die Toga verwiesen, die, aus dem spätantiken Alltag verschwunden, im Bild gegenwärtig bleibt als Symbol des Senatorenstandes. 3.2.1. Die Grabkammer von Silistra45 Eine in die 2. Hälfte des 4. Jh. datierte Grabkammer des spätrömischen Durostorum erinnert an ein Ehepaar, dessen gesellschaftlicher Rang durch die reiche malerische Ausstattung und die Bildthematik repräsentiert wird. Die Wände schmückt ein Figurenfries: Acht Dienerinnen und Diener bewegen sich vom Eingang aus auf die Verstorbenen im zentralen Bildfeld der Stirnwand zu (Taf. 2a). Jede Figur reicht den Verstorbenen ein Kleidungsstück oder einen Toilettenartikel. Der Patronus, der, den Bildrahmen leicht überschneidend, markant hervortritt, trägt über einer langen, weißen Ärmeltunika einen knöchellangen Mantel. Trotz der eher groben Ausführung der Zeichnung lässt sich eine halbkreisförmige oder halbovale Grundform des Stoffes erschließen. Die Chlamys wird von einer Zwiebelknopffibel auf der rechten Schulter gehalten und fällt dann glatt herab bis auf Knöchelhöhe. Die gerundete Saumkante liegt schwer über dem angewinkelten linken Arm. Vor dem Körper schlägt die Stoffbahn um, auf der Mantelinnenseite, knapp über dem Saum, sitzt ein dunkles rechteckiges Tablion. Das Dekorfeld wiederholt sich auf der rückwärtigen Stoffbahn. Die Form des Tablions, quadratisch oder hochrechteckig, ist nicht eindeutig zu bestimmen, da an dieser Stelle Putz abgeschabt oder abgeblättert ist46. Auf dem dunklen Grund des Tablions sind helle Balken zu erkennen, vielleicht Reste eines Swastika-Motivs. Die sparsamen zeichnerischen Angaben zum Schuhwerk lassen auf Campagi schließen47. Das »Vorzeigen« der Kleidungsstücke und Toilettenartikel durch die Dienerschaft unterstreicht den repräsentativen Charakter dieser Objekte: Ein Diener hält den Mantel so hoch, daß Tablia und Fibel deutlich zu erkennen sind (Taf. 2b). Andere Diener bringen Gürtel, Schuhe und eine strumpfähnliche Beinbekleidung. Die Schriftrolle, 44 Die Darstellungen chlamystragender Stadtpersonifikationen auf den Diptychen des Clementinus und des Magnus sind von der Untersuchung ausgenommen, da es sich hier nicht um reale Personen handelt. Delbrueck, Consulardiptychen nr. 16. 22. 23; Volbach, Elfenbeinarbeiten nr. 15. 23. 24. Zur Ikonographie spätantiker Stadtpersonifikationen und zum Verständnis ihrer Tracht Gudrun Bühl, Constantinopolis und Roma. Stadtpersonifikationen der Spätantike (Kilchberg/Zürich 1995) 210/7. 45 Wandmalereien einer römischen Grabkammer, 2. H. 4. Jh. nC., Durostorum (h.: Silistra/Bulgarien); D. Dimitrov, Le système décoratif et la date des peintures murales du tombeau antique de Silistra: CahArch 12 (1962) 35/52; V. Popova-Moroz: R. Pillinger (Hrsg.), Corpus der spätantiken und frühchristlichen Wandmalereien Bulgariens (Wien 1999) 22/8 Taf. 54/7. 46 Dimitrov 38 Fig. 3; Pillinger 23. 47 Die Campagi bestehen meistens nur aus einer Fersen- und einer spitzen Zehenkappe, die von schmalen Riemen über dem Spann gehalten werden. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 114 Walburga Gerszke die der Verstorbene in beiden Händen hält, lässt vermuten, daß es sich um einen kaiserlichen Amtsträger der Provinz Moesia inferior handelt, der seine Ernennungsurkunde oder ein anderes auf sein Amt bezogenes Schriftstück vorweist48. Auch der Gürtel, ein Privileg der aktiven Angehörigen des kaiserlichen Dienstes, gibt Aufschluß über seinen sozialen Status. Die Vermutung Dimitrovs, es handele sich bei dem Patronus um einen »notable civil«, erscheint im Vorgriff auf das noch zu analysierende Bildmaterial plausibel49. Ob er im aktiven Dienst oder erst nach dem Ausscheiden verstarb, ob er Heide oder Christ war, erfahren wir nicht. Deutlich wird hingegen die Rolle der Chlamys und der diesen Mantel komplettierenden Elemente – Fibel, Gürtel, Beinkleider und Schuhe – für das Selbstverständnis des Verstorbenen. 3.2.2. Das Diptychon des Flavius Constantius50 Bei dem sog. »Halberstädter« Diptychon, das heute seitenverkehrt einen mittelalterlichen Einband ziert, handelt es sich um das älteste erhaltene Konsulardiptychon (Taf. 2c). Die beiden Tafeln sind in drei Register unterteilt. In den mittleren hochrechteckigen Registern ist der Auftraggeber in unterschiedlicher Tracht und flankiert von zwei Begleitern dargestellt. Im oberen Bildstreifen thronen jeweils zwei Herrscher, flankiert von den Stadtgöttinnen Roma und Constantinopolis und von ihren Wachen. Hinter der Thronbank erscheint eine weibliche Gestalt, die als Galla Placidia, Gemahlin des Constantius, gedeutet wird. Im unteren Register lagern besiegte Germanen oder Gallier. Delbrueck ist es gelungen, den Auftraggeber zu identifizieren: Flavius Constantius, erfolgreicher Offizier unter Theodosius I, Nachfolger des Stilicho als magister militum, dreimal Konsul, Patricius und kurz vor seinem Tod 421 nC. Mitregent und einflußreicher Berater des Kaisers Honorius51. Das Diptychon feiert den Konsulatsantritt des Fl. Constantius, also erscheint er auf der linken Haupttafel in der triumphalen Toga trabea, und auf der rechten Tafel in der Chlamys. Die akklamierenden Begleiter tragen jeweils die gleiche Tracht wie der Auftraggeber. Eine feine Rangabstufung erfolgt durch die hinweisenden oder akklamierenden Gesten der Begleiter, durch Überschneidung der Personen und unterschiedliche Körpergröße. Die bodenlange Chlamys wird von einer schweren Zwiebelknopffibel gehalten, die kurze Ärmeltunika von einem breiten verzierten Gürtel vorschriftsmäßig gehalten. Die rechte Hand liegt im Redegestus vor der Brust, die Linke rafft von innen den Mantel, der sonst über dem Boden schleifen würde. Die doppelte Konturlinie am unteren Saum könnte übereinanderliegende Stoffbahnen andeuten und damit eine Chlamys duplex meinen. Vor der Körpermitte liegt ein großflächiges Tablion, das sich auf der rückseitigen Stoffbahn, innen und außen, wiederholt. Das quadratische Tablion beDimitrov 50. Ebd. 50f. 50 Sog. »Halberstädter Diptychon«, Consulardiptychon, Elfenbein, mehrheitlich 414 nC., Halberstadt, Domschatz, am oberen Rand stark beschnitten; Delbrueck, Consulardiptychen nr. 2; W. F. Volbach, Elfenbeinarbeiten der Spätantike3 (Mainz 48 49 1976) nr. 35; J. Engemann, Das spätantike Consulardiptychon in Halberstadt: westlich oder östlich?: JbAC 42 (1999) 158/68. 51 Delbrueck, Consulardiptychen 91f. Zu Constantius vgl. B. Bleckmann, Art. Constantius III: JbAC 51 (2008) 227/31. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Chlamys in der Spätantike 115 steht aus einem zentralen Ornamentfeld, aus einem breiten äußeren Rand mit einer stilisierten Ranke und einem mittleren Streifen in Rautenmuster. Die Schuhe sind nur ungenau zu erkennen, da diese Zone stark abgerieben ist. Die spitze vordere Kappe und der Riemen über dem Spann des Constantius lassen jedoch auf Campagi schließen. Die Distanz zwischen Auftraggeber und Begleitern wird auch im Tablion sichtbar: Die Tablia der Begleiter sind zurückhaltender im Ornament. Die Kaiser im oberen Register tragen ebenfalls die Chlamys, gehalten von der kaiserlichen Pendilienfibel. Die Tablia vor der Körpermitte sind wie bei den Personen im zentralen Register konzentrisch dreigeteilt52. Die Togatracht auf der linken Tafel, der Hauptseite53, erklärt sich aus dem Darstellungskontext: Der neuernannte Konsul ist bei der wichtigsten Amtshandlung, der Eröffnung der Spiele, dargestellt. Datiert man mit J. Engemann das Diptychon auf das erste Konsulat des Constantius 414 nC., liegt es nahe, an die im gleichen Jahr erfolgte Verleihung des Titels »patricius« zu erinnern54. Folgt man dieser Argumentation, würde der außerordentliche Status des Auftraggebers vor allem durch unterschiedliche Tracht angezeigt: Der Rang des amtierenden Konsuls durch die Trabea, der Ehrentitel eines Patricius durch die Chlamys55. Das Bild der unterworfenen Germanen im unteren Register können wir dann als zusätzlichen Hinweis auf die militärischen Erfolge des Constantius verstehen. 3.2.3. Das Probianus-Diptychon56 Die Inschrift über den zweigeteilten Tafeln nennt als Auftraggeber des Diptychons »Rufus Probianus vir clarissimus vicarius urbis Romae« (Taf. 2d). Der Titel bezeichnet einen kaiserlichen Beamten, Stellvertreter des Praefectus Praetorio per Italias und Verwalter der suburbikarischen Diözese57 und ist gleichzeitig als Überschrift der Tafeln zu verstehen: Im oberen Register der linken Tafel präsentiert sich der Auftraggeber in der spätantiken Toga contabulata als »vir clarissimus«, als Angehöriger des Senatorenstandes. Im Gegenbild der rechten Tafel thront Probianus im Tribunal als neuernannter »vicarius«. Sein Dienstkleid ist die Chlamys. Der Vikar wird jeweils assistiert von Amtsschreibern oder Notaren, die auf der linken Tafel die Paenula und 52 Die kaiserlichen Büstenmedaillons des Clementinus-Diptychons zeugen von der gleichen Sorgfalt bei der Wiedergabe des Ornats: Juwelendiadem, Chlamys mit Tablion und Pendilienfibel sind auch im kleinen Format exakt ausgearbeitet. Delbrueck, Consulardiptychen nr. 16; Volbach, Elfenbeinarbeiten nr. 15. 53 Nach R. Delbrueck und J. Engemann wurde das Diptychon im Westen des Reiches hergestellt. Im aufgeklappten Zustand muß demnach die linke Haupttafel zuerst betrachtet werden. 54 A. Demandt, Geschichte der Spätantike (München 1998) 252: »Den spätantiken Patriciat hat Constantin gestiftet. Er wurde nur wenigen, um das Kaiserhaus besonders verdienten Personen zuteil«. 55 Den hohen protokollarischen Rang von Konsulat und Patriciat belegt Cod. Theod. 6,6,1 (De consulibus, praefectis, magistris militum et patriciis). 56 Diptychon, Elfenbein, um 400 nC., Berlin, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst, Ms. theol. lat. fol. 323; auch dieses Diptychon ist seitenverkehrt montiert. Delbrueck, Consulardiptychen nr. 65; Volbach nr. 62; A. Effenberger / H.-G. Severin, Das Museum für spätantike und byzantinische Kunst (Mainz 1992) 44 Abb. 35. 57 W. Kuhoff, Studien zur zivilen senatorischen Laufbahn im 4. Jh. n. Chr. (Frankfurt 1983) 123: Es handele sich um das ranghöchste Vikariat des Westreichs, häufig seien Senatoren als Amtsinhaber und Sachwalter kaiserlicher Interessen in Rom nachzuweisen. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 116 Walburga Gerszke auf der rechten Tafel die Chlamys tragen58. In den unteren Registern huldigen jeweils zwei Personen dem Vikar: Dem Togatus sind zwei senatorische Standesgenossen in der Toga zugeordnet, dem Vikar zwei Beamte in der Chlamys. Die linke Tafel zeigt Probianus mit der Ernennungsurkunde, die Rechte im Redegestus erhoben. Auf der rechten Tafel hat er den Codicillus entrollt und setzt mit dem Griffel den Empfangsstrich59. Da er mit beiden Händen agiert, ist der Mantel über dem linken Arm zurückgeschlagen und unter dem Arm über den Schoß zurückgeführt, Knie und Beine bedeckend. Die Zwiebelknopffibel ist leicht beschädigt. Das Tablion, von Delbrueck als Rechteck mit eingeschriebener Raute und Rosetten in den Zwickeln beschrieben, kann ich auf der Abbildung nur andeutungsweise unterhalb der Schriftrolle erkennen. Die beiden Schreiber tragen die Chlamys über einer kurzen gegürteten Ärmeltunika. Die großflächigen Tablia liegen vor der Körpermitte und sind auf der Innenund Außenseite des Mantels sichtbar. Als Ornament erscheint ein einfaches Netzmuster. Die Gratulanten oder Redner im unteren Register tragen die Chlamys über einer langen, ungegürteten Ärmeltunika. Das Fehlen des Cingulums und die lange Tunika weisen möglicherweise darauf hin, daß es sich hier um »honorarii«, Titularbeamte, oder »vacantes«, aus dem aktiven Dienst ausgeschiedene Beamte, handelt. Die Tablia sind unterschiedlich gemustert. Soweit die Abbildungen Rückschlüsse erlauben, handelt es sich wieder um ein Netz- und Rankenmuster. Die Fibeln sind unwesentlich kleiner als die des Vikars. Im Schuhwerk unterscheiden sich die beiden »nicht regulären« Beamten von Probianus: sie tragen den Soccus, einen pantoffelähnlichen Schuh, während Probianus Campagi trägt. Diese rechte Tafel informiert in besonders aufschlußreicher Weise über das Aussehen der Chlamys, da die dargestellten Personen in unterschiedlichen Haltungen, frontal und in Seitenansicht, gezeigt werden. Während die linke Tafel an den senatorischen Stand des Auftraggebers erinnert, betont die rechte Tafel das Amt. Dieser Unterschied wird nicht in der dargestellten Handlung, sondern im Gewand sichtbar gemacht. 3.2.4. Das sogenannte Stilicho-Diptychon60 Die beiden Tafeln müssen zunächst, wie schon von Richard Delbrueck erkannt und von K. J. Shelton mit großer Detailgenauigkeit nachgewiesen, in der ursprünglichen Anordnung gesehen werden: Die linke Tafel und Hauptseite gebührt dem prächtig gekleideten Mann, die rechte Tafel der Dame mit dem jugendlichen Chlamydatus. Die Identifizierung der Personen als Familie des Feldherrn Stilicho ist umstritten und kann hier nicht erörtert werden. Auch die Frage der Darstellungsintention 58 Die jugendlichen Schreiber in der Paenula sind offenbar noch nicht befugt, das Dienstkleid, die Chlamys, zu tragen oder gehören unteren Diensträngen an. Zum Rangunterschied s. u. S. 132117. 59 Delbrueck, Consulardiptychen 251. 60 Sog. Stilichodiptychon, Elfenbein, 370–430 nC., Monza, Domschatz; Delbrueck, Consulardiptychen nr. 63; Volbach nr. 63; K. J. Shelton, The diptych of the young office holder: JbAC 25 (1982) 132/71; B. Kiilerich / H. Torp, Hic est, hic Stilicho. The date and interpretation of a notable diptych: JbDAInst 104 (1989) 319/71; Ph. v. Rummel, Habitus barbarus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten (Berlin 2007) 206/13; R. Warland, Ein Bildnis Stilichos? Das Diptychon von Monza: Das Königreich der Vandalen, Ausstellungskat. Karlsruhe (Mainz 2009) 98. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Chlamys in der Spätantike 117 wird kontrovers diskutiert. K. J. Shelton rückt den Knaben als jugendlichen Amtsträger in den Vordergrund, während R. Warland das Diptychon in die Tradition spätantiker Familienrepräsentation stellt. Unbestritten ist der hohe Rang der Dargestellten, der wesentlich an Kleidung und Zubehör abzulesen ist. Für unsere Fragestellung interessieren vor allem die Gewänder von Vater und Sohn. Der Vater trägt eine lange Chlamys über einer kurzen gegürteten Ärmeltunika, geschlitzte enge Beinkleider und Campagi. Mit der rechten Hand hält er eine Lanze, die Linke stützt sich auf einen Schild, am Wehrgehänge hängt ein kostbares Futteral mit kurzem Schwert. Die Chlamys, der wir bisher nur bei zivilen Amtsträgern begegnet sind, wird hier in außergewöhnlicher Weise von militärischen Attributen begleitet. Die Musterung der Gewänder ist charakteristisch für kostbare Seidenstoffe. Auf der Tunika folgen in dichter Reihung Büstenmedaillons und Ädikulen mit eingestellten Figuren. Büstenmedaillons bilden auch das Muster der Chlamys, die von einer schweren, reich verzierten Zwiebelknopffibel gehalten wird (Taf. 3a). Der Vergleich dieser Muster mit noch erhaltenen spätantiken Textilien erlaubt eine genauere Zuordnung und Interpretation. S. Schrenk beschreibt derartige Rapportmuster als typisch für spätantike Seidengewebe. Die Tuniken des von S. Schrenk publizierten Meleagerund-Atalante-Behangs weisen große Übereinstimmung auf mit den Mustern des Stilichodiptychons61. K. J. Shelton konnte an den Gewändern und in den Gewandfalten Farbspuren nachweisen, an der Chlamys und der Tunika des Mannes ein nunmehr zartes Violett, das auf verblichene Purpurfarbe hinweisen könnte. Die farbige Wiedergabe eines vergleichbar kostbaren Seidenstoffes findet sich im Arcosolium einer christlichen Familie in Neapel. Der verstorbene Grabinhaber trägt eine Seidenchlamys mit springenden Antilopen auf mattweißem Grund62. Eine Besonderheit der Chlamys des sogenannten Stilicho darf nicht unterschlagen werden: Es gibt keinen Hinweis auf Tablia. Vielleicht muß diese Eigentümlichkeit mit dem »Ausnahmecharakter« des Kostüms erklärt werden, das wir in der außergewöhnlichen Kombination ziviler und militärischer Elemente nicht genau definieren können. Der Knabe hingegen, der die Bildgrenze leicht überschreitend dem Betrachter entgegentritt, trägt die Chlamys des Beamten. Der Mantel fällt schwer über die kurze gegürtete Tunika. Das großflächige über der Körpermitte liegende Tablion weist ein Streifenmuster auf (Taf. 3b). Die Fibel ist mit der des Vaters identisch. Wie der Vater trägt auch der Knabe geschlitzte Beinkleider und Campagi. Die im Redegestus erhobene Rechte und das Codicillardiptychon in der linken Armbeuge entsprechen dem gängigen Bildmuster des Redners oder Juristen. Es war durchaus üblich, daß Kindern vornehmer Familien ein Ehrenamt oder Ehrentitel verliehen wurde. Der würdevolle Knabe in der Chlamys des Beamten komplettiert zusammen mit der eleganten Erscheinung der Mutter das Repräsentationsbild einer Familie von höchstem Rang. Unabhängig von der Identität der Dargestellten können wir vermuten, daß die exklusive Tracht des Vaters sowohl militärischen Erfolgen als auch hohen Ämtern in der Reichsverwaltung und bei Hof zu verdanken ist. 61 S. Schrenk, Textilien des Mittelmeerraumes aus spätantiker bis frühislamischer Zeit (Bern 2004), u. a. 182ff; »Meleager-und-Atalante-Behang«, Ägypten, Ende 4.–Anfang 5. Jh. nC.: ebd. 41/5. 62 »Arcosolium der Familie des Theotecnus«, Wandmalerei, um 500 nC., Neapel, Katakombe San Gennaro. U. M. Fasola, Le catacombe di San Gennaro (Rom 1974) Taf. 5 Abb. 68. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 118 Walburga Gerszke 3.2.5. Bildnisstatuen aus Aphrodisias Einem ganz anderen Darstellungskontext entstammt eine Gruppe lebensgroßer Bildnisstatuen aus Aphrodisias in der kleinasiatischen Provinz Karien. An prominenten öffentlichen Plätzen errichtet, hielten die Votiv- und Ehrenstatuen das Andenken wach an verdiente Vertreter der Bürgerschaft und der römischen Provinzialverwaltung63. Die beiden Statuen des beginnenden 5. Jahrhunderts, der sogenannte »Elder Magistrate« und ein »Younger Magistrate« aus Aphrodisias, folgen dem gleichen strengen Darstellungstyp, der individuelle Züge ganz auf Gesicht und Haartracht konzentriert (Taf. 3c)64. Die Statuen, die als Standbilder römischer Statthalter der Provinz Karien identifiziert wurden, tragen knöchellange Chlamyden65. Unter der schwer herabfallenden Chlamys sind weder die Länge der Tunika noch die Gürtung zu erkennen. Die Mantelschließe des »Elder Magistrate« ist weggebrochen, die des »Younger Magistrate« ist auf den Abbildungen nicht zu erkennen. Tablia sind nicht plastisch ausgearbeitet, sie waren nach R. R. R. Smith jedoch aufgemalt66. Die Geste des Redners und die Schriftrolle, typische Merkmale des Beamten, sind trotz der Bruchstellen deutlich erkennbar. Auf den gleichen städtischen Arealen fanden sich Bildnisstatuen in unterschiedlicher Tracht, in der Toga, der Chlamys und im Himation. Es stellt sich die Frage nach der Bedeutung der Kleidung und nach den Kriterien der Kleiderwahl. Smith kommt durch genaue Beobachtung von Rang und Herkunft der Personen und der historischen Entwicklung der Region zu der Schlußfolgerung, daß die Unterschiede der Tracht nicht ausschließlich auf dem ausgeübten Amt beruhen, sondern auch biographische Besonderheiten oder feine Rangabstufungen widerspiegeln67. Die unterschiedliche Tracht eines Statthalters, Toga contabulata oder Chlamys, erklärt Smith mit einer Rangerhöhung des Verwaltungsbereiches: Der Statthalter der nunmehr senatorischen Provinz Karien trage die Toga, während der rangniedrigere Statthalter zuvor die Chlamys getragen habe68. Himationstatuen konnten mit Bewohnern der Stadt Aphrodisias in Verbindung gebracht werden, die sich als kaiserliche Beamte nicht im Dienstkleid, sondern als griechische Bürger in griechischer Tracht darstellen ließen69. Dieser Befund ist keine kleinasiatische Besonderheit, sondern trifft auch auf Ehrenstatuen der Provinz Achaia zu. 63 R. R. R. Smith, Late antique portraits in a public context. Honorific statuary at Aphrodisias in Caria: JournRomStud 89 (1999) 155/89; ders., Statue life in the Hadrianic baths at Aphrodisias, AD 100–600. Local context and historical meaning: F. A. Bauer / Ch. Witschel, Statuen in der Spätantike (Wiesbaden 2007) 203/35. 64 Sog. Elder Magistrate, Marmorstatue, 5. Jh. nC., FO Aphrodisias, Hadriansthermen, AO Istanbul, Archäologisches Museum, Inv. nr. 2255; sog. Youn- ger Magistrate, Marmorstatue, 5. Jh. nC., FO Aphrodisias, Hadriansthermen, AO Istanbul, Archäologisches Museum, Inv. nr. 2266. 65 Smith, Statue life 219. 66 Ebd. 206 und Anm. 15. 67 Ebd. 205/18. 68 Zur Rangerhöhung der Statthalterschaften s. Kuhoff (o. Anm. 57) 79. 69 Smith, Portraits 181f. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Chlamys in der Spätantike 119 3.2.6. Grabinschriften aus Aquileia70 Die von Wilpert edierten frühchristlichen Epitaphe Aquileias sind, neben den Katakombenmalereien, frühe Zeugnisse chlamystragender Oranten. Die Figur des Verstorbenen ist an zentraler Stelle, zumeist von einem christlichen Symbol begleitet, in die Inschriften integriert. Die Präzision der Steinmetzarbeit erlaubt eine genaue Identifizierung von Kleidung und Zubehör, deren Bedeutung für die »alte Costümkunde« schon von Wilpert hervorgehoben wurde71. Die Platte N. 10 zeigt die zarte Gestalt eines mit zwölf Jahren verstorbenen Knaben72. Über einer wadenlangen, offensichtlich ungegürteten Tunika trägt der Verstorbene eine knapp knöchellange Chlamys. Der Mantel wird von einer Zwiebelknopffibel gehalten. Tablia, die in Taillenhöhe ansetzen und knapp über dem Saum enden, sind auf der vorderen Stoffbahn und auf der hinteren Mantelinnenseite nur durch Querstriche angedeutet. In gleicher Weise summarisch beschreibt der Steinmetz den Orbiculus auf der Tunika nur mit einem kleinen Kreis. Tunika und Chlamys des im Alter von 26 Jahren verstorbenen Maximus sind reich gefältelt (Taf. 3d)73. Die Dekorfelder auf Mantel und Tunika sind mit großer Sorgfalt angegeben. Auf Hüfthöhe ist möglicherweise ein Cingulum angedeutet. Eine Borte betont die gerade Oberkante des Stoffes. Die hochrechteckigen Tablia liegen unterhalb der Taille. Das Ornament der Tablia besteht aus einem an drei Seiten umlaufenden Rand mit Perlmuster (?), der zwei übereinandergestellte Swastiken einrahmt, die wiederum von kleinen runden Formen umgeben sind. Die Darstellungsweise der Schuhe ist, vielleicht wegen der Verwitterung des Steins, nicht mehr genau zu erkennen. Es könnte sich jedoch um die charakteristischen Campagi handeln. Die Darstellungen der übrigen Oranten folgen dem gleichen Schema. Stets wird die Chlamys über einer langen Tunika getragen. Die Zwiebelknopffibel wird knapp, aber unmißverständlich wiedergegeben. Die Dekorfelder sind in der Regel nur summarisch eingemeißelt. Als Ornament der Tablia dominiert die Swastika. Über Stand und Tätigkeit der Verstorbenen, eines Knaben, eines jungen Mannes und zweier älterer Personen, ist nichts bekannt. Im Zuge der Reichsteilung und Verlagerung der kaiserlichen Residenzen gewann die Stadt Aquileia als Handelsknotenpunkt, Flottenstützpunkt, Bischofssitz, Münze und gelegentliche kaiserliche Residenz erhebliche Bedeutung. Es liegt daher nahe, die christlichen Chlamydati als Amtsträger im Dienst der lokalen kaiserlichen oder bischöflichen Verwaltung zu betrachten. 70 J. Wilpert, Die altchristlichen Inschriften Aquileia’s: Ephemeris Salonitana qua monumenta sacra praecipue Salonitana in honorem I congressus christianae antiquitatis cultorum . . . illustrantur (Zadar 1894) 37/58 bzw. Acta Primi Congressus Internationalis Archaeologiae Christianae = Studi di Antichità Cristiana 50 (Città del Vaticano/Split 1993) 51/72; B. Forlati Tamaro / L. Bertacchi, Aquileia. Il Museo Paleocristiano (Padua 1962) 40/56: Die Mar- morplatten wurden in Aquileia und Umgebung gefunden und werden dort im Museum aufbewahrt. Genaue Angaben zu den Fundorten fehlen sowohl bei Wilpert als auch im Katalog. 71 Wilpert, Inschriften 49. 72 Ebd. Platte nr. 10; Forlati Tamaro / Bertacchi 42 nr. 107. 73 Wilpert, Inschriften Platte nr. 11; Forlati Tamaro / Bertacchi 40 nr. 91. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 120 Walburga Gerszke 3.3. Das Dienstkostüm des Kaisers und der Kaiserin Die in den folgenden Abschnitten vorgestellten Darstellungen spätantiker Kaiser und Kaiserinnen vermitteln hinsichtlich des Ornats keine Erkenntnisse, die über die Arbeiten von A. Alföldi, R. Delbrueck, O. Treitinger, F. Kolb u. a. hinausgehen74. Das Hauptaugenmerk richtet sich daher auf repräsentative Gruppenbilder, um Übereinstimmungen und Differenzen im Gewand der Herrscher und ihres Gefolges zu untersuchen. Die Rolle der Chlamys im zivilen kaiserlichen Ornat ist dabei klar abgegrenzt gegenüber der militärischen Tracht mit Panzer und Paludamentum und der Triumphaltoga des Konsuls. 3.3.1. Das Missorium des Theodosius75 Die 388 aus Anlaß der Dezennalien des Kaisers gefertigte Silberplatte zeigt die zeremonielle Übergabe des Ernennungscodicills an einen Beamten (Taf. 3e). Von links hat sich der Neuernannte dem Thronsitz des Kaisers und seiner Mitregenten genähert. Leicht gebeugt nimmt er in protokollarisch korrekter Weise die Urkunde mit verhüllten Händen entgegen76. Die subtile Arbeit des Silberschmiedes beschreibt die Gewänder in seltener Deutlichkeit. Alle Beteiligten tragen die Chlamys. Dennoch werden die Rangunterschiede zwischen den Regenten einerseits, den Regenten und dem Beamten andererseits durch Abstufungen in Schmuck, Dekor und Zubehör deutlich vor Augen geführt. Die Chlamys des Kaisers fällt von den Schultern in weichen Falten auf den Schoß und verhüllt Oberkörper und linken Arm. Knapp über dem Saum sitzt ein großes quadratisches Tablion und bedeckt das rechte Knie und den Schoß. Das kleinteilige Schachbrettmuster wird von einem Perlenband und einer Randborte eingefaßt. Jede Ecke des großen Quadrats ist von einer pyramidenförmigen Perlenstellung betont. Der Mantel wird von einer aufwendigen Scheibenfibel gehalten: Den zentralen ovalen Stein umschließt ein Perlenkranz. Je drei große Perlen betonen Fuß und Spitze des Ovals. Die Pendilien, Hängeschnüre mit Perlen oder Juwelen, fallen über die Brust. Die weit ausgeschnittenen Campagi sind mit einem Perlenband eingefaßt, die Riemen schließen über dem Spann mit einem Edelstein. Da die Mitregenten in der linken Hand einen Globus halten, ist die Chlamys über dem linken Arm zurückgeschlagen. Der Blick fällt auf die bestickten Gürtel und die gleichfalls juwelenverzierten Gürtelanhänger. Das Tablion des Valentinian (zur Rech74 A. Alföldi, Insignien und Tracht der römischen Kaiser: RömMitt 50 (1935) 1/230; Delbrueck, Consulardiptychen (o. Anm. 3) 40; ders., Der spätantike Kaiserornat: Die Antike 8 (1932) 1/21; O. Treitinger, Die oströmische Kaiser- und Reichsidee (Jena 1938 bzw. Darmstadt 1956) 9/12. 22. 31; F. Kolb, Herrscherideologie in der Spätantike (Berlin 2001); K. Wessel, Art. Insignien: RLByzKunst 3 (1978) 369/498. 75 Missorium des Theodosius, Silberplatte, um 388 nC., diagonale Bruchstelle, FO Almendralejo bei Mérida/Spanien, AO Madrid, Real Academia de Historia. Die Herrscher werden mehrheitlich identifiziert als Theodosius I, Valentinian II (zur Rechten des Kaisers) und Arcadius (zur Linken des Kaisers); Delbrueck, Consulardiptychen nr. 62; Kolb, Herrscherideologie 220/5. 76 Ammian. Marc. 16,5,11 schildert die wenig protokollgerechte Entgegennahme kaiserlicher munera: »Cum inductis essent iussu eius quadam sollemnitate agentibus in rebus in consistorium ut aurum acciperent inter alios, quidam ex eorum consortio non, ut moris est, pansa chlamyde, sed utraque manu cavata suscepit«. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Chlamys in der Spätantike 121 ten des Kaisers) ist von einem Perlenband eingefaßt. Sich überschneidende Kreise bilden das Grundmuster des Dekorfeldes. Die Ecken sind wieder mit einer kleinen Perlenstellung betont. Das Tablion des Arcadius hat ein besonders aufwendiges Muster: Innerhalb des großen Quadrats umschließt ein auf den Kopf gestelltes Quadrat ein scheibenförmiges Ornament. Die Ränder der geometrischen Grundformen sind jeweils als Perlenband gestaltet. Die Zwischenräume füllen Blatt- und Rankenornamente. Über dem wellig herabfallenden Saum wird ein schmaler Streifen des rückwärtigen Tablions sichtbar. Auch die Chlamys der Mitregenten wird von der kaiserlichen Pendilienfibel gehalten. An der Fibel des Arcadius erkennt man sogar die charakteristischen Querbänder zwischen den Schnüren. Gürtel und Schuhwerk der Mitregenten sind fast identisch. Während die Rangunterschiede zwischen den Regenten im vestimentären Bereich geringfügig sind, verweisen Dekor, Zwiebelknopffibel und Schuhwerk auf die untergeordnete Position des Beamten. Die Dekorfelder, es handelt sich offensichtlich um je zwei auf Vorder- und Rückseite, sitzen höher als die der kaiserlichen Mäntel. Ungefähr vor der Körpermitte liegt ein großes, in vier quadratische Felder unterteiltes Tablion. Jedem Feld ist ein Kreis eingeschrieben, der wiederum ein Binnenmuster enthält. Am Schnittpunkt der horizontalen und vertikalen Teilungslinien liegt ein fünftes, kleineres Ornament. Ein hochrechteckiges Tablion sitzt leicht nach unten versetzt an den seitlich herabfallenden Kanten der Chlamys. Fallen Vorder- und Rückseite der Chlamys kantengleich zusammen, schließen sich die hochrechteckigen Tablia und bilden ein Muster, das identisch ist mit dem der quadratischen Tablia. In der Seitenansicht des Beamten wird die Schnittform der Schuhe besonders gut sichtbar. Die Campagi sind schmucklos mit Ausnahme der kleinen runden Schließe. 3.3.2. Die Reliefs des Theodosiusobelisken77 Der an prominenter Stelle im Hippodrom von Konstantinopel errichtete Obelisk wird von einem doppelten Sockel mit Inschriften und Reliefs getragen. Die Darstellungen sind thematisch eng mit dem Aufstellungsort verbunden: Obwohl die mit großer Wahrscheinlichkeit identifizierten Augusti und Caesares nie zusammen in Konstantinopel waren, also kein bestimmtes historisches Ereignis zugrunde liegt, bilden die Reliefs in idealtypischer Weise das Herrscherkollegium und die Gesellschaft ab, die sich realiter im Hippodrom einfand78. Die Gruppenbildnisse von Herrscher, Hof und städtischer Gesellschaft bei den eminent bedeutsamen Veranstaltungen im Hippodrom erlauben eine präzise Beobachtung der zeitgenössischen Rang- und Kleiderordnung. Umgeben von Vertretern des Hofs, der städtischen Gesellschaft und den Leibwachen thronen die Augusti und Caesares in der kaiserlichen Loge und nehmen beobachtend und handelnd am Geschehen im Zirkus Anteil. Das differenzierte Erscheinungsbild der Personen und gesellschaftlichen Gruppen führt exemplarisch die eingangs erwähnte Relevanz der Kleidung im spätantiken Repräsentationsbild vor Augen. Theodosiusobelisk, Reliefs der Basis, Marmor, 388–392 nC., Konstantinopel, ehemaliges Hippodrom; G. Bruns, Der Obelisk und seine Basis auf 77 dem Hippodrom zu Konstantinopel (Istanbul 1935) 5; Kolb, Herrscherideologie (o. Anm. 74) 225/42. 78 Zur Identifizierung der Herrscher s. ebd. 236/8. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 122 Walburga Gerszke Die NW-Seite zeigt vier Herrscher in der kaiserlichen Loge, die, flankiert von Würdenträgern und Leibwächtern, eine Barbarenhuldigung entgegennehmen. Die maßstäblich größte Figur, Theodosius I, und Valentinian II zu seiner linken Seite sitzend tragen die Chlamys mit der kaiserlichen Pendilienfibel. Die Fibeln der beiden anderen Herrscher sind abgebrochen oder korrodiert und aus der Entfernung nicht genau zu erkennen. Die Haltung der Herrscher ist gemessen, die verhaltenen Gesten in den Umriß eingeschrieben. Der linke Arm zeichnet sich leicht unter dem Stoff ab. Die rechte Hand hält eine Schriftrolle im Schoß oder vor der Brust. Unmittelbar neben der Loge stehen links v. B. zwei Personen in der Chlamys, rechts v. B. eine Person in der Toga contabulata und zwei weitere Chlamydati (Taf. 4a). Die individualisierten Köpfe lassen vermuten, daß es sich um konkrete Amtsträger des kaiserlichen Hofes handelt. Die sogenannte Lex vestiaria aus dem Jahr 382 nC. gibt Aufschluß über den Status der Togati79. Die Verfügung richtet sich an den Stadtpräfekten von Konstantinopel und betrifft die Kleidung der Senatoren. Diese werden verpflichtet, die Chlamys, die sie als Amtskleid einer militärischen oder zivilen »militia« tragen, in der Hauptstadt abzulegen und gegen die Paenula zu tauschen. Bei öffentlichen Anlässen hingegen hat der Senatorenstand in der Toga zu erscheinen80. Das Gesetz zielt also nicht darauf, die Chlamys generell aus dem Stadtbild zu verbannen, sondern verpflichtet lediglich den Senatorenstand auf einen »Kleiderwechsel«. Gewiß enthält die Textfassung eine auch im Gewand symbolisierte Opposition von »quietus«, Ruhe und Sicherheit, und »terror«, Furcht und Schrecken. M. Harlow begründet jedoch plausibel, daß der »habitus militaris« der theodosianischen Konstitution nicht ausschließlich als militärische Tracht interpretiert werden sollte, sondern in gleicher Weise die Tracht der kaiserlichen Beamten meint. Als Zeichen militärischer oder ziviler Amtsgewalt habe die Tracht in jedem Fall eine »furchteinflössende« Wirkung auf die Untertanen81. Der Togatus auf dem Relief der NW-Seite in unmittelbarer Nachbarschaft der Herrscher gehört demnach dem senatorischen Stand an, es wird sich um den Praefectus Urbi handeln82. Während der Stadtpräfekt als senatorischer Amtsinhaber auf diesem Relief als einzige Person eine Toga trägt, sind die Herrscher bei der »Siegerehrung« auf der SO-Seite von zahlreichen Togati umgeben. Man darf vermuten, daß hier der Senat von Konstantinopel um die Kaiserloge versammelt ist. Die Chlamysträger, die besonders zahlreich auf dem Relief der SW-Seite versammelt sind, vertreten hingegen hierarchisch abgestufte Hofämter. Unterschiedlich gearbeitete Fibeln machen Rangunterschiede deutlich. Cod. Theod. 14,10,1ff: »Sine exceptione temporis matutini, dumtaxat intra moenia constitutus, nullus senatorum habitum sibi vindicet militarem, sed chlamydis terrore deposito quieta coloborum ac paenularum induat vestimenta. Cum autem vel conventus ordinis candidati coeperit agitari vel negotium eius sub publica iudicis sessione cognosci, togatum eundem interesse mandamus«. 80 Die diesem Gesetz zugrundeliegende Absicht wird ausführlich erörtert in Schlinkert (o. Anm. 8) 144/52. 81 Harlow (o. Anm. 3) 62: »By the early fifth century the chlamys was the garment that represented 79 imperial authority, and those who wore it, particularly with the cross-bow fastening, were probably displaying their status as office holders, either military or civilian«. So auch: R. Delmaire, Le vêtement, symbole de richesse et de pouvoir, d’après les textes patristiques et hagiographiques du Bas-Empire: Chausson (o. Anm. 32) 87: »Le soldat et le fonctionnaire portent la vestis militaris, (. . .), chlamyde et cingulum caractérisent dans les textes le fonctionnaire impérial de tout rang, du simple soldat au gouverneur de province«. 82 Zum Amt des Stadtpräfekten in Rom und Konstantinopel s. Demandt (o. Anm. 54) 352f. 365. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Chlamys in der Spätantike 123 Der Bildaufbau, die fast monoton zu nennende Reihung der Togati und Chlamydati neben und unterhalb der kaiserlichen Loge, entspricht nicht nur dem Stil der Zeit, sondern spiegelt auch die in den Kleidergesetzen gewollte uniforme Außenwirkung der Ämter und Stände. 3.3.3. Die Kaisermosaiken in San Vitale in Ravenna83 Auf den Mosaiken des nördlichen und südlichen Gewändes des Presbyteriums von San Vitale zieht das Kaiserpaar, Justinian I und Theodora, mit weltlichem und geistlichem Gefolge zum Altar, um liturgische Gefäße darzubringen. Auch diese Darstellung hat keinen Bezug zu einem realen historischen Ereignis, da Justinian und Theodora nie in Ravenna waren. Die Frage, wie die symbolische Gegenwart des Kaiserpaares zu deuten sei, soll hier ebensowenig erörtert werden wie die Mutmaßungen über die Identität einzelner Mitglieder des Gefolges84. Justinian I erscheint im Ornat des oströmischen Kaisers. Er trägt die Purpurchlamys über einer kurzen gegürteten Tunika, Juwelendiadem, Pendilienfibel, purpurfarbene Strümpfe und perlengeschmückte Campagi85. Die Tablia des knöchellangen Mantels liegen in Taillenhöhe auf den Innen- und Außenseiten der Chlamys. Auf Goldgrund sitzen rotgerandete Tondi mit grünen Vögeln. Die Zwischenräume füllt ein grünes Perlmuster. Das Vogelmotiv im Tondo wiederholt sich auf dem Schulterbesatz der kurzen, weißen Tunika. Der Kaiser trägt ein rotes Cingulum mit goldenem Besatz. Die Scheibenfibel besteht aus einem querovalen roten Stein in Goldfassung, der von neun runden Perlen umgeben ist. Die Brosche wird hinterfangen von einem Bogen mit drei blauen tropfenförmigen Perlen. An den drei Goldschnüren hängen große tropfenförmige Perlen. Diadem und Fibel sind farblich aufeinander abgestimmt. Die kaiserliche Gabe ruht auf der linken verhüllten Hand und wird mit der rechten, unverhüllten Hand leicht gestützt. Ein Zusammenhang zwischen der rituellen Darreichung oder Entgegennahme einer Gabe »mit verhüllten Händen« und dem Tablion auf der Chlamys ist dieser Darstellung nicht zu entnehmen. Zum Gefolge des Kaisers gehören drei Chlamydati, die in leichtem Abstand hinter den Protagonisten, Kaiser und Erzbischof, plaziert sind. Die Gesichter tragen individuelle Züge, Haltung und Kleidung sind bis auf den Schulterbesatz völlig identisch. Die weiße knöchellange Chlamys hat dunkelpurpurfarbene Tablia auf der Außenund Innenseite des Stoffes. Die Tuniken und Strümpfe sind weiß, die Campagi schwarz. Die grundsätzliche Gleichförmigkeit der kaiserlichen Chlamys mit dem Mantel der Beamten tritt im farblich differenzierten Mosaik deutlicher zutage als im Relief. Die Kleidung der Kaiserin ist dem Ornat des Kaisers angeglichen. Ihr äußerer Habitus gleicht daher mehr dem Gewand ihrer männlichen Begleiter als den Kleidern der Hofdamen. Die zivile Diensttracht stellt eine besondere Auszeichnung der Kai83 »Kaiserprozession«, Mosaiken, 546–547 nC., Ravenna, San Vitale, Presbyterium, nördliches und südliches Gewände. F. W. Deichmann, Ravenna 2,2 (Wiesbaden 1976) 180/7; J. G. Deckers, Der erste Diener Christi: N. Bock, Art, cérémonial et liturgie au Moyen-Âge (Rom 2002) 10/70. Deichmann 180/7; Deckers, Diener Christi 10/ 70. 85 Zum frühbyzantinischen Kaiserornat Treitinger (o. Anm. 74) 9/11; Wessel, Insignien (o. Anm. 74) 370/455. 84 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 124 Walburga Gerszke serin dar und erhebt sie über alle Frauen des Reiches. Sie symbolisiert ihre Teilhabe an der kaiserlichen Würde, nicht jedoch faktische Machtkompetenz. Die Kaiserin trägt die Purpurchlamys über einer langen ungegürteten Tunika. Das Fehlen des Gürtels unterstreicht den Charakter eines Ehrengewandes86. Eine auffällige Borte säumt die Chlamys der Theodora und thematisiert in Analogie zur Prozession des Kaiserpaares den Zug der Magier. Ungewöhnlich ist das Fehlen des Tablions und der für den weiblichen Ornat üblichen Perlenborte am Mantelrand. K. Wessel sieht hier einen Zusammenhang mit der breiten figürlichen Randborte, auf die sich die uneingeschränkte Aufmerksamkeit richte. Besonders üppig ist der Juwelenschmuck der Theodora: Die Pendilienkrone, ein Juwelenkragen, eine Halskette mit grünen Steinen, Ohrringe und eine Scheibenfibel, von der nur der obere Bogen mit einem grünen Stein in Goldfassung, mit fünf randständigen Perlen und einem aufgesetzten tropfenförmigen Diamant sichtbar sind. Die beiden Hofbeamten, die der Kaiserin den Weg bahnen, tragen weiße und mattgoldene Chlamyden mit purpurfarbenen Tablia. Die Gürtel sind rot wie der Gürtel des Kaisers, aber ohne Stickerei oder Juwelenapplikationen. 3.3.4. Das Diptychon der Ariadne87 Das um 500 datierte Mittelstück eines Kaiserdiptychons beschreibt im Gegensatz zum ravennatischen Mosaik den weiblichen Ornat in allen Details (Taf. 4d). Die bis auf die Füße fallende Chlamys ist jeweils außen und innen mit einer doppelten Perlenreihe gesäumt. In dem oberhalb der Taille sitzenden, nicht besonders großen quadratischen Tablion erscheint eine männliche Büste in der Tracht eines Konsuls. Falls die Identifizierung der Kaiserin mit Ariadne zutreffend ist, könnte es sich bei dem Dargestellten um ihren Sohn, Leo minor, handeln. Leo, Sohn der Ariadne und des Zeno, wurde durch seinen Großvater Leo I zum Augustus erhoben, erhob nach dessen Tod seinen Vater Zeno zum Mitregenten und machte damit seine Mutter Ariadne zur Augusta. Die Legitimierung ihrer Kaiserinnenwürde durch den früh ums Leben gekommenen Sohn wird im Kaiserbild des Tablions sichtbar gemacht88. Diadem, Juwelenkragen und die spitzen, perlenbesetzten Schuhe sind mit dem Schmuck der Theodora zu vergleichen. Die Tafel in Florenz hat ein Pendant in Wien. Die Grundbestandteile des Ornats sind identisch. Wieder ist die Chlamys durch ein Büstentablion ausgezeichnet. Der Mantel der »Wiener« Ariadne hat ein Rapportmuster aus Kreuzblüten, das sich auf dem Globus wiederholt. Farbspuren deuten darauf hin, daß die Blüten vergoldet waren, der vertikale Streifen, der vom unteren Rand des Tablions zum Mantelsaum hin verläuft, purpurfarben. Der Gestus der ausgestreckten rechten Hand erlaubt einen Blick auf die Unterkleider, eine Ärmeltunika und eine Dalmatica. 86 Wessel, Insignien (o. Anm. 74) 475 deutet an, daß die Übernahme der Chlamys in den Ornat der Kaiserin mit dem wachsenden Einfluß der Kaiserinnen der severischen Dynastie und gelegentlichen »Amtshandlungen« einer Kaiserwitwe zusammenhänge. 87 Kaiserdiptychon, mehrheitlich als Diptychon der Ariadne (gest. 515) identifiziert, Elfenbein, um 500 nC., Florenz, Museo Nazionale del Bargello; Delbrueck, Consulardiptychen nr. 51; Volbach nr. 51; das Wiener Pendant ebd. nr. 52. 88 Delbrueck, Consulardiptychen 204. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Chlamys in der Spätantike 125 3.3.5. Das Trierer Elfenbeinkästchen89 Die »Zeichenhaftigkeit« von Mantel und Zubehör wird im Relief der Trierer Elfenbeinplatte noch einmal augenfällig (Taf. 4b). Eine Reliquienübertragung ist Anlaß, das Kaiserpaar und das Gefolge aus weltlichen und kirchlichen Würdenträgern vor einer Stadtkulisse abzubilden. Die Kaiserin erwartet die Prozession mit dem Kaiser an der Spitze vor einem Kirchenportal. Die Geistlichen sind durch das Pallium charakterisiert, die weltlichen Protagonisten durch das Dienstkostüm. Die in den vorherigen Bildzeugnissen vorgestellte Chlamys wird hier noch einmal auf kleinem Raum in der besonders aufwendigen Form der kaiserlichen Insignie dem Dienstkleid der Beamten gegenübergestellt. Offensichtlich wurde Wert darauf gelegt, den sozialen Status der Prozessionsteilnehmer und Zuschauer mit sparsamen Mitteln eindeutig zu charakterisieren. Der Perlenschmuck unterscheidet die Diensttracht der Kaiserin vom Ornat ihres Gemahls. Bei der Tracht des Kaisers werden vor allem die Pendilienfibel und der Dekor der Tunika plastisch hervorgehoben. Die schlichte Chlamys des Gefolges hingegen wird von Bogenfibeln unterschiedlicher Machart gehalten. Delbrueck schließt aus spärlichen Farbspuren auf eine Bemalung, die noch stärker differenziert und möglicherweise auch die fehlenden Tablia sichtbar gemacht hätte. 4. Die Chlamys in der christlichen Ikonographie Die bildliche Umsetzung der biblischen Erzählungen erfordert von den Illustratoren die Fähigkeit, dem Betrachter die Personen und Ereignisse verständlich und einprägsam vor Augen zu führen. Die Künstler verfolgen dieses Ziel, indem sie auch im Bereich des »Kostüms« auf vertraute Bildmuster der paganen kaiserzeitlichen und tetrarchischen Kunst zurückgreifen. Auch die theologisch schwierige Aufgabe, ein Bild zu finden für die Gottmenschlichkeit Jesu Christi, für den herausragenden Status der Engel und Heiligen, versucht man zunächst im Rekurs auf bekannte Bildformulare zu lösen. Die Werke der frühen christlichen Kunst sind daher unbedingt in einer Studie zu spätantiken Kleidungsnormen und -gewohnheiten einzubeziehen, auch wenn im Einzelfall Abweichungen oder Veränderungen festzustellen sind. 4.1. Die Chlamys in den Erzählungen des AT und NT Eine Tafel des um 400 datierten Diptychons »Carrand« ist nach der Deutung K. J. Sheltons das eher seltene Beispiel eines christlichen Chlamydatus (Taf. 4c)90. In drei Registern aufgebaut, dem Vorbild der profanen Diptychen folgend, werden Szenen aus der Geschichte des Apostels Paulus erzählt. Im mittleren Register ereignet sich das »Wunder der Schlange«. Zwischen dem Apostel im Philosophengewand und den einheimischen »Barbaren« in Fellkleidung steht frontal zum Betrachter eine Person in 89 »Reliquienübertragung«, Elfenbein, 5./6. Jh. nC., FO Istanbul, AO Trier, Domschatz. Delbrueck, Consulardiptychen nr. 67; Volbach nr. 143. 90 »Das Wunder der Schlange« (Act. 28,1/8), Diptychon »Carrand«, Elfenbein, um 400 nC., Florenz, Museo Nazionale del Bargello, Carrand Coll. 20; Volbach nr. 108; K. J. Shelton, Roman aristocrats, Christian commissions: JbAC 29 (1986) 166/80. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 126 Walburga Gerszke der Chlamys mit hoch erhobener rechter Hand, ein Codicill in der Linken. Shelton sieht in dem Dargestellten einen der ersten christlichen Auftraggeber, der auf dem Diptychon in die Rolle des heidnischen Beamten Publius geschlüpft sei, um seinen Übertritt zum christlichen Glauben bildlich anzuzeigen. Auch ohne die weitreichende Interpretation Sheltons lässt sich für unsere realienkundliche Untersuchung beobachten, wie »stabil« das Beamtenbild paganer Diptychen in eine frühchristliche Erzählung übernommen wird. Der kaiserliche Beamte in Dienstkleid und Cingulum, sei er nun Heide oder Christ, verleiht dem Wunder als Zeuge nicht zuletzt in den Augen der innerbildlichen »barbarischen« Zuschauer den Charakter der Glaubwürdigkeit. Eine wichtige Bildquelle für das Studium spätantiker Gewänder bilden die Mosaikzyklen von Langhaus und Apsisstirnwand der Kirche Santa Maria Maggiore in Rom mit ihrer alt- und neutestamentlichen Thematik91. Der Bedeutungsunterschied von Chlamys und Paludamentum ist den Illustratoren offenbar bewußt, wird jedoch nicht durchgängig beachtet. Abweichungen vom Kanon des militärischen und zivilen Kostüms sind in gleicher Weise zu beobachten wie historische Ungenauigkeiten im Zusammenspiel von Kleidung und Zubehör. Zeitgenössische Kleidung und zeitgenössisches Hofzeremoniell wirken in der Mosesgeschichte nach. Die Übergabe des inzwischen herangewachsenen Knaben an die Pharaonentochter vollzieht sich nach den Regeln einer höfischen »admissio« oder »introductio« (Ex. 2,9). Höfisch ist auch die Kleidung des Knaben. Er nähert sich dem Thron in einer langen purpurfarbenen Chlamys mit einem besonders aufwendig gestalteten goldenen Tablion92. Auf einer apokryphen Kindheitsgeschichte beruhend, begegnet die Heilige Familie auf der Flucht nach Ägypten dem Stadtherrn von Sotine (Taf. 4e)93. Die Szene ist einer römischen Begrüßungs- oder Adventusszene nachempfunden. Aphrodisius, der Herrscher der ägyptischen Stadt, empfängt Maria, Joseph und das Kind am Stadttor. Er trägt seinem Status gemäß eine Purpurchlamys über der kniekurzen, gegürteten Ärmeltunika. Ein großes goldfarbenes Tablion sitzt in Taillenhöhe. Die Chlamys wird von einer Scheibenfibel gehalten, die dem Vorbild einer kaiserlichen Fibel nachempfunden ist. Die Tracht wird komplettiert durch eine hellenistische Diadembinde, die noch bei Konstantin nachgewiesen, im 5. Jahrhundert jedoch antiquiert und durch das Juwelendiadem ersetzt ist. Mit dieser »friedlichen« Begrüßungsszene kontrastiert der Auftritt Josuas als Feldherr: In eindeutig kriegerischem Kontext schreitet er im Paludamentum über dem Panzer seinen Truppen voraus auf Jericho zu (Jos. 2,1)94. 91 Der neutestamentliche Zyklus der Apsisstirnwand und die alttestamentlichen Zyklen des Langhauses werden in die Zeit 432–440 nC. datiert. H. Karpp, Die frühchristlichen und mittelalterlichen Mosaiken in Santa Maria Maggiore zu Rom (Baden-Baden 1966) Taf. 85/9. 18/20. 74/8. 25; B. Brenk, Die frühchristlichen Mosaiken in Santa Maria Maggiore in Rom (Wiesbaden 1975); J. G. Deckers, Der alttestamentliche Zyklus von Santa Maria Maggiore in Rom (Bonn 1976) 128/32. 103/7. 92 »Der Mosesknabe vor der Tochter des Pharao«, Mosaik, 432–440 nC., Rom, Santa Maria Maggiore, Langhaus. Vgl. G. Steigerwald: in diesem Band u. 153/75. 93 »Der Herrscher von Sotine«, Mosaik, 432–440 nC., Apsisstirnwand, Santa Maria Maggiore, Rom. Die Begegnung mit Aphrodisius wird PsMt. 24 (Fontes Christiani 18, 244 Schneider) berichtet. G. Steigerwald, Neue Aspekte zum Verständnis der Mosaiken des Triumphbogens von S. Maria Maggiore in Rom: RömQS 102 (2007) 161/91 deutet diese Szene des Mosaiks als Huldigung des Kaisers Augustus und Vergils vor dem Gottessohn. 94 »Josua schickt Boten nach Jericho«, Mosaik, 432– 440 nC., Langhaus, Santa Maria Maggiore, Rom. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Chlamys in der Spätantike 127 Während in den vorhergehenden Szenen die zivile oder militärische Tracht dem Anlaß entsprechend eindeutig definiert ist, sollen exemplarisch zwei Darstellungen erwähnt werden, die die Kleiderordnung mißdeuten oder frei interpretieren. Esau, den der Bibeltext hier als »dominus« charakterisiert, tritt den Boten seines Bruders Jakob wie Aphrodisius in einer Purpurchlamys entgegen (Gen. 32,3/5; 33,8). Unter der Chlamys trägt er jedoch die Panzertracht95. Auch die Herodes-Darstellungen im neutestamentlichen Zyklus zeigen den König mit einer Chlamys über der Rüstung96. Wir müssen feststellen, daß es sowohl Illustrationen gibt, die genau zwischen dem Gebrauch von Paludamentum und Chlamys differenzieren, und anderen, die aus nicht bekannten Gründen die Kleiderordnung der profanen Ikonographie freier interpretieren. Im Christusbild findet die Chlamys hingegen keine Verwendung. Als Insignie der irdischen Herrscher wird sie nicht auf das Bild des himmlischen Herrschers, des Kosmokrators, übertragen. Auch Darstellungen, die Christus als Sieger in militärischer Tracht zeigen, sind äußerst selten. Die singuläre Darstellung eines »Christus Victor« in der Erzbischöflichen Kapelle von Ravenna erfordert daher besondere Aufmerksamkeit (Taf. 5a)97. Dieses Christusbild beruht auf Ps. 90 (91)98, hat aber auch Vorlagen in der imperialen Kunst99. Das Motiv des kaiserlichen Triumphes war in Ravenna schon im 5. Jahrhundert christlich gedeutet worden: Ein Stuckrelief im Lichtgaden der Domkirche zeigt Christus im Kriegskostüm mit Stabkreuz als Sieger über Löwe und Schlange100. Im stark beschädigten Mosaik der Erzbischöflichen Kapelle wird das Bildthema wieder aufgegriffen. Über der goldenen Rüstung trägt Christus einen Purpurmantel – Paludamentum oder Chlamys – mit einem goldenen Tablion. Der Mantel, wie ihn Deichmanns Abb. 217 zeigt, ist in zweifacher Hinsicht ungewöhnlich: Weder das Tablion noch der goldene winkelförmige Dekor am vorderen Saum sind typische Merkmale eines Paludamentums. Die Chlamys wiederum wird nicht zum Panzerkostüm getragen und hat ebenfalls kein Gammadion. Eine ältere Aufnahme des Bildfeldes weist auf umfangreiche Verluste und Reparaturen in der unteren Bildhälfte hin101. F. W. Deichmann erwähnt eine weitere antike Reparatur oder Korrektur: Vor der Brust, von den Pendilien bis zur oberen linken Buchecke, verlaufe eine »Naht«. Unterhalb dieser »Naht« wechselt die Farbe des Mantels von Purpur zu Gold. Die optische Wirkung dieser Fläche ist die eines Tablions. Eine weitere Eigentümlichkeit ist der goldene winkelförmige Dekor am vorderen Saum. Offensichtlich wurde der Charakter des Mantels von den Restauratoren nicht mehr verstanden. Das zur Panzertracht getra»Jakobs Boten bei Esau«, Mosaik, 432–440 nC., Langhaus, Santa Maria Maggiore, Rom. 96 »Herodes erteilt den Befehl zum Kindermord«, Mosaik, 432–440 nC., Apsisstirnwand, Santa Maria Maggiore, Rom. 97 »Christus Victor«, Mosaik, 491–519 nC., Lünette über dem Eingang zum Oratorium der Erzbischöflichen Kapelle, Ravenna. F. W. Deichmann, Ravenna 1 (Wiesbaden 1969) 201/6 Abb. 266; 2,1 (Wiesbaden 1974) 57. 203; A. Grabar, L’empereur dans l’art byzantin (Paris 1936 bzw. London 1971) 237f. 98 Ps. 90 (91),13: Super aspidem et basiliscum ambulabis et conculcabis leonem et draconem. 95 Eusebius, vita Constantini 3,3 berichtet über ein nicht mehr erhaltenes Gemälde im kaiserlichen Palast zu Konstantinopel: Unter dem Zeichen des Kreuzes triumphiert Konstantin über den Gegner Licinius, der in der Gestalt eines Drachen dargestellt war. 100 F. W. Deichmann, Frühchristliche Bauten und Mosaiken von Ravenna (Baden-Baden 1958) Abb. 84; ders., Ravenna 2,1 (Wiesbaden 1974) 43/5. 57f. 101 Deichmann, Ravenna 1, 317; J. Wilpert / W. N. Schumacher, Die römischen Mosaiken der kirchlichen Bauten vom IV.–XIII. Jahrhundert (Freiburg 1976 [11916]) Taf. 92. 99 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 128 Walburga Gerszke gene Paludamentum wurde nachträglich mit einem Tablion ausgezeichnet, der Gewandzipfel unter der erhobenen Linken erhielt in mißverstandener Analogie zum Pallium ein gammaförmiges Ornament. Aufgrund dieser restauratorischen Eingriffe kann die Darstellung des »Christus Victor« nicht als original betrachtet werden und scheidet für die Form- und Funktionsbestimmung von Chlamys und Paludamentum aus. Es liegt nahe, daß sich die Künstler bei den Gerichtsszenen der biblischen Leidensgeschichte in der Bildstruktur und auch in der Wahl der Realien am Tribunaltypus der Diptychen orientierten. Im oberen Register von folio 8v des Codex Purpureus Rossanensis sitzt der Statthalter Pontius Pilatus erhöht im Tribunal, die Linke stützt sich auf eine Schriftrolle, die Rechte ist in einer fragenden Gebärde ausgestreckt (Taf. 5b)102. Ein Schreiber protokolliert die Verhandlung. Im unteren Register steht Christus im goldenen Pallium zwischen den römischen Beamten. Von rechts bringen zwei Schergen in kurzen Tuniken den Barabbas herbei. Der Statthalter und seine Beamten im oberen und unteren Bildregister tragen die Chlamys in den Farben Senfgelb, Rosa und Weiß. Die Personen zeigen sich in Vorder-, Rücken- und Seitenansicht, der Sitz der purpurfarbenen Tablia ist stets korrekt wiedergegeben. Volk und Priester der Juden umstehen anklagend und fordernd das Tribunal. Sie tragen die Paenula und das weiße Pallium103. Die an den Mosaikzyklen von Santa Maria Maggiore festgestellte Tendenz, biblische Herrscher im zivilen Dienstkleid der spätantiken Kaiser darzustellen, läßt sich über einen großen Zeitraum hinweg beobachten. Die auf Zypern gefundenen Silberplatten des 7. Jahrhunderts mit einem »David und Saul«-Zyklus setzen mit großer Genauigkeit eine Vielzahl von Mänteln zur Rang- und Funktionsbestimmung ihrer Träger ein. Die Darstellung »König Saul verheiratet seine Tochter Michal mit David« (1 Sam. 18,27) schließt ikonographisch an das pagane Bildschema der »dextrarum iunctio« an, die Kleidung der Personen ist jedoch spätantik (Taf. 5c)104. Vor einer Bogenstellung reichen sich David und Michal die Hände. Der König überragt das Paar und ist zusätzlich noch auf einem Suppedaneum leicht in den Vordergrund gerückt. Saul und David tragen die Chlamys über einer langen Tunika. Die Tablia, deren Muster kaum zu erkennen sind, sitzen in Taillenhöhe. Beide Mäntel sind mit Zwiebelknopffibeln gehalten. Der Juwelenschmuck auf den Schuhen des Königs folgt dem Vorbild des kaiserlichen Ornats. Michal trägt über der hochgegürteten Tunika einen wadenlangen, vor der Brust gefibelten Mantel, wohl eine Lacerna oder Mandye. Der König trägt eine Diadembinde, seine Tochter einen schmalen Haarreif. Auch wenn der Titulus des Prudentius dem Ornat Davids gilt, lassen sich die Worte gleichfalls der Darstellung König Sauls unterlegen: »Regia mirifici fulgent insignia David: sceptrum, oleum, cornu, diadema et purpura et ara; »Christus vor Pilatus: Christus oder Barabbas?« (Mt. 27,11/20; Mc. 15,6/15; Lc. 23,13/25), Cod. Purpureus Rossanensis, fol. 8v, 6. Jahrhundert nC., Rossano, Museo Diocesano; A. Haseloff, Codex Purpureus Rossanensis (Berlin 1898) Taf. XII; G. Cavallo, Codex Purpureus Rossanensis (Salerno/ Rom 1987) Abb. 18. 102 Vergleichbare Darstellungen: Mosaikfries, 500– 560 nC., Ravenna, Sant’Apollinare Nuovo, Mittelschiff, Südwand; Lipsanothek, Elfenbein, um 370 nC., Brescia, Museo Civico. 104 »Saul verheiratet seine Tochter Michal mit David«, byzantinische Silberplatte, um 630 nC., FO Lambousa/Zypern, AO Nikosia, The Cyprus Museum. 103 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Chlamys in der Spätantike 129 omnia conveniunt Christo: clamys atque corona, virga potestatis, cornu crucis, altar, olivum«105. Die Bedeutung und Lesbarkeit der »richtigen« Tracht wird selbst auf kleinformatigen Bildträgern wie dem frühbyzantinischen Hochzeitsmedaillon sorgfältig beachtet (Taf. 5d)106. Das Pallium Christi, die gegürtete Tunika oder Dalmatika der Braut und die Chlamys mit Tablion und Fibel des Bräutigams sind mit wenigen graphischen Mitteln eindeutig wiedergegeben. 4.2. Die Chlamys als Mantel der Engel und Heiligen Für die Darstellung der Engel und Heiligen gab es keine unmittelbaren Vorlagen in der römischen paganen Kunst. Tertullian propagiert das schlichte Pallium, »Zeichen« der heidnischen Philosophen und Gelehrten, als Tracht der »divina secta«, der »melior philosophia« des Christentums107. Aus diesem Verständnis heraus gelangt das Pallium in die christliche Ikonographie als Gewand der Engel und herausragender Gestalten der biblischen Erzählungen. Eine Ausnahmeerscheinung sind die Erzengel Michael und Gabriel. Als »himmlische Wächter« sind sie im kaiserlichen Dienstkleid an den Pfeilern der Apsisstirnwand von Sant’Apollinare in Classe in Ravenna abgebildet108. Über der weißen goldverzierten Tunika trägt Michael eine dunkelpurpurfarbene Chlamys, die, elegant um den linken Arm und über die Hüfte geschlungen, goldgrundige, mit einem aufwendigen Vogelmuster versehene Tablia freilegt (Taf. 6a). Die weiße, mit goldenem Dekor versehene Tunika ist mit einem roten, edelsteingeschmückten Gürtel gehalten. Auch im Zubehör – Pendilienfibel, Campagi, Purpurstrümpfe und weiße Diadembinde – ist die Kleidung dem kaiserlichen Ornat nachgebildet. In der erhobenen Rechten hält Michael eine Standarte mit dem dreifachen »Agios«. Vergegenwärtigt man die Position der Erzengel im Kirchenraum, haben sie an der Schwelle zum Presbyterium eine vermittelnde Funktion zwischen den versammelten Gläubigen und dem Raum des himmlischen Herrschers, der symbolisch im Bild und realiter im Sakrament anwesend ist. Die sogenannten Soldatenmärtyrer, Heilige, die als Soldaten oder Offiziere in der kaiserlichen Armee gedient und das Martyrium erlitten hatten, werden zunächst im Pallium dargestellt109 und tragen wohl erst seit justinianischer Zeit das Dienstkleid des byzantinischen Hofes110. Ein weiterer »Kleiderwechsel« findet in nachikonoklastischer Zeit statt. Nun tritt das militärische Panzerkostüm für diesen Trägerkreis in den Vordergrund. R. Pillinger, Die Tituli historiarum oder das sogenannte Dittochaeon des Prudentius (Wien 1980) 58. 106 Hochzeitsmedaillon, Goldblech, byzantinisch, 6./7. Jh. nC., AO München, Sammlung C. S., Inv. nr. 378; Byzanz. Das Licht aus dem Osten, Austellungskat. Paderborn (2001) Kat. nr. IV 12. 107 Tertullian de pallio 6,1f. 105 Erzengel Michael und Gabriel, Pfeilermosaik der Apsisstirnwand, um 550 nC., Sant’Apollinare in Classe, Ravenna; Deichmann, Ravenna 2,2, 262/4. 109 »Märtyrerprozession«, Mosaik, 500–560 nC., Ravenna, Sant’Apollinare Nuovo, Mittelschiff, Südwand. 110 A. Effenberger, Frühchristliche Kunst und Kultur (München 1986) 304; Ch. Walter, The warrior saints in Byzantine art and tradition (Aldershot 2003) 22/31. 108 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 130 Walburga Gerszke Im Apsismosaik von San Vitale in Ravenna wird der thronende Christus flankiert von Engeln, dem Kirchenpatron Vitalis und dem Stifter Eucherius111. Mit verhüllten Händen empfängt der Märtyrer aus der Hand des Engels die »corona martyrum« (Taf. 6b). Der Heilige trägt eine besonders prächtige Chlamys, deren geometrisches Rapportmuster wie der Mantel des Stilicho an kostbare Seiden erinnert. Dem mattrosa Stoff ist ein trapezförmiges purpurfarbenes Tablion appliziert oder eingewebt. Die Saumkante kontrastiert leuchtend blau mit einer breiten Goldborte. Fibel und Gürtel entsprechen dem gewohnten »Zubehör«. Die bunten Beinkleider und Stiefel lassen sich dem gewohnten Schema nicht zuordnen. F. W. Deichmann spricht von mehrfachen Restaurierungen und Ergänzungen, so daß die Authentizität der unteren Partien fraglich ist. In einer gleichermaßen kostbaren Chlamys erscheint der heilige Demetrios als Patron der Kinder auf einem Votivmosaik in Thessaloniki112. Das Rapportmuster der weißen Chlamys setzt sich im purpurfarbenen Tablion fort. Die beiden Knaben sind vor den Heiligen getreten und erheben die Hände unter ihrer Chlamys im Gestus der »manus velatae«. Versuche, das Tablion aus dem Ritus der »verhüllten Hände« abzuleiten, gewinnen in dieser Darstellung eine gewisse Plausibilität (Taf. 6c). 4.3. Die sogenannte Akklamationsszene der Holztür von S. Sabina113 Der rätselhafte Chlamysträger der sogenannten »Akklamationsszene« der Holztür von Santa Sabina in Rom soll die Reihe christlicher Chlamydati abschließen (Taf. 6d). Da weder die Anzahl der Bildfelder vollständig erhalten noch ihre originale Anordnung bekannt ist, kann der narrative Kontext nur unzureichend rekonstruiert werden. Die »Akklamationsszene« ist in der Art eines Diptychons in drei Register unterteilt und zeigt in aufsteigender Akklamationsachse drei Figuren in der Paenula, drei Togati und die zentrale Gestalt eines Orans in der Chlamys, dem ein Engel im Pallium zur Seite steht. Eindeutig gelten die Ehrbezeugungen der Figuren in den unteren Registern dem Chlamydatus. Die Szene hat unterschiedlichste Deutungen erfahren, als Illustration einer Szene des AT oder NT, als symbolische oder auch als historisch fundierte Darstellung. Durch die Analyse des Bildaufbaus und seiner einzelnen Elemente, Figuren, Architekturen, Kleidung und Gebärden, kommt G. Jeremias zu dem Ergebnis, es handele sich um eine Szene mit historischem Hintergrund: In dem Oranten, wiewohl dieser in die für einen geistlichen Würdenträger ungewöhnliche Chlamys gekleidet sei, erkennt sie eine Stifterfigur. Belegt ist die Kirchenstiftung durch den Presbyter Paulus Illyricus. Anläßlich einer nicht nachgewiesenen Erhebung des Paulus zum Bischof stelle das Paneel die Huldigung der Gemeinde und die göttliche Zustimmung in Gestalt des Engels dar. Die Chlamys des Geistlichen, bisher bildlich nicht nachgewiesen, erklärt die Autorin mit der Entstehungszeit des Baus und der Türen um 430 nC., als die geistDeichmann, Ravenna 2,2, 141f. 179. Der heilige Demetrios mit Kindern, Pfeilermosaik, Anfang 7. Jahrhundert nC., Hagios Demetrios, Thessaloniki: W. F. Volbach / M. Hirmer, Frühchristliche Kunst (München 1958) Abb. 216. 111 112 R. Delbrueck, Notes on the wooden doors of Santa Sabina: ArtBull 34 (1952) 139/45; G. Jeremias, Die Holztür der Basilika Santa Sabina in Rom (Tübingen 1980) 88/96 Taf. 72. 74. 113 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Chlamys in der Spätantike 131 lichen Gewänder noch nicht definiert gewesen seien. Auch wenn man diesem Ergebnis nicht uneingeschränkt zustimmt, überzeugt doch die sorgfältige Beobachtung aller Bildelemente, einschließlich der Gewänder, um zu dieser neuen Deutung der Szene zu kommen. 5. Trageweise, Dekor und Kleidungszubehör Die variantenreiche Drapierung der Toga zeugt von der außerordentlichen Sorgfalt, mit der die Römer ein Gewand inszenierten. Die Trageweise der Chlamys ist vergleichsweise einfach und wird exemplarisch von den Personen des Halberstädter Diptychons und des Probianus-Diptychons frontal und in der Seitenansicht vorgeführt (Taf. 2c. d). Der halbrunde oder halbovale Stoff, einfach oder doppelt gelegt, wird wie bei der griechischen Chlamys an der geraden Kante gefaltet, über die linke Schulter gelegt und auf der Rechten gefibelt. Von der Schulter fällt jeweils die Hälfte der geraden Kante vor dem Oberkörper und dem Rücken straff zu Boden. Der knöcheloder bodenlange Mantel muß mit der linken Hand leicht angehoben werden. Bei der stehenden Figur, die in der Regel die Hand im Redegestus erhebt oder eine Schriftrolle hält, ist der Körper fast zur Gänze verhüllt, das Tablion wird jedoch wirkungsvoll zur Geltung gebracht114. Agiert der Träger mit beiden Händen, wird die Chlamys angehoben und der Saum schwingt in einer weichen Kurve zum linken Unterarm. In sitzender Position gibt es gleichfalls zwei Varianten: die den Oberkörper verhüllende Trageweise, die von den thronenden Herrschern des Theodosiusobelisken vorgeführt wird, und der über dem linken Arm zurückgeschlagene, über dem Schoß wieder zurückgeführte Mantel des Probianus und der Mitregenten des Theodosiusmissoriums (Taf. 3e). Die gleichförmige Reihung der Chlamydati im repräsentativen Gruppenbild entspricht dem Stil der Zeit, demonstriert aber auch den Willen nach homogener Außenwirkung der kaiserlichen Würdenträger. Die »differentia« zwischen dem Kaiser und seinen Beamten und den Beamten untereinander wird über die Farbe der Stoffe, über Farbe und Machart der Dekorfelder und über das Zubehör sichtbar gemacht. Tablion, Gürtel und Fibel müssen daher in gebührender Weise in die Untersuchung der Tracht miteinbezogen werden, auch wenn es uns nicht mehr möglich ist, ihren Aussagewert genau zu definieren115. Da Chlamys und Paludamentum in Form und Trageweise identisch sind, wurde zunächst das Tablion zum distinktiven Merkmal der Chlamys bestimmt. Die Untersuchung von Trägerkreis und Darstellungskontext konnte auch unterschiedliche Funktionen der Mäntel feststellen. Das Paludamentum gehört als Feldherrenmantel und, purpurfarben, als kaiserliche Insignie in einen militärischen Darstellungskontext und wird über der Rüstung getragen. Die Chlamys etabliert sich hingegen als Dienstkleid ranghoher Beamter der zivilen Reichsverwaltung und, gleichermaßen purpurfarben, als Bestandteil des zivilen Kaiserornats. Vgl. die Ausführungen zur Trageweise von M. Schoefer u. S. 137f. 114 R. MacMullen, Soldier and civilian in the later Roman Empire (Cambridge, Mass. 1963) 171. 115 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 132 Walburga Gerszke Form, Sitz und Musterung der Tablia ändern sich im Laufe der Jahrhunderte. Die quadratischen oder hochrechteckigen Felder sitzen auf den Innen- und Außenseiten an den vertikalen Kanten der Chlamys. Gegen Ende des 4. Jahrhunderts liegen die großflächigen Felder knapp über dem unteren Mantelsaum, im Laufe des 5. Jahrhunderts rücken sie auf Taillenhöhe und noch später, kleiner werdend, auf Brusthöhe. Delbruecks Beobachtungen zur Purpurfarbe der Tablia, die mit unterschiedlichen Mantelfarben kontrastiere, wird durch die archäologischen Quellen im Wesentlichen bestätigt116. Die Dekorfelder der kaiserlichen Purpurchlamys hingegen waren goldgrundig und mit ornamentalen oder figürlichen Mustern versehen. Das Tablion der Kaiserin war durch eine Porträtbüste ausgezeichnet. Eine Vielzahl gemusterter Tablia ist vor allem in den Werken der Toreutik und Elfenbeinkunst überliefert: Neben einfachen Swastika-Motiven finden wir komplexe Ornamente, Rapportmuster, geometrische und florale Motive. Auf den kostbaren Chlamyden des Stilicho (Taf. 3a) und des verstorbenen Theotecnus (s. o. Anm. 62) fehlt das Tablion. Möglicherweise sollten die aufwendigen Rapportmuster ohne zusätzlichen Dekor ihre Wirkung entfalten. Bei der Chlamys der Soldatenmärtyrer hingegen findet sich das Tablion auch auf den gemusterten Seidenstoffen. Gewiß sind die Dekorfelder auf den ersten Blick eine Zierde der Chlamys. Die Untersuchung der tetrarchischen Denkmäler in Luxor und Piazza Armerina weist jedoch in eine andere Richtung. Im Laufe des 4. Jahrhunderts nC. verändern die Dekorfelder, zunächst den Segmenta und Orbiculi der Tuniken nachgebildet, ihre Form und setzen sich als rechteckige Felder an der vorderen und hinteren Mantelkante fest. Diese Vorformen des Tablions konnten mit sozial höhergestellten Personen in Verbindung gebracht werden. Ob sich die Tablia im Verlauf des 4. Jahrhunderts zu präzisen Rangabzeichen weiterentwickeln, ob auch die unterschiedliche Farbe der Mäntel unterschiedliche Dienstbereiche bezeichnet, läßt sich nach dem jetzigen Kenntnisstand nicht entscheiden. J. Wilpert sieht eine Verbindung zwischen den »pallia discoloria«, den farbigen, die Brust bedeckenden Tüchern oder Streifen der Kleidungsgesetze von 382 nC. und dem Tablion117. Er lässt dabei außer Acht, dass der betreffende Text von der Paenula der »officiales« handelt und nicht von der Chlamys der ranghöheren »dignitates«. Ob auch die Paenula der untergeordneten Beamten durch farblich abgesetzte Felder oder Streifen ausgezeichnet wurde, ist meines Wissens noch nicht untersucht118. Ein anderer Erklärungsversuch verbindet das Tablion mit der »adoratio purpurae«119. Diese Meinung konkretisiert sich in der Darstellung des Missoriums (Taf. 3e). 116 Delbrueck, Consulardiptychen (o. Anm. 3) 38/ 9. Cod. Theod. 14,10,1,1: Officiales quoque, per quos statuta complentur ac necessaria peraguntur, uti quidem paenulis iubemus, verum interiorem vestem ad modum cingulis observare, ita tamen, ut discoloribus quoque palliis pectora contegentes condicionis suae necessitatem ex huiuscemodi agnitione testentur; J. Wilpert, Die römischen Mosaiken und Malereien der kirchlichen Bauten des IV. bis XII. Jahrhunderts 1 (Freiburg 1916) 88; die gleiche Meinung vertritt J.-P. Callu, L’habit et 117 l’ordre social. Le témoignage de l’Histoire Auguste: AntTard 12 (2004) 193f. 118 Zum Rangunterschied der »dignitates« und »officiales« s. K. L. Noethlichs, Beamtentum und Dienstvergehen (Wiesbaden 1981) 23; A. Chastagnol, Classes et ordres dans le Bas-Empire: C. E. Labrousse, Ordres et classes (Paris 1973) 49/57. 119 Kolb, Herrscherideologie (o. Anm. 74) 118/20. Hier auch der Hinweis, daß die »adoratio« ausdrücklich mit dem Küssen des Purpurs verbunden ist. Über den Ritus s. Cod. Theod. 6,2,4. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Die Chlamys in der Spätantike 133 Der Beamte ist im Begriff, sich kniefällig dem Kaiser zu nähern oder ihm für die Ernennung zu danken. Das Tablion als »Ort« der Verehrung ist bildwirksam in das Zentrum der Darstellung gerückt. Diese Deutung erklärt jedoch nur die Funktion des kaiserlichen Tablions und kann daher schwerlich überzeugen. J. Wilpert und R. Delbrueck haben versucht, den Sinn des Tablions aus dem Ritus der »verhüllten Hände« herzuleiten120. Ursprünglich habe der Untertan die Gabe des Kaisers auf einem purpurnen, die Hände verhüllenden Tuch entgegengenommen und in gleicher Weise dem Kaiser seine Gabe gereicht. Das Tablion sei ein solches Tuch, dauerhaft auf der Chlamys angebracht. Diese Meinung wird gestützt durch die Farbigkeit der Tablia, die in der Regel purpurfarben sind. Auch zahlreiche Bildzeugnisse vor allem der christlichen Kunst bestätigen den Gebrauch der Chlamys im Ritus der »manus velatae«. Der Sitz der Tablia an der vertikalen Kante macht es jedoch unwahrscheinlich, daß die Gabe genau auf dem Dekorfeld lag. Das Cingulum stammt ursprünglich aus dem militärischen Bereich und wird mit dem Aufbau der spätantiken Verwaltungsstruktur auch für die zivilen Ämter Auszeichnung oder verpflichtendes Abzeichen. Die Gürtel sind von unterschiedlicher Breite und Farbigkeit, die Schließen von unterschiedlicher Größe und Fertigung. Der Kaiser und Vertreter der Eliten tragen Gürtel mit Juwelenschmuck und edelsteingeschmückten Anhängern. Die »Dienerprozession« der Grabkammer von Silistra belegt eindrucksvoll den Stellenwert des Gürtels in der Selbstdarstellung des Grabinhabers: Die »insignia dignitatis«, darunter auch der Gürtel, werden dem verstorbenen Patronus und vor allem auch dem Betrachter einzeln vor Augen geführt. Eine Verordnung des Jahres 440 nC., »Ut dignitatum ordo servetur«, erwähnt den Gürtel als »privilegium« der höheren Dienstgrade und bestätigt die Aussagen der Bildzeugnisse121. Die Zwiebelknopffibel gehört als fester Bestandteil zur spätantiken Chlamys und unterscheidet diese vom Paludamentum, das stets von einer Rundfibel gehalten wird. Zwiebelknopffibeln werden seit der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts verwendet, der technisch elaborierte Schraubverschluß jedoch erst 200 Jahre später122. Wie der Gürtel wird auch die Zwiebelknopffibel in der Spätantike aus dem militärischen Bereich in die Amtstracht der Beamten übernommen und ist in der Folge wohl ausschließlich auf diesen Trägerkreis beschränkt. Der Wert einzelner Fibeln oder Fibelgruppen beruht auf dem Unterschied in Material und Größe, in der technischen Ausführung und ornamentalen Gestaltung. Inschriften auf dem Bügel deuten darauf hin, daß Fibeln auch Ehrengaben oder Auszeichnungen waren. Zu einer besonders aufwendig gearbeiteten Gruppe mit auffälliger Randverzierung am Fuß gehören die Fibeln des Stilichodiptychons (Taf. 3a), der Chlamydati der NW-Seite des Theodosiusobelisken (Taf. 4a) und des Theotecnus im Arcosolium der Katakombe San Gennaro in Neapel123. Aufgrund der exklusiven Tracht sind die dargestellten Personen den höchsten Würdenträgern zuzurechnen. Delbrueck, Consulardiptychen 38; Wilkpert, Mosaiken 1, 87; der gleichen Ansicht ist Treitinger (o. Anm. 74) 63/5. 121 Cod. Theod. 12,8,2 pr. 122 B. Theume-Grosskopf, Zwiebelknopffibeln und ihre Träger. Schmuck- und Rangabzeichen: Die 120 Schraube zwischen Macht und Pracht, Ausstellungskat. Künzelsau-Gaisbach (Sigmaringen 1995) 77/ 107; Kiilerich/Torp (o. Anm. 60) 330/6. 123 Arcosolium der Familie des Theotecnus, Wandmalerei, um 500 nC., Neapel, Katakombe San Gennaro; Fasola (o. Anm. 62) Taf. 5 Abb. 68. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 134 Walburga Gerszke 6. Schlußfolgerungen Die Untersuchung war ausgegangen von der unscharfen Bedeutung des Quellenbegriffs »Chlamys« und von der Schwierigkeit, die als Chlamys oder Paludamentum bezeichneten Mäntel der Form und dem Gebrauch nach voneinander zu unterscheiden. Beide Begriffe bezeichnen zunächst einen waden- bis knöchellangen, auf der rechten Schulter gefibelten Manteltyp. Differenzierungen sind erst ab ca. 300 nC. möglich. Auf den Wandmalereien und Mosaiken der tetrarchischen Zeit taucht zum ersten Mal im Bestand ein Jagd- und Soldatenmantel auf, der mit auffälligen Dekorfeldern besetzt ist und von einem höherrangigen Personenkreis getragen wird. Im Verlauf des 4. Jahrhunderts nC. nimmt der Manteltyp eine Form und Bedeutung an, die wir vor allem in den archäologischen Denkmälern erfassen können. Auf den bildlichen Darstellungen ist der halbrunde oder halbovale Schnitt plausibel nachzuvollziehen. Dekor und Zubehör sind nicht beliebig: Die Tablia auf der Stoffinnenund Außenseite, das Cingulum und die Zwiebelknopffibel charakterisieren diese Form der Chlamys. Nur gelegentlich, bei besonders auffällig gemusterten Seidenstoffen, fehlen die Tablia. Inschriften, Darstellungskontext und beigefügte Attribute erlauben Rückschlüsse auf den Trägerkreis: Es handelt sich um hohe Würdenträger der zivilen kaiserlichen Verwaltung, Amtsinhaber am Hof oder in der Reichsverwaltung, und um das Kaiserpaar selbst. Auf Veranlassung des Kaisers erhalten die Beamten das Dienstkleid vom Comes sacrarum largitionum im Zuge der Amtsinvestitur124. Die Selbstdarstellung in der Chlamys erfolgt aus Anlaß einer solchen Ernennung oder Ehrung, zum Gedächtnis eines Verstorbenen oder im symbolischen Bild. Stets betont die Tracht das Amt und den Rang. Neben dem zivilen Bedeutungshorizont der Chlamys bleibt die Bezeichnung jedoch weiterhin für den Soldatenmantel in Gebrauch125. Über der Rüstung getragen und mit militärischen Attributen kombiniert unterscheidet sich das Paludamentum als militärische Tracht von der zivilen Chlamys. Weitere Kriterien der Unterscheidung sind die fehlenden Tablia und die Befestigung des Mantels mit einer Scheibenfibel. Auf den Denkmälern ist das Paludamentum meist zurückgeschlagen oder über den Unterarm gewickelt, um den Panzer in den Blick zu rücken. Beim Reiter flattert es in heftiger Bewegung. Oft liegt auch nur ein Stoffbausch mit Fibel auf der Schulter. Diese Darstellungskonventionen erlauben keine genauen Rückschlüsse auf die Form, rechteckig oder halbrund. Der Paludatus, der in der Spätantike zumeist mit dem Kaiser identisch ist, erscheint in seiner Eigenschaft als siegreicher Feldherr, als »semper victor«, während die Chlamys den Kaiser als obersten Dienstherrn der zivilen Verwaltung charakterisiert. Paludamentum und Chlamys werden als wichtigste Bestandteile des Ornats unter den Begriff »purpura« subsumiert. Die Chlamys, deren Bedeutung in der Kaiserzeit noch nicht festgelegt war, hat die Toga als Amtstracht der alten Magistrate abgelöst. Der Gebrauch der Chlamys als Dienstkleid eines neuen, auf kaiserlicher Gunst aufbauenden »Dienstadels« erklärt sich aus den Strukturveränderungen des spätantiken Verwaltungsapparates: Die einzelnen Verwaltungsbereiche werden nach militärischen Organisationsmustern neu geordnet. Die Militarisierung und Hierarchisierung auch der zivilen Behörden verlangt 124 Cod. Theod. 6,26,18 (426 nC.). 125 Cod. Theod. 7,6,4 (396 nC.). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 135 La chlamyde du Musée des tissus de Lyon eine »uniforme différenciée«, ein grundsätzlich konformes Dienstkleid der Amtsträger, das Rangunterschiede durch Dekor und Zubehör ausdrückt126. Die frühchristliche Ikonographie zeigt auch in den Gewändern eine weitgehende Übereinstimmung mit den profanen und paganen Bildmustern der Kaiserzeit und Spätantike. Der Grund für gelegentliche Abweichungen oder Ungenauigkeiten liegt meines Erachtens in unterschiedlichen Darstellungsabsichten: In der repräsentativen Selbstdarstellung von Individuen und Gruppen ist die genaue Wiedergabe der Kleidung von größter Bedeutung. Biblische Personen hingegen müssen vom Betrachter ihrem Stand nach als Herrscher, Feldherren, Priester u. ä. erkannt werden, historische Detailgenauigkeit in der Wiedergabe von Gewand und Zubehör ist dabei nicht unbedingt erforderlich. Bonn Walburga Gerszke LA CHLAMYDE DU MUSÉE DES TISSUS DE LYON127 Une grande quantité de textiles furent trouvés par l’archéologue Albert Gayet à Antinoë, en 1897. La Chambre de Commerce et d’Industrie de Lyon, propriétaire du Musée, finança les fouilles d’Albert Gayet, quelques années et ainsi, permit d’acquérir les pièces trouvées ces années là. Celles-ci sont presque complètes contrairement à la plupart des éléments provenant d’autres collections de tissus coptes. L’objet dont il est question ici – aujourd’hui avec le numéro d’inventaire MT 47331 (Pl. 7) –, n’attira pas l’attention en 1897 et fut déposé, intact dans l’ancienne réserve du musée, jusqu’à son étude et sa restauration. Le textile se trouvait dans un état de conservation typique des objets provenant de fouilles archéologiques : extrêmement fripé, à l’état de boule, il présentait les traces évidentes que laisse un corps enseveli. En conséquence, une forte odeur s’en dégageait. Une masse de toile de laine beige fine, laissant entrevoir des restes d’ourlets arrondis, finement cousus. Quelques fragments carrés de la même laine, teinte en vert, J.-P. Callu, L’habit et l’ordre social. Le témoignage de l’Histoire Auguste: AntTard 12 (2004) 193f. 127 Bibliographie: A. Gayet, Catalogue des objets recueillis à Antinoë pendant les fouilles de 1898 et exposées au musée Guimet en 1898 (musée Guimet, Paris 1898). – H. Granger-Taylor, Weaving Clothes to Shape in the Ancient World. The Tunic and Toga of the Arringatore: Textile History 13 (1982) 3/25. – F. Calament / M.-H. Rutschowscaya / M. Schoefer, La collection de tissus coptes d’Antinoé: problèmes de dispersion et exemple d’intervention, journées d’études de la SFIC, La conservation des textiles anciens, Angers, 20–22 oct. 1994, 126 207. – Restauration du patrimoine au musée historique des Tissus = Les Dossiers du musée des Tissus 6 (éd. Chambre de Commerce et d’Industrie de Lyon, 1993) 38/9. –- M. Martiniani-Reber, Lyon, musée historique des tissus. Soieries sassanides, coptes, byzantines, VI–-XI siècles (Paris 1986) 8/11. – Byzance. L’art byzantin dans les collections publiques françaises, Exposition Paris, Musée du Louvre (Paris 1992) 43 fig. 1; 143 no. 97; 232 no. 148; 344 fig. 3; 360 no. 271; 476 no. 366. -– Égypte. La trame de l’histoire. Textiles pharaoniques, coptes et islamiques, Exposition Rouen/Roanne/Paris (Paris 2002) 15/21. 77/81. 106s. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 136 Marie Schoefer étaient incrustés dans deux endroits. Quelques restes de plis cousus apparaissaient également. Ces plis se poursuivent par une bande beige, appliquée sur les parties vertes. Ces éléments étaient autant d’indices difficiles à interpréter et à étudier pour mieux comprendre la nature de l’objet retrouvé. Le désordre des fragments de tissu était tel qu’aucune forme n’était identifiable. En 1992, après avoir observé les matériaux et leur état de conservation, nous avons déplié les quatre grands fragments qui composaient l’objet. Puis chacun d’eux a été placé sur un support provisoire et lavé en bain. Les fragments ont été remis à plat, puis le puzzle a été reconstitué. Un élément apparut, qui s’est révélé, par la suite, très important. Il s’agit de l’encolure partielle du vêtement. Jusqu’à ce stade, nous ne pouvions pas être sûrs de nous trouver en présence d’un vêtement. Celui-ci est de forme ronde, d’environ de 3 m de diamètre. Il est tissé en une seule pièce, sans aucune lisière. Le pli central ne cache aucune coupure ni lisière du tissu. Les seuls décors, sont les rectangles verts, incrustés au centre de ce cercle. Du point de vue technique, ils ont une particularité qui ne fut jamais rencontrée sur d’autres objets de ce type, jusqu’à ce jour. En effet, ces parties vertes ont été découpées dans l’étoffe écrue du manteau. Elles ont été teintes en vert puis recousues sur le manteau, par incrustation. Seule une petite bande écrue, centrale, de 20 cm est appliquée sur l’étoffe verte, indiquant la prolongation du pli central. « L’encolure » porte des traces d’usure et des reprises d’accrocs provenant de l’utilisation du vêtement. Elle est située dans le prolongement du pli. Elle a été réparée plusieurs fois, ce qui lui donne un aspect bourrelé. L’étoffe a été reprisée alors qu’elle était en double épaisseur. Au moment de la remise en forme, nous avons constaté que cette partie reprisée, devait rester pliée en double, et c’est après avoir compris et identifié ce textile que nous avons compris le pourquoi de ces deux épaisseurs. Remise en forme, puzzle et consolidation Ces éléments ne nous sont apparus qu’après le lavage et la remise en forme des fragments (Pl. 8a/c). Les micro-organismes et l’odeur désagréable ont été éliminés par le lavage. Il fut alors possible de procéder à la consolidation du manteau. Une étoffe de coton est teinte dans le jaune beige du manteau. Elle est placée sous les fragments afin de les maintenir d’une part, et de combler visuellement les lacunes d’autre part. Des points de restauration maintiennent les parties fragiles. Un support de présentation est prévu pour exposer provisoirement le manteau sans créer de plis néfastes à sa bonne conservation. Eléments de comparaison et identification Des éléments de comparaison ont été cherchés pour expliquer nos observations et suppositions. Nous avons tout d’abord pensé que le manteau se portait à la manière d’une chasuble ou paenula, la tête passant par l’encolure, comme sur les exemples représentés sur plusieurs documents iconographiques tels que le personnage de gauche C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm La chlamyde du Musée des tissus de Lyon 137 figurant sur la mosaïque de la nef de Sainte-Marie Majeure à Rome: le passage de la mer rouge128 ou encore les manteaux portés par les deux disciples du Christ représentés dans le Codex Sinopensis : Le Christ et les deux aveugles de Jéricho, conservé à la Bibliothèque Nationale à Paris129. Pourtant, jamais ces exemples ne montrent de décors carrés ou rectangulaires, sur la poitrine et le dos comme cela est le cas de notre élément. C’est finalement grâce à la remarque de Hero Granger-Taylor et à l’aide de Marie-Hélène Rutchowscaya que nous avons compris certaines observations. En effet, si l’on plie ce grand cercle, en deux, le long du pli central marqué par la couture, on obtient une cape en demicercle. Il est alors possible de la draper sur une épaule. Les deux pans droits seraient alors attachés par une fibule, sur l’autre épaule (voir croquis). Ensuite les deux rectangles se laissent comprendre plus facilement : il s’agit des tablia. Sur la représentation de l’épisode de la femme de Putiphar, tiré de la Genèse, de Vienne, conservé à la Bibliothèque Nationale de cette même ville, on y voit Joseph, de face puis de dos, portant une chlamyde avec un décor uni et carré sur le dos et sur la poitrine. Si la cape est tout A. Grabar, L’âge d’or de Justinien, de la mort de Théodose à l’Islam (éd. L’Univers des Formes, Paris 1966) 147 fig. 158. 128 129 Ibid. 203 fig. 226. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 138 Marie Schoefer d’abord pliée en deux, cela signifie qu’elle n’a pas d’envers. Nous sommes en présence d’un vêtement réversible dont l’endroit est aussi parfait que l’intérieur. Lorsque la personne marchait, son manteau pouvait s’ouvrir et montrer son intérieur, tout aussi beau que l’endroit. Dans l’Antiquité, posséder un vêtement, tissé en une seule pièce, est un luxe. La référence dans ce domaine, ce trouve être la tunique du Christ, après sa crucifixion, lorsqu’elle est tirée au sort pour ne pas être découpée. Elle était dite, tissée en une seule pièce. Cette utilisation du manteau est confirmée par deux éléments : d’une part, le fragment de « l’encolure » réparé qui présente deux épaisseurs d’étoffe (Pl. 8b) et d’autre part, si l’on plie le cercle en deux, suivant le pli déjà indiqué, on constate que les manques et dégradations correspondent à peu près d’un demi-cercle à l’autre. Ce phénomène logique semble confirmer que le manteau a été porté comme une chlamyde du vivant du personnage, mais aussi au moment de l’ensevelissement. Les épaisseurs et réparations seraient ainsi, l’emplacement usé, par l’usage répété d’une fibule. Des réparations y on été pratiquées, sans déplier le manteau. Conclusion La restauration de cet objet d’abord méconnaissable à permis de découvrir une chlamyde circulaire et réversible : sans envers, dont aucun exemplaire n’a encore été retrouvé à ce jour. Elle annonce aussi la forme liturgique des chasubles coniques, du bas Moyen-âge. La présence des tablia, simples décors verts carrés, la fait classer dans la catégorie des chlamydes. Il existait également des manteaux presque semi-circulaires et sans décor, mais alors, une couture le ferme devant. La découverte de la chlamyde réversible de Lyon, fait avancer les connaissances de l’histoire du costume antique, à l’aide d’éléments réels. L’archéologie permet une meilleure compréhension des représentations diverses et des écrits laissés dans les archives ou les bâtiments. La consolidation de cette pièce, grâce à de nombreux points de restauration, permet son exposition. Toutefois, la chlamyde ne peut plus être montrée en volume, drapée, pour des raisons de bonne conservation. Annexe : Analyse technique Drap ou étamine – en toile de laine beige et verte, aujourd’hui mesure 2.86 m × 2.42 m, consiste de quatre grands fragments. Le sens de chaîne est probablement parallèle à celui du plis, comprenant 32 fils au cm. Le fil est fortement tordu en Z. Dans le sens de la trame, il y a 27 coups au cm, le fil est faiblement tordu en Z. On observe 2 fils chaîne pour 2 coups de trame. Ces données ont été contrôlées par Odile Valansot, secrétaire générale technique du Centre international d’étude des textiles anciens (CIETA). Le manteau est découpé en rond dans un tissu d’un seul tenant, sans lisère. Une incrustation de deux rectangles de même étamine de laine teinte en vert, est réalisée C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/104-139.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm La chlamyde du Musée des tissus de Lyon 139 pour former les décors ou tablia. Ces deux rectangles sont ensuite partagés visuellement par le centre grâce à l’application d’une bande d’étamine de laine beige e, ourlée sur les deux côtés. Un pli centré est cousu à l’emplacement approximatif du diamètre. Ce pli ne prolonge pas la ligne d’application des bandes partageant les rectangles verts. L’ourlet de 4,5 cm de large est très finement exécuté de même que toutes les autres coutures, à l’exception des réparations. Lyon Abbildungsnachweis: Taf. 1a: Erika Simon, Die Götter der Griechen (Darmstadt 1985) Abb. 94; b: prometheus-bildarchiv, auch: R. R. R. Smith, The monument of C. Julius Zoilos (Mainz 1993) Pl. 13; c: G. Gentili, La Villa Erculia di Piazza Armerina (Rom 1959) Taf. XXXIII; d: F. Coarelli, The Column of Trajan (Rom 2000) Pl. 125; e: Frank Albert, Institut f. Christl. Archäologie, Bonn. – Taf. 2a: D. Dimitrov, Le système décoratif et la date des peintures murales du tombeau antique de Silistra: CahArch 12 (1962) Fig. 1; b: Ebd. Fig. 6; c: prometheus-bildarchiv; d: prometheus-bildarchiv. – Taf. 3a: prometheus-bildarchiv; b: R. Delbrueck, Die Consulardiptychen (Berlin 1929) Taf. 63; c: prometheus-bildarchiv; d: J. Wilpert, Die altchristlichen Inschriften Aquileias: Ephemeris Salonitana (Zadar 1894) nr. 11; e: R. Delbrueck, Spätantike Kaiserporträts (Berlin 1933) Taf. 95. – Taf. 4a: Foto der Verf.; b: prometheus-bildarchiv; c: R. Delbrueck, Die Consulardip- Marie Schoefer responsable de l’atelier de restauration du musée tychen (Berlin 1929) nr. 69; d: prometheus-bildarchiv; e: J. Wilpert / W. N. Schumacher, Die römischen Mosaiken der kirchlichen Bauten vom IV.– XIII. Jahrhundert (Freiburg 1976) Taf. 66/8. – Taf. 5a: J. Wilpert / W. N. Schumacher, Die römischen Mosaiken der kirchlichen Bauten vom IV.–XIII. Jahrhundert (Freiburg 1976) Taf. 92; b: www.calabria.org.uk/calabria/arte-cultura/CodexPurpureusRossanensis/codex14.htm; c: The Age of Spirituality. Hrsg. K. Weitzmann, Ausstellungskat. New York (1977) Abb. 432; d: Byzanz. Das Licht aus dem Osten. Hrsg. Ch. Stiegemann, Ausstellungskat. Paderborn (2001) Kat. nr. IV 12. – Taf. 6a: prometheus-bildarchiv; b: L. v. Matt, Ravenna (Köln 1971) Abb. 81; c: É. Coche de la Ferté, Byzantinische Kunst (Freiburg 1982) Abb. 41; d: W. F. Volbach / M. Hirmer, Frühchristliche Kunst (München 1958) Abb. 105. – Taf. 7. 8a/c: Musée des Tissus de Lyon. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/140-152.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm FROM A CABIN IN THE SKY TO THE ETERNAL CITY If we think of an Early Christian Roman composition, one that represents artistic production in the city during its transformation into a Christian religious and political center, the first image that comes to mind is the scene of Dominus legem dat (hereafter Dld), more usually known as Traditio legis. It is commonly held that a scene of Christ between Peter and Paul, giving or presenting the Law to Peter, decorated the apse of the Old St. Peter church1. For many generations the scene continued to be relevant to the church and citizens of Rome, as medieval apse decorations show. An invention of considerable repute, associated with Constantinian history and the Papal see, it generated successors, first in Rome and later in other places. Reflecting an allegory rather than a specific textual source, the representations were not simple copies of the original, but consciously composed contemporary versions2. In what follows I will concentrate on two variations of a double architectural motif in the background of the central event, which I believe may throw light on the formulation process of Dld and the Christianization of Rome as far as reflected in the visual arts. * The niche mosaic in the Mausoleum of S. Costanza is the point of departure for every discussion on the scene of Dld [Taf. 9a]. It has recently been redated3. What was earlier thought to be a mid fourth century work is now considered somewhat later, c. 370, but still the earliest surviving depiction of Dld decorating a building. Christ appears at the center, between clouds, his right hand raised while with his left hand he offers an open scroll to Peter, who is placed next to him. On the other side Paul gazes at Christ in adoration. Christ is standing on a sketchy hill from which the rivers of paradise flow. There are four lambs between the figures, two on each side of the hill. The central group is flanked by two huts sprouting palm trees. The huts are simple, with what seems like cone-shaped roofs. Palm trees, chimney-like, grow out of the roofs. Not all the details of the mosaic are original. Only three out of eleven niches in the perimeter wall of S. Costanza’s ambulatory still possess fragments of the early Christian This paper is part of a project funded by the Israel Science Foundation. 1 There is a vast literature on the reconstructions of the apse of Old St. Peter. See for instance W. N. Schumacher, Eine römische Apsiskomposition: RömQS 54 (1959) 137/202; T. Buddensieg, Le coffret en ivoire de Pola, Saint-Pierre et le Latran: CahArch 10 (1959) 157/200; Ch. Ihm, Die Programme der christlichen Apsismalerei vom vierten Jahrhundert bis zur Mitte des achten Jahrhunderts (Wiesbaden: Steiner, 1960, Rep. Stuttgart 1992) 33/9, esp. 34; F. Bisconti, Pietro e Paolo: L’invenzione delle immagini, la rievocazione delle storie, la genesi delle Teofanie: A. Donati (ed.), Pietro e Paolo: La storia, il culto, la memoria nei primi secoli (Milan: Electa, 2000) 43/53, esp. 51. 2 J. Engemann, Deutung und Bedeutung frühchristlicher Bildwerke (Darmstadt: Primus, 1997) 73/8. 3 As the earliest preserved monumental representation of the scene, it has been the subject of generations of scholarly work. For dating, iconography, discussion on the title (Dld/Traditio legis), historiography, and extensive bibliography, see A. Arbeiter, Die Mosaiken: Jürgen J. Rasch / Achim Arbeiter, Das Mausoleum der Constantina in Rom = Spätantike Zentralbauten in Rom und Latium 4 (Mainz: Philipp von Zabern, 2007) 124/47. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/140-152.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm From a Cabin in the Sky to the Eternal City 141 mosaics, which were crudely renovated more than once4. Thanks to the work of David Stanley, we are now on safer ground regarding the original details5. According to Stanley, the original parts of the Dld picture include most of the left side of the composition [Taf. 9b]: Paul, except for his feet, two lambs and the upper part of a hut including the palm tree. The clouds between Paul and Christ are also original. Christ is almost completely renovated, only the original feet and the palm of the right hand are discernable. Peter’s state is only a little better, showing fragments of the borders of his pallium next to a few clouds. The two lambs on his side are original, as is a fragment of the tree6. The figures and motifs composing the Dld picture in S. Costanza have been compared with other representations of the scene and I shall not go into the question here, except to say that the trio, Christ – Peter – Paul, are immutably at the center of the composition and that there are variations in the position of the lambs, Christ’s gestures and the type of architectural element. I shall concentrate on the motif which remained in its first form in S. Costanza, just enough to allow for analysis, the hut-like structure with the tree in the corners of the apse. As far as I know, this is the only case where the scene of Dld contains huts7. Other representations show simple-looking city gates, as on the city gate sarcophagus in Milan and the lid of the ivory casket from Pola8, or decorated architectural elements inscribed Bethlehem and Jerusalem, as in the gold glass bottom in the Museo Sacro [Taf. 10a]9. Often, as for instance in the gold glass, the architectural elements are accompanied by palm trees. The combination of Dld with the two cities motif left a mark on various media in Rome. It was associated with monumental and representative compositions similar to Dld, containing the trio of Christ, Peter and Paul, even where the Law is not being given or presented, as in the apse of SS. Cosma and Damian or in S. Prassede10. The Roman distribution suggests that the motif of the two cities at first appeared in connection with the scene of Dld. But it seems to have gained independence as well as popularity shortly afterwards, not only in accompanying different compositions, but also because it came to be seen outside Rome11. Whatever its wide distribution, combined with the Dld scene or with other depictions, the motif always, so it seems, appears in an eschatological context. The constant context together with repeated inscribed representations in monumental art gave an identity to the motif. Thus, Arbeiter, Die Mosaiken 104. David Stanley, The Apse Mosaics at S. Costanza: RömMitt 94 (1987) 29/42. 6 For a detailed description of the original tesserae, see ibid. and Arbeiter, Die Mosaiken 116/7. 7 Capanna, see Stanley, The Apse Mosaics 41. 8 J. Dresken-Weiland, Repertorium der christlich-antiken Sarkophage II. Italien mit einem Nachtrag Rom und Ostia, Dalmatien, Museen der Welt (Mainz: Philipp von Zabern, 1998) no. 150; for the Pola casket, see M. Guarducci, La Capsella eburnea di Samagher. Un cimelio di arte paleocristiana nella storia del tardo Impero (Trieste: Società Istriana di Archeologia e Storia Patria, 1978). 9 Charles Rufus Morey, The Gold-Glass Collection of the Vatican Library, with Additional Catalogues of other 4 5 Gold-Glass Collections (Città del Vaticano 1959) cat. no. 78; Donati, Pietro e Paolo, cat. no. 93; G. NogaBanai, Between the Menorot: New Light on a Jewish Representative Composition: Viator 39/2 (2008) 21/ 48, fig. 14. 10 Engemann, Deutung und Bedeutung 78. 11 As for instance, Capsella Brivio (G. Noga-Banai, The Trophies of the Martyrs, an Art Historical Study of Early Christian Silver Reliquaries [Oxford: Oxford University Press, 2008] no. 7); 5th century floor mosaic from Basilica I in Junca, Tunisia (B. Domagalski, Der Hirsch in spätantiker Literatur und Kunst = JbAC Suppl. 15 [Münster: Aschendorff, 1990] 146); and the 5th century floor mosaic in Tayibat al-Imam, Syria (see below). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/140-152.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 142 Galit Noga-Banai even where the architectural elements are not named, and especially when two palm trees are added, the general opinion is that they represent Jerusalem and Bethlehem12. Even the unusual huts in S. Costanza are sometimes similarly identified. However, I tend to think that the hut-like motifs were meant to represent what they are, huts, or rather booths. The structures seen in the Dld composition in S. Costanza are not altogether unique. Similar ones can be found in another Roman representation, although not with Dld and not monumental. This is a more or less contemporary fragment of a Jewish gold-glass bottom now in the Vatican Museo Sacro13. The fragment is decorated with a representation of the Temple flanked by two columns and a Greek inscription which reads: House of Peace, Accept a blessing (?) . . . with all yours [Taf. 14b]14. In front of the Temple are a menorah, two canthari, a lulav, an etrog and two jars, visible when De Rossi made his drawings [Taf. 14c]. The Temple and the objects are surrounded by a rectangular colonnade suggesting a court. Beyond the colonnade on the right are two huts, each with a palm tree behind it. As in S. Costanza, the trees look as if they were growing out of the cone-like roof of the huts. This effect may at first seem a matter of applying a technical solution – in the corner of a composition to draw something behind is to locate it above – but on the gold glass the huts are not placed in a corner; there was enough room to plant a tree next to the hut as in all other representations where palm trees accompany city gates or decorated architectural structures named Bethlehem and Jerusalem. This indicates that the hut with the tree coming out of its roof is a motif with a specific meaning. The two structures on the gold-glass were described as gateways, apses, and even as a landscape, until Archer St. Clair recognized them as Sukkoth (booths) and deciphered the decoration of the gold glass as a picture of the Feast of Tabernacles15. Could the two structures in the monumental mosaic in S. Costanza be booths? Is this a mere coincidence or were they deliberately added to the Christian-Roman iconography of Dld? If so, why – as shown by Roman church decoration throughout the middle ages – did this motif not endure but was demoted by the architectural motifs representing Jerusalem and Bethlehem? If we look for an explanation in a Christian context, the first thing that comes to mind is the mention of booths in the New Testament. I am not referring to the Feast of Tabernacles but simply to the structures16. During the Transfiguration, after seen 12 N. Schneider, s. v. Städte, zwei (Jerusalem und Bethlehem): LCI 4 (Rome: Herder, 1972) 205/9; Noga-Banai, The Trophies of the Martyrs 55/7. 13 Morey, The Gold-Glass Collection of the Vatican Library, cat. no. 116; Archer St. Clair, God’s House of Peace in Paradise: The Feast of Tabernacles on a Jewish Gold Glass: JournJewArt 11 (1985) 6/15, figs. 1, 2 with earlier bibliography. H. Kessler, Through the Temple Veil: The Holy Image in Judaism and Christianity: Kairos 32/33 (1990/91) 53/77, esp. 56/60; the gold-glass bottom has been dated to the third or early fourth century, but St. Clair notes that a later date is possible. Indeed this piece differs in design and color from the other Jewish gold-glass we know, but the theme of the iconography, as will be discussed below, is congruent, and therefore I think it should be dated to the end of the fourth– beginning of the fifth century. On whether or not Jewish symbols make an object, like this gold-glass, exclusively Jewish, see J. Elsner, Archaeologies and Agendas: Reflections on Late Ancient Jewish Art and Early Christian Art: JournRomStud 93 (2003) 114/28, esp. 115/8. 14 D. Noy, Jewish Inscriptions of Western Europe 2. The City of Rome (Cambridge: Cambridge University Press, 1995) 471/3. For a different reading, see St. Clair, God’s House 7. 15 St. Clair, God’s House 9 16 John 7/8 preserves an account of a celebration of Sukkoth. For the interpretation of the »last day« or the »great day« in the Book of Revelation as the festival of Sukkoth, see Timothy P. Jenney, The Har- C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/140-152.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm From a Cabin in the Sky to the Eternal City 143 Christ with Moses and Elijah, Peter says to Christ: »Master, it is good for us to be here: and let us make three tabernacles (skfnc, tabernacula), one for you, and one for Moses, and one for Elijah: not knowing what he said« (Luke 9:33 cf. Mat. 17:4; Mark 9:4). Appearing in the background of Dld, the booths may associate the scene with the Transfiguration in order to imply Christ’s heavenly apparition or the heavenly character of the scene. Without excluding an association with the Transfiguration, I would like to give more weight to the visual sources. We know no representations of the Transfiguration prior to the sixth century, and then, booths do not figure17. Some aspects of the feast of Sukkoth may be relevant to our discussion. Sukkoth, the Feast of Tabernacles, celebrated in the autumn from the 15th to the 21st of the month of Tishri, completes the circle of the three major Jewish festivals, following the Feast of the Unleavened Bread, Pesah (Passover) in the spring and the Feast of Weeks, Shavuot (Pentecost) in the summer. The feast is called Sukkoth in commemoration of the tents18 used by the Israelites in the desert and emphasizes the construction of and living in booths during the feast. As Moses was told by God: »You shall dwell in booths (sukkoth, ,ufx) seven days; all that are Israelites born shall dwell in booths: That your generations may know that I made the Children of Israel to dwell in booths, when I brought them out of the land of Egypt: I am the lord your God« (Leviticus, 23:42/3). Apart from commemorating the flight from Egypt and the time spent in the desert, Sukkoth is associated with the Mosaic Law and the Land of Israel. Before his death, Moses summoned Joshua and told him, in front of the people of Israel, that he must lead them into the Promised Land, and »Moses commanded them, saying, At the end of every seven years, in the solemnity of the year of release (vyhna), in the feast of tabernacles, When all Israel is come to appear before the lord thy God in the place which he shall choose, thou shalt read this law before all Israel in their hearing« (Deuteronomy 31:10/1). Moses’ will unites the Law with the Feast and with the future place of God’s dwelling, Mount Zion, that is, Temple Mount19. The will was executed by King Solomon when on the first day of the feast he inaugurated the Temple; the Ark of the Covenant, the Tent of Meeting (Ohel Moed) and the Temple implements were carried by the priests and the Levites to the Temple and the Ark of the Covenant was vest of the Earth: The Feast of Sukkoth in the Book of Revelation, Ph.D. Diss. Ann Arbor (The University of Michigan, 1993); id., Tabernacles, Feast of: D. N. Freedman (ed.), Eerdmans Dictionary of the Bible (Grand Rapids, MI: Eerdmans, 2000). Cf. C. E. Vernoff, Suckot: Feast of the Redemption: Tradition 33.4 (1999) 6/26; C. R. Koester, The Dwelling of God: The Tabernacle in the Old Testament, Intertestamental Jewish Literature and the New Testament = Catholic Biblical Quarterly Monograph Series 22 (Washington, DC: Catholic Biblical Association of America, 1989). 17 In a discussion of the depiction of the scene in the apse mosaic of S. Catherine in Sinai, it was suggested recently that the prototype could have been the scene of Traditio legis. See A. Andreopoulos, Metamorphosis: The Transfiguration in Byzantine Theology and Iconography (New York: St. Vladimir’s Seminary Press, 2005) 141/3. 18 The feast is called Sukkoth in Deuteronomy (16:13/6) and Leviticus (23:24, 39/43), while in Exodus (23:16) it is called the Feast of the Ingathering (of grapes and olives). The word Sukkoth (booths) was also the name of the first resting place after the exodus from Egypt. Although the Bible uses the word ohel (kvt tent, skfnf́/skēnē) for the temporary dwellings of the Israelites wandering in the desert, the Hebrew tradition associates these with booths. See St. Clair, God’s House 12. 19 For the identification and name of the mountain, see below n. 23. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/140-152.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 144 Galit Noga-Banai secured in the holy of holies (3 Kings 8). Thus the feast was an annual rededication of the Temple. Moreover, the feast of Sukkoth carries an eschatological significance. According to Zechariah (14:16/9) it is during Sukkoth that all nations will gather every year in Jerusalem: »And it shall come to pass, that every one that is left of all the nations which came against Jerusalem shall even go up from year to year to worship the King, the lord of hosts, and to keep the feast of tabernacles. And it shall be, that whoso will not come up of all the families of the earth unto Jerusalem to worship the King, the lord of hosts, even upon them shall be no rain. And if the family of Egypt go not up, and come not, that have no rain; there shall be the plague, wherewith the lord will smite the heathen that come not up to keep the feast of tabernacles. This shall be the punishment of Egypt, and the punishment of all nations that come not up to keep the feast of tabernacles«. Thus, recalling the salvation from Egypt, Sukkoth receives an eschatological peregrinatio. To return to S. Costanza and the relevance of Sukkoth to Dld and to a mosaic in a Christian edifice: The Dld is an allegorical picture about the transmission of the Law. It has a local Roman element represented by Peter and Paul, and it carries an eschatological significance20. It is as if it were depicting a Roman feast which takes place around a hill with four rivers. The hill with the four rivers is usually read as the heavenly hill or hill of paradise21. However, R. Wisskirchen and S. Heid suggest that within the scene of Dld Christ fulfills the passage in Isaiah 2:2/4 (cf. Micha 4:1/3, Rev. 14:1): »And it shall come to pass in the last days, that the mountain of the Lord’s house shall be established in the top of the mountains, and shall be exalted above the hills; and all nations shall flow unto it. And many people shall go and say, Come ye, and let us go up to the mountain of the Lord, to the house of the God of Jacob; and he will teach us of his ways, and we will walk in his paths: for out of Zion shall go forth the law, and the word of the Lord from Jerusalem«. Wisskirchen and Heid interpret the procession of lambs which often accompanies the scene of Dld and usually represented by twelve lambs. They think that the number stands for the righteous who were saved at the end of days and that it might figure the gathering of all nations on Mount Zion as described by Zechariah22. Thus, if the representation in S. Costanza indeed shows two booths, these structures not only enhance the interpretation of Wisskirchen and Heid, but also add a time element to the composition. The event is taking place during Sukkoth, the feast of the Tabernacles, with all its implications. The booths with the chimney-like palm trees represent 20 For the eschatological significance, see most recently, the historiography of the scene in Arbeiter, Die Mosaiken; Noga-Banai, The Trophies of the Martyrs 16/8. 21 Ihm, Die Programme der christlichen Apsismalerei 36; when the cross appears on the peak the hill is sometimes identified as heavenly Golgotha. See B. Kühnel, From the Earthly to the Heavenly Jerusalem: Representations of the Holy City in Christian Art of the First Millenium = RömQS Suppl. 42 (Rome: Herder, 1987) 97/9. 22 Based on biblical use of the metaphor for Plebs Dei as lambs and of the number 12, as for instance Apc. 7:4; 14:1; Psalm 79:13; John 10:1/16. See R. Wisskirchen / S. Heid, Der Prototyp des Lämmerfrieses in Alt-St. Peter. Ikonographie und Ikonologie: Tesserae, Festschrift für J. Engemann = JbAC Suppl. 18 (Münster: Aschendorff, 1991) 138/60, esp. 146. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/140-152.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm From a Cabin in the Sky to the Eternal City 145 the sojourn in the desert, the inauguration of the Temple and the eschatological gathering of all nations in Jerusalem, on Mount Zion, the Temple Mount23. Why then are Christ, Peter and Paul brought into such a context? Wisskirchen and Heid, basing themselves on Eusebius and other church fathers, explain the presence of Peter and Paul as announcers of the new law coming out of Zion, which is equated to Christ and through him to the church24. In Rome the two apostles, the great local martyrs, would quite naturally be represented as the propagators. At some time in the fourth century, the lower register on the right side of the nave in Old St. Peter was decorated with scenes from Exodus, ending with the Crossing of the Red Sea25. The Dld scene in the apse, brought into association with Mount Zion might then signify the culmination of the journey to the Promised Land, to Jerusalem. We do not know what was represented in the apse of St. Peter, or whether booths or other architectural structures were included in the composition. We do know that the scene of the Crossing of the Red Sea was popular in Rome during the fourth century26. The intention may have been simply to document the biblical salvation scene. However, I tend to think that the scene participated in Roman efforts to associate Moses with Peter and through him with the Roman bishop who, like Moses, was a political and religious leader. The popularity of the depiction of Moses Receiving the Law was due to the same causes27. Thus, commemorating the dwelling in the desert, celebrating the Temple on Mount Zion and announcing the new law coming from Jerusalem, would not have been incongruous in the Rome of c. 370. To be more precise: in Rome, with or without booths, Christ standing on Mount Zion signified the Temple, and the two local apostles contributed the Roman essence and locality of the whole event28. 23 The Mount Zion known today as the site of King David’s Tomb, the House of the Last Supper and the Dormition Abbey, is not the Mount Zion that the Bible and other ancient Jewish sources refer to. That »Mount Zion« is now called the Temple Mount or the Haram al-Sherif. See Rachel Elior, From Priestly (and early Christian) Mount Zion to Rabbinic Temple Mount: O. Grabar / B. Z. Kedar (eds.), Where Heaven and Earth Meet. Jerusalem’s Sacred Esplanade (Austin and Jerusalem: University of Texas Press and Yad Ben-Zvi Press, 2009) 308/19. For Mount Zion in Christian thought of the fourth century, especially according to Eusebius, see P. W. L. Walker, Holy City, Holy Places? Christian Attitudes to Jerusalem and the Holy Land in the Fourth Century (Oxford: Clarendon Press, 1990) 284/308. 24 Ibid., 154/5. 25 The Dating of the nave decoration in Old St. Peter is not secure but provided it was executed in the early Christian period, the point I make here stands. Herbert L. Kessler, Passover in Old St. Peter’s: JewArt 12/13 (1986/87) 169/78. Repr. in id., Studies in Pictorial Narrative (London: Pindar, 1994) 433/51, esp. 441. The left side was decorated with scenes from the life of Christ. See A. Arbeiter, Alt-St. Peter in Geschichte und Wissenschaft (Berlin: Mann, 1988) figs. 92/3. 26 As attested by the two wall paintings in the Via Latina Catacomb and half a dozen sarcophagi fronts. See the forthcoming »Pharaoh’s Army Got Drownded: Some Reflections on Jewish and Roman Genealogies in Early Christian Art« by J. Elsner whom I thank for allowing me to read a draft prior to publication, and my »The Red Sea Sarcophagus in Split and the Apparition of the Cross in Jerusalem«, forthcoming. 27 G. Noga-Banai, Visual Prototype Versus Biblical Text: Moses Receiving the Law in Rome: H. Brandenburg / F. Bisconti (eds.), Sarcofagi tardoantichi, paleocristiani ed altomedioevali = Monumenti di antichità cristiana 2nd ser., 18 (Città del Vaticano: Pontificio Istituto di archeologia cristiana, 2003) 175/85; eadem, The Trophies of the Martyrs 14/24. 28 For Christ as Isaiah’s mountain, see Wisskirchen/Heid 150/2, based on Euseb. Jes. 2,2 in Prophetic Extracts 4,1 (PG 22, 1193D. 1196D. 1198C/D); Origenes, Commentary on the Gospel of Mathew 16,3 in Mt. 20,17/9 (GCS Orig. 10, 470,13/471,10). It is tempting to read the clouds around Christ in S. Costanza, and later in SS. Cosmas and Damian and S. Prassede, as the »Clouds of Glory«. By this I don’t mean only the Second Coming within the clouds as described in Revelation but also the Jewish approach, proposed by Rabbi Akiba, who thought that C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/140-152.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 146 Galit Noga-Banai This Roman picture could have had consequences in local Jewish art. Here I return to the Feast of Tabernacles on the gold glass bottom, produced in Rome towards the end of the fourth century, beginning of the fifth. According to St. Clair, »it represents the Jewish hope for the coming of the Messiah and the restoration of the Temple in the time of peace that is to come«29. Bianca Kühnel takes this a step further, suggesting that the composition on the gold glass emphasizes the »contrast between the tents of the desert before the entrance to the Promised Land, and the Temple of Jerusalem . . . the contrast between the destroyed Temple of Jerusalem and the hope for its reconstruction after the coming of the Messiah«30. It seems to me that we should contextualize the Sukkoth gold glass in the same way as the contemporary gold glass fragments representing the Torah Ark between two menorot [Taf. 10d]. Jewish art in Rome, as in Palestine, reacted to the collapse of Julian’s plan to rebuild the Temple in Jerusalem (361/2 CE)31. For the first time in Rome (Villa Torlonia Catacombs), and contemporary with the earliest representation in Palestine (Hammat Tiberias), the composition of two menorot flanking the Torah Ark / Temple façade surrounded by Temple implements figures in visual representations32. Unlike the Palestinian examples, where the central motif (whether ark or Temple frontage) between the menorot presents a closed face, the identity of an open Torah Ark between the menorot in Rome is clear. As in the Villa Torlonia catacombs or the gold-glass fragments [Taf. 10d], the Ark is filled with scrolls, representing the Mosaic Law, as if in answer to the representations of Dld. If Dld is a Roman appropriation of Mount Zion (the Temple Mount) with its princely propagators, the popularity of the Roman Jewish composition of the two menorot flanking the Ark becomes more comprehensible33. The Sukkoth gold glass in the Vatican may be seen in the same context. It is most probably contemporary with the Jewish gold glasses representing the Ark the Sukka represented the divine clouds that sheltered the Israelites after leaving Egypt; thus the Sukka is parallel to the Temple as being the place of divine presence. See Y. Nagen, Sukkot in Rabbinical Thought. Motifs in the Halacha of Sukkot in Talmudic Literature, Ph.D. Diss. Hebrew University of Jerusalem (2003) 69/77 (Hebrew with Eng. Abstract). 29 St. Clair, God’s House 9/10. 30 Kühnel, From the Earthly 160 (fig. 47). 31 See Noga-Banai, Between the Menorot 21/48, esp. 32/8. 32 The earliest composition in Palestine decorates the mosaic pavement of the synagogue in Hammat Tiberias dated by the excavator Moshe Dothan to the first half of the fourth century. Moshe Dothan, Hammath Tiberias: Early Synagogues and the Hellenistic and Roman Remains (Jerusalem: Israel Exploration Society, 1983). However, stylistic comparisons have led Rina Talgam to postpone the date to the second half of the fourth century. See Rina Talgam, Mosaic in Israel in the Light of Recent Discoveries: Kadmoniot 116 (1998) 79 (Hebrew); eadem, Similarities and Differences between Synagogue and Church Mosaic in Palestine during the Byzantine and Umayyad Periods: From Dura to Sepphoris: Studies in Jewish Art and Society in Late Antiquity, eds. Lee I. Levine / Zeev Weiss = JournRomArch Suppl. 40 (Portsmouth, RI 2000) 93/110, esp. 100/1. Analyzing the coins, pottery and inscriptions, Jodi Magness now dates the floor mosaic to the late 4th– early 5th century. See her Heaven on Earth: Helios and the Zodiac Cycle in Ancient Palestinian Synagogues: DumbOPap 59 (2007) 1/52, esp. 8/13. For the catacomb painting under Villa Torlonia, dated 350– 370, see Leonard Victor Rutgers, The Hidden Heritage of Diaspora Judaism (Leuven: Peeters, 1998) 59/66. 33 It would be interesting to associate Jewish Roman art with the tradition of Rabbi Eleazar ben R. Yose and Rabbi Simeon ben Yohai seeing the Temple vessels in Rome. See Ra’anan Boustan, The Spoils of the Jerusalem Temple at Rome and Constantinople. Jewish Counter-Geography in a Christianizing Empire: Gregg Gardner / Kevin L. Osterloh (eds.), Antiquity in Antiquity: Jewish and Christian Pasts in the Greco-Roman World = Texte und Studien zum antiken Judentum 123 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2008) 327/72. For the possible influence of the Temple vessels on Christian art in Rome, see now John Osborn, The Jerusalem Temple Treasure and the Church of Santi Cosma and Damiano in Rome: Papers of the British School at Rome 76 (2008) 173/81. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/140-152.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm From a Cabin in the Sky to the Eternal City 147 with the Mosaic Law. The Feast of Sukkoth celebrated on the Temple Mount would thus correspond with the picture of the local (with global ambitions) event on Mount Zion in S. Costanza, where the Christian composition with the identical booths carries supersessionist overtones. It pictures Rome as the Promised Land. * Nevertheless, the cities inscribed Jerusalem and Bethlehem, rather than the Sukkoth booths, became a constant motif in Roman art. During the second half of the fourth century variations of the double architectonic motif occur in Rome; booths (S. Costanza), city gates (sarcophagus in S. Ambrose, Milan, made in Rome)34 and two cities, inscribed Jerusalem and Bethlehem (gold-glass fragment in Museo Sacro [Taf. 10a])35. A pair of city gates or some other kind of architectural structures most likely representing Jerusalem and Bethlehem continue to appear in decoration programs that do not necessarily represent the scene of Dld 36. However, if the inscribed representations share a common ground it consists in that they are usually found in decoration programs where Peter and Paul participate. The most famous late antique examples are on the triumphal arch in Santa Maria Maggiore and in the apse mosaic of Ss. Cosmas and Damian37. In Santa Maria Maggiore, the cities are located at the base of the triumphal arch; each is decorated with gems and a cross on pendilia hangs above the entrance gates [Taf. 11a]. A group of six lambs looks upward, as if directing our gaze to the top of the arch, where Rome is represented by Peter and Paul; the two apostles flank the Hetoimasia, the four signs of the Apocalypse are above38. As with depictions of Dld, the apocalyptic context is given a Roman face by the local martyrs. The Roman character is enhanced by the inscription beneath the Hetoimasia: Xystus Episcopus Plebi Dei39. The lambs represent the eschatological peregrinatio to worship the upper group, represented by the Hetoimasia and the Roman intercessors, Peter, Paul and also Sixtus III. Josef Engemann noticed that the Hetoimasia with Peter and Paul is not only located at the zenith of the arch but that it is between the scene of the Annunciation to Mary on the left and the Presentation of Christ on the right. Thus the sequence has the second epiphany where the first one, the Nativity, ought to have been40. It has been suggested that the two cities represent the two ecclesiae (of the gentiles and of the circumcised)41, Heavenly Jerusalem (making Bethlehem a decorative sym34 J. Dresken-Weiland, Repertorium (above, note 8) no. 150. 35 Wisskirchen/Heid, Der Prototyp des Lämmerfrieses in Alt-St. Peter 148, suggest that the gold glass should be dated later. 36 For instance, on Capsella Brivio dated to the beginning of the fifth century and Capsella Africana dated c. 430. These instances testify to the popularity of the motif; it was recognizable even when the names were not inscribed. See Noga-Banai, The Trophies of the Martyrs 55/7, 80/3. 37 Additional examples are the lost mosaic above the apse in S. Sabina. See H. Brandenburg, Die frühchristlichen Kirchen Roms vom 4. bis zum 7. Jahrhundert. Der Beginn der abendländischen Kirchenbaukunst (Re- gensburg: Schnell und Steiner, 2004) 174 with a drawing by Ciampini on page 301 nr. XXV. S. Sabina, fig. 5, and the mosaic decorating the triumphal arch on S. Lorenzo fuori le mura, ibid., 236, 237 figs. 143, 144. 38 For the decoration program of the arch as a whole, see B. Brenk, Die frühchristlichen Mosaiken in S. Maria Maggiore zu Rom (Wiesbaden: Steiner, 1975). 39 For the Roman bishop as leading the plebs Dei, see ibid., 36/7. 40 J. Engemann, Auf die Parusie Christi hinweisende Darstellungen in der frühchristlichen Kunst: JbAC 19 (1976) 139/56, esp. 149/51. 41 Ihm, Die Programme der christlichen Apsismalerei 35/7; O. G. von Simson, Sacred Fortress: Byzantine C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/140-152.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 148 Galit Noga-Banai metrical element), as well as the Christological, from the place of Christ’s Incarnation to that of his Resurrection42. As I have noted, the two cities mark out an eschatological topography, as if confirming the frame of salvation history, from the epiphany in Bethlehem to the salvation promised by Christ’s Resurrection and return in Jerusalem43. If the two cities at the base of the arch in Santa Maria Maggiore signify the Christological cycle, it concludes with Christ’s return at the end of days at the top of the triangle which signifies Rome. Rome and the local martyrs crown the entire decoration program, thus the entire Christological narrative. Recently Bianca Kühnel suggested that the Jerusalem and Bethlehem motifs represent not only the Christological cycle but also the actual Christological sites: the two most holy places of the Holy Land treated in Rome as an icon of the Holy Land44. This interpretation is the more persuasive if we take into account that the representation in Santa Maria Maggiore was not the earliest in Rome. The pair of cities motif probably originated in the representation of Dld, on the evidence of a gold-glass fragment in the Vatican [Taf. 10a]. Thus, using the pair of cities as an icon representing the loca sancta within a Roman composition in the second half of the fourth century – perhaps the last quarter of the fourth–beginning of the fifth century – would accord with the adoration of relics brought to Rome from the Holy Land. During the second half of the fourth century, perhaps even earlier, the relics of the holy cross were kept in a basilica known as S. Croce built within the complex of the Sessorianum palace. At the time and at least until the sixth century this basilica was named Hierusalem after the relics it treasured45. The relics were not presented on or next to the altar, but in an adjoining chapel. Grisar once pointed out the similarity of this arrangement with the sanctuary at Golgotha46. A late sixth century source documents that S. Croce was the location of the papal service on Good Friday. This is not surprising if the relics were considered, pars pro toto, to represent Jerusalem, and even more so after the penetration into Rome c. 400 of the legend of the finding of the True Cross. The possession of a relic of the Cross, traditionally connected with Helena, initiated the Roman celebration of the feast of the Inventio Crucis, commemorating the recovery of the Cross in Jerusalem47. What started in the fourth century with the impeArt and Statecraft in Ravenna (Chicago, 1948; rep. Princeton: Princeton University Press, 1987) 60; A. M. Schneider, s. v. Bethlehem: RAC 2, 224/8, esp. 226/7; N. Schneider, s. v. Städte, zwei (Jerusalem und Bethlehem) 205/9. 42 F. Gerke, Spätantike und frühes Christentum (Baden-Baden: Holle Verlag, 1967) 69/70; Brenk, Die frühchristlichen Mosaiken in S. Maria Maggiore 33/4; R. Farioli Campanati, Jerusalem and Bethlehem in the Iconography of Church Sanctuary Mosaics: M. Piccirillo / E. Alliata (eds.), The Madaba Map Centenary 1897–1997, Traveling Through the Byzantine Umayyad Period, Proceedings of the International Conference held in Amman, 7–9 April 1997 (Jerusalem: Studium Biblicum Franciscanum, 1999) 173/7. 43 Noga-Banai, The Trophies of the Martyrs 56. 44 Bianca Kühnel, Jerusalem between Narrative and Iconic, in press. I thank professor Kühnel for providing me with a copy prior to publication. 45 The church was most likely founded by a member of the Constantinian family. See S. de Blaauw, Jerusalem in Rome, and the Cult of the Cross: R. L. Colella et al. (eds.), Pratum Romanum: Richard Krautheimer zum 100. Geburtstag (Wiesbaden: Reichert Verlag, 1997) 55/73. In what follows I use de Blaauw’s research. 46 H. Grisar, Analecta Romana. Dissertazioni, testi, monumenti dell’arte riguardanti principalmente la storia di Roma e dei papi nel medio evo (Rome, 1899) 556/8; after de Blaauw, Jerusalem in Rome 68, who also adduces M. Guarducci’s book (1978) on the casket from Pola. Guarducci suggests the existence of a canopy in S. Croce which copied that placed by Constantine over the Holy Sepulchre in Jerusalem. The canopy is believed to be represented on the Pola casket. See Buddensieg, Le coffret en ivoire de Pola, Saint-Pierre et le Latran. 47 The feast was probably initiated in Rome. See de Blaauw, Jerusalem in Rome 70/1. On the legend, C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/140-152.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm From a Cabin in the Sky to the Eternal City 149 rial effort of using the Holy Land to construct Christian imperial ideology, may well have led to the importation of Holy Land relics into Rome and the inclusion of a Holy Land icon in Roman decoration programs48. Within a short time, like the Roman composition of Dld, the Roman-made condensed visual formula of the Holy Land was disseminated outside Rome: The double motif occurs in a mid fifth century floor mosaic decorating the bema of a church in Tayibat al-Imam, near Hama (Syria)49, and later in sixth century mosaics decorating the sanctuaries in Ravenna50. In Tayibat al-Imam, the two cities are located almost at the top of the eastern panel; above them is only the dedicatory inscription, flanked by two falcons (?) and two phoenixes [Taf. 11b]. The two cities are represented as basilicas within city walls; their names are inscribed. Below them are three aediculae in a heavenly landscape; the lower zone shows an eagle standing on the four rivers of paradise from which deer are drinking51. The two cities in the eastern panel are evidently set within an apocalyptic landscape, as in Rome52. The difference here is that Peter and Paul are missing. Instead, the western nave panel is decorated with eight other architectonic representations of churches, most likely representing holy sites in Syria53. The twin cities could signify here the earthly and the heavenly pilgrimage. Thus the same idea was presented in S. Maria Maggiore and in Tayibat al-Imam in different ways. The local components, Peter and Paul and the Pope figure in Rome, and certain holy sites in Syria. * Pilgrimage is about traveling in time and space54. The inclusion of the Holy Land icon in Santa Maria Maggiore expresses appropriation of time and space, signifying see J. W. Drijvers, Helena Augusta: The Mother of Constantine the Great and the Legend of her Finding the True Cross (Leiden: Brill, 1992), and S. Borgehammar, How the Holy Cross was Found: From Event to Medieval Legend (Stockholm: Almqvist & Wiksell, 1991). For the visual representation, see B. Baert, A Heritage of Holy Wood: The Legend of the True Cross in Text and Image (Leiden: Brill, 2004). 48 Andrew S. Jacobs, Remains of the Jews: The Holy Land and Christian Empire in Late Antiquity (Stanford: University of Stanford Press, 2004) 174/99. S. Costanza was closely associated with the imperial family; however, the booths of Sukkoth were favored. 49 A. Zaqzuq, Nuovi mosaici pavimentali nella regione di Hama: A. Iacobini / E. Zanini (eds.), Arte profana e arte sacra a bisanzio (Rome: Àrgos, 1995) 237/42; A. Zaqzuq / M. Piccirillo, The Mosaic Floor of the Church of the Holy Martyrs at Tayibat Al-Imam – Hamah, in Central Syria: Liber Annuus 49 (1999) 443/64. The dedicatory inscription provides the date of the mosaic: 754 of the Seleucid era, corresponding to 442 C. E. Another floor mosaic containing the double city motif decorates a late antique basilica in Junca. See B. Domagalski, Der Hirsch in spätantiker Literatur und Kunst (n. 11) 146; L. Feuille, L’église de Junca: Rev. Tunisienne 41/42 (1940) 21/45, fig. 2; P. A. Underwood, The Fountain of Life in Manuscripts of Gospels: DumbOPap 5 (1950) 114/5; A. Février, Les quatres fleuves du paradis: RivAC 32 (1956) 179/99, esp. 199, fig. 6. 50 See the mosaics of the triumphal arches in S. Vitale and S. Apollinare in Classe; F. W. Deichmann, Frühchristliche Bauten und Mosaiken von Ravenna (BadenBaden: B. Grimm, 1958) figs. 311. 348/9. 410/1. 51 R. Wisskirchen, Der Adler aud dem Paradiesesberg. Zum Bodenmosaik im Ostteil der Kirche der »Heiligen Märtyrer« in Tayibat Al-Imam/Hama (Syrien): JbAC 48/49 (2005/06) 154/63. 52 The conflation of the Holy Land icon with apocalyptic motifs kept it relevant. Kühnel, Jerusalem between Narrative and Iconic: »Early Christian pictorial representations of Jerusalem thus expressly endorse the view that the combination of the two parts of Jerusalem’s existence, one apocalyptic and the other documenting the history of salvation through the loca sancta, is essential in understanding the large distribution of Jerusalem elsewhere«. 53 Zaqzuq/Piccirillo, The Mosaic Floor 457. 54 J. Elsner / I. Rutherford, Pilgrimage in GraecoRoman and Early Christian Antiquity: Seeing the Gods (Oxford: Oxford University Press, 2005) 3/12. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/140-152.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 150 Galit Noga-Banai the historical transformation that Rome had undergone in becoming a container of its own loca sancta. The Jerusalem-Bethlehem motif representing the Holy Land in Rome may have been introduced in association with the emergence of two major Roman pilgrimage sites: the Constantinian basilica built on the shrine of Peter, and the basilica dedicated to Paul. The latter was most probably initiated by Pope Damsus and financed by the emperors Valentinian II, Theodosius and Arcadius in 384/5. S. Paolo fuori le mura was erected on the via Ostiense; it was of enormous proportions, the plan being based on that of St. Peter55. The two churches, constructed over the apostles’ graves, gave monumental expression to the idea of concordia apostolorum promoted by Damasus and his successors, placing associated pilgrimage sites on either bank of the Tiber56. Together with other martyrs’ shrines outside the city walls, they changed the urban geography of Rome and the orientation of inhabitants and visitors57. In a poem written in c. 400 for the joint dies natalis of Peter and Paul (June 29th), Prudentius describes the sanctity of the Tiber in relation to the location of the holy tombs of the two apostles. For him, the two memoriae mark the beginning of Christian Rome58. Leo the Great (440–461) in his sermon 82 delivered on 29 June 441 preached: »These selfsame men are your [Rome] holy fathers and true shepherds, who built you up to be part of the heavenly kingdom better by far and much more favorably than those twins quarreling to the point of murder [Romulus and Remus]«59. Damasus saw in all martyrs buried in Rome, even those whose relics were brought there from other places, Romanae gloria plebis, and made sure to inscribe this in one way or another in 55 In 383, the emperors sent a decree to the praefectus urbi ordering the rebuilding of the church dedicated to Paul, a bigger and a more lavish basilica; even the road leading to it was to be wider. See, R. Krautheimer, Corpus Basilicarum Christianarum Romae 5 (Città del Vaticano, 1977) 93/164; id., Rome, Profile of a City, 312–1308 (Princeton: Princeton University Press, 1983) 42/3; H. Brandenburg, Die Basilica S. Paolo fuori le mura, der Apostel-Hymnus des Prudentius (Peristeph. XII) und die architektonische Ausstattung des Baus: F. Guidobaldi / A. Guiglia Guidobaldi (eds.), Ecclesiae Urbis, Atti del congresso internazionale di studi sulle chiese di Roma 3 (Città del Vaticano: Pontificio Istituto di archeologia cristiana, 2002) 1525/78; id., Die frühchristlichen Kirchen Roms 114/30. 56 M. Huskinson, Concordia Apostolorum: Christian Propaganda at Rome in the Fourth and Fifth Centuries = BAR Intern. Ser. 148 (Oxford: B.A.R., 1982); M. Guj, La Concordia Apostolorum nell’antica decorazione di San Paolo fuori le mura: Guidobaldi/ Guiglia Guidobaldi (eds.), Ecclesiae Urbis 3, 1873/ 92. For an identification of Dld as representing concordia apostolorum, see Lasse Hodne, The ›Double Apostolate‹ as an Image of the Church. A Study of Early Medieval Apse Mosaic in Rome: ActaArchArtHistPert 20 (2006) 143/61. For allusion by means of images of the two Roman saints to cult sites even before the construction of S. Paolo fuori le mura, see J. Elsner, Inventing Christian Rome: The Role of Early Christian Art: C. Edwards / G. Woolf (eds.), Rome the Cosmopolis (Cambridge: Cambridge Univer- sity Press, 2003) 71/99, esp. 90. For the joint memorial site of the two apostles, Basilica apostolorum (later dedicated to S. Sebastiano) on via Appia, where according to a Roman legend they once lived, see Brandenburg, Die frühchristlichen Kirchen Roms 63/ 9; Ursula Reutter, Damasus, Bischof von Rom (366– 384). Leben und Werk = Studien und Texte zu Antike und Christentum 55 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2009) 490/4. 57 Michael Roberts, Rome Personified, Rome Epitomized: Representations of Rome in the Poetry of the Early Fifth Century: AmJournPhilos 122/4 (2001) 533/65, esp. 555. For Damasus’ building activity around the shrines of the martyrs, see J. R. Curran, Pagan City and Christian Capital. Rome in the Fourth Century (Oxford: Clarendon Press, 2000) 142/55; D. E. Trout, Damasus and the Invention of Early Christian Rome: Journal of Medieval and Early Modern Studies 33.3 (2003) 517/36. 58 »The marshland of Tiber, washed by the near-by river, knows that its turf was hallowed by two victories . . . Tiber separates the bones of the two and both its banks are consecrated as it flows between the hallowed tombs . . .« Prudentius, Liber Peristephanon, 12,7/8, 29/30. Eng. trans. H. J. Thomson, Prudentius 2 (Cambridge, MA: Harvard University Press, 1962) 323. See Roberts, Rome Personified, Rome Epitomized 558/60. 59 Eng. trans. J. P. Freeland / A. J. Conway, St Leo the Great: Sermons (Washington, D. C.: The Catholic University of America Press, 1996) 353. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/140-152.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm From a Cabin in the Sky to the Eternal City 151 the epigrams he wrote for their shrines60. These and other textual sources describe the Christian transformation of the urban topography of Rome and the foundation or rather manipulation of its Christian narrative in relation to Rome’s glorious pagan past61. But the pagan past may not have been the only element in this process of urban Christianization. The development of Christian cult places may have drawn on other existing traditions leading to the incorporation of Jerusalem and the Holy Land in the definition of Christian Rome62. Processions traversing the city from one memoria to another63, epigrams at sites, decorations related to the martyrs, relics from Jerusalem such as the cross in S. Croce, all eventually made Rome into a city full of holy sites, very much like Jerusalem64. In the sermon quoted above Leo continued: ». . . yet these are the men who raised you to this glory, that, as a holy nation, a people set apart, a priestly and royal city«. And again »a holy generation, a chosen people, a priestly and Royal city« (serm. 4.1/2), recalling 1 Peter 2:9: »But ye are a chosen generation, a royal priesthood, an holy nation, a peculiar people; that ye should show forth the praises of him who hath called you out of darkness into his marvellous light«. Leo is apparently describing Rome as if it were Jerusalem65. While this may be open to other interpretations, he is very clear in the sermon written for the feast of St. Lawrence, perhaps delivered at the saint’s memoria in Via Tiburtina: »Rome is become as famous in Lawrence as Jerusalem was ennobled by Stephen«66. The comparison could also have been in Leo’s mind around the middle Reutter, Damasus 149/51. See also Trout, Damasus 517/36. 61 C. 400 Jerome, Ep. 107.1 writes: »The golden Capitoline decays, all Rome’s temples are covered with soot and spiders’ webs: the city has changed its orientation, and a flood of people hurries past the halfruined shrines to the tombs of the martyrs«. Prudentius, c. Symm. 1.547/9, presents a similar picture: »Now, leaving only a few behind on the Tarpeian rock, the senate house of Evander hurries to the holy precincts of the Nazareans and the apostolic springs«. See Roberts, Rome Personified, Rome Epitomized 555/6, and there also the Latin text; see also, M. Salzman, Leo in Rome: The Evolution of Episcopal Authority in the Fifth Century (forthcoming), in: Istituzioni, carismi ed esercizio del potere (IV–VI secolo d. C.)., ed. G. Bonamente / R. Lizzi Testa (Bari: Edipuglia Press, 2010). For inventing or manipulating the past as modes of using the past to create collective memory, see D. Mendels, How Was Antiquity Treated in Societies with a Hellenistic Heritage? And why Did the Rabbis Avoid Writing History?: G. Gardner / K. L. Osterloh (eds.), Antiquity in Antiquity: Jewish and Christian Pasts in the Greco-Roman World (Tübingen: Mohr Siebeck, 2008) 130/51. Also id., Memory in Jewish, Pagan and Christian Societies of the Greco-Roman World (London and New York: T&T Clark and Continuum, 2004). 62 In his article How on Earth Could a Place Become Holy? Origins of the Christian Idea of Holy Places: JournEarlyChristStud 2 (1994) 257/71, Robert Markus touches the different aspects of Jerusalem as paradigmatic holy place. 60 Prudentius (Lib. Perist. 12.61/4) describes the liturgy celebrating the dies natalis of Peter and Paul as a procession: »We shall go further on, where the way leads over Hadrian’s bridge, and afterwards seek the left bank of the river. The sleepless bishop performs the sacred ceremonies first across the Tiber, then hurries back to this side and repeats his offerings«. Eng. trans. H. J. Thomson, Prudentius 2 (Cambridge, MA: Harvard University Press: 1962) 327. 64 I am aware of H. Grisar’s scheme of the Roman churches as imitations of sites in the Holy Land and also of J. F. Baldovin’s critique. It is perhaps going too far to propose that visiting Rome was considered equivalent to making a pilgrimage to Jerusalem but one can not ignore the development of Rome into a complementing perhaps even alternative city of holy sites. H. Grisar, Das Missale im Lichte römischer Stadtgeschichte (Freiburg: Herder, 1925) 4/5; J. F. Baldovin, The Urban Character of Christian Worship. The Origins, Development, and Meaning of Stational Liturgy (Rome: Pont. Institutum Studiorum Orientalium, 1987) 148/9. 65 See H. Nibely, Christian Envy of the Temple: JewQuartRev NS 50.2 (1959) 97/123, esp. 117. Cf. John Chrysostom on the irrelevance of Jerusalem and its replacement by the martyrs’ shrines, ibid. 113/4, and C. Shepardson, Controlling Contested Places: John Chrysostom’s Adversus Iudaeos Homilies and the Spatial Politics of Religious Controversy: JournEarlyChristStud 15 (2007) 483/516. 66 Sermon 85 (PL 54, 435), see Baldovin, The Urban Character of Christian Worship 147. 63 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/140-152.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 152 Galit Noga-Banai of the century, when the rotunda of St. Stephen was planned. At first Leo supported the building of a basilica dedicated to Stephen by a Christian matron named Demetrias, of the Anicii family. Soon afterwards, however, most likely due to the increasing popularity of the proto-martyr, a small basilica no longer seemed adequate. Probably still on Leo’s initiative, a large ambulatory mausoleum was built on the Celian Hill67, commemorating the proto-martyr and recalling the Rotunda of the Holy Sepulcher church in Jerusalem68. But what may be called the Jerusalem adaptation was manifested already towards the end of the fourth century, when we hear of pilgrims coming to Rome to venerate relics and holy tombs defined by monuments. »I set out for Rome for the revered feast of the apostles, promising myself that I would meet you there during that obligatory but joyful commemoration« writes Paulinus of Nola to Severus in Gaul, and in another letter ». .. when I attended the feast of the blessed apostles according to my regular custom . . .«69. The popularity of Jerusalem and Bethlehem representing the Holy Land within the »new« holy and eternal city has implications of heavenly pilgrimage, and also of a change of emphasis. The unrepeated Sukkoth in S. Costanza may testify that at the end of the fourth century and the beginning of the fifth, the narrative of Exodus and its culmination in the gathering of nations during Sukkoth at the Temple in Jerusalem was supplanted by the ideological primacy of Rome over the Holy Land in the east. Jerusalem Which, we are told by the Liber Pontificalis, was dedicated at the time of Pope Simplicius (468–483). See Brandenburg, Die frühchristlichen Kirchen Roms 200/4. 68 See my forthcoming article »Jerusalem: Typos or Anti-Typos in Early Christian Art and Architecture in Rome«. 67 Galit Noga-Banai Epp. 17.2; 20.2; and cf. 45.1; Eng. trans. P. G. Walsh, Letters of St. Paulinus of Nola I = Ancient Christian Writers 35 (New York: Newman Press, 1967); see D. E. Trout, Paulinus of Nola, Life, Letters and Poems = The Transformation of Classical Heritage 27 (Berkeley: University of California Press, 1999) 115. 69 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm WEN STELLT DIE TOCHTER PHARAOS DAR? Eine Hypothese zum Obergadenmosaik »Rückgabe des Moseknaben an die Tochter Pharaos durch seine Amme« in S. Maria Maggiore in Rom* In der Forschung ist allgemein anerkannt, dass die Mosaiken des Triumphbogens und der Schiffswände von Santa Maria Maggiore im ersten Drittel des fünften Jahrhunderts entstanden sind1 und ein einheitliches Ganzes bilden2. Allerdings gibt es bis heute noch keine übereinstimmende Antwort auf die Frage nach einem gemeinsamen Konzept. Anzeichen dafür, dass es eine verbindende Idee zwischen den Mosaiken des Triumphbogens und einigen der Schiffswände gibt, könnte der monumentale, großfigurige Stil sein, den sowohl das thematisierte Mosaik wie auch die ersten drei Mosaiken der gegenüberliegenden Wand (Opfer Melchisedeks, Abraham und die Drei Engel, die Trennung Abrahams von Lot) und die Bildfolge des Triumphbogens gemeinsam haben. Die folgenden Wandmosaiken sind dagegen im kleinfigurigen Stil gestaltet3. Eine Möglichkeit, der verbindenden Idee auf die Spur zu kommen, bietet das großfigurige Schiffsmosaik »Rückgabe des Moseknaben an die Tochter Pharaos durch seine Amme« (Taf. 12a)4; dieses Bild fällt besonders auf durch die ungewöhnliche Ausstattung der Tochter Pharaos, die ebenso wenig wie der Bezug dieses Mosaiks zum ganzen Mosaikzyklus bisher untersucht wurde. Das Bild ist gut erhalten5. Allerdings sind im Original nicht mehr vorhanden die linke Hälfte der Thronarchitektur sowie der linke, rechte und obere Bildrand. Von * Abgekürzt zitierte Literatur: B. Brenk, Die frühchristlichen Mosaiken in S. Maria Maggiore zu Rom (Wiesbaden 1975) J. G. Deckers, Der alttestamentliche Zyklus von S. Maria Maggiore in Rom (Köln 1976) R. Delbrueck, Spätantike Kaiserporträts von Constantinus Magnus bis zum Ende des Westreichs = Studien zur Spätantiken Kunstgeschichte 8 (Berlin/ Leipzig 1933) K. Holum, Theodosian empresses. Women and imperial dominion in late Antiquity = Transformation of the Classical Heritage 3 (Berkely/Los Angeles/ London 1982) E. Lamirade, L’impératrice Pulchérie et les affaires religieuses de la première moitié du Ve siècle: Science et Esprit 50 (1998) 279/313 G. Steigerwald, Neue Aspekte zum Verständnis der Mosaiken des Triumphbogens von S. Maria Maggiore in Rom: RömQS 102 (2007) 161/203 ders., Das Königtum Mariens in Literatur und Kunst der ersten sechs Jahrhunderte, Diss. theol. masch. Freiburg im Breisgau (1965) (= Steigerwald, Diss.) ders., Purpurgewänder biblischer und kirchlicher Personen als Bedeutungsträger in der frühchristlichen Kunst = Hereditas 16 (Bonn 1999) ders., Die Rolle Mariens in den Triumphbogenmosaiken und in der Weiheinschrift der Basilika S. Maria Maggiore in Rom: JbAC 51 (2008) 137/51 J. Wilpert, Die römischen Mosaiken und Malereien der kirchlichen Bauten Roms vom IV. bis XIII. Jahrhundert2 (Freiburg im Breisgau 1917) ders. / W. N. Schumacher, Die römischen Mosaiken der kirchlichen Bauten vom IV.–XIII. Jahrhundert (Freiburg im Breisgau 1976) 1 R. Krautheimer / S. Corbett / W. Frankl, Corpus basilicarum Christianarum Romae. The early Christian basilicas of Rome (IV–IX cent.) 3 (Città del Vaticano 1967) 55; V. Saxer, Sainte-Marie-Majeure. Une basilique de Rome dans l’histoire de la ville et de son église (Ve–XIIIe siècle) = Collection de l’École française de Rome 283 (Rom 2001) 56/ 9; Steigerwald, Aspekte 200f. 2 Brenk 8: »Es besteht kein Anlass, die Gleichzeitigkeit der Triumphbogen- und Langhausmosaiken mit technischen Argumenten zu bezweifeln«; vgl. 151f. 3 F. W. Deichmann, Die frühchristlichen Kirchen Roms (Basel 1948) 65f; Deckers 281f; ders.: Wilpert/Schumacher 309f. 4 Wilpert Taf. 16; Wilpert/Schumacher. Taf. 37. 5 Zum Erhaltungszustand Brenk 77. Den visuellen Beleg bietet Wilpert Taf. 16; zum Vergleich das restaurierte Mosaik: H. Karpp, Die frühchristlichen und mittelalterlichen Mosaiken in S. Maria Maggiore zu Rom (Baden-Baden 1966) Taf. 85. Brenk C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 154 Gerhard Steigerwald Bedeutung ist, dass das Bild der Tochter Pharaos noch wie ursprünglich vorhanden ist und nicht durch spätere Restaurierungen verändert wurde. Das originale erste Mosaikfeld der rechten Schiffswand ist zerstört, so dass sich die Darstellung der Pharaotochter heute in unmittelbarer Nähe zu den Mosaiken des Triumphbogens, der ehemaligen Apsisstirnwand, befindet. 1. Beschreibung des Mosaiks6 Im Zentrum der Darstellung steht der Moseknabe, den seine Amme, die gleichzeitig seine Mutter ist, der Tochter des Pharao zurückgibt. Die ausgestreckte Hand Gottes weist auf ihn. Die Tochter Pharaos, links außen thronend, wendet sich dem Moseknaben nicht zu, sondern zeigt, den Blick zum Betrachter gerichtet, mit drei ausgestreckten Fingern ihrer überaus großen rechten Hand auf einen geöffneten, mit Juwelen gefüllten Schmuckkasten, der von einer oder zwei Hofdamen gehalten wird. Die kostbar gekleidete Fürstin hat auf einem schmucklosen Thron mit Suppedaneum Platz genommen. Unmittelbar hinter ihr erhebt sich eine fassadenartige Architektur: entweder die Rückenlehne des Thrones oder die Fassade eines schmalen Giebelhäuschens. Begleitet wird die Tochter Pharaos von vier Hofdamen. Die letzte rechts außen hält in der verhüllten Linken einen vollen Korb. 2. Biblische Quelle: Ex. 2,9f Das Mosaik orientiert sich an Ex. 2,9f. Im damaligen Rom existierten zwei lateinische Übersetzungen des hebräischen Urtextes: eine ältere, die als Vetus Latina bezeichnet wird und die jüngere Vulgata des Hieronymus (um 347–ca. 420). Vetus Latina: Ex. 2,9f (9) . . . cumque fortis factus esset infans induxit eum ad filiam Pharaonis (10) et factus est ei in filio cognominavit autem nomen illius Moyses dicens quia de aqua eum suscepi7. Vulgata: Ex. 2,9f (9) . . . puerum adultumque tradidit filiae Pharaonis (10) quem illa adoptavit in locum filii vocavitque nomen eius Mosi dicens quia de aqua tuli eum8. Übersetzung: »Als der Knabe größer geworden war, brachte sie (seine Mutter) ihn der Tochter des Pharao. Diese nahm ihn als Sohn an, nannte ihn Mose und sagte: ›Ich habe ihn aus dem Wasser gezogen‹«9. 6 stellt fest: »Wer über den originalen Bestand der Mosaiken unterrichtet werden möchte, muss auf die originalen Tafeln Wilperts zurückgreifen, denen inzwischen Quellenwert zugekommen ist«. 6 Wilpert, Text 1, 447f; Deckers 128/30; ders.: Wilpert/Schumacher 311; Brenk 77f. 7 U. Robert, Pentateuchi versio latina antiquissima e codice Lugdunensi (Paris 1881) 51, Sp. 1, Z. 15. 8 Biblia sacra iuxta vulgatam versionem3 (Stuttgart 1985) 77. 9 Übersetzung nach der Einheitsübersetzung. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Wen stellt die Tochter Pharaos dar? 155 Zusammenfassende Erklärung des biblischen Textes10: Der Moseknabe war vor dem sicheren Tod gerettet worden. Der ägyptische Pharao hatte aus Angst vor Überfremdung befohlen, neugeborene jüdische Knaben zu töten. Seine eigene Tochter umging den Befehl und rettete den in einem Korb im Nil ausgesetzten Jungen. Sein Weinen hatte ihr Mitleid geweckt. Die in der Nähe weilende Schwester verstand es, die Mutter ihres kleinen Bruders als Amme zu vermitteln. Vereinbarungsgemäß brachte die Mutter den Jungen, nachdem er älter geworden war11, der Tochter des Pharao zurück. Diese adoptierte den Jungen, nahm als Mutter nun für sich das Recht der Namengebung in Anspruch und nannte ihn »Mose«, den aus dem Wasser Gezogenen. Nach dieser biblischen Erzählung hatte die Tochter des Pharao den Rang einer Prinzessin, jedoch nicht einer Pharaonin (Königin). Sie war als unverheiratete Frau eine Jungfrau und Mutter des adoptierten Mose. Der Moseknabe ist nach den obigen lateinischen Übersetzungen schon herangewachsen, als er von seiner Mutter der Tochter des Pharao gebracht wird, also kein erst abgestilltes, ungefähr dreijähriges Kind, wie nach dem hebräischen Urtext12. Mit der Adoption durch die Pharaotochter wird er in die ägyptische Königsfamilie aufgenommen. 3. Erklärung des Mosaiks13 Gedeutet werden zunächst die Hauptfiguren des Bildes: die Tochter des Pharao und der Moseknabe. Anschließend wird das Thema untersucht. a. Die Tochter des Pharao Die Tochter Pharaos ist als junge Frau dargestellt, bekränzt mit einem Juwelendiadem und herrlichem Kopfschmuck (Taf. 12d). Ein purpurnes, mit einer einzigen Perlenreihe belegtes Diademband umläuft eine Haarkappe. Seine Mitte schmückt ein goldgefasstes, rechteckiges, grünes Stirnjuwel. Ein weit größerer, gefasster Edelstein von der gleichen Art ruht darüber. Dieser bedeckt das vordere Ende des Nackenhaarwulstes14 und ist rechts und links von je einer perlenbesetzten, goldgefassten Haarnadel15 flankiert. Das Vorderhaar, unterhalb des Diadems, ist in einer gefurchten Kommentar zu Ex. 2,1/20: W. Schmidt, Exodus 1–6 = Biblischer Kommentar AT 2,1 (NeukirchenVluyn 1988) 49/73. 11 »Adultus« im Sinne von »herangewachsen«, »groß geworden« (H. Georges, Ausführliches LateinischDeutsches Handwörterbuch14 1 [Hannover 1976] 152 s. v. adultus). Vulgata »cumque fortis factus esset infans« ist wohl im selben Sinne zu verstehen. 12 So im Kommentar zum hebräischen Urtext: Schmidt, Exodus 72. 13 Deckers 128/32; Brenk 77/80. 119f; Steigerwald, Purpurgewänder 175/7. 14 Das ist wohl kaum ein Bügelansatz (Brenk 164), sondern nach Delbrueck, Kaiserporträts 52 eine 10 stumpfkantige Doppelflechte, die derb und breit geflochten ist. 15 Beispiele für Haarnadeln mit Edelsteinen: Rom, Konservatorenpalast, Büstenkanne: R. Delbrueck, Porträts byzantinischer Kaiserinnen: RömMitt 28 (1913) 315 Abb. 3a/b; Trier, Rheinisches Landesmuseum, Silberbüste aus Sirzenich (um oder nach 400): ebd. 332 Abb. 9; Trier, Kaiserresidenz und Bischofssitz, Ausstellungskat. Trier2 (Mainz 1984) 118 nr. 37 Abb. 37; weitere Beispiele: G. Steigerwald, Das kaiserliche Purpurprivileg in spätrömischer und frühbyzantinischer Zeit: JbAC 33 (1990) 231185. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 156 Gerhard Steigerwald Stirntour zusammengefasst und in einen Haarüberzug gehüllt. Ein Gehänge aus einem großen, tropfenförmigen blauen Stein und eine Perle verzieren die Ohren16. Charakteristisch für den Kopfschmuck der Kaiserinnen der Spätantike ist vor allem das Juwelendiadem: meistens ein Band mit zwei17, seltener mit einer einzigen18 Perlenreihe und einem (gewöhnlich runden, seltener rechteckigen19) Juwel über der Stirn20. Bei der Tochter Pharaos findet ein eher vereinzelt nachgewiesenes Diadem aus einer einzigen Perlenreihe mit einem rechteckigen Stirnjuwel Verwendung. Ungewöhnlich ist auch das zweite Stirnjuwel. Trotzdem bewertet Richard Delbrueck dieses Diadem als ein für das 5. Jh. signifikantes Augustadiadem21. Auch das in einer scharf gewellten Stirntour zusammengefasste Vorderhaar, das die Ohren bis auf das Ohrläppchen bedeckt22, und die zweiteilige Flechte23 des Nackenhaares, die gerade bis über die Stirn emporgeführt und dort mit zwei Haarnadeln24 befestigt ist, sind auf den Bildern der Augustae des 5. Jh. zu sehen25. Die Tochter Pharaos trägt also wie eine Augusta der spätrömischen Zeit ein Juwelendiadem, das wichtigste Insigne der Augusta26, mit dem übrigen kaiserlichen Kopfschmuck. Sie wird also als Augusta dem Betrachter vorgestellt. Die kostbare Kleidung ist nicht so leicht zu bestimmen. Richtungweisend ist die Feststellung Beat Brenks, das Kostüm stimme in groben Zügen mit dem Gewand der Jungfrau Maria am Triumphbogen überein27. Charakteristisch ist das Obergewand. Am meisten Zustimmung fand die Ansicht Brenks, es sei eine »Toga picta« bzw. eine Trabea, das Rangkostüm einer femina clarissima28. Jedoch konnten wir zeigen, dass es sich bei diesem Kleidungsstück um eine goldene Cyclas handelt29. Die Cyclas war eine Robe30. Darüber konnte ein Mantel oder ein Schleier getragen werden. Sie bestand nicht wie die Trabea aus Umwürfen mit Brücke und Balteus, sondern war ein geschürztes, eng anliegendes, diagonal-oval geformtes Kleid, das Schultern und OberZum Vergleich (s. Brenk 164) eignet sich kaum der Marmorkopf einer Dame in Como, Museo Archeologico Giovio (Delbrueck, Kaiserporträts 169f Taf. 69). Es ist kein doppeltes Diadem, wie Brenk 164 meint. Delbrueck ist unschlüssig, ob der Kopf, der mit einer Stephane, einer Perlenkette und dazu mit einer Kette von viereckigen Steinen geschmückt ist, überhaupt einer Augusta zuzuordnen ist. 17 Vgl. Flaccilla (Delbrueck, Kaiserporträts 101 nr. 3 Taf. 23, Flaccilla 3); Eudoxia Arcadii (ebd. 101 nr. 1 Taf. 23, Eudoxia Arcadii 1) Pulcheria (ebd. 102 nr. 2. 3. 4: Taf. 23, Pulcheria 2. 3. 4). 18 Pulcheria (ebd. 102 nr. 1 Taf. 23, Pulcheria 1). 19 Eudoxia Arcadii (ebd.101 nr. 1 Taf. 23, Eudoxia Arcadii 1; Pulcheria (ebd. 102 nr. 6 Taf. 23, Pulcheria 6). 20 Beschreibungen von spätantiken Augustadiademen: Steigerwald, Diss. 82/7; K. Wessel / E. Piltz / C. Nicolescu, Art. Insignien: RLByzKunst 3 (1978) 455/8. 21 Delbrueck, Porträts byz. Kaiserinnen 330f. Es ist keineswegs ein »kleines Diadem« (Deckers 29). 22 Flaccilla (Delbrueck, Kaiserporträts 101 nr. 1/3 Taf. 23, Flaccilla 1/3); Eudoxia Arcadii (ebd. 101 nr. 1/3 Taf. 23, Eudoxia Arcadii 1/3); Pulcheria (ebd. 102 nr. 1/6 Taf. 23, Pulcheria 1/6). 16 Pulcheria (ebd. 102 Taf. 23, Pulcheria 1/6). S. o. Anm. 15. 25 Delbrueck, Porträts byz. Kaiserinnen 330f. Deckers 132331 erkennt Ähnlichkeiten mit Diademen der Galla Placidia, relativiert diese an sich richtige Feststellung mit Hinweis auf das angebliche »Diadem« der Julia Anicia auf dem Titelbild des Wiener Dioscurides (A. Grabar, Die Kunst im Zeitalter Justinians vom Tod Theodosius’ I. bis zum Vordringen des Islam [München 1967] Abb. 214), das kein Juwelendiadem mit den Aufsätzen (spitzoval, dreiecksförmig) eines Augustadiadems ist (Steigerwald, Purpurgewänder 118325). 26 Steigerwald, Diss. 82/7; Wessel/Piltz/Nicolescu, Insignien (o. Anm. 20) 455/8. 27 Nach Brenk 77; Wilpert Taf. 53/5; Wilpert/ Schumacher Taf. 51/3. 28 Brenk 10. 25. 28; zum Ganzen 50/2. 29 Steigerwald, Purpurgewänder 93/104; zur Cyclas ebd. 103; U. Süssenbach, Cyclas: Bonner Historia Augusta Colloquium 1971 (1974) 185/231. Ausführliche Auseinandersetzung mit Brenk: Steigerwald, Purpurgewänder 96/8. 30 Über verschiedene Formen der Cyclas Steigerwald, Purpurgewänder 103. 104. 23 24 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Wen stellt die Tochter Pharaos dar? 157 arme bedeckte und einen Hängestreifen hatte31. Sie ist hier mit einem Juwelenkragen aus Perlen, Smaragden und Hyazinthen (Saphire) geschmückt und mit roten geometrischen Mustern bestickt. Das ist ein klarer Hinweis auf gemusterte Seide, weil diese Musterart nur bei Seidenkleidern verwendet wurde32. Unter der (hier nicht sichtbaren) diagonalen Partie der Cyclas zeigt sich ein bis zu den Knöcheln reichendes goldenes Gewand, wahrscheinlich eine (ärmellose?) Dalmatica, darunter eine weiße Frauendalmatica, von der nur die weißen (Schein-)Ärmel erkennbar sind, und zuletzt eine Untertunica mit roten Manicae. Den dazu gehörenden Hängestreifen (zwischen den Beinen) kann man nicht sehen. Goldene, mit roten Mustern verzierte Schuhe vollenden dieses Prachtkostüm. Um die Symbolik der goldenen Cyclas zu verstehen, muss gefragt werden: Wer war damit bekleidet? In den Mosaiken von S. Maria Maggiore tragen verschiedene Frauen die Cyclas: Die Braut33, die Brautführerin34 bei Eheschließungen, die Mutter Jesu als heilige Jungfrau (Verkündigung35, Darstellung Jesu im Tempel36, Magierszene37, Augustus-Vergil-Szene [Aphrodisius-Szene])38. Auf Bildern des 5. Jh. findet man allgemein dieses kostbare Gewand beim genannten Personenkreis: Bei der Braut39, bei der geweihten Jungfrau40 und bei Maria als Jungfrau41. Am Kaiserhof dagegen ist es als Kleid der regiae matronae42 überliefert, also der Ehefrau und der Mutter des Kaisers, die (noch) nicht zur Augusta erhoben waren. Für die Augusta wie die Prinzessin war die Cyclas nicht vorgesehen. 31 Ebd. 98. Von folgenden Details lässt sich an der Robe der thronenden Tochter Pharaos kaum etwas erkennen. Wir beschreiben die Elemente der Cyclas nach dem Kleid der stehenden Jungfrau Maria in der Augustus-Vergil-Szene (vormals AphrodisiusSzene) am Triumphbogen (Taf. 12e). Zur Neuinterpretation des Aphrodisius-Mosaiks Steigerwald, Aspekte 175/85. 32 Nach einer mündlichen Auskunft der Spezialistin Prof. Dr. Annemarie Stauffer (Köln). 33 S. Maria Maggiore, Jakob heiratet Rachel (Wilpert Taf. 12,2; Wilpert/Schumacher Taf. 32b); Mose heiratet Sephora (Wilpert Taf. 17; Wilpert/Schumacher Taf. 38). 34 Rom, S. Maria Maggiore, Moses Vermählung mit Sephora, Dame links außen: Wilpert Taf. 17; Wilpert/Schumacher Taf. 38. Literarischer Beleg: Sidon. Apoll. ep. 1,5,11 (MG AA 8, 8 Luetjohann). Dazu Steigerwald, Purpurgewänder 103220. 35 Wilpert Taf. 53/5; Wilpert/Schumacher Taf. 51/3. 36 Wilpert Taf. 57/60; Wilpert/Schumacher Taf. 54/7. 37 Wilpert Taf. 63/5; Wilpert/Schumacher Taf. 61/3. 38 Wilpert Taf. 66/8; Wilpert/Schumacher Taf. 64/6. 39 New York, Metropolitan Museum of Art, Goldglas (um 400; Ch. R. Morey, The gold-glass collection of the Vatican Library with additional catalogues of other gold-glass collections [Città del Vaticano 1959] 72 nr. 447 Taf. 36); vgl. Steigerwald, Rolle 140. 40 Jungfrau und Märtyrerin Agnes, Goldglas (spätes 4. Jh.; Morey 49 nr. 283 Taf. 28); Rom, Katechetenraum unter dem Ospedale di S. Giovanni, Krönung einer geweihten Jungfrau (Cyclas-Kostüm) und einer Frau mit Haube in fast zerstörter und nicht identifizierbarer Kleidung durch den nimbierten Christus (B. Brenk, Die Christianisierung der spätrömischen Welt [Wiesbaden 2003] 126/8 Abb. 196); keine feminae clarissimae, wie Brenk meint; vielleicht Mutter und Tochter. Beide Frauen sind keine »kanonisierten« Heiligen wie die nimbierten Märtyrer Crescentia, Vitus und Modestus im nahe gelegenen Fresko (ebd. Abb. 197) und deswegen wohl ohne Nimbus, sondern vertraute Verstorbene, die von Christus den Kranz des Lebens (Apc. 2,10) empfangen. Weitere Beispiele von geweihten Jungfrauen: Ravenna, S. Apollinare Nuovo, Jungfrauen und Märtyrinnen (F. W. Deichmann, Frühchristliche Bauten und Mosaiken von Ravenna [Wiesbaden 1958] Taf. 128/32. 134f; Steigerwald, Purpurgewänder 95f; ders., Rolle 140f). S. bes. u. S. 165. 41 Mailand, Domschatz, Fünfteiliges Diptychon (nach 460; W. F. Volbach, Elfenbeinarbeiten der Spätantike und des frühen Mittelalters3 [Mainz 1976] 84 nr. 119 Taf. 63); Steigerwald, Purpurgewänder 96; ders., Rolle 140f. 42 Hist. Aug. Alex. Sev. 41, 1 (1, 283 Hohl); übers. Steigerwald, Purpurgewänder 102; ders., Rolle 141. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 158 Gerhard Steigerwald In welcher Funktion trägt nun die Tochter Pharaos dieses kostbare Gewand? In der Forschung ist man schon immer ohne nähere Überprüfung davon ausgegangen, dass sie dem Bibeltext entsprechend als Prinzessin mit dieser Robe bekleidet ist43. Dies kann nach den obigen Ausführungen nicht zutreffen. Die Pharaonentochter kann hier weder als Prinzessin, schon gar nicht als Braut oder Brautführerin die Cyclas mit sich führen, auch nicht als regia matrona. Gegen Letzteres spricht das Juwelendiadem auf ihrem Haupt, das nur eine Augusta tragen durfte. Dieser Überblick über die Verwendung der goldenen Cyclas bietet eigentlich nur die Möglichkeit, im Prachtkostüm der Tochter Pharaos das Kleid einer geweihten Jungfrau zu erkennen. Es ergibt sich daraus eine neue These, bisher in der Forschung noch nicht vorgelegt: Die Tochter des Pharao ist dargestellt wie eine Kaiserin und geweihte Jungfrau der spätrömischen Zeit. Mit diesem Interpretationsvorschlag betreten wir in der Forschung Neuland. Im Anschluss an Reiner Haussherr44 wird man entgegnen, der Künstler stellte die Pharaotochter nach der Ikonographie seiner Zeit dar. Ungenauigkeiten seien dabei nicht sehr ernst zu nehmen. Für seine Behauptung bezieht sich Haussherr ausdrücklich auf diese Darstellung der Pharaotochter, jedoch ohne seine These zu beweisen. Er geht nicht auf die Eigenart dieser Kleidung ein. So bleibt offen, was dieses Kostüm nach der Ikonographie ihrer Zeit bedeutet. Eine Überprüfung der Äußerungen Haussherrs an anderen Herrscherbildern in S. Maria Maggiore zeigt, dass »Ungenauigkeiten« höchst bedeutsam sind. An ihnen kann sich eine Distanz von historischen Herrschern gegenüber gleichgestellten zeitgenössischen Würdenträgern zeigen. So ist Kaiser Augustus (bisher Aphrodisius) in der Augustus-Vergil-Szene45 nicht mit den Insignien eines spätantiken Kaisers dargestellt, ebenso wenig Kaiser Nero auf einem Relief des Sarkophags von Berja (Spanien)46, der in Rom um 400 geschaffen wurde. Beide tragen das glatte Diademband der hellenistischen Herrscher und der römischen Könige der Vorzeit47 und nicht das Juwelendiadem der Kaiser bzw. Könige der Spätantike. Das Gleiche gilt für die Darstellungen des Herodes48 und der fünf Könige der Amoriter49 in S. Maria Maggiore. Die Könige sind nicht mit einem Juwelendiadem, sondern nur mit einem glatten Diademband aus ihrer Umgebung hervorgehoben. Auch vom Moseknaben als Caesar gilt Analoges: Er trägt die Zwiebelknopffibel eines Beamten50 und nicht die Edelsteinfibel eines Caesars. Diese Unterscheidung zwischen 43 Seit Wilpert (Text 1, 447) wird das immer wieder gesagt (zB. A. Grabar, L’empereur dans l’art byzantin = Publications de la faculté des lettres de l’Université de Strasbourg 75 [Paris 1936 bzw. London 1971] 226); Deckers 132; aber bisher wurde dafür kein Nachweis erbracht; weitere Befürworter des Gewandes einer Prinzessin bei Brenk 51. 44 R. Haussherr, Convenevolezza: Historische Angemessenheit in der Darstellung von Kostüm und Schauplatz seit der Spätantike bis ins 16. Jh. = AbhMainz 1984 nr. 4, 16. Den Hinweis verdanken wir J. G. Deckers. 45 Wilpert Taf. 66/8; Wilpert/Schumacher Taf. 64/6; Steigerwald, Aspekte 177/9. 46 Madrid, Museo Arqeologico Nacional: U. Fasola, Spuren auf dem Felsen. Petrus und Paulus in Rom (Rom 1980) 78f Abb. auf S. 78. A. Alföldi, Die monarchische Repräsentation im römischen Kaiserreiche (Darmstadt 1980) 263. 267; Delbrueck, Kaiserporträts 58f. 48 Empfang der Weisen (Wilpert Taf. 61f; Wilpert/Schumacher Taf. 59f) und Befehl zum Kindermord (Wilpert Taf. 69; Wilpert/Schumacher Taf. 67). 49 Bei ihrer Niederlage (Wilpert Taf. 27; Wilpert/ Schumacher Taf. 49); bei ihrer Hinrichtung (Wilpert Taf. 28,2; Wilpert/Schumacher Taf. 50b). 50 ZB. Stilicho und sein Sohn Eucherius: Monza, Domschatz, Diptychon (Volbach, Elfenbeinarbeiten 55 nr. 63 Taf. 35); weitere Belege: K. Wessel, Art. Fibel: RLByzKunst 2 (1971) 546f. 47 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Wen stellt die Tochter Pharaos dar? 159 geschichtlichen und zeitgenössischen Herrschern war möglicherweise deshalb wichtig, weil der Betrachter einen zeitgenössischen Herrscher von einer königlichen Person der Vergangenheit in einem Bild unterscheiden sollte. Als Entgegnung auf die These Haussherrs ist daran festzuhalten: Das kaiserliche Juwelendiadem und die goldene Cyclas der Tochter Pharaos sind keine nebensächlichen Ungenauigkeiten, sondern eine ernstzunehmende Bildaussage. b. Der Moseknabe Mose ist im Alter eines herangewachsenen Jungen dargestellt. Dabei orientiert man sich nicht, wie gesagt51, am hebräischen Urtext, sondern an den lateinischen Übersetzungen von Vetus Latina und Vulgata. Er trägt (wie auch in der unteren Szene) eine knöchellange schwarzblaue, hyazinthpurpurne52 Chlamys mit großem, goldenen Tablion, deren Farbwert im Mosaikzyklus von S. Maria Maggiore in herrscherlichen Szenen53 dem kaiserlichen, schwarzroten Blattapurpur54 entspricht. Die weisse, langärmelige, knöchellange Tunica ist mit goldbestickten Paragaudae und Schulterbesätzen und goldenen Manicae geschmückt und hat einen breiten Purpursaum. Moses Haar fällt in Strähnen nach vorn und endet über den Brauen in einem glatten Bogen55. Man vermutete bisher, ohne näheren Nachweis, dass der Moseknabe in der Würde eines spätantiken Prinzen dargestellt sei56. Rangbezeichnend scheint seine blaue, hyazinthpurpurne bzw. blattapurpurne Chlamys mit dem goldenen Tablion zu sein. Sie findet sich im Mosaikzyklus von S. Maria Maggiore auch bei Kaiser Augustus (früher: Aphrodisius)57, König Herodes58 und anderen Personen in Herrscherfunktion (Josua59 und Esau60). Bei Augustus ist die Chlamys kaiserliches Friedenskostüm, bei den übrigen Männern Feldherrenmantel61. Der Moseknabe unterscheidet sich von diesen Herrschergestalten durch das fehlende (schmucklose) Diademband und die nicht vorhandene Edelsteinfibel mit Perlenpendilien (s. Augustus). Er ist also von geringerem Rang als jene Fürsten. Diese Zuteilung der Purpurchlamys und weiterer kaiserlicher Insignien in den Mosaiken von S. Maria Maggiore findet ihre Erklärung in den dynastischen Gepflogenheiten der Spätantike. Die Purpurchlamys war das Amtsinsigne des Kaisers, der Kaiserin und des Caesars und ihnen reserviert62. Der Caesar unterschied sich von jenen durch S. o. S. 154f. Zu dieser speziellen Purpursorte G. Steigerwald, Die Purpursorten im Preisedikt Diokletians vom Jahre 301: ByzForsch 5 (1990) 255168. 53 Bes. deutlich bei den beiden Herodesbildern am Triumphbogen in S. Maria Maggiore: Empfang der Weisen (Wilpert Taf. 61f; Wilpert/Schumacher Taf. 59f) und Befehl zum Kindermord (Wilpert Taf. 69; Wilpert/Schumacher Taf. 67). 54 Zum doppelgefärbten, schwarzroten Blattapurpur G. Steigerwald, Die antike Purpurfärberei nach dem Bericht Plinius’ des Älteren in seiner Naturalis historia: Traditio 42 (1986) 22/4; ders., Purpursorten (o. Anm. 52) 224/37. 55 Deckers 130. 51 52 56 ZB. Wilpert; Text 1, 448; Deckers 131; Haussherr, Convenevolezza (o. Anm. 44) 16. 57 Frühere Aphrodisiusszene (Steigerwald, Aspekte 177/9 ); Wilpert Taf. 66/8; Wilpert/Schumacher Taf. 64/6. 58 Belege Anm. 48. 59 Steigerwald, Purpurgewänder 173f; Wilpert Taf. 23. 25. 26. 27. 28; Wilpert/Schumacher Taf. 45. 47. 48. 49. 50. 60 Steigerwald, Purpurgewänder 174; Wilpert Taf. 13.2; Wilpert/Schumacher Taf. 35. 61 Steigerwald, Aspekte 179; ders., Purpurgewänder 173/5. 62 Steigerwald, Purpurprivileg (o. Anm. 15) 211f. 238; ders., Art. Purpur: LexMA 7 (1996) 330f. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 160 Gerhard Steigerwald das fehlende Juwelendiadem und die nicht vorhandenen Perlenpendilien an der Edelsteinfibel. Bei einem Anonymus ist zu lesen: »Wenn einer von seinem Haupt das Diadem abgelegt hat, ist er ein Caesar und kein vollkommener Herrscher, und wenn er dazu noch den Purpur (Purpurchlamys) abgelegt hat, ist er nur noch ein einfacher Mann«63. Diese Parallelen sprechen dafür, den Moseknaben im Rang eines Nobilissimus Caesar64, eines Kronprinzen, dargestellt zu sehen. Seine Zwiebelknopffibel65 im unteren Bild und seine Haartracht haben wohl kaum kaiserlichen Charakter. Sie finden sich auch bei Männern, die nicht zum Kaiserhaus gehören66. Damit wird Mose, wie schon oben angeführt67, als geschichtlicher und nicht zeitgenössischer Caesar gekennzeichnet. Rangspezifisch ist vor allem die hyazinthpurpurne bzw. die blattapurpurne Farbe seiner Chlamys68. c. Das Thema des Mosaiks Im Bild wird der Moseknabe von seiner Mutter an die Tochter des Pharao respektvoll übergeben. Dies geschieht wohl in einem Thronsaal im Innern des Palastes69. Die Tochter Pharaos thront dabei wie eine Kaiserin der frühbyzantinischen Zeit steif, distanziert, abgehoben70 und mit ernstem71 Gesicht, umgeben von vier Hofdamen. Von letzteren ist im Bibeltext nicht die Rede. Aber das Hofzeremoniell verlangt ihre Anwesenheit, denn eine kaiserliche Person darf bei einer offiziellen Veranstaltung nicht ohne Begleitung auftreten. Die Damen sind kostbar gekleidet, tragen aber kein Rangkostüm. Die Szene erinnert an eine Inductio, eine Einführung, am Kaiserhof, wie das bereits Johannes Deckers72 erkannt hat. Bei einer Inductio legt eine einführende Person ihrem Schützling die Hand auf die rechte Schulter und stellt ihn dem Kaiser bzw. einem Beamten vor73. Wie Deckers74 festgestellt hat, orientiert sich der Ideengeber für die Übergabe an dem »induxit eum«75 der Vetus Latina, also an dem genannten Einführungszeremoniell, und nicht am »tradidit eum« der Vulgata76. Deswegen legt im Anonym. de trinit. 8,13 (CCL 9, 117f Bulhart); s. noch Steigerwald, Purpurprivileg 213f (strafrechtlicher Schutz der Purpurchlamys des Caesars). 64 Zum Ganzen A. Lippold, Art. Nobilissimus: KlPauly 4 (1972) 143. 65 Wessel, Fibel (o. Anm. 50) 546; zu Fibeln von Kaisern des 5. Jh. ebd. 539/41, eine neue Erkenntnis, die wir Deckers verdanken, womit wir unsere Ausführungen Purpurgewänder 177 revidieren. 66 Haartracht: Deckers 131; zB. bei Stilicho und seinem Sohn, Monza, Domschatz, Diptychon, Stilicho und Serena (Volbach, Elfenbeinarbeiten nr. 63 Taf. 35); Fibeln von Beamten: Wessel, Fibel (o. Anm. 50) 546f. 67 S. o. S. 158. 68 Belege s. Anm 62. 69 Brenk 77: »Das Umbra ist die Farbe des Palastinneren«. 70 Dazu O. Treitinger, Die oströmische Kaiser- und Reichsidee nach ihrer Gestaltung im römischen Zeremoniell (Jena 1938) 49/124. 63 71 Es ist wohl der »sacer vultus« der kaiserlichen Majestät; wie ihn Augustinus beschreibt: »gestamus vultum eius; quomodo dicuntur vultus imperatorum, vere quidam sacer vultus dei est in imagine ipsius; sed iniqui non cognoscunt in se imaginem dei« (Aug. en. in Ps. 66,4 [CCL 39, 861,30/2 Dekkers/ Fraipont]). 72 Deckers 131. 73 S. übernächste Anm. 74 Deckers 131. 75 U. Robert, Pentateuchi versio latina antiquissima e codice Lugdunensi (Paris 1881) 51, Sp. 1, Z. 15. Damit ist ein Begriff gewählt, der auch für die Vorstellung (Praesentatio) bei einer höher gestellten Institution (zB. Senat) oder Person (Beamter) verwandt wurde (a quo induceretur ad regem: Curt. Ruf. 6,7,17 [76 Hedicke]). 76 Ex. 2,9. 10: Biblia sacra iuxta vulgatam versionem3 1 (Stuttgart 1985) 77. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Wen stellt die Tochter Pharaos dar? 161 Mosaikbild die Mutter des Mose wie bei einer Vorstellung ihre Rechte auf die Schulter ihres Kindes77. Der Moseknabe tritt dabei in der Purpurchlamys eines Caesars auf, also in der Tracht eines Kronprinzen. Das ist ein Zeichen dafür, dass er Sohn der Tochter Pharaos ist und damit zur königlichen Familie der Tochter Pharaos gehört78. Im Bild schwebt die Hand Gottes über dem Moseknaben. Sie ist eine eigene Idee des Entwerfers. Weder von Gott noch von seiner Hand ist im biblischen Text die Rede. Man interpretiert die Hand Gottes als Zeichen der göttlichen Erwählung79 des Knaben. Die Tochter Pharaos entlohnt die Amme für ihren Dienst, indem sie dabei ist, ihr aus dem Schmuckkasten ein Schmuckstück zu reichen. Zwei Höhepunkte hat dieses Mosaik: 1. die Adoption des Moseknaben durch die Tochter Pharaos und seine Aufnahme in die Familie des Pharao, wodurch er zum königlichen Prinzen erhoben wird, und 2. seine göttliche Erwählung. Der Gotterwählte, der das Volk Gottes aus Ägypten führen wird, ist eine Gestalt nicht nur aus dem Volk Abrahams, sondern auch aus dem Herrscherhaus der Pharaonen, dem er als Prinz angehört. Der Moseknabe steht im Zentrum des Geschehens, nicht die Tochter des Pharao. Sie ist die Mutter des Prinzen, aber ihr Rang am Hof bleibt davon unberührt: Sie war und ist die Tochter des Pharao. Abschließend soll hervorgehoben werden: Es lässt sich weder aus dem biblischen Wort noch aus den Gepflogenheiten des spätrömisch-frühbyzantinischen Kaiserhauses erklären, warum man die Pharaotochter entsprechend der Bibel nicht mit dem Schmuck einer spätrömischen Königstochter bzw. Prinzessin dargestellt hat, sondern mit dem Diadem einer Augusta. Für die Tochter eines Kaisers stand die Würde einer »nobilissima puella«80 oder einer »nobilissima femina«81 zur Verfügung. Schon gar nicht bietet der Text eine Erklärung dafür, dass die Tochter Pharaos das Kleid einer geweihten Jungfrau trägt. Für unverheiratete Frauen oder gewöhnliche Jungfrauen ist die goldene Cyclas nicht bezeugt. Weist diese Ausstattung der Pharaotochter über ihre Person hinaus auf eine zeitgenössische Frau hin? Da das Augustadiadem dem Typ eines Kaiserinnendiadems des 5. Jh. entspricht, könnte es auf eine Kaiserin dieser Zeit aufmerksam machen. Jedoch passt zu einer spätantiken Kaiserin nicht das Cyclaskostüm einer geweihten Jungfrau. 77 Weil mit der Praesentatio nicht unbedingt eine Übergabe verbunden war, genügte Hieronymus wohl das »induxit« der Vetus Latina nicht, und er übersetzte statt dessen »tradidit«. 78 Dagegen erscheint die typologische Begründung von Brenk 79, ihr liege die Vorstellung von Christus als »Desptfc«, also als Kaiser, zugrunde, nicht ganz zutreffend, weil die Purpurchlamys hier nicht Insigne des Kaisers, sondern des Caesar ist. 79 Weitere Beispiele in S. Maria Maggiore: Isaak segnet Jakob (Wilpert Taf. 11,1; Wilpert/Schumacher Taf. 31); Mose am brennenden Dornbusch (Wilpert Taf. 17; Wilpert/Schumacher Taf. 38); andererseits begegnet in S. Maria Maggiore die Hand Gottes als rettende Hand; Die vereitelte Steinigung des Mose (Wilpert Taf. 21; Wilpert/Schu- macher Taf. 43); Steinhagel über die Amoriter (Wilpert Taf. 27; Wilpert/Schumacher Taf. 49). Deckers 132 mit Anm. 104 bewertet sie als Zeichen für eine Wende im Geschick des Verbündeten. 80 In griechischer Version »Þpivanesttf«; für Pulcheria, Tochter des Kaisers Arcadius, die spätere Augusta Pulcheria (Chron. pasch. s. a. 399: 571 Bonn; PG 92, 785); »nobilissimae« als Titel der Töchter des Kaisers Arcadius: Chron. Pasch. a. 414: 571 Bonn; PG 92, 785; vgl. H. Grégoire / M. A. Kugener: Quand est né l’empereur Théodose II?: Byzantion 4 (1927/28) 344; Holum 81. 134; Lippold, Nobilissimus (o. Anm. 64). 81 Lippold, Nobilissimus 143; W. Ensslin, Art. Nobilissimus: PW 17,1 (1936) 791. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 162 Gerhard Steigerwald Zur Amtstracht der Augusta gehörte eine Purpurchlamys82 oder, seltener überliefert, ein Consularkostüm83. Diese Ausstattung mit Juwelendiadem und Cyclas würde nur einer Frau entsprechen, die sowohl Augusta als auch geweihte Jungfrau wäre. Unter den christlichen Kaiserinnen der Spätantike gab es tatsächlich eine Fürstin, die dem entsprach: Kaiserin Aelia Pulcheria (399–453), die ältere Schwester des Kaisers Theodosius II (408–450). Sie war die einzige Augusta der Spätantike, die auch geweihte Jungfrau war84. Das würde bedeuten, dass im vorliegenden Mosaik die Tochter Pharaos in einer zweiten Ebene durch Juwelendiadem und Cyclaskostüm an die Kaiserin Pulcheria erinnert. Das Bild der Kaiserin-Jungfrau Pulcheria kann man als Kryptobild bezeichnen. Es verbirgt sich in dem Bild der Tochter des Pharao und ist nur an einzelnen Bildelementen erkennbar. Diese ungewöhnliche These soll überprüft werden, indem die Daten des Kryptobildes mit den Darstellungen der Aelia Pulcheria verglichen werden. Dazu werden ihre Bilder im Rahmen ihrer Lebensgeschichte vorgestellt. 4. Darstellungen der Aelia Pulcheria (499–453) im Rahmen ihrer Lebensgeschichte a. Bilder der Aelia Pulcheria als Kaiserin Aelia Pulcheria war eine ungewöhnliche Frau und Kaiserin85. Als älteste Tochter des Kaisers Arcadius (395–408) und seiner Gemahlin, der Kaiserin Eudoxia, wurde sie am 19. Januar 399 zu Konstantinopel geboren. Schon im Jahre 408 war sie zusammen mit ihrem neun Jahre jüngeren Bruder Theodosius und ihren Schwestern Vollwaise. Sie war außerordentlich klug und von einer hervorragenden politischen Begabung. Sie schaffte es, bereits im Alter von 15 Jahren, am 4. Juli 414, zur Augusta erhoben zu werden86 und den bisher leitenden Staatsmann, den Prätorianerpräfekten Anthemius, zum Rücktritt zu veranlassen. Pulcheria, fast noch ein Mädchen, war nun Alleinherrscherin des östlichen Reiches, rechtlich allerdings nicht in eigenem Namen, sondern in dem ihres noch unmündigen Bruders Theodosius II. Nicht nur in staatlichen, auch in kirchlichen Angelegenheiten übte sie einen beherrschenden Einfluss aus87. Sobald ihrem Bruder die Ausübung der Staatsmacht zugebilligt war, trat sie zur Wahrung der staatsrechtlichen Erfordernisse hinter ihn zurück88, wirkte aber im Stillen. Die Verhältnisse änderten sich nicht wesentlich nach der Hochzeit ihres Bruders mit Eudocia, ja bis zu dessen Tod im Jahr 450. Nun war sie wieder die entscheidende Persönlichkeit des Reiches. Sie ließ unverzüglich den Obersten Marcianus in den Palast kommen, trug ihm die Kaiserwürde und die Ehe an, jedoch unter der Bedingung, 82 ZB. Galla Placidia, Haager Goldmedaillon gegen 425 (Taf. 12c; Delbrueck, Kaiserporträts 104 nr. 4 Taf. 25, Galla Placidia 4; Steigerwald, Diss. 65f nr. 83f); zum Ganzen ebd. 118f; ders., Purpurprivileg (o. Anm. 15) 227. 83 ZB. Licinia Eudoxia, Solidus: Delbrueck, Kaiserporträts 103 nr. 6 Taf. 24, Licinia Eudoxia 6; zum Ganzen Steigerwald, Diss. 121/5. 84 Soz. h. e. 9,1,2. 3 (GCS 50, 390 Bidez); Philostorg. h. e. 11,6 (GCS 21, 126 Bidez); 12,7 (ebd. 145). 85 Zur Kaiserin Aelia Pulcheria W. Ensslin, Art. Pulcheria 2: PW 23,2 (1959) 1954/63; Holum 79/111. 147/74; Lamirade 279/313; G. Schmalzbauer, Art. Pulcheria: LexMA 7 (1995) 323; A. Demandt, Geschichte der Spätantike. Das römische Reich von Diocletian bis Justinian 284–5652 (München 2008) 133. 86 Soz. h. e. 9,1,5 (GCS 50, 390 Bidez); Marcell. Com. s. a. 414 (MG AA 11, 71 Mommsen); Chron. Pasch. a. 414 (571 Bonn; PG 92, 785); Ensslin, Pulcheria 1955; Holum 97; Lamirade 281. 87 Soz. h. e. 9,1,5 (GCS 50, 390 Bidez); Theophan. a. m. 5901 (PG 108, 224A); Holum 97; Lamirade 284. 88 Soz. h. e. 9,1,6 (GCS 50, 391 Bidez) C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Wen stellt die Tochter Pharaos dar? 163 dass er ihre geweihte Jungfräulichkeit respektiere und mit einer Josefsehe einverstanden sei89. Nach dessen Zustimmung heiratete sie Marcianus (450–457), der zum Kaiser erhoben wurde. Das Wirken Pulcherias galt vor allem dem rechten Glauben, wie er beim Konzil von Ephesus (431) formuliert und im Tomus Leonis (des Papstes Leo des Großen) an Flavianus niedergelegt worden war. Ihre Rolle bei den Auseinandersetzungen mit Nestorius, dem Patriarchen von Konstantinopel (428–431), um die Gottheit Christi und die Gottesmutterschaft Mariens und bei dessen Absetzung ist ungeklärt. Kenneth G. Holum90 gebührt das Verdienst, dieses Problem in der Forschung eingehend zur Sprache gebracht zu haben. Er sieht die Kaiserin im Kampf gegen Nestorius tatkräftig am Werk. Jedoch bleibt die Suche nach eindeutigen Hinweisen dafür weiterhin eine Aufgabe der Forschung. Erneute Auseinandersetzungen über die Konzilsbeschlüsse führten schließlich zu einem Allgemeinen Konzil, das zuerst in Nicaea abgehalten, später nach Chalzedon verlegt wurde (451)91. Zunächst war Papst Leo der Große (440–461) gegen die Einberufung des Konzils gewesen, doch gedrängt von Pulcheria und Marcianus hat er schließlich nachgegeben. Begleitet wurde dieser Kampf von einem intensiven Briefwechsel des Papstes Leo mit der Kaiserin. Pulcheria hatte offenbar einen entscheidenden Einfluss auf den Gang der Konzilsverhandlungen. Auf dem Höhepunkt des Konzils war mit dem Kaiser auch Pulcheria anwesend. Dabei wurde sie akklamiert, hier sogar vor dem Kaiser92. Die Kaiserin lebte nur noch wenige Jahre. Sie starb 453. Nach ihrem Tod verlor die Kirchenpolitik ihres Gemahls an Energie. Zeugnis von ihrer kaiserlichen Würde geben ihre Münzbilder. Es sind die einzigen Darstellungen, die nach unserer Kenntnis von ihr vorhanden und sicher zu identifizieren sind. Sie zeugen von ihrer Lebenszeit als Kaiserin und wurden selbst dann noch geschlagen, als ihr Bruder offiziell die Regentschaft angetreten hatte und als nach seiner Heirat (421) Eudocia als seine Gattin und als neue Augusta ihm zur Seite getreten war. Das ergibt sich aus einer chronologischen Auflistung ihrer Münztypen durch Delbrueck, die sich an den Münzrückseiten93 orientiert: Solidus der Münzstätte Konstantinopel, vor 421 geprägt (Taf. 12b)94 Solidus der Münzstätte Konstantinopel, circa 420 bis 43095 Solidus der Münzstätte Konstantinopel, circa 420 bis 43096 Solidus der Münzstätte Konstantinopel, circa 430 bis 44097 Solidus der Münzstätte Konstantinopel, um 44198 Solidus der Münzstätte Konstantinopel, 450 bis 45399 Die goldenen Solidi, geschlagen in der Münzstätte Konstantinopels, tragen ihr Bild in das ganze Reich und verkünden allen Bewohnern ihre kaiserliche Macht und Würde: Ihr Haupt ist mit dem Juwelendiadem der Augusta gekrönt100. Zum Zeichen, dass Theophan. a. m. 5942 (PG 108, 265C/267A). Holum 153/74. 91 Ebd. 199/216. 92 Ebd. 215f. 93 Delbrueck, Kaiserporträts 101. 94 Ebd. 102 nr. 1 (Taf. 23 Pulcheria 1); J. Sabatier, Description générale des monnaies byzantines 1 (Paris 1862 bzw. Graz 1955) 127 nr. 2 Taf. 6,12. 95 Delbrueck, Kaiserporträts 102 nr. 2 Taf. 23 Pulcheria 2; Sabatier 1, 127 nr. 4 Taf. 6,14. 89 90 96 Delbrueck, Kaiserporträts 102 nr. 3 Taf. 23, Pulcheria 3. 97 Delbrueck, Kaiserporträts 102 nr. 4 Taf. 23, Pulcheria 4; Sabatier 1, 127 nr. 5 Taf. 6,15. 98 Delbrueck, Kaiserporträts 102 nr. 5 Taf. 23, Pulcheria 5; Sabatier 1, 126 nr. 1. 99 Delbrueck, Kaiserporträts 102 nr. 6 Taf. 23, Pulcheria 6; Sabatier 1, 127 nr. 3 Taf. 6,13. 100 Steigerwald, Diss. 83/7; Wessel/Piltz/Nicolescu, Insignien (o. Anm. 20) 455/64. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 164 Gerhard Steigerwald sie ihre Macht von Gott empfangen hat, wird sie von der Hand Gottes gekrönt101. Ihre Kleidung, die (Purpur-)Chlamys102, ist die Amtstracht der Augusta und ist geschmückt mit einer Edelsteinfibel mit drei Pendilien, die nur dem Kaiser und der Kaiserin zustand103. Von ihrer tatsächlichen Macht zeugt darüber hinaus das Faktum, dass am 30. 12. 414 ihre Statue neben dem Bild ihres Bruders, Theodosius II, und des Kaisers des Westens, Honorius, im Senat von Konstantinopel aufgestellt wurde104. Sie erscheint dem westlichen Kaiser gleichgestellt, obwohl sie im Westen nicht als Kaiserin anerkannt wird. Auch ein Standbild in der Chalke, ebenfalls nur literarisch bekannt, könnte in dieser Zeit aufgestellt worden sein105. Aus Anlass der Heirat mit Marcianus wurde eine Goldmünze geschlagen, die auf ihrer Rückseite zeigt, wie Christus in der Mitte Marcianus und Pulcheria zur Ehe verbindet106. Auch ein Bild der Pulcheria zusammen mit Marcianus in der Säulenhalle des Theodosius wird erwähnt107. b. Bilder der Aelia Pulcheria als geweihte Jungfrau Pulcherias Religiosität war außerordentlich: Sie gelobte öffentlich bereits im Alter von 14 Jahren ewige Jungfräulichkeit108, es war vor dem 1. Juli 413109. Sie bewog ihre Schwestern dazu, dasselbe zu tun. Mit ihnen zusammen lebte sie im Kaiserpalast wie in einem Kloster110. Aus dieser Zeit stammt vielleicht auch ein verlorenes silbernes Bild der Pulcheria mit ihren Schwestern111. Wie es sonst bei den geweihten Jungfrauen üblich war, wird auch Pulcheria das Gelübde der Jungfräulichkeit bei einem liturgischen Akt, der Jungfrauenweihe112, wohl in der Großen Kirche, der Kathedralkirche von Konstantinopel, vor dem Patriarchen der Stadt unter Anwesenheit vieler Gläubigen abgelegt haben. Dafür spricht der Prachtaltar aus Gold und Edelsteinen, den sie dort aufstellen ließ mit einer gut erkennbaren Inschrift, die etwa folgenden Inhalt hatte113: »Aus Anlass meiner eigenen Jungfräulichkeit und meines Bruders Herrschaft«114. Bei der Ansprache zur Jungfrauenweihe bezog man sich gerne, zur Deutung der Würde der geweihten Jungfrau, auf den Psalm 45 bzw. 44115, der deswegen auch »hymnus virginitatis«116 genannt wurde. Dieser war ursprünglich als Hochzeitslied für einen König konzipiert. Eine JungfrauSteigerwald, Purpurgewänder 89f. Steigerwald, Diss. 116/20; Wessel/Piltz/Nicolescu, Insignien 475/7. 103 Die insignienhafte Bedeutung der Fibel der Augusta mit den 3 Pendilien ergibt sich aus ihrer Übereinstimmung mit der gleichartigen Fibel des Kaisers: Wessel, Fibel (o. Anm. 50) 537/40. 104 Chron. Pasch. a. 414 (PG 92, 785C); Marcell. Com. a. 414 (MG AA 11, 71 Mommsen). 105 Anonymi Byzantini parastaseis syntomoi chronikai 33 (Th. Preger, Scriptores originum Constantinopolitanarum 1 [Lipsiae 1901] 38, Z. 7). 106 Solidus, geschlagen in Konstantinopel 450: Holum 210 Abb. 18 107 Anonymi Byzantini parastaseis 45 (52, Z. 16f Preger). 108 Soz. h. e. 9,1,3 (GCS 50, 390 Bidez); Theoph. a. m. 5901 (PG 108, 224A); dazu: Ensslin, Pulcheria 101 102 (o. Anm. 85) 1955; Holum 93. 143/5; Lamirade 281. 109 Nach Holum 93. 110 Soz. h. e. 9,1. 3 (GCS 50, 390 Bidez); Theodrt. h. e. 5,36 (PG 82, 1268B); Lamirade 282. 111 Anonymi Byzantini parastaseis 31 (37, Z. 17f Preger). 112 R. Metz, La consécration des vierges dans l’église romaine (Paris 1954) 120f. 113 Die Inschrift ist nicht wortwörtlich überliefert. Nach Sozemenos (s. nächste Anmerkung) hatte sie etwa den angegebenen Inhalt. 114 Soz. h. e. 9,1,3f (GCS 50, 390 Bidez). 115 J. Wilpert, Die gottgeweihten Jungfrauen in den ersten Jahrhunderten (Freiburg im Breisgau 1892) 11f. 116 PsAmbr. (4. Jh.?) laps. virg. 7 (15 Cazzaniga). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Wen stellt die Tochter Pharaos dar? 165 enweihe hat Ambrosius (339–397) wahrscheinlich in seiner Schrift »Über die Jungfrauen« vor Augen117. Dabei wendet er den 10. Vers des Psalmes 45 auf die geweihte Jungfrau an. Hier heißt es: »Astitit regina a dextris tuis (sc. rex aeternus) in vestitu deaurato, varietate circumamicta (virtutum)«. Es wird damit die geweihte Jungfrau mit der Königin im goldenen Gewande des Psalms identifiziert und zur Königin, die auf der Ehrenseite des Ewigen Königs steht. Auch kann die Art ihres goldenen Kleides angedeutet sein. »Circumamicta« kann an ein scheibenrundes118, nicht kreisrundes Gewand, also an eine goldene Cyclas erinnern, »varietas« an deren vielfältige Muster und Farben (Edelsteine), auch wenn Ambrosius symbolisch diese Bemerkung auf die mannigfaltigen Tugenden der geweihten Jungfrau überträgt. Bei der Jungfrauenweihe wurde die Jungfrau Christus dem König verlobt; deswegen trug sie den Ehrentitel »Braut Christi«119, »Braut Christi des Königs«120. Auf Grund des zitierten Predigttextes und im Blick auf das Kostüm der Braut bei der irdischen Hochzeit121 ist die Vorstellung naheliegend, dass die Jungfrau bei ihrer Weihe eine goldene Cyclas trug. Beschrieben wird dieses Gewand in aller Ausführlichkeit von Venantius Fortunatus († um 600) in seinem Carmen »De virginitate«, das als Höhepunkt die Vermählung der geweihten Jungfrau mit Christus nach ihrer Aufnahme in den Himmel schildert. Der himmlische König setzt der geweihten Jungfrau das Diadem auf das Haupt und legt ihr die goldene Cyclas um, überladen mit Edelsteinen, zum Zeichen, dass sie seine Ehefrau und Königin ist122. Für die Weihe der Pulcheria zur geweihten Jungfrau bedeutet dies: Es ist wahrscheinlich, dass auch sie bei ihrer Jungfrauenweihe eine goldene Cyclas trug, aber dazu kein Augustadiadem, weil sie erst ungefähr ein Jahr später, am 4. Juli 414, zur Ambr. virginib. 1,7,36 (PL 16, 210); Hieron. ep. 22,6 (CSEL 54, 151f Hilberg) erinnert eine gefallene Jungfrau mit dieser Bibelstelle an ihre Jungfrauenweihe. 118 »Rings umhüllt« (Georges 1, 1147 s. v. circumamicio); die Glossen definieren die Cyclas mit folgenden Worten: »cida (i. cicla<s>) graece, latine circumtextum pallium, est rotundum« (ThesLL 4, 1583 s. v. cyclas). »Rotundum« bedeutet »scheibenrund« (Georges 2, 2413f s. v. rotundus) und nicht kreisrund. 119 Dieser Titel ist schon seit dem 3. Jh. für die geweihte Jungfrau nachgewiesen: J. Schmid, Art. Brautschaft, Heilige: RAC 2 (1951) 560. 120 Nilus Anc. ep. 118 (PG 79, 252A). 121 Ein Goldglas mit dem Bild eines Brautpaares: New York, Metropolitan Museum of Art (um 400) (Morey [o. Anm. 39] 72 nr. 447 Taf. 36). In S. Maria Maggiore trägt sie Sephora bei der Eheschließung mit Mose (Wilpert Taf. 17; Wilpert/Schumacher Taf. 38) und Rachel bei der Hochzeit mit Jakob (Wilpert Taf. 12,2; Wilpert/Schumacher Taf. 32b). 122 Venant. Fort. carm. de virginit. 8,3,263/78 (MG AA 4,1, 188 Leo): »Ein von Beryll (beryllis) funkelndes Diadem wird ihr auf das Haupt gesetzt, in verschiedenen Anordnungen ist weißer Smaragd darunter. 117 Auch hält eine amethystfarbene Haube die glänzenden Haare zusammen, kunstvoll mit perlenverzierten Locken. Der um den Hals gelegte Juwelenkragen (monile) leuchtet von Sardonyx, seine Blättchen aus sardischem Metall erglänzen im purpurnen Licht. Um den rechten Arm wird ein Armband (armilla) gelegt, in dem sich Chalzedon und Jaspis abwechselnd reihen. Und es trieft auch die Hand von hyazinthfarbener Pracht. Goldene Fäden halten die juwelenschwere Cyclas zusammen, dichtgewirkte Figuren (sigilla) überquellen von himmlischen Geschenken. Der schöne Gürtel ist schwer von Topas, eine Gürtelschnalle aus Chrysolith umschließt mit Goldbrasse die Nadel. Darüber ist ein Schleier (vestis) gelegt aus Byssus / es ist zweifach gefärbter Purpur (bis cocto purpura = Blattapurpur), den die mit Gott vermählte Jungfrau tragen darf.« Übersetzung und Kommentar: Steigerwald, Diss. 140; ders. Christus als Pantokrator in der untersten Zone der Langhausmosaiken von S. Apollinare Nuovo zu Ravenna: Tortulae. Studien zu altchristlichen und byzantinischen Monumenten, Festschr. J. Kollwitz = RömQS Suppl. 30 (1966) 280f; ders., Purpurgewänder 101f. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 166 Gerhard Steigerwald Augusta erhoben wurde123. Das Bild der Jungfrau Maria in der Augustus-Vergil-Szene (früher: Aphrodisiusszene) in S. Maria Maggiore (Taf. 12e) könnte eine Vorstellung von ihrem Jungfrauenkostüm vermitteln124. Man darf sogar annehmen, dass außer der genannten Altarinschrift125 auch ein Mosaikbild über dem Altar der Kathedrale an ihre Jungfrauenweihe erinnerte und Pulcheria als Jungfrau im goldenen Cyclaskostüm darstellte. Darauf schließen lässt die Mitteilung im »Brief an Cosmas«, der Patriarch Nestorius habe das Bild der Aelia Pulcheria im Altarraum der Kathedrale schwärzen lassen126, nachdem er ihr sexuelle Beziehungen und damit den Bruch des Jungfrauengelübdes unterstellt hatte127. Dieses Bild, wohl kein Gemälde, denn das hätte man leichter entfernen können und nicht schwärzen müssen, sondern eher ein Mosaik, ist von besonderem Interesse. Es wird nicht beschrieben und auch sonst nicht erwähnt. Es kann sich nicht um ein hochoffizielles Bild der Pulcheria als Kaiserin in Purpurchlamys und mit Diadem gehandelt haben. Ein solches zu entfernen wäre ein Majestätsverbrechen gewesen. Es dürfte aber eine Darstellung mit kirchlich relevantem Inhalt gewesen sein. Nur darüber konnte Nestorius verfügen. Den Umständen entsprechend ist anzunehmen, dass es sich um ein Bild Pulcherias als geweihter Jungfrau gehandelt hat, das an ihre Jungfrauenweihe128 erinnerte. Zum Verständnis dieses ungewöhnlichen Vorgangs ist es nötig, das Verhältnis des Patriarchen Nestorius von Konstantinopel (428–431) zur Kaiserin Pulcheria, speziell zu ihrer Jungfräulichkeit, zu untersuchen. Seelenführer Pulcherias und ihrer Schwestern waren die Patriarchen der Hauptstadt, erst Attikus (406–425), der Patriarch ihrer Jungfrauenweihe, und dann Sisinnius (425–24. 12. 427). Die Beziehungen scheinen sehr vertrauensvoll gewesen zu sein. Die Patriarchen luden Pulcheria und ihre Schwestern gewöhnlich sonntags nach der Eucharistie in ihren Palast zum Frühstück ein129. Das änderte sich schlagartig mit dem neuen Patriarchen Nestorius (428–431). Nestorius weigerte sich, mit der Kaiserin und ihren Schwestern zu speisen130. Das Verhältnis des Patriarchen Nestorius zur Kaiserin war wohl von Anfang an schwer belastet. Ein Indiz dafür dürfte folgender Vorfall sein. Wahrscheinlich am Osterfest des Jahres 428, am 15. April 428131, fünf Tage nach der Ordination des syrischen Mönches Nestorius zum Bischof Konstantinopels, erBeleg schon Anm. 86. Wilpert Taf. 66/8; Wilpert/Schumacher Taf. 64/6. 125 S. S. 164. 126 Lettre à Cosme 5 (PO 13, 278 Nau). Nach L. Abramowski, Der Liber Heraclidis in der Tradition. Untersuchungen zum Liber Heraclidis = CSCO Subs. 22 (Löwen 1963) 15/20, bes.17. 18. 19 gehören die Kapitel 1/10 und damit auch dieses Kapitel zum originalen Grundbestand dieses Briefes und sind um 436 niedergeschrieben. 127 F. Nau, Nestorius. Le livre d’Héraclide de Damas (Paris 1910) 89. 128 Bahadbesabba Arbaiy, Histoire ecclésiastique 27 (PO 9, 565f Nau) erzählt, Pulcheria habe Nestorius um ein eigenes Bild über dem Altar der Kathedrale gebeten. Nestorius habe das zunächst abgelehnt, später jedoch ein Bild an anderer Stelle der Kirche 123 124 zugelassen und dieses Bild dann schwärzen lassen. Zweifel an der historischen Zuverlässigkeit erweckt das ganze Kapitel 27 (Abramowski 66f). Nach der zitierten Stelle in der glaubwürdigen Lettre à Cosme 5 (PO 13, 278 Nau) befand sich das Bild über dem Altar des Allerheiligsten. Außerdem ist kaum vorstellbar, dass die um Publizität bemühte Pulcheria erst unter Nestorius und nicht schon nach ihrer Jungfrauenweihe um ein solches Bild nachsuchte und das noch, nachdem der Patriarch das gemeinsame Frühstück abgelehnt hatte. 129 Holum 144. 130 Lettre à Cosme 6 (PO 13, 278 Nau). 131 Das Datum ist nicht gesichert, jedoch, wenn Aelia Pulcheria ihrer Gewohnheit gemäß die hl. Kommunion im Allerheiligsten der Kathedrale empfing, dann trifft dieses Datum zu (so Holum 15334). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Wen stellt die Tochter Pharaos dar? 167 schien die Kaiserin Pulcheria am Eingang zum Allerheiligsten der großen Kathedralkirche von Konstantinopel und verlangte entsprechend ihrer bisherigen Gepflogenheit Zutritt zum Allerheiligsten, um die hl. Eucharistie zu empfangen. Der Archidiakon Petrus konnte das nicht erlauben und rief den Patriarchen Nestorius herbei. Dieser verweigerte der Kaiserin wütend den Eintritt ins Allerheiligste mit dem Hinweis, nur Priester dürften den Altarraum betreten. Die Augusta war irritiert und fragte: »Warum ich nicht? Habe ich nicht Gott geboren?« Nestorius wies sie barsch ab mit den Worten: »Du hast den Teufel geboren«, und er verjagte sie von der Pforte zum Allerheiligsten132. Pulcheria wollte wohl darauf hinweisen, dass sie ein Recht habe, den Altarraum zu betreten und den Leib des Gottessohnes zu empfangen, weil sie ihn geboren habe. Sie wollte sich aber keineswegs als Gottesmutter aufspielen, wie man vermutete133. Gegen diese Vermutung spricht, dass sich darin eine schon lange Zeit besonders in Mönchskreisen gepflegte Christusfrömmigkeit ausspricht. Die »Einwohnung Christi im Herzen der Gläubigen« durch die Taufe fasste man schon früh als »Geboren werden« des ewigen Logos im Herzen der Gläubigen auf134. Auch andere geweihte Jungfrauen versuchten dieses Frömmigkeitsideal zu verwirklichen135. Obwohl der Bericht vom Zusammenstoß des Patriarchen Nestorius mit Kaiserin Pulcheria zum originalen Bestand des »Brief an Cosmas« gehört und um 436136 niedergeschrieben wurde, könnte man an seiner Historizität zweifeln. Es gibt keine Parallelberichte zu diesem Vorfall. Das würde jedoch allein nicht ausreichen, seine Richtigkeit anzuzweifeln. Gestützt wird seine Faktizität jedoch durch weitere Maßnahmen des Nestorius, die ohne Bezug auf diesen Vorfall berichtet werden. Nestorius hatte es beim Gebet für das Kaiserhaus unterlassen, Pulcheria »Braut Christi«137 zu nennen Lettre à Cosme 8 (PO 13, 279 Nau). Lamirade 288; Holum 153: »in his view Pulcheria could not claim marial dignity«. 134 Dazu und zum Folgenden H. Rahner, Symbole der Kirche (Salzburg 1964) 19/65. Die »Einwohnung Christi im Herzen der Gläubigen« durch die Taufe fasste man schon früh als »Geboren werden« des ewigen Logos im Herzen der Gläubigen auf. Christi Herabkunft in den Leib der Jungfrau und seine Geburt wiederholten sich nach dieser Lehre immer wieder in seinem mystischen Leib der Kirche und in der Seele des Einzelnen (ebd. 32). So würde die Kirche und die einzelne Seele durch diese geistliche Geburt zur Mutter Christi. Nach Gregor von Nazianz († um 390) soll jede Seele Mutter Christi werden. »Wie aber soll das geschehen?«, fragt er. Er antwortet: »Jede Seele trägt Christus in sich wie in einem Mutterschoß. Jedes Mal aber, wenn du das Wort Christi in dich aufnimmst und ihm Gestalt in deinem Innern wie in einem Mutterschoß gibst, kannst du seine Mutter werden« (ebd. 43; Greg. Naz. or. 38,1 [PG 36, 313A]). Im ausgehenden 4. Jh. war diese Idee im oströmischen Reich selbst in der volkstümlichen Predigt lebendig (ebd. 42; PsJoh. Chrys. de caeco et Zachaeo 4 [PG 59, 695D]). Andererseits kann man aus schriftlichen Zeugnissen erkennen, welcher Zustimmung sich die Lehre von der Gottesgeburt und der Gottesmutterschaft in 132 133 Mönchskreisen erfreute (ebd. 47), vor allem etwa bei Gregor von Nyssa († 394), der diese Lehre für die Mönche zu einem mystischen Vollkommenheitsideal entwickelte (ebd. 47/9). 135 Als Beispiel diene der Brief des Hieronymus (um 347–419/420) an die geweihte Jungfrau Eustochium: »Auch Du kannst eine Mutter des Herrn sein . . . und ihn im Schoße empfangen und einen Sohn geboren haben . . . dann wird dir auch dein Sohn antworten und sagen: ›Siehe, das ist meine Mutter, siehe, das sind meine Brüder‹« (Mc. 3,34; Hieron. ep. 22 ad Eustoch. 38,4. 5 [CSEL 54, 203f Hilberg]). Dieses Ziel wurde bei den geweihten Jungfrauen, wie sich aus späteren Quellen entnehmen lässt, zu einer alles bestimmenden Lebensorientierung: Brief einer Frau an andere von hoher Geburt (spätes 5. bis 6. Jh.): C. Caspari, Briefe, Abhandlungen, Predigten aus den zwei letzten Jahrhunderten des kirchlichen Alterthums und dem Anfang des Mittelalters (Brüssel 1964) nr. 8 (178/82). (Die Kenntnis dieses Traktates verdanken wir Prof. H. J. Vogt, Tübingen.) 136 Abramowski (o. Anm. 126) 15/20, bes. 17. 18. 19; vgl. F. Nau: PO 13, 273f. 137 F. Nau, Nestorius (o. Anm. 127) 89; Theod. Lect. epit. 340 (GCS NF 3 [Berlin 1995] 97 Hansen); Holum 153. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 168 Gerhard Steigerwald und sie damit als geweihte Jungfrau zu ehren. Außerdem hatte er, wie bereits erwähnt, ihr Bild über dem Altar der Kathedrale schwärzen lassen138, das sie vermutlich als geweihte Jungfrau darstellte. Die ungeheuerliche Beschimpfung der Kaiserin »Du hast den Satan geboren« kann sich nicht allein auf deren Wunsch beziehen, im Allerheiligsten die Eucharistie zu empfangen. Nestorius hatte wohl einem Gerücht geglaubt, das die Kaiserin mit dem Magister officiorum Paulinus ins Gerede brachte139 und ihr den Bruch des Gelübdes der Jungfräulichkeit unterstellte. All diese Aktionen des Nestorius sind von demselben Motiv gesteuert und damit wohl auch glaubhaft. Sie sollten Pulcheria wegen des Bruchs des Jungfräulichkeitsgelübdes an den Pranger stellen. Mit diesen Unternehmungen hatte Nestorius die Beziehung zur Kaiserin und die Aussicht auf eine gedeihliche Zusammenarbeit zerstört. Unter solchen Umständen war sein Verbleiben auf dem Patriarchenstuhl unmöglich. Im Juni 431 wurde der Patriarch durch das Konzil von Ephesus seines Amtes enthoben140. Allerdings nicht wegen des Zerwürfnisses mit der Kaiserin, sondern wegen häretischer Lehre. Man hatte ihm vorgeworfen, dass er die Gottheit Jesu und seine Mutter als Gottesgebärerin141 nicht anerkenne. Dieser Konflikt lässt sich bis zum Anfang seiner Tätigkeit in der Kaiserstadt zurückverfolgen, aber er steht in keinem erkennbaren Zusammenhang mit den Divergenzen mit Pulcheria. Nestorius hatte den Streit schon zu Beginn seiner Tätigkeit dort angetroffen142. Doch lässt der Zusammenstoß mit Pulcheria vermuten, dass in der Kaiserin Kräfte freigesetzt wurden, den Patriarchen zu entfernen. Es gibt aber kaum Anzeichen, dass die Augusta bei der Absetzung Einfluss ausgeübt hat, was aber dem Prinzip ihrer Zurückhaltung bei öffentlichen Angelegenheiten mit Rücksicht auf ihren herrschenden Bruder entspräche143. Zusammenfassend lässt sich feststellen: Im Vordergrund dieses Kapitels stand die These, dass die Darstellung der Pharaotochter in S. Maria Maggiore als Kaiserin und geweihte Jungfrau an die Kaiserin und geweihte Jungfrau Pulcheria erinnert. Dazu suchten wir nach einer ikonographischen Vergewisserung dieser Behauptung. Wir haben kein Repräsentationsbild der Pulcheria gefunden, das mit dem Mosaik »Rückgabe des Moseknaben an die Tochter der Pharao« vergleichbar wäre, auch kein Porträt der Pulcheria als Kaiserin und geweihter Jungfrau und keines als geweihte Jungfrau ohne die Abzeichen kaiserlicher Würde, lediglich einen literarischen Hinweis auf eine mögliche solche Darstellung im Altarraum der Großen Kirche Konstantinopels. Lediglich Halbporträts Pulcherias auf Solidi sind auf uns gekommen. Trotzdem standen dem Entwerfer alle notwendigen Informationen für ein Kryptobild der Aelia Pulcheria zur Verfügung. Sie betrafen nur Diadem und Kopfschmuck sowie das Jungfrauenkostüm. Schon anhand der im ganzen Reich kursierenden Solidi S. o. S. 166 mit Anm. 128. Nau, Nestorius 89. 140 Zum Konzil und seinen Umständen H. J. Vogt, Art. Ephesus, Konzil: LThK3 3 (1995) 706f. 141 Es geht dem Konzil in erster Linie um die göttliche Identität zwischen dem ewigen Sohn Gottes und dem Mensch Gewordenen. Das ist das Herz der Konzilsentscheidung. Es ist also dieselbe göttliche Person, die aus dem Vater hervorgegangen und Mensch geworden ist. Der Sohn ist als Mensch aus der Frau hervorgegangen, ohne aufzuhören, Gott zu sein (Cyrill. ep. ad Nest. 2,7 [ACO I,1,1, 138 139 S. 28, Z. 12/7]). Erst aus diesem Faktum folgt die Gottesmutterschaft Mariens. So schreibt Cyrill am Ende des genannten Briefs: »So haben die heiligen Väter die heilige Jungfrau unbedenklich ›Gottesgebärerin‹ genannt, weil aus ihr der heilige Leib geboren worden ist, der mit Vernunft beseelt und mit dem das Wort Gottes der Person nach geeint war« (Cyrill. ep. ad Nest. 2,7 [ACO I,1,1, S. 26, Z. 18/ 22]). 142 M. Redies, Kyrill und Nestorius. Eine Neuinterpretation des Theotokosstreites: Klio 80 (1998) 195f. 143 Soz. h. e. 9,1. 6 (CGS 50, 391 Bidez). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Wen stellt die Tochter Pharaos dar? 169 konnte er sich über Juwelendiademe und den Kopfschmuck einer Augusta informieren. So erklärt sich, dass der Kopfschmuck der Tochter Pharaos typisch ist für Kaiserinnen des 5. Jh. Auch wenn das Diadem der Tochter Pharaos aus einer Perlenschnur nur auf einem Solidus Pulcherias nachzuweisen wäre, der vor 421 geprägt wurde144, wäre das im Kryptobild kaum ein sicheres Indiz für Pulcheria, weil Diademe solcher Art wohl kaum nur von ihr allein getragen wurden. Über das Aussehen eines Jungfrauenkostüms war der Entwerfer bestens unterrichtet. Das zeigen die Darstellungen Mariens als Jungfrau in den Mosaiken von S. Maria Maggiore. Die hauptsächliche Begründung für ein Kryptobild Pulcherias ist das Faktum, dass sich seine Elemente unter allen christlichen Kaiserinnen der Spätantike nur auf Aelia Pulcheria anwenden lassen. Für ein solches Bild bot das thematisierte Mosaik von allen Bildern des Mosaikzyklus von S. Maria Maggiore wohl die günstigsten Voraussetzungen. Die Tochter Pharaos war Tochter eines Herrschers und nach den dynastischen Vorstellungen der Spätantike wie Pulcheria umgeben von Hofdamen und dem Hofzeremoniell. Zudem war sie eine unverheiratete junge Frau wie Pulcheria, jedoch keine geweihte Jungfrau. Für die Installierung des Kryptobildes war wohl entscheidend, dass die Tochter des Pharao einerseits eine Prinzessin, andererseits aber keine Augusta und keine geweihte Jungfrau war. So konnten die kennzeichnenden Attribute der Kaiserin und geweihten Jungfrau Pulcheria in das Bild der Tochter Pharaos übertragen werden. 5. Einwände gegen die Deutung der Tochter Pharaos auf die Kaiserin und geweihte Jungfrau Pulcheria in einem Kryptobild Der Vorschlag, in der Darstellung der Tochter Pharaos ein Kryptobild der Kaiserin und Jungfrau Pulcheria zu sehen, erscheint vielleicht problematisch, weil er nicht durch Parallelbeispiele aus der frühchristlichen Kunst gestützt erscheint. Für diese Bildgattung ist jedoch möglicherweise noch ein zweites Beispiel in diesem Mosaikzyklus vorhanden: Die Figur des greisen Simeon (Taf. 13a)145, der dem Jesuskind bei der Darbringung im Tempel huldigt, mit dem Porträttypus des Apostels Petrus. Wir schließen uns nicht jenen Interpreten an, die Simeon mit dem Apostel Petrus identifizierten146. Der Hauptakzent des Bildes liegt auf der Anerkennung der Gottheit des Kindes Jesu durch den greisen Simeon selbst. Die porträthaften Züge des Petrus scheinen eine zweite Ebene147 der Bildaussage anzudeuten: Simeons Kopf hat zwar nicht in allem die Züge des Simon Petrus, wie sie sich im 4./5. Jh. herausgebildet haben, es gibt aber auffallende Ähnlichkeiten mit ihnen: das krause, graue und kurze Haar, die run144 Delbrueck, Kaiserporträts 102 nr. 1 (Taf. 23, Pulcheria 1); Sabatier 1, 127 nr. 2 Taf. 6,12. 145 Wilpert Taf. 57/60; Wilpert/Schumacher Taf. 54/7. 146 Zuletzt R. Warland, Templum urbis und Sibylla. Die spätantike Romidee in den Triumphbogenmosaiken von S. Maria Maggiore in Rom: B. Klein / H. Wolter von dem Knesebeck, Nobilis arte munus, Festschr. A. Middeldorf Kosegarten (Dresden/ Kassel 2002) 30; U. Schubert, Der politische Primatsanspruch des Papstes dargestellt am Triumph- bogen von S. Maria Maggiore in Rom: Kairos 13 (1971) 209f; Grabar 2252. 147 Schon so verstanden von M. B. von Stritzky, Zur Interpretation der »Darstellung Jesu im Tempel« im Triumphbogen von Santa Maria Maggiore: RömQS 75 (1980) 137. Diese Deutung als Kryptobild erkannten wir noch nicht als zutreffend in unserer Arbeit Noch einmal: Zur Darstellung Jesu im Tempel am Triumphbogen von S. Maria Maggiore in Rom: JbAC 46 (2003) 81f. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 170 Gerhard Steigerwald den Augen, die vollen Lippen und der kurze Bart148, wie dies etwa das neu entdeckte Petrusbild der Thekla-Katakombe in Rom aus dem Ende des 4. Jh. (Taf. 13b)149 bzw. der Traditio legis des Neapler Dom-Baptisteriums S. Giovanni in Fonte (4. Jh.; Taf. 13c)150 zeigen. André Grabar meint, der noch vorhandene Unterkiefer des Petrus im Scheitelmosaik151 finde in keinem anderen Bild des Triumphbogens eine Entsprechung als in diesem Bild des greisen Simeon152. So kann sich im »Porträt«kopf des Simeon das Gesicht des Apostelfürsten Petrus verbergen. Die Ähnlichkeit Simeons mit Petrus scheint nicht zufällig153, sondern gewollt und mit dem Bekenntnis des Apostels Petrus zu Christus als dem Gottessohn verbunden zu sein: »Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes«, antwortet Petrus auf die Frage Christi, für wen die Apostel ihn hielten154. Dass Petrus in diesem Mosaik als Zeuge für den Glauben an die Gottessohnschaft Jesu auftritt, ist in den Streit mit Nestorius eingebunden und hat in der Streitschrift des Johannes Cassianus (um 360–430/435) gegen Nestorius (Endredaktion 429/430) eine Parallele. Im Kontext der Auslegung zu Mt. 16,16 schreibt Cassianus: Petrus ist »jener, der als Lehrer unter den Lehrern der höchste ist, der das Steuer der römischen Kirche leitet«155. Petrus hat also die höchste Autorität in der Kirche für die Wahrheit des Glaubens an den Sohn Gottes. Dieses Kryptobild des Apostelfürsten und überragenden Lehrers der Kirche fügte sich, wie wir sehen werden, hervorragend in das Bildprogramm des Triumphbogens als Zeugnis für die Gottheit Jesu156. Dass die Kaiserin Pulcheria im Bild der Tochter Pharaos als thronende Augusta nicht mit allen Abzeichen einer Augusta des 5. Jh. abgebildet ist, könnte zu Zweifeln an ihrer Identität Anlass geben: Ihr Haupt ist nicht mit dem kaiserlichen Nimbus umgeben, ihr Thron hat keinen Edelstein- und Perlenschmuck. All diese Auszeichnungen sind zB. im Bild der thronenden Galla Placidia (Taf. 12c)157, Augusta im Westreich 421–422 und ab 424, vorhanden. Entscheidend für die Würde der Augusta war trotzdem das Juwelendiadem. Der Vergleich des Bildes der Tochter Pharaos mit der Darstellung der Jungfrau Maria im Bild der Verkündigung im ersten Register der linken Seite des Triumphbogens (Taf. 13d) könnte diesen Mangel an kaiserlichen Insignien erklären. Die thronende Jungfrau Maria trägt ebenso wie die Kaiserin die goldene Cyclas, ihr Haupt ist aber ohne Nimbus, ihr Sitz und das Suppedaneum zeigen keine Edelstein- und Perleninkrustation. Zu beachten ist, dass die Jungfrau Maria nicht nur in S. Maria Maggiore158, sondern in allen Darstellungen bis weit ins 5. Jh., abgesehen Dazu W. Braunfels, Art. Petrus: LCI 8 (1976) 161f. Von den Beispielen aus dem 4. und 5. Jh. sind lediglich die Doppelbildnisse auf Bronzemedaillons aussagekräftig (E. Dinkler: MarbJb 11/12 [1938/ 39] 11 Abb. 5). 149 Rom, Thekla-Katakombe, Fresko, Apostelbilder, Petrus, Ausschnitt. Vgl. auch Welt und Umwelt der Bibel 2010 nr. 4 Abb. S. 66. 150 Neapel, S. Giovanni in Fonte, Traditio legis (Wilpert Taf. 32; Wilpert/Schumacher. Taf. 11). 151 Grabar 2252; Wilpert Taf. 70/2; Wilpert/ Schumacher Taf. 68/70. 152 Grabar 2252. 153 Wir hatten in dem Aufsatz Noch einmal 81 die Ähnlichkeiten mit Petrus abgelehnt, müssen uns aber nach erneuter Überprüfung korrigieren. 148 Mt. 16,16. Joh. Cassian. incarn. 3,12/4 (CSEL 17, 277 Petschenig ). 156 S. u. S. 173. 157 Vgl Galla Placidia auf einem Gemmenthron sitzend: Haager Goldmedaillon (Delbrueck, Kaiserporträts 104 nr. 4 Taf. 25,4). 158 S. Maria Maggiore, Triumphbogen, Verkündigung (Wilpert Taf. 53/5; Wilpert/Schumacher Taf. 51/3); Darstellung im Tempel (Wilpert Taf. 57/60; Wilpert/Schumacher Taf. 54/7); Die Huldigung der Magier (Wilpert Taf. 63/5; Wilpert/ Schumacher Taf. 61/3); Die hl. Familie vor Augustus und Vergil (frühere Aphrodisiusszene; Wilpert Taf. 66/8; Wilpert/Schumacher Taf. 64/6). 154 155 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Wen stellt die Tochter Pharaos dar? 171 vom Purpurkleid, durchweg ohne diese kaiserlichen Insignien zu sehen ist159. So liegt die Vermutung nahe, dass das Bild der Jungfrau-Kaiserin Pulcheria an das Bild der Jungfrau Maria angeglichen ist, nicht umgekehrt. Das spricht für eine Umsetzung der Idee der Imitatio Mariae durch die kaiserliche Jungfrau. Die Vorbildlichkeit der Jungfrau Maria sowie ihre Nachahmung gehörten zum prägenden Vollkommenheitsideal der Klosterfrauen der Spätantike160. Als geweihte Jungfrau konnte die Kaiserin Pulcheria wie jede Klosterfrau auf allen weltlichen Tand verzichten, wenn er nicht durch staatliche Repräsentation zB. auf Münzbildern161 gefordert war. 6. Stellenwert und Intention des Kryptobildes der Kaiserin Pulcheria im Bildzyklus Es bleibt noch die Frage nach dem Motiv, Kaiserin Pulcheria in einem Kryptobild in S. Maria Maggiore zu verewigen. Im Titulus zur Weihe von S. Maria Maggiore, angebracht über dem Eingang im Inneren der Kirche, weiht der Papst das Gotteshaus der hl. Jungfrau und Mutter Jesu. Er preist deren jungfräuliche Empfängnis und jungfräuliche Geburt, wodurch der Welt das Heil geboren wurde162. Der Inhalt dieser Passage des Gedichts stimmt mit den Beschlüssen der Synode von Rom im August 430163 überein, die sich zur Gottheit des Kindes Jesus und zur Gottesmutterschaft Mariens bekennen, und die deren Ablehnung durch Nestorius verurteilen164. Der Mosaikzyklus des Triumphbogens präsentiert die ins Bild gesetzte und für das ganze Volk Gottes verbindliche Lehre des Papstes Xystus III über die Gottheit des Kindes Jesus165 und betont ihre mannigfaltige Bezeugung. Jedoch nicht durch die Synode von Rom, sondern durch das von Kyrill, dem Patriarchen von Alexandrien († 444), dominierte Konzil in Ephesus wurden im Juni 431 die letzten Entscheidungen gegen Nestorius getroffen. Der Patriarch wurde seines Amtes enthoben166 und seine Lehren, wie man sie verstand, als häretisch verurteilt167. Zusammengefasst kulminierte die Anklage gegen Nestorius in der Kombination der beiden apologetischen Aspekte, er sehe in Christus nur einen reinen Menschen und anerkenne Maria nur als »Christotokos« und nicht als Gottesmutter. Erst durch die moderne Forschung168 wurde bekannt, dass für Nestorius die Bezeichnungen »Sohn S. unsere Bearbeitung der an dem kaiserlichen Zeremoniell orientierten Marienbilder Steigerwald, Diss. 126/33; ders., Purpurgewänder 69/71. 160 Die Vorbildlichkeit Mariens für die geweihte Jungfrau ist dafür die Grundlage. Die Seelenführer der geweihten Jungfrauen wurden schon seit dem 3. Jh. nicht müde, die geweihten Jungfrauen auf die Jungfrau Maria als auf ihr Vorbild hinzuweisen: Ambr. virginib. 2,2 (FlorPatr 31, 47,4 Faller); Petr. Chrys. annunt. Mariae serm. 142 (PL 52, 584A); vgl. G. Steigerwald, Das Königtum Mariens in der Literatur der ersten sechs Jahrhunderte: Marianum 37 (1975) 7/9. 161 Delbrueck, Kaiserporträts Taf. 23, Pulcheria 1/6. 162 »Tu genitrix ignara viri te denique feta / visceribus salvis edita nostra salus« (G. B. De Rossi, Inscriptiones christianae urbis Romae septimo saeculo 159 antiquiores [= ICUR] 2,1 [Rom 1888] 71 nr. 42 [Tours]); vgl. Lorsch ebd. 98 nr. 6; Verdun ebd. 139 nr. 28: »Du bist eine Mutter, die einen Mann nicht kennt. Du wurdest schließlich (als solche) schwanger. Bei heilem Mutterschoß wurde unser Heil geboren«. Vgl. Steigerwald, Aspekte 194f; ders., Rolle 146f. 163 Steigerwald, Aspekte 197. 164 Ebd. 189f. 165 Ebd. 189f. 166 Zum Konzil und seinen Umständen Vogt (o. Anm. 140) 706f. 167 S. auch o. Anm. 141. 168 Zusammengefasst durch A. Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche2 1 (Freiburg im Breisgau/Basel/Wien 1990) 642/60. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 172 Gerhard Steigerwald Gottes« und »Christus« identisch waren169. Die Einheit in Christus war ihm ein wichtiges Anliegen, ebenso die strikte Trennung von göttlicher und menschlicher Natur in Christus. Deswegen verwarf er für Maria den Titel »Gottesmutter«. Er wollte nie etwas davon wissen, dass Christus ein bloßer Mensch sei170. Die ihm vorgeworfene ZweiSöhne-Lehre lehnte er ab171. Man darf jedoch nicht übersehen, dass Nestorius immer wieder dazu Anlass gegeben hat, dass man die Vorwürfe gegen ihn aufrecht erhielt. Erinnert sei an seinen Ausspruch, er könne einen zwei oder drei Monate alten Gott nicht anerkennen172. Es stellt sich die Frage nach einer eventuellen Rolle der Kaiserin Pulcheria bei diesen Ereignissen. Die überprüfbaren Nachrichten dazu sind äußerst spärlich173. Sicher ist, dass der Patriarch Kyrill von Alexandrien, der führende Kopf im Streit mit Nestorius, nicht nur den Kaiser Theodosius II, sondern auch die Kaiserinnen, Pulcheria und Eudocia174, und die Schwestern der Pulcheria, Arcadia und Marina175, durch theologische Briefe in diese Auseinandersetzung einzubinden versuchte. Einen sicheren Anhaltspunkt für den Einfluss der Kaiserin auf den Kampf gegen Nestorius bieten allein Akklamationen für Pulcheria. Bald nachdem Kaiser Theodosius II das Ende der Versammlung in Ephesus (im Juli 431) angeordnet hatte, riefen in der Großen Kirche zu Konstantinopel die Anhänger der kyrillischen Entscheidung gegen Nestorius176 wiederholt: »Viele Jahre den Kaiserinnen. Viele Jahre für Pulcheria. Sie hat den Glauben befestigt«177. 20 Jahre später, beim Konzil in Chalzedon (451) tönten die Konzilsväter: »Die Kaiserin Pulcheria hat den Nestorius hinausgeworfen (Þxballen)«178. Lange nach der Entscheidung in Ephesus erinnerte man sich in Chalzedon also noch an Pulcherias Wirken bei der Auseinandersetzung mit dem Patriarchen. Daraus kann man schließen, dass ihr Einfluss damals nicht unbedeutend war und man ihn als historisch gesichert ansehen darf. Römische und westliche Quellen dazu sind bisher nicht bekannt geworden. Nachweisbare Gründe sprechen dafür, dass man spätestens Ende des Jahres 431 begann, die Konzeption des Mosaikzyklus zu präzisieren179, nachdem Nestorius verDazu und zum Folgenden ebd. 651; zum Streit um den Theotokos-Titel ebd. 646f. 643f. 170 Nest. serm. über die Menschwerdung (F. Loofs, Nestoriana [Halle 1905] 308,8/11; Grillmeier 651). 171 Nest. serm. 9 principium dogmatis: Loofs 259,16f (ClavisPG 5698; Grillmeier 651). 172 Relatio Synodi ad Caelestinum 6 (Coll. Vat. 82,6: ACO I, 1,3, S. 7 Z. 10). 173 Holum bes. 163/9 bietet kaum gesicherte Fakten und enthält viel Vermutetes. Lamirade übernimmt diese Vermutungen nicht. 174 ACO I, 1,5 S. 26/61. 175 ACO I, 1,5 S. 62/118. 176 Holum 170f. 177 Zu finden allein in koptischen Übersetzungen von Konzilsakten: W. Kraatz, Koptische Akten zum ephesinischen Konzil vom Jahre 431. Übersetzung und Untersuchungen = TU 26,2 (1904) 50. 51; zur zeitlichen Einordnung Holum 170122; Lamirade 290f. 178 ACO II, 1,1 S. 69; Lamirade 307. 169 Bestimmte Bildelemente des Triumphbogenzyklus und Umstände des nestorianischen Streits machen für die Verwirklichung bzw. Modifizierung des Bildprogramms eine Zeitspanne von Ende 431 bis zum Weihejahr 434 wahrscheinlich (Steigerwald, Aspekte 199/201). Man darf voraussetzen, dass man schon seit Beginn der Bauzeit der Basilika, wahrscheinlich unter Cölestin I (422–-432), an einem Entwurf für das Bildprogramm arbeitete. Wenn nach dem ursprünglichen Titel der Kirche »ad sanctam Mariam« dabei die Jungfrau Maria eine Rolle spielte, bot sich die Kindheit Jesu als Bildprogramm an. Diesen Entwurf, aber auch die ersten Bilder der Schiffsmosaiken konnte man dann unter dem Eindruck der Auseinandersetzung mit Nestorius modifizieren und verwirklichen. Der Name der Basilika ist nicht direkt überliefert, sondern wird vom Liber pontificalis im Zusammenhang des Baptisteriums der Kirche erwähnt, das Xystus gebaut haben soll: (Xystus) »fecit et fontem baptisterii ad sanctam Mariam« (Lib. Pont. 46,7 [1, 234 Duchesne]). 179 C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Wen stellt die Tochter Pharaos dar? 173 urteilt und als Bischof und Patriarch der Kaiserstadt (431) abgesetzt worden war. Vollendet waren die Mosaiken zur Weihe der Basilika am 5. August 434180. Die Mosaiken mit dem Kryptobild der Pulcheria entstanden also zu einer Zeit, als das Wirken der Kaiserin noch in lebendiger Erinnerung war. Die Rolle Pulcherias in S. Maria Maggiore lässt sich genauer beschreiben. Papst Xystus III begnügte sich nicht damit, den Glauben an die Gottheit des Kindes Jesus visuell und plakativ in den Mosaiken von S. Maria Maggiore zu verkünden. Es ging ihm bei der Gestaltung der Mosaiken auch darum, die Glaubwürdigkeit dieses Bekenntnisses durch Zeugen aus verschiedenen Epochen zu demonstrieren181. Aus biblischer Zeit treten dafür ein nicht nur Menschen und Priester aus dem Judentum und die ersten Christen mit Petrus (Kryptobild; 1. Register des Triumphbogens), sondern auch die Repräsentanten der Heidenwelt, die Magier aus dem Morgenland und die Vertreter des römischen Staates mit Kaiser Augustus an der Spitze sowie seine bedeutendsten Propheten: Sibylle und Vergil (2. Register)182. Schließlich bestätigen die Wahrheit dieses Bekenntnisses Märtyrer in Gestalt der Kinder von Bethlehem und ihrer Mütter (3. Register)183. Zu ihnen gesellen sich aus der noch nahen Zeit der blutigen Verfolgung der Kirche im Eingangsmosaik die Märtyrer, die diesen Glauben mit ihrem Tod durch Schwert, Flammen, wilde Tiere, Ertränken und Gift bekräftigten184. Als Zeugin in der damaligen Gegenwart, also zur Zeit der Päpste Cölestin I (422–432) und des Xystus III, würde sich ihnen die Kaiserin und geweihte Jungfrau Pulcheria in ihrem Kryptobild anschließen. Sie wäre eine Zeitzeugin für diese Wahrheit. Das verdeckte Bild der Kaiserin Pulcheria wäre also in die Zielsetzung des Triumphbogenmosaikzyklus eingebettet, das Fundament des Glaubens der Kirche, den Glauben an Jesus Christus den menschgewordenen Gottessohn und wahren Gott zu verkünden und durch Zeugen in der Vergangenheit, aus der Zeit der Verfolgung und der Gegenwart durch Kaiserin Pulcheria zu bekräftigen. Doch hätte der Zeugnischarakter des Bildes nicht gerade ein offenes Bild der Kaiserin verlangt? Man ist geneigt, die Frage zu bejahen. Ein offenes Bild einer Kaiserin der östlichen Reichshälfte hätte in der Kirche des Papstes in Rom problematische Auseinandersetzungen hervorrufen können sowohl mit der Bauherrschaft des Papstes über die Basilika und in der Stadt Rom185 als auch mit Galla Placidia, der Kaiserin der westlichen Reichshälfte (Augusta im Westreich von 421–422 und ab 424)186. Ein offenes Bild der Pulcheria in der Basilika hätte den Eindruck erweckt, Pulcheria sei die Bauherrin der Basilika. Dies konnte der Papst aus machtpolitischen Gründen nicht zulassen. Dazu kam, dass die Päpste erst seit wenigen Jahrzehnten die Bauherrschaft in Die Weihe der Kirche durch den Papst ist durch das Weihegedicht des Xystus gesichert: ICUR 71 nr. 42. Das Datum wird durch das Martyrologium Hieronymianum (Acta Sanctorum Nov. 2,2 [1931] 418f) gestützt; erschlossen von Th. Klauser, Rom und der Kult der Gottesmutter Maria: JbAC 15 (1972) 13046. 181 Dazu Steigerwald, Aspekte 162/88. 182 Ebd. 170/5 (Sibylle). 180/5 (Vergil). 183 Wilpert Taf. 69; Wilpert/Schumacher Taf. 67; Steigerwald, Aspekte 187f. 184 »Ecce tui testes uteri sibi pr(a)emia ortant / Sub pedibus(que) iacet passio cuique sua / ferrum 180 flamma fere fluvius s(a)evumque venenum«; »Siehe, die Zeugen Deines Kindes! Sie tragen den Siegespreis für sich davon, / und jedem zu Füßen liegt sein Leidenswerkzeug: Schwert, Flamme, wilde Tiere, Wasserflut und fürchterliches Gift« (ICUR 71 nr. 42 [Tours]; vgl. Lorsch ebd. 98 nr. 6; Verdun ebd. 139 nr. 28); vgl. Steigerwald, Aspekte 195; ders, Rolle 146f. 185 Zum Ganzen R. Krautheimer, Rom. Schicksal einer Stadt 312–13082 (Darmstadt 1996) 43/71, bes. 64/7. 186 A. Lippold, Art. Galla Placidia: KlPauly 4 (1972) 876f. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 174 Gerhard Steigerwald der Stadt errungen hatten. Das Bild der Kaiserin des Ostens in einer römischen Basilika hätte auch einen Affront gegenüber Galla Placidias Vorherrschaft im Westen des römischen Reiches bedeutet. Die verdiente Kaiserin des Ostens verdeckt darzustellen, beruhte also auf nachvollziehbaren Gründen. Das Kryptobild der Kaiserin im Rahmen des Mosaiks der Pharaotochter könnte noch ein weiteres Problem lösen. Es geht um die bis heute offene Frage, weswegen die Künstler für das Bild der Pharaotochter mit dem Moseknaben den gleichen großfigurigen Stil wie für die Bilder des Triumphbogens gewählt haben, während die folgenden Mosaiken des Kirchenschiffs eher kleinformatig sind. Diese Gemeinsamkeit des Triumphbogenmosaikzyklus mit diesem Mosaik dürfte auf einem gemeinsamen Thema beruhen: dem Kampf gegen die Irrlehren des Nestorius und die Verkündigung des Glaubens an die Gottheit Christi und seiner Bekräftigung durch die verschiedensten Zeugen aus allen Zeiten. Der übereinstimmende Stil kann anzeigen, dass das Anliegen der Triumphbogenmosaiken in den ersten Bildern der Schiffsmosaiken weitergeführt wird. Kaiserin Pulcheria erscheint dabei als Zeitzeugin für den Glauben an Christus den Sohn Gottes, nachdem sie beim Konzil dafür sorgte, dass Nestorius »hinausgeworfen wurde«. Ihre wenn auch verdeckte Darstellung bildet das (gedankliche) Verbindungsglied zu den Ideen des Triumphbogenmosaikzyklus. Es gibt eine weitere, ergänzende Erklärung. Beat Brenk schreibt, der monumentale Stil sei aufgrund typologischer Überlegungen beibehalten187. Es lässt sich, wie bereits festgestellt, eine typologische Beziehung zwischen der geweihten Jungfrau Pulcheria und der (geweihten) Jungfrau Maria in der Verkündigung am Triumphbogen erkennen, die in der Vorbildlichkeit Mariens für die geweihten Jungfrauen begründet ist188. Dieses Bild erscheint wie eine versteckte Hommage an die oströmische Kaiserin Aelia Pulcheria für ihre Unterstützung beim Kampf und Sieg gegen Nestorius. Die Platzierung als zweites Bild der Mosaiken auf der rechten Wand des Kirchenschiffs spricht nicht gegen eine solche Einschätzung. Dieses Bild ist an einer bevorzugten Stelle angebracht. Die Details des Bildes sind viel besser zu erkennen als bei den Bildern der Apsisstirnwand. Dem gebildeten Kirchenbesucher, der um das Jahr 434 die Mosaiken betrachtete, war Aelia Pulcheria als Kaiserin und geweihte Jungfrau und ihre Ausstattung bekannt, und er wusste wohl auch von ihrer Rolle im Kampf gegen Nestorius. Dass dieser Hintergrund später in Vergessenheit geriet und man das versteckte Bild der Kaiserin nicht mehr erkannte, ist nachvollziehbar. Übrigens befindet sich in der Cappella Paolina, der Familienkapelle der Borghese, in der Basilika von S. Maria Maggiore ein Gemälde der Kaiserin und Jungfrau Pulcheria mit Krone, Zepter und Lilie von Guido Reni (1575–1642)189. Brenk 152. Belege bereits bei Anm. 160. 189 R. Luciani / F. M. Amato (Hrsg.), Santa Maria Maggiore e Roma (Rom 1996) Taf. auf S. 284. Nach der Beischrift ist Pulcheria als Jungfrau und Kaiserin zusammen mit den Jungfrauen und Königinnen 187 188 Ediltrudis (nicht Gertrudis) von England und Kunigunde, Königin von Polen dargestellt. Im Ensemble des Freskos: Kyrill von Alexandrien, Johannes Chrysostomus, Ildefons und Johannes von Damakus (ebd. 285). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/153-175.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Wen stellt die Tochter Pharaos dar? 175 7. Ergebnisse der Untersuchung Der Entwerfer des Bildes nahm die biblische Geschichte von der Rückgabe des Moseknaben durch seine Amme bzw. seine Mutter an die Tochter Pharaos (Ex. 2,9f) zum Thema seines Bildentwurfs. Er versetzte das Geschehen in die Welt des zeitgenössischen spätrömischen bzw. frühbyzantinischen Kaiserhofes. Die Tochter Pharaos empfängt thronend wie eine spätantike Augusta in einem Thronsaal des Palastes die Mutter des Mose, die ihr den Moseknaben nach den Vorgaben des Inductio-Zeremoniells vorstellt. Dabei trägt Mose die Purpurchlamys eines Caesars, eines Kronprinzen, zum Zeichen dafür, dass er der Sohn der Königstochter ist und damit als Prinz in die ägyptische Königsfamilie aufgenommen ist. Der biblischen Geschichte lässt sich nicht zuordnen, dass die Tochter Pharaos mit dem Juwelendiadem einer Augusta und der Tracht einer geweihten Jungfrau der Spätantike dargestellt ist. Als Erklärung bietet sich an, dass sich in ihrer Gestalt eine Augusta und geweihte Jungfrau der Spätantike verbirgt. Allein auf die Kaiserin Aelia Pulcheria (399–453), Schwester des oströmischen Kaisers Theodosius II (408–450), treffen die ikonographischen Charakteristika der im Bild dargestellten Pharaotochter zu: Augusta und geweihte Jungfrau. Das Kryptobild ist eine Hommage an Pulcheria für ihre Unterstützung beim Sieg über Nestorius, den Patriarchen von Konstantinopel (428–431), dem unterstellt wurde, er würde die Gottheit des Mensch gewordenen Gottessohnes und den Gottesmuttertitel für Maria ablehnen. Diese Hommage an die Kaiserin im Bild der Pharaotochter fügt sich in die Thematik des Mosaikzyklus des Triumphbogens, der als ein ins Bild gesetztes Bekenntnis zur Gottheit Christi nach dem Sieg über Nestorius verstanden werden kann. Die Kaiserin wird nicht nur für ihre Unterstützung im Kampf gegen Nestorius geehrt, sondern als Zeitzeugin dieses Glaubens in die Schar der Zeugen eingereiht, wie sie die Mosaiken des Triumphbogens vorstellen. Der mit den Mosaiken des Triumphbogens übereinstimmende großfigurige Stil des thematisierten Mosaiks findet seine Erklärung in dem gemeinsamen Anliegen der Zeugenschaft für die Gottheit des Kindes Jesus. Nürtingen Abbildungsnachweis: Taf. 12a: nach Wilpert/Schumacher Taf. 37; b: aus Wikipedia, Classical Numismatic Group, Inc. http://www.cngcoins.com; c: nach Delbrueck, Kaiserporträts Taf. 25,4; d: nach Wilpert/Schuma- Gerhard Steigerwald cher Taf. 37; e: nach ebd. Taf. 66. – Taf. 13a: nach ebd. Taf. 66; b: aus: Welt der Bibel 2010 nr. 4 Abb. S. 66; c: nach Wilpert/Schumacher Taf. 11; d: nach ebd. Taf. 51/3. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm BESPRECHUNGEN Andrew Cain / Noel Lenski (Hrsgg.), The Power of Religion in Late Antiquity (Farnham, Ashgate 2009) 8°, XVII, 464 S., geb. GBP 65,–. ISBN 978–0–7546–6725–4. Vorliegender Sammelband ist das Ergebnis einer Tagung vom 22.–25. März 2007 an der Universität von Colorado in Boulder. Von den dort vorgetragenen 44 Referaten wurden 28 für die Veröffentlichung ausgewählt. Es geht um die verschiedenen Einflüsse der christlichen Religion (und des Neuplatonismus) auf die spätantike Gesellschaft in einem Zeitraum vom Ende des 3. bis zum frühen 7. Jh. Nun hat nicht nur der deutschsprachige Leser Schwierigkeiten, den Begriff »power« inhaltlich präzise zu fassen. Auch die Herausgeber haben dies wohl so empfunden. In einer Einführung von Noel Lenski (1/17) wird daher unter anderem versucht, hier eine für alle Referenten tragfähige Grundlage zu schaffen. Lenski geht dabei von Foucault aus, nach dem »power«, hier provisorisch immer mit »Macht« übersetzt, ein Kapital im ökonomischen Sinne ist, das man horten kann, das unter verschiedenen Parteien durch gegenseitige Interaktion aktiviert wird, das die Handlungsfelder anderer zu strukturieren vermag. Dabei gilt »Gewalt« als die höchste Form von »Macht«. Auch der Begriff »Religion« bedarf einer Klärung, wobei sich die Herausgeber an Durkheim, Weber, Geertz und den Comaroffs orientieren. Es darf aber festgehalten werden, dass diese Definitionsversuche insgesamt recht wenig zum Verständnis der folgenden Einzeluntersuchungen beitragen, es sei denn für die Begründung des Untersuchungszeitraumes »Spätantike«, der eine ›Grenzsituation‹, also eine Zeit der ›Veränderung‹ darstellt. Die Beiträge wurden acht Sektionen zugeordnet, die sehr inhomogen sind, weil sie versuchen, möglichst viele Spektren des Zusammenhanges von Religion und Macht anzusprechen. Die erste Sektion, »Religion and the Power of the Word« (21/78), thematisiert die Schnittmenge zwischen Religion, Macht und Text: Emily Albu (Disarming Aeneas: Fulgentius on Arms and the Man, 21/30) untersucht den ›Mythenschreiber‹ Fabius Planciades Fulgentius (nicht identisch mit Fulgentius v. Ruspe, 468–533) mit seinen Werken ›Mitologiae‹, ›Expositio virgilianae continentiae‹, ›Expositio sermonum antiquorum‹ und ›De aetatibus mundi et hominis‹. Es geht um die Dekonstruktion der alten Götter, denen die christliche ›virtus‹ gegenübergestellt wird anhand von Vergils Aeneis (Buch I/VI), die hier nichts mehr mit Rom zu tun hat, sondern als eine Darstellung der menschlichen Entwicklungsstufen erscheint. Diese radikale Kritik an der griechisch-römischen Religion fußt auf der Unterscheidung von linguistisch-metaphorischer und dinghafter Bedeutung, auf der Trennung von ›verba‹ und ›res‹. Die Wirkung des Fulgentius ist bis in die Karolingische Zeit und auch noch später sichtbar. Josef Lössl (›Apocalypse? No.‹ The Power of Millennialism and its Transformation in Late Antique Christianity, 31/44) beschäftigt sich mit der Rolle von apokalyptischen Millenniumsvorstellungen, wobei im Mittelpunkt Victorinus von Poetovium steht, der unter Valerian um 260 den ältesten erhaltenen Kommentar zur Apokalypse in lateinischer Sprache verfasste. Untersucht werden die Vorläufer, bei Papias beginnend, und die Auswirkungen bis Augustinus. Es zeigt sich ein Schwanken in der Deutung der hl. Schriften zwischen historischem Bezug (Justin, Irenaeus, Tertullian) und einem allegorischen Verständnis (Origenes, Eusebius, Hieronymus). Eine vermittelnde Stellung nimmt dabei Victorinus ein. Giacomo Raspanti (Clementissimus Imperator: Power, Religion, and Philosophy in Ambrose’s De obitu Theodosii and Seneca’s De clementia, 45/55) vergleicht die Rede des Ambrosius auf den toten Theodosius I, 40 Tage nach dessen Tod, mit Senecas ›De clementia‹. Vorbild sind Ps. 114 und sicher auch heidnische Panegyriker. Für Seneca wie Ambrosius ist ›clementia‹ das Ideal des guten Herrschers C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 186 K. L. Noethlichs: Cain/Lenski, The Power of Religion schlechthin (vgl. Konstantin und Gratian). Seneca und Ambrosius schreiben auch für die Nachfolger der jeweiligen Kaiser (Nero, Honorius, Arcadius) und ermöglichen damit einen ruhigen und konfliktfreien Übergang der Herrschaft, für Ambrosius besonders wichtig nach der Schlacht am Frigidus. Insofern stellt der Nachruf auf Theodosius eine hochpolitische Totenrede dar, die einen Ausgleich zwischen der heidnischen und christlichen Welt herstellen will. Danuta Shanzer (Haec quibus uteris verba: The Bible and Boethius’ Christianity, 57/78) fragt, warum es bei Boethius nur in der ›Consolatio‹ 3,12,22/5 ein Zitat aus der jüdischen Bibel (Sap. 8,1) gibt, sich sonst aber nirgends in seinen Werken (›De trinitate‹, ›Utrum pater et filius‹, ›Quomodo substantiae‹ und ›Contra Eutychen‹) eine Anspielung auf die hl. Schrift findet. Es liegt eine bewusste Neutralisierung der Sprache der Bibel und der christlichen Sondersprache vor, wobei christliche Begriffe wie ›Schöpfer‹ vermieden werden. Die Antwort ist die Leserschaft, orthodoxe Christen und arianische Ostgoten. Theologischer Disput soll vermieden werden, wobei sich ein Vergleich mit Cassiodor (›Varia‹ und ›De anima‹) aufdrängt. Machtausübung in einer multikulturellen und religiös gespaltenen Gesellschaft wird so erleichtert. Am Ende findet sich eine Liste der angeblichen Anspielungen auf Bibelzitate bei Boethius. In der zweiten Sektion, »Power Over the Divine: Porphyry, Iamblichus, and the Struggles for the Philosophical Tradition« (79/115), geht es um die Möglichkeit, mithilfe des Neoplatonismus zum ›Heiligen‹ vorzudringen. Elizabeth DePalma Digeser (The Power of Religious Rituals: A Philosophical Quarrel on the Eve of the Great Persecution, 81/92) analysiert den Konflikt zwischen den Neuplatonikern Porphyrios und Iamblichos, der um den Stellenwert der Riten geht. Nach Iamblichos hat keine Seele die Kraft, zum göttlichen Ursprung zurück zu kehren, ohne die menschliche Teilhabe an religiösen Riten, während für Porphyrios (und Plotin) solche Riten für die ›philosophische‹ Seele eher zerstörerisch sind. Während also für Porphyrios (und Plotin) die Seele immer in Kontakt zum Göttlichen bleibt, ist sie nach Iamblichos vollständig vom Körper eingeschlossen und projiziert ihre ›logoi‹ in die Welt der Erscheinungen, so dass die Seele ihre ursprünglich göttliche Natur nur durch Riten wieder erlangen kann, d. h. durch die natürliche Entsprechung der ›logoi‹, also durch ›antilogoi‹, die sich in der Natur finden. Es gibt also eine »via universalis« zum Göttlichen, was Porphyrios in Frage stellt. Insofern nun das Christentum auch einen Weg zum Göttlichen eröffnet, wird auch es von Porphyrios kritisiert, was die Antwort Augustins (civ. D. 10,32) provoziert. Sergio Knipe (Subjugating the Divine: Iamblichus on the Theurgic Evocation, 93/ 102) fokussiert die Auseinandersetzung zwischen Porphyrios und Iamblichos auf das Problem der ›Theurgie‹: Wie kann man die Götter zu etwas veranlassen, wo sie uns doch überlegen sind? Diese für das System des Iamblichos zentrale Frage versucht er so zu lösen, dass es eine ›echte‹ und ›unechte‹ Theurgie gibt. Dabei stellen die Götter dem Menschen eine Technik zur Verfügung, die ihm den Kontakt zum Göttlichen erlaubt, der also nie vom Menschen selbst ausgehen kann. Wohl aber vermag der Mensch die ›Dämonen‹ zu etwas zu zwingen, sofern er göttliche Formeln gebraucht. Damit will Iamblichos den Unterschied zwischen echter Theurgie und Magie gewahrt wissen. Aaron P. Johnson (Arbiter of the Oracular: Reading Religion in Porphyry of Tyre, 103/ 15) behandelt die Sammlung von Orakelsprüchen des Porphyrios, die in einer längeren antiken Tradition stehen. Diese ›synagoge‹ des Porphyrios ist nur aus christlichen Quellen bekannt und nicht identisch mit der Schrift ›Gegen die Christen‹. Durch solche Orakelsprüche kann der Mensch Zugang zum Göttlichen finden anhand von Experteninterpretationen. Philosophen wie Pythagoras, Empedokles, Plato und natürlich Porphyrios eröffnen den Schülern das Tor zur Wahrheit. Damit erlangt Porphyrios Macht und Kontrolle über die heidnischen religiös-philosophischen Interpretationen und wird so ungewollt auch ein Konkurrent des Christentums. Der Verbindung und Entfaltung von weltlicher und religiöser Macht in der Person des römischen Kaisers ist die dritte Sektion gewidmet: »Emperors and the Deployment of Religious Power« (117/64). Judith Evans Grubbs (Church, State, and Children: Christian and Imperial Attitudes Toward Infant Exposure in Late Antiquity, 119/31) geht bei den Kindesaussetzungen in der Spätantike der Frage nach, in wieweit hier die kaiserliche Gesetzgebung von kirchlichen Vorstellungen beeinflusst war. Nach ei- C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm K. L. Noethlichs: Cain/Lenski, The Power of Religion nem Blick in die vorkonstantinische Zeit (›pater familias‹) wird die Gesetzgebung Konstantins untersucht, die einen starken kirchlichen Einfluss zeigt und mit den Äußerungen christlicher Autoren verglichen wird (Justin, Tertullian, Minucius Felix, Lactanz, Paulus-Sentenzen). Wenn auch hier primär Klarheit über den Personenstand der Ausgesetzten eine Rolle gespielt zu haben scheint, zeigt die Neuordnung unter Justinian mit Cod. Iust. 8,51,3 eine enge Zusammenarbeit von Kirche und Staat. Hugh Elton (Imperial Politics at the Court of Theodosius II, 133/42) beschäftigt sich mit der Entwicklung Theodosius’ II vom Kind zum Mann, insbesondere in der Zeit nach dem Konzil von Ephesos, als der Kaiser iJ. 433 eine neue Kircheneinheit herbeiführen wollte (›Reunionsformel‹). Zwar tat Theodosius II nichts ohne Diskussionen mit seinen Beratern, war aber insgesamt wesentlich weniger von Fremdeinflüssen abhängig, als uns die antiken Historiker glauben machen wollen. Der Loyalitätseid Justinians (im Anhang zur Novelle 8) im Rahmen eines Reformprogramms ist Gegenstand der Untersuchung von Charles Pazdernik (»The Trembling of Cain«: Religious Power and Institutional Culture in Justinianic Oath-Making, 143/54). Dieser Eid stellt eine Konzentration von Macht auf eine Person dar und bedeutet eine enorme Erhöhung kaiserlicher Autorität. Zwar hatten auch schon Theodosius II und Valentinian III einen ähnlichen Eid verfügt (Cod. Iust. 9,27,6), Justinians Eidesformel hatte aber Zusätze hinsichtlich der Kandidaten: Rechtgläubigkeit, völlige Ergebenheit Justinian und Theodora gegenüber (als »douleia« bezeichnet), Beständigkeit guter Amtsführung, Aufopferungswille ohne List und Tücke sowie eine detaillierte Strafandrohung: Bei Zuwiderhandeln drohte »das Schicksal der Juden«, das »der Leprosen von Gehazi (2 Reg. 5,1/27)« und, hier wohl erstmals belegt, das »Zittern Kains«, das in der Folgezeit in Ost wie West eine Rolle spielen sollte. Demselben Kaiser Justinian ist auch der Beitrag von Hartmut Leppin gewidmet (Power from Humility: Justinian and the Religious Authority of Monks, 155/64). Es geht um den Umgang des Kaisers mit bestimmten Mönchen, mit ›Heiligen Männern‹, die dem Kaiser offen ihre Meinung sagen und sich allerlei ihm gegenüber herausnehmen. Justinian verzichtet hier immer auf Gewaltanwendung, 187 sondern erniedrigt sich bis zur Proskynese (im Gegensatz zu Theodora), um an der Heiligkeit dieser Männer zum Nutzen des Reiches teilzuhaben. Das wird an vier Beispielen gezeigt: Das Treffen des Kaisers mit Sabas 531, erzählt von Cyril von Skythopolis (vit. Sabae 71), eine ähnliche Anekdote bei Prokop (anekd. 12,24/6), der Zusammenstoß zwischen Z’ura und Justinian bei Johannes v. Ephesos (vit. Sanct. Or. 2 [PO 17, 21/6]) und der rüde Auftritt des Einsiedlers Mare in Konstantinopel nach seiner Vertreibung aus seiner Zelle in Ägypten durch Chalkedonenser, wiederum beschrieben bei Johannes v. Ephesos (vit. Sanct. Or. 37 [PO 18, 630/4]). Unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieser vier Anekdoten scheint doch im Lichte von drei Autoren, die jeweils unterschiedlichen christlichen Richtungen angehörten, die Haltung Justinians klar. Allerdings ging seine äußere Erniedrigung nicht soweit, auch die Theologie eines ›häretischen‹ Mönches zu übernehmen. Die vierte Sektion, »Ecclesiastical Hierarchies and the Limits of Religious Power« (165/211) beschäftigt sich mit dem Klerus und seiner Suche nach Macht, die aber immer durch unterschiedliche Interessen und Rivalitäten begrenzt bleibt. Sabine R. Huebner (Currencies of Power: The Venality of Offices in the Later Roman Empire, 167/79) hat sich den klerikalen Ämterkauf im Ostreich vorgenommen. Nach Claudius Claudianus (in Eutr. 190/210) sei dort alles käuflich, so auch kirchliche Ämter. Wichtig ist der Kontakt zur Zentrale in Konstantinopel: Als Beispiel dient der Kleriker Paulus, der durch Theodor von Sykeon und dessen Verbindungen zum Bischof der Hauptstadt Bischof von Isaurica wurde (Vit. Theod. Syc. 81). Obwohl vom Kaiser missbilligt, waren manche Kleriker an kleinen und armen Kirchen gezwungen, nebenher zu arbeiten, vgl. MAMA 3, 336. 463. 676. 682. 760. Obwohl solche Käufe klerikaler Ämter von Kirche und Staat verboten waren (Nov. Iust. 6,1/7), machte Justinian dann doch Zugeständnisse an die Realität, indem er feste Preise verordnete (Nov. Iust. 123,3,16), ein Zeichen für die enge Verwobenheit des spätantiken Klerus in die sekulare Gesellschaft. Um die Grenzziehung zwischen Weltlichem und Göttlichem geht es im Beitrag von Justin Stephens anhand der Frühschrift des Johannes Chrysostomus über den Heiligen Babylas (Religion and Power in the Early Thought of C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 188 K. L. Noethlichs: Cain/Lenski, The Power of Religion John Chrysostom, 181/8). Die Schrift wird in den historischen Kontext des Jahres 378 eingeordnet, als die Auswirkungen der Religionspolitik des Theodosius I noch nicht absehbar waren (Rückkehr des Johannes nach Antiochia, Tod des Valens, Toleranzedikt des Gratian und Rückkehr des Bischofs Meletius nach Antiochia). Das Heidentum, so die Argumentation des Johannes, überlebt nur durch staatliche Unterstützung, das Christentum hingegen sei vom Staat unabhängig. Aber es tun sich Probleme bei der vorbildhaften Rolle des Babylas, der im 3. Jh. im Gefängnis starb, im 4. und 5. Jh. auf: Staat und Kirche vermischen sich. Der Kaiser zeigt Milde bei der ›Statuenrevolte‹ in Antiochia, wo Johannes, in Abwesenheit des Bischofs Flavian als Fürsprecher der Antiochener, seine 21. Homilie auf die Rückkehr Flavians schrieb. Der Vorrang der kirchlichen Seite, die Rolle des Bischofs als alleinigem Interpreten des göttlichen Gesetzes im Sinne eines Babylas und Flavian, wird auch später von Johannes als Bischof von Konstantinopel konsequent bei den Forderungen des Gainas vertreten (Sozom. h. e. 8,4). Die Frage nach dem Inhalt religiöser Macht stellt Gillian Clark anhand von Augustinus (»The truth shall make you free«: Augustine on the Power of Religion, 189/200). Dessen Reflexionen über »power« zeigen den Bischof hinsichtlich weltlicher, tatsächlicher Macht eher ohnmächtig, obwohl der spätantike Bischof aufgrund seiner Rechtsprechungsbefugnis auch über physische Gewalt bis zur Auspeitschung oder über ökonomische aufgrund von Hilfsfonds für Arme verfügt. Auch physische Gewalt kann Frieden stiften, wie es zB. Jesus mit der Vertreibung der Geldwechsler aus dem Tempel zeigt, obwohl er sonst immer auf Gewalt verzichtete und vor Gericht schwieg. In der ›civitas Dei‹ verschmelzen weltliche und geistliche Macht. Die Inhaber von Macht können sich hinsichtlich des Effektes ihrer Aktionen aber nie sicher sein, und auch der wahre Glaube gibt hier keine Sicherheit, den Willen Gottes auf Erden zu verwirklichen. Augustin selbst zeigt durch sein Leben und seine Schriften die wirkliche Macht der wahren Religion. Im Gegensatz zu Augustins Lehre von der ›unverdienten Gnade‹ steht der sog. ›Eusebius Gallicanus‹, eine Sammlung von 76 ›sermones‹, die im 6. Jh. zusammengestellt wurden und die die Macht der Buße predigen. Sie sind Gegenstand der Untersuchung von Lisa Baiiley (»Our own most severe judges«: The Power of Penance in the Eusebius Gallicanus Sermons, 201/11). Es kommt, im Gegensatz zu Augustinus’ Motto ›beten und abwarten‹, auf aktive Buße an. Biblische Beispiele sind der Schächer am Kreuz (Lc. 23,39/43) mit seiner Bekehrung in letzter Minute, und der Prophet Jonas (3f), der Gott im Falle der Bewohner von Ninive zu einer Meinungsänderung bewegen kann. Die fünfte Sektion, »Constantine and the Power of the Cross« (213/48), handelt vom Zusammenhang von Sonnenerscheinungen und irdischen Ereignissen. Insbesondere wird hier auf die ›Halo‹-Phänomene eingegangen. So beschreibt H. A. Drake (Solar Power in Late Antiquity, 215/26) die Rolle des Sonnengottes innerhalb der religiösen Entwicklung Konstantins. Eine Halo-Erscheinung gab es wohl 310 beim Apollo-Granus-Tempel in den Vogesen. Die Darstellungen der Sonne bzw. des ›sol invictus‹ auf Münzen sind mehrdeutig und nicht unbedingt christlich zu interpretieren. Jedenfalls zeigen verschiedenste Quellengattungen den engen Bezug Konstantins zum Sol-Kult: Münzen, der ›Sonntag‹, Firmicus Maternus (math. 1,10,14), die Panegyriker (6 [7],3,1. 14,1), Christus auf dem Sonnenwagen auf einem Mosaik im Grab der Julii unter St. Peter, sowie die Rolle des Sonnengottes als ›comes‹ der Kaiser im 4. Jh. Das bedeutet, dass die mutmaßliche Halo-Erscheinung den Sonnenglauben Konstantins bekräftigt, aber nicht begründet hat. Die Halo-Erscheinungen Konstantins sind in (mindestens) drei verschiedenen Versionen überliefert, die Jacqueline Long vorstellt (How to Read a Halo: Three [or More] Versions of Constantine’s Vision, 227/35). Es sind der Rhetor vJ. 310: Paneg. Lat. 6 (7),14. 20. 21,3f, Lactanz, mort. pers. 24,3/8; 18,8/14; 37,1; 44,5; 46,2/11; 48,1f; 50,1 sowie Eusebius, vit. Const. 1,17,3. 27. 28,2. 31. Alle drei haben ihren spezifischen historischen und literarischen Hintergrund: Der Panegyrikus nimmt die Sonnenerscheinung nach der Beseitigung Maximians als Zeichen göttlicher Zustimmung zum Kaisertum Konstantins. Für die Invektive des Lactanz bedeutet die Erscheinung den Endpunkt göttlicher Rache an den Christenverfolgern, und für die Hagiographie des Eusebius ist sie für die Nachfolger des Kaisers eine doppelte Begründung durch Halo und Traum für die göttliche Herrschaft des Kaisers C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm K. L. Noethlichs: Cain/Lenski, The Power of Religion und seiner Söhne. Aus allen drei Aspekten setzt sich das Konstantinbild zusammen. Die Entwicklung des Kreuzes von einem negativen Symbol zum christlichen Siegeszeichen schlechthin zeichnet Jan Willem Drijvers nach (The Power of the Cross: Celestial Cross Appearances in the Fourth Century, 217/48). Zentrales Ereignis in diesem Zusammenhang ist die Auffindung des ›echten‹ Kreuzes durch Helena 330. Damit erhalten die Himmelserscheinungen eine neue Dimension: 28. Oktober 312 – 7. Mai 351 (Jerusalem, Ölberg) – Mai 363 (Jerusalem). Die wohl berühmteste Erscheinung vJ. 312 findet sich noch nicht in Eusebius’ Kirchengeschichte, weil sie, vom Kaiser selbst initiiert (?), sich offenbar erst nach 325 entwickelte. Die Erscheinung über Golgotha iJ. 351 kennen wir aus dem Brief Cyrills von Jerusalem an Constantius II. Sie steht im Zusammenhang mit dem Kampf gegen Magnentius und wird als zweites Erscheinen Christi auf Erden gedeutet, der alle Feinde des Christentums, vor allem auch die Juden, beseitigen wird. Die Kreuzeserscheinung vJ. 363 im Zusammenhang mit dem gescheiterten Wiederaufbau des Tempels findet sich nur bei Gregor von Nazianz (or. 5 c. Iul.). Auch hier sind wiederum die Juden das Ziel, auf deren Gewändern zusätzlich das Kreuzzeichen erschienen sein soll. Das Kreuz ist damit das Zeichen von Macht und Sieg über das Judentum. In der sechsten Sektion, »Rome: The Center of Power« (249/304), steht die Entwicklung Roms zu einem christlichen Zentrum im Vordergrund, und zwar in drei Schritten: Zunächst geht es um das Fortleben des römischen Heidentums, dann um die unterschiedliche heidnisch-christliche Metaphorik des Begriffs ›Kapitol‹, und schließlich um die Christianisierung Roms durch den römischen Bischof auf der Grundlage paganer Voraussetzungen. Einen Rückgriff auf heidnische Zeiten bildet dabei zunächst Rita Lizzi Testa mit einer Untersuchung über die ›Augures‹ und ›Pontifices‹ im 4. und 5. Jh. (Augures et pontifices: Public Sacral Law in Late Antique Rome [Fourth–Fifth Centuries AD], 251/78). Es zeigt sich, dass manche Aufgaben wie Inaugurationen von Vestalinnen, ›auspicia‹ und ›consecrationes‹ (vgl. Justinian, Instit. 2,1,8) weiterhin bleiben. Senatoren schmücken sich mit solchen Kultämtern weiterhin (ILS 4003. 4149. 4151). Der Verzicht auf den ›pontifex- 189 maximus-Titel‹ wird nur bei Zosimos (4,36) belegt, und zwar als Zurückweisung der Robe. Die Auswirkungen des Streites um den Viktoriaaltar waren begrenzt, und Gratians Maßnahmen bezogen sich auch nur auf die Vestalischen Jungfrauen. Erst nach Julian ist die Konversion einer Vestalin zum Christentum belegt (Prudentius, perist. 2,527f). Bei Lucy Grig (Imagining the Capitolium in Late Antiquity, 279/91) steht die unterschiedliche metaphorische Bedeutung des ›Kapitols‹ als Hügel und Tempel des Jupiter Optimus Maximus im Zentrum. In der heidnischen Deutung (Ammian 22,16,12, vgl. aber auch Ausonius, ord. urb. nobil. 19,15/8) Inbegriff des politischen und religiösen Mittelpunktes des Weltreiches, gilt der Begriff den Christen als Hort des Heidentums, als Tempel der Dämonen, so schon bei Tertullian, als leeres Monument der höchsten öffentlichen Religion (Lactanz, div. inst. 1,2,49). Ein ›christliches‹ Rombewusstsein fördert dann unter Gregor d. Gr. die »letania septiformis«, die siebenfache Bußprozession in Rom, die Jacob A. Latham behandelt (The Making of a Papal Rome: Gregory I and the letania septiformis, 293/304). Dabei zogen sieben gesellschaftliche (klerikale und weltliche) Gruppen von verschiedenen Kirchen aus nach S. Maria Maggiore, bezeugt für die Jahre 590 (Greg. Tur. hist. Franc. 10,1) und 603 (Greg. Mag. ep. app. 9,46/53). Dieses mentale Muster römischer Gesellschaft wie römischer Topographie diente besonders der Stärkung des ›päpstlichen‹ Ansehens. Bei Verlust der politischen Machtstellung wird Rom symbolische Hauptstadt der Christen. Die beiden letzten Sektionen sieben, »The Power of Religion in the Barbarian West« (305/54) und acht, »The Power of Religion in the Communities of the East« (355/409), sind nach äußerlichen geographischen Kriterien zusammengestellt, inhaltlich aber sehr gemischt und betreffen im Osten zusätzlich auch andere Sprachen als Griechisch und Latein. Ralph W. Mathisen (Ricimer’s Church in Rome: How an Arian Barbarian Prospered in a Nicene World, 307/25) befasst sich mit der Stellung des ›arianischen‹ Generals Rikimer und dabei mit der Frage, ob die römische, von Rikimer gegründete Kirche ›St. Agatha dei Goti‹ schon zu dessen Zeiten arianisch war. Dieses von Gregor d. Gr. als »spelunca pravitatis haereticae« bezeichnete Gotteshaus, C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 190 K. L. Noethlichs: Cain/Lenski, The Power of Religion das von Gregor ›zurückgeweiht‹ wurde, könnte auch während der ostgotischen Besatzung 493–536 arianisch geworden sein. Ein im 16. Jh. zerstörtes, von Ciacconio aber nachgezeichnetes Mosaik Rikimers (MélArchHist 25 [1905] 130f) zeigt nichts spezifisch Arianisches, sondern eine seit Konstantin für Kirchengründer typische Inschrift. Rikimer wollte der mächtigste Senator, aber kein Kaiser sein, und mit dieser Kirchengründung seine Legitimität auch religiös unterstreichen. Er hatte kein Problem als Arianer in einer ›nicaenischen‹ Umwelt. Edward James (Gregory of Tours and »Arianism«, 327/38) stellt die Frage, warum Gregor von Tours in seinen Schriften den ›Arianismus‹ bekämpft, obwohl der zu seiner Zeit und in seiner Region eigentlich keine Rolle mehr spielte. Die bisherigen Antworten scheinen dem Autor nur Teilwahrheiten zu sein. Die Bekämpfung aller ›Falschgläubigen‹, besonders in Spanien, für die hier der Begriff ›Arianismus‹ steht, wurzelt im persönlichen Schicksal Gregors nach 575, als er mehr und mehr gezwungen war, sich als der ideale Bischof zu präsentieren. Dies tat er durch Verwendung seines Vermögens für Kirchenbauten, aber auch durch seine Schriften über den hl. Martin und das ›Leben der Väter‹. Einen interessanten archäologisch-epigraphischen Einblick in das frühe Christentum von Neustrien und Burgund bietet Bailey K. Young mit der Interpretation von Buckelschnallen des Landelinus und Achulaus (The Imagery of Personal Objects: Hints of »Do-ItYourself« Christian Culture in Merovingian Gaul?, 339/54). Sie zeigen eine Art selbstgestricktes »Do-it-yourself«-Christentum (ein Ausdruck von J. H. M. Smith in ihrem Werk ›Europe After Rome‹, 2005) um 600. Mit ihren Inschriften und alttestamentlichen Motiven (Daniel, Habakuk) zeigen sie eine neue individuelle Art christlicher Identität. Einen Einblick in die spätantike Märtyrerverehrung in Antiochia gibt Wendy Mayer (Antioch and the Intersection between Religious Factionalism, Place, and Power in Late Antiquity, 357/67). Zunächst geht es um den um 250 unter Decius gestorbenen Bischof Babylas, der unter Gallus in Daphne eine neue Ruhestätte auf dem Gelände des dortigen Apollo-Tempels fand, eine offene Provokation den Heiden gegenüber, der dann unter Julian aber wieder umgebettet wurde. Die Gründe für die Zerstörung dieses Apollo-Tempels un- ter Julian sind bei Christen und Heiden unterschiedlich. Während der ca. 20 Jahre später schreibende Johannes Chrysostomus in seiner Abhandlung über Babylas von einem Blitzschlag und damit von einem göttlichen Zeichen spricht, war es für Ammian (22,13) eine unbeaufsichtigte Kerze eines Gläubigen. Die Inanspruchnahme des Babylas für den ›wahren‹ Glauben geht unter Valens mit Bischof Meletius weiter, der ein Gegner sowohl des ›Arianismus‹ wie auch der Nicaener (unter Bischof Paulus) ist. Er lässt eine neue Kirche für Babylas außerhalb von Antiochia bauen, in der er selbst dann auch nahe dem Heiligen bestattet wird. Die innere Zerrissenheit der Christen in Antiochia versucht dann Justinian nach dem Erdbeben von 526 mit einem Kirchenbauprogramm zu überwinden. Die Theotokos-, Cosmas und Damian- und Michaelkirche lassen sich in die theologischen Konzepte der Chalkedonianer und Anti-Chalkedonianer einordnen. Alles waren Rivalitäten zwischen den verschiedenen christlichen Gruppen und dem Kaiser, ein Wechselspiel religiöser und weltlicher Macht. Im Beitrag von Hagith Sivan (On the Way to Bethlehem: Mary between Jerome and John of Jerusalem, 369/81) geht es um die Aufwertung von Jerusalem durch den Ortsbischof Johannes. Nach der Auffindung des Kreuzes Jesu und der Errichtung der Grabeskirche durch Konstantin 335 hat, von Julian abgesehen, sich kein Kaiser mehr für Jerusalem interessiert bis zu Heraklios, der iJ. 628 als letzter römischer Kaiser die Stadt besuchte. Ansatz zur Bedeutungserhöhung Jerusalems war eine beginnende Diskussion über den Geburtstag und Geburtsort Jesu. Ersterer wurde im Westen am 25. Dezember, in Jerusalem am 6. Januar gefeiert (vgl. Hieron. hom. 88). Wegen dieses westlichen Datums, der ›Theologie der Mönche‹, wurden Hieronymus, der sich seit 386 in Bethlehem aufhielt, und seine Mönchsbrüder, die in theologischer Opposition zum jerusalemer Bischof standen, von Johannes von der Kommunion und von verschiedenen Kirchen ausgeschlossen, was nur dank der politischen Umwälzungen im Ostreich nicht durchgesetzt wurde. Bezüglich des Geburtsortes gab es, anders als Bethlehem, das wohl von Origenes nach Micha 5,1 als Geburtsort kanonisiert wurde, eine Tradition, dass Jesus auf dem ›halben Weg nach Bethlehem‹ in einer Höhle geboren sei (Protoev. Jac. 17,3/18,1; Justin, dial. 78,5). Schon C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm K. L. Noethlichs: Cain/Lenski, The Power of Religion Cyrill von Jerusalem hatte durch die Kreuzerscheinung am Himmel unter Constantius hier vorgearbeitet, insofern die Erscheinung und der Ort des wahren Kreuzes miteinander kombiniert wurden, was einer Aufwertung der Topographie gleichkam. Jetzt ließ sich auch der Geburtsort von Jerusalem aus kontrollieren. Der Nachfolger Cyrills, Johannes, führte das ›Fest der Gottesmutter Maria‹ am 15. August ein, ein Datum, das mit der Zerstörung des jüdischen Tempels (9. Av) zusammenfiel. (Zuvor hatte Johannes schon die Kirche auf dem ›Sion‹, deren genaue Stelle bis heute unklar ist, am 15. September geweiht, dem jüdischen Bußtag ›Yom Kippur‹, ein erneuter Affront gegen die Juden.) Auf der Straße nach Bethlehem errichtete er vermutlich ein ›Kathisma‹ zur Erinnerung an die Geburt Jesu. So wurden die Theologie Mariens als jungfräuliche ›Mutter Gottes‹ und der Geburtsort Jesu miteinander verbunden und dem Hoheitsbereich des Bischofs von Jerusalem unterstellt. Die kommende TheotokosDiskussion wirft ihre Schatten voraus. Innerhalb der antiken Berichte über den Perserkrieg des Constantius II untersucht John Weisweiler (Christianity in War: Ammianus on Power and Religion in Constantius’ Persian War, 383/96) die unterschiedliche Deutung bestimmter Ereignisse im Urteil von Ammian (Bücher 18/20) und christlicher Quellen. Damit verbunden ist die generelle Frage, wie Ammian zum Christentum stand. In 18,7,7 besucht der General Sabinianus, statt zu kämpfen, die »Gräber von Edessa«, d. h. wohl die christlichen Märtyrermemorien, so wie es Constantius selbst bei Mursa tat (Sulp. Sev. chron. 2,38,5). In 18,10,7 preist Ammian die Milde Shapurs gegenüber christlichen Asketinnen, was sich nach den Persischen Märtyrerakten allerdings anders darstellt (P. Bedjan [ed.], Acta mart. et sanct. syriace 2, 233/41. 254/60). Bei der persischen Belagerung Bezabdes begibt sich der Ortsbischof persönlich zu Shapur, um für die Stadt einzutreten, so wie auch nach christlichen Quellen andere Bischöfe als Retter ihrer Städte fungierten. Dabei wurde er später verdächtigt, so Ammian 20,7,9, den Persern die Schwachstellen der Stadtmauer verraten zu haben. Auch wenn Ammian selbst sagt, der Bischof sei unberechtigt beschuldigt worden, unterminieren solche Gerüchte die Verbindung von Christentum und römischem Reich. Der Autor sieht darin 191 eine ironische Verschiebung christlicher Ideen durch Ammian. Schließlich beschreibt Richard E. Payne (Persecuting Heresy in Early Islamic Iraq: The Catholicos Ishoyahb III and the Elites of Nisibis, 397/409) die desolate Lage nach der arabischen Eroberung Mesopotamiens und den Versuch des Bischofs von Ninive, Metropolit und Katholikos, Ishoyahb III (gest. 659), zwischen den sich bekämpfenden christlichen Lagern zu vermitteln. Denn nicht die Muslime stellen sich, so entnehmen wir Johannes von Phoinikien, als ein Problem dar, sondern die verschiedenen christlichen ›Häresien‹, die die Gelegenheit nutzen wollen, neue Anhänger zu schaffen. In zwei Briefen an Adel und Klerus von Ninive wirbt er um deren Unterstützung, die er braucht, um in muslimischer Umgebung eine orthodoxe ›politeia‹ etablieren zu können, und ermahnt seine Landsleute, sich den neuen Herren willig zu unterwerfen, zu denen er selbst ein sehr gutes Verhältnis hat. Eine umfangreiche Bibliographie und ein (kleiner) Index beschließen das Buch. Es erscheint schwierig, ein allgemeines Urteil über dieses umfassende Sammelwerk zu fällen. Hier konnten nur Zusammenfassungen des in den Augen des Rez. Wichtigsten geboten werden. Manches sieht der Rez. nicht so wie einige Autoren, manches wird anderen Lesern nicht gefallen. Eines bleibt festzuhalten: Kein vernünftiger Mensch wird den Zusammenhang von Religion und Macht ernsthaft bezweifeln wollen. Dieses grundsätzlich zu beweisen ist auch nicht Gegenstand des vorliegenden Buches, sondern, diesen Zusammenhang und die verschiedenen Spielarten an den jeweils unterschiedlichsten Themen konkret zu demonstrieren. Vieles ist keineswegs prinzipiell neu, aber jeder Beitrag hat etwas Neues, eine besondere Perspektive, bald mehr, bald weniger eine etwas andere Sicht als man gewohnt ist, die einem in jedem Fall den Horizont erweitert, ob man sie nun ablehnt oder akzeptiert. Hervorzuheben ist auch die Arbeit der Herausgeber. Die einzelnen kurzen Überblicke über die Beiträge am Anfang des Buches, die Subsumierung unter acht Oberthemen und die gehaltvollen, auf das Generalthema »Power of Religion« zugespitzten Deutungsversuche am Ende jeder Sektion dienen der schnellen, überblicksartigen Orientierung und sind daher sehr zu begrüßen. Auch dem Verlag gebührt Anerken- C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 192 W. Löhr: Prostmeier/Lona, Logos der Vernunft – Logos des Glaubens nung für die sorgfältige Redaktion des Werkes. Es bleibt allerdings die Frage nach den Lesern. Es dürfte kaum jemanden geben, der sich gleichermaßen für alle hier behandelten Themen interessiert, und so wird das Buch wohl vor allem in wissenschaftlichen Bibliotheken seinen angemessenen Platz finden. Aachen Karl Leo Noethlichs Ferdinand R. Prostmeier / Horacio E. Lona (Hrsg.)., Logos der Vernunft – Logos des Glaubens = Millennium-Studien 31 (Berlin, de Gruyter 2010), 8º, 338 S., geb. Euro 109,95. ISBN 978–3–11–024726–8. Dieser Band, Edgar Früchtel zum 80. Geburtstag dediziert, versammelt dreizehn Aufsätze verschiedener Autoren, in denen in der einen oder anderen Weise der Begriff des Logos in seinen verschiedenen Facetten im Mittelpunkt steht. Im Folgenden seien kurz die Beiträge vorgestellt, die etwas zum Thema der Auseinandersetzung zwischen dem antiken Christentum und seiner nichtchristlichen Umwelt beizutragen haben: Horacio E. Lona (›Wahrer Logos – Logos der Wahrheit‹, 25/52) beschäftigt sich mit der Bibelinterpretation des Kelsos: Lona konstatiert auf der einen Seite die für einen heidnischen Autor ungewöhnlich detaillierte Bibelkenntnis des Philosophen, auf der anderen Seite beobachtet er eine ›Hermeneutik des Verdachts‹, die in mancherlei Hinsicht an die historisch-kritische Exegese der Neuzeit erinnert. Lona hält aber fest, dass diese Affinität täuscht: Kelsos behandelt die Bibel als fremden Text, weil er sie im Hinblick auf Gotteslehre, Kosmologie und Anthropologie von den Prämissen des Platonismus des 2. Jahrhunderts her beurteile. Lona riskiert die Hypothese, dass Kelsos seine Bibelkenntnis möglicherweise der alexandrinischen Schule, also Lehrern wie Pantainos oder Klemens von Alexandrien verdankte. – Eine Reihe von Beiträgen ist der christlichen Apologetik des 2. Jahrhunderts gewidmet: Jörg Ulrich geht in einer instruktiven Untersuchung (›Widersprüchlichkeit und Kohärenz‹, 53/75) den Modulationen des ›Widersprüchlichkeitsarguments‹ bei Juden, Heiden und Christen nach: Die Behauptung, dass zB. die heidnische Philosophie in verschiedene Lehrmeinungen zer- fallen sei, sollte das heidnisch-philosophische Projekt insgesamt diskreditieren und der christlichen Philosophie im Gegenzug eine überlegene Konsistenz bescheinigen. Ulrich resümiert: »Die inkohärente Vielzahl philosophischer Meinungen konnte benutzt werden zur Selbstkritik, als kritisches Argument gegenüber jeweils anderen Auffassungen, als polemische Verspottung des real existierenden zeitgenössischen Philosophiebetriebes, aber auch als ernstes philosophisches Argument zur Meinungszurückhaltung im stoischen Sinne« (72). – Tobias Georges analysiert die Stellungnahme Tertullians zu den paganen Philosophen in Apologeticum 46/50 (287/300) und gewinnt daraus auch Einsichten zur Gesamtstruktur dieser Schrift: die Philosophen sind Diener der Dämonen und somit mit der Verschleierung der Wahrheit beschäftigt. – Uta Heil behandel den Versuch des Athenagoras, mit Fokussierung auf das Gebot der Feindesliebe die christliche Ethik angesichts heidnischer Kritik (Galen, Kelsos) als bessere Ethik zu profilieren (›Menschenliebe im Superlativ. Zur Rezeption der christlichen Lehre von der Feindesliebe bei Athenagoras‹, 229/ 52). – Die Hauptachse des Buches bilden Beiträge, die sich mit dem Verhältnis des antiken Christentums zur Rhetorik und besonders zur Zweiten Sophistik befassen: Thomas Lechner (›Süße Lust des Logos. Die Vorrede zum Protreptikos des Clemens von Alexandrien und die prolaliai der Zweiten Sophistik‹, 149/205) baut die Hypothese von Marco Rizzi aus, derzufolge die Vorrede zum Protreptikos der rhetorischen Gattung nach als eine prolalia zu bestimmen ist, als eine informelle Vorrede. Clemens erweist sich damit als virtuoser Adept der zweiten Sophistik. Lechner bemerkt: »Die Adaption dieser innovativen rhetorischen Gattung für den Prolog einer christlichen Missionschrift darf man durchaus als werbepsychologische Meisterleistung einstufen« (198). Eine solch positive Einschätzung könnte letztlich natürlich nur verifiziert werden, wenn wir etwas über die Rezeption der Clemensschrift sagen könnten. – Josef Lössl greift in seinem Beitrag (›Zwischen Christologie und Rhetorik‹, 129/47) eine Anregung von Dimitrios Karadamis auf, derzufolge die Junktur lgoy dfflnamic in Tatian, Oratio ad Graecos 5,1 sowohl theologisch-christologisch als auch rhetorisch zu lesen sei. Nach Lössl gelingt es der ›rhetorischen Logoslehre‹ Tatians, scharfe Kritik an der Rhetorik C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm W. Löhr: Prostmeier/Lona, Logos der Vernunft – Logos des Glaubens rhetorisch geformt vorzutragen und christliche Philosophie und Rhetorik miteinander zu vereinen. Der Preis war allerdings – so Lössl – eine gewisse theologische Unschärfe: »Tatians Begriffe, und gerade auch seine zentralen Begriffe wie Logos und Pneuma, sind notorisch vieldeutig« (144). – Ferdinand Prostmeier (›Der Logos im Paradies‹, 207/ 28) zeichnet in seiner feinsinnigen und gedankenreichen Analyse die Konturen der Logostheologie des Theophilus von Antiochien nach: Auch dieser christliche Autor ist wesentlich im Kontext der Zweiten Sophistik zu verstehen, er wendet sich an ein zeitgenössisches gebildes Publikum, das dem Christentum mit einer Mischung aus Interesse und Skepsis begegnet sein dürfte: »Die vielen Zitate aus der paganen Tradition und die noch größere Anzahl der Anspielungen auf pagane Literatur und Diskurs konstruieren einen idealen Erinnerungsraum« (211). Prostmeier zeigt dann in einer präzisen Auslegung von Ad Autolycum 1,3, wie subtil Theophilus mit Hilfe logostheologischer Reflexionen die Beantwortung der Frage nach einer geziemenden Rede von Gott umkreist. Prostmeiers Beitrag ist ein schönes Beispiel, wie durch aufmerksame Interpretation die theologische Leistungsfähigkeit eines christlichen Autors des 2. Jahrhunderts herausgearbeitet werden kann. – Die Beiträge von Lössl, Lechner und Prostmeier werden gut ergänzt durch die Untersuchung von Christoph Schubert: ›Ein stummer Gott? Beobachtungen zur Verteilung von Reden und Schweigen im Octavius des Minucius Felix‹ (253/86), der anhand einer Analyse der »Verteilung und Bewertung von Reden und Schweigen im Octavius« (281) die christlich-antike Positionierung zum Bildungsanspruch der Rhetorik herausarbeitet: Wenn auch christlich die Fähigkeit der Rede als einer Gottesgabe zur zwischenmenschlichen Kommunikation grundsätzlich positiv zu bewerten ist, so wird doch die Rhetorik als ein Instrument »der Macht- und Herrschaftsausübung« (ibidem) grundsätzlich abgelehnt: »Der Christ und damit auch der christliche Philosoph und Redner wird am sermo festhalten und diesen der Rhetorik nur soweit öffnen, als dies nötig ist, um seinen Gesprächspartner zu erreichen« (282). Doch dürften auch die Christen den pragmatischen Widerspruch nicht vermieden haben (und nicht vermieden haben wollen), dass gerade die Behauptung der Wahrhaftigkeit und Trans- 193 parenz der eigenen Rede ein besonders probates Mittel rhetorischer Technik ist. Schubert sieht überdies, dass die behauptete fundamentale Differenz zwischen dem Logos Gottes und dem sermo der Menschen von Minucius nur angedeutet werden kann: »Jede breitere Entwicklung der Andersartigkeit von Gottes Wort hätte Minucius’ literarisches Konzept einer dialogischen Apologie erheblich beeinträchtigen müssen: Wozu diskutieren, wenn die Wahrheit ohnehin von Gott dekretiert wird und nachzulesen ist« (ibidem). – Jutta Tloka verlängert die Achse des Themas ›Antikes Christentum und Rhetorik‹ bis in die Spätantike des 4. Jahrhunderts (›Der Lgoc und die lgoi. Die Bedeutung der Rhetorik für die Konstituierung der christlichen Elite in der Spätantike‹, 301/21) und betont im Hinblick auf Autoren wie Gregor von Nazianz und Johannes Chrysostomus das grundsätzlich positive Verhältnis des antiken Christentums zur paideia, »wodurch die Rhetorik auch im christlichen Bereich die Funktion der Statuslegitimation erhält« (318). – Thomas Böhms gedankenreicher Aufsatz schließlich (›Ptolemäische Gnosis bei Hegel? Anmerkung zur Interpretation des Johannesprologs durch Amelius‹, 109/28), der u. a. einen interessanten Versuch in experimenteller Rezeptionsgeschichte darstellt, geht einer Hypothese von Jens Halfwassen nach, derzufolge Georg Wilhelm Friedrich Hegels Auslegung des Johannesprologs durch die bei Eusebius von Cäsarea, Praeparatio Evangelica 11,19,1 (vgl. Theodoret, Graecarum affectionum curatio 2,87f und Kyrill von Alexandrien, Contra Iulianum 8) überlieferte Auslegung des Johannesprologs durch den Plotinschüler Amelius beeinflusst ist. Während Böhm sich gegenüber der These Halfwassens zurückhaltend zeigt (durchaus möglich, aber nicht zwingend, lautet seine Einschätzung), so nimmt er auch zur Interpretation des Ameliusfragments selbst Stellung: Ihm zufolge drückt es nicht die eigene Meinung des Amelius aus, sondern referiert die Auslegung eines Anhängers des Valentinianers Ptolemäus (114/21). In diesem Zusammenhang möchte ich die von Luise Abramowski vorgeschlagene Interpretation des Ameliusfragments erwähnen (Nicänismus und Gnosis im Rom des Bischofs Liberius: ZsAntChr 8 [2004] 516/20, der ich mich weitgehend angeschlossen habe: RAC 23 [2009] 335). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 194 W. Löhr: Bagnall, Early Christian Books in Egypt In den drei übrigen Beiträgen steht die Auseinandersetzung von Christentum und Heidentum nicht so sehr im Vordergrund: Peter von Möllendorff, ›Lgoc apistoc. Der Logos als Helfer und Gegenspieler bei Lukian‹, 5/24; Thomas Johann Bauer, ›Einen missglückten Auftritt retten. 2 Kor 10,10f. und die rhetorische Kultur der frühen Kaiserzeit‹, 77/ 108; Hanns-Christof Brennecke, ›Homöismus und Logostheologie‹, 323/38). Heidelberg Winrich Löhr Roger S. Bagnall, Early Christian Books in Egypt (Princeton/Oxford, Princeton University Press 2009), 8°, XVII, 110 S., Gln. GBP 20,95. ISBN 978–0–691–14026–1. Dieser höchst gehaltvolle schmale Band ist die englische Fassung von vier Vorlesungen, die der bekannte amerikanische Papyrologe Roger S. Bagnall (= B.) im Mai 2006 als Gastprofessor an der Pariser École Pratique des Hautes Études gehalten hat (die französische Fassung ist publiziert als: Livres chrétiens antiques d’Égypte [Genf, Librairie Droz 2009]). B. will im Hinblick auf das oft – und zT. auch recht medienwirksam – behandelte Thema früher christlicher Papyri verbreitete problematische Annahmen und Fehlurteile korrigieren. Er tut dies, indem er die Perspektive über den papyrologischen Befund hinaus erweitert und dabei seine Expertise in spätantiker Demographie und Sozialgeschichte fruchtbar macht. Kapitel I (The Dating of the Earliest Christian Books in Egypt) widerspricht allzu optimistischen Annahmen im Hinblick auf die Existenz christlicher Papyri aus dem frühen 2. Jahrhundert: B. setzt sich skeptisch mit von der Forschung vogeschlagenen Frühdatierungen (zB. des P52, eines Fragments des Johannesevangeliums) auseinander (11/7) und präferiert eher (mit E. Turner) spätere Datierungen in das späte 2. oder 3. Jahrhundert (so zB. für P.Bad. IV 56 oder P.Oxy. L 3523). B. weist darauf hin, dass wir über das ägyptische Christentum des 2. Jahrhunderts fast nichts wissen und bezweifelt, dass das Christentum vor Mitte des 3. Jahrhunderts die ägyptische Chora in nennenswertem Ausmaß erreicht habe (seine Auskunft [7], Bischof Heraklas von Alexandrien habe zwanzig Bischöfe geweiht, dürfte sich allerdings auf eine nicht ganz unproblematische Quelle, das Annalenwerk des melkitischen Patriarchen Eutychios aus dem 10. Jahrhundert, stützen). B. schätzt dann die aufgrund des Anteils der Christen an der Gesamtbevölkerung (hier legt B. das von Rodney Stark, The Rise of Christianity [Princeton 1996] vorgeschlagene Modell zugrunde) wahrscheinlich erwartbare Anzahl erhaltener christlicher Bücher (20) – für das 1./2. Jahrhundert ergibt sich nach seinen Annahmen ein Wert von 0,056, für das 2. Jahrhundert 1,360 – und kommt zu dem Schluss, dass diese durch die tatsächlich erhaltene Anzahl von mehr oder weniger sicher in das 2. Jahrhundert datierbaren Papyri auf jeden Fall übertroffen wird. B. resümiert (21): »It is time to let go of the idea that Christian literature is somehow underrepresented in the papyri before the later third century. If the early dates attributed to Christian texts are accepted, they are actually grossly overrepresented«. – Das zweite Kapitel (25/49) stellt zwei Forschungskontroversen um die Datierung bestimmter Papyrusfragmente dar: Zum einen um die von C. P. Thiede vorgeschlagene Datierung von P64 (der ja ein Matthäusfragment enthält) in das 1. Jahrhundert, zum anderen um die von A. Carlini vorgeschlagene Datierung von P.Iand. I 4 (der ein Fragment des Hirten des Hermas enthält) in die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts. Während Thiedes Vorschlag und Argumentation laut B. ein Beispiel für unseriöse Wissenschaft darstellen (B. ist sich natürlich bewusst, dass Thiedes These von Anfang an höchst umstritten war), zeigt die Debatte um Carlinis These, dass auch unter seriösen Papyrologen Datierungsunterschiede um gut ein halbes Jahrhundert möglich sind. – Das dritte, für mich interessanteste, Kapitel ist der Ökonomie der Buchproduktion gewidmet (50/69): Man erfährt dort, dass Bücher relativ teure Handwerksprodukte waren: Während Pergament nicht ganz zweieinhalb mal so teuer war wie Papyrus (55), ist es die Schreiberarbeit, die den größten Teil der Kosten des Endproduktes ausmachte. Damit unterschieden sich Codices nicht von anderen hochwertigen Handwerksprodukten in der spätantiken Ökonomie: »Things were expensive compared with incomes in antiquity, partly because most peoples’ incomes were low and partly because virtually all the labor that went into making things was hand labor and not mechanized« (64). Natürlich dürfte der Auftraggeber für einen Codex, hatte er sich erst einmal für das C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm W. Löhr: Barnes, Early Christian Hagiography and Roman History relativ teuere Pergament als Beschreibstoff entschieden, geneigt gewesen sein, sich auch einen relativ teueren Kalligraphen zu leisten: Eine komplette Pergamentbibel in kalligraphischer Schrift könnte ca. 16 Solidi, eine Papyrusbibel mit gleicher Schriftqualität ca. 14 Solidi gekostet haben (57). B. ist eher skeptisch gegenüber der Hypothese, dass Klöster die Buchproduktion verbilligten und damit zu dominierenden Zentren der Buchproduktion aufstiegen (60). Von den institutionellen Käufern dürften nur Kirchen mit einem Jahreseinkommen von über 360 Solidi sich alle nötigen Bücher haben leisten können (B. wertet hier die Novelle 123 c. III [nicht, wie er schreibt, 143] des Codex Iustinianus aus dem Jahr 546 A. D. aus, die von den Patriarchaten abwärts die Lokalkirchen in acht Einkommensklassen staffelt). Als Einzelpersonen kam als Käufer für Bibeln und andere christliche Literatur vor allem der höhere Klerus infrage, obwohl auch für diesen – je nach Einkommensverhältnissen – der Erwerb der Codices eine besondere Ausgabe dargestellt haben dürfte. – Das abschließende vierte Kapitel (The Spread of the Codex) widerlegt noch einmal in gründlicher Argumentation die These, dass das Christentum – wenn schon nicht für die Entstehung des Codex – so doch für dessen Ausbreitung in den ersten vier Jahrhunderten verantwortlich gewesen sei (70/90). B. kann durch quantitative Analyse der erhaltenen datierbaren Codices zeigen, dass der Codex in diesem Zeitraum nicht als eine spezifisch christliche Buchform betrachtet werden kann. Es bleibt allerdings wahr, dass christliche Bücher eher Codices als Schriftrollen sind und dass besonders die erhaltenen biblischen Papyri fast ausnahmslos Codexfragmente darstellen (74f). Wahr bleibt auch, dass nomina sacra sich nur in christlichen oder manichäischen Texten finden (24). B. diskutiert knapp und kritisch drei Theorien, welche die christliche Präferenz für den Codex als Buchform für die Bibel erklären wollen: Nur ein Codex habe alle vier Evangelien fassen können (C. Roberts und T. Skeat), nur ein Codex habe das gesamte Corpus Paulinum fassen können (H. Gamble), das Christentum stehe mit der Präferenz für den Codex in der Kontinuität des hellenischen Judentums (R. Kraft). Leider äußert sich B. hier nicht auch zu der gelegentlich in der Forschung auftauchenden Vermutung, derzufolge die Codexform praktisch für das rasche Auffinden von Bibelstellen (zB. 195 in Diskussionen) war. B. selbst präferiert eine vierte Hypothese: Er macht – wie andere (zB. H. Gamble) vor ihm – darauf aufmerksam, dass der Codex als Buchform in Rom entstanden ist: Private Aufzeichnungen und Memoranda wurden im Rom des 1. Jahrhunderts in Form von Holztäfelchen zusammengebunden. Die Ausbreitung der Codexform könnte also als kulturelle Romanisierung der antiken Schriftlichkeit gewertet werden, der Codex könnte zumindest anfänglich mit kaiserlicher Macht und der Kultur der römischen Elite assoziiert worden sein. Man könnte sogar mit B. spekulieren, ob sich die Christen mit der Präferenz für die ›römische‹ Buchform bewusst von der mit den griechischen Klassikern assoziierten Schriftrolle distanzieren wollten (88f). B. schreibt: »Ex oriente lux has been taken too seriously. The codex may be one of the signs just how Roman the world of Early Christianity was« (88). B. ist sich bewusst, wie hypothetisch seine Spekulationen über die – wie er im Anschluss an L. Hurtado formuliert – »semiotic nature of the adoption of the codex« ist. B. schließt mit der Hypothese, kulturell romanisierenden Einfluss im Sinne eines für die Ausbreitung der Codexform bestimmenden kulturellen Einflusses der Kirche von Rom zu verstehen (90): Dies dürfte schwer zu beweisen sein. B.s Buch, das spannend und mit einem gewissen flair geschrieben ist und das sorgfältige Argumentation mit geschärftem Sinn für die ökonomische und soziale Wirklichkeit der Spätantike sowie dem Mut zur anregenden Hypothese vereinigt, ist ein weiter Leserkreis zu wünschen. Es wird die Debatte um die Ursprünge der christlichen Bibel bereichern und ihr neue Perspektiven eröffnen. Heidelberg Winrich Löhr Timothy D. Barnes, Early Christian Hagiography and Roman History = Tria Corda 5 (Tübingen, Mohr Siebeck 2010), kl8°, XX, 437 S., brosch. Euro 29,–. ISBN 978–3– 16–150226–2. Dieses neue Buch des Historikers Timothy David Barnes (= B.), das die englische Fassung von Vorlesungen des Autors im Jahre 2008 an der Universität Jena darstellt, hat – wie das Vorwort mitteilt – eine längere Genese: Schon seit seinen wissenschaftlichen An- C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 196 W. Löhr: Barnes, Early Christian Hagiography and Roman History fängen hatte sich B., ein Schüler des Oxforder Historikers Ronald Syme, mit dem Thema beschäftigt; erinnert sei u. a. an seine einschlägige Studie »Pre-Decian Acta Martyrum«, erschienen im Journal of Theological Studies N.S. 19 (1968) 509/33. Syme war es auch, der B. zu einer kritischen Lektüre der Ignatiusbriefe und anderer martyrologischer Quellen des 2. und 3. Jahrhunderts anregte. B. sieht seine Arbeit in einer bis auf die Gelehrsamkeit von Jesuiten wie Héribert Rosweyde (1569– 1629) und Jean Bolland (1596–1665) zurückreichenden Tradition kritischer Hagiographie: So ist auch dieses Buch in ständigem impliziten und expliziten Dialog mit seinen gelehrten Vorgängern, besonders auch dem großen Bollandisten Hippolyte Delehaye (1859–1941) geschrieben. B. geht es nicht darum, eine Geschichte der hagiographischen Literatur zu schreiben – ein Standardwerk wie Adalbert de Vogués monumentale »Histoire littéraire du mouvement monastique dans l’antiquité« (12 Bde., Paris 1991/2008) wird mit keinem Wort erwähnt – sondern er konzentriert sich ganz auf die Frage, was an authentischen Daten aus der reichen hagiographischen Überlieferung zu gewinnen ist, was also der Ertrag der christlichen Hagiographie für die antike Geschichte (zB. Prosopographie und Chronologie) ist. Wie auch in früheren Veröffentlichungen enttäuscht B. auch diesmal diejenigen seiner Leser nicht, die von ihm provozierende Thesen, scharf formulierte Argumente und sarkastische Kommentare zu den (Fehl-)Leistungen seiner Historikerkollegen aus Vergangenheit und Gegenwart erwarten: Eine bekannte Byzantinistin, die offenbar 1968 in der Zeitschrift Annales Zweifel an der Fruchtbarkeit der kritischen Hagiographie äußerte und stattdessen empfahl, sich theoretisch an der Strukturanalyse zu orientieren, bescheidet B. knapp: »More than forty years on, it is not clear to me that models derived from Claude Lévy-Strauss [sic!] have provided the desired enligthenment« (30027). Historiker, die unvorsichtig genug waren, von einem ›Mailänder Edikt‹ (eine Bezeichnung die nach B. »bogus, improper and dangerously misleading« ist) im Jahr 313 zu sprechen, finden ihren Klassenbucheintrag auf S. 984. Mangelnde Kenntnis der Literatur wird ebenso notiert (301 zu den Acta Timothei) wie mangelnde Verwertung zitierter Literatur (16440). Auch mit Selbstkritik spart B. nicht (17373). Die argumentative Aggressivität des Autors macht das Buch zu einer kurzweiligen Lektüre. B. behandelt sein Thema in sieben Kapiteln und neun Anhängen: Kapitel I (›Apostles and Martyrs‹, S. 1/41) versucht u. a. zu zeigen, dass Petrus zusammen mit anderen Christen im Jahre 64 nC. am Tiberufer auf Befehl Kaiser Neros verbrannt wurde: Reliquien konnten vermutlich nicht geborgen werden und sind deshalb womöglich nicht erhalten (31). B. gelangt zu diesem Ergebnis durch eine Kombination von Tacitus, ann. 15,44 und Joh. 21,18f: B. zufolge spielt der Evangeliumstext auf die besondere, von Nero erfundene Art der Hinrichtung an, wie sie Tacitus beschreibt: Die Christen wurden entweder in die Felle wilder Tiere eingeschnürt und von Hunden zerfleischt oder als lebende Fackeln verwendet »presumably after being clothed in inflammable tunics« (5). In einem Anhang (nr. 8: ›Stolen Bones‹, S. 397/406) zeichnet B. kritisch und knapp die Fundgeschichte derjenigen Gebeine nach, die am 27. 6. 1968 durch Papst Paul VI zu den sterblichen Überresten des Apostels erklärt wurden; er fordert eine DNA-Untersuchung und hält einstweilen die Vermutung des Greifswalder Kirchenhistorikers Hans-Georg Thümmel für möglich, dass es sich nicht um Petrus, sondern um einen ad sanctum beigesetzten Nachfolger Petri handelt (406). Weiter versucht B. im ersten Kapitel u. a. zu zeigen, dass der Apostel Paulus in Spanien hingerichtet wurde und dass die christliche Martyriumsideologie erstmals in Kleinasien oder dem römischen Syrien zwischen 130 und 140 nC. entstanden ist. Kapitel II (›Documents from the Period of Persecution‹, 43/95) enthält eine kritische Musterung der Quellen zur Christenverfolgung vor 260 nC. Er stellt Eusebius von Cäsarea als den ersten namentlich bekannten Hagiographen vor: Eusebius verwertet in seiner Kirchengeschichte eine von ihm zuvor hergestellte Sammlung alter Martyriumsberichte. Doch greift die Sammlung des Eusebius nach B. ihrerseits auf eine ältere anonyme Sammlung von Martyriumsberichten zurück, welche nach B. folgende Martyrien enthielt (44f): 1. Polykarpmartyrium, 2. eine frühere, nicht erhaltene Version des Martyriums von Carpus, Papylas und Agathonice, 3. Pioniusmartyrium, sowie 4. Brief der Gemeinden von Lyon und Vienne (Eusebius, h. e. 5,1,3/3,4). Mir ist nicht ganz klar, wie B. die Hypothese einer voreusebianischen Sammlung von Martyri- C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm W. Löhr: Barnes, Early Christian Hagiography and Roman History umsberichten begründet: Er verweist auf Eus. h. e. 4,15,46, wo aber lediglich davon die Rede ist, dass dem Eusebius vorliegenden Polykarpmartyrium weitere Martyrien, die sich in Smyrna ereignet haben, angefügt sind. Bei Eusebius folgt dann (h. e. 4,15,46f) zunächst ein langer Verweis auf das Pioniusmartyrium. Eusebius las das Polykarp- und das Pioniusmartyrium in einem Codex, deshalb nahm er auch an, dass beide Martyrien zur gleichen Zeit stattfanden (vgl. R. M. Grant, Eusebius as Church Historian [Oxford 1980] 115f). Übrigens dürfte der Brief der Gemeinden von Lyon und Vienne nach den recht verstandenen Angaben des Eusebius ebenfalls Anhänge gehabt haben (vgl. W. Löhr, Der Brief der Gemeinden von Lyon und Vienne: Oecumenia et Patristica, Festschr. W. Schneemelcher [Genf 1989] 135/49). Schließlich wird das Martyrium von Carpus, Papylas und Agathonice erwähnt (Eus. h. e. 4,15,48: angeschlossen mit xÇc) – das jedoch in Pergamum zu lokalisieren ist: Es ist nicht klar, ob Eusebius sagen will, dass sich dies im selben Dokument wie Polykarp- und Pioniusmartyrium befand. B. diskutiert dann das bekannte Problem, inwieweit die erhaltenen Martyriumsberichte echtes Aktenmaterial enthalten oder Augenzeugenberichte darstellen. Wichtig ist seine Feststellung, dass offizielle Dokumente aus der griechisch-römischen Welt ohnehin kaum erhalten sind: Es handelt sich zumeist um durch einzelne oder Gruppen mit besonderem Interesse angefertigte Kopien solcher ursprünglich in Bronze, Stein oder Papyrus ausgefertigten Dokumente. Auch die Christen – so der Schluss von B. (55) – dürften Aktenkopien bei sie interessierenden Gerichtsprozessen angefertigt haben. Die Protokollierung des Prozesses wird gelegentlich erwähnt, B. verweist auf Eus. h. e. 7,11,6 u. a., für weitere derartige Belege vgl. S. Ronchey, Les procès verbaux des martyres chrétiens dans les Acta Martyrum et leur fortune: MélÉcFrançRome Ant. 112 (2000) 723/52. B. zitiert als ein Beispiel für protokollartige Martyriumsberichte, deren Form er knapp analysiert, das älteste lateinische Martyrium, die Passio der Märtyrer von Scili. Jedoch ist hier – trotz der Ansicht von B., dass diese auf dem offiziellen Protokoll aufbauen – die intensive literarische und theologische Stilisierung zu beachten, vgl. H. A. Gärtner, Die Acta Scilitanorum in literarischer Interpretation: WienStud 102 (1989) 149/67. B. unterscheidet – wie andere Ge- 197 lehrte vor ihm – von den protokollförmigen Martyrien mehr erzählende Martyrien, die ihm zufolge direkt oder indirekt auf Augenzeugenberichte zurückgehen. Er bespricht in diesem Zusammenhang das Martyrium der Perpetua und Felicitas sowie das Pioniusmartyrium etwas ausführlicher (66/76): Hier finden sich treffende Beobachtungen, wie zB. die, dass das Perpetuamartyrium von einem Montanisten geschrieben sein dürfte, der den Kontakt mit der Großkirche noch nicht verloren hatte (73f). B. beschäftigt sich auch mit der valerianischen Verfolgung in Karthago (77/ 95). Aus einem Hinweis in c. 2,1 des Martyriums von Lucius, Montanus und Gefährten (nach der Edition von F. Dolbeau: RevÉtAug 29 [1983] 39/81) schließt er auf ein christliches Attentat auf den römischen Statthalter im September 358. Vielleicht belastet B. hier den Martyriumsbericht doch zu stark; falls nicht, so stellt der Bericht der Acta Cypriani über eine Erkrankung des Statthalters eine Fälschung dar. Doch bedauert man, dass B. sich nicht mit der Ansicht von X. Dupuis, Passion de Lucius et de Montanus: RevÉtAug 49 (2003) 25820 auseinandersetzt, derzufolge der entscheidende Satz in c. 2,1 »quem ferox vulgus in necem praesidis concitarat« sich auf den Prokurator, nicht auf den krankheitshalber verstorbenen Prokonsul bezieht und auch nur das angebliche oder wirkliche Ziel des Aufstandes bezeichnet: »S’il avait été atteint, la procédure et les chefs d’accusation eussent été différents«. Kapitel III (›The »Great Persecution«‹, 97/150) behandelt Aspekte der diokletianischen Christenverfolgung, so zB. Märtyrer infolge von Wehrdienstverweigerung (106/10) oder die Frage der Durchführung der Verfolgungsgesetze unter verschiedenen Kaisern und in verschiedenen Regionen. B. geht in diesem Zusammenhang auch auf eine der wichtigsten neuentdeckten Quellen ein, die von Paolo Chiesa entdeckten und 1996 erstmals edierten Acta Gallonii, den Bericht eines Prozesses vor dem Statthalter Anullinus in dem Städchen Timida Regia im Sommer 303 nC. Die Handschrift (Biblioteca del Seminario, Tesoro del Duomo, Cod. 8; 13. Jahrhundert) aus Gorizia liest als Datum des Martyriums pridie kalendas ian. (Chiesa: Ianuarii), eine Angabe, die B. mit Verweis auf den Heiligenkalendar Karthagos plausibel zu pridie kalendas Iunii emendiert. Eine ähnliche Emendation (pridie kalendas Iunias) hatte bereits S. Lancel in seiner posthum veröffentlichten C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 198 W. Löhr: Barnes, Early Christian Hagiography and Roman History Edition des Martyriums vorgeschlagen, vgl. S. Lancel, Actes de Gallonius: RevÉtAug 52 (2006) 243/59 (vgl. auch die Kommentare von S. Lancel: Comptes-Rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles Lettres 143 [1999] 1013/22, und C. Lepelley: Bulletin de la Société nationale des antiquaires de France 1999, 205/21). B. meint zwar, dass präzise Angaben über die Zahl christlicher Märtyrer der östlichen Kirchen in der diokletianischen Verfolgung unmöglich seien, widersetzt sich aber in diesem Kapitel und auch sonst einem Trend, diese Zahl zu niedrig anzusetzen (294f18). Mit Verweis auf c. 7 der Passio Petri, die B. zufolge (der sich hier offenbar W. Telfer anschließt) auf eine in das Jahr 368 nC. zu datierende Quelle zurückgeht, beträgt die Zahl der Opfer für Alexandrien allein 660. Doch ist die Datierung der Quelle problematisch (vgl. A. Martin, Athanase d’Alexandrie et l’église d’Égypte au IVe siècle [Rom 1996] 245) und es ist unklar, wie es zu dieser Zahlenangabe kommt. Kapitel IV (›The Beginnings of Ficticious Hagiography‹, 151/ 98) behandelt die Entstehung einer – laut B. teilweise unter dem Eindruck der antichristlichen Maßnahmen des Kaisers Julian erfolgten (155) – stärker literarisch geprägten Hagiographie, deren Angaben als historisch wenig belastbar erscheinen. B. behandelt hier neben dem Martyrium des Theodotus von Ancyra zunächst die Vita Antonii (160/70). Doch geht es B. in diesem Fall vor allem um den Nachweis, dass Athanasius eher Redaktor als Autor der Vita ist; der alexandrinische Bischof greift – so B. in Aufnahme der bekannten These von Martin Tetz – auf den Bericht eines Gewährsmannes zurück. B. geht dann auf den Hagiographen Hieronymus als Autor der Viten des Paulus, des Hilarion und des Malchus ein und versucht, deren Datierung, literarische Form und historischen Wahrheitsgehalt zu klären (170/92), bevor er das Kapitel mit einer kritischen Sichtung der Vita Ambrosii des Paulinus schließt. Das Kapitel V (›Saint Martin of Tours: History and Invention‹, 199/ 234) versucht aus der Hagiographie des Sulpicius Severus, d. h. der Vita Martini, der ep. 1 sowie dem Dialog Gallus (Bücher 2 und 3) authentische Angaben zu gewinnen. B. schließt sich der radikalen Kritik des französischen Gelehrten Ernest (nicht, so B. 200, Édouard) Charles Babut (Saint Martin de Tours [Paris 1912]) an: So kommt er zB. zu dem Schluss, dass entweder die Angaben der vita über die militärische Karriere Martins oder über den Aufenthalt Martins bei Hilarius von Poitiers im Jahre 356 fiktiv sein dürften. Man bedauert hier – wie auch sonst – dass B. sich mit dieser Feststellung begnügt und zu wenig nach Motiven, Funktion und Adressaten der zT. recht komplexen Fiktionen fragt. Kapitel VI (›History and Fiction in the fifth and sixth Centuries‹, 235/83) dehnt die Analyse auf spätere hagiographische Quellen aus: Besonders beachtenswert sind hier die Argumente, die er – unter Aufnahme der Beobachtungen von A. Cameron und J. Long – für eine Spätdatierung der Vita des Porphyrius von Gaza (BHG 1570) einführt (260/83). B. notiert zahlreiche Anachronismen und Unwahrscheinlichkeiten und kommt zu dem Ergebnis, dass es sich bei dieser Quelle um eine Fälschung des 6. Jahrhunderts handelt. Kapitel VII (›Early Modern Christian Hagiography and Modern Historical Scholarship‹, 285/328) zeichnet knapp die Geschichte der kritischen Hagiographie nach (285/300), um dann – etwas überraschend für den Leser – noch einmal an ausgewählten Beispielen die Interdependenz von kritischer Hagiographie und Prosopographie zu demonstrieren (300/23). Die neun Anhänge enthalten neben der Diskussion einzelner ausgegliederter Probleme (zB. der Datierung des Polykarpmartyriums oder der Frage, ob christliche Märtyrer gekreuzigt wurden – B. verneint sie für alle Verfolgungen außer derjenigen des Maximinus Daja) auch eine nützliche Aufstellung der Listen früher hagiographischer Quellen, inklusive einer von B. vorgeschlagenen Liste (343/59). – B.s neuer Versuch einer kritischen Hagiographie, der die hartnäckigen Fakten immer im Blick behält, dürfte die gelehrte Diskussion eher beleben als beenden. Natürlich kann und muss man an die hagiographische Überlieferung auch andere und weitere Fragen stellen als B. dies tut – aber dies entwertet nicht die Fragen, die er diskutiert und zu beantworten sucht. Sie sind Teil derjenigen historischen Gelehrsamkeit, die – so die Vermutung Paul Veynes (Comment on écrit l’histoire [Paris 1996] 304/7) – anders als die ehrgeizigen historischen Großerzählungen und Synthesen – nicht veralten dürfte. – Korrekturen: S. 82: Cyprian starb am 14. 9. 258, nicht 259; S. 136: Crispina wurde am 5. 12. (»die nonarum decembrium«), nicht am 3. 12. 304 der Prozess gemacht. Heidelberg Winrich Löhr C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm K. Greschat: Moll, The Arch-Heretic Marcion Sebastian Moll, The Arch-Heretic Marcion = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 250 (Tübingen, Mohr Siebeck 2010), 8°, XIII, 181 S., Gln. Euro 59,–. ISBN 978–3–16–150268–2. Nahezu zeitgleich mit der hier zu besprechenden Untersuchung, für die Moll im Jahre 2009 der Titel eines Ph.D. der University of Edinburgh verliehen wurde, erschien auch ein kurzer Artikel mit den wichtigsten Thesen seiner Arbeit: »Marcion: A New Perspective on His Life, Theology, and Impact« (Expository Times 121 [2010] 281/6). Der Titel dieses Aufsatzes macht noch etwas deutlicher, daß es M. um eine Auseinandersetzung mit Harnacks monumentaler Marciondarstellung geht. Doch sowohl für die Darstellung des Harnackschen Ansatzes als auch für die Marcionforschung seit Harnack reichen M. in der vorliegenden Monographie einige wenige Seiten (1/10), denn seither ist in seinen Augen nichts Nennenswertes geschehen. Man habe lediglich das Desiderat nach einem neuen Marcionbild formuliert und eine Lücke konstatiert, die mit dem vorliegenden Band nun endlich geschlossen werden soll: »Even at the risk of sounding too bold I hereby declare: with this thesis I take up the challenge to fill this gap« (10). Das ist kein geringer Anspruch und der Leser fragt sich, wie im Rahmen eines so schmalen Bandes die komplexen Fragen nach den Quellen (11/24), nach Marcions Leben (25/46) und seiner Vorstellung von den beiden Göttern (47/76), nach Marcions Bibel (77/106) und seinen anderen Werken (107/ 20), nach der marcionitischen Kirche (121/ 34) und nach Marcions Bedeutung vornehmlich auf dem Horizont des zweiten Jahrhunderts (135/58) behandelt werden sollen. Das kann nur durch radikale Vereinfachungen und durch das Aufstellen reichlich steiler Thesen gelingen, die geeignet sein sollen, den Kontrast zu Harnacks Marcion zu betonen. Kurioserweise übernimmt M. dann aber doch dessen Charakterisierung Marcions als eines reinen Biblizisten, was etwa die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zur Gnosis überflüssig macht (72/5), und neigt ebenso wie Harnack zu Psychologisierungen, indem er Marcion fanatischen Haß auf den Weltschöpfer bescheinigt (82. 159 u. ö.) und Marcions theologischen Ansatz mit dem deutschen Begriff des »Trotzes« gegenüber dem 199 Weltschöpfer umschreibt (67. 76. 130/2. 134. 160). Die Subtilitäten des Harnackschen Marcionbildes interessieren M. offensichtlich nicht. Harnack bildet vielmehr mit Ansichten wie: »Marcion was a loyal disciple of Paul, a Lutheran Reformer of the second century« (4; Hervorhebung im Original) und der marcionitischen Unterscheidung zwischen dem gerechten und guten Gott lediglich die Negativfolie, um M.s mehrfach geäußerte These: »Marcion did not understand the Old Testament in the light of the New; he interpreted the New Testament in the light of the Old« (82. 106. 160; Hervorhebung im Original) zu stützen. Überdies behauptet M. hartnäckig gegenüber Harnack, Marcion habe ursprünglich einen konsequenten Dualismus vertreten. Das gehört jedoch eher ins Reich der »steilen Thesen«, da nun ausgerechnet die dafür herangezogenen ältesten Quellen (Justin, der Älteste bei Irenäus und Rhodon) keinen Dualismus zwischen einem guten und schlechten Gott erkennen lassen, wie M. selbst feststellt (49f). Wie er dennoch folgendermaßen formulieren kann: »Marcion’s original doctrine: Good God vs. Evil God« (48; Hervorhebung im Original), bleibt sein Geheimnis. Sowohl die von Clemens von Alexandrien, Tertullian, Origenes, Hippolyt, Ephraem Syrus und dem Carmen adversus Marcionitas (das ins dritte Jahrhundert datiert wird, 23) angeblich bezeugte »first deformation« (50/3), die zwischen einem guten und gerechten Gott sowie der üblen Materie unterscheidet, als auch die »second deformation« (53f), die nun einen Unterschied zwischen dem guten, gerechten und bösen Gott macht, wie bei Adamantius und Epiphanius bezeugt, lassen sich letztlich anhand der Quellen nicht recht greifen. Vielmehr zeigt die Aufspaltung der Marcioniten anhand der Prinzipienlehre in unterschiedliche Schulrichtungen bei Rhodon, die M. als »turning point in the history of the Marcionite movement« (50) bezeichnet, daß man es mit einem allzu bekannten Topos zu tun hat, der die gegnerischen Ansichten als in sich nicht konsistent zu diffamieren sucht. Daß die genaue Definition und Abgrenzung der Prinzipien – die hier als entscheidendes Kriterium verstanden wird – möglicherweise für die Marcioniten gar nicht so zentral gewesen sein könnte, wie M. meint, wird nicht weiter reflektiert. Das hängt vermutlich auch damit zusammen, daß M. keinerlei Kriterien dafür entwickelt, wie damit umzugehen ist, daß C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 200 K. Greschat: Moll, The Arch-Heretic Marcion es keinerlei direkte Bezeugung zu Marcion gibt, sondern daß man sich häufig insbesondere Tertullians Zuschreibungen ausgesetzt sieht. Weil M. über dieses gravierende Problem nicht weiter nachdenkt, steht er ständig in der Gefahr, alte Vorurteile – wie etwa das des marcionitischen Doketismus (65. 99) – schlicht zu wiederholen. Hätte er hingegen Tertullian genauer und dazu die Veröffentlichungen etwa von Markus Vinzent gelesen, den M. nach Ausweis des Literaturverzeichnisses nicht zu kennen scheint, dann hätte er sicherlich gemerkt, daß es niemand anders als Tertullian ist, der Marcion an dieser Stelle Doketismus unterstellt. Auf der Basis von Passagen aus dem Evangelium, von denen Tertullian und/oder Epiphanius berichten, daß Marcion sie verkürzt habe, kündigt M. mit großer Geste an: »I would like to attempt this never before tried enterprise of reconstructing the rules according to which Marcion revised the Gospel of Luke from the text of Marcion’s Gospel« (92). Wie kaum anders zu erwarten, sind diese Regeln dann relativ einfach und nicht sehr zahlreich. Außerdem – so M. weiter – lassen diese Kürzungen den Schluß zu, daß Marcion tatsächlich, wie ihm von seinen Widersachern vorgeworfen wurde, ein bereits vorhandenes Evangelium bearbeitet hat, Marcions Evangelium könne also kein Proto-Lukas gewesen sein, wie zuletzt mit einigen Unterschieden etwa John Knox oder auch Matthias Klinghardt angenommen haben. Auf diesem Hintergrund ist erstaunlich, wie wenig M. zu der gleichfalls von Harnack vorgebrachten und dann von von Campenhausen ausgearbeiteten These, Marcion sei der Begründer des neutestamentlichen Kanons gewesen, zu sagen hat (103/6). M. macht sich die Sache allzu einfach und setzt Marcions Textbearbeitungen mit der Geburt des Kanons im Sinne einer »authoritative collection of books« (104) gleich. Weder wird erwogen, welchen Status diese unverkürzten Texte bei anderen Christen hatten, noch wird darüber nachgedacht, ob es Analogien zu dieser Form des Kanonisierungsprozesses gab oder ob es Marcion nicht schlichtweg darum gegangen sein könnte, mit den gängigen Methoden der Textkritik einen verläßlichen Text zu erstellen. Kurz: sämtliche Fragen, die in der Auseinandersetzung mit von Campenhausen seit vielen Jahren sehr eingehend diskutiert werden, gibt es für M. gar nicht. Offensichtlich ist Marcion für ihn ebenso wie für Harnack eine in seiner Zeit völlig singuläre Erscheinung. Was bei Harnack jedoch voll und ganz plausibel ist, da Marcion programmatisch quer zu seinen Zeitgenossen steht, bleibt in M.s Konzeption einigermaßen rätselhaft, weil auf Marcions Sonderstellung an keiner Stelle genauer eingegangen wird. Statt dessen behauptet M., Marcion habe »the first Christian bi-partite canon by opposing the Old to the New Testament« (105) gleichsam als eine Art Schriftbeweis zu seinen Antithesen aufgestellt. Als Begründung für diese Behauptung muß das letzte Kapitel der Untersuchung herhalten, in dem gezeigt wird, daß Marcions Radikalität dazu führte, daß man sich im Verlauf des zweiten Jahrhunderts vertieft mit dem Verhältnis zwischen alt und neu und mit der Frage des Gesetzes auseinandersetzen mußte. Das kann man jedoch schon in den Veröffentlichungen von Claudio Moreschini und Enrico Norelli in aller Ausführlichkeit nachlesen. An welcher Stelle hat der Leser nun die Chance, dem mit großem Theaterdonner angekündigten neuen Marcionbild zu begegnen? Nachdenkenswert ist M.s Datierungsvorschlag für Marcions römische Zeit. Mit guten Gründen weist er darauf hin, daß sich die berühmten 115 ½ Jahre zwischen Christus und Marcion auch auf Marcions Auftauchen in Rom beziehen könnten, so daß mit dem Datum des Jahres 144 nicht seine Trennung von der Gemeinde, sondern möglicherweise der Beginn seiner römischen Wirksamkeit gemeint sei (32/5). Das begründet jedoch noch kein neues Marcionbild. Statt dem Harnackschen Reformator vor der Zeit tritt dem Leser nun der Erzhäretiker entgegen, dessen Bewegung nach Ansicht von M. eben keine weitere Gruppe innerhalb der römischen Kirche bildete, sondern vielmehr offiziell aus der Kirche ausgeschlossen wurde: »the first actual outcast from the Church [. . .] the first actual heretic« (44; Hervorhebung im Original). Doch auch an dieser Stelle wird nicht weiter darüber nachgedacht, wie man sich ein solches Verfahren im Rahmen der bekanntermaßen stark fraktionierten römischen Gemeinde vorstellen soll. Vielmehr wird schlicht die Sichtweise der antimarcionitischen Literatur für bare Münze genommen. Ebenso anachronistisch wie Marcion als Reformator ist nunmehr auch Marcion als Erzhäretiker, der in seiner eigenen Kirche dann aber doch gleichsam die Stellung eines Papstes innehatte (127). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm B. Pouderon: Morlet, La Démonstration évagélique d’Eusèbe de Césarée Die hier vorliegende Untersuchung liefert demnach kein neues Marcionbild, sie ist vielmehr Ausdruck eines geradezu unbändigen »Trotzes« gegen Harnack und sein eindrückliches Bild dieses Theologen aus dem zweiten Jahrhundert, ohne jedoch dessen souveräne Quellenbeherrschung und Übersicht über die Literatur zu besitzen. Auf ein neues Marcionbild wird der Leser also wohl noch warten müssen. Bochum Katharina Greschat Sébastien Morlet, La Démonstration évangélique d’Eusèbe de Césarée. Étude sur l’apologétique chrétienne à l’époque de Constantin = Collection des Études Augustiniennes, série Antiquité 187 (Paris, Institut d’études Augustiniennes, 2009), 8°, 701 S., brosch. Euro 47,39 + MWS. ISBN 978–2– 85121–233–7. Cet ouvrage est la version remaniée d’une excellente thèse soutenue devant l’université de Paris IV-Sorbonne en 2006. Ce gigantesque travail (634 pages, auxquels s’ajoutent 22 pages de bibliographie, un Index biblique et un Index des auteurs anciens et médiévaux) se structure en trois parties. D’abord, une introduction (p. 25/147) à la hauteur de l’ensemble, présentant le projet apologétique d’Eusèbe au sein de la « grande Apologie » qui rassemble la Préparation évangélique et la Démonstration évangélique, qualifiée aussi par lui de « diptyque » et de « somme apologétique », analysant son titre, sa forme, les circonstances de sa composition, puis dessinant son plan, restituant autant que faire se peut le contenu des dix livres perdus. Puis une première partie (p. 149/307) consacrée aux grands axes de la polémique, suivant l’ordre des premiers des livres conservés : la Loi et l’Évangile (livre I de la DE), les promesses de l’Écriture, entre juifs et chrétiens (livre II de la DE), le Christ (livres III et IV de la DE), l’œuvre cosmique du Verbe (livre IV de la DE). La seconde partie (p. 309/417) est consacrée à l’argumentation scripturaire, abordant en priorité la question de l’origine des testimonia utilisés par Eusèbe (difficile question, à laquelle SM répond en reconnaissant que si la plupart des pièces du dossier sont traditionnelles – c’est l’hypothèse « Jason et Papiscus », qu’il soutient très mollement, parce qu’il lui paraît 201 difficile de voir dans un seul ouvrage la source de toute la littérature anti-juive –, Eusèbe y a ajouté de nouvelles pièces et a utilisé le dossier existant avec originalité), puis l’argumentation scripturaire elle-même (les différents testimonia et leur analyse), de nouveau selon l’ordre des livres conservés, du livre I au livre X. La troisième partie traite de l’argumentation exégétique, d’abord dans sa dimension polémique, puis dans sa dimension savante, avant de comparer l’exégèse d’Eusèbe à celle d’Origène, à la fois dans sa dépendance et dans son originalité : de cette étude se dégagent quelques conclusions d’importance : l’exégèse d’Eusèbe dans la DE est intimement liée à son usage polémique ; elle se fonde sur une méthode originale, avec notamment des extraits plus longs et un souci du contexte ; elle s’appuie sur une réflexion critique (attribution, etc.) ; elle possède une dimension pédagogique, tout en restant une œuvre d’érudit ; elle est plus littérale que celle d’Origène, ne serait-ce que parce qu’Eusèbe ne remet pas en cause la réalité des événements historiques ; elle accorde plus volontiers une portée christologique aux textes prophétiques, mais ne recourt que secondairement à la typologie (puisqu’aux yeux d’Eusèbe l’histoire du peuple hébreu a valeur en soi) ; toutefois, cette prise de distance d’Eusèbe par rapport à Origène n’est pas à mettre en relation avec la querelle origéniste, dans la mesure où Eusèbe n’hésite pas à soutenir des doctrines de son maître hautement contestées, comme la préexistence des âmes. Une conclusion générale (p. 623/34) dégage les apports de ce travail à la connaissance d’Eusèbe, participant à une réhabilitation de son œuvre. Dans cette véritable « somme », SM fait preuve d’un jugement, d’une indépendance et d’une maturité assez exceptionnels, dont ne rend pas compte un si court abrégé. Rappelons cependant les apports de ce travail. 1) SM met en doute la thèse selon laquelle Eusèbe, dans la DE, répond à l’Adversus Christianos de Porphyre. Il souligne au contraire l’influence du Contre Celse, et lie la présence de Porphyre (qu’il ne nie évidemment pas) à la polémique d’Eusèbe contre les oracles du paganisme et à des renvois à la Philosophie des oracles (p. 272/80). Il va même jusqu’à rejeter la thèse selon laquelle Eusèbe a utilisé dans la DE des passages tirés de son propre Contre Porphyre (perdu). 2) Il affirme concomitamment C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 202 G. Klingenberg: Les lois religieuses des empereurs romains II que le Contre Celse n’est pas le seul ouvrage d’Origène qu’ait utilisé Eusèbe dans la DE, et mentionne plus particulièrement l’usage des Commentaires origéniens des Psaumes et des Prophètes (p. 592/611). 3) Observant que pour Eusèbe le peuple chrétien est la substitution historique des chrétiens aux Juifs (p. 219/26), il n’en souligne pas moins le fait que le Palestinien présente le christianisme comme un retour à la piété antérieure à Moïse, la religion des patriarches, elle-même identifiable à la religion originelle (p. 160/ 70). 4) SM étudie l’argument des théophanies chez Eusèbe (p. 439/57), mettant en avant l’originalité de son usage, très différent de celui d’Origène (par ex. appliquant au Fils des textes qu’Origène appliquait au Père, refusant, contre Origène, d’identifier au Père et au Fils des personnages vétérotestamentaires, ou au contraire donnant un sens christologique à des passages qu’Origène appliquait à des anges ou à des hommes). 5) Quelques points de détail : le relevé qu’a fait SM des citations de Josèphe (p. 513/4 et 671) augmente le nombre des occurrences retenues par Schreckenberg ; de même, il établit un nouveau relevé de l’emploi des révisions juives de la LXX chez Origène puis dans la DE (p. 518/52). Bel ouvrage, donc, extrêmement prometteur, qui range déjà notre tout jeune collègue parmi les « grands » de la patristique. Tours Bernard Pouderon Les lois religieuses des empereurs romains de Constantin à Théodose II (312–438) Vol II. Code Théodosien I–XV, Code Justinien, Constitutions Sirmondiennes. Texte latin T. Mommsen, P. Meyer, P. Krüger; traduction Jean Rougé, Roland Delmaire, introduction et notes Roland Delmaire avec la collaboration de Olivier Huck, François Richard et Laurent Guichard = Sources Chrétiennes 531 (Paris, Les Éditions du Cerf 2009), 8°, 592 S., brosch. Euro 53,–. ISBN 978–2–204–08820–6. Als eigentlicher sedes materiae der Religionsgesetzgebung ist das 16. Buch des Codex Theodosianus anzusehen: Dieses wurde als Bd. I der Lois religieuses bereits 2005 publiziert (siehe dazu die Besprechung in JbAC 50 [2007] 230/2). Mit dem nunmehr vorgeleg- ten Bd. II werden ergänzend die außerhalb des 16. Buches überlieferten Konstitutionen präsentiert. Die in den Büchern 1/15 gesammelten Konstitutionen wurden von den theodosianischen Kompilatoren nicht im Hinblick auf ihren religiösen oder religionspolitischen Aspekt, sondern wegen der Zugehörigkeit zur jeweiligen Sachmaterie aufgenommen. Die Aufgabe, daraus nun jene herauszufiltern, die dann doch inhaltlich auch mit der Religion – wenn auch in durchaus verschiedener Intensität – zu tun haben, ist von den Herausgebern sehr gewissenhaft erfüllt worden. Das Auswahlkriterium »lois religieuses« wurde dabei bewusst weit gesehen, wobei auch Grenzfälle nicht ausgespart werden, wie etwa die weitgehende Aufhebung der augusteischen Ehegesetze (mit ihren Sanktionen gegen Eheund Kinderlosigkeit) durch Konstantin in Cod. Theod. 8,16,1 (S. 122/5): Auch wenn Delmaire dem von Eusebius überlieferten religiösen Motiv (vita Const. 4,26,2/4) keinen Glauben schenkt, sondern die Bekämpfung des Delatorenunwesens (so auch Nazarius, Paneg. Lat. 10,38,4f) als Hintergrund sieht, hat man sich für die Aufnahme dieses Gesetzes entschieden (S. 122f3). Die strenge Bestrafung der Delation durch Konstantin hat keinen religionspolitischen Hintergrund, daher sind die beiden Konstitutionen (Cod. Theod. 10,10,1 und 2) zwar im Apparat erwähnt, aber nicht in die Sammlung aufgenommen worden, wohl aber jene, die es nicht als verpönte Delation ansehen, wenn Anzeigen religiös gefärbte Deliktstatbestände betreffen, wie zB. die Tätigkeit als privater haruspex (Cod. Theod. 9,16,1; S. 134/7) oder die Entführung einer virgo deo dicata (Cod. Theod. 9,25,3; S. 178f). Insgesamt wird durch die vorgeführten 166 Konstitutionen aus dem Cod. Theod. (S. 27/ 399) ein sehr buntes und komplexes Bild geboten, wozu in der Introduction eine Übersicht nicht nur entsprechend der Legalordnung (S. 8f), sondern auch nach den erfassten Materien geboten wird (S. 9f). Neben der christlichen Religion und deren Auswirkungen auf sämtliche Regelungsmaterien sind das auch das neue Verhältnis zum heidnischen Kult sowie die Stellung der Juden. Über die aus dem Cod. Theod. stammenden Texte hinaus sind dem Cod. Iust. insgesamt 16 Konstitutionen entnommen, die aus derselben Epoche stammen, aber nicht auch im Cod. Theod. überliefert sind (S. 400/27). Die C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm G. Klingenberg: Les lois religieuses des empereurs romains II Sirmondianischen Konstitutionen werden nach einer gesonderten Introduction durch O. Huck (S. 429/68) zur Gänze präsentiert (S. 469/539). Einige Sachtitel aus dem Cod. Theod. sind komplett aufgenommen worden, wie etwa der gegen die heidnischen Riten und Astrologen gerichtete Titel »De maleficiis et mathematicis et ceteris similibus« (Cod. Theod. 9,16; S. 134/57), der Titel »De sepulcri violati« (Cod. Theod. 9,17; S. 158/75) oder die Bestimmungen über das Kirchenasyl im Titel »De his qui ad ecclesias confugiunt« (Cod. Theod. 9,45; S. 210/25). Ansonsten ist die Auswahl aus den einzelnen Titeln natürlich in verschiedener Dichte erfolgt, die auch anzeigt, wie intensiv die Berührung des entsprechenden Sachtitels zu religiösen oder religionspolitischen Aspekten ist. So kann es nicht verwundern, dass aus dem umfangreichen Sachtitel »De decurionibus« (Cod. Theod. 12,1) insgesamt 27 Konstitutionen übernommen wurden (S. 290/341), die sich inhaltlich vorwiegend mit dem Eintritt von decuriones in den Klerikerstand bzw. der Befreiung der Kleriker von dekurionalen Lasten und munera befassten, wobei auch klargestellt wird, dass eine »superstitio« zu keiner Befreiung Anlass gibt (Cod. Theod. 12,1,157; S. 328/31). Bei korporativ gebundenen Berufsgruppen finden wir das Verbot des Eintritts in den Klerikerstand im jeweiligen Sachtitel, zB. für Bäcker in Cod. Theod. 14,3,11 (S. 360/3); für suarii in Cod. Theod. 14,4,8 (S. 362/5). Die gleichen eben geschilderten Spannungssituationen finden freilich auch in dem – im Bd. I enthaltenen – Titel »De episcopis, ecclesiis et clericis« (Cod. Theod. 16, 2) in zahlreichen Konstitutionen ihren Niederschlag. Ebenso sind die Befreiungen der Kirchen bzw. der einzelnen Kleriker – außer in dem eben genannten Titel 16,2 – im Normenmaterial der jeweiligen Sachtitel ersichtlich wie zB. »De annona et tributis« (Cod. Theod. 11,1,1. 33. 37; S. 238/47), »De lustrali conlatione« (Cod. Theod. 13,1,1. 4. 11. 16; S. 342/54.), »De extraordinariis sive sordidis muneribus« (Cod. Theod. 11,16,15. 18. 21. 22; S. 248/59) oder »Quemadmodum munera civilia indicantur« (Cod. Theod. 12,5,2; S. 340/3). Ein illustratives Beispiel für die von den Kompilatoren vorgenommene Verteilung desselben Regelungsanliegens auf mehrere verschiedene Sachtitel ist die Achtung des christlichen Sonntags und der Feiertage: Sie tritt zu- 203 nächst einmal im einschlägigen Titel »De feriis« (Cod. Theod. 2,8) zu Tage, aus dem insgesamt 10 Konstitutionen vorgeführt werden (S. 40/57). Schon auf Konstantin geht die Untersagung der Gerichtstätigkeit an Sonntagen mit Ausnahme von Akten der freiwilligen Gerichtsbarkeit wie emancipationes und manumissiones zurück (Cod. Theod. 2,8,1); Verbote der Abhaltung von heidnischen Spielen an Sonn- und Feiertagen finden sich mehrfach sowohl in diesem Titel (Cod. Theod. 2,8,20. 23. 24. 25) als auch im Titel »De spectaculis« (Cod. Theod. 15,5,2. 5; S. 378/82). Das Verbot der Steuereintreibung am Sonntag ist als lex geminata (zu den leges geminatae jüngst A. J. B. Sirks, The Theodosian Code. A study [Friedrichsdorf 2007] 169/75) sowohl in den Titel »De executoribus et exactionibus« (Cod. Theod. 8,8,1; S. 118f) als auch in den Titel »De exactionibus« (Cod. Theod. 11,7,10; S. 246/7) eingegangen. Die umfassende Anordnung des Ruhens von Prozessen, privaten negotia und conventiones sowie der Eintreibung öffentlicher und privater Schulden am Sonntag ist sogar eine lex trigeminata, die außer in die beiden eben genannten Titel auch in den Titel »De feriis« aufgenommen worden ist (Cod. Theod. 2,8,18; 8,8,3; 11,7,13; S. 42/5. 120f. 248f). Die Verbote von strafprozessualen Verhören (Cod. Theod. 9,35,4) und Folterungen (Cod. Theod. 9,35,5; zur Ausnahme bezüglich der latrones Isauri Cod. Theod. 9,35,7) während der Fastenzeit wurden in den Titel »De quaestionibus« (S. 178/83) gestellt. Im bereits erwähnten Titel »De feriis« findet sich auch eine allgemeine Fixierung der gerichtsfreien Tage in Rom, darunter auch des Sonntags und der Osterwoche (Cod. Theod. 2,8,19; S. 44/9); in dieser sollen auch actus omnes seu publici seu privati unterbleiben (Cod. Theod. 2,8,21; S. 50f). Die Darbietung der einzelnen Konstitutionen erfolgt wie schon in Bd. I in der Weise, dass dem lateinischen Text auf der jeweils linken Seite die französische Übersetzung auf der rechten Seite gegenübergestellt wird. Dazu werden Bemerkungen zur Datierung und zum jeweiligen Adressaten sowie erschöpfende bibliographische Angaben geboten. Im Fußnotenapparat finden sich vertiefende Erklärungen und Hinweise auf wissenschaftliche Auseinandersetzungen. Besondere Vertiefungen sind in 3 Annexen enthalten. Sie betreffen die audientia episcopalis (zu Cod. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 204 Ch. Hornung: Reutter, Damasus, Bischof von Rom Theod. 1,27,1; S. 541/6), bringen eine Übersicht über die Befreiung von munera sordida und extraordinaria (zu Cod. Theod. 11,16,15 und 18; S. 546/51) und schließen mit einer ausführlichen Kommentierung der umfangreichen Konstitution Cod. Theod. 11,20,6 (versehentlich zitiert als »loi X [statt: XI],20,6«; S. 551/5), in der es um die steuerliche Belastung von Grundstücken geht, die an petitores überlassen worden waren. Eine Übersicht über die Kaiser (S. 557f), ein Glossar (S. 559/65) sowie mehrere Indices (S. 567/90) erleichtern die Benutzung dieser Sammlung. Zusammen mit dem Bd. I steht der Wissenschaft nun ein verlässliches und bestens ausgestattetes Corpus der einschlägigen Rechtsquellen zur Verfügung. Linz Georg Klingenberg Ursula Reutter, Damasus, Bischof von Rom (366–384). Leben und Werk = Studien und Texte zu Antike und Christentum 55 (Tübingen, Mohr Siebeck 2009), 8°, XI, 567 S., brosch. Euro 89,–. ISBN 978–3–16– 149848–0. Damasus von Rom ist eine in mehrfacher Hinsicht bedeutende Gestalt der Kirchenund Theologiegeschichte. Als Bischof förderte er maßgeblich den Ausbau der kirchlichen Stellung Roms im Westen und Osten, und als Theologe versuchte er, dem Glaubensbekenntnis von Nizäa zum Durchbruch zu verhelfen. Mit Hieronymus stand er u. a. in freundschaftlichem Austausch und beauftragte ihn, die oft untereinander abweichenden lateinischen Übersetzungen der Bibel zu revidieren, und initiierte damit die spätere Vulgata. Die 59 von ihm stammenden Epigramme sind wichtige Zeugnisse christlicher Epigraphik, und in seine Amtszeit fällt eine intensive Bautätigkeit in Rom. Es ist das Verdienst von Ursula Reutter (R.), zu dieser spätantiken Persönlichkeit ein umfassendes, aus den Quellen gearbeitetes Grundlagenwerk geschaffen zu haben, auf das die Forschung künftig zurückgreifen wird. Bereits im Jahr 1999 wurde sie mit der vorliegenden Arbeit an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Jena promoviert; seitdem erschienene neuere Literatur zum Thema wurde von der Verfasserin nur in Einzelfällen berücksichtigt. R. hat ihre Monographie folgendermaßen strukturiert: Im ersten Kapitel informiert sie über Herkunft und Laufbahn des Damasus, nennt Zeitgenossen und Berater und wendet sich ausführlich einer Rekonstruktion der Ereignisse um seine Bischofswahl und die Kontroverse mit Ursinus zu (S. 5/56). Text und Übersetzung seiner Epigramme stehen im Mittelpunkt des zweiten Kapitels; aus ihnen gewinnt die Verfasserin ein Panorama der zeitgenössischen Märtyrerverehrung (S. 57/ 153). Die für die Geschichte des römischen Primats bedeutenden Zeugnisse präsentiert sie in den Kapiteln drei und vier. Differenziert zeigt sie hierbei auf, wie Damasus im Westen und Osten mittels Kirchendisziplin und theologischer Profilierung seine eigene Machtposition ausbaut (S. 154/247. 248/428). Im fünften Kapitel folgen Zeugnisse für ›Rom als Zentrum der christlichen Kirche‹ (S. 429/513). Eine knappe Zusammenfassung bietet das letzte Kapitel, in der R. die Intention ihrer Studie abschließend benennt (S. 514): ›Ziel dieser Arbeit war es, aus den vielen Mosaiksteinchen ein Bild des Damasus zu zeichnen. In den einzelnen Kapiteln liegen nun Teilergebnisse vor, die zu einem Ganzen zusammengefügt werden können‹ (S. 514/6). Eine Zeittafel (S. 517f), ein umfangreiches Literaturverzeichnis (S. 519/47) und ein Stellensowie ein Sachregister (S. 549/67) schließen das Buch ab. Zu den positiven Merkmalen der Arbeit zählt ihre sehr große Quellennähe. Die Verfasserin stellt stets die erhaltenen Zeugnisse von und über Damasus in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung, bietet sie in lateinischem bzw. griechischem Original und einer eigenständigen Übersetzung (Einzelnes hierzu im Folgenden). Bereits im ersten Kapitel wertet sie zuverlässig verschiedene Zeugnisse aus, um das Wenige, das über das Leben des Damasus bekannt ist, zu präsentieren, und führt u. a. seine spanische Herkunft und seine familiäre Abstammung an. Nach einer Nennung wichtiger Zeitgenossen und Berater (zB. Filocalus, Ambrosius und Hieronymus) widmet sie sich ausführlich der Rekonstruktion der Ereignisse um Ursinus, den Widersacher des Damasus, der neben ihm zum römischen Bischof gewählt worden war und die Gemeinde in zwei feindliche Lager spaltete. Aus den erhaltenen parteiischen Berichten über die Bischofswahl des Jahres 366 (Hieron. chron. vJ. 366 nC. [GCS Eus. 7,1, 244f]; Rufin. h. e. 11, 10 [GCS C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Ch. Hornung: Reutter, Damasus, Bischof von Rom Eus. 2,2, 1017f]; Coll. Avell. 1 [CSEL 35,1, 1/4] sowie Amm. Marc. 27,3,11/5; vgl. hierzu auch T. D. Barnes, Ammianus Marcellinus and the representation of historical reality [Ithaca 1998] 79/94) gelangt R. zu einer weitgehend überzeugenden Darstellung der Ereignisse (bes. S. 43/7): Anstelle des Liberius (gest. am 24. 9. 366) sei zunächst Damasus im Lateran zum römischen Bischof gewählt worden (wahrscheinlich am 1. 10. 366), die Wahl des Ursinus hingegen sei erst später in S. Maria Maggiore erfolgt und dieser nach blutigen Auseinandersetzungen beider Parteien ins Exil gewiesen worden. Den gegen Damasus geführten Prozess wegen eines angeblichen adulterium, der noch eine Folge der Zerwürfnisse in Rom ist, datiert R. auf den Zeitraum der Jahre 370/371 und 374/375 (S. 56). A. Cos˛kun hat im Jahr 2004 einen für die Rekonstruktion der Ereignisse wichtigen Aufsatz vorgelegt, nach dem die Ergebnisse von R. teilweise zu revidieren sind (Der Praefect Maximinus, der Jude Isaak und der Strafprozeß gegen den Bischof Damasus: JbAC 46 [2003] 17/44): Der Prozess gegen Damasus etwa sei präziser auf das Frühjahr bzw. den Sommer 373 zu datieren, und der Quellenwert der Collectio Avellana für die Chronologie der Ereignisse neu zu bemessen (mit der Collectio schließt zB. Cos˛kun aO. 18f, dass Ursinus vor Damasus zum Bischof gewählt wurde). Auch die Kirchengeschichte des Socrates ist nach Cos˛kun für die Kenntnis um den Prozess (h. e. 4,29 [GCS Socr. 265f]) wohl insgesamt bedeutsamer, als R. dies annimmt (vgl. Cos˛kun aO. 26f; vgl. auch ders., Ammianus Marcellinus und die Prozesse in Rom [a. 368/69– 71/74]: Tyche 15 [2000 (2001)] 63/92). Im zweiten Kapitel führt R. die Damasus zugeschriebenen Epigramme an; dem lateinischen Text, den sie A. Ferruas Edition (Epigrammata Damasiana. Recensuit et adnotavit Antonius Ferrua [Roma 1942]) entnimmt, fügt sie eine deutsche Übersetzung und einen knappen Kommentar bei, der als Fußnoten zu den einzelnen Stellen sowohl Verweise als auch Erläuterungen zu Wortbedeutungen bietet. Eine intensive und überaus gelungene Gesamtinterpretation folgt. Die Epigramme werden sprachlich-formal mit paganen Prätexten (bes. der Aeneis Vergils) in Beziehung gesetzt und auf christliche Umdeutungen der Vorlagen untersucht sowie theologisch mit Kontroversen der Zeit korreliert (zB. Christus als Gott; S. 133/5; vgl. Ch. Gnilka, Der Begriff 205 des ›rechten Gebrauchs‹ = Chresis 1 [Basel 1984]). Umfassend ordnet R. die Epigramme in die zeitgenössische Märtyrerfrömmigkeit ein, als deren Vorkämpfer sich Damasus profiliert und deren Bedeutsamkeit, vergleichbar antiken Heroen, er zugleich für das christliche Rom zu nutzen gewusst habe. So schreibt sie ihnen besonders eine politische Funktion zu, nämlich die ›Stellung [scil. des Damasus] zu stärken und einen Machtanspruch des christlichen Roms zu begründen; darin liegen Zweck und Ziel seiner Dichtung und ihr einzigartiger Wert‹ (S. 151; vgl. auch M. Sághy, Scinditur in partes populus. Pope Damasus and the martyrs of Rome: Early Medieval Europe 9 [2000] 273/87). Die Darstellung der im engeren Sinn stadtrömischen Wirkung des Damasus verlässt R. im dritten Kapitel. Sie untersucht, hier zunächst auf den Westen begrenzt, sein kirchenpolitisches Wirken. Als Grundlage wählt sie das Schreiben einer römischen Synode vom Jahr 378, das, obwohl unter Briefen des Ambrosius überliefert (Ambr. ep. extr. collect. 7 [CSEL 82,3, 191/7 Zelzer]), Damasus als ›geistigen Urheber‹ habe (S. 162). Ziel war es, eine kaiserliche Präzisierung der bischöflichen Gerichtsbarkeit sowohl in Bezug auf den Klerus als auch auf den römischen Bischof zu erwirken. Die Antwort der Kaiser Gratian und Valentinian konnte nur zum Teil befriedigen (Coll. Avell. 13 [CSEL 35,2, 54/8 Guenther]): Die bischöfliche Schiedsgerichtsbarkeit wurde zwar bestätigt, Damasus’ Forderung aber, für ihn einen besonderen Gerichtsstand beim Kaiser vorzusehen, übergangen. Dass hiermit Damasus als erster römischer Bischof die kirchliche Gerichtsbarkeit durch den Kaiser bestätigen ließ, folgert R. zu Recht. Ihre Interpretation der beiden Schreiben, die nur den Inhalt und die zeitgeschichtlichen Umstände berücksichtigt, könnte zudem durch eine formale und stilistische Analyse ergänzt werden. Denn deutlich geht aus der Überschrift des Synodalbriefs (Relatio Romani concilii ad Gratianum et Valentinianum Imperatores directa: Ambr. ep. extr. collect. 7 [CSEL 82,3, 191 Zelzer]) sein technischer Charakter hervor (relatio ist Terminus technicus der römischen Rechtssprache), der vom offiziellen Anlass gefordert ist. Weitere Termini (series decretorum, petitio) sowie der Aufbau des Briefs (etwa Prooemium: Ambr. ep. extr. collect. 7,1 [CSEL 82,3, 191 Zelzer]; vgl. H. Bresslau, Handbuch der Urkunden- C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 206 Ch. Hornung: Reutter, Damasus, Bischof von Rom lehre für Deutschland und Italien 12 [Leipzig 1912] 47f) weisen darauf hin, dass kirchlicherseits die zeitgenössische Kanzleisprache kopiert wurde. Eine stilistische Gegenüberstellung beider Schreiben, der kirchlichen Anfrage und der kaiserlichen Antwort, wäre daher besonders reizvoll gewesen und hätte auf grundsätzliche Mechanismen der Rezeption des Römischen Rechts bei der kirchlichen Institutionalisierung im vierten Jahrhundert aufmerksam machen können. Die Autorschaft der anonymen Dekretale Ad Gallos episcopos ist in der Forschung umstritten. Ihre Zuschreibung schwankt zwischen Damasus und seinem Nachfolger Siricius (384– 398). R. spricht sich, ebenfalls im dritten Kapitel, für eine Zuschreibung an Damasus aus und schließt an den Text (zitiert nach E. Ch. Babut, La plus ancienne décrétale [Paris 1904] 69/87 statt nach Y.-M. Duval, La décrétale Ad Gallos episcopos. Son texte et son auteur = VigChr Suppl. 73 [Leiden 2005] 19/ 49) und die Übersetzung eine ausführliche Argumentation an (S. 212/33). Im Vergleich mit der, nach R.s Auffassung, späteren Dekretale des Siricius an Himerius (vJ. 385) spreche Ad Gallos episcopos noch mildere Strafmaße für kirchendisziplinäre Vergehen aus, sei im Ton weniger befehlend und stilistisch weniger präzise. Es falle auf (S. 217), dass ›Siricius diesen Stil immer mehr verfeinert und z. B. in Epist. 5 ganz konkrete Canones vorgibt‹ (Sir. ep. 5 überliefert in Conc. Thelen. vJ. 418 [CCL 149, 59/63 Munier]). Der spätere Siricius, dem R. also grundsätzlich eine höhere juristische Präzision als Damasus zuspricht, könne hiernach nicht als Verfasser des noch ungenauen und, so die Interpretation von R., notwendig früheren Schreibens Ad Gallos episcopos gelten. Diese Argumentation scheint jedoch nicht stichhaltig. Denn R.s Verweis auf den fünften Brief des Siricius ist wenig aussagekräftig, da der römische Bischof dort Beschlüsse einer römischen Synode vom Jahr 386 nach Nordafrika übermittelt und die Kanones einer stilistisch knapperen Gattung zuzurechnen sind als die kunstvolleren Dekretalen. Auch wechselt bei Siricius selbst der Ton seiner Schreiben: Während er, wie R. zuzugeben ist, in seinem ersten Brief befehlend ist (ep. 1,2,3 [PL 13, 1135]: volumus; 1,6,7 [PL 13, 1137]: mandamus; 1,8,12 [PL 13, 1142]: decernimus u. a.), herrschen andernorts Rat und Mahnung in der ersten Person Singular vor (Sir. ep. 5 [CCL 149, 62 Munier]: Qua de re hortor, moneo, rogo; 6,3,5 [PL 13, 1166]). Eine deutliche stilistische Differenz zu Schreiben des Siricius ist daher nicht grundsätzlich zu belegen, und inhaltliche Abweichungen können in unterschiedlichen Anfragen begründet sein, wie R. in einer Anmerkung selbst einräumt (S. 216244). Ein gewichtigeres, von R. vorgebrachtes Argument für eine Zuschreibung von Ad Gallos episcopos an Damasus ist allerdings folgendes: Der Brief unterscheidet unter den Kandidaten für den Klerus zwei Gruppen, nämlich als Kinder und als Erwachsene getaufte Kandidaten (zwei Cursus differenziert auch Siricius: ep. 1,9,13/10,14 [PL 13, 1142/4]). Die Angehörigen der ersten Personengrupppe lässt die Dekretale zum Klerikeramt zu, wenn sie die integritas ihres Körpers bewahrt haben (3,8 [36 Duval]), die der zweiten, wenn sie keusch geblieben, d. h. Mann nur einer einzigen Frau sind (ebd.). R. interpretiert (S. 218): ›Hier gilt, wer nach der Taufe keusch geblieben ist, nur der Mann einer einzigen Frau war [. . .], der kann Kleriker werden‹. Siricius hingegen verpflichte gegenüber Himerius von Tarragona im Jahr 385 zu einer absoluten Monogamie (ep. 1,10,14 [PL 13, 1143]), unterscheide also nicht eine Zeit vor und nach der Taufe, und urteile damit in einer umstrittenen Frage der Zeit signifikant anders als der Autor von Ad Gallos episcopos (S. 217/20). Die zur Diskussion stehende Stelle ist undeutlich; für eine Interpretation aber ist der gesamte Wortlaut des Kapitels zu berücksichtigen, der, wie auch Duval (aO. 86/9) aufzeigt, einen anderen Regelungskontext nahelegt. Das gesamte Kapitel ist ein Angang gegen die fornicatio (vgl. carnalia vitia; caecitas prioris vitae; sordidata beneficia). Zu fragen ist daher, ob überhaupt im Fokus der Textstelle eine Unterscheidung zwischen einer absoluten und einer relativen Monogamie liegt oder ob nicht allgemeiner im Hintergrund die Bestimmung steht, dass nur einer, der die Taufgnade nicht durch seinen bisherigen Lebenswandel befleckt hat, in den Klerus aufgenommen werden darf. R.s Interpretation scheint zu stark von der Intention geleitet, zwischen dem Damasusfreund Hieronymus, der eine nach der Taufe geschlossene zweite Ehe als erste wertete (S. 220/5), und der Dekretale inhaltliche Übereinstimmungen festzustellen und so Damasus das Schreiben zuzuprechen. Denn der Wortlaut legt R.s Deutung keineswegs nahe. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm Ch. Hornung: Reutter, Damasus, Bischof von Rom Wenn sie ferner feststellt, dass die Betonung der Themen virginitas und pudor ›gut zu den Aussagen des Hieronymus über Damasus passen‹ (S. 226; zB. Hier. ep. 49,18,3 [CSEL 54, 382 Hilberg]: amator quippe castitatis praeconium pudicitiae . . . captabat), so ist auf ihre Behandlung in Schreiben des Siricius (ep. 5 [CCL 149, 59/63 Munier]) sowie auf die hierzu umfangreiche zeitgenössische Literatur, etwa bei Ambrosius und Augustinus, hinzuweisen. Auch dieses Argument ist also für sich genommen wenig aussagekräftig. Eine sichere Zuschreibung von Ad Gallos episcopos kann nur aufgrund einer umfangreicheren sprachlichen Untersuchung gelingen. Sie muss den Sprachgebrauch und den Umgang mit biblischen Belegen bei Damasus und Siricius umfassend darstellen; hier kann das im Rahmen einer Rezension nur in Ansätzen geschehen. Continentia (2,5 [32 Duval]), die Enthaltsamkeit, verwendet neben Ad Gallos episcopos unter den weiteren Schreiben des Damasus und Siricius nur letzterer (ep. 1,9,13 [PL 13, 1143]; 5 [CCL 149, 62 Munier]; 7,3 [PL 13, 1170]), ebenso hat pollutio, die Beflekkung und kultische Verunreinigung (2,6 [34 Duval]), nur einen weiteren Beleg bei Siricius, nicht aber bei Damasus (ep. 1,5,6 [PL 13, 1137]). Herangezogene Bibelstellen in Ad Gallos episcopos, die die disziplinären Vorschriften legitimieren sollen, zeigen keine Übereinstimmung mit weiteren Damasusschreiben, sondern nur mit Siriciusbriefen (Mc. 7,9 in 1,2 [26 Duval] u. Sir. ep. 6,1,1 [PL 13, 1164]; 1 Cor. 7,5 in 2,6 [34 Duval] u. Sir. ep. 5 [CCL 149, 61 Munier] u. a.). Der auf Schlüsselbegriffe begrenzte sprachliche Vergleich legt die Schlussfolgerung nahe, Siricius als Autor von Ad Gallos episcopos anzunehmen (vgl. auch D. Jasper, Rez. zu La décrétale Ad Gallos episcopos. Son texte et son auteur. Texte critique, traduction française et commentaire par Yves-Marie Duval: DtArch-ErfMA 62 [2006] 257f); R.s weitgehend inhaltliche Argumentation kann nicht überzeugen. Im vierten Kapitel analysiert R. die kirchenpolitische Agitation des Damasus im Osten. Als Quellen stehen ihr wesentlich Synodalbriefe zur Verfügung. Der erste ist das Schreiben einer römischen Synode vom Jahr 371 (Confidimus quidem; Jaffé/Kaltenbrunner 232), dessen komplizierte Überlieferungsgeschichte (neben zwei lateinischen Versionen existieren auch zwei griechische Übersetzungen) R. ausführlich diskutiert (S. 260/ 207 308); der zweite (Ea gratia / Non nobis quiddam; Jaffé/Kaltenbrunner 233) ist ebenfalls antiarianisch und richtet sich ferner gegen die Lehre des Apolinarius und die Pneumatomachen (S. 317/49). Drei weitere Schreiben an Paulinus von Antiochien, wahrscheinlich vom Jahr 376 (Per filium meum; Jaffé/Kaltenbrunner 235), der Brief Illud sane miramur sowie das Schreiben einer römischen Synode vom Jahr 377/78 (Tomus Damasi) komplettieren den Quellenbefund, der abermals, besonders beim Tomus Damasi, durch unterschiedliche erhaltene Versionen und eine erschließbare Urfassung komplex ist, von der Verfasserin aber sorgfältig und äußerst umsichtig rekonstruiert wird (S. 350/426, bes. S. 426). Aus den Briefen schließt R. auf eine theologische Neuorientierung unter Damasus: So habe sich unter ihm eine ›Abkehr von der serdicensischen Interpretation des Nicaenums‹ hin zum lateinischen Neunizänismus vollzogen. Eine theologische Entfaltung und antihäretische Auseinandersetzung seien festzustellen, etwa im Schreiben Per filium meum mit der Lehre des Apolinarius (S. 427; vgl. Ch. Markschies, Was ist lateinischer »Neunizänismus«? Ein Vorschlag für eine Antwort: ZAC 1 [1997] 73/95). Verbunden mit einem selbstbewussten Auftreten (vgl. Damas. ep. 3 [PL 13, 356]: er setzt die Voraussetzung für die Kirchengemeinschaft fest) habe Damasus so, neben Ambrosius, wesentlich zu einer Durchsetzung neunizänischer Theologie im Westen beigetragen. Theologische Auseinandersetzung und Kirchenpolitik, nämlich die Profilierung eines römischen Vorrangsanspruchs, sind eng miteinander verbunden, worauf R. mit Recht aufmerksam machen kann (S. 428). ›Rom als Zentrum der christlichen Kirche‹ ist Überschrift und Thema des vorletzten Kapitels (429/513). R. bietet hier zwei Briefe des Damasus (ep. 7; Jaffé/Kaltenbrunner 234 sowie ep. 5; Jaffé/Kaltenbrunner 237), die sich gegen kirchliche Missstände, u. a. die Einsetzung des Kynikers Maximus zum Bischof v. Konstantinopel, wenden, und ein als Decretum Gelasianum bekanntes Synodaldokument, das sie als Decretum Damasi bezeichnet (vgl. V. Grossi, Il Decretum Gelasianum. Nota in margine all’autorità della chiesa di Roma alla fine del sec. V: Augustinianum 41 [2001] 231/ 55). Für die ersten drei Teile des Decretum nimmt sie ein Entstehen bereits unter Damasus an, die Teile vier und fünf hingegen ordnet sie, übereinstimmend mit der herrschen- C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 208 H.-G. Nesselrath: Bažil, Centones Christiani den Forschungsmeinung, der Zeit des Gelasius zu (S. 511/3). Für das Thema des Kapitels sind die Briefe u. a. auch aufgrund der Terminologie einschlägig. So verwendet Epistula 7 zum ersten Mal unter den Schreiben des Damasus den Begriff sedes apostolica (Cassiod. hist. 9,15,1 [CSEL 71, 516]; S. 439), und das Decretum Damasi ist in seinem aus den Jahren 381/82 stammenden dritten Teil das früheste Zeugnis für einen ausführlich formulierten und begründeten römischen Vorrangsanspruch (S. 502). Das letzte und sechste Kapitel (S. 514/6) ist der Schluss der Arbeit (in den Worten von R.: ›In den einzelnen Kapiteln liegen Teilergebnisse vor, die zu einem Ganzen zusammengefügt werden können‹). Er gerät mit nur drei Seiten knapp, die Verfasserin bietet leider keine Synthese ihrer Ergebnisse, die der Leser sich nach den präzisen Darlegungen über den historischen Kontext des Wirkens des Damasus gewünscht hätte (etwa in Bezug auf die Bedeutung des Damasus für die römische Primatsgeschichte oder auch dessen Rezeptionsgeschichte). Ein nicht unerheblicher Teil der Arbeit besteht aus Quellenübersetzungen. R. ist hier zuverlässig; nur wenige Ungenauigkeiten lassen sich feststellen. Beispielsweise wird Damas. epigr. 47,2,4 (193 Ferrua): quem cum iamdudum tegeret mons mit ›nachdem es lange Zeit [der] Berg [. . .] bedeckt hatte‹ (S. 74), epigr. 10,11 (109 Ferrua) das lateinische raperet nur mit ›nahm‹ (S. 76; vgl. Ad Gallos episc. 2 [26 Duval]: eduntur mit ›erklärt [werden]‹), und der Nebensatz (mit Gerundivkonstruktion; Coll. Avell. 13 [CSEL 35, 55 Guenther]) quia pigendus mansuetudinis nostrae pudor est mit ›[. . .], weil es das Ehrgefühl unserer Milde verdrießt‹ übersetzt. Unübersetzt bleibende Wörter (etwa Ad Gallos episc. 1,3 [28 Duval]: post [S. 196]) oder gar das Auslassen ganzer Verse in der deutschen Übersetzung sind äußerst selten (epigr. 4 [S. 72]: vincula nulla tenent). Abschließend lässt sich festhalten: R. hat mit ihrer jetzt publizierten Studie über Damasus von Rom ein wichtiges Grundlagenwerk geschaffen. Aufgrund der Zusammenstellung der Quellen über und von Damasus sowie der von ihr angefertigten Übersetzungen wird es für künftige Untersuchungen über diesen römischen Bischof der Referenztext sein, in dem der Leser eine Einordnung der jeweiligen Texte und eine solide Information über den historischen Kontext erhält. Der enorme Umfang des auszuwertenden Materials bedingt allerdings, dass die Interpretationen im Einzelfall nicht immer erschöpfend sind. So hätten sicher allein die Epigramme eine eigene Untersuchung erfordert. Etwas schmerzlich ist, dass R. am Ende ihrer Studie Damasus und sein Werk nicht umfassend auswertet und die Einzelaspekte so in einen Kontext ›Damasus‹ einordnet. Das hätte die Arbeit noch wertvoller gemacht, als sie es ohne Zweifel schon jetzt ist. Bonn Christian Hornung Martin Bažil, Centones Christiani. Métamorphoses d’une forme intertextuelle dans la poésie latine chrétienne de l’Antiquité tardive = Collection des Études Augustiniennes, Série Moyen Âge et Temps Modernes 47 (Paris, Institut d’Études Augustiniennes 2009), 8°, 342 S., brosch. Euro 28,44 + MwSt. ISBN 978–2–85121–227–6. Der vorliegende Band ist einer besonderen Spielart christlicher Literatur in der Spätantike gewidmet: sogenannten »Cento«-Gedichten über biblische Themen, deren Text (fast) zur Gänze aus Versen und Vers-Elementen besteht, die Werken Vergils entnommen sind. Nach einer sehr kurzen »Introduction générale« zur Centonenform (S. 11/3) gibt der erste »theoretische« Teil des Buches (»À la recherche d’une méthode descriptive«, S. 17/74) zunächst einen Überblick über die Epochen, in denen Centonendichtung eine Rolle spielte – von der späteren Antike bis zu einigen späten Ausläufern im 19. und 20. Jh. – (S. 18/25) und zeichnet dann die Forschungsgeschichte vom Ende des 18. Jh. bis in die zweite Hälfte des 20. Jh. nach (S. 25/34). Es folgt eine Skizze der in den 1960er Jahren mit Julia Kristeva beginnenden »Intertextualitätsforschung« und ihre bisher nur geringen Auswirkungen (vgl. S. 41) auf die Erforschung der spätantiken Centonendichtung; hier sieht der Autor der vorliegenden Studie eine Lücke, die er auszufüllen gedenkt. Im zweiten Kapitel des ersten Teils (S. 43/ 58) geht es um eine Definition des Cento. Nach Besprechung der frühesten bereits antiken Definitionsversuche (durch Tertullian und Ausonius, S. 43f) weist B. darauf hin, dass in der Gegenwart ein oft zu umfassender Cento-Begriff zu finden ist, der zur Einbezie- C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm H.-G. Nesselrath: Bažil, Centones Christiani hung von Texten führt, die keine wirklichen Centonen darstellen (S. 45/7). Demgegenüber schlägt B. sinnvolle engere Grenzen vor: Als Centonen möchte er Texte verstehen, die sich selber als solche bezeichnen und die drei wichtige Elemente enthalten: 1. sie beziehen ihre konstitutiven Elemente mehr oder weniger ganz aus Vorgängertexten, wobei sie deren Elemente jedoch rekombinieren; 2. die übernommenen Elemente werden wörtlich wiedergegeben (also nicht nur durch Anklänge evoziert); 3. die neuen Texte stehen in einer bestimmten semantischen Beziehung zu ihren Vorgängern. Auf dieser Grundlage bespricht B. dann zunächst sogenannte »Pseudo-Centons« bzw. verwandte literarische Erscheinungen (S. 48/56): die in aus mündlichen Traditionen stammenden (vgl. bereits Homer) Wiederholungen von formelhaften Versen und Vers-Elementen in antiker epischer Dichtung; das Phänomen der Parodie, das ebenfalls auf dem Wiederaufgreifen von wörtlichen Formulierungen und Strukturen von Vorgängertexten beruht; Imitationen oder Pastiches von als Autoritäten betrachteten Vorbildern. Die auf S. 50 geäußerte These, dass die Parodie – im Gegensatz zu ihren antiken Erscheinungsformen – »un genre spécifique . . . dans les littératures modernes« geworden sei, erscheint allerdings angesichts der Vielfalt der Formen, in denen Parodie auch heute auftritt, fragwürdig. Dass im Übrigen eine Parodie auch die Form eines Centos haben (und damit beides, sowohl Parodie als auch Cento, sein) kann, zeigt B. selbst an einem »MiniCento« mit eindeutig parodistischer Stoßrichtung in Petrons Satyrica (132,11). Fälle ähnlicher Art lassen sich auch anderswo finden, zB. bei dem griechischen Satiriker Lukian (zB. Iupp. Trag. 1). B. führt bei der Besprechung dieser Formen die nützliche Unterscheidung zwischen »centonisation« und »centon-forme littéraire« ein (S. 55). Danach bespricht er die von Christoph Hoch entwickelte Gattungstypologie, die zwischen dem »centon-pastiche« (Beispiele: kürzere spätantike Versifizierungen mythologischer Sujets in der Anthologia Latina), dem »centon-parodie« (Beispiel: Ausonius’ Cento Nuptialis) und dem »centoncontrafacture« unterscheidet (S. 56/8). Der zuletzt genannte Typus zeichnet sich dadurch aus, dass er literarische Vorgänger »à travers une frontière idéologique« neu verwendet; 209 dies entspricht genau dem, was die christlichen Centonen der Spätantike tun, indem sie Verse und Versstücke des paganen Dichters Vergil neu zusammensetzen, um damit christliche Inhalte wiederzugeben. Das dritte Kapitel des ersten Teils (S. 59/ 71) versucht, die intertextuellen Dimensionen der Gattung Cento auszumessen und stellt dazu zunächst die konstitutiven Elemente der »situation centonienne« vor (S. 59/65): den Vorgängertext (»Hypotext« nach Genette), seinen Autor und beider Bekanntheit zur Zeit der Centonisierung; die Schaffung des Centos durch den Centonisten; schließlich die Aufnahme des neuen Textes durch Leser (die, um den Cento goutieren zu können, auch den oder die Vorgängertexte relativ gut kennen sollten). Auf S. 62f wirkt die dabei unter gewissen Umständen – wenn nämlich der Centonist einen nur wenig oder vielleicht gar nicht bekannten Vorgängertext neu verwendet und diese Neuverwendung auch durch nichts explizit erkennen lässt – notwendig werdende Abgrenzung zu Plagiat und Plagiator unzureichend: »le rôle actif du ›voleur‹« (da der Centonist gezwungen sei »d’effectuer toute une série d’opérations pour intégrer les éléments empruntés dans le contexte choisi [ou créé] par lui-même«) kann als Differenzierungskriterium wenig befriedigen, da auch Plagiatoren (jdenfalls solche, die intelligent sind) oft viel Arbeit investieren müssen, um ihren Diebstahl zu verdecken. Es folgt eine Darstellung von Kriterien, mit denen sich die »intensité du lien intertextuel« zwischen Cento und Vorgängertexten messen lassen soll (S. 65/71): Nach zwei quantitativen (die freilich gerade beim Cento relativ banal wirken: per definitionem ist hier ja so gut wie sämtliches Textmaterial Vorgängertexten entnommen, und in der Regel stammen diese Vorgängertexte von nur einem Autor [und nicht mehreren]) wird eine Reihe von qualitativen Kriterien besprochen, die vor allem von Manfred Pfister entwickelt wurden, jedoch nicht in gleicher Weise für Centonen wichtig sind: »Kommunikativität« (das Bewusstsein des sekundären Charakters des Centos bei Autor und Lesern – eigentlich selbstverständlich, s. o.); »Referentialität« (Sichtbarkeit des sekundären Gebrauchs der wiederverwendeten Textelemente – kaum weniger selbstverständlich); »Autoreflexivität« (eigene Reflexionen des Cento-Autors über seine Bezogenheit auf C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 210 H.-G. Nesselrath: Bažil, Centones Christiani Vorgängertexte; dieses Element ist nur bei Ausonius und Proba zu finden); »Strukturalität« (Rolle von Vorgängertexten für die Strukturierung eines Centos); »Selektivität« (nach B.s eigenem Urteil wiederum nicht sehr wichtig für Centonen, denn hier versteht sich eine durch den neu angestrebten Inhalt von selbst); schließlich »Dialogizität« à la Bachtin (bei einer »différence idéologique [wie sie bei christlichen Centonen gegenüber ihren paganen Vorgängertexten natürlich vorliegt] ou stylistique entre la source et le centon« tritt Letzterer in einen »Dialog« mit seinen Vorgängertexten ein). Bei der Besprechung des Kriteriums »Strukturalität« (S. 69) unterscheidet B. zwischen »centons purs« und »centons impurs«, wobei man sich bei letzteren (in denen »les passages centonisés alternent avec ceux qui proviennent directement de la plume du centoniste«) fragen kann, ob das betreffende Werk wirklich noch als Ganzes als Cento bezeichnet werden darf; ferner unterscheidet B. bei dem Kriterium »Strukturalität« zwischen zwei Fällen: 1. der Centonist reproduziert nur isolierte Elemente seiner Vorgängertexte; 2. er »réagit systématiquement« auf bestimmte Partien dieser Vorgängertexte – man kann sich auch hier fragen, ob diese beiden Fälle in der Wirklichkeit »rein« auftreten, denn je nach dem Inhalt, den ein Centonist ausdrücken möchte, wird er auf bestimmte Partien seiner Vorgängertexte, deren Ausbeutung sich für die Wiedergabe dieser Inhalte besser eignen, mehr rekurrieren als auf andere, d. h. es wird eigentlich nie eine »gleichmäßige« Verwendung isolierter Elemente aus Vorgängertexten geben. In der »Conclusion de la première partie« (S. 73f) entwickelt B. auf der Grundlage der vorgestellten Kriterien einen Fragenkatalog, mit dem er dann die im dritten und vierten Teil der Arbeit im Zentrum stehenden christlichen Centonen genauer untersuchen will. Zuvor aber setzt sich der zweite Teil der Arbeit (»La double source du centon chrétien«, S. 77/108) das Ziel, diese christlichen Centonen in ihren Entstehungskontext einzubetten. Dazu stellt B. in einem ersten Kapitel (S. 79/ 85) als eine der beiden Quellen die »tradition romaine« dar, namentlich die Rolle der Literatur im römischen Schulwesen und umgekehrt den Einfluss dieses Schulwesens auf die römische Literatur und deren nicht zuletzt durch diesen Einfluss begründeten intertextu- ellen Charakter; der lateinische Cento stellt sich dabei als ein Extremfall der »écriture imitative« (S. 83) heraus, der zwischen dem 2. und 6. Jh. nC. mindestens 16mal verwirklicht wird. Von diesen 16 Centonen (von denen die meisten im 4. und 5. Jh. entstehen) bilden die vier christlichen den Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit. Das zweite Kapitel dieses zweiten Teils (S. 87/95) gibt einen Überblick über die Entstehung und Entwicklung der christlichen Kultur als zweiter Quelle der christlichen Centonendichtung und konzentriert sich dabei auf spezifische Elemente christlicher Bildung: Zentren »christlicher Intertextualität« sind die Liturgie und Bibelexegese; eine spezifisch christliche »literarische Mentalität« bildet sich in einer »lecture figurative« und einer »pensée figurative« heraus, indem vor allem alttestamentliche Texte als Präfigurationen und Typologien von im Neuen Testament beschriebenen Personen und Ereignissen gedeutet werden (gewissermaßen eine Vorübung für das, was christliche Centonen dann mit paganen Vorgängertexten tun). Im dritten Kapitel dieses Teils wird das Œuvre Vergils als das »gemeinsame Erbe« paganer und christlicher Bildung herausgestellt (S. 97/105). Nach einem Überblick über Vergils schon bald nach seinem Tod einsetzender Karriere als kanonischer Schulautor und den ersten Ansätzen christlicher Vergil-Interpretation bei Tertullian und Minucius Felix widmet sich B. der großen Vergil-Renaissance im 4. Jh. (im christlichen Bereich sind hier Lactanz und die Oratio Constantini ad sanctorum coetum mit ihrer christlichen Interpretation der Vierten Ekloge zu nennen) und den religiösen Aspekten von Vergils Dichtung und ihrer Bedeutung für das Christentum. Im Abschlussteil der zweiten Partie stellt B. fest, dass sich die christliche Centonisierung Vergils »particulièrement bien« zur »manière chrétienne d’appréhender les textes et d’adapter les œuvres littéraires dans sa propre culture« füge (S. 108). Der dritte und längste Teil der Arbeit (S. 111/97) ist ganz dem Cento der Dichterin Proba gewidmet. Nach einer Einordnung Probas in die zweite Generation christlicher Dichter nach der Konstantinischen Wende (S. 111; in dieser Generation ist ihr Gedicht übrigens das einzige vollständig erhaltene) weist B. die These zurück, dass Probas Cento als Reaktion auf das Rhetorenedikt des zum Heidentum C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm H.-G. Nesselrath: Bažil, Centones Christiani zurückgekehrten Kaisers Julian zu verstehen sei (S. 112f): Gerade die starke intertextuelle Dimension des Centos setze Probas Zählen auf die fortbestehende Bekanntschaft der vergilischen Vorgängertexte voraus und sei nicht mit einer etwaigen Absicht vereinbar, diese Texte zu ersetzen (dies aber wäre in Hinsicht auf das Rhetorenedikt anzunehmen gewesen). Ein erstes längeres Kapitel (S. 115/41) in diesem Teil untersucht, welches poetische Programm Proba in den Einleitungs-, Übergangs- und Schlusspartien ihres Gedichts entwickelt. Für die allgemeine Einleitung (V. 1/ 28) arbeitet B. gut Probas Einstellung gegenüber drei vorangehenden Dichtern heraus (S. 116/24): Gegenüber dem großen Vorbild Vergil markiert sie immerhin auch gewisse Distanzen; Lucan (den Proba vor allem in den ersten elf Versen wiederholt durch übernommene Vers-Elemente evoziert) wird als Modell früherer Gedichte Probas mit Bürgerkriegsthematik nunmehr abgelehnt; der christliche Dichter Juvencus wird ebenfalls evoziert, soll aber übertroffen werden. Es folgen Erörterungen über das Verhältnis zwischen dieser allgemeinen Einleitung und der sich anschließenden spezielleren Einführung in den alttestamentlichen Teil des Gedichts (S. 125/7) sowie über das Verhältnis dieser Sektionen zum »Interludium« zwischen dem alttestamentlichen und dem neutestamentlichen Teil (S. 127/9). Mit seiner Behauptung, die allgemeine Einleitung (V. 1/28) und das Interludium (V. 319/45) hätten genau die gleiche Verszahl (28), ist B. dabei auf S. 127 ein kleiner Fehler unterlaufen: Das Interludium hat 27 Verse (wie übrigens auch die Einleitung zum alttestamentlichen Teil, V. 29/55). Insgesamt arbeitet B. gut die Parallelen in den Strukturen dieser drei »Paratexte« (so genannt, um sie von den eigentlich erzählenden Teilen des Centos abzusetzen) heraus; auf S. 132/9 gibt er kommentierte Übersichtstafeln zu den in den drei Partien verwendeten Vorgängertexten (mit Angabe auch der jeweiligen ursprünglichen Kontexte; die in Anmerkungen zitierten französischen Übersetzungen dieser Partien [übernommen von H. Cazès] lassen freilich an manchen Stellen zu wünschen übrig, was eine genaue Wiedergabe des lateinischen Originals betrifft); auf S. 140f folgt eine vorzügliche Übersichtstafel über die Parallelen zwischen den drei Partien. 211 Das zweite Kapitel dieses Teils (S. 143/64) ist der Frage gewidmet, welche Rolle Vergils Georgica in Probas Cento spielen. Dabei zeigt sich eine starke Präsenz dieses Vorgängertexts vor allem im alttestamentlichen Teil (hier stammen 120 von insgesamt 180 Übernahmen von Versen bzw. Vers-Elementen aus den Georgica); in ihm sind fünf Szenen von einer »couleur géorgique« (144) geprägt, im neutestamentlichen dagegen nur eine. Namentlich die Darstellung des ersten Schöpfungstages (V. 64/81; detaillierte Übersichtstafel auf S. 146f) greift sehr stark auf Material aus Georgica I und II zurück; ähnlich ist es mit der Darstellung von Adams und Evas Leben im Paradies (V. 160/71; detaillierte Übersichtstafel auf S. 149; zu V. 170 [. . . si mens non laeua fuisset] notiert B. nur die Übernahme aus Ecl. 1,16; er hätte darauf hinweisen können [bzw. sollen], dass das gleiche Versstück auch in der Aeneis [2,54] vorkommt) und der Darstellung ihres Lebens nach der Vertreibung aus dem Paradies (V. 276/84; detaillierte Übersichtstafel auf S. 151). Bei der zuletzt genannten Szene hebt B. zu Recht hervor, dass sie erstaunlich positiv ausgefallen ist, obwohl sie doch auf etwas Negatives (eben den Sündenfall) zurückgeht, er kann dafür aber eine einleuchtende Erklärung anführen (S. 152f): Proba greift hier auf den bis zu Hesiod zurückgehenden – in den Georgica noch angedeuteten, in der lateinischen Dichtung aber vor allem durch Ovids Metamorphosen populär gemachten – Mythos von sich sukzessive verschlechternden Weltaltern zurück; unter dieser Perspektive kommt Adams und Evas Leben nach dem Sündenfall ihrem einstigen Leben im Paradies noch am nächsten. Weitere Partien mit deutlichem Georgica-Einfluss sind Gottes Urteil über die Menschen nach ihrem Sündenfall (V. 252/62; detaillierte Übersichtstafel auf S. 154) und die Beschreibung zweier weiterer (sich jeweils verschlechternder) Menschenzeitalter (entsprechend dem »bronzenen« und »eisernen« Zeitalter in Hesiods Mythos) mit zunehmenden Bestrafungen und Verbrechen nach der Ermordung Abels (V. 290/8 und 299/306; detaillierte Übersichtstafel auf S. 157f). Probas einzige neutestamentliche Partie mit starken Georgica-Anteilen, die Reaktionen der Natur nach dem Tod Jesu (V. 625/ 37), wird S. 160/3 behandelt (detaillierte Übersichtstafel auf S. 160f). Im dritten Kapitel dieses Teils (S. 165/85) geht es um die Rezeption der Aeneis in Probas C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 212 H.-G. Nesselrath: Bažil, Centones Christiani Cento. Hierzu führt B. die von Reinhart Herzog entwickelten Begriffe der »KontrastImitation« und der »analogen Imitation« ein und stellt als Beispiel für die erste die Beschreibung der Unterwelt in Probas Gestaltung der Bergpredigt (V. 469/96; detaillierte Übersichtstafel auf S. 166f) vor, wo die Beschreibung der Unterweltsstrafen ihr Material vor allem aus dem 6. Aeneis-Buch bezieht; dabei wird freilich nicht wirklich klar, was an dieser Verarbeitung »Kontrast«-Imitation sein soll. In Anm. 9 auf S. 170 zitiert B. Herzogs Definition von »Kontrastrezeption«: »eine umdeutende Reaktion auf eine bereits akzeptierte Rezeption«. Aber was genau wird hier umgedeutet? B. stellt richtig heraus (S. 165 und 169), dass Proba die Beschreibung der in der ursprünglichen Bergpredigt nicht vorhandenen strafenden Unterwelt eigenständig eingefügt hat; man müsste aber noch klarer machen, inwiefern diese Einfügung oder Ergänzung eine »Umdeutung« darstellt (und wenn es eine wäre, wäre es eine der biblischen Vorbildstelle, nicht aber des benutzten VergilTextes). Bemerkenswerterweise hat sich B. in seiner »Conclusion générale« wieder etwas von Herzogs zwei Imitations-Typen distanziert: »les deux types d’imitation ne sont à considérer que comme des cas idéaux, se présentant rarement à l’état pur . . . Au contraire, le texte fait apparaître toute une série de cas intermédiaires qui mêlent . . . des éléments de ces deux types extrèmes« (S. 248). Als Beispiel für eine »Analog-Imitation« präsentiert B. anschließend Probas Darstellung des Sturms auf dem See Genesareth und Jesu Schreiten über das Wasser (V. 531/61; detaillierte Übersichtstafel auf S. 173/5), wo Proba zum einen mehrere Bibel-Episoden zusammengezogen und verdichtet, zum anderen vor allem Material aus den Aeneis-Büchern 1, 3 und 5 verwendet hat. Ist es aber wirklich sinnvoll, dieses Material – aus immerhin drei verschiedenen Aeneis-Büchern – als von einer »unité extraordinaire« (S. 175) zu bezeichnen? Näherliegend wäre wohl die Erklärung, dass Proba hier bevorzugt Material aus solchen Aeneis-Episoden bezogen hat, in denen es eben um Schifffahrt, Sturm und Meer geht. B. würde gern in der relativ starken Verwendung von Material aus dem 5. Aeneis-Buch eine »réminiscence conductrice« mit tieferer semantischer Bedeutung sehen (S. 176) und wendet sich damit gegen Her- zog, der eine solche nicht zu entdecken vermochte; mir scheint der Umstand, dass die Schiffs-Regatta in Aeneis 5 unserer Dichterin ganz natürlich Material für die Beschreibung von Schiffsbewegungen auf dem Meer liefern konnte, als Grund für die verstärkte Benutzung dieses Aeneis-Buchs völlig ausreichend. In einer weiteren Sektion (S. 176/85; etwas geheimnisvoll mit »L’art de la miniature« überschrieben) wird die Präsenz der Aeneis in kürzeren Partien ins Auge gefasst (jeweils mit detaillierten Übersichtstafeln (S. 177. 179. 180f. 182f. 184): die Beschreibung des Jerusalemer Tempels, als Jesus die Geldwechsler aus diesem vertreibt, V. 566/77 (diese hier von Proba zusätzlich in die biblische Episode eingeführte Tempelbeschreibung, die ihr Material vor allem aus Aeneis 7 [Beschreibung des Palastes des Latinus] bezieht, möchte B. wiederum in die Nähe der von Herzog postulierten »Kontrastimitation« bringen. Aber reicht zur Begründung dafür aus festzustellen: »du passage source évoqué dans l’esprit des lecteurs, seuls les éléments «acceptables» sont repris« [S. 178]? – was sollte ein Centonen-Dichter denn auch anderes tun, als nur die Elemente zu übernehmen, die sich inhaltlich für das eignen, was er sagen will?); die Beschreibung des jungen Jesus, V. 372/87; die Rede Gottes zu Adam und Eva nach dem Sündenfall, V. 224/33 (hier stellt B. als »intéressant« heraus [S. 180], dass in dieser Rede das verwendete Material größtenteils aus direkter oder indirekter Rede stammt – aber liegt das nicht erneut nahe, wenn Proba ihrerseits eine direkte Rede gestalten will?); die Rede Gottes während Jesu Taufe im Jordan, V. 403/12; die Beschreibung der Schlange im Paradies, V. 172/82. In der »Conclusion« des dritten Teils (S. 188/97) stellt B. Charakteristika der Versifikations- und Kompositionstechnik Probas zusammen: Sie nimmt recht häufig (etwa 75mal) kleinere Form-Modifikationen am übernommenen Material vor, um dieses in den neuen Kontext einzupassen; etwa 40mal lassen sich etwas stärkere Veränderungen (zB. Wort-Substitutionen) feststellen. Bei der Versbildung hält sich Proba nicht strikt an die von Ausonius (freilich erst nach Probas Dichtung) formulierte Regel, nicht mehr als anderthalb Verse in Folge und nicht weniger als einen Halbvers zu übernehmen; bei ihr gibt es Übernahmen von zwei zusammenhängenden Versen, aber auch aus drei Stücken neu zusam- C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm H.-G. Nesselrath: Bažil, Centones Christiani mengesetzte Verse. Proba verwendet auch wiederkehrende »Formeln« bei wiederkehrenden Situationen (Zeitangaben, Einleitung und Abschluss von Reden, Epitheta bei wichtigen Personen, zB. Gott Vater und Jesus); auf diese Weise wird die Vorstellung eines »traditionellen Epos« erweckt. Schließlich gestaltet Proba die einzelnen Teile ihres Werkes als voneinander relativ unabhängige Episoden. Im vierten Teil seiner Arbeit wendet sich B. den »Erben Probas« zu (S. 201/42), und zwar zunächst den übrigen drei christlichen lateinischen Centonen der Spätantike (S. 201/30), von denen er nach der Überlieferungs- und Forschungsgeschichte Fragen der Datierung und der Beziehungen untereinander (und zu ihrer Vorgängerin Proba) bespricht: Die in der Regel einem Pomponius zugeschriebenen Versus ad gratiam Domini (behandelt S. 204/ 18) sind – als Dialog zwischen den Hirten Tityrus und Meliboeus – erkennbar auf Vergils Bucolica aufgebaut, von denen sie sich vor allem auf das erste, aber auch auf das fünfte Gedicht beziehen. Gegenüber Proba charakterisiert B. den Autor dieses Gedichts als »son successeur fidèle mais original« (S. 209) und begründet dies zum einen mit Ähnlichkeiten in der Technik der Vergil-Übernahme, daneben aber auch mit direkter Imitation Probas, die sich vor allem im Schlussteil des Gedichts greifen zu lassen scheint (S. 211f; vgl. die detaillierten Übersichtstafeln zu V. 88/113 und 92/6 auf S. 213f und 215f). Bei dem anonymen Gedicht De Verbi incarnatione (behandelt S. 218/23) ist vor allem sein Verhältnis zu den Versus ad gratiam Domini umstritten; mit Hilfe einer genaueren Untersuchung der Versifikationstechnik (S. 220/2) kann B. zeigen, dass sich die beiden kleineren Centonen doch deutlich voneinander unterscheiden und damit wohl nicht (wie Herzog glaubte) auf denselben Autor zurückgehen können, und auch im Verhältnis zu Proba kann B. deutliche Unterschiede zwischen den beiden nachweisen (S. 223). Beim dritten der kleineren Centonen, De Ecclesia (behandelt S. 224/30), bespricht B. zunächst das singuläre »Nachwort« (V. 111/6) und die mit ihm zusammenhängenden Versuche, als seinen Autor einen Mavortius nachzuweisen, von dem noch ein kleiner pagan-mythologischer Cento (Iudicium Paridis) überliefert ist; erneut kann B. durch stilistische, verskompositorische und metrische Vergleiche zeigen, dass De Ecclesia kaum 213 vom Autor des Iudicium Paridis stammen kann (S. 227/30). Im zweiten Kapitel dieses Teils (S. 231/42) bespricht B. die »technique du centon« in einigen Hexametergedichten des frühen Mittelalters, um an ihnen die Art des Fortlebens der spätantiken christlichen lateinischen Centonen zu dokumentieren. An die Stelle regelrechter Centonen scheint dabei die Praxis zu treten, bereits früher formulierte Verse wiederzuverwenden, ohne dass sich solche Wiederverwendungen auf die Gesamtheit eines Gedichts erstrecken (S. 233). Anschließend bespricht B. »trois exemples de centons médiévaux« (S. 234/41): eine »Collage« aus Dracontius-Versen in dem Gedicht Ad Sethum des karolingischen (?) Dichters Columbanus, wobei diese Collage in modifizierter Form als eigenständiges anonymes Gedicht auch in der Anthologia Latina (nr. 676) erhalten ist (vergleichende Übersichtstafel auf S. 237); danach das ebenfalls auf Dracontius-Versen aufbauende Diptychon der Centones Claromontani; schließlich das Diptychon der Versus Victorini, das zum Teil auf Material des Carmen adversus Marcionitas, daneben aber auch auf anderem Material aufbaut, das zum größten Teil bis heute nicht identifiziert ist. In einem abschließenden Abschnitt (S. 241f) fasst B. die Unterschiede dieser drei Gedichte zu den spätantiken christlichen Centonen zusammen; sie sind so groß, dass man sich ernsthaft fragen muss, ob man diese Gedichte wirklich noch (gerade auch nach B.s eigenen Vorgaben, vgl. o.) als Centonen bezeichnen darf. Zwar bemerkt B. selbst, dass das Cento »cesse d’être une forme littéraire autonome avec ses règles strictes . . . et . . . devient une technique poétique (ou plutôt ›versificatrice‹)«; auf der anderen Seite postuliert er eine »tradition de la poésie du centon . . . ininterrompue de l’Antiquité jusqu’à l’époque moderne« (242), was nach den gerade aufgezeigten großen Abweichungen dieser mittelalterlichen Gedichte kaum haltbar erscheint. Es folgen eine »Conclusion générale« (S. 245/52), eine umfangreiche Bibliographie (S. 253/71), ein Register antiker und moderner Autoren sowie anonymer Werke (S. 273/8) und schließlich vier »Annexes«, die die Texte der vier christlichen lateinischen spätantiken Centonen mit genauer Aufschlüsselung des aus Vorgängertexten verwendeten Materials (einschließlich textlicher Abweichungen) bieten (S. 281/338). C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 214 S. van Poppel: Leppin/Ziemssen, Maexentius Folgende Druckfehler sind mir aufgefallen: S. 181: lies »Centodichtung« statt »-dichung«; S. 2324: lies »Unsinnspoesie« statt »Unsinn-«; S. 3371: lies »im Cento « statt »in . . .«; S. 3793: lies »Apocolocyntosis« statt »-cynthosis«; S. 5755: lies »Verarbeitung« statt »-abeitung«; S. 996: lies »Sallmann« statt »Salm-« (das zugehörige Zitat – »op. cit., p. 218–261, § 432–446« – ist im Übrigen nicht zu verstehen, denn der gemeinte Band – es handelt sich um den von K. Sallmann herausgegebenen vierten Band des »Handbuchs der lateinischen Literatur«, hrsg. von R. Herzog und P. L. Schmidt – scheint nirgendwo sonst in diesem Buch, auf jeden Fall nicht in der Bibliographie, zitiert zu werden); S. 10434: lies »litteras« statt »-at«; S. 126, 3. Absatz: lies »Vers 50 à 55« statt ». . . 50 à 65«; S. 136, Proba V. 51: lies »alta« statt »-tas«; S. 160, Proba V. 628: lies »ferae« statt »ferr-«; S. 16234, Lucan 1,538: lies »Phoebe« statt »Phe-«; S. 166, Proba V. 469: lies »succurrite« statt »secc-«; S. 178, Vergil, Aen. 7,173: lies »attollere« statt »-tolere«; S. 182, 2. Absatz: lies »contribue« statt »-triub-«; S. 292, Proba V. 241: lies »fallere« statt »falere«; S. 295, Proba V. 320: lies »nesciaque« statt »nesciae-«; ebd., V. 324: lies »immemor« statt »inmm-«. Insgesamt – und trotz gelegentlicher Kritik, die der Autor dieser Rezension anbringen zu müssen glaubte – stellt dieses Buch eine gründliche und nicht wenige neue Erkenntnisse bietende Aufarbeitung der vier in seinem Zentrum stehenden Centonen dar, und seine theoretischen Überlegungen zur Intertextualität von Cento-Dichtung können ebenfalls als Grundlage für weitere Forschungen empfohlen werden. Göttingen Heinz-Günther Nesselrath Hartmut Leppin / Hauke Ziemssen, Maxentius. Der letzte Kaiser in Rom = Zaberns Bildbände zur Archäologie (Mainz am Rhein, Philipp von Zabern 2007), 8°, 128 S., 80 Abb., geb. 24,90. ISBN 3–8053– 3399–4. 978–3–8053–3399–3. With this co-produced work, Zaberns Bildbände zur Archäologie provides the first German-language biography of Maxentius, the last Roman emperor to make the city of Rome the seat and centre of power during his short reign (306–312 ad). Leppin and Ziemssen’s colourful contribution joins the recent discourse of re-appreciation and reha- bilitation of the ›wenig bekannten, unbedeutenden‹ Maxentius, whose negative image as tyrant and usurper has dominated historiography for centuries (p. 34; M. Cullhed, Conservator urbis suae. Studies in the Politics and Propaganda of the Emperor Maxentius [Stockholm 1994]; J. R. Curran, Pagan City and Christian Capital. Rome in the fourth Century [Oxford 2000]; W. Oenbrink, ›Maxentius als conservator urbis suae. Ein antitetrachisches Herrschaftskonzept tetrarchischer Zeit‹, in: D. Boschung / W. Eck [eds.], Die Tetrarchie. Ein neues Regierungssystem und seine mediale Präsentation [Wiesbaden 2006] 169/204; J. W. Drijvers, ›Eusebius’ Vita Constantini and the construction of the image of Maxentius‹, in: H. Amirav / B. ter Haar Romeny [eds.], From Rome to Constantinople. Studies in honour of Averil Cameron [Leuven/Paris 2007] 11/27). The ›Bildmonographie‹ combines various historical and archaeological sources to construct ›ein unbefangenes Bild‹ of the politics and ideology of the emperor (p. 8). Within the political and chronological framework set by L. in the first part of the study, Maxentius is portrayed as an ›unzeitgemäßer Kaiser‹ by the merits of his appearance within the standing power relations and attitude towards the city of Rome (pp. 11/34). Maxentius’ coup took place in a period when Rome had become the merely symbolic capital city and had lost political meaning in favour of Tetrarchic residencies, such as Antioch, Milan and Split. The son of the former Augustus Maximinus, overlooked in the formation of the second Tetrarchy in the year 305 ad was declared emperor by the discontented people and soldiers of Rome on 28 October 306 ad. In the absence of lasting imperial alliances or successful foreign military campaigns, Maxentius’ basic power claim was his possession of the Urbs, the traditional capital of the Imperium, as princeps and patron. His celebration of the ›stadtrömische Tradition‹, his pietas for the city and the ancient gods forms for L. the ›unzeitgemäßen‹ aspect of Maxentius’ rule. The author concludes his historical outline with a brief evaluation of the emperor’s politics (pp. 33/4). Despite Maxentius’ failure to create his own dynasty, because of the death of his son and heir Romulus, L. briefly hints at a Maxentian legacy from a religious point of view: the emperor’s policy of tolerance, liberty and patronage towards the Christian community, which had contributed to the transformation C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm S. van Poppel: Leppin/Ziemssen, Maexentius of the Urbs from the centre of the Roman Empire to the heart of Western Christendom; a development which Maxentius hardly could have foreseen, let alone encouraged. The second part, in fact a summary of Z.’s PhD project, covers the largest part of this volume, focusing on the ideology and representation of the power of Maxentius (pp. 35/ 122). The author turns to late antique literary sources and, foremost, numismatic material and architecture for comparison, confrontation and reconstruction. Z. argues that in his attempts to revive Rome as the true and only imperial capital, Maxentius presented himself as the conservator urbis suae, celebrating and reinforcing the grandeur of the city and its goddess. His pursuit of Roma aeterna marks, according to the author, the historical paradox of his imperial rule, as monarch established by and bound to the eternal city. The appropriation of the dea Roma as his auctrix is to be compared with the divine nature that was claimed by the Tetrarchs. Next, Z. convincingly contrasts Maxentius’ ›stadtrömische‹ intentions and legitimation with the ecumenical concept of genius populi Romani, propagated by the Tetrarchic regime. This view is not new. The Rome-centred ideology of Maxentius has already been elaborately described by Groag and Cullhed, the latter defining it as romanitas (E. Groag, ›Maxentius‹: PW 14,2 [1930] 2417/84). This notion, adopted by other scholars such as Curran, Hekster, Bassett and Drijvers, is avoided by both Z. and L. (S. Bassett, The urban image of late antique Constantinople [Cambridge 2004]). After the discussion of the ›Herrscherbild‹ of Maxentius, Z. thoroughly analyses the architecture that Maxentius used as an instrument for the political and ideological expression of his beloved concept of Roma aeterna. The author reassesses some assumptions regarding the building projects along the Via Sacra and on the Velia by refuting the recent assertion of a ›Forum of Maxentius’ on the basis of the open character of the site‹ (Curran l. c.), and by revising the building process of the basilica nova (C. Giavarini [ed.], La basilica di Massenzio. Il monumento, i materiali, le strutture, la stabilità [Rome 2005]). Furthermore, the author questions the attribution by several modern scholars of the ›Temple of Romulus‹ as an act of patronage by Maxentius. Z. values the numismatic, epigraphic and archeological evidence for the Rotunda Complex as too scarce 215 and dubious to be taken into account for the discussion and interpretation of the Maxentian building programme (Cullhed l. c.). The remodeling of the Via Sacra by erecting the basilica nova and the renovation of the ruined Temple of Venus and Rome, which had been destroyed in the fire of 283 ad, are attested by the Chronographer of 354 and Aurelius Victor as works of Maxentius. These enormous projects reflect the propagated connection between the Augustus and the Urbs, between Maxentius and the dea Roma, by orientating the grand ceremonial audience hall of the basilica towards the seat of the city’s patroness. Appropriating the clivus Palatinus as an open passage to the Palatine, Maxentius dissociated himself from the Forum Romanum and strengthened his name through the imperial palace on the hill nearby. Through the renovation of the palatial structures on the Palatine Hill, Maxentius propagated the ›Rückkehr auf den Palatin‹ by the emperor, emulating and reviving the days of Augustus, Domitian and the Severan emperors. The author sets the physical enhancement of this site against Maxentius’ construction of a new complex along the Via Appia. Both were venues par excellence to express the imperial presence and permanence in and around the city. Their direct connections with the adjacent circuses, and in the case of the Appian complex, a dynastic mausoleum, stress the ›ritualisierte Beziehung‹ between the ruler and the people that was propagated ever since Augustus, and can be compared to the imperial complexes in the Tetrarchic residencies. The volume unfortunately lacks ground plans that would visually clarify the similarities and differences between these sites, and therefore does not achieve a thorough analysis. This omission is probably consciously made, as these comparisons are said to evoke ›mehr Fragen als sie zu lösen scheinen‹ (p. 106). The precise motives for building the complex on the Via Appia thus remain obscure, although the meaning of the created ›Sakrallandschaft‹ as celebration of the traditional dynastic ruler cult is evident. Z. ends his contribution with a short epilogue, pointing at the immediate fate of Maxentius’ legacy in Rome after his defeat in 312 (pp. 119/22). To grasp the powerful meaning of Maxentius’ six-year building policy, Constantine’s numerous efforts to physically surpass the monumental heritage of the C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 216 J. Engemann: Brenk, The Apse, the Image and the Icon defeated tyrannus with a damnatio memoriae should be taken into account. The choice for studying the four particular structures in closer detail (the basilica nova, the Temple of Venus and Roma, the structures on Palatine Hill, and the complex on Via Appia) is based on their references in ancient literary sources. Furthermore, all buildings are physically preserved, which makes a reconstruction of their original state and their true historical context possible. With this rather limited choice, however, numerous plausible and problematic ›Zuweisungshypothesen‹ are avoided (e. g. the Aurelianic Walls, the Ara Pacis, the Arcus Novus, the Quadrifrons and foremost the Rotunda Complex). The discovery of the imperial insignia in 2006 under a shrine on the north-eastern slope of the Palatine Hill presumably, but unfortunately, came too late to be included (the first reports date from June 2006, see Corriere della Sera [22–06– 2006]). The eponymous dissertation of Z. probably offers a more complete view of ›the Rome of Maxentius‹, providing more bibliographical details and comprehensive definition and argumentation for scholars of late antique Rome (H. Ziemssen, Das Rom des Maxentius. Städtebau und Herrscherbild zu Beginn des 4. Jhs. n. Chr. Department of Cultural History, University of Hamburg [2006]). That said, the large number of mostly highquality images (which are not all accounted for), plans, and informative frames support the text persuasively, although the arrangement generates a somewhat cluttered lay-out on occasion. This lavishly illustrated and detailed work is an outstanding example of a ›Bildmonographie‹, approachable for anyone with a predilection for the Roman past, as Maxentius, ›the last emperor of Rome‹, once had. Radboud University Nijmegen, The Netherlands Sanne van Poppel Beat Brenk, The Apse, the Image and the Icon. An Historical Perspective of the Apse as a Space for Images = Spätantike – Frühes Christentum – Byzanz, Reihe B 26 (Wiesbaden, Reichert Verlag 2010), 8°, 131 S., 37 Farb- und 106 Schwarzweißabb., geb. Euro 29,90. ISBN 978–3–89500–703–3. Der Autor stellt im ersten Satz seines Vorworts zu Recht fest, dass das Thema der Apsis als Bildraum bisher keine monographische Behandlung gefunden habe (S. 9). Andererseits gibt es eine umfangreiche Literatur zum christlichen Apsisdekor und seinen nichtchristlichen Vorläufern. B. hat erstaunlich viel davon nicht nur zitiert, sondern offensichtlich auch bearbeitet (was leider nicht immer selbstverständlich ist). Wenn man sein Buch gelesen hat, glaubt man auch einen der Gründe erfahren zu haben, warum wir zwar das Standardwerk »Die Programme der christlichen Apsismalerei vom 4. Jahrhundert bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts« von Christa Ihm besitzen (1960 bzw. 1992), aber keine Monographie zur Abhängigkeit dieser Programme von den nichtchristlichen Vorläufern, zu ihrer chronologischen Entwicklung und zu ihrer Stellung im jeweiligen Gesamtdekor. Durch die Lektüre von B.s Buch wird uns bewusst, wie viele Fragen zu diesen Themen wegen des lückenhaften Denkmälerbestands nicht zu beantworten sind. Die Überlieferung bietet daher sicher keinen Anreiz, hierüber eine Monographie zu schreiben, und so ist der Einsatz des Autors zu begrüßen. Er legt allerdings auch kein abgerundetes Werk vor, sondern eine Zusammenstellung von vier einzelnen Essays, die zu vervollständigen ihm nicht möglich war: »To reach material completeness is a desiderable virtue of each scholar, but, if I had tried to do so, this would have taken the wind out of my sails« (9). Man darf daher in diesem Buch keine abgeschlossene Besprechung und Einordnung der Apsismosaiken in Rom und Ravenna oder auf dem Sinai suchen. Eine Folge der spärlichen Überlieferung ist der Versuch, das Auftauchen wichtiger Bildthemen des 4. Jahrhunderts (zB. der sogenannten Traditio legis) in anderen Kunstgattungen auf verlorene monumentale Vorbilder zurückzuführen, etwa in Apsiden. Solcher Sünde, der ich mich selbst schuldig bekenne, erteilt B. gleich in der Einleitung eine Absage: ». . . this hypothesis was never really substantiated« (10). Doch lassen sich m. E. nicht alle Versuche dieser Art widerlegen. Der erste Essay behandelt unter der Überschrift »Fountains, Apses and the Meaning of Water« das Weiterleben des maritimen Dekors der Apsiden spätrepublikanischer und kaiserzeitlicher Nymphäen mit ihren Muscheln, Fischen und mythologischen Szenen in christlichen Apsismosaiken. An erster Stelle muss allerdings ein Fußbodenmosaik den C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm J. Engemann: Brenk, The Apse, the Image and the Icon Apsisdekor ersetzen, da die Nordhalle in Aquileia keine Apsis besaß. B. hält wie andere Kollegen die Jonasszenen für gleichzeitig mit den fischenden Eroten (18). Da er mich in diesem Zusammenhang erwähnt, gehe ich etwas näher auf das Problem ein. Die Unterschiede zwischen den Jonas- und den Fischfangszenen sind bereits von W. N. Schumacher ausführlich beschrieben worden (Hirt und »Guter Hirt« [Rom 1977] 253/87) und (bis auf wenige wegrestaurierte) noch heute sichtbar. Was die angeführte Identität des Mörtels beider Mosaikgruppen angeht, so berichte ich (ohne Namensnennung) ein heiteres Erlebnis: Auf einer Exkursion wurde uns Studenten die Gleichzeitigkeit zweier Fundamente auf dem Forum Romanum aufgrund völlig gleich aussehenden Mörtels als unzweifelhaft vorgeführt – bis ein bekannter römischer Architekt die Proben ergriff und ins Wasser hielt, wodurch ihre Ungleichheit offensichtlich wurde. Ich denke, die Fragen zum Mosaik in Aquileia sind nur zu klären, wenn Proben des Bettungsmörtels von Stellen, die nicht von neuzeitlichen Eingriffen berührt sind, mit modernen Labormethoden analysiert und die Ergebnisse verglichen werden. Die (nicht erhaltenen) maritimen Szenen an der Apsiswand eines Oratoriums des späten 4. Jahrhunderts am Monte della Giustizia in Rom und die Flüsse am unteren Rand eines Konchenmosaiks in S. Aquilino in Mailand aus gleicher Zeit stellt B. ganz richtig in die antike Tradition und lehnt eine spezifisch christliche baptismale Interpretation ab. Als Quelle für den Hauptinhalt des Mailänder Mosaiks, den thronenden Christus mit den 12 Aposteln, nennt er in Abweichung von seiner eigenen Absage (10) die silbernen Skulpturen am fastigium Konstantins in der Lateranbasilika. Zur Verwendung maritimer Randzonen werden noch die Kuppel von S. Costanza und Torritis mittelalterliche Apsis in S. Maria Maggiore angeführt. Hierzu wird inhaltlich die Verbindung von Erde und Meer herangezogen (außer dem Mosaik in Nikopolis könnte man auch die Sughita für Edessa erwähnen). Religionspolitisch soll die Neutralität von Meereslandschaften den Christen des 3. und 4. Jahrhunderts den Nachweis der Legitimität des Bildgebrauchs erleichtert haben (23), doch war ja spätestens in S. Costanza die Schwelle zur öffentlichen Verwendung christlicher Bilder überschritten. Abschließend werden hierzu als Beispiele für volle Verchrist- 217 lichung Apsiden mit Jordandarstellung genannt, vor allem das Mosaik in Hosios David in Thessaloniki. Der erste Essay endet, ausgehend vom Narthexmosaik des Lateranbaptisteriums (24/6) mit einer Erörterung von Apsiden mit »Aniconic Decoration«, womit unfigürliche Bilder gemeint sind, allerdings unter Einschluss von Tieren, wie Schafen und Tauben (Anm. 62). In Bezug auf die Apsisbilder in Nola und Fundi, die Paulinus von Nola beschrieb, lesen wir: »By avoiding human figures Paulinus decided against a figurative and iconic art, having in mind probably the Second Commandment . . .« (27). Dieser Ansicht widersprechen jedoch die ebenfalls von Paulinus beschriebenen figürlichen, biblischen Darstellungen im Kirchenschiff. Der Autor gibt eine Übersicht weiterer Beispiele unfigürlich-symbolischer Bilder, doch mit seiner Äußerung, er persönlich glaube nicht, dass die Laterankirche, S. Peter und S. Maria Maggiore figürliche Apsismosaiken gehabt hätten (27), werden wir an die eingangs erwähnte Lückenhaftigkeit der Befunde erinnert: Dieser Glaube lässt sich so wenig begründen wie die Gegenmeinungen. Der Umstand, dass es selbst im 6. Jahrhundert neben bedeutenden figürlich geschmückten Apsiden noch »aniconic apse programs« gab, trägt zur Lösung des Problems nicht bei. Der zweite Abschnitt des Buches mit der Überschrift »From Adyton to Presbyterium« wird bereits durch den Untertitel als Hauptteil des Buches benannt: »Towards a History of the Apse as a Space for Images«. Ausgehend vom Mars-Ultor-Tempel in Rom und dessen durch die Apsis herausragende Stellung betonend, bietet der Autor eine lehrreiche Übersicht über westliche und östliche kaiserzeitliche Kultbauten mit Apsiden und Kultstatuen für Götter und Kaiser. Diese Abhandlung führt natürlich auch zu Beispielen mit Malerei, wie dem Herkules-Tempel in Sabrata mit dem Apsisbild der Apotheose des Kaisers Mark Aurel und dem Kaiserkultraum der Tetrarchen in Luxor. Zum Dekor des letzteren und zu Entsprechungen in der Apsis christlicher Kirchen hat bereits Johannes Deckers alles Wichtige ausgeführt. B. meint allerdings, die vier Tetrarchen seien in der Apsis in Malerei ausgeführt worden, weil für Skulpturen nicht genügend Platz war (44); doch bot das gewählte Medium im Unterschied zur Rundplastik die Möglichkeit, auch die Bekränzung der Kaiser durch den Adler C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 218 J. Engemann: Brenk, The Apse, the Image and the Icon Jupiters darzustellen und die Apsiswölbung in das Gesamtprogramm des Raumes als Höhepunkt einzuordnen. In der anschließenden Behandlung der Basilika des Maxentius im Kontext des Venus- und Roma-Tempels räumt der Autor mit Bedauern, aber richtig ein, dass wir nie wissen werden, was sich in der riesigen Apsis befand. Diese Frage ist für die Zeit Konstantins gelöst, aber es bleibt offen, wie nichtchristliche und christliche Besucher dem in Jupiterpose thronenden Konstantinskoloss begegneten. Sicher hat B. Recht, wenn er nach einer Diskussion von Vorschlägen urteilt: »I doubt that the emperor was formally worshiped, but he was certainly venerated, and we do not know in what form« (49). Der zweite Abschnitt des Buches endet mit einer ausführlichen Erörterung der im Liber Pontificalis beschriebenen Silberstatuen des fastigiums Konstantins für die Lateranbasilika. Hier scheint der Hauptzweck zu sein, die These zu unterstützen, dass diese Kirche im 4. Jahrhundert kein Apsisbild besessen habe. Wir stoßen auch hier wieder auf das Problem der Überlieferungslücken. Der Autor schreibt: »In recent publications some authors have reconstructed a monumental figural apse mosaic of the Lateran church, without being able to present a real proof« (53). Dasselbe gilt jedoch auch im umgekehrten Fall und ebenso für die Ansicht, Rekonstruktionen eines frühen Apsisbildes in S. Peter seien unbewiesen (55). Der dritte Teil des Buches soll die Diskussion über die Möglichkeit christlicher Apsisbilder an einem speziellen Thema fortsetzen, dem Marienbild: »From Private Worship to Official Representation of the Virgin in the Apse«. Bevor er zur Darstellung Mariens kommt, behandelt B. das grundsätzliche Problem der Auseinandersetzung des frühen Christentums mit dem biblischen Bilderverbot. Er erwähnt wiederum den in der Vita des Papstes Silvester im Liber Pontificalis beschriebenen Skulpturenschmuck des fastigium Konstantins und legt ausführlich dar, welches Problem diese Rundplastiken in Bezug auf das biblische Bilderverbot darstellten. Er weiß natürlich, dass Konstantins Versuch keine Nachfolge fand: »But we know, however, that this attempt failed. No bishop wanted to have anything to do with this pompous imperial rhetoric« (58). Eigentlich ist dies ein Argument gegen die Authentizität der Nachricht in der Vita Silvestri. Doch hält der Autor an der Notiz fest und erwähnt den Umstand nicht, dass in diese Vita auch das Märchen von Aussatz und römischer Taufe Konstantins eingefügt worden ist. Von den Argumenten der Zweifler (mich eingeschlossen) wird nur das ikonographische genannt: Darstellungen Christi mit Engeln, die einen Stab tragen, treten sonst nicht vor dem Ende des 4. Jahrhunderts auf. B. bezeichnet dies als argumentum e silentio (Anm. 190), und ich stimme ihm zu. Wer an die tatsächliche Existenz des Figurenschmucks glaubt, könnte sagen: Das Bild Christi mit Aposteln taucht in der Kunst des 4. Jahrhunderts so früh auf, weil die Gläubigen es auf der Vorderseite des fastigium sehen konnten, die Skulpturen Christi und der Engel auf der Rückseite sahen nur die Kleriker. Da das Problem der Anwendung des Bilderverbots auf den Kirchenraum literarisch nur in Zusammenhang mit der Synode von Elvira am Anfang des 4. Jahrhunderts erwähnt wird, sind wir auf die Erkenntnisse angewiesen, die durch die Betrachtung der Bildwerke zu gewinnen sind (61). Nach einer Erklärung der Gründe, warum es zu Beginn christlicher Kunst so wichtig war, die Gottheit Christi neben seiner offensichtlichen menschlichen Natur herauszustellen, bespricht der Autor als Ausgangspunkt zum Marienbild die Huldigung der Magier in Darstellungen auf Sarkophagen und in den Katakomben, also im privaten Bereich. Auf die vielen und komplexen Aspekte, die in diesem Zusammenhang diskutiert werden, bis hin zur Frage einer »Imperialization of Christian Art« (63) kann hier nicht näher eingegangen werden. Jedenfalls kommt über die Huldigung der Magier auch Maria ins Spiel, und es ist klar, dass die Marienverehrung ihren Ursprung im Privatbereich hatte (66). Nach Besprechung von Goldgläsern mit dem Namen Maria (Privatperson oder Heilige?) und des Inschriftkürzels UMG wendet sich B. den Mosaiken am Triumphbogen (Apsisbogen) in S. Maria Maggiore als Zeugnissen offizieller Theologie zu. Er bezeichnet sie als einmalig und einflusslos, und da das Apsismosaik nicht erhalten und sein Inhalt nicht zu erschließen ist (75. 77), muss als erstes MarienApsisbild das nur literarisch überlieferte in S. Maria in Capua Vetere gelten. Dort ist tatsächlich der Übergang aus dem privaten Bereich in die offizielle Kirchenkunst zu greifen (76). Andere Marienapsiden, zB. in Parenzo, Lythrankomi oder Kiti, werden erst im folgenden Abschnitt erwähnt; statt dessen folgen C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm J. Engemann: Brenk, The Apse, the Image and the Icon hier weitere Beispiele der Magierhuldigung. Bei den Langhausmosaiken in S. Apollinare nuovo mit ihrer Gegenüberstellung des thronenden Christus und der Magierhuldigung lesen wir richtig: »On both sides the gloria of Christ is venerated, once in the form of Christ as a child and once as an adult« (79). Dagegen scheint mir der Kommentar zur Gegenüberstellung von Magierhuldigung und Christus mit Aposteln auf einem östlichen Weihwassergefäß in Rom fraglich: »This juxtaposition is meaningful, because it says that the virgin is to be worshipped like Christ« (78). Der vierte Essay erinnert mit dem Titel »Apse and Icon. Official Representation and Private Worship« an ein im Abstract genanntes Thema: »This book explores the interactions between the various image-media during the early Christian and early Byzantine periods« (110). Doch bei der Lektüre gewinnt man den Eindruck, dass es hier vor allem um die Entwicklung von privater zu offizieller Frömmigkeit und Heiligen-, vor allem Marienverehrung im 6. und 7. Jahrhundert geht, unter Einschluss kirchlicher Bild-, Verehrungsund Kultpropaganda. Das Problem der Definition von Kult spricht der Autor skeptisch an: »Today and for the last two decades, the word ›cult‹ has become quite fashonable, but I cannot share the widely diffused uncritical approach to this notion« (84). In Bezug auf die Erkenntnismöglichkeit entsprechender Aussagen der Bildwerke ist er jedoch optimistisch: ». . . images may give important information about their use and their possible veneration if they are considered within their context« (ebd.). An den Anfang ist das Apsismosaik in Parenzo/Poreč gestellt, in dessen Mitte Maria mit dem Kind thront. Bischof Eufrasius bringt das Kirchenmodell; nach Aussage der Inschrift zum Dank an Christus (B. irrtümlich: »offering the Virgin and her son the model of the church he constructed«). Hier wird die Frage des Kults angesprochen: »The mosaic tells particularly how one ought to approach the virgin and how to worship her and her child« (85). Ich verstehe die Aussage des Bildes nicht so einfach. Das Kirchenmodell des Bischofs und die Kränze und Bücher der Heiligen und des Erzdiakons sind für Christus bestimmt. Es bleiben die beiden Kerzen, die hier vom kleinen Sohn des Erzdiakons und in der Commodillakatakombe von der Verstorbenen Turtura geopfert werden (92; vgl. jetzt A. Terry / H. Maguire, Dyna- 219 mic Splendor [University Park, Pennsylvania 2007] 140/2). Als Zeichen der Verehrung Mariens kann man die Kerzen wohl nur interpretieren, wenn man sie aufgrund eines Bildes mit Kerzenstiftung für den Titelheiligen in Hagios Demetrios in Thessaloniki als typisch für die Heiligenverehrung ansieht. Als Beispiele für den Übergang von kleinen, privaten Bildern Mariens mit dem Kind zu großen, offiziellen Apsisbildern werden dann die cyprischen Mosaiken in Lythrankomi und Kiti angeführt. B. notiert ganz richtig, dass es hier keinen Marienkult gab: doch was ist mit »visual, and possibly, a devotional worship« (86) gemeint? Anschließend werden als Beispiele für die ». . . privatisation of an ecclesiastical apse programme and the proximity of the images to the monk« (87) kleine Nischenbilder von Maria und Kind in den Zellen ägyptischer Mönche in Bawit und Saqqara angeführt. In der Ausmalung einer der Zellen aus dem 7. Jahrhundert sieht der Autor ein Beispiel für die intercessio eines Heiligen. Doch wendet sich ein Mönch, der in der Malerei der Nordwand einem heiligen Mönch (Apa Apollo) in Proskynesis zu Füßen liegt, wirklich indirekt an die Maria lactans in der kleinen Nische der Ostwand (88)? Die Förderung der Heiligenverehrung durch die Kirche illustriert B. durch ausführliche Behandlung der Bilder und Votivbilder an den Wänden von H. Demetrios in Thessaloniki sowie der Apsismosaiken in SS. Cosma e Damiano und in der Venantiuskapelle am Lateranbaptisterium in Rom (640/642). Er beschreibt anschaulich, wie die Kirche private Heiligenverehrung öffentlich machte und für die Einführung auswärtiger Heiliger und ihrer Reliquien in Rom Propaganda machte. Bei den beiden Apsiden verbinden sich persönliches und öffentliches Anliegen in besonderer Weise, da sie inschriftlich als päpstliche Votivstiftungen bezeichnet werden. Hinweise auf einige Ikonen, ein bei Venantius Fortunatus erzähltes Heilungswunder und den Bildschmuck in S. Maria Antiqua runden den Abschnitt ab. Trotz seines anspruchsvollen und detailreichen Inhalts ist der Text gut zu lesen, da für die behandelten Bildwerke in der Regel eine farbige oder schwarz-weiße Abbildung vorliegt. Eine Zusammenfassung, ein Literaturverzeichnis und ein kurzer Index sind beigegeben. Dem Buch ist weite Verbreitung zu wünschen, da es nicht nur Kenntnisse ver- C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 220 N. Zimmermann: Nuzzo, Tipologia sepolcrale delle catacombe mittelt, sondern durch offenbleibende Fragen auch die Forschung anregen kann. Salzburg Josef Engemann Donatella Nuzzo, Tipologia sepolcrale delle catacombe romane. I cimiteri ipogei delle vie Ostiense, Ardeatina e Appia = BAR Int. Ser. 905 (Oxford, Archaeopress 2000), 4°, 239 S., 295 Abb., Tafeln (12 in Farbe), brosch. £ 57,–. ISBN 1–84171–201–0. Das hier besprochene Buch ist bereits vor zehn Jahren erschienen; seine so späte Behandlung ist ausschließlich dem Rezensenten anzulasten. Ohne Zweifel verdient der BARBand über die Grabtypologie römischer Katakomben von Donatella Nuzzo auch jetzt noch eine besondere Würdigung, da er einen sehr wichtigen Baustein der Grundlagenforschung zu den hier behandelten Katakomben im Speziellen, aber darüber hinaus auch zur Erforschung und Bewertung der römischen Zömeterien ganz allgemein darstellt. Das Buch basiert auf einer an der römischen Universität ›La Sapienza‹ angefertigten Doktorarbeit und ist das Ergebnis intensiver Feldforschung in den Katakomben selbst. Es analysiert die Grabtypen in den unterirdischen Zömeterialanlagen der drei südlichsten Ausfallstraßen Roms (vie Ostiense, Ardeatina und Appia) in ihren verschiedenen Varianten nach ihrem zeitlichen Auftreten und ihrer topographischen Verteilung. Die Studie bietet neben der detaillierten Analyse der Zömeterien unter dem Aspekt der Grabtypologie eine Auswertung nach archäologischen und, zumindest in Ansätzen bzw. soweit derzeit möglich, auch kulturhistorischen Aspekten. Der Text ist, nach einer knappen Einführung (1. Introduzione, S. 3/5), in drei Abschnitte gegliedert. Am umfangreichsten ist der Hauptteil, der die eigentliche Analyse und Dokumentation aller Grabtypen der 22 unterirdischen Zömeterialanlagen an den genannten Ausfallstraßen umfaßt (2. Analisi dei complessi cimiteriali, S. 7/159). Dem folgt eine systematische Charakterisierung und terminologische Definition der angetroffenen Grabtypen samt ihrer Varianten (3. Determinazione e caratteristiche dei tipi, S. 161/76). Im Schlußkapitel ist die Verteilung der einzelnen Grabtypen nach chronologischen und topographischen Kriterien ausgewertet, wobei dem Phänomen der Bestattungen retro sanctos besondere Aufmerksamkeit geschenkt ist. Aber auch Aspekte wie die spezielle Wertigkeit einzelner Grabtypen und, in weiterem Sinne, prinzipielle Beobachtungen zur Organisation aller Grabplätze sind hier zusammengefaßt (4. Osservazioni conclusive, S. 177/209). Eine Bibliographie (5. Bibliografia, S. 211/21) und die für die weitere Arbeit mit dem Buch sehr nützlichen Indices zu den Grabtypen mit ihren Vatianten und ihrer Verteilung je Katakombe bzw. je Grabtyp (6. Indici, S. 223/36) runden den Band ab. Insgesamt 295 Textabbildungen bieten eine sehr reiche bildliche und graphische Dokumentation: Außer den 12 Farb- und 90 s/w-Photos sind insbesondere die rund 200 Pläne, Graphiken und Tabellen hervorzuheben, darunter vor allem die s/wStrichzeichnungen der Autorin mit den anschaulichen Ansichten, Schnitten und Axonometrien der untersuchten Gräber und Grabbereiche, die in sehr nützlicher Weise das Verständnis erleichtern. In der kurzen Einführung betont die Autorin die Komplexität der Befundsituationen der römischen Zömeterien: Die Fülle von topographischen, epigraphischen und ikonographischen Daten bieten eine dichte Ausgangsbasis mit sozialen, ökonomischen und kulturellen Indikatoren, die sich besonders für eine typologische Studie eignen. Die drei untersuchten Straßen gewähren insofern für Rom ein relativ vollständiges Bild, als sie das mögliche Spektrum an Grabanlagen ziemlich umfassend abdecken, und zwar zeitlich vom späten 2. bis zum frühen 5. Jh. und typologisch von großen Gemeindezömeterien mit verehrten Heiligengräbern (wie zB. Domitilla, Pretestato oder S. Callisto) über begrenzte Anlagen (wie etwa die Vibia-Katakombe oder die jüdische Gemeindekatakombe der vigna Randanini) bis hin zu kleinsten Hypogäen privaten Rechts (wie etwa dem von ›Casale Pupazzi‹ oder dem vom Circo di Massenzio). Zudem ist erläutert, dass die Analyse einer chronologischen und topographischen Ordnung innerhalb einer jeden Katakombe folgt, wobei die Verortung bestimmter Grabtypen in einer bestimmten Region direkt zu deren eigener Charakterisierung beiträgt. Als Ordnungskriterien der Typologie genannt sind Grabform und -dimension, innere Ausgestaltung, Grabverschluß und gegebenenfalls Grabdekor. Der Hauptteil des Buches führt unmittelbar in die Analysen der unterirdischen Grabanla- C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm N. Zimmermann: Nuzzo, Tipologia sepolcrale delle catacombe gen, die einzeln in der üblichen Ordnung gegen den Uhrzeigersinn, also via Ostiense, via Ardeatina und via Appia, abgearbeitet werden. Insgesamt sind 21 der 22 angeführten Zömeterien in eigenen Kapiteln behandelt, nur vom heute verschollenen »Ipogeo ebraico di Vigna Cimarra« liegen keine auswertbaren Unterlagen vor. Bei kleineren oder weniger bekannten Anlagen ist ein kurzer Überblick zu Lage und Forschungsgeschichte vorangestellt, so etwa der Fall bei den Katakomben Balbina (S. 31), Basileo o dei SS. Marco, Marcelliano e Damaso (S. 37f) oder dem Hypogäum des »Scalone curvilineo« (S. 43). Bei den riesigen und lange beforschten Gemeindekatakomben wie Domitilla, S. Callisto oder Prestestato ist auf diesen Forschungsüberblick verzichtet. Im übrigen sind alle Zömeterien nach einem einheitlichen Schema regionenweise analysiert. Die Unterteilung und Bezeichnung der Regionen folgt dabei, soweit möglich, der für das Inschriftencorpus ICUR geschaffenen Einteilung, es können aber auch historische Regionennamen oder aus anderem Grund zusammengefasste Bereiche gemeinsam abgehandelt werden. Dem ICUR entstammen in der Regel auch die Plangrundlagen der je eigens ausgearbeiteten Pläne. Für jede behandelte Region ist kurz die Ausdehnung umrissen, der Zugang benannt und ihr genereller Charakter bestimmt, der Nutzungszeitraum und vorwiegende Bestattungsart festhält. Sodann wird jeder in der Region angetroffene Grabtyp unter einer Zwischenüberschrift aufgeführt und die genaue Art und Verteilung der Gräber dieses Typs in der Region erfasst, wobei zwischen Vorkommen in Galerien und Cubicula unterschieden ist, ohne jedoch die Cubicula eigens architektonisch zu untersuchen. Großes Augenmerk ist dagegen auf den einzelnen Grabtyp in seinen spezifischen Eigenheiten gelegt, also etwa auf die Größe und Beschaffenheit eines Loculus (Breite, Höhe, Tiefe, Form) und seiner Verschlußart, Aspekte, die sich nach Region und Zömeterium in lokalen Vorlieben der Fossoren oder der Auftraggeber differenzieren lassen. Zugleich werden weitere Faktoren wie die topographische Entwicklung der Region herangezogen sowie Angaben, die Hinweise zur Chronologie enthalten, wie besondere Inschriften und Malereien. Für die letztgenannten ist jeweils auf die Spezialliteratur verwiesen, also in der Regel zumindest ICUR bzw. 221 das topographische Malereirepertorium von A. Nestori. Dieser analytische Teil hält eine große Fülle von neuen Daten bereit, die bislang gar nicht oder nicht so kompakt zur Verfügung standen und jedes einzelne Zömeterium in Ausdehnung und Charakter besser verstehen lassen. Den Text wird man für alle Katakomben vermutlich kaum am Stück lesen, sondern eher für einzelne Zömeterien oder für Vergleiche von mehreren Zömeterien untereinander konsultieren. Wenn man eine bestimmte Grabform, eine Malerei oder eine Inschrift in ihren Kontext setzen und diesen besser verstehen möchte, steht nun dieser neue wichtige Zugang offen. Für die diversen Grabtypen und ihre Unterkategorien werden im Text etwas gewöhnungsbedürftig die aus Einzelbuchstaben und Zahlen erzeugten kurzen Sigel verwendet, die erst im folgenden 3. Kapitel aufgelöst sind, das daher besser vorgezogen worden wäre. Es sei hier darauf verzichtet, die Fülle an Information für einzelne Katakomben vorzustellen, so interessant dies wäre. Statt dessen ist hervorzuheben, dass für begrenzte Regionen in vier Katakomben nicht nur allgemein die heute sichtbaren Grabtypen erhoben sind, sondern nach archäologischen Untersuchungen alle Gräber – auch die Bodengräber – statistisch ausgewertet werden konnten, und zwar für Bereiche in den Katakomben S. Tecla (S. 19/21), Commodilla (S. 25/8), S. Callisto (S. 84/9. 111f) und S. Sebastiano (S. 144/53). Die Bedeutung dieser Angaben ist fundamental, da die Grabgefüge der Katakomben mit einem Mal in nicht gekannter Weise bemessbar und in spezifischen Eigenheiten objektiv greifbar werden. Für S. Tecla ist ihre Besonderheit durch die Analyse der sog. ›cameroni‹ mit Boden-, Wand- und Kapuziner-Gräbern deutlich, die je auch ins Verhältnis zu den anderen Grabtypen gesetzt sind. Am umfangreichsten sind die Daten für das erste Stockwerk der Lucina-Gruft in S. Callisto ausgewertet, wobei hier die neun angetroffenen Grabtypen (Sarkophage, MensaGräber, Loculi, restaurierte Loculi, Schachtgräber, Gräber »a forno«, Kastengräber und Arkosole) nicht nur in absoluten Zahlen und im statistischen Verhältnis zueinander gezeigt sind, sondern auch in der chronologischen Verteilung, und zwar in sieben Graphiken für die Zeiträume zwischen den Jahren 185 und 699. Dies ist besonders spannend und exemplarisch, da die Lucina-Region nicht nur zu C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 222 N. Zimmermann: Nuzzo, Tipologia sepolcrale delle catacombe den ältesten Kernbereichen der Gemeindezömeterien gehört, sondern durch die Verehrung des Grabes von Papst Cornelius auch besonders lang und intensiv genutzt wurde. Der Wert der tabellarischen Auswertung liegt gerade im Überblick: Bislang war es nicht möglich, eine absolute Gräberzahl (hier 704) in chronologischer Entwicklung (Tabelle IV, S. 85) mit dem zeitlich begrenzten Auftreten von Arkosolen (Tabelle XII, S. 87) zu kombinieren, oder auch die durchgehend sehr starke Präsenz der Loculi (95%, Tabelle II, S. 85) im Verhältnis zu allen anderen Bestattungstypen diachronisch genau einzuordnen. Für S. Sebastiano konnte die Autorin ihre eigene Ausgrabung einer Teilregion auswerten, wobei hier besonders die Vielfältigkeit der einzelnen Lösungen für Bodengräber und Arkosole und ihre ungleichmäßige Verteilung überraschen. Die Dokumentation in Plänen und Schnitten hat ihren Anteil am Wert der Beobachtungen. Schon diese wenigen beispielhaften Fälle zeigen, welches Aussagepotential archäologische Untersuchungen in den Katakomben eigentlich bereithalten, wenn eine entsprechende Befundaufnahme möglich ist. Im folgenden dritten Kapitel werden alle angetroffenen Grabformen in elf Typen klassifiziert und in ihren Varianten definiert. Im einzelnen genannt sind das Bogengrab (»arcosolio«) in diversen Formen, das Grab mit Kapuzinerdeckung (»tomba a cappuccina«), das Kastengrab (»tomba a cassa«), ein wegen seiner kleinen Öffnung als Fenster-Grab benanntes Kammergrab (»tomba a finestra«), die »tomba a forno«, der Grabschacht (»tomba a fossa«), der Loculus (»loculo«) mit seinen verschiedenen Untergruppen, das Mensa-Grab (»tomba a mensa«), die Grabnische (»nicchia«), die »tomba a pozzo« und schließlich der Sarkophag. Die Typen unterscheiden die Art der Wandöffnung des Grabes im Tuff, die Bestattung längs oder quer zur Wand, in den Tuff abgetieft oder in eine seitlich offene Nische eingebracht, in den Boden versenkt oder mit Ziegeln bedeckt. Untergruppen bilden Formvarianten und verschiedene innere Auskleidung und Verschlüsse. Für zumindest zwei Grabtypen, das Arkosol und den Loculus, lassen sich antike Bezeichnungen aus Grabinschriften dem modernen Begriff zugrunde legen. Im deutschen scheint es angebracht, für die selten auftretenden Formen keine Übersetzung zu verwenden, son- dern direkt den definierten Begriff, etwa »tomba a forno« zu verwenden. Die eigentliche Auswertung im vierten Teil geht in zwei Schritten vor. Zunächst ist die topographische und chronologische Verteilung der Grabtypen überblickt. Der unangefochten wichtigste Grabtyp mit der weitesten Verbreitung (weit über 90% in allen Regionen) und Laufzeit ist der Loculus, der daher auch das Charakteristikum schlechthin der katakombalen Bestattungsanlagen darstellt, speziell der Gemeindeanlagen. Generell sind die Loculi des frühen 3. Jh. extrem groß (Typ L1) und sie haben oft sehr große Verschlußplatten, die weiteste Verbreitung hat jedoch der in der Öffnung bisweilen leicht trapezoide und in der Nischentiefe anthropomorphe Loculus (Typ L5), der über die gesamte Bestattungszeit anzutreffen ist. Zwar ist auch der zweithäufigste Grabtyp, das Arkosol, bereits seit dem Ende des 2. Jh. präsent, es tritt jedoch zunächst nur in Cubicula und dort für die wichtigsten Bestattungen auf. Erst im 4. Jh. finden sich Arkosole in großer Zahl auch außerhalb von Kammern, was mit dem generellen Anstieg repräsentativer Gräber zu dieser Zeit einhergeht. Nach dem 4. Jh. kommen Arkosole kaum noch vor. Mit ihren verschiedensten Varianten bilden Loculus und Arkosol die beiden wichtigsten Grabformen. Alle übrigen lassen sich zeitlich oder topographisch (oder beides) enger eingrenzen, wie etwa die Mensagräber, die besonders in den frühen Regionen der Zömeterien im Bereich der vie Appia-Ardeatina vorkommen, oder wie spezielle Grabtypen wie die Grabgruben, die nur in Comodilla bzw. in der Spezialform der ›cameroni‹ in S. Tecla auftauchen. Aus dem Detailstudium der chronologisch-topographischen Verteilung ergibt sich eine Reihe von wichtigen Spezifika, die nur im Kontext erkannt und beurteilt werden können. Ein besonderes Augenmerk ist der Kontrolle der Typen solcher Gräber gewidmet, die als Martyrerbestattungen gelten und daher später als Orte der Heiligenverehrung für Kulthandlungen oder Wallfahrt architektonisch inszeniert wurden. In jenen Fällen, wo mit einiger Sicherheit die ursprüngliche Grabform greifbar wird, kann sie zumeist als einfacher Loculus oder Mensagrab bestimmt werden (Felix und Adauctus in Commodilla, Cornelius in Lucina, Eusebius, Gaius und die frühen Bischöfe in S. Callisto, Gennaro in Pretestato), in zwei Fällen auch als Arkosolgrab C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm N. Zimmermann: Nuzzo, Tipologia sepolcrale delle catacombe (Tecla in S. Tecla, vermutlich Felicissimus und Agapitus in Pretestato, und wohl auch die in der basilica anonima verehrten Heiligen). Die später kultisch und architektonisch ins Zentrum gerückten Bestattungen fanden also in den normalen und gängigsten Grabtypen statt und lassen nur selten von Beginn an durch eine etwas isolierte Platzwahl eine besondere Behandlung vermuten. Abschließend sind wichtige Beobachtungen zur Organisation des Grabplatzes zusammengetragen. Während katakombale Bestattungen in einem kurzen Zeitraum am Beginn der Anlage von Gemeindezömeterien (im frühen 3. Jh.) durch eine große und systematische Gleichheit aller Bestattungen in Form von einfachen Loculi ausgezeichnet sind (vgl. etwa Kernbereiche von S. Callisto, Pretestato oder Domitilla), etabliert sich bald ein Dualismus, der soziale Gruppen ganz offensichtlich wieder nach reich und arm und damit nach ihrem ökonomisch-sozialen Status trennt. Während große Bereiche von ganzen Galerienetzen systematisch für einfache und zumeist völlig schmucklose Loculi oft im vorhinein angelegt wurden, finden sich die architektonisch aufwändigen Arkosole in Galerien und Cubicula mit deutlich privatem und zumeist wohl familiärem Charakter in regelmäßig klar abgegrenzten Regionen. Die oft bewußt individuelle Ausführung unterstreicht im Kontrast zu den seriellen Loculus-Galerien den Wunsch nach Unterscheidung und die direkte Kontrolle eines Auftraggebers. Wenn wie oft keine Inschriften Auskunft über private Besitzer geben, so ergibt sich jedoch aus der Struktur der Gräber und dem Aufwand ein deutlicher Hinweis auf einen solchen. Es könnte die Vermutung ergänzt werden, daß der Charakter von Armenfriedhöfen, der weiten Teilen der Katakomben, die ja nur den unterirdischen Teil der Zömeterien bildeten, eignet, vielleicht genau jenes aus der caritas motivierte zur Verfügung Stellen von Grabplatz spiegelt, das für frühchristliche Bischöfe oft bemüht wird; doch läßt sich das im Befund leider nicht beweisen. Zuletzt sind nochmals die Bestattungen ad sanctos ins Zentrum gerückt. Der allgemeine Wunsch der Teilhabe am Heil der Heiligen führte zur Anhäufung aller möglichen Grabtypen in der Nähe von verehrten Bestattungen, also nicht nur zu einer Konzentration der normalen Arkosole und Loculi, sondern von Bodengräbern, angebauten Grabkästen, Mehrfachverwendungen und 223 Sammelbestattungen in Ossuaren, Grabgruben und auch zu Sonderformen wie den genannten ›cameroni‹ in S. Tecla. Für die Bewertung eines Grabplatzes ergeben sich aus dieser Perspektive verschiedene Kategorien, in der neben einem Repräsentationscharakter eines bestimmten aufwendigeren und daher materiell in Platzbedarf und Arbeitsaufwand teureren Grabtyps auch der ideelle Wert des Grabplatzes aufgrund seiner heilsstrategischen Lage eine Rolle spielt. Dies sind zT. natürlich keine neuen Erkenntnisse, aber sie werden hier auf der Grundlage einer differenziert herausgearbeiteten Analyse der verschiedenen Zömeterien und ihrer vielfältigen Bestattungssituationen zusammengetragen und im diesem Kontext umfassend bewertet. Wer jemals selbst in Katakomben Feldforschung betrieben hat kann ungefähr abschätzen, welch ein Arbeitsaufwand hinter diesen Studien und ihrer Auswertung steckt. Das Buch ist dank der reichen Fülle von Einzelfakten wie den komplexen Überblicken über ganze Regionen und Zömeterien ein Meilenstein für die Katakombenforschung, ob man es nun als Datenbank für allgemein soziologische Fragestellungen oder Nachschlagewerk für einzelne Aspekte einer konkreten Grabanlage benutzen will. Solches vorzulegen war und ist nur möglich aus einer familiären Beziehung zu diesen Monumenten, die vielleicht nicht vielen Forschern vergönnt ist, die aber auch nur von wenigen vergleichbar genutzt wurde. Es wäre natürlich zu wünschen, daß alle Katakomben, auch die der übrigen Ausfallstraßen, in solcher Weise nach ihren Grabtypen analysiert und vorgelegt würden. Dann würden im Kontext etwa die einzigartigen, an ihren Wänden maximal für Loculi vorbereiteten Cubicula in Marcellino e Pietro ebenso erschlossen wie die für die Katakombe der via Anapo typischen großen Grabnischen oder die besser bekannten Tuff-Kathedren im Coemeterium Maius. Das konkrete archäologische Potential dieser Zömeterien ist nach wie vor viel zu wenig genutzt. Während die hier gebotene Analyse noch auf die einzelnen behandelten Katakomben beschränkt bleibt, sind die Ergebnisse aber im Prinzip auf die übrigen römischen Zömeterien übertragbar. Der Autorin wird ein Standardwerk verdankt, das die Auseinandersetzung für alle Forscher auf eine neue Ausgangsbasis hebt. Wien Norbert Zimmermann C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 224 R. Pillinger: Oppermann, Das frühe Christentum Manfred Oppermann, Das frühe Christentum an der Westküste des Schwarzen Meeres und im anschließenden Binnenland = Schriften des Zentrums für Archäologie und Kulturgeschichte des Schwarzmeerraumes 19 (Langenweißbach, Beier & Beran 2010), 4°, 360 S., 4 Karten, 98 Tafeln, Gln. Euro 82,–. ISBN 978–3–941171–30–5. Der Autor dieses Werkes ist ein profunder Kenner des westpontischen Gebietes, wie u. a. seine Arbeit über Die westpontischen Poleis und ihr indigenes Umfeld in vorrömischer Zeit = Schriften des Zentrums für Archäologie und Kulturgeschichte des Schwarzmeerraumes 2 (Langenweißbach 2004) zeigt. Mit dem nun vorgelegten monumentalen Opus mit 3003 zum Teil sehr ausführlichen Anmerkungen liefert er eine bisher noch nie vorgelegte Gesamtdarstellung des frühen Christentums im Vorland der neuen Hauptstadt Konstantinopel, d. h. im Bereich des heutigen Rumänien und Bulgarien. Es ist eine unglaubliche Fülle an literarischen Zeugnissen und archäologischen Funden, die hier verarbeitet wurde. Nach einer 56 Seiten umfassenden historischen Einleitung wird zunächst die Sakralarchitektur in topographischer Reihenfolge (von Tomi, Kallatis, Histria, Argamum etc. angefangen über Odessos bis hin nach Kabyle) abgehandelt. Auf kirchliche Strukturen, zB. die Rolle der Bischöfe, wird leider kaum eingegangen. Darauf folgen Mensaplatten, Ciboria, Ambone, Relief- und Schrankenplatten und sehr allgemeine Betrachtungen zum Kirchenbau im Untersuchungsgebiet vom 4. bis zum frühen 7. Jh., wobei die einzelnen Teile der Kirchen (Naos, Narthex etc.) besprochen werden. Hierzu darf man noch auf weitere Aufschlüsse in den Ausführungen von V. Tenekedžiev im Rahmen seiner derzeit in Arbeit befindlichen Dissertation hoffen. Malerei- und Mosaikdenkmäler sind insgesamt sehr stiefmütterlich behandelt. Zu ergänzen wären hier etwa Arbeiten wie die von A. Minčev, The Mosaics of the Early Christian Church at Djanavara by Varna: The Christian Mission on the Romanian Territory during the First Centuries of the Church = Pontica Christiana 1 (Constanţa 2010) 18/36 und das derzeit von der Rez. vorbereitete Corpus der spätantik-frühchristlichen Mosaiken in Bulgarien. Im dritten Abschnitt folgen die Grabdenkmäler und im vierten dann Einzelgegenstände. 80 der 98 Tafeln sind nur Graphiken, der Rest Schwarzweißaufnahmen, was natürlich auch eine Kostenfrage ist. Für einige Orte, etwa Tomi, Kallatis oder Varna, kann man auf das letzte Kapitel des für ein breiteres Leserpublikum angelegten Buches unseres Autors mit dem Titel Thraker, Griechen und Römer an der Westküste des Schwarzen Meeres = Zaberns Bildbände zur Archäologie / Sonderbände der Antiken Welt (Mainz am Rhein, Philipp von Zabern 2007) verweisen. Im vorliegenden Werk fehlen leider sehr oft auch Maß und Nordpfeil. Sonderbar ist das Katechumenikon (sic!) auf S. 180, peinlich der Corpus auf S. 205. Zu wenig thematisiert werden die im Vorwort angesprochenen Beziehungen zu Kleinasien bzw. der Einfluss der Hauptstadt Konstantinopel sowie der größere Kontext, d. h. die Stellung der erwähnten Kunstdenkmäler innerhalb der gesamten damaligen Oikumene. Zum erbaulichen Lesen ist das vorliegende Opus nicht geeignet, ideal aber zum Nachschlagen des jeweiligen Forschungsstandes, und dazu wurde es ja wohl auch geschrieben. Die Unterzeichnete verneigt sich in Hochachtung vor dem Fleiß und der Akribie des Verfassers. Wien Renate Pillinger Deborah Mauskopf Deliyannis, Ravenna in Late Antiquity (Cambridge, Cambridge University Press 2010), 8°, XIX, 444 S., Gln. £ 65,–. ISBN 978–0–521–83672–2. After the publication of an edition of the Liber Pontificalis of Ravenna (Liber pontificalis ecclesiae Ravennatis = Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 199 [Turnhout 2006]) and a translation of it in English (The Book of Pontiffs of the Church of Ravenna [Washington, DC 2004]), Deborah Mauskopf Deliyannis ventures on a survey of the history and monuments of Ravenna in late antiquity in order »to address the void of a sustained scholarly treatment of Ravenna in English.« And indeed, until now the most comprehensive study on late antique Ravenna is Friedrich Wilhelm Deichmann’s five vo- C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm M. Verhoeven: Deliyannis, Ravenna in Late Antiquity lume corpus Ravenna. Hauptstadt des spätantiken Abendlandes (1969/1989), in which Deichmann discusses very profoundly and in detail the (church) history, architecture and decoration programs of the fifth and sixth century monuments of Ravenna. More recently numerous smaller studies on Ravenna, focussing on the individual monuments and subfields like the mosaics have been published. These rely heavily on Deichmann’s findings. In contrast with Deichmann’s rather inaccessible work, D.’s smoothly written narrative is conveniently arranged and illustrated with clear plans and maps. The book is divided into seven chapters with, as well as an introductory chapter, a roughly chronological arrangement which runs from Roman Ravenna to Ravenna Capital. The new and original perspective of D.’s book is the depiction of the city of Ravenna in the different phases of development. The concept of Ravenna as the capital of the Western Roman Empire, D. states, was begun by Agnellus, the ninth century chronicler who wrote the Liber Pontificalis, the Book of Pontiffs of the Church of Ravenna. In reality, when the emperor Honorius moved his seat from Milan to Ravenna in the year 402, the city became a sedes imperii, the location of the emperor and administration. It was rather a »disembedded capital« with a special status in comparison with the caput orbis Rome. According to D., not both the geographical position and also the ruined state of the city in 402 were decisive in the choice of Ravenna for the imperial administrators. D. states that Ravenna was the palimsest (sic!) on which an entirely new imperial city could be built, in the way the Emperor Constantine transformed Byzantium. Ravenna only became a »true capital city« in the end of the fifth century under Theodoric. By the year 600 Ravenna finally became a »notable city«, only to deteriorate into the »museum of past glory« it was for Charlemagne in around the year 800. This fine picture of the rise and fall of Ravenna seems correct in general but is not always accurate in detail. On the basis of the assumption that in 402 a ruined Roman city lay all around, D. states that all the churches of the fifth century were made of reused Roman bricks. This claim, however, cannot be substantiated. In the case of the so-called Mausoleum of Galla Placidia it is more likely that it was completely built of new bricks and in the 225 cases of the other buildings of the same period so little of the original brickwork remains that it is impossible to determine to what extent older building material was used. When it comes to the symbolical use of spolia, as mentioned by D., bricks are not the most evident example. The reuse of architectural sculpture appeals to the imagination where the reappropriation of the past is concerned. In Ravenna, however, San Giovanni Evangelista is the only church with reused column shafts and capitals. It is more typical in Ravenna for use of spolia to be a rare occurrence than a frequent one. Moreover, the supposition that older building material was available to an unlimited extent is questionable, because almost nothing is known about Ravenna in the Roman period, as D. herself states in Chapter 1. The Christian origins of Ravenna are likewise shrouded in a veil of mystery, but D. might have uncovered more, if she had paid more attention to the cult of saints in the time before the large churches of Ravenna were built. Although the worship of local martyrs was of great significance in the early centuries of Christendom, the Church of Ravenna could boast only one martyr, Apollinaris. In order to obtain a number of martyrs that was more in line with the status of Ravenna as Christian capital, invention had to be used. Towards the end of the fifth century, Ravenna could appropriate the martyrs Vitalis and Ursicinus by means of the Passio of Gervasius and Protasius. Specific testimonies or material traces of the graves of these ›local‹ saints are scarce. In the case of the founder-bishop Apollinaris, the exact location or even the existence of his original place of burial has never been convincingly determined. According to tradition it was located to the south of Sant’Apollinare in Classe, the church to which the relics of Apollinaris were translated in 549 on the occasion of the consecration of the church. So when D. mentions that Sant’Apollinare in Classe was built over the tomb of the saint she seems to have overlooked the important conclusions of the local scholar Mazzotti and of Deichmann on this subject. The same goes for the alleged translation of the relics of Apollinaris from the narthex of Sant’Apollinare to the middle of the church under bishop Maurus (644–673), as mentioned by Agnellus in his Liber Pontificalis. D. follows Agnellus’ text blindly despite the fact that C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/185-226.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 226 M. Verhoeven: Deliyannis, Ravenna in Late Antiquity elsewhere she underlines that Agnellus constructed Ravenna’s Early Christian past in the ninth century and therefore is not always a reliable source. D., in fact, uses him as such in many cases, as for example in the attribution of the foundation of the church of Santa Croce to Galla Placidia. D. also fails to avoid one of the other pitfalls of scholarship on Ravenna, that of presenting the highly interpretative meaning of imagery as visible evidence where written sources are lacking. That phenomenon occurs most notably in the case of alleged Arian or anti-Arian mosaic images. D. rightly states that the images in monuments like Sant’Apollinare Nuovo and the Arian Baptistery provide no evidence of Arian theology or iconography. Nevertheless she ventures on the assumption that an ›ethnic meaning‹ can be found in the imagery of the Arian Baptistery or that the insertion of the three Magi, representing the concept of the Trinity, at the head of the procession of virgins on the walls of Sant’Apollinare Nuovo was almost certainly an anti-Arian statement. D. succeeded in providing a complete history of the city of Ravenna in late antiquity. Her book is useful for, above all, non-German and non-Italian speaking readers and they will certainly gain enthusiasm for the subject, not least because of the use of modern expressions like »disembedded capital«, »claim to fame«, »late antique mindset« and »architec- tural showplace«. Through her portrayal of the city in the different periods of development in particular, D. provides a clear picture of late antique Ravenna, in which the monuments are presented as tangible sources of information. Unfortunately D. misses two opportunities. Firstly, some of the most fundamental findings concerning the monuments from Deichmann’s »off-putting, massive amount of German text« are not incorporated. And not only in the already mentioned examples of the use of spolia or the location of the grave of Apollinaris. Secondly, D. states that »through the beauty and complexity of the monuments we can still today experience Ravenna, if only in fragments, as did its inhabitants 1,500 years ago«. Therewith D. fails to make it clear that the religious buildings of Ravenna, despite their ostensible originality, underwent many changes in the course of fifteen centuries of continuous use. The present state of the buildings reflects the transformations they underwent as the consequence of changes of function, taste and use or as the result of neglect, demolition or restoration. We can learn how the late antique monuments might originally have looked like, from D.’s book. Nijmegen Mariëtte Verhoeven C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/227-228.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm BERICHTE FÜR DAS JAHR 2009 Franz Joseph Dölger-Institut zur Erforschung der Spätantike Vom »Reallexikon für Antike und Christentum« erschienen im Jahr 2009 die Lieferungen 179 (Lilie [Forts.] – Logik), 180 (Logik [Forts.] – Los), 181 (Los [Forts.] – Lüge) und 182 (Lüge [Forts.] – Lyngurion). Band 50 (2007) des »Jahrbuchs für Antike und Christentum« wurde im Mai des Berichtsjahres ausgeliefert. Das Herausgebergremium des »Reallexikons für Antike und Christentum« kam am 9./10. Januar und 26./27. Juni 2009 zu seinen regelmäßigen Sitzungen zusammen; die RAC-Kommission der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste tagte am 26. Juni 2009. Am 31. Januar 2009 trat Herr Dr. Heinzgerd Brakmann in den Ruhestand. Seine Nachfolge als Stellvertreter des Institutsdirektors übernahm Herr Dr. Alfred Breitenbach. Aus dem Mitarbeiterstab des Instituts schied Herr Dr. Michael Chronz aus, neu traten ein Herr Paul van den Elzen, Frau Dr. Elisabet Enß, Herr Dr. Marcello Ghetta und Herr Urs Mundt; Frau Kristina Karsai und Frau Sabine Hommen arbeiteten in der Redaktion des RAC. Im WS 2008/09 und SS 2009 war Herr Dr. Wolfram Drews zur Wahrnehmung einer Lehrstuhlvertretung beurlaubt. Aus dem Kreis der Freunde und Mitarbeiter des Instituts verstarben im Berichtsjahr Frau Dr. Marilena Amerise (Corigliano Salo), Herr Professor Dr. Peter Fiedler (Freiburg) sowie Herr Professor Dr. Dr. Carsten Colpe (Berlin), der von 1964–2001 dem Herausgebergremium des RAC angehörte und dieses nicht nur durch diese Tätigkeit, sondern auch durch zahlreiche eigene Artikel in hervorragender Weise gefördert hat; das JbAC verdankt ihm neben anderem mit den zehn Folgen »Heidnische, jüdische und christliche Überlieferung in den Schriften aus Nag Hammadi« in den Jahrgängen 15 (1972) bis 25 (1982) eine tiefdringende Analyse dieser gnostischen Schriften von bleibendem Wert. – Den Verstorbenen werden das Institut und seine Mitarbeiter ein ehrendes Andenken bewahren. Verein zur Förderung des Franz Joseph Dölger-Instituts der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn e. V. Der Verein hielt seine 54. Jahresversammlung am 26. Juni 2009 im Senatssaal der Universität Bonn. Nach der Mitgliederversammlung sprach Herr Professor Dr. Walter Ameling (Köln) über das Thema »Wie Verfolgte zu Märtyrern wurden. Überlegungen zu einem Aspekt frühchristlicher Geschichte«. Auf den Vortrag folgte der traditionelle Empfang der Vereinsmitglieder durch den Rektor der Universität im Runden Saal. Am Ende des Berichtsjahres bestand der Vorstand des Vereins aus Herrn Professor Dr. Dr. Klaus Rosen (Bonn, Vorsitzender), Herrn Professor Dr. Georg Schöllgen (Direktor des DölgerInstituts, Stellvertretender Vorsitzender), Frau Professor Dr. Rotraut Wisskirchen (Bonn, Schatzmeisterin), Frau Anne-Liese Gielen (Bonn), Herrn Professor Dr. Ernst Dassmann (Bonn) und Herrn Dr. Otto Plassmann (Düsseldorf). Im Jahr 2009 verlor der Verein durch den Tod seine Mitglieder Professor Dr. Dr. Carsten Colpe (Berlin), Professor Dr. Martin Hengel (Tübingen) und Frau Dr. Ruth Ziervogel-Tamm (Bonn-Bad Godesberg). Der Verein wird seinen verstorbenen Mitgliedern ein dankbares Andenken bewahren. Am 31. Dezember 2009 zählte der Verein 107 Mitglieder. – Mitglieder, die einen Beitrag von mindestens Euro 20,– (Studierende Euro 10,–) zahlen, können das »Jahrbuch für Antike und Christentum« zu einem Vorzugspreis beziehen. C:/_mbsl/Werke/JbAC/Bd_53/227-228.3d vom 17.9.2011 Seitenformat: 192,00 x 275,00 mm 228 Berichte Anmeldungen zur Mitgliedschaft können an den Verein (Anschrift: F. J. Dölger-Institut, Oxfordstraße 15, D–53111 Bonn), an den Institutsdirektor (Professor Dr. Georg Schöllgen) oder an eines der Vorstandsmitglieder gerichtet werden. – Konto des Vereins: Sparkasse KölnBonn (BLZ 370 501 98) Nr. 53.322, IBAN: DE 30 3705 0198 0000 0533 22; BIC: COLSDE 33. – E-Mail: [email protected]; Internet: http://www.antike-und-christentum.de. e. Luxor, Kaiserkultraum, Südwand, Wandfläche A’. Wandmalerei, um 300 nC. Dekorfelder auf Mänteln. Jahrbuch für Antik e und Christentum 53 (2010) d. Rom, Trajanssäule, 107–113 nC. Adlocutio – Kaiser Trajan und Begleitung. c. Piazza Armerina/Sizilien, Römische Villa. Fußbodenmosaik »Die große Jagd«, um 320 nC. Sog. »Dominus«. 11:24 b. Geyre (Aphrodisias), Aphrodisias-Museum, Inv. nr. M 79.10.174. Fries des Zoilos, 1. H. 1. Jh. vC. C. Iulius Zoilos. 18.09.2011 a. New York, Metropolitan Museum of Art, 28.57.23. Glockenkrater des Persephonemalers, um 440 vC. Hermes und Persephone. Tafelteil_Bd-53.qxd Seite 1 Ta fel 1 d. Berlin, Staatsbibliothek. Ms. theol. lat. fol. 323. Probianus-Diptychon, Elfenbein, um 400 nC. Jahrbuch für Antik e und Christentum 53 (2010) c. Halberstadt, Domschatz. Consulardiptychon, Elfenbein, um 415 nC. 11:24 b. Ebd. Diener mit Chlamys. 18.09.2011 a. Silistra/Bulgarien (Durostorum). Stirnwand einer römischen Grabkammer, Wandmalerei, 2. H. 4. Jh. nC. Patronus und patrona inmitten ihrer Diener. Tafelteil_Bd-53.qxd Seite 2 Ta fel 2 Tafelteil_Bd-53.qxd 18.09.2011 11:24 Seite 3 Jahrbuch für Antik e und Christentum 53 (2010) a. Monza, Domschatz. Sog. Stilicho-Diptychon, Elfenbein, um 400 nC. Detail. Tracht des Stilicho. b. Dass., Detail. Tracht des Knaben. d. Aquileia, Museo Paleocristiano, Catalogo nr. 91. Grabinschrift, 4. Jh. nC., aus Aquileia. Orans. Ta fel 3 c. Istanbul, Archäologisches Museum, Inv. nr. 2266. Marmorstatue, 5. Jh. nC., aus Aphrodisias. Sog. »Younger Magistrate«. e. Madrid, Real Academia de la Historia. Silberplatte, um 388 nC., aus Almendralejo bei Mérida/Spanien. Missorium des Theodosius, Detail. d. Florenz, Museo Nazionale del Bargello. Kaiserdiptychon (sog. Ariadne), Elfenbein, um 500 nC. e. Rom, Santa Maria Maggiore, Apsisstirnwand. Mosaik, 432-440 nC. Der Herrscher von Sotine. Jahrbuch für Antik e und Christentum 53 (2010) c. Florenz, Museo Nazionale del Bargello. Carrand Collection 20, sog. Diptychon »Carrand«, Elfenbein, um 400 nC. Ausschnitt. Das Wunder der Schlange. 11:24 b. Trier, Domschatz. Elfenbein, 5./6. Jh. nC. Reliquienübertragung. 18.09.2011 a. Konstantinopel, Hippodrom. Theodosiusobelisk, Relief der NW-Seite, um 390 nC., Detail. Kaiserliches Gefolge. Tafelteil_Bd-53.qxd Seite 4 Ta fel 4 Tafelteil_Bd-53.qxd 18.09.2011 11:24 Seite 5 Jahrbuch für Antik e und Christentum 53 (2010) Ta fel 5 a. Ravenna, Vorhalle der Erzbischöflichen Kapelle. Mosaik, 491-519 nC. Christus Victor. c. Nikosia, The Cyprus Museum. Byzantinische Silberplatte aus Kyrebia/Zypern, 1. H. 7. Jh. nC. Saul verheiratet seine Tochter Michal mit David. b. Rossano, Museo Diocesano. Codex Purpureus Rossanensis, fol. 8v, 6. Jh. nC. Christus vor Pilatus. Christus oder Barabbas? d. München, Slg. C. S., Inv. nr. 378. Goldblech, byzantinisch, 6./7. Jh. nC. Hochzeitsmedaillon. Tafelteil_Bd-53.qxd 18.09.2011 11:24 Seite 6 Jahrbuch für Antik e und Christentum 53 (2010) a. Ravenna, Sant’Apollinare in Classe, Triumphbogen. Mosaik, um 550 nC. Erzengel Michael. c. Thessaloniki, Hagios Demetrios. Pfeilermosaik, Anfang 7. Jh. nC. Hl. Demetrios mit Kindern. Ta fel 6 b. Ravenna, San Vitale. Apsismosaik, um 550 nC. Hl. Vitalis. d. Rom, Santa Sabina. Holztüre, um 430 nC. Sog. Akklamationsszene. Tafelteil_Bd-53.qxd 18.09.2011 11:24 Seite 7 Jahrbuch für Antik e und Christentum 53 (2010) Ta fel 7 Lyon, Musée des Tissus inv. no. MT 47331. Die Chlamys nach der Konservierung, vollständig ausgebreitet. Das hellere Gewebe ist der moderne Trägerstoff. Tafelteil_Bd-53.qxd 18.09.2011 11:24 Seite 8 Jahrbuch für Antik e und Christentum 53 (2010) a. Lyon, Musée des Tissus. Die Chlamys vor der Konservierung, Ausschnitt. In der oberen Bildmitte Teile eines der Tablia. b. Dass. Durch antike Reparaturen wulstartig verdicktes Gewebe im Halsbereich der Chlamys. c. Dass. Die Chlamys während der Restaurierung. Die Aufnahme zeigt das in weiten Teilen intakte, aber sehr dünne Gewebe. Ta fel 8 Tafelteil_Bd-53.qxd 18.09.2011 11:24 Seite 9 Jahrbuch für Antik e und Christentum 53 (2010) a. Rome, S. Costanza. Detail of niche mosaic with Dominus legem dat scene (photo: DAI Rom). b. Rome, S. Costanza. Restoration of the niche with Dominus legem dat scene (after STANLEY, 1987, pl. 21). Ta fel 9 Tafelteil_Bd-53.qxd 18.09.2011 11:24 Seite 10 Jahrbuch für Antik e und Christentum 53 (2010) Ta fel 10 a. Vatican, Museo Sacro. Gold-glass bottom with Dominus legem dat scene (photo: Biblioteca apostolica Vaticana). b. Vatican, Museo Sacro. Gold-glass bottom with Feast of Tabernacles (photo: Biblioteca apostolica Vaticana). c. Drawing of b made shortly after discovery by De Rossi (after ST. CLAIR, fig. 2). d. Berlin, Staatliche Museen. Gold-glass bottom. Torah Ark between two Menorot (photo: Priska Schilling). Tafelteil_Bd-53.qxd 18.09.2011 11:24 Seite 11 Jahrbuch für Antik e und Christentum 53 (2010) Ta fel 11 a. Rome, Santa Maria Maggiore. Mosaic of Triumphal Arch, detail. Jerusalem and Bethlehem (after H. KARPP, Die frühchristlichen und mittelalterlichen Mosaiken in Santa Maria Maggiore zu Rom [Baden-Baden: B. Grimm, 1966] figs. 27, 28). b. Taybat al-Imam (Syria), The basilica of the Holy Martyrs. Detail of mosaic pavement (after ZAQZUQ, fig. 20). d. Ausschnitt aus a. Tochter Pharaos. e. Rom, S. Maria Maggiore, Triumphbogen, 2. Register rechts. Das Kind Jesus vor Kaiser Augustus und Vergil (frühere Aphrodisiusszene), Ausschnitt. Jungfrau Maria. Jahrbuch für Antik e und Christentum 53 (2010) c. Den Haag, Goldenes Multiplum, um 425, Rückseite. Galla Placidia Augusta. 11:24 b. Solidus der Münzstätte Konstantinopel, vor 421, Vorderseite. Aelia Pulcheria Augusta. 18.09.2011 a. Rom, S. Maria Maggiore, rechte Langhauswand, 2. Mosaik. Oben: Rückgabe des Moseknaben an die Tochter Pharaos durch seine Amme; unten: Der Moseknabe im Disput mit ägyptischen Weisen. Tafelteil_Bd-53.qxd Seite 12 Ta fel 12 Tafelteil_Bd-53.qxd 18.09.2011 11:24 Seite 13 Jahrbuch für Antik e und Christentum 53 (2010) Ta fel 13 b. Rom, Thekla-Katakombe, Fresko, Ende 4. Jh. Apostelbilder, Ausschnitt. Petrus. a. Rom, S. Maria Maggiore, Triumphbogen, 1. Register rechts. Darstellung Jesu im Tempel, Ausschnitt. Simeon. c. Neapel, S. Giovanni In Fonte, 4. Jh. Christus zwischen Petrus und Paulus, Ausschnitt. Petrus. d. Rom, S. Maria Maggiore, Triumphbogen, 1. Register links. Verkündigung an Maria und Aufklärung der Zweifel Josefs, Ausschnitt. Maria. 11:24 Jahrbuch für Antik e und Christentum 53 (2010) b. London, British Museum, Dept. of Medieval and Later Antiquities 57,10-13,1. Elfenbein. 18.09.2011 a. Sens, Bibliothèque municipale Ms 46. Elfenbeindiptychon. Tafelteil_Bd-53.qxd Seite 14 Ta fel 14