Janina Evers - Universität Siegen
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Janina Evers - Universität Siegen
Photo mit freundlicher Genehmigung von: Courtesy, Justice Talking www.justicetalking.org/viewprogram.asp?progID=555 Universität Siegen Integrierter Studiengang Sozialpädagogik und Sozialarbeit Fachbereich II Diplomarbeit Reunification Programs im Pflegekinderwesen der USA Vorgelegt von: Janina Evers Turmstraße 29 56242 Marienrachdorf Matrikelnummer: 690494 Referent: Prof. Dr. Klaus Wolf Koreferent: Prof. Dr. Insa Fooken Siegen im November 2007 Vorwort Vorwort Diese Arbeit basiert hauptsächlich auf us-amerikanischer Literatur, die ich vor Ort, in der „Social Work Library“ der Universität von Wisconsin, gesammelt habe. Um nicht nur den theoretischen Hintergrund darstellen zu können, verschaffte ich mir einen Einblick in die Praxis, indem ich mit fünf Sozialarbeitern und drei Herkunftsmüttern ein Interview führte. Einen Eindruck von den allgemeinen Tätigkeiten eines Sozialarbeiters in der Kinder- und Jugendfürsorge vermittelten mir die Gespräche, mit Frau Plummer in Dane County und Frau Bowers in Jefferson County. Sie arbeiten in verschiedenen Regionen von Wisconsin und dadurch weichen die ihnen zugeteilten Aufgabenbereiche etwas voneinander ab. Das Gespräch mit Frau Kedzie und Frau Veloon, die im Reunification Program in Dane County arbeiten, und das Interview mit der Herkunftsmutter Nicole werden ausführlicher dargestellt. An ihnen wird beispielhaft die Umsetzung des Reunification Konzeptes in die Praxis demonstriert. Auf die anderen geführten Interviews mit Frau Reichelt, einer Sozialarbeiterin die im Bereich Familientherapie arbeitet (In-home Therapist), und auf die Gespräche mit Herkunftsmutter M. und Mutter P. werde ich nur am Rande eingehen. Während meiner Recherche wurden mir die Komplexität der Thematik und die unzähligen Aspekte, die mit in das Reunification Konzept und in dessen Ausübung einfließen, bewusst. Die eingefügten Interview-Ausschnitte der Sozialarbeiter in die einzelnen Abschnitte der Kapitel dienen der Veranschaulichung der Arbeitsweise und der Organisation des us-amerikanischen Pflegekinderwesens sowie der Ausübung von Reunification. Die Interviews wurden als eine reine Informationsquelle genutzt. Es findet keine empirische Auswertung statt. Deshalb transkribiere ich ohne Füllwörter und Wortwiederholungen. 6 Einleitung Einleitung Die Besonderheit, die bei Pflegekindern entsteht, ist das Aufwachsen in zwei Familien. Je nach Länge des Aufenthalts in der jeweiligen Familie, entwickeln sich weniger starke bis starke Bindungen zu den beiden Familien. In Deutschland und anderen Ländern gibt es zahlreiche Theorien und Spekulationen, mit deren Hilfe man die Bedeutung der beiden Familien, ihre Beziehung zueinander und die jeweilige Beziehung zum Kind1 zu erklären versucht. Auch die Forschung beschäftigt sich intensiv mit diesem Thema und untersucht Herkunftsfamilien, Pflegekinder und Pflegeeltern unter diesem Aspekt. Im Gegensatz zu den Ansichten des us-amerikanischen Pflegekinderwesens besteht in Deutschland noch keine einheitliche Sicht, inwieweit die Herkunftsfamilie mit in das Pflegeverhältnis einbezogen werden soll und ob die Rückführung des Kindes ein sinnvolles, anzustrebendes Ziel ist. Die Diskussion, über die kontroversen Konzepte der Ergänzungsfamilie (Forschungsgruppe des Deutschen Jugendinstituts) und der Ersatzfamilie (Nienstedt/Westermann) die Mitte der achtziger Jahre begann, wird weiterhin intensiv geführt. Es ist allerdings noch keine eindeutige, allgemein gültige Stellungnahme erfolgt, an der sich die Arbeit der deutschen Pflegekinderdienste ausrichten könnte. Diese Arbeit führt in die Arbeitsweise des us-amerikanischen Pflegekinderwesens ein, sie erläutert die Theorie und Ideen, die hinter den angewandten Konzepten stehen und geht auf deren praktische, konkrete Umsetzung ein. Dabei wird Reunification, die Rückführung in die Herkunftsfamilie, in den Fokus genommen und anhand dessen wird aufgezeigt, wie die Kontinuität von Pflegekindern gesichert werden kann. Mit „Reunification Programs“ ist das gesamte theoretische Konzept und die praktische Umsetzung gemeint. Der Schwerpunkt liegt somit nicht auf der Erläuterung von verschiedenen „Rückführungs-Programmen“, wie der Titel vielleicht vermuten lässt, sondern die einzelnen Kapitel betrachten jeweils Reunification aus einem anderen Blickwinkel und zeigen die verschiedenen Fassetten dieses Konzeptes auf. Das erste Kapitel führt in die Thematik ein und stellt das us-amerikanische Pflegekinderwesen in seinen Grundzügen dar. 1 Der Begriff Kind/Kinder schließt in dieser Arbeit alle Menschen unter 18 Jahren mit ein Einleitung 7 Im nachfolgenden Kapitel wird die theoretische Sichtweise von Reunification erörtert, welchen Grundgedanken es unterliegt und es wird in Bezug zu dem Konzept Permanency Planning gesetzt. Das dritte Kapitel betrachtet die Abläufe des Pflegekinderwesens der USA und gliedert den Reunification Prozess in diese Abläufe ein. Dieses ist nach Meinung der Verfasserin bedeutsam, um Reunification im Gesamtkontext verstehen zu können. Ein wesentlicher Teil der Reunification Arbeit besteht in der Arbeit mit den Herkunftseltern, die in Kapitel 4 näher geschildert wird. In den folgenden Kapiteln wird die praktische Umsetzung des Reunification Konzeptes, anhand von speziellen Programmen und Beispielen aus der Praxis näher erläutert. Dabei wird auch die Entstehungsgeschichte von speziellen Reunification Programmen geschildert. In den letzten beiden Kapiteln wird der Erfolg der Umsetzung von der Theorie in die Praxis kritisch beleuchtet und der Bezug zum deutschen Pflegekinderwesen geschaffen. Der Leitgedanke dieser Arbeit besteht in der Schilderung der Arbeitsweise und der zugrunde liegenden Idee, die ein anderes Land hat. Es sollen Perspektiven aufgezeigt werden, wie die Rückführung in die Herkunftsfamilie bewerkstelligt werden kann und somit u.a. zur Sicherung der Kontinuität von Pflegekindern beitragen kann. Diese Arbeit soll aufzeigen, inwieweit das deutsche Pflegekinderwesen aus der Theorie und Praxis des us-amerikanischen Pflegekinderwesens lernen kann. 8 1. Das Pflegekinderwesen der USA 1. Das Pflegekinderwesen der USA 1.1 Definition Foster Care und die unterschiedlichen Ausprägungen des Pflegeverhältnisses Foster Care (Pflegekinderwesen) wird im Code of Federal Regulation2als „ 24-hour substitute care for children placed away from their parents or guardians and for whom the State agency has placement and care responsibility” definiert (Code of Federal Regulations 2006). Eine ausführlichere Definition stammt von dem Autor Blumental (1983), der Family Foster Care als eine geplante, zeitlich begrenzte Ersatzfamilienfürsorge bezeichnet, die mit einer gleichzeitigen Versorgung von den Sozialeinrichtungen einhergeht. Die Klienten sind Kinder, die keine angemessene Versorgung von ihren biologischen Eltern erhalten und somit nicht zu Hause verweilen können. Social Service (Sozialeinrichtungen) soll den Eltern und Kindern behilflich sein, die Probleme zu lösen, die zur Fremdunterbringung geführt haben (zit. n. Pecora et. al. 2006, S. 303). Die Gewährleistung der Sicherheit und des Kindeswohls wird von den Autoren Chipungu und Bent-Goodley (2004) als das grundlegendste Ziel des us-amerikanischen Pflegekinderwesens angesehen (vgl. S. 76). Foster Care bezieht die verschiedensten Formen der Pflege mit ein. Die Fremdunterbringung kann unter anderem in Kinship Care (Verwandtenpflege), Therapeutischer Pflege, Kurzzeitpflege, Adoptionspflege, Traditional or Rehabilitation Foster Care (traditionelle oder Rehabilitationspflege), Long-Term Foster Care (Langzeitpflege) oder in der Heimerziehung erfolgen. Der Begriff Family Foster Care beinhaltet lediglich die Unterbringung in einer Familie, nicht aber die Unterbringung in einer Institution. Für diese Arbeit sind Traditional und Long-Term Foster Care von großer Bedeutung. Diese Formen der Pflege sind am ehesten mit dem deutschen Begriff der Vollzeitpflege zu vergleichen. Jedoch besteht in den USA ein großer Unterschied zwischen diesen beiden Arten der Pflege. 2 Kodierung von allgemeinen und permanenten Regeln, die im Bundesverzeichnis der Exekutive veröffentlicht werden (vgl. U.S. Government Printing, 2007) 1. Das Pflegekinderwesen der USA 9 Traditional Foster Care bezieht sich meistens auf Kinder, die von ihren Eltern vernachlässigt oder misshandelt wurden. Die Fremdplatzierung des Kindes geht mit der Hoffnung einher, dass sich das Verhalten der Eltern ändern kann und eine Zusammenführung der Familie möglich ist. Während sich das Kind im Pflegekinderwesen befindet, arbeiten die Herkunftseltern an ihrem Erziehungsstil und nehmen an ElternTrainingsprogrammen oder speziellen Therapien teil. Der Verlauf dieser Trainings- und Therapiemaßnahmen wird genauestens vom Social Service und der Pflegefamilie überwacht. Bleiben nach einiger Zeit Fortschritte der Herkunftsfamilie aus, wird nach einem anderen dauerhaften Zuhause für die Kinder gesucht und das Kind wird in vielen Fällen zur Adoption freigegeben (vgl. Beta Proud Parenting 2007). Die Bezeichnung Long-Term Foster Care umfasst Kinder, die weder die Möglichkeit der Rückführung in die Herkunftsfamilie noch die der Adoption haben. Diese Kinder befinden sich bis zum 18. Lebensjahr in Vollzeitpflege. Von diversen Child Welfare (Jungendfürsorge) Einrichtungen wird diese Form der Pflege als eine nicht ideale Lösung für Kinder angesehen und abgelehnt (vgl. ebd.). Die Hauptaufgabenbereiche von Foster Care sind unter anderem Notfallfürsorge, Krisenintervention, Hilfeplanung und -beurteilung, Reunification (Rückführung in die Herkunftsfamilie), Vorbereitung der Adoption und des Independent Living (selbstständig leben und wohnen) Program. 1.2 Statistische Erhebung zur Foster Care Population Die Foster Care Population (Anzahl der Kinder im Pflegekinderwesen) setzt sich aus verschiedenen Altersgruppen und Ethnien zusammen. Die Veränderung der Foster Care Population innerhalb der letzten 15 Jahre wird in Abbildung 13 , die im Anhang A I zu finden ist, dargestellt. In den neunziger Jahren stieg die Anzahl der unter 17-jährigen Kinder im us-amerikanischen Pflegekinderwesen kontinuierlich an und erreichte im Jahr 1999 den Höchststand von 567.000 Kindern. In den letzten 6 Jahren ist ein Abfall der Anzahl der fremduntergebrachten Kinder zu verzeichnen und 2005 befanden sich 513.000 Kinder in Foster Care (vgl. Child Trends Data Bank, Foster Care 2005). 3 Child Trends Data Bank, Foster Care 2005 10 1. Das Pflegekinderwesen der USA Im Jahr 2005 verzeichnet die USA eine Kinderpopulation von 73.5 Millionen4 Kindern unter 18 Jahren. Somit sind 7 von 1000 Kindern fremduntergebracht (vgl. ebd.). Die Foster Care Population besteht aus verschiedenen Altersgruppen. Das Durchschnittsalter der Kinder im us-amerikanischen Pflegekinderwesen beträgt 10,6 Jahre. Die folgenden Daten werden in Abbildung 3 graphisch dargestellt. Im Jahr 2005 befanden sich 135.534 Kinder im Alter von 1-5 Jahren in Pflege. Damit machten sie einen Prozentsatz von 26% aus. Die 6 bis 10-jährigen Kinder waren zu 20%, was 100.788 Kindern entspricht, vertreten. 142.935 Kinder waren im Alter von 11-15 Jahren und nahmen den höchsten Gesamtanteil von 28% ein. Zu 19% waren die Kinder im Pflegekinderwesen junge Erwachsene; dies entspricht einer Anzahl von 94. 72 Kindern. 29.034 Kinder waren unter einem Jahr und 9.990 der Pflegekinder waren bereits volljährig (vgl. U.S. Department of Health and Human Services et. al. 2005). Alter der Kinder in Foster Care 1% 1% 6% Less than 1 Year 19% 26% 1- 5 Jahre 6- 10 Jahre 11- 15 Jahre 16- 18 Jahre 19 Jahre 28% 20% 20 Jahre Abbildung 3 vgl. Originaltext: Adoption and Foster Care Analysis and Reporting System (AFCARS) data submitted for the FY 2005, 10/1/04 through 9/30/05.5 4 Child Trends Data Bank , Numbers of Children 2006/Anhang A II U.S. Department of Health and Human Services, Administration for Children and Families, Administration on Children, Youth and Families, Children's Bureau , Preliminary Estimates for FY 2005 5 11 1. Das Pflegekinderwesen der USA In den USA sind eine Reihe von ethnischen Minderheiten vertreten, die sich auch in der Foster Care Population widerspiegeln. Die Bevölkerungsgruppe der Non-Hispanic White (Amerikaner nicht lateinamerikanischer Herkunft) machen zu 58% die us-amerikanische Kinderpopulation aus und sind zu 41%, was etwa 208.537 Kindern entspricht, im Pflegekinderwesen vertreten. Kinder aus der ethnischen Gruppe Non-Hispanic Black (Afroamerikaner nicht lateinamerikanischer Herkunft) machen nur 15 % der Gesamtbevölkerung der Kinder in den USA aus; sie sind aber zu 32% fremduntergebracht. Betrachtet man deren gesamten Bevölkerungsanteil, befindet sich eine sehr hohe Anzahl der afroamerikanischen Kinder (ca. 166.482 Kinder) im Pflegekinderwesen. Hispanic (Lateinamerikaner) machen einen Gesamtteil von 20% der us-amerikanischen Kinderbevölkerung aus und sind zu 18% (93.996 Kinder) im Pflegekinderwesen. Kinder us-amerikanischer Ureinwohner (Indian and Alaskan Native) machen 1% der Kinderpopulation aus und sind zu 2% fremduntergebracht. Kinder mit einer asiatischen Herkunft erreichen 4% der Gesamtkinderbevölkerung und sind zu einem 1% (2.937 Kinder) im Pflegekinderwesen. Kinder, die mehr als eine ethnische Herkunft haben, sind zu 3% (17.191 Kinder) fremduntergebracht und machen einen Gesamtanteil von 2% der us-amerikanischen Kinderpopulation aus. Von 11.771 Kindern (2%), konnte die ethnische Herkunft nicht bestimmt werden. Sie sind in Abbildung 4 unter der Gruppe „Unknown“ zusammengefasst (vgl. U.S. Department of Health and Human Services et. al. 2005). 70% 60% 50% 40% U.S. Child Population Foster Care Population 30% 20% 10% er ic an H d i s Al p as an M ka ic ul n tip N le at R iv e ac e/ As N on i - H an is pa ni c U nk no w n an In di an Bl ac k/ Af ric an Am W hi te 0% Abbildung 4 Quelle U.S. Child Population: Kids Count State Level Data Online, 2005 Quelle Foster Care Population: Adoption and Foster Care Analysis and Reporting System (AFCARS) data submitted for the FY 2005, 10/1/04 through 9/30/056 6 U.S. Department of Health and Human Services, Administration for Children and Families, Administration on Children, Youth and Families, Children's Bureau , Preliminary Estimates for FY 2005 1. Das Pflegekinderwesen der USA 12 Diese statistischen Erhebungen geben eine Vorstellung über die Anzahl und Dimension der Kinder im Pflegekinderwesen. Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der Foster Care Population, die in den letzten sechs Jahren kontinuierlich abfällt. Des Weiteren vermitteln Abbildung 3 und Abbildung 4 ein Bild über die Struktur der Foster Care Population. Das Durchschnittsalter der Kinder beträgt 10,6 Jahre und die ethnische Herkunft der Kinder ist sehr unterschiedlich. Besonders deutlich wurde die hohe Anzahl von afroamerikanischen Kindern in Bezug auf den Gesamtanteil der us-amerikanischen Kinderpopulation. Das us-amerikanische Pflegekinderwesen wird mit einer Vielfalt von ethnischen Abstammungen konfrontiert. Dies erfordert die Bewahrung und Wertschätzung der kulturellen Identität des Kindes. Die Anzahl der jüngeren Kinder im Pflegekinderwesen nimmt zu. Dennoch befindet sich ein nicht geringer Anteil im Alter von 16-18 Jahren. Diese Altersgruppe besteht aus Jugendlichen, die bereits als Kinder schon im Pflegekinderwesen waren und aus Jugendlichen, die im Jugendalter fremduntergebracht werden. Für Jugendliche ist es schwerer als für jüngere Kinder, eine dauerhafte Lösung zu finden, z. B. können sie eine Adoption ablehnen. Für sie wird nach anderen Möglichkeiten gesucht, z. B. den Übergang in das Programm Independent Living. Beide Themen, die Wertschätzung der kulturellen Herkunft und die hohe Anzahl von Jugendlichen im Pflegekinderwesen werden in der us-amerikanischen Literatur intensiv behandelt. Eine ausführliche Darstellung dieser großen Themengebiete ist für diese Arbeit zu umfassend und speziell. Es ist jedoch wichtig festzuhalten, dass viele Studien und Forscher ihren Fokus auf das Alter und die kulturelle Herkunft der Pflegekinder richten. Sie erforschen die Gründe und die damit entstehenden Probleme und Anforderungen an das Pflegekinderwesen. Um einen tieferen Einblick in das us-amerikanische Pflegekinderwesen zu gewinnen, schildere ich im folgenden Abschnitt die geschichtliche Entwicklung des us-amerikanischen Pflegekinderwesens. 13 1. Das Pflegekinderwesen der USA 1.3 Die geschichtliche Pflegekinderwesen Entwicklung 1.3.1 Frühe Entwicklungen im Pflegekinderwesen im us-amerikanischen Zu allen Zeiten und in allen Kulturen kommt es vor, dass Eltern außer Stande sind ihre Kinder zu versorgen. Im Alten Testament und im Talmud sind bereits Berichte enthalten, die über die Pflicht der Versorgung von bedürftigen Kindern handeln. Frühe Aufzeichnungen von christlichen Kirchen dokumentieren die Unterbringung von bedürftigen Kindern bei Witwen, die durch Spenden der Kirchengemeinde bezahlt wurden (vgl. National Foster Parent Association 2007). Die älteste Form der Pflege ist die Verwandtenpflege, die bereits in alten jüdischen Gesetzen und Bräuchen vorkommt. In den USA trug das English Poor Law (englisches Armenrecht), welches im 17. Jahrhundert von England übernommen wurde, zu den ersten Entwicklungen im Pflegekinderwesen bei. Unter dem English Poor Law wurden elternlose, in Armut lebende Kinder in einen Haushalt aufgenommen, versorgt und erlernten ein Handwerk. Im Gegenzug schuldeten sie ihrem Herrn Gehorsam und arbeiteten bis zur Volljährigkeit bei ihm. Die Bedingungen unter denen die Kinder lebten, waren mit den Bedingungen der Knechtschaft zu vergleichen. Obwohl dieses System eine Form der Ausbeutung war und die Kinder nicht unter idealen Bedingungen aufwuchsen, stellte dieses System den Anfang der Unterbringung von elternlosen, bedürftigen Kindern in ein familiäres Umfeld dar. Eine Herausnahme der Kinder aus den Armenhäuser wurde bewirkt und sie erhielten die Möglichkeit ein Handwerk zu erlernen (vgl. ebd.). Eine wichtige Entwicklung im us-amerikanischen Pflegekinderwesen begann mit dem Orphan Train Movement7. Der Direktor der New York Children’s Aid Society, Charles Loring Brace, entwickelte 1853 ein Programm, welches Straßenkinder aus der Stadt in Familien auf dem Land unterbrachte. Das Programm, welches von 1853-1929 lief, vermittelte 20.000 Kinder auf Farmen im Mittleren Westen und Süden der USA. Leider waren die Bedingungen für die Kinder noch mit denen der Knechtschaft zu vergleichen. Jedoch zeigte Brace‘s gewagte und kreative Aktion, dass Pflegefamilien und Adoption eine realistische Option für elternlose, bedürftige Kinder waren. 7 Waisenkinder, wurden mit dem Zug aus der Stadt in ländliche Regionen gebracht 14 1. Das Pflegekinderwesen der USA The Orphan Train Movement trug zu der Involvierung von staatlichen Einrichtungen in der Fremdunterbringung bei. Beispielsweise begann der Staat Massachusetts 1865 Familien, die ein Kind aufnahmen, ein Pflegegeld zu zahlen und Pennsylvania verabschiedete 1885 das erste Gesetz, das sich mit einer Pflegeerlaubnis befasste (vgl. ebd.). Während des 19. Jahrhunderts wurden immer mehr Sozialeinrichtungen am Pflegekinderwesen beteiligt. Die staatliche Beteiligung und die Reformen, die im 20. Jahrhundert die Entwicklung des Pflegekinderwesens beeinflussten, werden im nachfolgenden Absatz erläutert. 1.3.2 Die Child Welfare Reformen des 20. Jahrhunderts Die Neuzeit des us-amerikanischen Pflegekinderwesens ist von den in Tabelle 1 aufgeführten, einschneidenden Entwicklungsphasen, bundesstaatlichen Gesetzen und Reformen in der Kinder- und Jugendfürsorge geprägt. Die Phasen gehen fließend ineinander über. Phase/ Reform Zeitrahmen 1909-1970 Erste Phase Family Foster Care a Response to Institutional Care Gesetze Schwerpunkt Social secruity act of 1935 Pflegefamilie Betrachtung des Pflegekinderwesen Kinder gehören eher in eine Familie als in eine Institution Adoptionsfamilien Kinder gehören zu einer festen Familie Zweite Phase The Permanency Planning Movement and Adoptive Families Siebziger Jahre Dritte Phase Family Preservation and Biological Parents Achtziger Jahre Vierte Phase Family Continuity and Kinship Care Neunziger Jahre Multiethnic Erweiterte Familie/ Placement Act of Angehörige 1994 The Adoption Assistance and Child Welfare Act of 1980 Adoption and Safe Families Act 1997 Herkunftsfamilie Kinder gehören zu den Herkunftseltern; zur Erhaltung der Familie müssen angemessene Bemühungen gemacht Kinder gehören in ein FamilienNetzwerk, in dem Beziehungen zeitlich unbegrenzt bestehen bleiben Tabelle 1: Überblick der Child Welfare Reformen im 20. Jahrhundert vgl. Originaltext: E. J. McFadden & S.W. Downs, (1995, April). Family Continuity: The paradigm in permanency planning. Community Alternatives in Whitelaw Downs et. al. 2004 15 1. Das Pflegekinderwesen der USA Die Philosophie des Pflegekinderwesens war zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Wandel und zum ersten Mal wurde die Frage nach den Bedürfnissen der Kinder gestellt (vgl. Whitelaw Downs et. al. 2004, S. 314). Im Jahre 1909 erklärte die erste White House Conference on Children ein sicheres und liebevolles Zuhause als den besten Aufwuchsort für Kinder. „Home life... is the highest and finest product of civilization. It is the great molding force of mind and character [...]“ (Bremner 1971 zit. n. Pecora et. al. 2006, S. 300). Der Social Security Act (Sozialversicherungsgesetz) von 1935 schuf die Rahmenbedingungen für das entstehende Child Welfare System (System der Jugendfürsorge). Die Inpflegegabe von Kindern erfolgte auf Grund des Schutzes vor Missbrauch und Vernachlässigung und nicht ausschließlich, um sie von Armut zu befreien. „Moreover, the Social Security Act of 1935, with its support to families with dependent children, weakened the economic grounds for taking children from their parents.“ (Fein & Maluccio 1992, S. 336) Das Hauptziel des Pflegekinderwesens war in dieser ersten Phase die Versorgung und der Schutz von Kindern. Das Hauptaugenmerk wurde auf das Kindeswohl gerichtet, somit schloss dies die Herkunftseltern völlig aus dem Pflegeverhältnis aus. Es wurde als sicherer empfunden, dass Kind im Pflegeverhältnis zu belassen (vgl. Whitelaw Downs et. al. 2004, S. 314). Die nächste Entwicklungsphase des Pflegekinderwesens wurde durch verschiedene Entdeckungen, Forschungen und sozialen Bewegungen eingeleitet. Eine wichtige Entdeckung für die Jugendfürsorge wurden neue Methoden in der Feststellung von Kindesmisshandlung. In den sechziger Jahren wurde erstmals mit Hilfe von Röntgenaufnahmen das battered child syndrome (Kindesmisshandlung) von den Medizinern Dr. Helfer and Dr. Kempe diagnostiziert. Das battered child syndrome bezieht sich auf Verletzungen, die Folge einer körperlichen Misshandlung sind und die von Erwachsenen, meist den eigenen Eltern, zugefügt wurden. Durch die Röntgenaufnahmen konnten auch alte Verletzungen, die äußerlich bereits verheilt waren, aufgedeckt werden (vgl. Hartman 1990, S. xvi). 16 1. Das Pflegekinderwesen der USA Der Staat führte Child Welfare Einrichtungen ein, die in Fällen von Kindesmisshandlung ermitteln und die verantwortlich für den Schutz von Kindern sind. Der Schutz wird in den meisten Fällen durch die Herausnahme des Kindes aus der Familie gewährleistet. Diese Vorgehensweise führte zu einem enormen Anstieg der Anzahl der Kinder im Pflegekinderwesen (vgl. ebd., S.xvi). Nicht nur der medizinische Fortschritt beeinflusste das us-amerikanische Pflegekinderwesen, sondern auch die Entdeckung der Eltern-Kind-Bindung von Bowlby führte zu einer veränderten Denkweise. Bowlby (1969) und andere Forscher, wie z.B. Littner (1975), erkannten in zahlreichen Untersuchungen, dass eine starke, natürliche Bindung zwischen dem Kind und seiner Bezugsperson, oft der Mutter, besteht. Eine Trennung dieser Verbindung hat negative Auswirkung auf die Entwicklung des Kindes (vgl. nach Whitelaw Downs et. al. 2004, S. 314). Inwieweit die Bindungstheorie die Entwicklung von Konzepten im Pflegekinderwesen beeinflusste, wird in Kapitel 2.3 näher erörtert. Zudem wurde festgestellt, dass das Ziel eines sicheren, liebevollen Zuhauses aus der ersten White House Conference on Children, für die meisten Kinder nicht realisiert wurde. In der Realität verweilten viele Kinder im Pflegekinderwesen und erlebten häufig einen Wechsel der Pflegefamilie. Dies verdeutlicht einen weiteren Kritikpunkt des Pflegekinderwesens in den sechziger und siebziger Jahren. Er wird von Pecora et. al. (2006) aufgegriffen: „Children were inappropriatley moved out of their homes, with little effort to help parents to care for them. If anything, the system encouraged parents to abandon their children.“ (S. 301) Eine wichtige soziale Bewegung für die Entwicklung im Pflegekinderwesen war die Deinstitutionalisierung, die in den siebziger Jahren zu einem Leitfaden in der Sozialpolitik und in der Festlegung von Richtlinien auf staatlicher und bundesstaatlicher Ebene wurde. Die Bedeutung der Deinstitutionalisierung für die Vorgehensweise in der Jugendfürsorge beschreibt die Autorin Hartman (1990) mit den Worten: „It stressed caring for people in the ‚least restrictive environment‘, which, when translated into child welfare, meant ‚the most familylike‘.“ (S. xvii) 17 1. Das Pflegekinderwesen der USA Die wissenschaftlich begründeten Bedenken, Erkenntnisse und die hohe Anzahl der Kinder im Pflegekinderwesen führten zu einem Umdenken. Viele neue Methoden und Prinzipien wurden entwickelt und angewendet, jedoch stellten die Autoren Fein & Maluccio (1992) fest, dass es kein einheitliches System gab und dadurch die Effektivität der Methoden deutlich einschränkt war. „The Lack of federal leadership in promotioning professional standards of practice and effective policy initiatives has permitted 50 seperate state ‚systems‘to operate.“ (S. 343) Die Politik und Vorgehensweise der Kinderfürsorge wurde zunehmend familienorientierter und 1980 wurde mit dem Adoption Assistance and Child Welfare Act (AACWA) das bereits praktizierte Prinzip Permanency Planning, das geplante Finden eines dauerhaften Aufwuchsortes für Pflegekinder, in die bundesstaatliche Gesetzgebung aufgenommen. Das bundesstaatliche Gesetz AACWA reformierte die Arbeitsweise der Jugendfürsorge, indem es Permanency Planning förderte (vgl. Maluccio, Fein & Olmstead 1986, S. 30). Der AACWA, auch Public Law 96-272 genannt, wurde 1980 vom Kongress verabschiedet. Dieses Gesetz soll die Probleme des Pflegekinderwesens mindern und unter anderem die Unterbringung in vielen häufig wechselnden verschieden Pflegefamilien unterbinden. Außerdem sind seit der Verabschiedung des P.L. 96-272 die Sozialeinrichtungen dazu verpflichtet, die Herausnahme des Kindes aus seiner Familie zu rechtfertigen. Sie müssen demonstrieren, dass alle möglichen Alternativen, die eine Herausnahme verhindern, ausgeschöpft wurden. „The act of removal became the last resort.“ (Woolf 1990, S. 77) In dieser Entwicklungsphase des Pflegekinderwesens wird die Herausnahme des Kindes als die letztmögliche Lösung betrachtet. Bei bereits fremduntergebrachten Kindern erfolgt in einem angemessenen Zeitraum die Unterbringung in einem dauerhaften Zuhause, in dem die Kinder lebenslange, feste Bindungen eingehen können. In den meisten Fällen wird zunächst einmal die Adoption zu einem erstrebenswerten Ziel und es wird nach dem Glauben gehandelt, dass jedes Kind adoptierbar ist (vgl. Whitelaw Downs et. al. 2004, S. 314 f). 1. Das Pflegekinderwesen der USA 18 Als Resultat von Permanency Planning und Family Preservation (Erhaltung von Familien) sank die Zahl von 500.000 Kindern (1977) auf 243.000 Kinder (1982) ab. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Kinder im Pflegekinderwesen fiel von 47 Monaten 1977 auf 35 Monate 1982 ab (vgl. US Department of Health and Human Services 1984, zit. n. Maluccio, Fein & Olmstead 1986, S. 22 f). Der Zustand der niedrigen Anzahl von Kindern im Pflegekinderwesen und der Erfolg von Permanency Planning und Family Preservation waren nur von kurzer Dauer. Dies wurde aber nicht auf Fehler in den Konzepten zurückgeführt, sondern auf eine zu ungenaue und ungezielte Gesetzgebung mit einem zu breiten Auslegungsspektrum. Der kontinuierliche Anstieg der Anzahl der Kinder im Pflegekinderwesen, 1997 waren 516.000 Kinder8 fremuntergebracht und der Druck der Öffentlichkeit durch einige publizierte Todesfälle in Herkunftsfamilien, die kurz vorher bereits in Programmen der Jugendfürsorge involviert waren, veranlasste die Regierung letztendlich die Richtlinien aus dem AACWA durch die Verabschiedung des Adoption and Safe Families Act of 1997 (ASFA) zu verdeutlichen und die Auslegungen von vagen Begriffen zu spezifizieren. Programme und Vorgehensweisen aus Permanency Planning und Family Preservation sollten neu entwickelt, zielgerichteter und effizienter eingesetzt werden. Des Weiteren wurde mit ASFA, auch P.L. 105-89 genannt, die Gewährleistung der Sicherheit von Kindern in Entscheidungen über den Verbleib von Kindern zur obersten Priorität. Mit dem ASFA wird eine stärkere Betonung auf die zeitliche Begrenzung der Aufenthaltsdauer im Pflegekinderwesen gelegt. Wenn eine Rückführung des Kindes nicht möglich ist, soll der Entzug des elterlichen Sorgerechts schneller als bisher geschehen. „The ASFA requires states to consider terminating parental rights more quickly than former child welfare laws did. Under the ASFA, states must file for TPR when child has been in foster care for 15 months of the most recent 22 months [...]“ (Humphrey et. al. 2006, S. 114). In den neunziger Jahren kam eine weitere Entwicklung hinzu und ein weiterer Schwerpunkt richtete sich auf Kinship Care. Der Multiethnic Placement Act of 1994, der zur Verhinderung von Diskriminierung bei der Entscheidung über die Fremdplatzierung geschaffen wurde, trägt erheblich zu einer erhöhten Anzahl in Kinship Care bei. 8 siehe Abbildung 1/ Anhang A I 1. Das Pflegekinderwesen der USA 19 Denn dieses Gesetz übt den Druck auf die Sozialeinrichtungen aus, Entscheidungen nicht auf der Basis der ethnischen Zugehörigkeit und der Kultur des Kindes zu treffen. Außerdem sollen mehr Bemühungen in das Finden von Pflege- und Adoptivseltern, die der gleichen ethnischen Gruppe des Kindes angehören, gesteckt werden. Somit werden nahe Verwandte, meist Großeltern, Tanten und Onkel, bevorzugte Pflegeeltern für Kinder. Kinship Care nimmt die Wichtigkeit von Familienanschluss und Kulturzugehörigkeit für die Entwicklung des Kindes ernst. Das neue Wissen über Familiensysteme und die Entwicklung der Identität und Berichte früherer Pflegekinder, betonen die Wichtigkeit von der emotional bestehenden Verbindung nicht nur zu den Herkunftseltern, sondern auch zu den Verwandten und der eigenen Kultur (vgl. Whitelaw Downs et. al. 2004, S. 315). Das Prinzip Family Continuity (Familien-Kontinuität) integriert das Prinzip von Family Preservation in alle Aspekten der Jugendfürsorge und betont die Wichtigkeit von der kontinuierlichen, lebenslangen Einbindung des Kindes in seine Familie und in ein soziales Netzwerk (vgl. ebd., S. 316). Aus dieser geschichtlichen Entwicklung des Pflegekinderwesens ergeben sich die Vorgehensweisen und Richtlinien des heutigen Pflegekinderwesens. Foster Care begann als Bestrebung, obdachlosen, vernachlässigten Kindern eine ausreichende Versorgung zu bieten und sie von ihren erziehungsunfähigen Eltern zu befreien. Heute ist Foster Care als ein umfassendes Familienunterstützungsprogramm konzipiert. Das Pflegekinderwesen ist nicht wie in der Vergangenheit nur Ersatzerziehung, sondern es soll Kindern bei ihrer individuellen Entwicklung und Familien bei der Problembewältigung helfen. „The decade of the 1980s has produced a benchmark shift from child protection orientation to a family treatment orientation.“ (Woolf 1990, S. 76) Jede Entwicklungsphase hat einen erheblichen Einfluss auf die Gestaltung und Ausübung des Pflegekinderwesens und baut auf der vorherigen Entwicklung auf (vgl. Whitelaw Downs et. al. 2004, S. 316). Der Schwerpunkt des Pflegekinderwesens hat sich von Heimerziehung über Familienpflege bis hin zur Adoption verlagert und jede einzelne Entwicklungsphase trägt dazu bei, dass die Familie heute von allen Blickwinkeln aus betrachtet wird. 1. Das Pflegekinderwesen der USA 20 Foster Care wird als ein zeitlich begrenzter Zustand gesehen, dessen Zweck Reunification, also die Rückführung in die Herkunftsfamilie ist oder das Finden einer Adoptionsfamilie, in der das Kind aufwachsen und langfristige Bindungen eingehen kann. Um einen besseren Einblick in die Praxis des us-amerikanischen Pflegekinderwesens zu erhalten, wird im folgenden Abschnitt auf die Organisation des Pflegekinderwesens eingegangen. 1.4 Die Organisation des Pflegekinderwesens 1.4.1 Die Organisationsstruktur der staatlichen Sozialeinrichtungen Im Abschnitt 1.3 wurde bereits ersichtlich, dass die staatliche Regierung die Verantwortung für das Festlegen von Richtlinien, die Aufstellung von Vorschriften und die finanzielle Unterstützung von Child Welfare trägt. Im Gegenzug haben die einzelnen Bundesstaaten die Aufgabe, der Entwicklung, Verwaltung und Durchführung von Child Welfare Programmen. „In regard to foster family care, all of this occurs within the context of numerous and diverse laws and policies, [...] that often vary from state to state as well from county to county [...]“ (Stein 1998, zit. n. Pecora et. al. 2006, S. 302). In den USA besteht somit ein komplexes System der Jugendfürsorge, das sich aus staatlichen und freien sozialen Diensten zusammensetzt. Jeder einzelne Bundesstaat und sogar die einzelnen Landkreise in einem Bundesstaat führen die Gesetze des Staates unterschiedlich aus. Alle handeln nach den gleichen Gesetzen und theoretischen Grundkonzepten, aber die praktische Ausführung kann stark von einander abweichen. Da ich während meiner Recherche lediglich Informationen über die Strukturierung von staatlichen Einrichtungen gefunden habe, werde ich nur diese präsentieren. Zunächst einmal gibt es in jedem Bundesstaat ein Department of Health and Human Services. Das oberste Department of Health and Human Services befindet sich in der Hauptstadt der USA, Washington D.C., und hat sich in langer Tradition aus der amerikanischen Geschichte heraus entwickelt. Die Wurzeln wurden bereits im Jahre 1798, mit einem Erlass zur Erleichterung der Pflege von kranken und arbeitsunfähigen Matrosen gelegt. 1. Das Pflegekinderwesen der USA 21 Dies trug zur Gründung eines bundesweiten Netzwerkes von Krankenhäusern zur Versorgung von Matrosen bei und wurde damit zum Vorreiter des heutigen usamerikanischen Gesundheitswesens. Es ist eines der größten staatlichen Einrichtungen, die den Schutz der Gesundheit aller Amerikaner zur Aufgabe hat und es stellt die Versorgung, besonders von sozial schwach gestellten Menschen, mit den nötigsten Ressourcen und Dienstleistungen sicher. Das Department of Health and Human Services besteht aus 12 verschiedenen Abteilungen und umfasst unter anderem die Gesundheitsfürsorge, biomedizinische Forschung, Sozialfürsorge und Familien- und Jugendfürsorge. Es betreut über 300 verschiedene Programme. Einige davon dienen der finanziellen Unterstützung, zur Gesundheitsaufklärung und zur Prävention von Krankheiten, oder sie werden zum Schutz des Kindes eingesetzt, z. B. zur Verhinderung von Kindesmisshandlung (vgl. U.S. Department of Health and Human Services 2007, The Department FAQs). Das Department of Health and Human Services arbeitet eng mit den bundesstaatlichen und lokalen Regierungen zusammen (vgl. Leavitt 2007). Es ist weitestgehend für soziale Einrichtungen und Programme verantwortlich. Ihm eingegliedert ist eine Behörde für Kinder und Familien, die sogenannte Administration for Children & Families (ACF). ACF ist verantwortlich für Bundesprogramme, die das wirtschaftliche und soziale Wohlbefinden von Familien, Kindern, Personen und Gemeinschaften fördern. Auch das Leitbild von ACF orientiert sich daran: „The Administration for Children and Families (ACF), within the U. S. Department of Health and Human Services (HHS), provides national leadership and creates opportunities for families to lead economically and socially productive lives.“ (ACF 2006, Office of Public Affairs) Die für diese Arbeit wichtigen Programme von ACF sind Child Abuse and Neglect Prevention (die Verhinderung von Kindesmisshandlung und Vernachlässigung), Child Welfare Services and Promoting Safe and Stable Families (das Fördern von sicheren, stabilen Familien), Foster Care, Adoption Assistance9 und Foster Care Independent Living Program (vgl. ebd.). 9 Adoption Assistance fördert besonders die Adoption von Kindern mit besonderen Bedürfnissen. Durch die Zahlung einer Unterstützungsleistung an die Adoptiveltern, soll eine Anregung zur Adoption geschaffen werden und die Adoption, als Lösung für Kinder im Pflegekinderwesen, wird durch diese Gelder wesentlich unterstützt und gefördert. 22 1. Das Pflegekinderwesen der USA Das Child Abuse Neglect Programm wird auch oft in den Bundesstaaten mit dem Begriff Child Protective Services (Soziale Einrichtung zum Schutz von Kindern) umschrieben. Child Protective Service ist eine wesentliche Abteilung in der Jugendfürsorge und sie hat von Gesetzes wegen den Auftrag eine Gefährdung des Kindeswohls zu erkennen und zu intervenieren, indem sie die Fähigkeit der Eltern ihre Kinder zu schützen und zu stärken, oder die Unterbringung in einer anderen Familie veranlasst. Die Philosophie des Child Protective Services gesteht jedem Kind das Recht zu, in einer sicheren Umgebung aufzuwachsen, in der es vor Missbrauch und Vernachlässigung beschützt wird (vgl. Pecora et. al. 2006, S. 142). Am Beispiel der Organisationsstruktur im Bundesstaat Wisconsin werde ich die Integration des Child Protective Service in den Gesamtkomplex des Department of Health and Human Services aufzeigen und die daraus resultierende Arbeitsweise erläutern. Das Wisconsin’s Child Protective Services Program wird vom Bundesstaat überwacht und in den 71 Landkreisen von den regionalen Human Service Departments verwaltet. Die gesamte bundesstaatliche Verwaltung wird von dem Landkreis Milwaukee ausgeführt. Er hat die Aufgabe, die Programme der einzelnen Landkreise zu überwachen und sicherzustellen, dass die bundesstaatlich vorgeschriebenen Richtlinien und Verfahrensabläufe eingehalten werden (vgl. Wisconsin Department of Health & Family Services 2006). In dem folgenden Interview-Ausschnitt von Frau Plummer wird die Eingliederung der Child Protective Services in das Department of Human Services beschrieben. „So the kind of over all of us is the Dane County Department of Human Services and then underneath you have child protection, you’ll have foster care is under that same unit, reunification is under that unit [...] child delinquency is under that unit, so there is lots of little programs kind of underneath Dane County Department of Human Services.“ Die Aufteilung in verschiedene Abteilungen erfordert eine enge Zusammenarbeit untereinander und einen ständigen Kommunikationsaustausch. Denn in den Fall einer Familie sind je nach Situation mehrere Sozialarbeiter aus den verschiedenen Abteilungen involviert. 1. Das Pflegekinderwesen der USA 23 Nach Frau Plummer sind dies die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeit mit Familien und Kindern. „All of these programs are usually involved with families, I mean often times you‘ll have a family that, I am maybe the ongoing worker, but the child’s placed in foster care, so there is a foster care worker as well and [...] this child has also had a delinquency case, there has been some criminal activity, so there is a delinquency worker. And so we try to keep in pretty good contact and communication with each other about what is going on with this family.“ Die Organisationsstruktur der Sozialeinrichtungen ist in den einzelnen Bundesstaaten verschieden. Department of Health and Human Services gibt es in jedem Staat und je nach dessen Größe übernimmt eine zentrale Dienststelle die gesamte Verwaltung und Organisation der Sozialhilfeprogramme, oder die Verwaltung und Organisation wird von regionalen Einheiten übernommen. In jedem Department of Health and Human Services gibt es eine Abteilung, die für die Arbeit mit Kindern und Familien verantwortlich ist. Diese Abteilung ist wiederum in viele einzelne Programme, bzw. Unterabteilungen aufgeteilt, die z.B. dem Schutz von Kindern gelten, das Pflegekinderwesen organisieren oder den Erhalt von Familien fördern. Somit können je nach Familiensituation auf eine Familie mehrere Sozialarbeiter kommen. Dieses geht auch aus dem zweiten InterviewAusschnitt von Frau Plummer hervor. Um die Organisation des us-amerikanischen Pflegekinderwesens abzurunden, gehe ich im nächsten Abschnitt auf dessen Finanzierung ein. 1.4.2 Die Finanzierung des us-amerikanischen Pflegekinderwesens Im Allgemeinen werden die staatlichen Einrichtungen und deren soziale Hilfsprogramme von bundesstaatlichen Fördermitteln finanziert, die letztendlich aus steuerlichen Einnahmen des Bundesstaates oder des Staates stammen. Im Jahr 2007 steht dem Department of Health and Human Services ein Budget von 696.063 Millionen Dollar zur Verfügung. Das zur Verfügung stehende Budget wird auf übergeordnete soziale Hilfsprogramme aufgeteilt (vgl. Department of Health and Human Services 2007, Budget In Brief). 1. Das Pflegekinderwesen der USA 24 Die für diese Arbeit relevanten Programme sind Medicaid, für das 28,6 % des Budgets ausgegeben wird und TANF10, das 2,5% des Geldes erhält (vgl. ebd.). Medicaid, TANF und das Food Stamp Programm gehören zu den national anerkannten, steuerfinanzierten, zielgruppenorientierten Sozialhilfeprogrammen der USA (vgl. Backhaus-Maul 1999). Medicaid gewährt Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, eine minimale, medizinische Grundversorgung (vgl. ebd.) Ein Programm, welches ausschließlich für Familien konzipiert wurde, ist das Aid for Families with Dependent Children (AFDC). Diese Programm wurde 1996 durch das Temporary Assistance for Needy Families (TANF) ersetzt. Es handelt sich um Hilfsprogramme der Einzelstaaten, die aus Zuschüssen des Bundes finanziert werden. „Temporary Assistance for Needy Families (TANF) provides assistance and work opportunities to needy families by granting states the federal funds and wide flexibility to develop and implement their own welfare programs.“ (Office of Family Assistance 2007) TANF ist eine block grant11, dass jedem Bundesstaat und Volksstamm jährlich Kapital zur Verfügung stellt, um damit Sozialhilfe an Familien, Ausgaben der Verwaltung und soziale Hilfsprogramme mit der Zielgruppe ‚bedürftige Familien‘ finanzieren zu können. TANF hat im Gegensatz zum vorherigen Programm AFDC das Ziel, die Leistungsempfänger wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren und Sozialhilfe in eine zeitlich begrenzte Maßnahme zu verwandeln. Die Sozialhilfe, die Familien unter TANF erhalten, ist auf einen Zeitraum von fünf Jahren beschränkt und nach zwei Jahren sollte ein gesunder Erwachsener wieder arbeiten (vgl. Office of Public Affairs 2006). Für das Jahr 2007 stehen dem TANF Programm 17.401.575 Dollar zur Verfügung (vgl. Department of Health and Human Services 2007, Budget In Brief). Ein weiteres wichtiges soziales Hilfsprogramm für Familien ist das Food-Stamps Program; es stellt Lebensmittel für bedürftige Menschen bereit. (vgl. Bachhaus-Maul 1999). 10 Temporary Assistance for Needy Families Eine block grant ist eine große Summe an Geldern, die die us-amerikanische Regierung den Bundesstaaten für bestimmte Zwecke zur Verfügung stellt. Die Ausgabe der Gelder kann nicht wahllos erfolgen, sondern sie muss dem staatlich definierten Zweck dienen. 11 1. Das Pflegekinderwesen der USA 25 Die Existenzsicherung durch den Erhalt dieser sozialen Unterstützungsleistungen, ist jedoch nicht garantiert und die Mehrzahl der Familien lebt unterhalb der offiziellen Armutsgrenze (vgl. ebd.) Die eben erwähnten Programme sind Hilfen, die Familien direkt erhalten können; nun werde ich auf die Verteilung der Gelder für die einzelne Programmen der Jugendfürsorge eingehen. Das TANF Programm bietet zum einen direkte Sozialhilfe für Familien und zum anderen werden Gelder aus TANF für die Finanzierung von Programmen, die zur Unterstützung der Familien dienen, verwendet. In Punkt 1.4.1 wird bereits die Verantwortung der Abteilung für Familien und Kinder, ACF für die verschiedensten familiären Hilfsprogramme, erwähnt. ACF beinhaltet auch das Foster Care Programm, welches den Bundesstaaten ein gewisses Kapital für die Aufgaben, Verwaltungskosten, Personalkosten, Weiterbildungs- und Ausbildungskosten des Pflegekinderwesens bereitstellt. Im Jahr 2007 erhält Foster Care, 4.475.000.000 und Adoption Assistance wird mit 2.027.000.000 gefördert (vgl. ACF Budget Information 2007, ACF 2005- 2007 All- Purpose Table). Speziell für die Reunification Arbeit stehen seit dem Family Preservation and Family Support Program von 1993 finanzielle Mittel generell für Family Preservation Service und damit auch für Reunification Service zur Verfügung. Im Jahr 1997 autorisiert der Kongress, den Title VI-B, Subpart 2, Promoting Safe and Stable Families, des Social Security Acts und fügt unter anderem die gezielte Förderung von Reunification Services hinzu. „Congress clarified that two additional categories of services may be provided with Title VI-B, Part 2 founds: (1) time-limited reunification service, and (2) adoption promotion and support services [...]“ (U.S. House of Representatives 2000 zit n. Freundlich & Wright 2003, S. 62). Das primäre Ziel von Promoting Safe and Stable Families, ist die Qualitätsverbesserung der sozialen Programme, die der Erhaltung von Familien dienen. Im Jahr 2007 werden dafür 365 Millionen Dollar über ACF zur Verfügung gestellt (vgl. ACF Budget Information 2007, ACF 2005- 2007 All- Purpose Table). 26 1. Das Pflegekinderwesen der USA Die Finanzierungsmöglichkeiten von Child Welfare stetzen sich aus den unterschiedlichsten Quellen zusammen. Am Beispiel der Jugendfürsorge in Jefferson County schildere ich die verschiedenen Finanzierungsquellen. Die Informationen über die Finanzierung erhielt ich während eines Gespräches mit Herrn Ruhelow, der im Department of Human Services in Jefferson County arbeitet. Herr Ruhelow beschrieb die steuerlichen Abgaben der Bürger von Jefferson County als eine Finanzierungsquelle. Zum Beispiel bezahlen die Bürger jährlich eine Grundsteuer an die Bezirksregion, ein kleiner Teil davon geht an das Department of Human Services. Human Services in Jefferson County hat ein großes Budget zur Verfügung, ca.13 Millionen Dollar. Einen weiteren Teil erhält Child Welfare in Jefferson County durch staatliche Unterstützungsleistungen „state aids“, dessen Höhe je nach Population der jeweiligen Bezirksregion festgelegt wird. Zusätzlich erhalten sie einen geringen Anteil durch die direkte Abrechnung von Klienten oder Versicherungsgesellschaften. Die Finanzierung der einzelnen Programme ist sehr komplex und es gibt verschiedene staatliche Fördermittel oder Subventionen, aus denen sie finanziert werden. Die Gelder sind jedoch knapp und es sind nicht annähernd genügend finanzielle Mittel vorhanden, um eine ausreichende Grundversorgung aller US-Amerikaner und eine optimale Qualität der Sozialarbeit und deren Leistungsangebot zu gewährleisten. Es fehlen z.B. Gelder in der Aus- und Weiterbildung von Sozialarbeitern und in der Entwicklung von neuen Programmen. Außerdem werden Sozialarbeiter durch eine zu hohe Anzahl an zu betreuenden Familien überfordert und können keine intensive, optimale Betreuung garantieren. Dieses erste Kapitel verschafft einen Einblick in das Pflegekinderwesen der USA. Es bildet den Grundstein für meine weiteren Ausführungen. Das nachfolgende Kapitel führt in die Theorie des Pflegekinderwesens und die darin enthaltenen essentiellen Konzepte, die für die gesamte USA gelten, ein. 2. Theoretische Konzepte im Pflegekinderwesen 2. Theoretische Konzepte im Pflegekinderwesen 2.1 Permanency Planning 27 2.1.1 Definition von Permanency Planning Permanency Planning ist ein Konzept der Jugendfürsorge, das Kindern das Leben in einer sicheren, stabilen Umgebung ohne das Eingreifen einer staatlichen, außerfamiliären Autorität ermöglichen soll. Permanency Planning beinhaltet das Recht eines jeden Kindes auf ein dauerhaftes zu Hause. Es geht jedoch nicht nur um die Suche nach einem geeigneten, langfristigen Aufenthaltsort, denn es handelt sich um einen Prozess, der eine Reihe von Aspekten des Kindes- und Familienwohls miteinschließt (vgl. Freundlich & Wright 2003, S. V). Die Autoren Maluccio und Fein (1983) beschreiben ihre Vorstellung von Permanency Planning. „Permanency Planning is the systematic process of carrying out, within a brief time-limited period, a set of goal- directed activities designed to help children live in families that offer continuity of relationships with nurturing parents or caretakers and the opportunity to establish life- time relationships.“ (zit. n. Maluccio, Fein & Olmstead 1986, S. 5) Diese Definition betont Aspekte wie den Vorrang von Familien in der kindlichen Entwicklung, das Verlagen eines jeden Menschen nach der Zugehörigkeit zu einer Familie und das Ergreifen von systematischen, zielorientierten und zeitlich begrenzten Maßnahmen. Die Autoren Freundlich und Wright (2003) behaupten, dass Permanency Planning sowohl eine physische, psychische als auch eine gesetzliche Dimension beinhaltet. Die physische Dimension bezieht sich in erster Linie auf den Aufenthaltsort des Kindes und auf das gemeinsame Zusammenleben mit einer bleibenden Bezugsperson. Die psychologische Dimension beinhaltet das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Familie und die gesetzliche Dimension verweist auf die offiziell anerkannte Gesetzgebung von Permanency Planning, mit der die physischen und psychologischen Dimension unterstützt werden (vgl. S. 67 f). 2. Theoretische Konzepte im Pflegekinderwesen 28 Permanency Planning wird also von verschiedenen Perspektiven aus betrachtet. Es kann als eine Philosophie angesehen werden, die die Wichtigkeit eines familiären Umfeldes, vorzugsweise das der Herkunftsfamilie, für Kinder betont. Die Sichtweise der theoretischen Perspektive hebt die Stabilität und Kontinuität von Beziehungen für die Entwicklung von Kindern hervor. Des Weiteren ist Permanency Planning ein Programm, das sowohl präventiv als rehabilitierend eingesetzt wird und auf einer systematischen Planung mit spezifischen Zeitgrenzen beruht. Außerdem wird Permanency Planning als Case-Management Methode verstanden, die bestimmte praktische Strategien in der Arbeit mit Klienten anwendet. Hierzu gehören unter anderem die Hilfeplanung, die Netzwerkarbeit und die aktive Beteiligung der Klienten am Entscheidungsprozess. Ungeachtet der Betrachtungsweise erfordert Permanency Planning in jedem Fall, die aktive Zusammenarbeit von verschiedenen sozialen Einrichtungen. Die Mitarbeiter von Child Welfare müssen untereinander eng zusammenarbeiten. Zusätzlich erfolgt eine Zusammenarbeit mit Anwälten, Richtern und anderen Personen, die in die Arbeit mit Kindern und Eltern involviert sind, z.B. Therapeuten (vgl. Maluccio, Fein & Olmstead 1986, S. 15 f). Den Autoren Emlen et.al. (1977) zufolge beinhaltet Permanency Planning die Intention der Dauerhaftigkeit. Da sich die tatsächliche Entwicklung der kindlichen Lebenssituation nicht vorhersagen läßt, kann ich die intendierte Dauerhaftigkeit auch nicht garantiert werden. Das Kind erhält in der Familie einen legalen und im Gegensatz zum Pflegekinderwesen einen höheren sozialen Status. Der legale Status wahrt und schützt seine Rechte, fördert seine Interessen und ermöglicht ein Gefühl der Zugehörigkeit (vgl. nach Maluccio, Fein & Olmstead 1986, S. 4). In nächsten Abschnitt werden die für Permanency Planning und damit auch für Reunification bedeutsamen Richtlinien, die durch den AACWA eingeführt und mit den ASFA verstärkt wurden, näher erläutern. 2.1.2 Die Richtlinien von Permanency Planning und die sich daraus ergebende Hierarchie Da jeder Staat seine eigene, individuelle Gesetzgebung und seine eigenen Richtlinien vorgibt, um die Forderungen aus AACWA und ASFA vollziehen zu können (vgl. Pecora et. al. 2006, S. 74), werde ich die folgenden Ausführungen sehr allgemein halten. 2. Theoretische Konzepte im Pflegekinderwesen 29 Die Richtlinien von Permanency Planning sind unter anderem Reasonable Efforts (angemessene Bemühungen), festgelegte Zeitgrenzen für die Entwicklung und Umsetzung eines Permanency Plan (Plan für eine dauerhafte Lösung), Concurrent Planning (konkurrierende Planung) und die Erhöhung der Adoptionszahlen. Reasonable Efforts Reasonable Efforts dienen der Verhinderung der Inpflegegabe und der Wiedervereinigung von Familien „The ASFA clarified the meaning of reasonable efforts and emphasized safety by explaining when reasonable efforts should not be made because of risks to the child’s health and safety12.“ (Humphrey et. al. 2006, S. 114) Unter bestimmten Umständen ist die Gewährleistung einer angemessenen Bemühung nicht erforderlich. Generell fällt darunter, das Kind erschwerten Verhältnissen auszusetzen, z.B. chronischer, gravierender psychischer, physischer und sexueller Missbrauch oder Aussetzung des Kindes. Des Weiteren können Reasonable Efforts ausgeschlossen werden, wenn der betroffene Elternteil ein anderes Kind oder den anderen Elternteil ermordet hat, zu ermorden versucht oder erhebliche körperliche Verletzungen zugefügt hat. Hierunter fällt auch ein bereits erfolgter Sorgerechtsentzug für ein anderes Kind der Eltern. Der dritte Aspekt betrifft die Einschätzung des Elternteils in Bezug auf die Fähigkeit, ein angemessener Versorger für das Kind zu sein, wenn z.B. der betroffene Elternteil unter einer geistigen Behinderung leidet (vgl. Reich 2005, S. 118 f). Im Bundesstaat Wisconsin gelten im weitesten Sinne die oben genannten Situationen, in denen die Hilfestellung bei der Rückführung des Kindes in die Herkunftsfamilie abgelehnt werden kann (vgl. NCSL 2001, Clarification of Reasonable Efforts, Wisconsin). Der Staat Kalifornien fügte zu diesen allgemeinen Ausnahmen noch einige weitere hinzu und spezifizierte sie. Von allen Staaten führt Kalifornien die meisten Gründe für eine Verweigerung der Dienstleistung an. Zum Beispiel kann einem Elternteil eine Rückführung des Kindes von vornherein untersagt werden, wenn er unter einer geistigen Behinderung leidet, und somit eine angemessene Versorgung des Kindes nicht sichergestellt ist. Außerdem kann einem chronisch suchtkranken Elternteil, der trotz vorangegangener Suchtbehandlung nicht geheilt worden ist, die Dienstleistung für die Rückführung des Kindes verweigert werden (vgl. NCSL 2001, Clarification of Reasonable Efforts, California). 12 42 U.S.C. Sect. 671(a)(15)(B)(D), 2000 30 2. Theoretische Konzepte im Pflegekinderwesen Diese gesetzlich festgehaltenen Ausnahmen für Resonable Efforts sind nicht bindend. Ein Richter kann im Einzelfall die Dienstleistung für Reunification anordnen, wenn er der Meinung ist, dass die Rückkehr des Kindes die beste Option sei (vgl. Reich 2005, S. 119). Festgelegte Zeitgrenzen Permanency Planning unterliegt festen Zeitgrenzen. Die Intention ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die das Finden eines dauerhaften Aufenthaltsortes für Pflegekinder erleichtert und beschleunigt. Die Erstellung eines Permanency Plan und die Vorstellung dieses Planes in einem Permanency Hearing wird zu einer wesentlichen Aufgabe der Mitarbeiter in der Jugendfürsorge. Das Permanency Hearing ist eine Anhörung vor Gericht und findet dem P.L. 105-89 zufolge, 12 Monate nach der Inpflegegabe statt. Dort wird entschieden, ob eine Rückführung in die Herkunftsfamilie stattfinden soll oder ob ein anderer dauerhafter Aufenthaltsort für das Kind gefunden werden soll. Concurrent Planning Concurrent Planning ist eine Methode, bei der zwei Strategien gleichzeitig verfolgt werden. Zu Beginn der Inpflegegabe des Kindes werden zwei Pläne entwickelt. Der eine unter dem Aspekt der Rückführung des Kindes in die Herkunftsfamilie; der andere beinhaltet die gezielte Suche nach einem anderen langfristigen Lebensraum für das Kind. Die meisten Sozialarbeiter, die heute mit dieser Methode arbeiten, favorisieren die Rückkehr des Kindes in die Herkunftsfamilie. Der andere Plan dient als Alternative und ermöglicht schnelles Handeln, sollte die Rückführung nicht möglich sein. Damit wird verhindert, dass das Kind unnötige Zeit in der Pflegefamilie verbringt. Den Bundesstaaten wird das Einführen dieser Methode freigestellt, sie wird jedoch in vielen Bundesstaaten in die Gesetzgebung mit aufgenommen, z.B. Wisconsin und Connecticut (vgl. Westat et. al. 2001, Chapter 3, Appendix A, State WI bzw. CT). Erhöhung der Adoptionszahlen Ist eine Rückführung des Kindes in die Herkunftsfamilie nicht möglich und die Adoption eine mögliche Alternative, dann soll der Entzug der elterlichen Sorge zügiger als bisher geschehen. 31 2. Theoretische Konzepte im Pflegekinderwesen „Under the ASFA, states must file for TPR13 when child has been in foster care for 15 months of the most recent 22 months [...]“ (Humphrey et. al. 2006, S. 114). Mit dieser Regelung soll ein schnellerer und unkomplizierterer Adoptionsverlauf ermöglicht werden. Und sie beinhaltet die Hoffnung, wesentlich mehr Kinder in ein dauerhaftes zu Hause vermitteln zu können. Aus den verschiedenen Optionen von Permanency Planning hat sich eine Hierarchie entwickelt, die auch durch die Bundesgesetze P.L. 96-272 und P.L. 105-98 unterstützt wird. Zunächst einmal soll versucht werden, die Herausnahme des Kindes aus seiner Familie durch ein vielfältiges Angebot an Unterstützungsprogrammen zu verhindern. Ist eine Fremdplatzierung nicht zu verhindern, sollte diese möglichst bei Verwandten erfolgen, oder in einer Pflegefamilie, die sich so nah wie möglich am Wohnort der Herkunftsfamilie befindet, um unter anderem den Besuchskontakt zwischen leiblichen Eltern und Kind zu erleichtern. Eine Rückführung in die Herkunftsfamilie soll zu dem führest möglichen Zeitpunkt geschehen und in einem Nachbetreuungsprogramm soll die Familie Unterstützung erhalten, um eine erneute Herausnahme des Kindes zu verhindern. Ist eine Rückführung in die Herkunftsfamilie nicht möglich, wird Kinship Care als eine dauerhafte Option für das Kind angesehen und die Verwandten sollen die gesetzliche Vormundschaft erhalten. Wenn dieses keine mögliche Alternative für das Kind ist, wird eine Adoption von Nichtverwandten, vorzugsweise von der Pflegefamilie, oder einer Familie mit gleichem ethnischen und kulturellen Hintergrund angestrebt. Ist die Adoption für das Kind auszuschließen, wird Long-Term Foster Care, oder je nach Alter des Kindes, die Aufnahme in das Independent Living Program angestrebt. Als letzte Möglichkeit bleibt die langfristige Unterbringung in einer Heimeinrichtung (vgl. Maluccio, Fein & Olmstead 1986, S. 47 f). Die ursprüngliche Intention der Permanency Planning Bewegung war es, die Anzahl der Pflegekinder zu minimieren und Stabilität und Kontinuität im Leben der Pflegekinder, besonders durch die Adoption, einzuführen. Mit der Weiterentwicklung von Permanencey Planning werden nun nicht nur Rehabilitationsmaßnahmen, sondern auch Präventionsmaßnahmen miteinbezogen. „[...] indeed, prevention is being regarded more and more as the primary goal of permanency planning.“ (ebd., S. 21) 13 terminating parental rights (Entzug der elterlichen Sorge) 32 2. Theoretische Konzepte im Pflegekinderwesen In der modernen Jugendfürsorge drückt sich Permanency Planning in verschiedenen Optionen aus. Die verschiedenen Optionen sind unter anderem Family Preservation, Family Reunification, Kinship Care, Adoption und Legal Guardianship. Legal Guardianship ist ein gesetzliches Mittel, mit dem eine erwachsene Person die elterliche Verantwortung für ein Kind übernehmen kann ohne den Eltern ihre Rechte vollständig zu entziehen. In den Bundesstaaten findet Kinship Care als eine Form von Permanency Planning immer mehr Anwendung (vgl. Fein & Maluccio 1992, S. 340). Im Jahre 1997 wurde mit dem ASFA ein zeitlich begrenzter Family Reunification Service als eine Kategorie von Family Preservation hinzugefügt (vgl. Humphrey, Turnbull A. & Turnbull H. 2006, S. 114). Die genaue Bedeutung und das Konzept von Family Reunification wird im folgenden Absatz beschrieben. 2.2 Reunification 2.2.1 Definition Reunification Die Rückführung in die Herkunftsfamilie wird in den USA als wünschenswerter Austritt aus dem Pflegeverhältnis angesehen und sie stellt eine wesentliche Komponente der Philosophie und der Ausübung von Permanency Planning dar. Vereinfacht ausgedrückt bezieht sich Reunification im Pflegekinderwesen der USA auf die Rückführung der Pflegekinder in ihre Herkunftsfamilien. Dabei ist zu bedenken, dass Reunification kein einmaliger Vorgang ist, sondern ein Prozess ist. Dieser Prozess beinhaltet die Reintegration des Kindes in die Familie und in ein familiäres Umfeld, das sich nach der Herausnahme des Kindes erheblich geändert haben kann (vgl. Wulczyn 2004, S. 99). Family Reunification umfasst nicht nur den Prozess der Rückführung des Kindes in die Herkunftsfamilie, sondern es ist ein ganzes System von Richtlinien, Strategien, Programmen und Dienstleistungen, das allesamt dem Zweck der Zusammenführung von Familien dient. Ursprünglich basiert die Ausübung von Reunification auf einer entweder/oder Orientierung, die auch durch gesetzliche Rahmenbedingungen, insbesondere Concurrent Planning befürwortet wird. Diese Betrachtungsweise von Reunification ist zu sehr vereinfacht und spiegelt nicht die besonderen Bedürfnisse von Kindern und Familien wider (vgl. Pecora et.al. 2006, S. 331) 33 2. Theoretische Konzepte im Pflegekinderwesen Die Autoren Pine, Warsh und Maluccio (1993) finden es erforderlich, Reunification neu und weitgefasster zu definieren. Der Ansatz von Reunification wird von den Autoren in seiner Dynamik und Flexibilität erfasst, indem die individuellen Bedürfnisse von Kindern und Familien wahrgenommen werden. Reunification ist somit der geplante Prozess, der die Verbindung von Pflegekindern mit ihren Familien neu herstellt. Erreicht werden soll dies durch verschiedene Dienstleistungen und Unterstützungsprogramme, die dem Kind, der Herkunftsfamilie und den Pflegefamilie angeboten werden. Diese zielen darauf ab, zu jedem Zeitpunkt die optimale Ebene der Verbindung zwischen Herkunftseltern und Kind zu ermöglichen. Die optimale Ebene der Verbindung erstreckt sich über die Wiedereingliederung des Kindes in das ursprüngliche Familiensystem bis zu anderen Formen des Kontakts, wie z.B. Besuchskontakte, die dazu beitragen, dass das Kind ein Mitglied seiner Familie bleibt (vgl. Maluccio, Warsh & Pine 1991, S. 6). Diese erweiterte Betrachtungsweise von Reunification betont die Wichtigkeit der Erhaltung und Förderung der Verbundenheit zwischen Pflegekind und leiblichen Eltern. Zur gleichen Zeit wird realisiert, dass nicht alle Herkunftseltern eine gute Versorgung ihrer Kinder gewährleisten können und obwohl Familien nicht zusammen leben, können ihre verwandtschaftliche Verbindung aufrechterhalten werden. „In short, reunification can take place in a variety of ways besides physical reconnection.“ (vgl. ebd., S. 6) Auch die Autoren Petr and Entriken (1995) greifen auf, dass Reunification neben der physischen Wiedereingliederung in die Familie, eine emotionale Verbindung mit der Familie und die Wiedereingliederung in das ursprüngliche soziale Umfeld miteinbezieht. Die Integration in das soziale Umfeld ist besonders wichtig für Kinder, die außerhalb ihres Wohnortes untergebracht sind, denn stabile Beziehungen zu Freunden, Nachbarn und Lehren können ebenso bedeutsam, wie die Beziehung zu den einzelnen Familienmitgliedern, sein. Die Wiederherstellung oder Erhaltung der emotionalen Verbindung mit der Herkunftsfamilie schließt unter anderem Familienberatung, Familientherapie und die Kontakterhaltung durch Anrufe, Briefe und Besuche mit ein. Der Erhalt der emotionalen Verbindung zu den Herkunftseltern ist auch wichtig, wenn eine physische Rückkehr in die Familie nicht möglich ist (zit. n. Petr 1998, S. 146). 2. Theoretische Konzepte im Pflegekinderwesen 34 In meinen Aussagen über Reunification beziehe ich mich hauptsächlich auf die Form von Reunification, die eine physische Rückkehr des Kindes in die Familie miteinschließt. Dabei ist wichtig zu beachten, dass die Hauptbetonung immer auf dem Wohl und der Sicherheit des Kindes liegt. Besteht eine Gefährdung des Kindes, dann wird eine Rückführung in die Herkunftsfamilie nicht stattfinden. 2.2.2 Richtlinien von Reunification Aus der erweiterten Definition von Family Reunification ergeben sich einige wichtige Prinzipien, die das Fundament für die Entwicklung von Richtlinien, Strategien und Programmen bilden (vgl. Warsh, Pine & Maluccio 1996, S. 8). Family Reunification unterliegt der Annahme, dass die meisten Herkunftseltern durch entsprechende Anleitung und Unterstützung eine angemessene Versorgung und Erziehung ihrer Kinder sicherstellen können. Reunification respektiert die Verschiedenartigkeit der Menschen, ihre kulturellen, ethnischen und religiösen Unterschiede (vgl. ebd., S.8). Das Ziel der Rückführung soll bei jedem Pflegekind systematisch in Betracht gezogen werden, um einen möglichst frühzeitigen Beginn der Planung und Umsetzung zu ermöglichen. Wichtig ist die Dynamik des Prozesses, in dem die sich ändernden Bedürfnisse und Potenziale von Familien und Kindern berücksichtigt werden müssen. Das bedeutet zum Beispiel, dass während dieses Prozesses jederzeit die angemessenste Ebene der Verbindung zwischen Kindern und Herkunftseltern ermittelt und umgesetzt werden soll, dabei spielen Besuchskontakte eine wesentlich Rolle. Des Weiteren wird eine Zusammenarbeit von allen Beteiligten im Reunification Prozess vorausgesetzt, z.B. von Richtern, Anwälten, Sozialarbeitern, Therapeuten, Pflegeeltern und Herkunftseltern. Nach der Rückführung haben viele Familien noch einen erheblichen Bedarf an Unterstützung. Die Unterstützungsleistungen der Sozialeinrichtungen sollten der Familie solange zur Verfügung stehen, bis der Verbleib in der Herkunftsfamilie sichergestellt ist (vgl. ebd., S.8). Die Konzepte Permanency Planning und Reunification basieren auf verschiedenen Werten und theoretischen Ansätzen. Im nächsten Abschnitt wird erläutert inwieweit sich die Ausübung von Permanency Planning und Reunification auf die Bindungstheorie stützt. 2. Theoretische Konzepte im Pflegekinderwesen 2.3 35 Die Argumente der Bindungstheorie in den Konzepten Permanency Planning und Reunification Das Aufwachsen des Kindes in einer stabilen, sicheren Familie nimmt einen großen Stellenwert in der us-amerikanischen Gesellschaft ein und dessen Bedeutsamkeit für die kindliche Entwicklung wird unter anderem mit der Bindungstheorie begründet. Die zentrale These der Bindungstheorie besagt, dass die unangefochtene Beständigkeit einer Bindung, die Quelle der psychischen Sicherheit ist. Die Bindungstheorie geht davon aus, dass mit der Entstehung einer Bindung zu einer bleibenden Bezugsperson die Grundlage für die Fähigkeit im Erwachsenenalter gelegt wird, stabile und intime Beziehungen aufrechterhalten zu können. Die Bindung, die ein Kind zu seiner primären Bindungsperson entwickelt, beeinflusst somit erheblich die emotionale und soziale Entwicklung des Kindes. Für eine gesunde Entwicklung des Kindes ist die Beständigkeit der Bindung, mit möglichst wenig erlebten Beziehungsbrüchen, bedeutsam. Da sich bereits im Laufe des ersten Lebensjahres eine Bindung zu einer primären Bezugsperson bildet, soll diese auch möglichst bewahrt werden. Die primären Bindungspersonen sind für die meisten Kinder die biologischen Eltern. Diese Bindung entwickelt sich aus der Interaktion zwischen den Eltern und dem Kind und aus dem Eingehen der Bindungspersonen auf die Bedürfnisse des Kindes. Hat sich diese Verbindung erstmal entwickelt, kann sie nicht mehr so leicht aufgelöst werden (vgl. Grossmann & Grossmann 2004). Hieraus wird die Bedeutsamkeit der biologischen Eltern für das Kind abgeleitet. Eine weitere zentrale Erkenntnis der Bindungstheorie ist, dass Bindung sich bei einer Trennung von der Bindungsperson in seelischem und körperlichem Leid ausdrückt. „The seperation of children from their primary attachment figure arouses feelings of anxiety and loss. If the seperation is prolonged, these feelings may create psychological disorganisation and depression.“ (Palmer 1995, S. 19) Das Wissen über den Schmerz, den zwei aneinander gebundene Personen bei einer Trennung verspüren, hilft den Sozialarbeitern das Verhalten von Pflegekindern und Herkunftseltern nach einer Herausnahme besser zu verstehen. Aus diesem Verständnis und Wissen heraus entwickeln sich Bewältigungsstrategien, die den Kindern und Eltern nahe gebracht werden, um das seelische und körperliche Leiden zu mindern. Beispielsweise sollen Eltern die Kinder über die Gründe der Fremdplatzierung aufklären und Zukunftspläne mit ihnen teilen (vgl. ebd., S. 43 ff). 2. Theoretische Konzepte im Pflegekinderwesen 36 Die Autoren Thomas und Rutter (1978) beobachten die Reaktionen von Pflegekindern auf die Trennung von ihren Eltern. In einer ersten Phase ist keine Reaktion auf die Trennung zu beobachten, die Kinder passen sich an ihre neue Umgebung an. Die nachfolgende Protestphase ist geprägt von Gefühlen der Angst, Wut, Trauer und der Sehnsucht nach dem verlorenen Elternteil. Führen diese Verhaltensweisen nicht zur erwünschten Wiedervereinigung, setzt eine Phase der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit ein. In dieser Phase wird nicht mehr das Suchen nach der Bezugsperson fokussiert. Es geht viel mehr darum, die Gefühle des Schmerzes und des Verlustes auszudrücken. In einer letzten Phase findet die Gewöhnung an die Situation statt und das Kind lässt eine Bindung zu den Pflegeeltern zu. „The primary indicator of this phase is the child’s seeking of new relationships and the emotional investment in them.“ (Thomas & Rutter 1978 zit. n. Hess 1982, S. 49 f) Nach der Autorin Palmer (1995) durchleben viele Pflegekinder diese Phasen nicht bewusst und es erfolgt eine schnelle Loslösung von den Eltern (vgl. S. 44). Die Reunification Arbeit versucht diesen Loslösungsprozess zu verhindern und die Bindung von Eltern und Kind während der Fremdplatzierung aufrecht zu erhalten. Ist eine Bindung bereits geschädigt, besteht die Aufgabe von Reunification in dem Wiederaufbau der Bindung zwischen Eltern und Kind. Wichtig ist hierbei das Wissen über die Gründe, die eine Loslösung der Pflegekinder von ihren Eltern bewirken. Das bewusste Erleben von Schmerz und Trauer nach einer Trennung zeugt von emotionaler Gesundheit, denn es reflektiert eine starke Bindung an die Eltern und die Fähigkeit, den Schmerz zuzulassen und nicht zu unterdrücken (vgl. Palmer 1995, S. 21). Aus verschiedenen Gründen sind diese Voraussetzungen bei Pflegekindern oft nicht gegeben und sie erleben das seelische und körperliche Leid nicht bewusst oder sie sind nicht in der Lage, ihre Gefühle auszudrücken. Ein Grund ist, z.B. die gleichzeitige Konfrontation eines Pflegekindes mit der Trennung von den Eltern und einer neuen Umgebung mit fremden Personen. Dies kann zu einer Überwältigung führen, in der die Kinder nicht in der Lage sind, den Trennungsschmerz zuzulassen und zu erleben. Des Weiteren wachsen Kinder in den Herkunftsfamilien nicht unter idealen Bedingungen auf und haben oft auch unsichere Bindungsmuster zu ihren Eltern entwickelt. Die Kinder lernen durch angstvolle, traumatische Erlebnisse, z.B. durch Misshandlung, dass sie wenig Einfluss auf äußere Ereignisse haben und sehen deshalb keinen Sinn darin, ihre Gefühle auszudrücken. Diese Gründe scheinen bei den Pflegekindern eine frühzeitige Ablösung 2. Theoretische Konzepte im Pflegekinderwesen 37 von den Herkunftseltern zu bewirken und erklären das ambivalente Verhalten von Wut und Sehnsucht gegenüber ihren Eltern (vgl. ebd. S. 46 f). Mit der Bindungstheorie wird einerseits die Wichtigkeit von beständigen Beziehungen und die Rolle der biologischen Eltern, zu denen bereits eine Bindung besteht, für die kindliche Entwicklung begründet. Andererseits erklärt die Bindungstheorie den körperlichen und seelischen Schmerz, der bei der Trennung von aneinander gebundenen Personen erlebt wird. Insbesondere bei Pflegekindern können die Trennung von den Eltern und die zusätzlich neue Lebenssituation in einer fremden Umgebung traumatische Auswirkungen haben und eine gesunde kindliche Entwicklung gefährden. Mit dem Wissen aus der Bindungstheorie über Bindungsdynamiken, Bindungsverhalten und Trennung können die Sozialarbeiter die Bedürfnisse der Kinder besser erfassen und den Auswirkungen einer Trennung von den Eltern und einer Fremdplatzierung auf das kindliche Wohlbefinden und die kindliche Entwicklung eindämmen. Diese Erkenntnisse flossen in das Konzept Permanency Planning ein und bildeten die Grundlage für die in Punkt 2.1.2 beschriebene Hierarchie von Permanency Planning. Die Gefährdung des Kindeswohls wird mit der Gefahr eines traumatischen Erlebnisses abgewogen, das durch eine Trennung von den Eltern ausgelöst werden kann. Besteht keine unmittelbare Gefahr für das Kind, wird mit Hilfe von präventiven Family Preservation Programmen versucht, die Familiensituation ohne eine Herausnahme des Kindes zu verbessern. Ist eine Fremdplatzierung nicht zu verhindern, wird die Rückführung in die Herkunftsfamilie bevorzugt, um eine bereits bestehende Eltern-KindBindung zu bewahren. Ein Großteil der Reunification Arbeit besteht in der Anwendung von Strategien, die das traumatische Erlebnis einer Trennung von den leiblichen Eltern mindern, indem die Bindung und der Kontakt von Eltern und Kind aufrechterhalten werden. Kann eine Herkunftsfamilie die Sicherheit des Kindes nicht gewährleisten, wird die Adoption bevorzugt, um dem Kind die Möglichkeit zu geben, neue, beständige, lebenslange Bindungen aufzubauen und sich in einer sicheren Umgebung entwickeln zu können. Den Prozess, den Pflegekinder im Child Welfare System und während einer Rückführung durchleben, wird im nächsten Kapitel beschrieben. 38 3. Der Prozess der Rückführung 3. Der Prozess der Rückführung 3.1 Der Ablauf bei Verdacht auf Gefährdung des Kindeswohls Die Abbildung 5 gibt einen groben Überblick über den Ablauf der Prozesse im Child Welfare System bei der Gefährdung des Wohl des Kindes, beginnend bei der Äußerung eines Verdachtes. Ein Verdacht über die Gefährdung des Wohl des Kindes geht in der Intake Unit (Aufnahmeabteilung) des Child Protection Services ein. Diesem Verdacht wird entweder nachgegangen (Screen In) und näher untersucht (Investigation), oder der Verdacht reicht nicht aus um eine Untersuchung zu veranlassen (Screen Out). Kann der Verdacht der Kindeswohl-Gefährdung auf konkrete Beweise gestützt werden, reicht der Child Protective Service, nach Aussagen der Sozialarbeiterin Frau Plummer, bei Gericht eine so genannte CHIPS Petition (Klageschrift) ein. CHIPS Petition bedeutet, Child in need of Protective Services. Dem Gericht wird dargelegt, warum die Familie in die Programme des Child Protective Services involviert werden muss. Die Eltern können der Klageschrift zustimmen oder sie können Widerspruch einlegen. Bei einem Widerspruch wird dann in einem Prozess durch einen Richter oder Geschworene entschieden, ob eine tatsächliche Gefährdung des Kindeswohls besteht und die Involvierung des Child Protective Services notwendig ist. Somit wird aus der CHIPS Petition eine Anordnung vom Jugendgericht, CHIPS Order. Im Idealfall erfolgt die Involvierung des Child Protective Services ohne die Herausnahme des Kindes. Ist die Sicherheit des Kindes in der Familie nicht gewährleistet, wird eine Fremdplatzierung des Kindes veranlasst. Frau Plummer berichtete mir, dass die Entscheidung über den Verbleib des Kindes in der Intake Unit getroffen wird. Das Jugendgericht segnet die Herausnahme des Kindes ab und bestimmt die Art der Fremdplatzierung. Eine Anhörung über den Verlauf des Falles und die Fortschritte findet alle sechs Monate statt. Nach zwölf Monaten wird in der so genannten Permanency Hearing (Anhörung) festgestellt, ob die Herkunftseltern die Bedingungen für die Rückkehr des Kindes erfüllt haben bzw. dabei sind diese zu erfüllen oder ob der Entzug des elterlichen Sorgerechts in Betracht kommt. Die gerichtlichen Auflagen, die die Eltern erfüllen müssen, sind in der CHIPS Order festgehalten. Diese beinhalten z.B. die Teilnahme an einer Suchttherapie, Aggressionstraining und/oder einem Elterntraining (vgl. Reich 2005, S. 118) einem Anti- 39 3. Der Prozess der Rückführung Gemeldeter Verdacht der Kindesmisshandlung Aufnahme in der Intake Unit Screen Out (Ausschluss des Verdachtes) Screen In (Vedacht nachgehen) Investigation (Untersuchung) Verdacht kann nicht auf konkrete Beweise gestützt werden Verdacht wird auf Beweise gestützt CHIPS Petition/ Eltern stimmen Klageschrift zu CHIPS ORDER/ Anordnung durch das Jugendgericht In-home Family Service Herausnahme und Fremdplatzierung Bewertung des In-home Service Anhörung vor Gericht über den Verlauf des Falles nach 6 Monaten Permanency Hearing nach 12 Monaten Erfüllung des Reunification Plan Nichterfüllung des Reunification Plan Rückkehr des Kindes Entzug der elterlichen Sorge Abbildung 5: Der Ablauf bei Verdacht auf Gefährdung des Kindeswohls 40 3. Der Prozess der Rückführung Eine genaue Beschreibung der einzelnen Abläufe erfolgt im nächsten Abschnitt anhand der Vorgehensweise im Bundesstaat Wisconsin. 3.2 Detaillierte Beschreibung der Arbeitsschritte des Child Protective Services am Beispiel des Wisconsin Model Workflow Die nachfolgende Darstellung läuft in ähnlicher Weise auch so in den restlichen Bundesstaaten der USA ab. Da ich genauere Informationen über den Ablauf in Wisconsin habe, beziehe ich mich auf diesen Bundesstaat. In Wisconsin wird ein spezielles Modell angewendet: The Wisconsin Model Workflow. Es legt eine spezifische Struktur für das Sammeln, Organisieren und Beurteilen relevanter Informationen in Fällen des Child Protective Services fest. Der detaillierte Arbeitsablauf des Child Protective Services in Wisconsin kann im Anhang B I und B II nachgelesen werden. Vereinfachte Darstellung des Interventionsverlaufs bei einer Gefährdung des Kindeswohls: Intake Initial Assessment Family Engagement and Assessment Case Planning Case Progress Evaluation Final Family Assessment and Case Closure Intake (Aufnahme): Die Äußerung eines Verdachtes auf Gefährdung des Kindeswohls wird in der Intake Unit von Sozialarbeitern aufgenommen und überprüft. Die Berichte über die Verdachtsmomente der Kindesmisshandlung bzw. Vernachlässigung stammen zumeist von Krankenhäusern, Schulen, der Polizei oder von anderen Personen, z.B. Nachbarn oder Verwandten der Familie. Die Aussagen von Frau Plummer verdeutlicht den Ablauf, der sich in der Intake Unit vollzieht: „[...] in intake they receive calls, which are basically reports from outside people, to report child abuse or neglect so that call is either screened in or screened out, so that is kind the next step. If it is screened in than there is an investigation [...].“ Die Intake Unit entscheidet somit darüber, welchem Verdacht nachgegangen wird. Entspricht der Verdacht, der gesetzlichen Definition von Kindesmisshandlung bzw. Vernachlässigung, dann muss eine Untersuchung 24 Stunden nach Eingang des Verdachts beginnen und innerhalb von 60 Tagen zum Abschluss kommen (vgl. Wisconsin Department of Health & Family Services 2006). 3. Der Prozess der Rückführung 41 Initial Assessment (erste Einschätzung) / Investigation (Untersuchung): Die Hauptaufgabe der Intake Unit besteht in der Untersuchung und dem Finden von Beweisen für die Gefährdung des Kindeswohls. Für die Autoren Pecora et. al. (2006) sind die Informationen, die von den Mitarbeitern der Intake Unit gesammelt werden, wesentlich für den Entscheidungsprozess und die weitere Vorgehensweise des Child Protective Services. Intake ist: „[...] one of the most important decision-making points in the child welfare delivery system.“ (Pecora et. al. 2006, S. 145) Der Sozialarbeiter bildet sich ein Urteil über die Lebensumstände des Kindes, das emotionale Befinden der Eltern und des Kindes, den Schweregrad der Verletzung, die Sicherheit des Kindes und das zukünftige Risiko einer erneuten Misshandlung oder Vernachlässigung. Die Bewertung und Beurteilung muss in Übereinstimmung mit den Untersuchungstandards des Wisconsin Department of Health and Family Services erfolgen (vgl. Wisconsin Model Implementation, S. 2). Ist eine Involvierung des Child Protective Services notwendig, wird der Fall an so genannte Ongoing Social Worker (Hauptbezugs-Sozialarbeiter) weitergeleitet, die Family Engagement and Assessment durchführen. Family Engagement (Einbeziehung der Familie) and Assessment (Einschätzung): In der Phase Family Engagement besteht die Hauptaufgabe des Ongoing Social Worker darin, eine Beziehung zu der Familie aufzubauen. Diese ist wichtig, um eine Veränderung der Familiensituation zu unterstützen, die Familie in die weitere Planung zu integrieren und Familien mit der Angliederung an Ressourcen zu helfen (vgl. ebd., S. 4). Der Ongoing Social Worker arbeitet mit der Familie und dem Kind und ist bis zur Schließung des Falles involviert. Frau Plummer ist ein Ongoing Social Worker und hat die Verantwortung für 15 Familien, mit denen sie sich bis zu zweimal im Monat trifft. Wenn das Kind fremdplatziert ist, muss sie sich regelmäßig mit den Pflegeeltern, dem Kind und den Herkunftseltern treffen. Ihre Haupttätigkeit richtet sich jedoch auf die Sicherstellung des Wohls und den Schutz des Kindes sowie die Verbesserung der Verhältnisse in der Herkunftsfamilie. Sie bezeichnet Ongoing Social Worker als ‚the family‘s social worker‘. Sie sind sehr in das Leben ihrer Familie involviert sind und wissen über Vorgänge in der Familie Bescheid. 3. Der Prozess der Rückführung 42 In dieser Phase ist ein Angebot von allen möglichen Lösungen für das Kind unabdingbar. Der Möglichkeiten des Verbleibs des Kindes müssen individuell festgelegt werden. Hierbei stehen mehrere Alternativen zur Auswahl, z.B. Verbleib des Kindes in der Herkunftsfamilie, Reunification, Adoption. Das weitere Vorgehen und die Ziele werden in einem Hilfeplan mit den benötigten Hilfsmitteln und Ressourcen festgehalten (vgl. ebd., S. 6). Case Planning (Hilfeplanung) und Case Progress Evaluation (Evaluation der Fortschritt): In diesem Vorgang werden jeweils individuelle Pläne für die einzelne Familie entworfen und der Verlauf und Fortschritt der Entwicklung der Familie evaluiert, gemessen und dokumentiert (vgl. ebd., S. 6). Final Family Assessment and Case Closure: Final Family Assessment and Case Closure ist der letzte Schritt. Diese Phase beinhaltet eine letzte Beurteilung der Familiensituation und die Abschließung des Falles (vgl. ebd., S. 6). Inwieweit der genaue Ablauf des Reunification Prozesses in den allgemeinen Ablauf des Child Welfare Systems hineinspielt wird im folgenden Abschnitt beschrieben. Des Weiteren erfolgt eine detailliert Darstellung der Vorgänge im Reunification Prozess. 3.3 Der Reunification Prozess Reunification wird in der Phase von Family Engagement and Assessment als eine mögliche Option festgestellt. In einer Befragung von Mitarbeitern der Jugendfürsorge erfährt Westat14 et. al. (2001), dass Reunification häufig als die erste Option für Kinder angestrebt wird (Chapter 3, 3). Im Jahr 2005 ist für 262.706 Pflegekinder die Rückführung vorgesehen, dieses entspricht einem prozentualen Anteil von 51% (vgl. U.S. Department of Health and Human Services et. al. 2005). 14 Westat ist ein eigenständiges Forschungsinstitut, die im Auftrag der us-amerikanischen Regierung, sowie im Auftrag von Firmen und Stiftungen handelt (vgl. Westat, 2007). 3. Der Prozess der Rückführung 43 Der genaue Ablauf, die Vorgehensweisen und die Voraussetzungen für Reunification werden in der Phase der Hilfeplanung bestimmt. Dort sind unter anderem auch die gerichtlich festgelegten Bedingungen und Auflagen enthalten. Die Erfüllung und Einhaltung der Auflagen des Gerichtes sind die Voraussetzung für die Bewilligung der Rückführung des Kindes. Das Gericht sieht in den meisten Fällen eine Nichterfüllung der Bedingungen als die Unfähigkeit zur Elternschaft oder als die fehlende Bereitschaft zur Elternschaft an (vgl. Reich 2005, S. 225). Der erste Schritt in die Richtung der Rückführung des Kindes ist die Erhaltung von einem zeitlich befristeten Reunification Service (vgl. ebd., S. 122). „Reunification services are limited to 15 months, beginning on the date the child enters out-of-home placement. Services may include (a) individual, group, and family counseling; (b) substance abuse treatment [...] 15“(Humphrey et. al. 2006, S. 114). Basierend auf der Empfehlung und dem Bericht des Sozialarbeiters über den Fortschritt der Herkunftseltern trifft der Richter die Entscheidung über die gelungene Rehabilitation der Eltern und die eigentliche Rückführung kann durch langsame Steigerung der Besuchszeiten beginnen (vgl. Reich 2005, S. 222). Die konkrete Reunification Arbeit wird je nach Bundesstaat und Vorgehensweisen in den verschiedenen Bezirken von unterschiedlichen, speziellen Einheiten oder privaten Sozialeinrichtungen oder von den Ongoing Social Worker selbst übernommen. Grundsätzlich wird in traditionelle Reunification Arbeit und intensive, spezifische Reunification Programme unterschieden. „Some agencies have implemented intensive reunification programs within their foster care units. [...] smaller caseloads and flexible funding to provide additional services to the birth family to return children home more quickly.“ (Westat et. al. 2001, Chapter 2, 2.3) Die unterschiedlichen Arbeitsweisen und Reunification Programme werden in Kapitel 5 näher erläutert. Im Folgenden gehe ich auf die Phasen ein, die während eines Reunification Prozess durchlaufen werden. In dem Artikel „Believing in Families“ von Zamosky et. al. (1993) werden die Phasen ausführlich beschrieben. Die Autoren beschreiben Reunification als einen komplizierten Prozess, der eine gewisse Strukturierung braucht, um die Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Für sie besteht der Reunification Prozess aus drei Phasen, die fließend ineinander übergehen. Jede Phase spielt bis zum Abschluss von Reunification 15 42 U.S.C. Sect. 629a(a)(7)(B), (2000) 44 3. Der Prozess der Rückführung eine wichtige Rolle. Die Phasen enthalten jeweils wichtige Elemente, auf die der Schwerpunkt gelegt werden sollte (vgl. S. 166). Erste Phase: Bridging Die erste Phase bezeichnen sie als Bridging, in der eine Brücke zwischen der Pflegefamilie und der Herkunftsfamilie geschlagen werden soll. Der verantwortliche Sozialarbeiter trifft sich zunächst einmal mit beiden Familien unabhängig voneinander. Dann arrangiert er einige Treffen mit beiden Familien zusammen und schafft die Grundlage für die Entstehung einer Beziehung zwischen ihnen. Es soll ein Informationsaustausch zwischen den Familien stattfinden. Anfangs kann der Sozialarbeiter als Vermittler fungieren, aber zur gegebenen Zeit sollte er in den Hintergrund treten, damit die Familien selbstständig miteinander kommunizieren (vgl. Zamosky et. al. 1993, S. 167 f). Frau Plummer beschreibt die Wichtigkeit einer positiven Verbindung von Herkunftseltern und Pflegeeltern: „And hopefully if you are doing good social work, you’re [...] working with all of these parties together and trying to really build a support system around this child and get the biological parents and the foster parents working together to support the child [...]I think that some social workers are better than others at facilitating that relationship between foster parents and biological parents. But I think it is pretty critical and it leads to better outcomes for children, when you have foster parents and bio-parents working together and not against each other.“ Die Beziehung und der Kommunikationsaustausch zwischen den Familien dienen auch der weiteren Beteiligung der Herkunftseltern am alltäglichen Leben und der Entwicklung des Kindes. Die Entwicklung des Kindes schreitet auch in der Fremdplatzierung voran; ein Kleinkind erlernt das Laufen, ein Schulkinder das Schreiben. Diese Entwicklungsschritte des Kindes sollen aufgrund fehlender Anwesenheit der Herkunftseltern nicht verloren gehen, sondern von den Pflegeeltern festgehalten und mit den Herkunftseltern geteilt werden. Das Kind sollte auch über die Vorgänge in seiner Herkunftsfamilie informiert sein und trotz der räumlichen Trennung das Gefühl haben, ein Teil des Lebens und Alltags der leiblichen Eltern zu sein. Ein regelmäßiger Kommunikationsaustausch soll außerdem zur Weitergabe von Erziehungsstrategien genutzt werden. Die Pflegeeltern entdecken z.B. eine Strategie, mit der sie erfolgreich mit dem Verhalten des Kindes umgehen können. Diese wichtige Information sollte der Herkunftsfamilie mitgeteilt werden, damit sie diese 3. Der Prozess der Rückführung 45 Vorgehensweise erlernen kann und später selbst im Umgang mit dem Kind anwenden können (vgl. Zamosky et. al. 1993, S. 167 f). In einem Pflegeverhältnis, indem eine Beziehung zu den Herkunftseltern aufgebaut wird, kann das Kind seine Gefühle frei ausdrücken, ohne die Befürchtung haben zu müssen, sich seinen beiden Familien gegenüber nicht loyal zu verhalten. Im Idealfall wird eine Pflegefamilie auch nach der Rückführung eine bleibende Ressource für die Herkunftsfamilie (vgl. ebd., S. 167 f). Zweite Phase: Opening Die zweite Phase des Reunification Prozesses beschäftigt sich mit der Bereitschaft der Aufnahme des Kindes in die Herkunftsfamilie und wird Opening (Öffnung) genannt. Nach der Herausnahme des Kindes verändert sich der Alltag der Herkunftsfamilie erheblich und die Rolle, die das Kind in der Familie übernommen hat, fällt weg oder wird möglicherweise durch ein Geschwisterkind ersetzt. Die Systemtheorie besagt, dass die Familie immer ein Gleichgewicht, eine ‚Homöostase‘ anstrebt und die Familie sich nach der Herausnahme des Kindes neu anordnet. Kommt das Kind nun wieder in die Familie zurück, muss zunächst eine Öffnung der Familie für die Rückkehr stattfinden. Gemeinsam wird festgestellt, was verändert werden muss, um Platz für das Kind in der Familie zu schaffen. Auf der physischen Ebene kann dies durch die Bereitstellung eines Bettes oder Zimmers für das Kind geschehen. Das Kind muss auch auf der psychologischen Ebene wieder in die Familie integriert werden und das Familienbild, die Alltagsroutine ändern sich erneut. Dabei können Familientreffen helfen, auf denen die Sorgen, Ängste, Hoffnungen und Erwartungen bzgl. der Rückkehr des Kindes angesprochen werden können (vgl. ebd., S. 169 f). Dritte Phase: Building Die dritte Phase setzt nach der Rückkehr des Kindes ein. Sie wird von den Autoren als Building (Aufbau) bezeichnet. Zu Beginn der Rückkehr des Kindes wird meistens eine erste Zeit erlebt, die von Harmonie und wenigen Auseinandersetzungen geprägt ist. Eltern und Kind freuen sich über die Wiedervereinigung. Sie strengen sich besonders an und zeigen sich von ihrer besten Seite (vgl. ebd., S. 170 f). 46 3. Der Prozess der Rückführung Das Building gilt dem Aufbau und der Stärkung der Beziehung und Bindung der Familienmitglieder untereinander. Sie erlernen, dass schwierige wie auch schöne Zeiten zum Familienleben dazugehören. Streit und Versöhnung tragen zum Wachstum und der Weiterentwicklung von Beziehungen bei, ebenso wie die gemeinsame Problembewältigung. Wichtig sind auch hier regelmäßige Familienbesprechungen, in denen unter anderem die Verhaltensregeln geklärt werden können. Außerdem bieten sie Raum für das Teilen von außerfamiliären Erfahrungen, z.B. ein erfolgreiches Erlebnis in der Schule oder am Arbeitsplatz. Nicht nur die Besprechung von Gefühlen und Problemen ist wichtig, sondern die Familie soll ein Angebot an Möglichkeiten haben, eine entspannte Zeit mit Spaß und Freude zu erleben. „Having a relaxed, fun time together strengthens the family bond.“ (Zamosky et. al. 1993, S. 174) Die von Zamosky et. al. beschriebenen Phasen beziehen sich auf die unmittelbar bevorstehende Rückführung des Kindes. Die Autoren gehen bereits davon aus, dass im Vorfeld die Voraussetzungen für die Rückführung des Kindes geschaffen wurden, z.B. durch die Arbeit mit den Herkunftseltern an ihren Problemen. Außerdem werden Teilaspekte dieser Phasen bereits zu Beginn der Fremdplatzierung angestrebt, unabhängig von einer geplanten Rückführung, denn der Aufbau einer Beziehung zwischen Herkunftseltern und Pflegeeltern ist generell wichtig und findet auch statt, wenn eine Rückführung des Kindes nicht in Aussicht gestellt wird. Der Prozess zu einer möglichen Rückführung, die Gerichtsverhandlungen und die eigentliche Rückkehr in die Herkunftsfamilie bedingen sich gegenseitig und laufen auch parallel zueinander ab. Der Reunification Prozess ist kein klarer, linear ablaufender Prozess, sondern es können z.B. Rückentwicklungen stattfinden (vgl. ebd., S. 166) und er wird von einer Reihe von interner und externer Bedingungen beeinflusst, auf die im folgenden Absatz eingegangen wird. 3.4 Faktoren, die Reunification beeinflussen Von großer Bedeutung für den Reunification Prozess ist das Wissen über die Zeit und die Geduld, die erforderlich ist, damit die Beteiligten sich auf die bevorstehenden Umstellungen einlassen können. 47 3. Der Prozess der Rückführung Allgemein werden für Pecora et. al. (2006) die im Pflegekinderwesen zu treffenden Entscheidungen nicht nur durch Gesetze und Richtlinien beeinflusst, sondern es gibt eine Reihe an spezifischer Faktoren, wie z.B. die Verfügbarkeit von Pflegestellen oder Ressourcen, die zu einer Erhaltung der Familie beitragen, die Einstellung des Richters gegenüber Fremdplatzierung und die Werte der Jugendfürsorge. Diese wichtige Erkenntnis fordert nicht nur eine Zusammenarbeit des Pflegekinderwesens und der leiblichen Eltern, sondern es muss auch eine aktive Zusammenarbeit von sozialen Einrichtungen, Sozialarbeitern, Richtern, Anwälten und Familien geben, um besser im Sinne des Kindes und seiner Familie handeln zu können (vgl. S. 303). Die Autoren Chenot und Reifel (2005) entwickeln durch eine umfassende Zusammentragung von mehreren Studien ein Modell, welches verschiedene Risiko- und Schutzfaktoren für Reunification beschreibt. Die Autoren teilen die Faktoren, die einen Einfluss auf Reunification haben, in drei Kategorien auf: - Individuelle Faktoren - Familiäre Faktoren - Umgebungsbedingte Faktoren Individuelle Faktoren Zu den individuellen Risikofaktoren gehört unter anderem das Alter des Kindes. In vielen Studien wird ein Zusammenhang zwischen dem Alter des Kindes und dem Erfolg von Reunification gesehen. Beispielsweise belegen die Studien von Festinger (1996) und Well & Guo (1999), dass ältere Kinder häufiger als jüngere Kinder in das Pflegekinderwesen zurückkehren. Kinder mit Verhaltensproblemen, Lernschwierigkeiten oder physischer wie geistiger Behinderung haben in den Studien von Cortney (1995) und Wells & Guo (1999) einen längeren Aufenthalt im Pflegekinderwesen und kehren auch häufiger in das Pflegekinderwesen zurück (vgl. Chenot & Reifel 2005, S. 237). Schutzfaktoren der individuellen Ebene sind z. B. das Gefühl der Kontrolle, die Fähigkeit mit negativen Erlebnissen umzugehen und Charaktereigenschaften wie Intelligenz, z.B. Studie von Fraser & Richman (1999) und Optimismus z.B. Henry (1999) (vgl. Chenot & Reifel 2005, S. 238). 3. Der Prozess der Rückführung 48 Familiäre Faktoren Im familiären Bereich ist die Art der Fremdplatzierung, z.B. Kinship Care oder Foster Care, der Grund für die Herausnahme und die Art der Probleme der Herkunftsfamilie, z.B. Drogenprobleme von Bedeutung. Festinger belegt z.B. in seiner Studie von 1996, dass bei Kindern, deren Eltern eine geistige Krankheit, wenig soziale Kontakte oder ein großes Bedürfnis an Hilfsangeboten haben, die Rückführung langsamer und häufig erfolglos ist (vgl. ebd., S. 239). Die Wahrscheinlichkeit von Reunification wird auch von der Familienstruktur beeinflusst. Die Studien von Fein (1993) und Harris (1999) weisen eine geringere Wahrscheinlichkeit der Rückführung von Kindern mit einem Elternteil, im Gegensatz zu Kindern mit beiden Elternteilen, auf (vgl. Brook & McDonald 2007, S. 665). Familiäre Schutzfaktoren sind eine sichere Eltern-Kind-Bindung, Flexibilität in der Familie und effektive Kommunikation innerhalb der Familie. Patterson stellt in einer Studie von 2002 einige familiäre Bedingungen fest, die zum Schutz in Notsituationen dienen. Darunter fallen z.B. die Kommunikation innerhalb der Familie und die Fähigkeit der Familie, gezielt Konflikte zu bewältigen (vgl. Chenot & Reifel 2005, S. 239). Umgebungsbedingte Faktoren Zu den umgebungsbedingten Risikofaktoren zählen unter anderem die Dauer der Fremdplatzierung, häufiger Wechsel der Fremdunterbringung und eine unangemessene Wohnumgebung. Die Studien von Courtney (1995) und Wells & Guo (1999) zeigen einen Zusammenhang zwischen dem häufigen Wechsel der Pflegefamilie und dem Erfolg von Reunification auf. Der häufige Wechsel der Pflegefamilie erhöht das Risiko einer erneuten Herausnahme des Kindes aus der Herkunftsfamilie (vgl. Chenot & Reifel 2005, S. 239). Der Zugang zum Gesundheitswesen, zu sozialen Unterstützungsprogrammen, zur Bildung und zu unterstützenden Personen außerhalb der Familie sind Kriterien, die das Risiko einer erneuten Fremdplatzierung mindern. „Clearly these environmental conditions can act as protective factors, which in turn can increase the chances of successful reunification.“ (ebd., S. 240) 49 3. Der Prozess der Rückführung Zusammengefasst sind die wichtigsten Faktoren, die Reunification und damit auch den Erfolg von Reunification beeinflussen, die Arbeit mit den Herkunftseltern, die Aufrechterhaltung der Beziehung von Eltern und Kind, der Aufbau einer Beziehung zwischen Pflegefamilie und Herkunftsfamilie, die enge Zusammenarbeit und Kommunikation aller am Reunification Prozess Beteiligten und die ausreichende Verfügbarkeit an finanziellen Mitteln zur Unterstützung der Familien. Ebenso wichtig ist die Ausbildung qualifizierter Mitarbeiter und die Weiterentwicklung von Reunification Programmen und Arbeitsweisen. In diesem Kapitel wird deutlich, dass die Abläufe im Pflegekinderwesen sehr komplex sind und von vielen Faktoren bedingt werden, der gesetzlichen Lage z.B., den Gerichtsanhörungen und den Arbeitsabläufen der sozialen Einrichtung. Von wesentlicher Bedeutung ist im us-amerikanischen Pflegekinderwesen die Aufspaltung von Sozialarbeit in ‚Intake‘ und ‚Ongoing‘ -Abteilungen. Dabei ist eine Gruppe von Sozialarbeitern (Intake) für die Untersuchung und das Sammeln von Beweisen zuständig und trifft in den meisten Fällen die Entscheidung über eine Herausnahme des Kindes, während eine andere Gruppe von Sozialarbeitern (Ongoing) mit den Eltern eine Beziehung aufbauen und ihnen dabei hilft, die gerichtlichen Bedingungen für eine Rückführung des Kindes zu erfüllen. Mit dieser Arbeitsaufteilung wird die Herausnahme des Kindes zwar noch mit der Institution identifiziert, aber nicht unbedingt mit der Person. Die Sozialarbeiter, die mit den leiblichen Eltern eine Beziehung aufbauen und mit ihnen zusammen arbeiten, sind nicht die gleichen, die Beweise gesammelt und unangenehme Fragen gestellt haben. Diese Tatsache gestaltet den Aufbau einer Beziehung zu den Herkunftseltern einfacher und da die Beziehung zwischen Sozialarbeiter und Herkunftseltern die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ist, wird somit auch die Reunification Arbeit etwas erleichtert. Auf die genauen Voraussetzungen und die wichtigsten Kompetenzen, die Sozialarbeiter in der Zusammenarbeit mit den Herkunftseltern benötigen, werde ich im nachfolgenden Kapitel schildern. 50 4. Die Herkunftseltern 4. Die Herkunftseltern 4.1 Der Blick auf die Herkunftseltern 4.1.1 Die Probleme der Herkunftseltern Die Probleme der leiblichen Eltern beeinträchtigen sowohl das Verhalten gegenüber ihren Kindern als auch ihre Fähigkeit, eine angemessene Versorgung sicherzustellen. Nehmen die Probleme überhand und gefährden die Sicherheit und das Wohl des Kindes, tritt das Kind hauptsächlich aus Gründen der Vernachlässigung und Misshandlung in das Pflegekinderwesen ein (vgl. Berrick 1998 nach Pecora 2006, S. 306). Aktuellen Angaben über die Anzahl der Kinder, die sich aufgrund von Vernachlässigung und Misshandlung im Pflegekinderwesen befinden, liegen der Verfasserin nicht vor, so dass lediglich allgemeine Angaben über Fälle, in denen der Child Protective Services involviert ist, gemacht werden können. Die Abteilung für Familien und Kinder (ACF) bestätigte eine Zahl von 2.176.425 Verdachtsfällen von Kindesmisshandlung und Vernachlässigung im Jahr 2005 bei den Child Protective Services der USA (vgl. ACF 2005, Child Maltreatment Table 2-1). In 61,2 % der Fälle wurde dem Verdacht nachgegangen. In 483.695 der Fällen konnte der Verdacht auf konkrete Beweise gestützt werden und die Weiterleitung des Falles an die Ongoing Unit wurde veranlasst (vgl. ACF 2005, Child Maltreatment Table 2-3). Im Child Protective Services befanden sich 2005 insgesamt 551.631 Kinder aufgrund von Vernachlässigung, 144.195 Kinder wegen körperlicher Misshandlung, 81.940 Kinder wurden sexuell missbraucht und 17.324 Kindern wurde keine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet. Den größten Anteil machte die Involvierung des Child Protective Services aufgrund von Vernachlässigung (63,4 %) aus. Hierbei ist zu beachten, dass häufig eine Einbindung des Child Protective Services aus mehreren Gründen, z.B. Vernachlässigung und körperlichem Missbrauch, besteht (vgl. ACF 2005, Child Maltreatment Table 3-10). 51 4. Die Herkunftseltern Wichtig für die Arbeit mit den Herkunftseltern ist nicht nur die verbindliche Teilnahme an Elterntrainingsprogrammen und Anti-Aggressionstraining anzuordnen, sondern die Ursachen, die eine Vernachlässigung oder Misshandlung ausgelöst haben zu erforschen und ihnen entgegenzuwirken. Die Eltern stehen z.B. unter einem ständigen Druck, ihre Existenz sichern zu müssen und ihre finanzielle Lage erlaubt es nicht, eine angemessene Grundversorgung ihrer Kinder sicherstellen zu können. Die Autoren Chipungu und BentGoodley (2004) beschreiben Armut als einen der größten Risikofaktoren für den Eintritt in das Pflegekinderwesen (vgl. S. 80). Die zunehmende Armut in den USA bedingt andere Faktoren, z.B. schlechter Zugang zur Bildung, schlechte Wohnumgebung, Obdachlosigkeit und schlechter Gesundheitszustand. Dadurch entstehen in den Familien komplexe Problemlagen, die sie oft nicht ohne Hilfe von außen bewältigen können. Bleibt diese Hilfe aus, entstehen Stresssituationen, denen z.B. mit einer Flucht in eine Sucht begegnet wird und die Bedürfnisse der Kinder, geraten immer mehr in den Hintergrund. Für die Autorin Hartman (1990) werden viele Familien durch Armut, schlechten Zugang zur Bildung, Arbeitslosigkeit, schlechte Wohnumgebung, Suchtkrankheiten und häusliche Gewalt zerstört (vgl. S. xxi). Die Autoren Pecora et. al. (2006) beschreiben ausführlich, was unter Kindesmisshandlung und Vernachlässigung zu verstehen ist und gehen auf die Ursachen, die eine Misshandlung hervorrufen können, ein. Sie verstehen unter körperlicher Misshandlung die absichtliche Verletzung des Kindes durch die Eltern oder andere Personen, die im Haushalt leben. Welchen Schweregrad die Verletzung aufweisen muss, um als Misshandlung zu gelten, hängt vom gesellschaftlichen Kontext ab, und jeder Bundesstaat hat eine eigene Definition (vgl. S. 152). Um das Verständnis von Vernachlässigung zu erörtern, greifen Pecora et. al. (2006) auf eine Definition der Autoren Polansky, Hall & Polansky (1975) zurück. Für sie besteht Vernachlässigung aus der Unfähigkeit der Eltern, dem Kind die wesentlichen Dinge für eine gesunde, körperliche, geistige und emotionale Entwicklung zu bieten. Die Eltern sind entweder nicht in der Lage, die Grundbedürfnisse des Kindes zu erfüllen oder sie weigern sich (vgl. zit. n. Pecora et. al. 2006, S. 196). Die Gründe für die Vernachlässigung sind vielfältig und der Autor Wolfe (1993) kann drei Stufen, die zu einer Vernachlässigung oder Misshandlung führen, erkennen. Zunächst einmal haben Eltern eine niedrigere Toleranzschwelle und sind anfälliger für Stress, 52 4. Die Herkunftseltern Frustrationen und Aggressionen. Diese Stufe ist davon beeinflusst, inwieweit die Eltern sich auf ihre Elternrolle und die damit verbundenen Pflichten und Einschränkungen einstellen konnten bzw. sich darauf vorbereitet fühlten. In der zweiten Stufe erleben sich die Eltern als schlecht im Umgang mit akuten Stresssituationen, Krisen und Provokation. Eltern, die ihre Kinder vernachlässigen, beginnen die Meidung der Kinder als Bewältigungsstrategie für Krisen anzusehen. Die Meidung der Kinder als Lösungsstrategie wird zu einer Gewohnheit und macht die dritte Stufe aus. Eltern, die ihre Kinder vernachlässigen, fühlen sich meistens in ihrer Elternrolle gefangen, eingeengt und fühlen sich den Anforderungen nicht gewachsen (vgl. nach Pecora et. al. 2006, 199). Eltern, die ihre Kinder körperlich misshandeln, haben oft eine falsche Erwartungshaltung gegenüber den Aufgaben, die Kinder erfüllen können. Dies beruht auf einem mangelnden Wissen über die Entwicklung des Kindes und die Versorgung, die ein Kind braucht. In vielen Fällen waren die Eltern in ihrer Kindheit selbst Opfer von Gewalt oder Misshandlungen (vgl. Pecora et. al. 2006, S. 156). Des Weiteren stellte die Studie von Nelson und seinen Kollegen (1993) ein Suchtproblem bei etwa einem Drittel der Eltern, die ihre Kinder vernachlässigt haben, fest (vgl. nach Pecora et. al. 2006, S. 199). Insgesamt bleibt festzustellen dass viele Eltern, deren Kinder sich im Pflegekinderwesen befinden, aufgrund ihrer finanziellen Lage einer andauernden, präsenten Stresssituation ausgesetzt sind. Selbstverständlich ist ein hoher Anteil der Kinder von Alleinerziehenden im Pflegekinderwesen (vgl. Plamer 1995, S. 70). Die Familien sind von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen und können eine ausreichende Versorgung ihrer Kinder nicht sicherstellen. Zusätzlich haben sie einen schlechten Bildungsstand und wissen oft gar nicht, was Kinder brauchen und wie sie sich kindgerecht verhalten können. Das Wissen über die Gründe ist wichtig, damit die Herkunftseltern aus einer anderen Sichtweise betrachtet werden können. Um das Bild der Herkunftsfamilie zu vervollständigen, werde ich im folgenden Abschnitt auf die Gefühle der Herkunftseltern eingehen, die bei der Herausnahme des Kindes und in der Zusammenarbeit mit der Jugendfürsorge entstehen können. 4. Die Herkunftseltern 4.1.2 53 Die Gefühle der Herkunftseltern Die Autoren Zamosky et. al. berichten in ihrem Artikel „Beliving in Families“ (1993) über die Gefühle der leiblichen Eltern, die bei der Reunification Arbeit auftreten können. Die Eltern empfinden sich als Versager. „ [...] their child’s removal from their care was a clear message that they were not getting the job done.“ (Zamosky et. al. 1993, S. 164) Dieses Gefühl kann die Eltern entmutigen und sie davon abhalten ihre Kinder zu besuchen, was wiederum den Reunification Prozess verzögern würde. Mit dem Gefühl des Versagens geht ein niedriges Selbstbewusstsein einher. Eltern, die das Gefühl haben, ihre Kinder im Stich gelassen zu haben, werden Schwierigkeiten haben, ihren Instinkten und Fähigkeiten in der Versorgung ihrer Kinder zu vertrauen. Sie haben den Eindruck, dass ihre Kinder eine bessere Versorgung unter der Obhut der Pflegeeltern erhalten. In den meisten Fällen sind die Pflegeeltern auch finanziell wesentlich besser gestellt als die Herkunftseltern. Diese fühlen sich einem großen Druck ausgesetzt und haben große Angst einen Fehler zu machen. Während des Besuchskontaktes kann es vorkommen, dass die Eltern so unsicher im Umgang mit ihren Kindern sind, dass sie den Sozialarbeiter ständig nach seiner Meinung fragen und jede kleine Entscheidung mit ihm abklären (vgl. ebd., S. 164). Diese Unsicherheit und ständige Rückversicherung bei dem Sozialarbeiter konnte ich auch bei der Mutter aus meinem Fallbeispiel (vgl. Kapitel 6) während ihres zweistündigen Besuchskontaktes mit ihren Kindern beobachten. Diese Unsicherheit muss aber nichts Schlechtes bedeuten. Sie wird von den Sozialarbeitern genutzt, die Eltern anzuregen, ihnen ihr Vorhaben zu schildern. Nach der Bestätigung der Richtigkeit der Vorgehensweise wurde die Mutter bei der Umsetzung angeleitet. Diese Bestätigung von außen hilft den Eltern beim Aufbau eines neuen Selbstbewusstseins, gibt ihnen Rückhalt und nimmt ihnen die Angst, gravierende Fehler zu machen. Mit fortschreitendem Reunification Prozess sollte sich die Unsicherheit der Eltern verringern, so dass sie mehr und mehr ihren eigenen Entscheidungen vertrauen lernen, auch ohne die Bestätigung von außen. Ein anderes Gefühl, welches oft während der Arbeit mit den Herkunftseltern auftaucht, ist Wut. Die Wut kann sich gegen das Kind, sich selbst, den Sozialarbeiter oder gegen die Jugendfürsorge richten (vgl. Zamosky et. al. 1993, S. 165). 4. Die Herkunftseltern 54 Manche Eltern verweigern die Zusammenarbeit mit Sozialarbeitern in einem bestimmten Bezirk oder von einer Einrichtung. Unter bestimmten Umständen kann ein Bezirkswechsel den Willen und die Motivation zur Zusammenarbeit positiv beeinflussen. So stellte sich z.B. in einem Interview mit Mutter M. heraus, dass sie die Sozialarbeiter in einem bestimmten Bezirk in Wisconsin für die, ihrer Meinung nach, ungerechtfertigte Herausnahme ihrer Kinder verantwortlich machte. Eine Zusammenarbeit war aus diesem Grund unmöglich. Die Kinder sollten zur Adoption freigegeben werden. Durch einen Umzug änderte sich der für sie zuständige Bezirk und Jefferson County wurde nach Übergabe des Falls für Mutter M. verantwortlich. Da die Mutter bereits einen Sündenbock für die Wegnahme ihrer Kinder hatte, konnte sie die Sozialarbeiter aus Jefferson County akzeptieren und die Mitarbeit der Mutter verlief, nach Aussagen von Frau Bowers, der zuständigen Sozialarbeiterin in Jefferson County, problemlos. Die Zusammenarbeit war erfolgreich und die Kinder konnten nach einiger Zeit zu ihrer Mutter zurückkehren. An diesem Beispiel wird deutlich, wie sehr Wut den Vorgang von Reunification selbst und die Möglichkeit der Rückführung beeinflussen kann. Die Verweigerung der Mitarbeit von Mutter M. hatte, meiner Meinung nach, nichts mit ihrer Unfähigkeit als Mutter zu tun oder dem Unwillen, ihre Kinder wiederzubekommen. Sie konnte einfach nicht ihre Wut unter Kontrolle bekommen und über diese hinwegsehen. Ein Sozialarbeiter, der die Gefühle der Herkunftseltern kennt, wird ihre Reaktion immer hinterfragen und nicht nur das Ereignis an sich betrachten. Er wird es zum Beispiel nicht als fehlendes Interesse interpretieren, wenn die Eltern nicht mehr auf seinen Anruf reagieren, sondern sich fragen, ob er die Eltern vielleicht persönlich verärgert hat oder sie allgemein auf die Jugendfürsorge wütend sind. Die Wut auf die Jugendfürsorge kann sich auch in einem Misstrauen gegenüber dem System ausweiten. Es tritt besonders auf, wenn eine Fremdplatzierung des Kindes schon lange besteht und die Eltern denken, dass sie schon genug ertragen, verändert und an sich gearbeitet haben. Bei ihnen besteht nach der Rückführung des Kindes, die Gefahr der Verschließung gegenüber der Jugendfürsorge, weil sie eine erneute Herausnahme des Kindes befürchten (vgl. ebd., S. 165). 55 4. Die Herkunftseltern In einem anderen Interview wird mir von Mutter P. ihr schlimmstes Erlebnis während der Fremdplatzierung ihrer Kinder erzählt. Sie hat zwei Kinder, die zum Zeitpunkt der Fremdplatzierung 15 Monate und 4 Jahre alt. Das schlimmste Gefühl, das sie erlebte, wurde von ihrer kleinen Tochter (15 Monate) ausgelöst, als diese anfing ihre Pflegemutter als „Mum“ zu bezeichnen. Das Gefühlschaos, das damals in ihr ausgelöst wurde, ist für sie heute noch sehr präsent und man konnte an ihrer Stimmlage erkennen, dass ihr dieses Erlebnis noch sehr nahe ging. Das Verstehen und die Rücksichtnahme auf die Gefühle der Herkunftsfamilie sind wesentlich für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Werden die Herkunftseltern als schlechte Menschen angesehen, die ihre Kinder nicht lieben, ist eine Zusammenarbeit mit ihnen unmöglich und das Ziel der Rückführung wäre absurd. Insgesamt ist eine vorurteilsfreie Betrachtungsweise der Herkunftseltern erforderlich, in der sie nicht als schlechte, unwürdige Menschen gesehen werden, sondern als Familie, die mit einem schlechten Gesundheitszustand, Suchtproblemen, Kriminalität, schlechten Wohnverhältnissen und fehlendem Wissen über eine angemessene Versorgung und Erziehung von Kindern zu kämpfen hat. Im Dance County Human Services wird folgendes Bild an die Pflegeeltern vermittelt: „Parents who maltreat their children may in fact, love their children dearly but cannot cope with circumstances or do not know how to parent successfully.“ (Preservice, Institute for Human Services 2000, S. 6) 4.2 Die Arbeit mit den Herkunftseltern im Reunification Prozess 4.2.1 Die Hauptaufgaben der Sozialarbeit Die Hauptaufgaben der Sozialarbeiter setzen sich aus drei Komponenten zusammen, deren Ausführung den Reunification Prozess erheblich beeinflusst. Es handelt sich dabei um Family Engagement, Assessment and Case Planning, und Service Delivery (Vermittlung von Hilfen) (vgl. Child Welfare Information Gateway 2006). Alle Aufgabenbereiche nehmen zu allen Phasen des Reunification Prozesses eine wichtige Funktion ein. 4. Die Herkunftseltern 56 Family Engagement Family Engagement besteht aus der Beziehung des zuständigen Sozialarbeiters zur Herkunftsfamilie, dem Kontakt zwischen Kind und Herkunftseltern und der Beteiligung der Pflegeeltern am Reunification Prozess (vgl. ebd.). Viele Autoren, z.B. Hollis & Woods 1981, Shulman 1984, beschreiben die Wichtigkeit, auf den Klienten einzugehen, ihn als Person mit eigenen Gefühlen anzuerkennen und mit ihm eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Spezielle Methoden können dabei behilflich sein, wie z.B. aktives Zuhören, Empathie und ein respektvoller Umgang (vgl. nach Maluccio, Fein & Olmstead 1986, S. 111). Assessment and Case Planning Die Planung und Festlegung der Ziele ist ein Produkt und ein Prozess zugleich, der unter der Einbeziehung der leiblichen Eltern vollzogen wird. Denn die Beteiligung der Herkunftseltern gibt ihnen ein besseres Verständnis von den Vorgängen und Änderungen, die für die Option der Rückkehr des Kindes erfolgen müssen (vgl. Maluccio, Fein & Olmstead 1986, S. 11). Außerdem wird ihnen dadurch das Gefühl des Ausgeliefertseins und der Hilflosigkeit genommen und eine aktive Mitarbeit in der Problembewältigung wird gefördert. „Unless they believe that they have some power in the decision-making process, it is unlikely that they will mobilize themselves to make changes.“ (Maluccio, Fein & Olmstead 1986, S. 145) Service Delivery Die Jugendfürsorge bietet in den unterschiedlichsten Arbeitsfeldern professionelle Hilfe an, die Reunification unterstützen. Der Einsatz der Hilfen muss nach dem individuellen Bedarf der Familie gestaltet werden (vgl. Child Welfare Information Gateway 2006). Der Bereich der Sozialarbeit übernimmt Krisenintervention, Beratung, die Durchführung des Besuchskontakts zwischen Eltern und Kind, die professionelle Planung und Zielsetzung mit den Eltern zusammen und die Vorbereitung der Herkunftseltern auf die eigentliche Rückkehr des Kindes. Im klinischen Bereich werden Therapiemaßnahmen für Eltern und Kind angeboten; Familientherapie, Suchtbehandlung, Therapie bei häuslicher Gewalt. Es ist erforderlich, die Herkunftsfamilie im finanziellen Bereich zu unterstützen und den Zugang zu Sozialleistungen, zum Gesundheitswesen, zu einer angemessenen 4. Die Herkunftseltern 57 Wohnung, zu ermöglichen. Die Eltern erhalten gegebenenfalls eine Schuldnerberatung und Hilfe in der Haushaltsführung (vgl. Freundlich & Wright 2003, S. 61). Die konkrete Hilfe wird im us-amerikanischen Pflegekinderwesen häufig von den so genannten Family Support Worker geleistet. Sie machen mit den Eltern das Haus sauber und lehren sie die wesentlichen Regeln der Haushaltsführung. Außerdem begleiten sie die Eltern gegenfals bei Einkauf und übernehmen Fahrdienste. Die Family Support Worker stellen eine erhebliche Entlastung der Ongoing Social Worker dar, denn diese haben aufgrund der hohen Anzahl von zu betreuenden Familien, keine Zeit diese Art von Hilfe zu leisten. Elterntrainingsprogramme, in denen die Eltern die grundlegenden Dinge der Kindererziehung, der Bedürfnisse von Kindern und der Entwicklung von Kindern lernen und sich gleichzeitig mit anderen Eltern austauschen können, sind wichtige Hilfen. Besonders wichtig ist für die meisten Eltern, dass sie lernen, ihre Kinder in einem angemessenen Rahmen zu bestrafen, und konsequenter in der Erziehung zu werden, so dass ein bestimmtes Fehlverhalten der Kinder eine bestimmte Konsequenz nach sich zieht (vgl. ebd., S. 61). Wichtig ist, ein unterstützendes Netzwerk aufzubauen und der Herkunftsfamilie beim sozialen Anschluss in der unmittelbaren Umgebung behilflich zu sein. Viele Eltern haben wenig soziale Kompetenzen und sind isoliert. Sie erhalten somit keine Hilfe von außen (z.B. Freunde, Eltern) und fühlen sich einsam und überfordert. Der Anschluss an Gemeindezentren, mit Tageseinrichtungen für Kinder oder Selbsthilfegruppen kann der Anfang eines sozialen Netzwerkes sein (vgl. ebd., S. 61). Die Kompetenzen der Sozialarbeiter, die im nächsten Absatz geschildert werden richten sich nach den hier dargestellten Aufgabenbereichen. 4.2.2 Die Kompetenzen der Sozialarbeiter im Hinblick auf ihren Aufgabenbereich Sozialarbeiter müssen im Reunification Prozess einige spezielle Kompetenzen vorweisen. Vorweg ist zu sagen, dass neben den speziellen Kompetenzen auch eine Reihe von allgemeinen Kompetenzen wichtig sind, die generell in der Jugendfürsorge Anwendung finden. 4. Die Herkunftseltern 58 Die Autoren Pine, Warsh & Maluccio (1993) beschreiben einen Sozialarbeiter, der in der Reunification Arbeit tätig ist, mit den Worten: „In short, the competent family reunification practitioner is a specialist equipped with the full range of generic child welfare competencies as well as reunification-specific competencies.“ (S. 41) Bei den generellen Fähigkeiten handelt es sich unter anderem um kommunikative Kompetenzen, Hilfeplanung, Profiling, Evaluation, Intervention und die Beherrschung der verschiedenen Methoden der Beratung, z.B. Mediation (vgl. Pine, Warsh & Maluccio 1993, S. 40). Die besonderen Kenntnisse der Sozialarbeiter auf dem Gebiet der Reunification sind Kenntnisse in der Familientherapie, den Auswirkungen von Kindesmisshandlung und in der Gesetzeslage über Elternrechte und Kindeswohl. Ihre speziellen Kompetenzen richten sich nach den jeweils zu bewältigenden Aufgaben (vgl. ebd., S. 41). Beim Eintritt in das Pflegekinderwesen werden routinemäßig einige Aufgaben erfüllt, deren Abfolge sich in der nachfolgenden Aufzählung von Aufgabenbereichen widerspiegelt. a) Den Wert der Familie bewahren b) Die Feststellung des richtigen Zeitpunktes für die Rückkehr des Kindes c) Planung und Zielsetzung d) Die Umsetzung der Planung zur Rückkehr des Kindes e) Die Aufrechterhaltung der Familienzusammenführung und Fallabschluss (vgl. ebd., S. 41) a) Den Wert der Familie bewahren Die Sozialarbeiter werden von einigen Werten und Einstellungen geleitet. Zum Beispiel wird die Herkunftsfamilie als der bevorzugte Lebensraum des Kindes anerkannt. Und durch eine professionelle Anleitung erlebt die Herkunftsfamilie eine positive Veränderung. Wichtig ist, ein Gleichgewicht zu finden, welches auf der einen Seite die Einheit und Integrität der Familie bewahrt und auf der anderen Seite die Bedürfnisse des Kindes, insbesondere nach Sicherheit und Schutz, gewährt. Hierfür ist nicht nur eine Auseinandersetzung des Sozialarbeiters mit seinen eigenen Erinnerungen an Trennung und Schmerz unabdingbar, sondern auch die Öffnung gegenüber unterschiedlichen Lebens- und Familienformen sowie Erziehungsmethoden. 4. Die Herkunftseltern 59 Des Weiteren soll die Wichtigkeit von Familiensymbolen beachtet werden und die Sozialarbeiter sollen sich nicht nur an den Problemen der Herkunftsfamilie orientieren, sondern auch deren Fähigkeiten und Handlungsmöglichkeiten in Betracht ziehen (vgl. ebd., S. 41). b) Die Feststellung des richtigen Zeitpunktes für die Rückkehr des Kindes In die Feststellung des richtigen Zeitpunktes für die Rückkehr des Kindes fließt der Wille der Eltern, der Wille des Kindes, die Eltern-Kind-Interaktion, die Einbindung der Familie in das soziale Netzwerk, die Ressourcen-Anbindung und die vorangeschrittene Problembewältigung mit ein. Die Eltern müssen in der Lage sein die körperlichen, sozialen, emotionalen, medizinischen und bildungsbezogenen Bedürfnisse ihrer Kinder zu erfüllen (vgl. ebd., S. 42). Zusätzlich müssen die Gefühle der Familie beachtet werden, die während einer Trennung und einer erneuten Zusammenführung durchlebt werden. „It is also the worker’s task to help parents deal with their own feelings about placement, so that they can then help their children.“ (Palmer 1995, S. 53) Insgesamt spielt hier die Abwägung der mit einer Rückkehr in die Herkunftsfamilie verbundenen Risiken gegen die Risiken des Verbleibens im Pflegekinderwesen eine große Rolle. „The caseworker should face the family situation as realistically as possible and recognize the limitations as well as potentialities of child and parents.“ (Maluccio 1966, S. 24) c) Planung und Zielsetzung Die Rückführung des Kindes in die Herkunftsfamilie ist das Ziel, welches nur durch die Festlegung und Erreichung vieler kleiner Ziele möglich ist. Die Problemlage bestimmt hierbei die Ziele. Die Ziele können den Umgang mit den Kindern betreffen, z.B. deren Erziehung und Versorgung. Sie betreffen die individuellen Probleme der Eltern, z.B. unkontrollierbare Wut, Sucht, oder sie beziehen sich auf die Situation der Familie, z.B. soziale Isolation, Arbeitslosigkeit und Armut (vgl. Pine, Warsh & Maluccio 1993, S. 42). Konkrete Ziele sind z.B. folgende: die Herkunftseltern sorgen für eine angemessene Haushaltsführung, einen sicheren, sauberen Wohnraum, der Konsum von Suchtmitteln ist untersagt (vgl. Fein & Staff 1993, S. 89). 60 4. Die Herkunftseltern Als Hilfsmittel für die Festlegung von Zielen werden Strategien aus dem CaseManagement verwendet. Die Sozialarbeiter treffen z.B. mit den Herkunftseltern eine schriftliche Vereinbarung über die gemeinsam ausgewählten Ziele, den Zustand, der erreicht werden soll und die dafür notwendigen Voraussetzungen. Zusätzlich enthält die Vereinbarung über die jeweilige Verantwortung und Erwartung des Sozialarbeiters und des Klienten, die Einbettung in einen zeitlichen Rahmen und alternative Unterbringungsmöglichkeiten für das Kind, sollte die Herkunftseltern ihre Ziele nicht erreichen (vgl. Gambrill & Stein 1985, S. 176). Die Beteiligung des Klienten an der Festlegung der Ziele ist von großer Wichtigkeit, denn die aktive Einbeziehung des Klienten, steigert das Gefühl der Verantwortlichkeit und senkt gleichzeitig das Gefühl der Machtlosigkeit. Die Menschen erfahren eine neue Art der Motivation und es wird voreiligen Beurteilung über ihre Fähigkeiten entgegengewirkt (vgl. Gambrill & Stein 1985, S. 176). In regelmäßigen, offiziellen und inoffiziellen Fallbesprechungen werden der Hilfeplan und der Fortschritt der Herkunftseltern besprochen. Je nach Bedarf werden Ziele umformuliert oder neue eingebracht (vgl. Pine, Warsh & Maluccio 1993, S. 42). Eine wichtige Kompetenz liegt im Bereich der Vermittlung. Der Sozialarbeiter muss in der Lage sein, eine Gemeinschaft aus Herkunftseltern, Kind und Pflegefamilie zu bilden um die auferlegten Ziele gemeinsam erreichen zu können (vgl. ebd., S. 42). d) Die Umsetzung der Planung zur Rückkehr des Kindes Eine Herausforderung ist die Suche nach der optimalen Ebene des Kontaktes zwischen Eltern und Kind. Hierfür muss der zuständige Sozialarbeiter die Interaktion zwischen Eltern und Kind genau beobachten und ihre Bindungsdynamik erfassen. Die Art des Kontaktes und die Häufigkeit sollen den individuellen Bedürfnissen von Nähe und Distanz entsprechen und daraus bildet sich die optimale Ebene des Kontaktes. In diesem Bereich ist der Umgang mit den Gefühlen der Trennung sehr wichtig, auch die Akzeptanz der Veränderungen, die sich während der Trennung bei dem Kind und den Herkunftseltern vollzogen haben. Eine kontinuierliche Steigerung der Länge und der Häufigkeit der Besuchskontakte dient hier als Hilfsmittel für den sanften Übergang von der Pflegefamilie in die Herkunftsfamilie. Die Mitarbeit und Unterstützung der Pflegeeltern ist Besuchskontakten. dabei ebenso wichtig, wie die kontinuierlich stattfindenden 4. Die Herkunftseltern 61 Hierbei gilt eine besondere Aufmerksamkeit den Gefühlen des Kindes. Denn es erlebt eine erneute Trennung und die damit verbundenen Schmerzen und Ängste erinnern das Kind an die vorherige Trennung von den Herkunftseltern. Die Pflegeeltern können das Kind bei der bevorstehenden Trennung unterstützen und es darauf vorbereiten. Wünschenswert ist die Aufrechterhaltung des Kontaktes nach der Rückführung des Kindes in die Herkunftsfamilie (vgl. ebd., S. 43). e) Die Aufrechterhaltung der Familienzusammenführung und Fallabschluss Die Kontaktpflege von Pflegefamilie und Kind wird noch einmal fokussiert, indem die Sozialarbeiter auch den Pflegeeltern bei der Bewältigung ihres Trennungsschmerzes helfen sollen. Im Idealfall werden die Pflegeeltern zu einer zusätzlichen Unterstützung der Familie und fungieren als eine Art Babysitter, die eine kostenlose Versorgung des Kindes für einen kurzen Zeitraum zur Entlastung der Eltern gewährleisten. Dabei soll kein Verpflichtungsgefühl aufkommen; der Vorteil aller Beteiligten steht im Vordergrund. Die leiblichen Eltern haben einige Stunden der Ruhe und Zeit für sich, das Kind wird ausreichend versorgt und verbringt Zeit mit wichtigen Bezugspersonen. Die Pflegeeltern, denen das Kind ans Herz gewachsen ist, können sich während der gemeinsamen Stunden persönlich von seinem Wohlbefinden überzeugen. Die Jugendfürsorge profitiert auch von dieser nachhaltigen Verbindung zwischen Herkunftseltern und Pflegeeltern. Zum einen läuft die Rückführung des Kindes problemloser ab, die Kinder leiden nicht so unter der Trennung von den Pflegeeltern und die Herkunftseltern werden ab und zu entlastet und fühlen sich nicht mehr so leicht überfordert. Zusätzlich nehmen die Pflegeeltern automatisch eine Kontrollfunktion ein und bei einer erneuten Gefährdung des Kindeswohls wird das Jugendamt verständigt. Zur Fallabschließung wird ein letztes Treffen mit allen Beteiligten arrangiert, um die Fähigkeiten und Stärken der Familie hervorzuheben. Außerdem wird erörtert, wie viel von dem, was ursprünglich zum Ziel gesetzt worden war, erreicht wurde. Des Weiteren wird festgehalten, woran noch gearbeitet werden muss, und das Netzwerk, indem die Familie Hilfe und Unterstützung findet, wird der Herkunftsfamilie noch einmal verdeutlicht (vgl. ebd., S. 44). 4. Die Herkunftseltern 62 Die Interviews, die ich mit Sozialarbeitern geführt habe, verdeutlichen die für die Reunification Arbeit wichtigen Kompetenzen. Frau Bowers, eine Sozialarbeiterin (Ongoing Social Worker) in Jefferson County, Human Services, berichtet über die wichtigsten Fähigkeiten eines Sozialarbeiters in der Zusammenarbeit mit Herkunftseltern: „[...] a social worker needs to have good people skills, [...] meet the people at their level, not go in there, act I’m one step above you, because your kids are in foster care, you not gonna [...] get anywhere with families like that, so you have to be able to understand, have empathy [...] and understand yeah I know I get it you’re going to hard time right now, I get that, but what can I do to help you?, you know and offering things, being very flexible, not getting frustrated too easily.“ Die Frustrationen, die aufkommen können, wenn z.B. die Herkunftsfamilie wiederholt bei geplanten Treffen nicht anwesend sind, dürfen nicht bestehen bleiben und nach der Meinung von Frau Bowers muss man in der Lage sein, den Ärger und die Frustration gegenüber der Familie vergessen zu können und verstehen, dass sie im Moment noch nicht in der Lage ist, die Dinge anzugehen, die ihr helfen würde, die Kinder wiederzubekommen. Eine bestehende Frustration steht einer weiteren Zusammenarbeit im Weg und Frau Bowers versucht in einer solchen Situation immer wieder, mit der Familie in Kontakt zu treten. Sie akzeptiert aber auch ihre Grenzen und weiß, dass die Auflagen, die der Familie gemacht wurden, deren Angelegenheiten sind und nicht ihre eigenen. Demnach soll der Sozialarbeiter für die Familie immer präsent und ansprechbar sein. Aber die Bereitschaft zur Zusammenarbeit muss auch von der Familie ausgehen und sei es zunächst nur durch die Anwesenheit bei geplanten Treffen. Die Familie trägt immer eine gewisse Eigenverantwortung und muss bereit sein mitzuarbeiten. Für Frau Bowers ist die Betrachtung und Einstellung gegenüber der Kindesmisshandlung eine weitere wichtige Eigenschaft. „You have to have a very positive attitude, where ok they did abuse their kids, but what can we do to change that, how can I help them make it better, because if you have [...] a negative attitude about it you‘re never going to be able to help these families [...] you’re not going to stay in this field very long and doing what we‘re doing [...] you have to be able to engage them, you have to be able to get them talk and open up and work with you, you have to have these people skills [...].“ 4. Die Herkunftseltern 63 Die Sozialarbeiterinnen Frau Kedzie und Frau Veloon von der Reunification Unit in Dane County Human Service halten die folgende Kompetenzen für wichtig. „[...] one of the competencies is just that the relationship building [...] is really joining with families and being none judgmental, believing in change [...] and then [...] I may have an idea, but I really have no idea, which way it is gonna go and to just keep reminding myself of that, because there are families that I have a lot of hope for and it just all falls apart before we get even moving and there are other families that I kind inside have doubt and they pull it together [...] It’s both being willing to take chances with families, but being able to step back and see whether not it’s working or not [...] another competencies is teaming, because I think one of the reasons your unit is affective, is because we have a really strong team between the social worker and the social service specialist [...] and we have confidence in that worker‘s opinion [...] the teaming within our unit and the teaming with the ongoing workers and the lawyers, and all the different people, the foster parents [...].“ Frau Reichelt arbeitet als In-home Therapist und sie findet die folgenden Eigenschaften wichtig: „Patience, the ability to separate themselves from what‘s happening around them, because it is not about them, and to be able to be mature enough [...] you have to have a sense of humor, [...] you have to have the ability to give feedback, the ability to be supportive all at the same time [...].“ Ähnlich wie Frau Bowers hält sie es für wichtig, die eigenen Schattenseiten gut zu kennen. Sollte es zu Verletzungen und Ärger im Zusammenhang mit den betreffenden Personen kommen, darf dies nicht als persönlicher Angriff gewertet werden. Man muss in der Lage sein, sich davon distanzieren zu können. Außerdem hat sie aus den Gesprächen mit den Herkunftseltern gelernt, sich wichtige Aussagen zu merken, um sie zum passenden Zeitpunkt wiederholen zu können. Haben die Eltern zum Beispiel irgendwann einmal den Wunsch geäußert, dass ihr Kind sich ihnen gegenüber respektvoll verhalten möge, hat Frau Reichelt in einer Situation, in der die Herkunftseltern sich ihr gegenüber respektlos verhalten, die Möglichkeit, das Verhalten der leiblichen Eltern zu spiegeln. Sie kann die Herkunftseltern dann fragen wie sie ihrem Kind Respekt lehren wollen, wenn sie selbst nicht in der Lage sind, mit anderen Menschen respektvoll umzugehen. 4. Die Herkunftseltern 64 Zusammenfassend müssen die Sozialarbeiter eine besondere Fähigkeit, in der Beobachtung von Familien haben und das Ergebnis dieser Beobachtungen in einen familientheoretischen Hintergrund stellen, der etwas über die Dynamik von Beziehungen, Bindungsqualitäten und Interaktionsverhalten aussagt. Zum einen sollten sie in der Lage sein, zielstrebig handeln zu können. Zum anderen sollten sie auch eine gewisse Begabung dafür mitbringen, Menschen, die die Gesellschaft hat fallen lassen und die sich auch oft selbst aufgegeben haben auf besondere Art und Weise motivieren und anleiten zu können. Denn die Herkunftseltern, die durch den Verlust ihrer Kinder oft in eine Phase der Mutlosigkeit und Depressivität geraten brauchen die Motivation von außen in einem ganz besonderen Maße. Darüber hinaus brauchen Sozialarbeiter diplomatische Fähigkeiten. Sie müssen eine Verbindung und eine angemessene Kommunikationsebene zwischen Menschen, mit ganz unterschiedlichen sozialen, kulturellen und erzieherischen Ansichten und Hintergründen schaffen und vermitteln können. Nicht nur in der sozialen Lage oder Kultur besteht oft eine Kluft zwischen Herkunftseltern und Pflegeeltern, auch unter solchen Aspekten wie Bildungsstand, finanzielle Möglichkeiten und den sozialen Netzwerken, in denen sie leben, unterscheiden sie sich sehr. Wesentlich in der Zusammenarbeit mit den Herkunftseltern ist, wie bereits in Abschnitt 4.1.2 erwähnt, die Perspektive, aus der die leiblichen Eltern gesehen werden. Sie sollte auf der tiefen Überzeugung basieren, dass die Herkunftseltern generell und nicht nur um ihrer Kinder Willen einen Anspruch und ein Recht auf Hilfestellung haben (vgl. Maluccio 1966, S. 23). 4.2.3 Die Aufgaben und Erwartungen an die Pflegeeltern Die Vorstellungen über die Aufgaben einer Pflegefamilie haben sich geändert. Die Pflegefamilie wird nicht mehr nur als Ersatzfamilie angesehen, deren einzige Aufgabe die Versorgung des Kindes ist, sondern sie wird als Teil eines professionellen Teams betrachtet (vgl. Chipungu & Bent-Goodley 2004, S. 86). Zunächst einmal werde ich auf die Aufgaben und Erwartungen, die an die Pflegeeltern gerichtet werden, eingehen und danach auf die Verantwortung der Sozialarbeiter, den Aufbau einer Beziehung zwischen Pflege- und Herkunftseltern anzuregen. 65 4. Die Herkunftseltern Die Hauptaufgaben der Pflegeeltern bestehen für den Autor Littner (1975) aus mehreren Bereichen. Der erste Bereich betrifft die Gewährleistung einer optimalen Versorgung des Kindes. Sie müssen die komplexen Bedürfnisse eines Kindes erfüllen und zusätzlich mit Verhaltensauffälligkeiten der Kinder umgehen können, die aufgrund von Vernachlässigung, Misshandlung oder Trennungsschmerzen entstanden sind. Außerdem wird von den Pflegeeltern eine enge Zusammenarbeit mit der Sozialeinrichtung und dem zuständigen Sozialarbeiter gefordert. Der letzte Bereich betrifft den Aufbau und Erhalt einer Beziehung zu den Herkunftseltern (vgl. S. 269). Die Intensität dieser Beziehung und die Art des Kontaktes hängen von den individuellen Bedürfnissen der Familien und von der jeweiligen Stufe in der sich entwickelnden Beziehung ab. Die Beziehung kann mit der Verfassung eines Tagebuches, indem die Tätigkeiten und Erlebnisse des Kindes für die leiblichen Eltern festgehalten werden, beginnen. Danach folgt eine Ausweitung der Beziehung auf Telefonate. Später finden dann persönliche Treffen statt (vgl. Preservice, Institute for Human Services 2000, S. 7). Wichtig ist dabei, dass die Pflegeeltern die Grenzen der emotionalen Verbindung zu dem Kind erkennen und das Ziel der Rückführung in die Herkunftsfamilie akzeptieren (Palmer, 1995, S. 53). Denn die Pflegeeltern spielen aus verschiedenen Gründen eine wichtige Rolle in der Erhaltung der Verbindung von Herkunftseltern und Kind. Diese für den Reunification Prozess entscheidende Sache wird durch eine regelmäßige Kommunikation mit und über das Kind und regelmäßigen Besuchskontakten gewährleistet. Die Unterstützung des Kontaktes zwischen Herkunftseltern und Kind von Seiten der Pflegeeltern wirkt zum einen der Entstehung von Schuldgefühlen und Loyalitäts-Konflikten entgegen, die bei Kindern, die in zwei Familien aufwachsen, oft entstehen. Zum anderen erfüllen die Pflegeeltern eine Vorbildfunktion für die Herkunftseltern. Sie können den leiblichen Eltern im direkten Kontakt neue Erziehungsmethoden und Umgangsformen zeigen. „[...] foster parents will actively support biological parents in their reunification efforts by acting as role models, serving as parent advocates, and involving parents in decision-making.“ (Sanchirico & Jablonka 2000, S. 187). Den Autoren Warsh, Pine & Maluccio (1996) ist es dabei wichtig, an die Stärken der Herkunftsfamilie zu appellieren (vgl. S. 103). 66 4. Die Herkunftseltern Die Schwierigkeit dieser Aufgabe lässt sich gut an den Auswirkungen des Zusammentreffens von Herkunftseltern und Kind verdeutlichen. Denn die Pflegeeltern sind diejenigen, die mit dem Gefühlschaos und den Verhaltensauffälligkeiten, welche beim Kind, besonders zu Anfang der Inpflegegabe entstehen können, umgehen müssen. Woche für Woche müssen sie sich diesen Strapazen von neuem stellen (vgl. Steinhauer 1991 zit n. Sanchirico & Jablonka 2000, S. 188). „Keeping foster children connected to their biological parents is one of the most important and most difficult responsibilities that foster parents must perform.“ (Sanchirico & Jablonka 2000, S. 200). Die Besuche können somit zu einer Belastung der Pflegeeltern werden, aber die Autorin Palmer (1995) betont, dass die Pflegeeltern ihre Machtposition bei der Sozialeinrichtung nicht ausnutzen sollen. Ein Sozialarbeiter könnte gegen sein Urteilsvermögen handeln und der Bitte der Pflegeeltern um die Einschränkung des Besuchskontaktes nachgeben, weil er einen Wechsel der Pflegefamilie befürchtet und einen erneuten Beziehungsabbruch für das Kind um jeden Preis vermeiden will (vgl. S. 53). Bei dieser Bandbreite an Erwartungen und Aufgaben der Pflegeeltern ist eine intensive Vorbereitung unabdingbar. Die Sozialeinrichtung trägt die Verantwortung, die Pflegeeltern angemessen auf ihre Rolle vorzubereiten, sie mit allen zugänglichen Informationen über das Kind und die Herkunftsfamilie zu versorgen und sie in Entscheidungsprozesse zu involvieren (vgl. Warsh, Pine & Maluccio 1996, S. 8). Wichtig in der Vorbereitung der Pflegeeltern ist die Vermittlung von Wissen und Erkenntnissen. Diese beziehen die Entwicklung und Bedürfnisse von Kindern, die Philosophie und Praxis von Permanency Planning und die Auswirkungen von Trennungen auf das Kind und die Herkunftsfamilie mit ein (vgl. Pecora et. al. 2006, S. 318). Nicht nur die Vorbereitung ist eine Aufgabe der Sozialeinrichtung, sondern die zuständigen Sozialarbeiter tragen die Verantwortung für die Entstehung einer kommunikativen und produktiven Beziehung zwischen den leiblichen Eltern und Pflegeeltern. Bedeutsam für die Funktion und die Rolle der Pflegeeltern ist die Tatsache, dass von ihnen nicht erwartet wird, sich um die Herkunftsfamilie zu kümmern. Denn dies würde der Entwicklung der Selbständigkeit der Herkunftsfamilien entgegenwirken, die 4. Die Herkunftseltern 67 Herkunftsfamilie soll später allein zurechtkommen und nur durch ihr Umfeld mehr Unterstützung erfahren soll (vgl. Preservice, Institute for Human Services 2000, S. 8) Um die Entstehung einer Beziehung von Pflege- und Herkunftseltern zu fördern wird mir in den Interviews von Shared Parenting (geteilte Elternschaft) berichtet. Shared Parenting wird eingesetzt, um gezielt eine selbstständige Zusammenarbeit von Pflege- und Herkunftseltern zu fördern. Bei der Herausnahme des Kindes teilen sich die Bereiche der Elternschaft auf drei unterschiedliche Personen bzw. Institutionen auf. Die biologischen Eltern bilden die Herkunft und Identität der Kinder, die Pflegeeltern übernehmen die tägliche Versorgung des Kindes und den erzieherischen Teil der Elternschaft. Das Gericht und die Sozialeinrichtungen werden zum gesetzlichen Vormund und tragen die rechtliche Verantwortung für das Kind. Shared Parenting resultiert aus der Zusammenarbeit dieser drei Parteien und der Bildung einer elterlichen Partnerschaft. Vereinfacht ausgedrückt findet Shared Parenting dann statt, wenn sich mehrere Erwachsene die Verantwortung für die Versorgung und Pflege des Kindes und die Entscheidungskompetenz teilen (vgl. New York State Citizens' Coalition For Children, Inc. 2002). Frau Bowers berichtet über den Einsatz von Shared Parenting in Jefferson County, wo es seit ungefähr 1 ½ Jahren eingesetzt wird: „[...] that‘s actually in our county a big piece that we‘re really working on [...] and we love shared parenting, but not all our foster parents love shared parenting [...] foster parents, that have been foster parents for a long time, that never did shared parenting, for some of them it is really difficult to switch their mentality of we promote foster parents and parents talking on the phone, [...] letting the parents come into the foster home, working together as a team [...] But we‘ve seen a lot of success with the foster parents that are doing shared parenting, huge successes in reunification and those are the cases, where the parents still keep communications open with the foster parents even though that they‘ve gotten their kids back [...] in the really good situations [...] the parents don’t feel threatened by the foster parents and so they wanting that contact to continue, which I think it’s great, because it is another good support system for the parents and for the kids, so we try really hard to promote shared parenting [...].“ 68 4. Die Herkunftseltern Auch in der Reunification Unit von Dane County, wird Shared Parenting von Frau Frau Kedzie und Frau Veloon eingesetzt: „[...] the Shared parenting [...] that is a big piece of what we do, because we [...] have a better understanding that parents have right and need to know who is taking care of their children and it helps with reunification, if the foster parents can see and get to know the parent as somebody other than somebody who has just hurt their child and building that relationship so you see each other as two human beings in this world that love the child and care about the child, is really a big piece of what we do [...] that’s sensitive work, because their is different dynamics in every case [...].“ Um die Entwicklung einer Beziehung zwischen Pflegeeltern und Herkunftseltern konkret anzuregen, ist es nach Meinung von Frau Plummer wichtig, dass beide Familien im Laufe der Zeit beginnen, direkt miteinander zu kommunizieren und der Sozialarbeiter als Mittelsmann in den Hintergrund treten kann. Frau Plummer berichtet von einem Fall, in dem sie immer wieder von der Pflegemutter angerufen wurde, um z.B. die Abholzeit für einen Besuch mit der Herkunftsfamilie zu ändern. Frau Plummer machte dieser Pflegemutter deutlich, dass diese Dinge direkt mit den Herkunftseltern abgesprochen werden sollten. Die Arbeit mit den Herkunftseltern ist sehr vielfältig und Familien mit komplexen Problemlagen benötigen eine umfassende Analyse ihrer Probleme und Hilfe bei der Bewältigung. Die Herkunftseltern brauchen nicht nur Strategien, die der Problembewältigung dienen, sondern sie benötigen besonders zu Beginn eine konkrete Hilfestellung, z.B. bei der Haushaltsführung. Zusammen mit der Aufrechterhaltung der Bindung zwischen Herkunftseltern und Kind stellt die Arbeit mit den Herkunftseltern, die wesentliche Komponente dar, nach der sich die Reunification Arbeit und die Reunification Programme ausrichten. Es gibt eine Vielzahl von Reunification Programmen, die im Grunde eine Festlegung der Vorgehensweise der Reunification Arbeit in einem bestimmten Bezirk sind. Der genaue Inhalt und Aufbau der Reunification Programmen wird im nachfolgenden Kapitel beschrieben und mit Beispielen aus der Praxis unterlegt. Zunächst einmal wird dabei auf die Family Preservation Bewegung eingegangen, denn die Reunification Programme entwickeln sich aus den Family Preservation Programmen. 69 5. Reunification Arbeit und Programme in der Praxis 5. Reunification Arbeit und Programme in der Praxis 5.1 Reunification Programme in Family Preservation Programme 5.1.1 Family Preservation Programme Abgrenzung zu Die Etablierung von Family Preservation Services begann Ende der siebziger Jahre und nahm einen festen Platz in den sozialen Institutionen der USA ein. Family Preservation Services umfasste eine Reihe an Programmen, die zum Erhalt von Familien dienten. Die Initiatoren dieser Programme gingen davon aus, dass eine Herausnahme des Kindes durch ein ausreichendes Angebot an Hilfe- und Unterstützungsmaßnahmen verhindert werden könnte. Daher wurden sie meist präventiv eingesetzt. Doch um den Erhalt von Familien zu sichern, wurden sie auch in der Reunification Arbeit angewendet oder dienten als Vorlage für Reunification Programme (vgl. Whitelaw Downs 2004). Die ersten Reunification Programme waren beispielsweise ein Bestandteil der bereits vorhandenen präventiven Programme des Family Preservation Services. Die Umsetzung und Durchführung der Reunification Arbeit geschah durch die gleichen Mitarbeiter und das gleiche Angebot an Unterstützungsleistungen aus dem Family Preservation Services (vgl. Westat et. al. 1995, Chapter III). Im Laufe der Zeit wurden mehr und mehr eigenständige Reunification Programme entwickelt, die sich nach den gleichen Grundprinzipien der Family Preservation Programme richteten, jedoch eine andere Klientel und andere Ziele fokussierten und eben nicht den Präventionsgedanken der Family Preservation Programme aufgriffen. Eine vermeintliche Ähnlichkeit dieser Programme besteht weiterhin, denn ihre Entstehung beruht auf gemeinsamen Wurzeln (vgl. Fein & Staff 1993, S. 69). Für den Entstehungshintergrund der Family Reunification Programme ist es bedeutsam, die unterschiedlichen Arten von Family Preservation Programmen zu kennen. Denn viele Family Reunification Programme basieren auf den unterschiedlichsten Pilotprojekten, die zur Entstehung von Family Preservation Programmen geführt haben. Die verschiedenen Arten der Family Preservation Programme basieren alle auf einer Philosophie, in der die Familie im Zentrum steht. Jedoch unterscheiden sie sich in der Behandlungsweise, der Intensität und Länge der Intervention (vgl. Westat et. al. 2002, Volume 1, 1.1). 5. Reunification Arbeit und Programme in der Praxis 70 Die Herausbildung von drei Modellen der Family Preservation Programme wird von den Autoren Nelson et. al. (1990) beschrieben. Es handelt sich dabei um ein Crisis Intervention model (Modell der Krisenintervention), Family Treatment model (Modell der Familien-Behandlung) und das Home-based model, welches die Erbringung der Hilfestellung hauptsächlich im Haus der Familien erbringt (vgl. nach Westat et. al. 2002, Volume 1, 1.1). Crisis Intervention model Das Crisis Intervention model ist krisenorientiert und die Intervention richtet sich an Menschen, die sich in einer instabilen, unsicheren Lebenslage befinden. Es gilt, die Eskalation dieser Krise zu verhindern (vgl. Barth 1990 nach Westat et. al. 2002, Volume 1, 1.1). Das Crisis Intervention model entstand im Jahr 1974 mit dem „Homebuilders“ Projekt. Dieses Projekt wurde von David Haapala und Jill Kinney in Tacoma, Washington, entwickelt und angewendet. Das Programm bietet der ganzen Familie eine kurze, zeitlich begrenzte, aber sehr intensive Intervention. Die Intervention dauert nicht mehr als sechs Wochen. Der für die Familie verantwortliche Mitarbeiter von „Homebuilders“ ist 24 Stunden für die Familie erreichbar und verbringt wöchentlich 20 Stunden in der Familie. Sein Fokus liegt auf der Krisenbewältigung und einer intensiven Familienarbeit. Aufgrund der intensiven Arbeit mit der Familie kann nur zwei, höchstens drei Familien gleichzeitig betreuen (vgl. Westat et. al. 2002, Volume 1, Punkt 1.1). Nach Ablauf der sechs Wochen werden den Familien andere, weniger intensive Hilfs- und Unterstützungsprogramme angeboten. Homebuilders hilft zunächst der Familie bei der Erfüllung der Grundbedürfnisse. „We help families with basic needs [...]. They will not be able to concentrate on more abstract skills such as parenting unless basic need have been met.“ (Kinney 1991, S. 117) Family Treatment model Das Family Treatment model fokussiert die Familientherapie und nicht so sehr das Angebot von konkreten Unterstützungsleistungen. Die Intervention ist weniger intensiv als im Crisis Intervention model. Nach diesem Modell betreut ein Sozialarbeiter circa elf Familien. Das Family Treatment model liegt dem Intensive Family Service (IFS) zugrunde und bezieht zusätzlich die Systemtheorie mit ein. IFS wurde 1980 im 5. Reunification Arbeit und Programme in der Praxis 71 Bundesstaat Oregon gegründet (vgl. Nelson 1990 nach Westat et. al. 2002, Volume 1, Punkt 1.1). Home-based model Das Home-based model basiert auf der Systemtheorie und bezieht sich auf das Verhalten und die Interaktionen der Familie. Die Intervention richtet sich auf die Verbesserung der gestörten Familiendynamik eine schlechte Interaktion und Kommunikation zwischen den Familienmitgliedern. Insgesamt soll die Familie wieder als Einheit funktionieren und in ihr soziales Umfeld integriert werden. Diese Entwicklung begann im Jahr 1974 im Bundesstaat Iowa. Home-based model ist eine Langzeit Intervention. Ein Sozialarbeiter ist für 10-12 Familien verantwortlich (vgl. Nelson 1990 nach Westat et. al. 2002, Volume 1, Punkt 1.1). Auf diesen Projekten und Modellen beruht die Entwicklung der Family Reunification Programme. In der Praxis werden z.B. häufig Strategien und Prinzipien aus Intensive Family Preservation Services in Reunification Programme übertragen. Wichtig ist jedoch auch eine Abgrenzung von Family Preservation Services um die Unterschiede zu verdeutlichen. 5.1.2 Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Family Preservation und Reunification Programme Die Gemeinsamkeiten in zentralen Ansichten und Aufgaben von Reunification und Preservation sind nicht zu leugnen. Eine dieser Gemeinsamkeiten ist die Art und Weise, in der die Familie betrachtet wird. Sie wird als ein System gesehen, dessen familiäre Bindung gestärkt werden muss. Der Familie soll der Zugang zu formalen und informellen Ressourcen ermöglicht werden, auch die Erziehung und Versorgung der Kinder soll verbessert werden (vgl. Maluccio, Warsh & Pine 1991, S. 4). Es soll eine Einheit der Familie entstehen, in der Probleme offen angesprochen und gemeinsam bewältigt werden. Jedoch gibt es im Reunification und Preservation Konzept einige erhebliche Unterschiede. Der gravierendste liegt nach Ansicht der Verfasserin in der Motivation der Herkunftseltern. Wenn die Kinder erstmals von der Herkunftsfamilie getrennt sind, haben die leiblichen Eltern eine niedrigere Ausgangsmotivation, als wenn ihnen die Option 5. Reunification Arbeit und Programme in der Praxis 72 bleibt, eine Herausnahme des Kindes zu verhindern. Die Trennung löst auch die in Kapitel 4.1.2 beschriebenen Emotionen und Trennungsschmerzen aus, mit denen zusätzlich umgegangen werden muss. Außerdem muss zuerst ein regelmäßiger Kontakt zwischen Eltern und Kind aufgebaut werden, um die Familienbindungen stärken zu können. Zusätzlich erschwert die räumliche Trennung von Eltern und Kind das Lehren von Erziehungsmethoden, denn es gibt wenige Möglichkeiten, die Eltern-Kind Interaktionen zu beobachten und eingreifen zu können. Der letzte Unterschied betrifft die Bindung, die das Kind zu den Pflegeeltern entwickelt. Mit dieser Verbindung müssen die Herkunftseltern und das Kind lernen, umzugehen (vgl. ebd., S. 4 f). 5.2 Allgemeine Aspekte der Reunification Programmen 5.2.1 Instrumente der Reunification Arbeit In der Reunification Arbeit gibt es zahlreiche wichtige Instrumente, die auch einen Einfluss auf die Gestaltung von Reunification Programmen haben. Die Instrumente können sich nach der Arbeit mit den Herkunftseltern ausrichten und bei der Problembewältigung behilflich sein. Des Weiteren fanden die Organisationen Westat und Chapin Hall Center for Children (2001) in einer Untersuchung von verschiedenen Reunification Programmen einige Instrumente, die in vielen Sozialeinrichtungen der USA angewendet werden. Zum Beispiel dient ein intensives Besuchsprogramm unter anderem der Aufrechterhaltung der Eltern-Kind-Bindung (vgl. Westat et. al. 2001, Chapter 2, 3.1). „Keeping foster children connected to their biological parents, through visiting and other forms of contact, is essential for reunification because it helps to reestablish and maintain family ties during out- of home placement.“ (Sanchirico & Jablonka 2000, S. 185) Die wöchentlichen Treffen von Herkunftseltern und Kind werden auch von anderen Autoren als eine Schlüsselfunktion im Reunification Prozess betrachtet, z.B. Ahart et. al. 1992, III 2. Die Verantwortung in der Vorbereitung und Gestaltung der Besuchskontakte von Herkunftseltern und Kind liegt in den Händen der Sozialarbeiter. Die Pflegeeltern leisten, wie bereits in Punkt 4.2.3 geschildert wurde, einen Beitrag dazu. Besuche erfüllen verschiedene Funktionen. Zum einen stellen sie ein therapeutisches Mittel dar, das eingesetzt wird, um auf die Rückkehr des Kindes in die Herkunftsfamilie vorzubereiten. Dieses wird durch die Bewahrung der Eltern-Kind-Bindung bewerkstelligt und die leiblichen Eltern erhalten die Möglichkeit neue Erziehungsmethoden und 73 5. Reunification Arbeit und Programme in der Praxis Verhaltensweisen in der direkten Interaktion mit ihren Kindern zu lernen Andererseits dienen Besuchskontakte als Indikator dafür, ob eine Familie bereit für die Rückkehr des Kindes ist oder noch etwas Zeit braucht (vgl. McCartt Hess & Proch 1988, S.119). Ein Besuchsplan, in der die Verantwortung der Herkunftseltern für die tägliche Versorgung und Erziehung ihrer Kinder kontinuierlich gesteigert wird, ist die Basis für eine erfolgreiche Rückführung des Kindes (vgl. ebd., S.119). „As families progress toward reunification, the primary responsibility for the child’s care and protection during visits should gradually shift from the agency to the parents.“ (ebd. S. 125) Zusätzlich findet eine Steigerung in der Länge und Häufigkeit der Besuche statt. Aus wöchentlichen, unbeaufsichtigte einstündigen zweistündige Wochenendaufenthalten und beaufsichtigten Besuche, ausdehnen. So die wird sich ein Besuchen zu sanfter werden langsam ÜbernachtungsÜbergang von und der Fremdunterbringung in die Herkunftsfamilie geschaffen. Zusammengefasst sind die wichtigsten Funktionen der wöchentlichen Treffen von Herkunftseltern und Kind: die Steigerung des Kindeswohls, indem es auch die Sicherheit gewinnt, dass es nicht von seinen leiblichen Eltern verstoßen wird. Die Besuche bieten die Möglichkeit der Interaktion und die Herkunftseltern lernen im praktischen Umgang mit ihren Kindern neue Erziehungsmaßnahmen. Zusätzlich können sich die Sozialarbeiter ein Urteil über die benötigten Hilfen von Eltern und Kind machen und den Eltern ein direktes Feedback über ihr Interaktionsverhalten mit dem Kind geben. Auch die Fortschritte der Herkunftseltern in der Problembewältigung werden thematisiert. Diese Dinge werden dann auch von den Sozialarbeitern schriftlich festgehalten. Ein weiteres wichtiges Instrument der Reunification Programme sind Team Meetings, die von Westat et. al. (2001) mit dem Begriff „Familienkonferenz“ bezeichnet werden. Familienkonferenzen sind speziell auf die Familie mit deren Angehörigen, Freunden und anderen unterstützenden Personen aus dem unmittelbaren sozialen Umfeld der Familie ausgerichtet. Diese Methode stellt die Stärken der Familie in den Mittelpunkt und regt sie an, sich am Finden einer Lösungsstrategie für ihre Probleme zu beteiligen. Hierbei werden auch zusätzliche soziale Ressourcen entdeckt, die einer sozialen Isolation der Familie entgegenwirken können (vgl. Westat et. al. 2001, Chapter 2, 3.1). 5. Reunification Arbeit und Programme in der Praxis 74 Im Bundesstaat Wisconsin wurde mir von der Sozialarbeiterin Frau Bowers von der Methode des Team Meetings erzählt, deren Einsatz für sie eine große Bedeutung in Bezug auf den Erfolg von Reunification hat. Sie berichtet: „[...] it is kind of a team effort, and that‘s kind a big thing right now, that we‘re trying to really promote is teaming [...] and what we like to do a lot is do team meetings, so we like to try and get all the people that are working with this family, together, so that we can all talk in the same room and be on the same page about everything [...] if we‘re all working at different angels, it‘s never gonna really help this family[...].“ Im Team Meeting treffen alle am Reunification Prozess beteiligten Personen zusammen. Zu den beteiligten Personen gehören Menschen aus dem persönlichen, inoffiziellen Unterstützungssystem der Eltern, zu dem Freunde und Angehörige gehören und aus den professionellen Helfern wie Sozialarbeitern, Therapeuten, Beratern, Anwälten und anderen in den Prozess involvierten Personen. In den Team Meetings wird über die Ziele und Fortschritte, die bereits erzielt wurden, gesprochen, um allen den aktuellen Stand der Dinge mitzuteilen. Frau Bowers erlebt eine Erleichterung in der Reunification Arbeit, wenn alle miteinander arbeiten und nicht jeder für sich. Ziel ist es, ein Netzwerk aufzubauen, welches die Familie auch in Zukunft unterstützt. Die Organisation und Vorbereitung dieser Team Meetings ist ein großer Arbeitsbereich des Sozialarbeiters, der sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Offizielle und inoffizielle Fallbesprechungen innerhalb der Foster Care Unit und mit den Herkunftseltern sind, ebenso wie die größeren Team Meetings oder Familienkonferenzen, ein wichtiges Instrument der Reunification Arbeit. Neben diesen Instrumenten, die in vielen sozialen Institutionen in der Reunification Arbeit angewendet werden, haben manche Einrichtungen ganze Reunification Programme entwickelt (vgl. Westat et. al. 2001, Chapter 2, 3.2), die ich nun beschreiben werde. 5.2.2 Die Unterschiede der verschiedenen Reunification Programme Die Studie von Westat et. al. (1995) stellt, einige Unterschiede der Reunification Programme fest. In einer erneuten Untersuchung aus dem Jahre 2001 werden die Ergebnisse vertieft. In 15 Staaten der USA werden insgesamt 26 verschiedene Programme untersucht. „Both statewide and county reunification program models were identified with some states and counties identifying more than one program model.“ (Westat et. al. 1995, Chapter III, A) 5. Reunification Arbeit und Programme in der Praxis 75 Sie unterscheiden dabei in Reunification Programme, die in Family Preservation Services integriert sind und solche, die unabhängig davon sind. Die Kriterien für unabhängige Reunification Programme sind ein eigenes Modell und Vorgehensweisen, die von einer eigenen Abteilung oder von eigenen Mitarbeitern umgesetzt werden. Fraglich bleibt jedoch, ob es sich bei den integrierten Reunification Programmen wirklich um richtige Reunification Programme handelt, denn in den meisten Fällen bieten sie eine Art Nachbetreuungsdienst für Kinder an, die bereits in die Herkunftsfamilie zurückgekehrt sind (vgl. ebd.). Diese Tatsache stellt, aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, nur die Unterschiede in der Betrachtungsweise von Reunification Arbeit und den Einsatz von Nach- bzw. Vorbereitungsangeboten fest. Einige Programme bereiten die eigentliche Rückführung des Kindes intensiv vor und sobald das Kind in der Herkunftsfamilie ist, endet das Programm. Wobei andere Programme erst an diesem Punkt einsetzen und wieder andere schließen eine Vorbereitungs- und eine Nachbetreuungsphase mit ein. Es gibt keine einheitliche Regelung über den Aufbau und den genauen Inhalt eines Reunification Programms. Für die Autoren Pecora et. al. (2006) besteht jedoch das ideale Reunification Programm aus einem Angebot an Unterstützungsleistungen, die über die Rückkehr des Kindes hinausgehen (Pecora et.al. 2006, S. 345). Die genauen Unterschiede bestehen in der Intensität der Arbeitsweise. Dieses beeinflusst die Anzahl der Familien, die auf einen Sozialarbeiter kommen. Westat et. al. (1995) stellen in ihrer Studie fest, dass die Anzahl von zwei bis vier zu betreuenden Familien z.B. in Minnesota und sechs bis zwölf zu betreuenden Familien z.B. in Los Angeles, variiert (vgl. Appendix B, 2a & 3a). Die Anzahl der zu bearbeitenden Fälle hängt auch immer von den verfügbaren finanziellen Mitteln ab und der Größe des Einzugsgebietes des jeweiligen Bezirkes. Die Reunification Programme gehen jeweils unterschiedlich mit der Handhabung der elterlichen Probleme um. Ein großer Unterschied wird beispielsweise in Bezug auf die Intensität der Hilfestellung deutlich. In Jefferson County, Wisconsin, erhalten die Herkunftseltern beispielsweise zu Beginn sehr viel Unterstützung, diese nimmt mit der Zeit ab und die Eltern werden wieder zur Selbständigkeit geführt. 5. Reunification Arbeit und Programme in der Praxis 76 Frau Bowers berichtet: „It‘s our believe in Jefferson County, that we try to do anything imaginable possible to help your families. So that might mean that, if a parent has a car, that doesn’t work [...] we may pick them up and take them to their therapy appointments [...]. Some other counties have a totally different philosophy on that and believe, that that is not ok, that the parents need to figure it out and they need to do it themselves [...]“ „[...] initial we give them everything we can and then we start backing up, ok now we need to start working on a plan of how you’re gonna get to these appointment without us helping you [...].“ Weitere Unterschiede betreffen die zeitliche Begrenzung in der Anwendung der Programme und die angesprochene Zielgruppe. Programme, die auf Family Preservation Modellen basieren sind meist kürzer in der Familie involviert, z.B. Missouri’s Family Reunion dauert in der Regel acht bis zwölf Wochen (vgl. Westat et. al. 2001, Appendix C). Viele andere Programme arbeiten mit den Familien ein bis zwei Jahre zusammen, z.B. Florida’s Homeward Bound dauert 18 Monate (vgl. ebd.). Bei der Auswahl der Klienten ist die Länge der Fremdplatzierung oft von Bedeutung und einige Programme richten sich an Kinder, die erst kürzlich in das Pflegekinderwesen aufgenommen wurden. Manche Programme nehmen nur Fälle auf, in denen eine Rückführung des Kindes oder die Bemühungen einer Rückführung bereits gescheitert sind. Es gibt auch Programme, die nur für ganz spezielle Zielgruppen ausgerichtet sind, z.B. drogen- und alkoholabhängige Eltern (vgl. Westat et. al. 2001, Chapter 2, 3.2). Die Einbeziehung, bzw. Nichteinbeziehung von Pflegeeltern und das Ausmaß der Einbeziehung und Verknüpfung mit anderen Einrichtungen des Gemeinwesens variieren von Programmen zu Programmen (vgl. ebd., Appendix C). Reunification Programme werden von staatlichen und privaten Agenturen angeboten. Die Studie von Westat et. al. (1995) erwähnt fünf Reunification Programme, die von staatlichen Einrichtungen ausgeführt werden und 14 Programme, die von privaten Einrichtungen ausgeführt werden. Bei zwei Programmen waren sowohl private als auch staatliche Agenturen involviert (vgl. Chapter III, B 7). 77 5. Reunification Arbeit und Programme in der Praxis 5.2.3 Die Reunification Programme mit spezifischen Fokus Einige Reunification Programme fokussieren eine bestimmte Zielgruppe oder eine bestimmte Vorgehensweise, diese werden von Westat et. al. (2001) in verschiedene Kategorien aufgeteilt. Es handelt sich dabei um Programme, die als Zielgruppe Eltern mit Suchtproblemen einbeziehen oder Kinder mit schwerwiegenden Problemen fokussieren. Außerdem gibt es Programme, die auf der Verknüpfung und Zusammenarbeit mit dem Gemeinwesen basieren, die so genannten Community-Based Programs. Eine weitere Kategorie besteht aus Family Preservation Intensive In-home Services, diese basieren auf dem Family Preservation Model, insbesondere dem In-home based model (vgl. Chapter 2, 3.2). Community-Based Programs Das Ziel für Community-Based Programs ist die Eingliederung von Familien in ihr soziales Umfeld und die darin enthaltenen Gemeindezentren. Die Gemeindezentren bilden eine Ressource für problembelastete Familien. Das meistverbreitete Community-Based Program ist das von der Annie E. Casey Foundation entwickelte Family to Family model. Dieses darf nicht als reines Reunification Programm verstanden werden, sondern es ist ein Modell, welches die Gemeinwesenarbeit unterstützt, besonders in Gemeinden, aus denen Pflegekinder stammen. Durch eine Stärkung der Gemeinde und die Verknüpfung von staatlichen Sozialeinrichtungen mit örtlichen Gemeindezentren und mit anderen Diensten wird die Eingliederung von problembelasteten Familien in ihr soziales Umfeld möglich In Zusammenarbeit mit den Gemeindezentren wird unter anderem auch wesentlich die Reunification Arbeit unterstützt, es werden z.B. stellen sie Räume für Besuchskontakte zwischen Kind und Herkunftseltern zur Verfügung gestellt. Auf Grund der räumlichen Nähe der Gemeindezentren zum Wohnbezirk der Herkunftseltern gelangen diese nicht nur unproblematisch zu den Treffen mit ihren Kindern, sondern sie lernen dabei noch ihr unmittelbares soziales Umfeld und das Gemeindezentrum mit seiner Vielfalt an Möglichkeiten kennen. Es können sich Begegnungen mit Menschen in ähnlichen Lebenslagen ergeben oder sie erfahren, dass es noch andere Hilfs- und Unterstützungsangebote gibt. Die Angliederung der Familie z.B. an das örtliche Gemeindezentrum unterstützt die Reunification Arbeit und ist der Familie auch nach der Rückführung des Kindes zugänglich. Das Gemeindezentrum kann langfristig als Ressource genutzt werden (vgl. Westat et. al. 2001 Chapter 2, 3.2). 5. Reunification Arbeit und Programme in der Praxis 78 Family Preservation Intensive In-home Services Die Family Preservation Intensive In-home Services haben die Richtlinien und Vorgehensweisen aus dem Homebuilders model übernommen. Es kommen nicht mehr als fünf Familien gleichzeitig einen Sozialarbeiter und dieser ist rund um die Uhr für die Familien erreichbar. Ein Beispiel ist das Natural Support Program in New Jersey, auf das ich im folgenden Abschnitt genauer eingehen werde (vgl. ebd.). 5.3 Konkrete Beispiele für Reunification Programme 5.3.1 Das Reunification Programm aus New Jersey Das Natural Parent oder auch Birth Parent Support Program ist ein staatlich gegründetes Reunification Programm, welches im gesamten Bundesstaat New Jersey eingesetzt wird. In New Jersey unterliegt das Child Welfare System der staatlichen Verwaltung. Die Abteilung für Jugend- und Familienfürsorge (DYFS)16 des Department of Human Services ist verantwortlich für die Verwaltung der sozialen Dienste, die sich an Familien richten. Die Abteilung für Jugend- und Familienfürsorge betreibt 32 regionale Zentren in den 21 Bezirken von New Jersey. Der Staat hat auch einige private, soziale Institutionen unter Vertrag, die spezielle und erweiterte Arbeit im Bereich des Pflegekinderwesens und der Reunification Arbeit erbringen (vgl. Westat et. al. 2001, Chapter 3, Appendix D, NPSP, 1.1). Die Informationen über das Natural Parent Support Program (NPSP) stammen unter anderem aus Interviews, die Westat et. al. (2001) im Rahmen der Untersuchung „Permanency and Reunification Trends in 25 States“ im November 2000 mit den Mitarbeitern des Departement of Human Services, der Abteilung für Jugend- und Familienfürsorge und den Mitarbeitern von NPSP, geführt hat. Die Aussagen von Westat über die Durchführung und Organisation von NPSP beziehen sich hauptsächlich auf eine zentrale Region in New Jersey, die sich aus fünf Bezirken zusammensetzt. Zum Zeitpunkt des Berichtes befinden sich in der zentralen Region 573 Kinder im Pflegekinderwesen (vgl. ebd., 1.1). Die Zielgruppe von NPSP sind Familien, die einer intensiveren Unterstützung bedürfen, als traditionelle Reunification Arbeit leisten kann. Das Programm arbeitet mit der ganzen Familie zusammen, wobei der Fokus auf die Arbeit mit den leiblichen Eltern gelegt wird, 16 Division of Youth and Family Services 79 5. Reunification Arbeit und Programme in der Praxis denn sie müssen die Voraussetzungen für eine Rückführung des Kindes erfüllen. Die Familien werden entweder zum Zeitpunkt der Fremdplatzierung drei Monate vor oder drei Monate nach der Rückführung des Kindes in das NPSP Programm aufgenommen. Das Programm bietet eine intensive häusliche Betreuung und dauert vier bis sechs Monate. Die relativ kurze Dauer des Programms erfordert die Realisierbarkeit der Rückführung des Kindes innerhalb dieses Zeitraumes. Bei der Aufnahme in das Programm müssen beispielsweise Eltern mit einer Suchtkrankheit bereits fortgeschritten in ihrer Suchtbehandlung sein, um die Voraussetzung für eine schnelle Rückkehr des Kindes erfüllen zu können (vgl. ebd., 2.1). Fünf bis sieben Familien werden gleichzeitig von einem Sozialarbeiter betreut, der mit ihnen bis zu acht Stunden in der Woche zusammenarbeitet. Der Sozialarbeiter hilft der Familie bei der Bewältigung ihrer Probleme und stellt eine Vielzahl an Unterstützungsangeboten bereit. Die Herkunftseltern werden z.B. bei konkreten Dingen, wie der Haushaltführung, der Arbeitssuche, dem Finden einer Kindertagesstätte und dem Erlernen von neuen Erziehungsmethoden angeleitet. Die Sozialarbeiter nehmen dabei eine beratende sowie eine Vorbildfunktion ein. Sie können sich ihre Arbeitszeit frei einteilen, sind damit flexibel einsetzbar und können sich nach den individuellen Bedürfnissen der Familie richten. Die Flexibilität und die hohe Stundenanzahl, die in der Familie verbracht wird, erlaubt dem Sozialarbeiter auch das Durchführen der Besuche zwischen Eltern und Kind, das Übernehmen von Fahrdiensten und die Begleitung zu Selbsthilfegruppen, Therapiesitzungen oder Einstellungsgesprächen. Die Zusammenarbeit mit dem Sozialarbeiter ist auch am Wochenende oder am Abend möglich (vgl. ebd., 2.2). Das Programm betont Methoden, die den Eltern helfen ihre Stärken zu erkennen und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Dabei spielt die Beziehung zwischen dem Sozialarbeiter und den leiblichen Eltern eine bedeutende Rolle. Um eine Vertrauensbasis aufzubauen, ist ein langsamer Einstieg in die Zusammenarbeit mit der Familie erforderlich. Die so langsam entstehende Beziehung ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit und haben die Herkunftseltern ihre Ziele erreicht, wird die Betreuung und Unterstützung schrittweise weniger, um die Unabhängigkeit der Familie zu gewährleisten. Im Idealfall ist die Familie gegen Ende des Programms in ein soziales Netzwerk integriert und sie erhält weitere Unterstützungsleistungen z.B. vom Gemeindezentrum ihres Wohnortes. Die Abteilung der Jugend- und Familienfürsorge überwacht die Familie, meist noch 3-6 Monate nach Abschluss des Falles (vgl. ebd., 2.2). 5. Reunification Arbeit und Programme in der Praxis 80 Finanziert wird das NPSP jährlich mit 94.000 Dollar aus der „Governor's Foster Care and Permanency Initiative“, die ganzheitlich durch staatliche Gelder finanziert wird (vgl. ebd., 2.6). Das Programm erkennt die Wichtigkeit der Arbeit mit den Herkunftseltern für den Reunification Prozess an und der Erfolg wird durch das Angebot einer intensiven Einzelbetreuung im Haus der Herkunftsfamilie ermöglicht. „The NPSP offers flexibility, accessibility, intensive and supportive services, and small manageable caseloads. According to one member of the staff, these are the ingredients to make things happen.“ (vgl. Westat et. al. 2001, Chapter 3, Appendix D, NPSP, 3) 5.3.2 Einblick in die Struktur und Arbeitsweise der Reunification Unit in Dane County Human Service Department, Madison Wisconsin Während meines Aufenthaltes in den USA habe ich die Reunification Arbeit im Bundesstaat Wisconsin näher kennen gelernt. Wisconsin liegt im Norden der USA und verzeichnete im Jahr 2006 eine Einwohnerzahl von über 5 Millionen, von denen 23,4 % unter 18 Jahren waren (vgl. US Census Bureau 2006, Wisconsin). Child Welfare wird regional verwaltet und die Ausführung der Reunification Arbeit wird hauptsächlich von staatlichen Institutionen übernommen (vgl. Westat et. al. 2001, Chapter 3, Appendix A, Wisconsin). Im Jahr 2004 betrug die Anzahl der Pflegekinder 7.812, damit sind 6 von 1000 Kindern in Wisconsin fremduntergebracht (vgl. NDAS 2004, Bericht Rate of Children in Out-ofHome Care). Es verließen 5.682 Kinder das Pflegekinderwesen und 5.643 Kinder wurden neu aufgenommen (vgl. NDAS 2004, Berichte Number of Children Entering/ Exiting Out of Home Care). Die meisten Kinder, die das Pflegekinderwesen verließen, kehrten wieder zu ihren Herkunftseltern zurück. Es wurden 3.170 Kinder in ihre Herkunftsfamilie zurückgeführt, dies entspricht etwa 56% (vgl. Kids are Waiting 2007). Dass die Rückführung des Kindes in die Herkunftsfamilie einer der häufigsten Gründe für die Beendigung des Pflegeverhältnisses in Wisconsin ist, wurde bereits in einer umfassenden Studie von Westat et. al. im Jahr 2001 bestätigt. Westat et. al. analysierte in neun Staaten die Wahrscheinlichkeit der Rückführung für ein Pflegekind. Das so genannte Reunification Level fällt für den Bundesstaat Wisconsin mit am höchsten aus. In den Jahren 1990-1994 wurden in Wisconsin 26.049 Kinder in das Pflegekinderwesen 5. Reunification Arbeit und Programme in der Praxis 81 aufgenommen und bis 1997 verließen 15.792 Kinder das Pflegekinderwesen durch eine Rückführung in die Herkunftsfamilie. Daraus ergibt sich ein Reunification Level von 66,7 %. Im Gegensatz zum Bundesstaat Alabama werden die Kinder in Wisconsin, zum Zeitpunkt der Studie, viermal häufiger in ihre Herkunftsfamilie zurückgeführt (vgl. Westat et. al. 2001 Chapter 5, Punkt 3.1, Table II A.1). Die hohe Rückführungsquote lässt sich unter anderem mit der Gesetzeslage in Wisconsin erklären. Die Sozialarbeiterinnen Frau Kedzie und Frau Veloon berichteten mir von dem besonderen Schutz unter dem die Elternrechte, besonders im Bundesstaat Wisconsin, stehen. „[...] our values in Wisconsin and in this country are that parents have a right to raise their children, if they can savely do so, [...] there is a lot of effort and laws protecting that [...].“ Die Besonderheit der Gesetzgebung in Wisconsin besteht darin, dass der Sorgerechtsentzug in einer Gerichtsverhandlung mit Geschworenen ausgetragen werden kann. „[...] Wisconsin is different than many of the other states and that to determine parental rights in Wisconsin a parents has a right to take it to trial and that‘s unusual compared to other states [...].“ Dies bedeutet in einem normalen Fall, in dem das Elternrecht entzogen werden soll muss das Department of Human Services den Geschworenen beweisen, dass die Eltern, trotz einer ausreichenden Unterstützung, nicht die Bedingungen für die Rückführung erfüllen können und eine Erfüllung der Bedingungen in den nächsten neun Monaten nicht zu erwarten ist. „[...] you have to have tried and not just tried it on paper, you have to have really tried, it‘s expected in Wisconsin law.“ Eine spezielle Abteilung für die Reunification Arbeit in den Departments of Human Services wird in Wisconsin nicht als erforderlich angesehen und somit ist sie auch nicht gesetzlich vorgeschrieben. Jedoch hat sich in Dane County, einem Bezirk mit 463.826 Bewohnern17, ein Reunification Programm etabliert. Dieses Programm wird von einer eigenständigen Abteilung der Child Protection Unit in Dane County Department of Human Service durchgeführt. Die Abteilung besteht aus 6 Mitarbeitern, drei Sozialarbeitern und drei Social Service Specialists. Die Social Service Specialists konzentrieren sich auf den Kontakt zwischen den Familien und die Besuche zwischen leiblichen Eltern und Kind. Die Mitarbeiter der Reunification Unit, die so genannten Reunification Worker, ergänzen die Arbeit des Ongoing Social Workers und arbeiten 17 vgl. US Census Bureau, Wisconsin, Dane County 2006 5. Reunification Arbeit und Programme in der Praxis 82 intensiv mit den Familien am Ziel der Rückführung des Kindes. Dabei gibt es zwei verschiedene Vorgehensweisen. Die Reunification Unit bietet ein intensives Reunification Programm an und Early Intervention (Frühe Intervention). Early Intervention wird seit zwei Jahren praktiziert und setzt unmittelbar nach der Fremdplatzierung des Kindes ein. Die Familien werden zwei Monate lang betreut. In dieser Zeit werden Pläne zur Kontakterhaltung erstellt, Besuchskontakte durchgeführt und die Eltern werden bei der Problembewältigung unterstützt und an entsprechende Hilfsprogramme weitergeleitet. Die Idee hinter Early Intervention ist, bereits zu Beginn der Fremdplatzierung, eine eventuelle Rückführung vorzubereiten und den Schaden den die Eltern-Kind-Bindung durch den Bruch in der Beziehung erleidet, so gering wie möglich zu halten. Frau Kedzie und Frau Veloon beschreiben die Intention von Early Intervention: „[...] right from the very beginning see what we can do to help that parent and that family come back together [...] we can’t get to far in two months, but we do find out a lot of information and we do help develop some good family contact schedules, so that down the road, when the parent is doing better at least the attachment between the parent and the child hasn’t been as disrupted as much as it would been otherwise, because there are family contacts, they’re seeing each other more [...]“ Early Intervention ist in dem Sinne Reunification Arbeit, weil zu Beginn eine kurze, intensive Intervention, die Grundsteine für eine spätere, mögliche Rückführung legt. Ist die Eltern-Kind-Bindung beispielsweise erhalten geblieben, muss sie später, wenn die Rückkehr des Kindes möglich ist, nicht erneut hergestellt werden und dieses erleichtert und beschleunigt die spätere Reunification Arbeit. Jede Familie, deren Kind vor kurzem fremdplatziert wurde, qualifiziert sich für Early Intervention. Die intensive Reunification Arbeit richtet sich an die Familie, die eine Wohnung zu Verfügung hat, in die das Kind zurückkehren kann. Die Herkunftseltern müssen jedoch bereits einige Bedingungen für die Rückführung erfüllt haben bzw. daran arbeiten. Zum Beispiel muss ein drogensüchtiger Elternteil bei Aufnahme in das Programm einen Drogenentzug hinter sich haben und in Behandlung sein. Im Allgemeinen richtet sich die Arbeit der Reunification Unit an Familien, bei denen eine Rückführung des Kindes ohne eine intensive Betreuung unwahrscheinlich ist. Die Kinder, mit denen die Reunification Unit arbeitet, befinden sich hauptsächlich in einem Alter von zwei bis zwölf Jahren. Im 5. Reunification Arbeit und Programme in der Praxis 83 Durchschnitt arbeiten die Sozialarbeiter ein Jahr mit den Familien zusammen. In diesem Zeitraum ist die Vorbereitung auf die Rückführung des Kindes und eine mindestens drei Monate andauernde Betreuung nach der Rückkehr des Kindes miteinbezogen. Die geringe Anzahl an zu betreuenden Familien die auf einen Sozialarbeiter kommen, sechs bis acht Familien, erlaubt es ihnen, die Familien richtig kennen zu lernen und mit ihnen eine Beziehung aufzubauen. Während der Ongoing Social Worker gesetzlich dazu verpflichtet ist, sich einmal im Monat mit der Familie zu treffen, treffen die Reunification Worker sich mindestens einmal wöchentlich mit den Familien. Die intensive Arbeit mit den Familien hat den Nachteil, dass der gesamte Bedarf an Reunification Arbeit nicht gedeckt werden kann. Die Gesamtanzahl der Familien, die diese intensive Reunification Arbeit erhält, ist begrenzt und nicht alle Familien können aufgenommen werden. Die Reunification Arbeit besteht für Frau Kedzie und Frau Veloon aus zwei verschiedenen Teilen, die parallel zueinander bearbeitet werden. Zum einen arbeiten die Herkunftseltern an ihren Problemen um später eine erneute Gefährdung des Kindeswohls ausschließen zu können und zum anderen müssen der Kontakt und die Verbindung von Eltern und Kind erhalten oder erneut hergestellt werden. Die Reunification Unit fokussiert die Eltern-Kind-Bindung und die dafür wichtige Kontakterhaltung. „[...] so a lot of your focus is on really developing, enhancing the attachment between the parent and the child , [...].“ Die Besuchskontakte dienen dabei als Hilfsmittel und nehmen in der Häufigkeit und Länge immer mehr zu, die dabei entstehenden Probleme werden sofort bearbeitet und Bedenken der Sozialarbeiter in Bezug auf die Sicherheit des Kindes werden angeführt. Die Idee besteht darin, dass die zunehmenden Besuchskontakte den Übergang in das erneute Zusammenleben erleichtern oder den Sozialarbeitern wird deutlich, dass trotz einer ausreichenden Unterstützung der Eltern, eine Rückführung nicht möglich ist. Die Entscheidung der Sozialarbeiter kann von den Beteiligten leichter akzeptiert werden. Frau Kedzie und Frau Veloon beschreiben es mit den Worten: „[...] either way weather the child goes home it helps to have gone through that process of having a lot of family contact or if it doesn’t work out it helps provide closure, it makes it a little bit easier, people realize why we making the decisions we are making.“ 5. Reunification Arbeit und Programme in der Praxis 84 Die Arbeit der Reunification Unit in Dane County ist eine Ergänzung zu der Arbeit des Ongoing Social Workers, der den Eltern verstärkt durch Netzwerkarbeit und Hilfeplanung bei der Problembewältigung hilft. Dabei kümmert er sich zusätzlich um gerichtliche Dokumente, die für Anhörungen und die Evaluation des Falles erstellt werden müssen. Gleichzeitig sind die Eltern in ein System von Unterstützungsleistungen eingebunden, z.B. Suchtberatung, Elterntraining. Die Reunification Worker ermöglichen besonders im Early Intervention Programm die Anbindung an Ressourcen und helfen den Eltern bei der Suche nach möglichen Therapieangeboten und anderen Dienstleistungen. Diese Arbeit steht in der intensiven Reunification Arbeit nicht mehr im Vordergrund, da die Eltern bereits in ein System von Unterstützungsleistungen eingebunden sind und der Ongoing Social Worker auch als eine zusätzliche Hilfe dient. Die intensive Zusammenarbeit mit den Eltern durch die wöchentlichen Hausbesuche lässt eine andere Hilfe bei der Problembewältigung zu. Die Reunification Worker haben eine intensivere Beziehung zu den Familien, als die Ongoing Social Worker, und die Eltern erzählen ihnen mehr und berichten von ihren Befürchtungen und Ängsten. Somit leisten die Reunification Worker in einer direkten Zusammenarbeit mit den leiblichen Eltern eine Hilfestellung bei der Problembewältigung. Gleichzeitig fokussieren die Reunification Worker die Erhaltung der Eltern-Kind-Bindung und sind verantwortlich für die Organisation, die Durchführung und die Beurteilung von Besuchen zwischen Eltern und Kind. Frau Kedzie und Frau Veloon stellten während ihrer langjährigen Arbeit in der Reunification Unit fest, dass die Teilnahme am Reunification Programm den Herkunftsfamilien wieder Hoffnung gibt. „We help built hope, hope that [...] they are good parents and that they can develop the skills or make the changes they need [...] starting that piece of hope sooner rather than later, before parents disconnect form the system and their kids, is really the strengths of what we do.“ Die Intensität, die aus speziellen Reunification Programmen und Reunification Units hervorgeht, ist bedeutsam für den Erfolg des Reunification Prozesses. Wie erfolgreich die speziellen Reunification Programme und die Reunification Arbeit insgesamt in den USA ist, wird in einem späteren Kapitel erörtert. Zunächst einmal wird im nächsten Kapitel die Reunification Arbeit durch die Darstellung eines Fallbeispieles veranschaulicht. 6. Reunification Arbeit im Kontext einer Suchterkrankung der leiblichen Eltern 6. 85 Reunification Arbeit im Kontext einer Suchterkrankung der leiblichen Eltern Um den Fall der Herkunftsfamilie, die sich zum Zeitpunkt meiner Nachforschungen gerade im Reunification Prozess befand, besser erläutern zu können, gehe ich zuerst auf die spezifische Problematik einer vorhandenen Suchterkrankung der Herkunftseltern im Reunification Prozess ein. 6.1 Kindesmisshandlung und Vernachlässigung in Verbindung mit der Suchtabhängigkeit der Eltern In den USA lebt eins von 10 Kindern in einem Haushalt mit mindestens einem Erwachsenen zusammen, der illegale Drogen konsumiert. Das entspricht einer Gesamtzahl von 9,2 Millionen Kindern und einem prozentualen Anteil von 12,7 % (vgl. The National Center on Addiction and Substance Abuse at Columbia University 2005, S. 2). Im Jahr 1997 wurden 903.000 Kinder nachweislich Opfer von Kindesmisshandlung oder Vernachlässigung im Child Welfare System registriert. In 50% der Fälle, bei 451.500 Kindern ist zusätzlich ein Suchtproblem der Eltern vorhanden. Von den insgesamt 177. 000 vernachlässigten und misshandelten Kindern im Pflegekinderwesen, wurde in 115.050 bis 132.750 Fällen (65-75%) die Vernachlässigung und Kindesmisshandlung in Verbindung mit einem Suchtproblem der Eltern festgestellt (vgl. Young & Gardner 2000 zit. n. Alvarez-Rodriguez 2006, S. 11). Die Autoren Kelleher et. al. stellen in einer Studie von 1994 fest, dass Eltern mit einem Suchtproblem etwa dreimal häufiger beschuldigt werden, ihre Kinder zu misshandeln, als Eltern ohne ein Suchtproblem. In Bezug auf das Problem der Vernachlässigung, besteht der Verdacht viermal häufiger (vgl. S. 1588 f). Der Bericht „No Safe Haven: Children of Substance Abusing Parents“ vom nationalen Zentrum für Drogenmissbrauch (CASA) berichtet, dass im Jahr 1999, ein Drogenproblem in etwa 70% der Fälle von Kindesmisshandlung Drogenprobleme eine Rolle spielen (vgl. The National Center on Addiction and Substance Abuse at Columbia University 2005, S. 20). 6. Reunification Arbeit im Kontext einer Suchterkrankung der leiblichen Eltern 86 Die hohe Beteiligung einer Suchtkrankheit in Fällen von Kindesmisshandlung lässt sich unter anderem mit dem erhöhten Risiko der Entstehung von Angstzuständen und Wahnvorstellungen bei erhöhtem Alkohol- und Drogenkonsum, begründen. Die dadurch bedingten Stresssituationen können sich in einem aggressiven Verhalten den Kindern gegenüber ausdrücken. Ein erhöhter Konsum von Alkohol und Drogen in der Schwangerschaft kann Verhaltensauffälligkeiten beim Kind hervorrufen und es somit einem erhöhten Risiko aussetzen, später das Opfer aggressiven Verhaltes der Eltern zu werden. Der Umgang mit verhaltensauffälligen Kindern ist schwierig, die Eltern können den zusätzlich entstehenden Stress nicht bewältigen und haben keine Geduld mit ihren Kindern (vgl. Young 1997, zit. n. The National Center on Addiction and Substance Abuse at Columbia University 2005, S. 20). Der Drogenmissbrauch der Eltern schränkt die Eltern außerdem erheblich in der Fähigkeit ein, eine angemessene Versorgung und Erziehung ihrer Kinder zu gewährleisten. Sie sind nicht in der Lage eine stabile, für die Kinder vorhersehbare Lebensumgebung zu schaffen. „Parents as a consequence of their drug use may be physically or psychologically unavailable to provide nutrition, nurturance or comforts that are vital for a developing child.” (Maluccio & Ainsworth 2003, S. 517 f) Zusätzlich sind die Kinder einer Reihe von weiteren Risiken ausgesetzt. Der Autor Tracy (1994) führt Armut, das Aufwachsen in einer Nachbarschaft mit hoher Kriminalitätsrate, soziale Isolation der Familie und häusliche Gewalt des Lebenspartners der Mutter auf. Weitere Risikofaktoren sind das Unwissen der Eltern über die wesentlichen Erziehungsmethoden und die potenzielle Gefahr, die aus dem höheren Stellenwert der Besorgung und Konsumierung des Suchtmittels gegenüber der Erfüllung der Grundbedürfnisse des Kindes, hervorgeht (vgl. nach ebd., S. 514). Eltern mit einer Suchtkrankheit weisen eine Reihe an zusätzlichen bzw. durch die Sucht bedingten Probleme auf, die eine Herausforderung für die Politik und Praxis der Kinderund Jugendfürsorge darstellen. Die Anzahl der Pflegekinder, deren Eltern eine Suchtabhängigkeit aufweisen, nimmt zu und gerade in der Reunification Arbeit treten einige erschwerende Probleme auf. Die Autoren Maluccio und Ainsworth (2003) fordern eine Umgestaltung in der Vorgehensweise von Reunification, um sie den besonderen Gegebenheiten der Suchtproblematik anzupassen zu können (vgl. S. 511). Eine Beschreibung der speziellen Umstände von suchtabhängigen Eltern in der Reunification Arbeit folgt im nächsten Abschnitt. 87 6. Reunification Arbeit im Kontext einer Suchterkrankung der leiblichen Eltern 6.2 Die besonderen Gegebenheiten Reunification Arbeit der Suchtproblematik in der Für Eltern mit einer Drogen- oder Alkoholabhängigkeit ist die Reunification Arbeit besonders schwer, denn sie müssen nicht nur ihre Sucht bewältigen und sich auf ein Leben ohne Drogen und Alkohol einstellen, sondern zusätzlich Elterntrainingsprogramme erfolgreich abschließen, ein angemessenes Verhalten bei Besuchskontakten zeigen und die anderen auferlegten Bedingungen für Reunification erfüllen (vgl. Maluccio & Ainsworth 2003, S. 518). „The literature suggests that parents, predominantly women, face systemic problems, social attitudes, relapse, and their own individual histories as multiple challenges to their recovery and reunification.“ (Karoll & Poertner 2002, S. 252) Die Reunification Arbeit ist nicht nur aufgrund der vielfältigen Problemlage der Eltern erschwert, sondern auch erfolgloser. Pflegekinder, die wieder zu ihren suchtabhängigen Eltern zurückgeführt werden, kehren häufig in das Pflegekinderwesen zurück. In einer von Terling (1999) durchgeführten Studie haben 50% der Kinder, die nach einer Zusammenführung mit der Herkunftsfamilie in das Pflegekinderwesen zurückkehrten, suchtabhängige Eltern. In nur 20% der Fälle ließ sich die Rückkehr Kinder suchtkranker Eltern ins Pflegekinderwesen vermeiden. Die hohe Rückkehrquote erklärt Terling zum einen damit, dass die Präsenz des Suchtmittels im unmittelbaren Lebensraum des abhängigen Elternteils auch nach Abschluss einer Therapie noch gegeben ist. Das Suchtmittel befindet sich aufgrund des ebenfalls süchtigen Lebenspartners, der keine Suchttherapie machen muss, im unmittelbaren Lebensumfeld des Elternteils. Zum anderen ist die lange Dauer einer Suchtbehandlung ein Problem. Kinder, deren Rückführung schnell erfolgte, z.B. innerhalb von vier Monaten, kehrten häufiger in das Pflegekinderwesen zurück. Terling sieht die Problematik nicht nur in der hohen Rückfallquote, sondern auch in der Nichtvorhersehbarkeit des Erfolgs der Reunification Arbeit (vgl. Terling, 1999, S. 1359 ff). Diese Erkenntnis drückt eine besondere Bedeutsamkeit des Zeitfaktors im Reunification Planungsprozess für Kinder von suchtkranken Eltern aus. Die Gesetzeslage, die eine möglichst schnelle Rückführung des Kindes fordert, und das Wissen um die lange Dauer einer Suchtbehandlung erzeugen für den zuständigen Sozialarbeiter einen Konflikt. Erfolgt die Rückführung des Kindes zu schnell, sind die Bewältigung und die Anpassung an die neue Lebenssituation noch nicht abgeschlossen und es kommt eine neue belastende 6. Reunification Arbeit im Kontext einer Suchterkrankung der leiblichen Eltern 88 Situation hinzu. Diese kann leicht zu einer Überforderung der Eltern führen und die Gefahr des Rückfalles in die Sucht und in die damit verbundenen Verhaltensmuster ist groß. Auf der anderen Seite stehen die gesetzlichen Vorgaben, die eine Rückführung des Kindes innerhalb von 15 Monaten vorschreiben. Ohne den schnellen Zugang zu einer Suchttherapie und anderen Unterstützungsangeboten, z.B. Selbsthilfegruppen, haben die Eltern kaum eine Chance auf die Überwindung ihrer Abhängigkeit, die Stabilisierung ihrer Lebenslage und die Rückkehr ihrer Kinder (vgl. Maluccio & Ainsworth 2003, S. 518). Nicht nur der Konflikt zwischen einer langsamen und schnellen Rückführung, sondern auch die Kriterien, die für eine erfolgreiche Suchtbehandlung und eine zukünftige Abstinenz sprechen, sind schwer zu beurteilen. Bedeutsam ist deshalb in der Reunification Arbeit mit suchtabhängigen Eltern ein genaues abwägen über die Möglichkeit der Rückführung. „The decision to reunify children with their substance-affected parent is highly complex [...] decisionmakers are confronted with the challenging task of identifying indicators for safe reunification or termination of parental rights.“(Karoll & Poertner 2002, S. 349) Dieser schwierige Entscheidungsprozess und die Bestimmung des geeigneten Zeitpunktes für die Rückkehr des Kindes setzen genaue Kenntnisse des Sozialarbeiters über den allgemeinen Ablauf und den individuellen Verlauf der Suchtbehandlung voraus. Die Komponenten der Suchttherapie werden idealerweise in den Reunification Plan integriert (vgl. Hohman & Butt 2001, S. 64). Ein Beispiel hierfür ist die Integration der Dauer der Behandlung in den Reunification Plan um eine verfrühte Rückführung zu unterbinden. Im Idealfall machen die Eltern einen Entzug, finden einen Einstieg in die Suchttherapie, stellen sich auf ein Leben ohne Suchtmittel ein und beginnen dann mit den anderen Forderungen des Reunification Plans, z.B. Teilnahme an einem Elterntrainingsprogramm. Dadurch wird eine Überforderung der Eltern verhindert und sie konzentrieren sich zunächst auf die Suchttherapie, denn den Autoren Daley & Gorske (2000) zufolge, schließen viele Mütter eine Entzugs- und Suchttherapie nicht ab, da sie durch die zusätzlichen Auflagen für Reunification überfordert sind (vgl. nach Maluccio & Ainsworth 2003, S. 518). Unabdingbar ist auch das Wissen über eine hohe Rückfälligkeit während der Suchtbehandlung. Ein Rückfall wird nach Ansicht der Autoren Rawson et. al. (1991) als Teil des Heilungsprozess angesehen wird (vgl. nach Hohman & Butt 2001, S. 65). 6. Reunification Arbeit im Kontext einer Suchterkrankung der leiblichen Eltern 89 In der Suchttherapie wird der Rückfall als ein Instrument verwendet, der dem suchtkranken Patienten hilft die Auslöser der Sucht zu identifizieren und neue Bewältigungsstrategien zu entwickeln (vgl. Katz & Ney, 1995 nach Karoll & Poertner 2002, S. 253 f). Zum Bedauern der Autoren Karoll und Poertner (2002) wird ein Rückfall des Elternteils oft gleichbedeutend mit einem „hoffnungslosen Fall“ gesehen. Der zuständige Sozialarbeiter befürchtet die erneute Gefährdung des Kindeswohls, beurteilt die Familiensituation und die elterlichen Fähigkeiten neu und steckt unter Umständen andere Ziele fest, z.B. Entzug der elterlichen Sorge (vgl. S. 254). Das schlechte Urteilsvermögen mancher Sozialarbeiter resultiert aus einem lückenhaften Wissen über die Suchterkrankung und dessen Überwindung. „Child welfare workers historically have received little training in assessment or treatment of substance abuse, yet they are required to evaluate client progress in recovery as part of reunification plans.“ (Brook & McDonald 2007, S. 666) Insgesamt stellt die Suchtkrankheit von Herkunftseltern mit ihrer gesonderten Problematik eine Herausforderung für die Reunification Arbeit dar. Um eine gerechte, reale Chance den Herkunftseltern zu gewährleisten ist eine Schulung der Sozialarbeiter über die Suchterkrankung und deren Überwindung äußerst wichtig. Des Weiteren ist es wichtig, die Behandlungsdauer einer Suchtkrankheit in Relation zu der gesetzlich vorgegebenen Zeitgrenze des ASFA, innerhalb der die Rückführung des Kindes erfolgt sein sollte, zu sehen, um den Herkunftseltern die Zeit zu geben, die sie für eine Überwindung der Suchtkrankheit und der Änderung ihrer Lebensumstände benötigen. Um den Bedürfnissen und Besonderheiten von suchtabhängigen Herkunftseltern gerecht zu werden, wurden spezielle Reunification Programme entwickelt. Beispielsweise entstand im Bundesstaat Georgia ein Reunification Programm für suchtkranke Mütter, das im nachfolgenden Abschnitt ausführlich geschildert wird. 6.3 Spezielle Reunification Programme für suchtkranke Eltern Das Mothers Making A Change (MMAC) Programm wurde speziell für die Behandlung von suchtkranken Müttern in Cobb und Douglas Counties im Bundesstaat Georgia entwickelt. Cobb und Douglas County sind Bezirke in der Nähe von Atlanta. Im Jahr 2006 lebten 679.325 Menschen in Cobb County und 119.557 Menschen in Douglas County 6. Reunification Arbeit im Kontext einer Suchterkrankung der leiblichen Eltern 90 (vgl. US Census Bureau 2006). Der Child Protection Service bearbeitete im Jahr 1999, zum Zeitpunkt der Untersuchung von Westat et. al. (2001), in beiden Bezirken zusammen 2.100 Fälle, wobei Cobb County 445 Kinder fremdplatzierte und Douglas County 150 Kinder (vgl. Westat et. al. 2001, Chapter 3, Appendix D, MMAC). Das Programm MMAC wurde 1992 aufgrund der steigenden Anzahl von Säuglingen, die mit einer Drogenabhängigkeit geboren wurden, eingeführt. Ein weiterer Grund war die Feststellung der Ineffektivität von traditionellen Programmen der Jugendfürsorge in Bezug auf die Bedürfnisse suchtabhängiger Mütter. MMAC wurde über die Jahre weiterentwickelt und die angebotenen Dienstleistungen wurden erweitert. Es handelt sich nicht um ein reines Reunification Programm, sondern es ist ein umfangreiches Angebot an Gemeinwesenarbeit, Early Intervention, Family Preservation und Suchtbehandlung. Die Spezifität in der Auswahl der Klienten bleibt jedoch bestehen und die Angebote richten sich hauptsächlich an suchtkranke Mütter und schwangere Frauen. 19 Mitarbeiter betreuen durchschnittlich 70 bis 80 Klienten im Monat, von denen sechs Frauen schwanger sind. In den meisten Fällen sind die Mütter von Armut betroffen, Alleinerziehende und bereits eine lange Zeit abhängig (vgl. ebd.). Die Angebote von MMAC beruhen auf einem Behandlungsmodell, welches am Gemeinwesen und an der Familie orientiert ist und eine ganzheitliche Suchtbehandlung mit einschließt. Die Suchtkrankheit der Eltern wird dabei als Teil einer gesamten Problemlage der Familie gesehen und neben der Suchtbehandlung wird ihnen der Zugang zu Wohnmöglichkeiten, zur Bildung und zum Gesundheitswesen ermöglicht. Bei Frauen, die in das MMAC Programm aufgenommen werden, wird innerhalb der ersten 48 Stunden das Ausmaß der Suchtkrankheit und die fehlenden Ressourcen der Familie erfasst, nach denen sich der Behandlungsplan ausrichtet. (vgl. ebd.). In der ersten Phase des MMAC Programms erhalten die Klienten eine intensive Suchtbehandlung für 90 Tage. Danach leben sie für ca. 9 Monate zusammen in einem Wohnkomplex und nehmen an Anti-Aggressions-Training, Elterntraining, Seminaren über die kindliche Entwicklung und über eine kindgerechte Ernährung teil. In dieser Phase kehren die meisten Kinder in ihre Herkunftsfamilie bzw. zu ihren Müttern zurück. In einer letzten Phase nehmen die Klienten an einem Nachbereitungsprogramm von 6 Monaten teil, um die sofortige Unterstützung bei einem möglichen Rückfall zu gewährleisten und 6. Reunification Arbeit im Kontext einer Suchterkrankung der leiblichen Eltern 91 die Risiken eines Rückfalls gering halten zu können. Außerdem erhalten die Mütter erhalten eine Unterstützung bei der Suche nach einer Arbeitsstelle (vgl. ebd.). Finanziert wird das MMAC Programm von staatlichen Subventionen, die zu 30% aus block grant und zu 70% aus TANF Geldern besteht. Zusätzlich erhält das MMAC Programm über 4 Jahre hinweg bundesstaatliche Family Preservation Fördermittel und einen staatlichen Zuschuss von 75.000 Dollar für den Family Preservation Service (vgl. ebd.). Zusammengefasst basiert das MMAC Programm auf einer medizinisch-psychologischen Sichtweise, die eine methodische und sehr detaillierte Vorgehensweise in der Entwicklung und Planung der Behandlung vorschreibt. Westat beschreibt das intensive und umfassende Angebot des MMAC Programms als einzigartig und es ist so strukturiert, dass es nicht nur die Suchtproblematik behandelt, sondern das Selbstbewusstsein fördert, beim Aufbau eines sozialen Netzwerkes hilft, die Fähigkeiten in der Erziehung und Versorgung von Kindern stärkt und die Eltern-Kind Beziehung regeneriert. Die sozialen und finanziellen Bedürfnisse der Klienten werden beachtet. Somit entsteht eine umfassende Behandlung von Müttern und Kindern (vgl. ebd.). 6.4 Fallbeispiel Nicole 6.4.1 Kontaktaufnahme und Verlauf des Treffens Die alleinerziehende Mutter, Nicole, lernte ich über Frau Reichelt kennen. Frau Reichelt arbeitet für die private Organisation „Foundations Counseling Center“ als In-home Therapist. In-home Therapy (Therapie in der häuslichen Umgebung) bezieht die Arbeit mit der ganzen Familie mit ein. Die Hauptaufgabe besteht in der Durchführung einer Familien- und Einzeltherapie. Auf dem Weg zu Nicole berichtete mir Frau Reichelt von ihrer Tätigkeit: „In-home demonstrates discipline techniques or interventions to use in a hands on manner where social worker enforces the court order.“ Zu Beginn meines Aufenthaltes hatte ich die Möglichkeit, das Interview mit Nicole alleine zu führen. Das Interview dauerte 40 Minuten und bevor der Besuchskontakt 6. Reunification Arbeit im Kontext einer Suchterkrankung der leiblichen Eltern 92 zwischen Nicole und ihren Kindern stattfand, hatte Frau Reichelt noch etwas Zeit, um Nicole zum ersten Mal den konkreten Ablauf der geplanten Rückführung vor zustellen. In den ersten 30 Minuten des Besuchskontaktes führte Frau Reichelt eine Einzeltherapie mit Johnny durch. An diesem Tag spielte sie mit Johnny ein Rollenspiel, um verschiedene Arten von Gefühlen deutlich zu machen. Nicole beschäftigte sich in der Zeit mit Hunter, der einen Mittagsschlaf machen sollte. Nachdem Frau Reichelt mit Johnny gearbeitet hatte, wurde Nicole involviert. Nicole erfuhr somit, was in der Therapie passiert war und Johnny konnte seine Erfahrungen direkt mir ihr austauschen. Die letzte Stunde war für das Zusammensein von Mutter und Kindern gedacht, in der sich Frau Reichelt etwas zurückzieht. Bei aufkommenden Fragen oder Problemen konnte Nicole sie jederzeit ansprechen. 6.4.2 Fallbeschreibung Nicole ist 29 Jahre alt, zurzeit nicht berufstätig und alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, Johnny, 6 Jahre, und Hunter, 4 Jahre. Die beiden Kinder befinden sich seit fast einem Jahr (Dezember 2006) im Pflegekinderwesen. Johnny’s Vater lebt ein paar Stunden entfernt und Hunter‘s Vater, Todd, lebt in der Nähe von Nicole und den Kindern. Johnny’s Vater nimmt an seinem Leben kaum teil und es wird berichtet, dass er regelmäßig Alkohol und Drogen konsumiert. Während der Schwangerschaft mit Johnny nahm Nicole Kokain und Alkohol zu sich. Johnny wurde jedoch nicht mit einer Abhängigkeit geboren. In seinem ersten Lebensjahr wurde Johnny fremdplatziert und innerhalb eines Jahres wechselte er dreimal die Pflegefamilie. Der Grund für die damalige Fremdplatzierung war Vernachlässigung als Folge der Kokainabhängigkeit von Nicole. Sie machte eine Suchtbehandlung und lebte im Rahmen des Projektes „The Family Shared Care Programm“ für einige Zeit mit Johnny zusammen in einer Pflegefamilie. Nach etwa einem Jahr im Pflegekinderwesen kehrte Johnny zu seiner Mutter zurück, die mit Todd zusammenlebte und mit Hunter schwanger war. Der Sozialdienst wurde erneut, nach Aussagen von Nicole wegen der Lernschwierigkeiten von Johnny, in die Familie involviert. Johnny ist verhaltensauffällig und wird derzeit mit ADHS Medikamenten behandelt. Er hat Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten und zeigt ein aggressives Verhalten gegenüber Lehrern, Mitschülern, seiner Mutter, seinem Stiefvater und seinem Bruder auf. 6. Reunification Arbeit im Kontext einer Suchterkrankung der leiblichen Eltern 93 Die Herausnahme der Kinder wurde durch den Verstoß gegen die vereinbarten Regeln ausgelöst. Um die Sicherheit der Kinder zu gewährleisten, wurde mit dem Sozialarbeiter vereinbart, dass Nicole die beiden Kinder nicht alleine unter der Aufsicht von Todd lassen würde. Eines Tages fuhr sie mit Johnny zu dessen Vater um Johnny’s Geburtstag zu feiern, Hunter blieb bei seinem Vater. Sie berichtete mir von diesem Ereignis: „[...] the social worker, she wrote up a thing stating that I can’t leave Hunter or Johnny alone with Todd, because Todd’s a drinker, alcoholic and this and that, [...] so basically the boys got taken because I broke that rule, I left Hunter with his dad and then I left Johnny with his dad in Milwaukee, because I asked if I could go out and hang out with some friends for while and then Johnny’s dad [...] he couldn’t contact me or something, then he called my mum and said I can’t take care of him and then my cousin came and then when the social worker found out that I left, you know that I broke the rule [...].“ Nach eigenen Angaben war sie nie wütend auf den Sozialarbeiter, der die Herausnahme der Kinder veranlasst hatte, sondern auf den Vater von Johnny. “[...] I was more upset at Johnny’s dad, because Johnny’s dad wanted to see Johnny so bad and then all the sudden he turned around and said that oh I can’t care for him and this and that , just for one night, like he got jealous cause I went out or something and it was just kind of really hectic, and I was just really surprised that that happened.” Nach der Herausnahme der Kinder ging es ihr ziemlich schlecht und sie fiel in ein schwarzes Loch. Daraufhin wurde sie auch in ein psychiatrisches Krankenhaus eingeliefert. Sie schilderte mir ihre Gefühle, die sie nach der Herausnahme erlebte. “[...] the worst thing was that I cried and cried and then I ended up in the hospital, because I was so depressed, I didn’t feel like killing myself or anything, but I just felt you know like why did I do that [...] I just felt like so empty [...] every time I looked at a picture just, you know I would just see them playing and stuff, it was really hard [...].“ Bei der Überwindung der Trauer, die die Trennung von ihren Kindern in ihr auslöste, half ihr der unmittelbare Beginn der Besuchskontakt. Sie wurde dazu ermutigt, ihre Kinder jeden Abend anzurufen und auf diesem Weg mit ihnen in Verbindung zu bleiben. Denn zu Nicole’s Bedauern waren häufige Besuche aufgrund der Entfernung der Pflegefamilien anfänglich nicht möglich. 6. Reunification Arbeit im Kontext einer Suchterkrankung der leiblichen Eltern 94 Die Kinder waren zunächst bei Verwandten untergebracht. Eine Cousine von Nicole nahm Johnny auf und eine Tante von Hunter kümmerte sich um ihn. Die Cousine wurde mit den Verhaltensaufälligkeiten von Johnny nicht fertig und daraufhin wurde er bei einer Pflegemutter untergebracht. Diese nahm später auch Hunter bei sich auf, nachdem die Tante wegen ihrer gesundheitlichen Probleme nicht länger für Hunter sorgen konnte. Nicole ist glücklich darüber, dass ihre beiden Kinder seit einiger Zeit zusammen untergebracht sind. Die Pflegemutter wohnt ca. 45 Minuten von Nicole entfernt. Zum Zeitpunkt des Interviews kommen ihre Kinder zweimal in der Woche für zwei Stunden zu ihr nach Hause. Die Besuche sind noch beaufsichtigt. An einem Tag in der Woche ist Frau Reichelt mit anwesend und arbeitet therapeutisch mit Johnny und Nicole zusammen. Nicole hat das Gefühl, durch die In-home Therapy und die praktische Anleitung in ihrer häuslichen Umgebung, viel zu lernen. „I went to parenting class, and if you learn so much in a short period of time it‘s like, you know sometimes and I can‘t remember and stuff like that, but then when the therapist comes to the home you know she works with you, and can kind you remember that , she shows you what to do [...]“ Anfänglich war es etwas gewöhnungsbedürftig und überwältigend für sie, dass andere Menschen ihr sagten, wie sie sich ihren Kindern gegenüber verhalten sollte. Sie berichtete: „[...] at first [...] I felt like a kid, but then jip after a while I actually thanked them, [...] now I am comfortable [...] if I have a question [...]“ Ihre Beziehung zu den Sozialarbeitern beschrieb sie generell als unkompliziert und sie hat sich immer in den Entscheidungsprozess und die Vorgänge involviert gefühlt. Zum Zeitpunkt des Interviews nimmt Nicole keine Drogen mehr. Ihr letzter Rückfall war der Konsum von Marihuana vor fünf bis sechs Monaten. Aber nicht nur die Drogenabhängigkeit stellt ein Problem dar, denn bei Nicole wurde eine Bipolare Störung diagnostiziert, die mit Medikamenten und einer Therapie behandelt wird. In der Vergangenheit treten immer wieder Schwierigkeiten mit der richtigen Dosierung und Einnahme ihrer Medikamente auf. Deshalb ist sie heute in einem Community Support Program (CSP). Täglich werden Nicole ihre Medikamente vorbeigebracht, wobei die richtige Dosierung und Einnahme überwacht wird. Sie empfindet das CSP Program als 6. Reunification Arbeit im Kontext einer Suchterkrankung der leiblichen Eltern 95 besonders hilfreich, denn sie kann nicht durch die Verfügbarkeit ihrer Medikamente in Versuchung geführt werden. „[...] the come over every day to give me my medicine, which I do like, because like now it’s a time where I don’t feel like using or anything but I just feel that you know if I did have all my bottles of medications, that I probably would overtake [...]“ Durch das CSP Program fühlt sie sich gut auf die geplante Rückführung der Kinder vorbereitet und unterstützt. „[...] yeah I definitely feel ready, and then I think I feel more ready than before, cause I know that I’ll still have support and them I‘m in this CSP Program [...], because like before I would abuse my medication [...] but I got you know a lot of support, so I’m definitely ready” Nicole hatte Schwierigkeiten mit der Strukturierung und dem Wechsel von Aktivitäten. Frau Reichelt half ihr, den Besuch besser zu strukturieren und sich selbst und den Kindern mit Hilfe eines Timers zu signalisieren, dass es Zeit für einen Wechsel der Aktivität ist. Dadurch, dass die Mutter den Wechsel von Aktivitäten übt, erfolgt ein häufiger Wechsel der Aktivitäten. Die Mutter sucht zwei Aktivitäten aus, z.B. Lernspiel und Malbuch; am Ende dürfen die Kinder sich etwas aussuchen. Nicole berichtete mir über ihre fehlende Geduld mit den Kinder: „[...] something I didn’t really have before, [...] cause I was like using drugs and stuff [...] the biggest thing was the cocaine and then cause every time I get like really just like the kids aren’t listening to me, I need something to come down and so I would go to that drug [...] now the medication I am on I have a lot more patience and stuff. “ Nicole freute sich sehr über den Reunification Plan, der ihr von Frau Reichelt vorgestellt wurde. “[...] I’ve been so long without them, and then it’s like so wired, because I don’t want go too much longer without them, because then you get kind used to not having kids and then when you get them back you gotta kind of ok, I can’t just go out and ride my bicycle or out fishing at the last minute [...].“ Zur Veranschaulichung ist der Reunification Plan im „Intensive In-Home/Multi-Agency 90 Day Treatment Plan Goal Review“ Anhang D I zu finden. Dort kann der Aufbau und detaillierte Ablauf der geplanten Rückführung der Kinder von Nicole nachgelesen werden Zum besseren Verständnis befindet sich auch der Intake/ Assessment Plan von Johnny im Anhang D II. 6. Reunification Arbeit im Kontext einer Suchterkrankung der leiblichen Eltern 96 Zusammengefasst sieht der Plan die Rückkehr der Kinder innerhalb der nächsten neun Monate vor. Allerdings erst nach der Beendigung des Schuljahres, damit die Kinder nicht während dessen die Schule bzw. die Vorschule wechseln müssen. Die Besuche werden in der Häufigkeit und Länge expandiert und in naher Zukunft werden diese auch nicht mehr beaufsichtigt. Der Plan gilt unter dem Vorbehalt, dass Nicole weiterhin Fortschritte in der Bewältigung ihrer Probleme erzielt und die Bedingungen für eine Rückführung erfüllt. Einige Bedingungen, die Nicole erfüllen muss und die gerichtlich angeordnet wurden, sind: - den Umgang, z.B. die richtige Einnahme, mit ihren Medikamenten lernen - lernen, ihr Abhängigkeitsverhalten zu kontrollieren - das „Alcohol and Other Drug Abuse“ Programm abschließen und einen Plan haben, der zur Verhinderung eines Rückfalls dient (Relapse Prevention Plan) - zu zeigen, dass sie versteht, dass ihre Planungsunfähigkeit eine Auswirkungen auf die Sicherheit ihrer Kinder hat - den ausdrücklichen, beständigen Wunsch nach der Rückführung der Kinder Für die Zukunft wünschte sich Nicole: „Just to get the kids back, oh I think the first thing that I learn in rehab and stuff just to remain sober and definitely get my kids back and just [...] and I am definitely stay with the CSP Program [...] stay consistent, keep up the consistency, cause that’s what I had trouble doing [...]“ Ich erlebte Nicole als eine herzliche und sehr aufgeschlossene Frau. Sie war im Interview sehr freundlich und antwortete bereitwillig auf meine Fragen. Während des Gespräches erwähnte sie, dass es ihr hilft über die Ereignisse zu sprechen. Sie zeigte meiner Meinung nach ein großes Engagement und machte sich viele eigene Gedanken z.B. über geeignete Disziplinierungsmaßnahmen. Sie dachte sich u.a. ein Belohnungssystem aus um die Kinder zum Aufräumen zu motivieren. 97 6. Reunification Arbeit im Kontext einer Suchterkrankung der leiblichen Eltern Mit diesem Fallbeispiel möchte ich die Reunification Arbeit veranschaulichen und zeigen, wie vielfältig sich die Problemlage darstellen kann und dass einer Familie ein vielfältiges Unterstützungsprogramm angeboten werden muss. Nicole ist eine alleinerziehende Mutter ohne Arbeitsplatz. Sie hat nicht nur die finanziellen Probleme zu lösen, sondern hat auch Schwierigkeiten in der Erziehung ihrer Kinder und muss gleichzeitig lernen, mit ihrer Krankheit und Abhängigkeit umzugehen. Des Weiteren zeigt Johnny Verhaltensauffälligkeiten. Auch er braucht therapeutische Unterstützung. Dieses Fallbeispiel illustriert das erhöhte Risiko, dem Kinder von suchtkranken Eltern ausgesetzt sind, bei nicht adäquater Behandlung der Sucht der Eltern, eine erneute Fremdplatzierung zu erleben. Außerdem zeigt sich, dass die gesetzlich festgelegte Zeitgrenze, innerhalb der eine Rückführung erfolgen sollte, im Bundesstaat Wisconsin, keine starre Grenze ist. Die Kinder sind bereits 11 Monate in Foster Care und es kommen gemäß dem Reunification Plan noch 9 weitere Monate hinzu. Der besondere Schutz, dem die elterlichen Rechte im Bundesstaat Wisconsin unterliegen, haben Auswirkungen auf eine flexiblere Gestaltung der Zeitgrenze des ASFA. Nach 15 Monaten findet eine Anhörung vor Gericht statt. Sind die Eltern dabei, die Bedingungen und Auflagen zu erfüllen und ist eine Rückführung in absehbarer Zeit (innerhalb der nächsten 9 Monate) möglich, machen die Richter in den meisten Fällen eine Ausnahme. Die Rückführung kann zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Denn in Wisconsin können die leiblichen Eltern ihr Sorgerecht vor einem Geschworenengericht verteidigen. Bis ein solcher Prozess stattfindet, vergeht Zeit. Bis dahin kann sich die Lebenssituation deutlich verbessert haben und es kann gut sein, dass die Eltern bis dahin ihre Bedingungen erfüllt haben. Wenn eine Gefährdung des Kindeswohls ausgeschlossen werden kann, stimmen die Geschworenen dem Entzug der elterlichen Sorge in der Regel nicht zu. Somit machen bereits die Richter in der Anhörung nach 15 Monaten eine Ausnahme. Nach den Aussagen von Frau Kedzie und Frau Veloon wäre eine starre Zeitgrenze nicht gerechtfertigt, denn: „[...] for someone you is a chronic cocaine user it can be a good year you know before a good year of sobriety some would say, would be recommend before a child returns home and so where does that fit in with 15 months, if the parent doesn’t get into treatment you know until 6-9 months [...]“ 6. Reunification Arbeit im Kontext einer Suchterkrankung der leiblichen Eltern 98 Die Flexibilität der Zeitgrenze gibt Nicole die Möglichkeit, einen sanften Übergang in die alltägliche Mutterrolle zu finden und die Kinder haben den Vorteil, dass sie nicht mitten im Schuljahr die Schule und ihre Freunde verlassen müssen. Eine voreilige Rückführung innerhalb der nächsten vier Monate könnte die hart erarbeiteten Fortschritte dieser Familie zunichte machen und eine erneute Fremdplatzierung nach sich ziehen. Auf diese Weise kann zunächst der Fokus auf die Problembewältigung gelegt werden. Ist diese im Gang, kann gezielt die konkrete Zusammenführung der Kinder mit der ganzen Familie vorbereitet werden. 7. Kritische Auseinandersetzung mit der praktischen Umsetzung des Reunification Konzeptes 7. 99 Kritische Auseinandersetzung mit der praktischen Umsetzung des Reunification Konzeptes Die ersten Kapitel schildern unter anderem den theoretischen Hintergrund des Reunification Konzeptes und betten es in das Gesamtkonzept des us-amerikanischen Pflegekinderwesens ein. Die nachfolgenden Kapitel beschreiben die Arbeitsweise des Pflegekinderwesens, insbesondere die praktische Ausübung des Reunification Konzeptes. In diesem letzten Kapitel werde ich erörtern, inwieweit die theoretische Umsetzung in die Praxis erfolgreich ist und das Ergebnis meiner Überlegungen, inwieweit Ideen und Arbeitsweisen aus dem us-amerikanischen Pflegekinderwesen auf das deutsche Pflegekinderwesen übertragen werden könnten, darstellen. 7.1 Die Anzahl der Rückführungen im Jahr 2005 Der Erfolg von Reunification wird oftmals an der Anzahl der Kinder gemessen, die nach einer Rückführung in die Herkunftsfamilie erneut fremdplatziert werden. Zunächst einmal ist es wichtig zu wissen, wie viele Kinder überhaupt zurückgeführt wurden. Im Jahr 2005 verließen 287.000 Kinder das Pflegekinderwesen. Davon wurden 155.608 Kinder in die Herkunftsfamilie zurückgeführt und 51.323 Kinder wurden adoptiert (vgl. U.S. Department of Health and Human Services et. al. 2005). Die Abbildung 6 zeigt den prozentualen Anteil, deren Gründe die im Jahr 2005 zu einer Beendigung des Pflegeverhältnisses führten Die Graphik lässt erkennen, dass die Rückführung für viele Kinder angestrebt und konkret umgesetzt wird. Die Kinder, die im Jahr 2005 das Pflegekinderwesen verließen, kehrten zu 54 % zu ihren leiblichen Eltern zurück. 18% der Kinder wurden adoptiert und 11% leben dauerhaft bei Verwandten. Zu 4% übernahmen andere Personen die Vormundschaft für die Kinder. Das Erreichen des 18. Lebensjahres war zu 9% der Grund für die Beendigung des Pflegeverhältnisses und in 4% der Fälle spielten andere Gründe eine Rolle, z.B. dass die Kinder von der Pflegefamilie wegliefen. 7. Kritische Auseinandersetzung mit der praktischen Umsetzung des Reunification Konzeptes 100 4% 4% Rückführung 9% Leben bei Verwandten Adoption 18% 54% Volljährig Vormundschaft andere Gründe 11% Abbildung 6: Anzahl der Rückführung 2005 vgl. Originaltext: Adoption and Foster Care Analysis and Reporting System (AFCARS) data submitted for the FY 2005, 10/1/04 through 9/30/0518 7.2 Die Rückkehr der ehemaligen Pflegekinder in das Pflegekinderwesen 7.2.1 Die Rückkehrquote Eine Vielzahl von Studien beschäftigt sich mit dem Phänomen der Rückkehr in das Pflegekinderwesen. Die Ergebnisse einiger Studien fassen die Autoren Freundlich & Wright (2003) zusammen. Ihrer Meinung nach bestätigen die neuzeitlichen Studien eine Rückkehrquote in das Pflegekinderwesen von ca. 30%. Beispielsweise untersuchten die Autoren Fein und Staff im Jahr 1992 ein Reunification Programm und stellten fest, dass 27% der zurückgeführten Kinder bereits nach neun Monaten in das Pflegekinderwesen zurückkehrten. In der Studie von Terling (1999) wurden 37% der Kinder nach drei Jahren erneut fremdplatziert. Eine Studie über 88 zufällig ausgewählte Säuglinge, durchgeführt von Frame, Berrick & Brodowski (2000), belegt die Rückkehr in das Pflegekinderwesen von 32% der Säuglinge innerhalb von sechs Jahren (vgl. Freundlich & Wright 2003, S. 51). Eine umfassende Darstellung der Anzahl der zurückgeführten Kinder, die zu einem späteren Zeitpunkt erneut fremdplatziert wurden, führt der Autor Wulczyn in seinem Artikel „Family Reunification“ von 2004 an. Die von ihm beschriebenen Daten stammen aus dem der ‚Multistate Foster Care Data Archive’und die dazugehörige Abbildung 7 ist 18 U.S. Department of Health and Human Services, Administration for Children and Families, Administration on Children, Youth and Families, Children's Bureau , Preliminary Estimates for FY 2005 7. Kritische Auseinandersetzung mit der praktischen Umsetzung des Reunification Konzeptes 101 im Anhang A III zu finden. Von den ehemaligen Pflegekindern, die im Jahre 1990 zum ersten Mal fremdplatziert wurden, kehrten ca. 28% innerhalb eines Zeitraumes von 10 Jahren in das Pflegekinderwesen zurück. Für das Jahr der ersten Fremdplatzierung 1993 wird eine Rückkehrquote in das Pflegekinderwesen von 26% ermittelt. Nach dem Jahr 1997 fällt die Anzahl der Rückkehr in das Pflegekinderwesen immer weiter ab. Dieser Abfall lässt sich jedoch mit einer verkürzten Beobachtungszeitspanne erklären. Die ehemaligen Pflegekinder, die erstmalig im Jahr 2000 fremdplatziert wurden, erfuhren zu 10% innerhalb von vier Jahren eine erneute Fremdplatzierung (vgl. Wulczyn 2004, S. 105). Eine genaue Ermittlung der Rückkehrquote in das Pflegekinderwesen ist schwierig und langwierig. Um genaue Werte über die Anzahl der in das Pflegekinderwesen zurückgekehrten Kinder zu erhalten, müssen die Pflegekinder über einen längeren Zeitraum beobachtet werden. Des Weiteren erfolgt häufiger, bedingt durch einen Wohnortwechsel der Herkunftsfamilie in andere Bezirke der Bundesstaaten, eine erneute Aufnahme in das Pflegekinderwesen. Auch dieser Sachverhalt erschwert in erheblichem Maße die genaue Erfassung aller Daten. Der Autor Festinger (1996) stellt fest, dass noch keine Standards festgelegt wurden, die zur Bestimmung einer hohen bzw. einer niedrigen Rückführungsquote dienen. „There is no standard by which to determine what is low or high, nor has the final verdict on the actual rate been delivered. But on the sideline of the swirl of numbers, it is utterly clear that for each child who returns to care the rate is 100%.“ (Festinger 1996, S. 399) 7.2.2 Faktoren, die eine Rückkehr in das Pflegekinderwesen begünstigen Die Faktoren, die in wissenschaftlichen Studien mit einer Rückkehr in das Pflegekinderwesen assoziiert werden, können in verschiedene Kategorien eingeteilt werden. Zum einen handelt es sich um die Merkmale der Fremdplatzierung und der sozialen Institution. Zum anderen spielen familiäre Gegebenheiten, die Probleme der Herkunftseltern und des Kindes eine Rolle (vgl. ebd., S. 385). Zur Illustration werden wenige Faktoren aus den einzelnen Kategorien genannt. Bis zu einem gewissen Grad überschneiden sich die Faktoren, die eine Rückkehr begünstigen, mit den in Kapitel 4 erläuterten Faktoren, die den Reunification Prozess beeinflussen. 7. Kritische Auseinandersetzung mit der praktischen Umsetzung des Reunification Konzeptes 102 Merkmale der Fremdplatzierung Die Merkmale der Fremdplatzierung umfassen unter anderem deren Dauer und die Art des Pflegeverhältnisses. Beispielsweise wird unter anderem in den Studien von Courtney (1995), Westat & Chapin Hall Center for Children (2001) festgestellt, dass Kinder mit einem kurzen Aufenthalt, insbesondere von 1-2 Monaten, im Pflegekinderwesen einem erhöhten Risiko einer erneuten Fremdplatzierung ausgesetzt sind (vgl. Shaw 2006, S. 1380). Des Weiteren fanden sich u.a. in den Studien Wells & Guo (1999) und Westat & Chapin Hall Center for Children (2001) bei Kindern, die bei Verwandten fremdplatziert wurden, eine niedrige Rückkehrquote in das Pflegekinderwesen. “Maintaining family ties while in the child welfare system is important and leads to lower odds of reentry.” (Shaw 2006, S. 1389) Merkmale der sozialen Institution Für den Autor Shaw (2006) ist die Rückkehr des Kindes in das Pflegekinderwesen ein Zeichen dafür, dass ein Problem während des Reunification Prozesses nicht angemessen gelöst wurde (vgl. S. 1377). Einige Faktoren, die von Seiten der sozialen Einrichtung das Risiko einer Rückkehr des Kindes in das Pflegekinderwesen erhöhen, haben die Autoren Freundlich und Wright (2003) zusammengefasst. Werden beispielsweise Besuchskontakte zwischen den leiblichen Eltern und den Kindern nicht konkret geplant und gezielt umgesetzt, besteht ein erhöhtes Risiko einer erneuten Fremdplatzierung (vgl. S. 58, Table 8). Familiäre Gegebenheiten Unter diese Kategorie fallen Faktoren, wie die finanzielle Situation der Familie und schlechte Wohnverhältnissen. Die Studien von Fein und Staff (1993) und Frame, Berrick und Brodowski (2000) belegen einen Zusammenhang von schlechten Wohnverhältnissen und einer Rückkehr ins Pflegekinderwesen. Zusätzlich fand die Studie von Fein und Staff (1993) eine höhere Rückkehrquote bei Kindern von alleinerziehenden Müttern (vgl. Freundlich & Wright 2003, S. 55). Die Probleme der Herkunftseltern Die Studie von Terling (1999) misst der den leiblichen Eltern zukommenden sozialen Unterstützung eine besondere Bedeutung bei. Wenn die soziale Isolation der Eltern eine 7. Kritische Auseinandersetzung mit der praktischen Umsetzung des Reunification Konzeptes 103 Problem darstellt, sind die Kinder einem erhöhtem Risiko ausgesetzt, erneut fremdplatziert zu werden (vgl. S. 164). Ähnlich verhält es sich, wenn die Eltern ein Suchtproblem haben. Wie bereits in Kapitel 6 geschildert, ist dies ein weiterer Risikofaktor für eine erneute Herausnahme des Kindes. Probleme des Kindes Kinder mit gesundheitlichen, psychologischen Auffälligkeiten oder Verhaltensproblemen kehren häufiger als unproblematische Kinder in das Pflegekinderwesen zurück. Die Studie von Jones (1998) und Thomlison (1998) stellt unter anderem diesen Zusammenhang fest (vgl. Freundlich & Wright 2003, S. 54). Das Wissen über den Einfluss dieser Faktoren auf den langfristigen Verbleib des Kindes in der Herkunftsfamilie, ist für eine verbesserte Umsetzung des Reunification Konzeptes sehr bedeutsam. An Teilaspekten des Reunification Konzeptes wird im nächsten Absatz dargestellt, in welchen Bereichen eine verbesserte Umsetzung des Konzeptes notwendig ist. Die Bereiche beziehen sich unter anderem auf die hier geschilderten Faktoren. 7.3 Darstellung einiger Schwachpunkte des Reunification Konzeptes anhand einiger Teilaspekte Die Umsetzung des Reunification Konzeptes wird unter dem Teilaspekt der Zeitgrenze aus dem Adoption Safe Families Act von 1997, unter dem Gesichtspunkt von Kinship Care und den staatlichen finanziellen Fördermitteln, betrachtet. Ein Faktor, der bei einer erneuten Fremdplatzierung des Kindes hineinspielt, ist die nach wenigen Monaten erfolgte Rückführung in die Herkunftsfamilie. Hieran wird deutlich, dass eine Rückführung nicht zu schnell erfolgen darf, denn die leiblichen Eltern brauchen eine gewisse Zeit, um ihre Probleme bewältigen und eine Veränderung ihrer Lebensumstände bewirken zu können. Unter diesem Aspekt können die Zeitgrenzen des ASFA von 1997 kritisch in Betracht gezogen werden. Es gibt jedoch keine wissenschaftlich belegten Daten, die einen Zusammenhang zwischen den Zeitgrenzen des ASFA und einer erhöhten Rückkehrquote in das Pflegekinderwesen feststellen oder widerlegen. Es wird jedoch vermutet, dass der zeitlich festgelegte 7. Kritische Auseinandersetzung mit der praktischen Umsetzung des Reunification Konzeptes 104 Rahmen, innerhalb dessen eine Rückführung erfolgen kann, zu einer oberflächlichen Bearbeitung der Probleme der leiblichen Eltern führt (vgl. Freundlich & Wright 2003, S. 57). Um eine voreilige Rückführung des Kindes zu verhindern, ist die Schulung der Mitarbeiter von sozialen Einrichtungen und die Entwicklung von Kriterien zur Feststellung des richtigen Zeitpunktes für die Rückkehr des Kindes von großer Bedeutung. Hierzu ist noch ein erheblicher Bedarf an Forschungsarbeit vorhanden. „Although family reunification is the most common exit type for children in care, relatively little is known about reunification decision making and the process of reintegration children in their families.” (Wulczyn 2004, S. 98) Wichtig in Bezug auf die gesetzlich festgelegte Zeitgrenze, innerhalb der eine Rückführung erfolgen sollte, ist, dass sie nicht als eine starre Grenze gesehen werden darf. Die Zeitgrenze stellt lediglich eine gesetzliche Vorgabe des Staates dar, an denen sich die einzelnen Bundesstaaten ausrichten. Wie streng die praktische Umsetzung dieser Zeitgrenze erfolgt, hängt von der Gesetzgebung der Bundesstaaten ab. Die Aussagen, die bereits die Autoren Freundlich und Wright (2003) in verschiedenen Interviews mit Child Welfare Mitarbeitern erhielten, bestätigten sich auch in den Interviews, die ich durchgeführt habe. Die Meinung dieser Mitarbeiter ist, dass die Zeitgrenze als eine Art Druckmittel dient, damit die soziale Institution bereits zu Beginn der Fremdplatzierung die Grundvoraussetzungen für eine Rückführung erfüllen muss, so dass diese dann in einem angemessenen Zeitrahmen erfolgen kann (vgl. S. 57 f). In dem von mir geschilderten Fallbeispiel (Kapitel 6) wird auch die Bedeutung einer gewissen Flexibilität der Zeitgrenzen veranschaulicht. Meines Erachtens ist der flexible Umgang mit dem Faktor Zeit notwendig, um auf die individuellen Bedürfnisse der leiblichen Eltern und des Kindes eingehen zu können. Die Fremdplatzierung bei Verwandten, um die Familienanbindung zu erhalten, und die Rückführung des Kindes zu erleichtern und erfolgreicher zu gestalten, wird bereits anerkannt. Das Potenzial von Kinship Care ist allerdings noch nicht ausgeschöpft und wird noch nicht überall konkret umgesetzt. Im Jahr 2005 waren 124.153 Pflegekinder (24%) bei Verwandten untergebracht. Der Großteil der Fremdplatzierungen erfolgte weiterhin bei Pflegefamilien, ca. 46% (vgl. U.S. Department of Health and Human Services et. al. 2005). 105 7. Kritische Auseinandersetzung mit der praktischen Umsetzung des Reunification Konzeptes Obwohl die Rückkehroption generell als die beste Möglichkeit empfunden wird, wurde in den letzten 20 Jahren wenig in erfolgreiche Reunification Programme investiert. In der Förderung von Adoption und anderen dauerhaften Alternativen hat sich hingegen viel getan (vgl. Wulzcyn 2004, S. 110). Die finanziellen Unterstützungsleistungen des Staates sind nicht gerecht verteilt. Es gibt kein eigenständiges Programm zur Förderung von Reunification, sondern die Gelder werden aus dem gleichen Programm (Promoting Safe and Stable Families Act) gezahlt, welches für Präventionsmaßnahmen zur Erhaltung von Familien eingesetzt wird. Die Adoption wird finanziell wesentlich mehr gefördert, mit dem Programm Adoption Assistance. Die Bundesstaaten erhalten eine zusätzliche Subvention, wenn sie innerhalb eines Jahres eine gewisse Anzahl von Adoptionen erreichen (vgl. Kapitel 1.4.2). „Although the 1997 reforms give financial bonuses to states that increase the number of children adopted out of foster care, they do not reward successful reunification of children with their natural families.“ (Reich 2005, S. 122) Die Kosten der Reunification Programme sind hoch, denn eine Rückführung ist mit einem hohen Arbeitsaufwand verbunden und die Personalkosten sind hoch. Auch die für die Rückführung wichtigen Besuchskontakte zwischen leiblichen Eltern und Kind sind wegen des Arbeitsaufwandes, der in die Planung, Koordination und Durchführung gesteckt werden muss, mit hohen Kosten verbunden. „Caseloads must be low enough to allow the time visiting requires. An agency committed to reunification must bear these high costs [...].“ (McCartt Hess & Proch 1988, S. 138) Zusätzlich sind die Herkunftsfamilien, die im Pflegekinderwesen involviert sind, oft arbeitslos und leben an oder unterhalb der Armutsgrenze. Nach Aussagen von Frau Bowers wäre es phantastisch, wenn ihre Abteilung die finanziellen Mittel zur Verfügung hätte um die Eltern anfänglich etwas unterstützen zu können und z.B. die Fahrtkosten für Besuchskontakte oder Therapiegespräche übernehmen könnte. In der Verteilung der finanziellen Fördermittel wird die Adoption deutlich mehr gefördert, als die Rückführung in die Herkunftsfamilie. Diese Tatsache beeinflusst sowohl die Ausstattung, mit der die Herkunftseltern eine Veränderung ihrer Lebensumstände bewirken könnten als auch und das Angebot zur Verfügung stehender Unterstützungsmaßnahmen, die der Sozialarbeiter empfehlen kann (vgl. Reich 2005, S. 122). 7. Kritische Auseinandersetzung mit der praktischen Umsetzung des Reunification Konzeptes 106 Es bleibt festzuhalten, dass die Rückkehrquote in das Pflegekinderwesen nicht unbedingt an einem Fehler des theoretischen Konzeptes liegt, sondern vielmehr an der mangelhaften Umsetzung in die Praxis. Eine Senkung der Rückkehrquote ließe sich meiner Meinung nach durch eine bessere Umsetzung des vorhandenen Konzeptes erreichen. Der Staat könnte beispielsweise eine flächendeckendere und effizientere Umsetzung mit der Bereitstellung von mehr finanziellen Mitteln bewirken. Die Reunification Arbeit ist mit einem hohen Arbeitsaufwand verbunden und um langfristige Änderungen zu bewirken, muss sie in einem angemessenen Zeitrahmen erfolgen. Außerdem besteht ein umfassender Forschungsbedarf. Es gibt z.B. nur wenige Informationen über die Kriterien, nach denen die Sozialarbeiter entscheiden können, welche Kinder zurückgeführt werden können und zu welchem Zeitpunkt die Rückführung erfolgen sollte. Es scheint auch an neueren Forschungsergebnissen zum Thema Reunification zu mangeln. Teilweise habe ich nur Studien aus den neunziger Jahren und ältere gefunden. Aus diesem Kapitel lässt sich schließen, dass die praktische Umsetzung des Reunification Konzeptes im Pflegekinderwesen der USA absolut nicht reibungslos verläuft und jederzeit in vielen Bereichen verbesserungswürdig ist. Jedoch wird klar, dass ohne eine eindeutige, allgemeine Zielausrichtung kein gemeinsames Arbeiten möglich ist. Denn wenn die Zielausrichtung frei wählbar ist, dann arbeiten alle Pflegekinderdienste in verschiedene Richtungen und sind eher dazu verleitet, sich an einzelnen privaten, wissenschaftlich nicht belegten Meinungen zu orientieren. Im nächsten Abschnitt werden Überlegungen angestellt, an welchen sinnvollen Methoden der us-amerikanischen Theorie und Praxis sich das deutsche Pflegekinderwesen orientieren könnte. 107 8. Gedanken zu Übertragbarkeit von Reunification auf das deutsche Pflegekinderwesen 8. Gedanken zu Übertragbarkeit von Reunification auf das deutsche Pflegekinderwesen Das deutsche Recht schreibt im Gegensatz zum us-amerikanischen Gesetz kein eindeutiges Ziel vor, nach dem sich das gesamte Pflegekinderwesen ausrichten könnte. Für den Autor Blandow (2004) sind die Vorschriften und Gebote zum Aushandeln, zum Prüfen und Abwägen formuliert, und dieser Regelmodus überfordert die Praxis (vgl. S. 203). Dem deutschen Pflegekinderwesen mangelt es an einer einheitlichen, verbindlichen Regelung, in der gemeinsam Ziele verfolgt werden. Die Einigung und Ausrichtung auf ein allgemeingültiges, gesetzlich festgelegtes Ziel trägt nicht nur zu einer Sicherung der Kontinuität von Pflegekindern bei, sondern auch zu einer gezielteren, verantwortungsvolleren Arbeit mit den Herkunftseltern. Wie sich in Kapitel 4 darstellt, sind viele Probleme der Herkunftseltern gesellschaftlich bedingt, z.B. Ausgrenzung, soziale Isolation, Armut und schlechter Bildungsstand. Von diesem Aspekt aus betrachtet, trägt die Gesellschaft auch die Verantwortung gegenüber diesen Menschen. Die Gesellschaft muss ihnen den Zugang zu Ressourcen ermöglichen, damit sie eine Chance haben ihr Recht auf die Erziehung ihrer Kinder geltend machen zu können. Im deutschen Pflegekinderwesen wird nur die Verantwortung gegenüber den Kindern übernommen. Diese ist auch von extremer Wichtigkeit, denn die Kinder bedürfen eines besonderen Schutzes und sie sind meist unschuldig an der familiären Situation, wobei die leiblichen Eltern immer eine Teilschuld tragen. Wichtig ist dennoch, dass auch die Verantwortung, die der Pflegekinderdienst gegenüber den leiblichen Eltern trägt, wahrgenommen wird. Meiner Meinung nach haben, die leiblichen Eltern in der Regel eine zweite Chance verdient. Zumindest haben sie den Versuch verdient, eine zweite Chance zu bekommen. Dabei wird nur ein ausreichendes, umfassendes, ressourcenorientiertes Angebot an Unterstützungsleistungen der Lebenssituation der leiblichen Eltern gerecht. Im deutschen Pflegekinderwesen wird vielen Herkunftsfamilien die Rückführung in Aussicht gestellt, aber es wird nicht gezielt darauf hingearbeitet und es ist nicht genau geregelt, wer zuständig für die Zusammenarbeit mit den Herkunftseltern ist. Zum einen wird die konkrete Hilfestellung für die leiblichen Eltern vernachlässigt und zum anderen ist der kontinuierliche Besuchskontakt zwischen Herkunftseltern und Kind nicht einheitlich geregelt und eine eindeutige Stellungnahme zu der Bedeutsamkeit von Besuchskontakten ist auch nach Jahren der Diskussion nicht gefunden worden. 8. Gedanken zu Übertragbarkeit von Reunification auf das deutsche Pflegekinderwesen 108 Die kontroversen Ansichten im deutschen Pflegekinderwesen über die Ansicht der Pflegefamilie als Ersatz- oder Ergänzungsfamilie existieren nach wie vor, und es konnte noch keine eindeutige, allgemeingültige Sichtweise erörtert werden. Es scheint als ob jeder Pflegekinderdienst für sich selbst entscheidet, zu welcher Ansicht er mehr tendiert und nach welchem Konzept er seine Arbeit und Vorgehensweise ausrichtet. Aus diesem Grund erfolgen Rückführungen nur sporadisch und ergeben sich eher zufällig (vgl. Faltermeier, Glinka & Schefold 2003, S. 5). Die Rückführung ist jedoch ein Prozess der unter hohem Arbeitsaufwand ausführlichst geplant und vorbereitet werden muss. Die gezielte, erfolgreiche Umsetzung kann nicht nur zu einer Kontinuitätssicherung der Pflegekinder beitragen, sondern sie bewirkt auch eine Senkung der Anzahl der Pflegekinder und unterbindet den häufigen Wechsel von Pflegefamilien. Wird die Rückführung zu einem allgemein erstrebenswerten Ziel für Pflegekinder erklärt, wandelt sich auch das Bild der Pflegefamilie. Sie wird vielmehr als Teil eines professionellen Teams gesehen, das nicht nur der Unterstützung des Kindes, sondern der gesamten Familie dient. Diese neue Ansicht der Pflegefamilie müsste den alten und zukünftigen Pflegeeltern durch intensive Öffentlichkeitsarbeit vermittelt werden. Zudem ist eine ausführliche Vorbereitung auf die Pflegschaft und eine Eingliederung in das Team des Pflegekinderdienstes eine Voraussetzung für leistungsstarke Pflegeeltern, die den Herkunftseltern als Ressource dienen können. Beispielsweise können die Pflegeeltern eine Vorbildfunktion einnehmen und die leiblichen Eltern können neue Erziehungsmethoden erlernen. Durch eine einheitliche Zuweisung der Rollenverteilung sowohl in, der Pflegefamilie als auch in der Herkunftsfamilie, kann sich eine etwas einfacher Beziehung entwickeln. Dem Konkurrenzverhalten wird entgegengewirkt, indem verdeutlicht wird, dass alle gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiten, entweder auf das Ziel der Rückführung oder auf das der Adoption. Der Verbleib des Kindes muss unabhängig von der Frage, ob das Kind noch Kontakt mit den anderen jeweiligen Eltern hat, betrachtet werden. Im Interesse des Kindes sollte in Zukunft darauf hingearbeitet werden, dass, der Kontakt zu den leiblichen Eltern, bzw. den Pflegeeltern sowohl bei der Adoption als auch bei einer Rückkehr in die Herkunftsfamilie, weiterhin bestehen bleibt. 8. Gedanken zu Übertragbarkeit von Reunification auf das deutsche Pflegekinderwesen 109 Das Pflegekinderwesen der USA gliedert nicht nur die Pflegeeltern in das Unterstützungssystem der Herkunftsfamilien ein, sondern es setzt auch ganz gezielt Mitarbeiter ein, die den leiblichen Eltern eine konkrete Hilfestellung geben können. Die im Abschnitt 4.2.1 erwähnten Family Support Worker unterstützen die Eltern bei der Haushaltsführung, sie reinigen z.B. mit den leiblichen Eltern zusammen das Haus und stellen einen Haushaltsplan auf. Die Arbeit mit den Herkunftseltern ist somit auf verschiedene Mitarbeiter verteilt. Die Family Support Worker leisten gezielte, praktische Hilfe in der häuslichen Umgebung der Familie, die Ongoing Social Worker übernehmen im weitesten Sinne Koordinationsarbeit und nehmen eine eher beratende Funktion gegenüber den Eltern ein. Diese Arbeitsaufteilung erleichtert und beschleunigt den Reunification Prozess im us-amerikanischen Pflegekinderwesen. Der Autor Blandow (2004) spricht sich jedoch gegen eine vereinheitliche Regelung aus, die die Rückführung zu einem allgemeinen Credo erklärt. Für ihn muss die Entscheidung im Einzellfall gewahrt werden (vgl. S. 204). Jedoch darf sich diese nicht nach der persönlichen Meinung der Mitarbeiter des Pflegekinderdienstes orientieren, sondern muss sich nach allgemeingültigen, wissenschaftlich begründeten Kriterien ausrichten. Persönliche Schlussbemerkung 110 Persönliche Schlussbemerkung Meiner Meinung nach ist es widersprüchlich, dass die elterlichen Rechte in Deutschland in einer besonderer Weise geschützt sind und sie den Eltern nicht so einfach wie in den USA aberkannt werden können. In der Praxis des Pflegekinderwesens wird hingegen wenig dafür getan, um eine Zusammenführung von leiblichen Eltern und Kindern zu ermöglichen. Mir scheint als ob die Kinder nicht mehr so schnell hergegeben werden wenn sie erst einmal im Pflegekinderwesen sind. Und die Herkunftseltern, die um die Rückkehr ihrer Kinder kämpfen, werden regelrecht mit leeren Versprechungen hingehalten. In diesem Zusammenhang ist die Überlegung angebracht, ob die Schaffung von klaren Verhältnissen nicht wesentlich effektiver und gerechter wäre. In den USA erhalten die leiblichen Eltern eine realistische Chance. Ist eine Rückführung dennoch nicht möglich, kann ihnen die elterliche Sorge innerhalb eines kurzen Zeitraumes vollständig entzogen werden. Andere Personen erhalten die Gelegenheit, dem Kind das Aufwachsen in einer Familie zu ermöglichen. Diesem Leitgedanken unterliegt Permanency Planning, mit dem die Kontinuität der Pflegekinder in den USA gesichert wird. In Deutschland müsste zunächst die Grundvoraussetzung geschaffen werden, um eine Reformierung einleiten zu können und dies wäre die Einigung auf eine gemeinsame Ausrichtung des deutschen Pflegekinderwesens. Durch eine verstärkte Forschung, und aus Erfahrungsberichten der Praxis von anderen Ländern kann die Notwendigkeit der Reformierung des deutschen Pflegekinderwesens wissenschaftlich begründet werden. Eine Veränderung der Gesetzeslage ist notwendig, um zumindest in der Theorie eine gemeinsame Ausrichtung der Arbeitsweise des deutschen Pflegekinderwesens zu haben. Die praktische Umsetzung und Umstellung würde sich über Jahrzehnte hinziehen. In den USA ist die Entwicklung der Kontinuitätssicherung längst nicht abgeschlossen. Zum einen gibt es immer noch regionale Unterschiede in der Ausübung der allgemeinen Zielausrichtung und zum anderen fügen die laufenden Forschungsarbeiten und Studien eine neue, detaillierter Sichtweise hinzu. Die Arbeit des Pflegekinderwesens unterliegt einem ständigen Wandel und passt sich den neuzeitlichen Gegebenheiten und gesellschaftlichen Bedingungen an. Persönliche Schlussbemerkung 111 Meiner Meinung nach geht es nicht um Ersatz oder Ergänzungsfamilie, sondern es muss endlich akzeptiert werden, dass Pflegekinder je nach Länge des Aufenthalts in der Pflegefamilie, zwei Familien haben und zu diesen beiden Familien Bindungen entstanden sind. Unabhängig vom dauerhaften Aufenthaltsort der Pflegekinder, müsste zum Wohl der Kinder daraufhin gearbeitet werden, dass beide Familien in ihr Leben langfristig involviert werden. Abschließen möchte ich mit einem Zitat von Frau Bowers, die über die Bedeutsamkeit der Weiterentwicklung spricht: „I think we can always improve on how we work, [...] when people come up with new things [...] counties need to embrace those things [...] so there is always room for improvements and a new ways of doing things, most definitely“. Literaturverzeichnis 112 Literaturverzeichnis Blandow J. (2004). Pflegekinder und ihre Familien. Geschichte, Situation und Perspektiven des Pflegekinderwesens. 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Jahrhundert S. 14 119 Wort- und Abkürzungsverzeichnis Wort- und Abkürzungsverzeichnis Administration for Families and Children Abteilung für Familien und Kinder Adoption Assistance finanzielle Unterstützung der Adoptivfamilien Assessment Einschätzung, Analyse Battered child syndrome Kindesmisshandlung Building Aufbau Case Planning Hilfeplanung Case Progress Evaluation Evaluation der Fortschritt Child Abuse and Neglect Prevention Verhinderung von Kindermisshandlung und Vernachlässigung Child Protective Services Soziale Einrichtung zum Schutz von Kindern Child Welfare Jungendfürsorge Child Welfare System System der Jugendfürsorge Conditions of Return Bedingungen für eine Rückführung des Kindes Concurrent planning konkurrierende Planung Crisis Intervention model Model der Krisenintervention Division of Youth and Family Services Abteilung für Jugend- und Familienfürsorge Early Intervention Frühe Intervention English Poor Law englisches Armenrecht Family Continuity Familien-Kontinuität Family Engagement Einbeziehung der Familie Family Treatment model Modell der Familien-Behandlung Family Perservation Erhaltung von Familien 120 Wort- und Abkürzungsverzeichnis Foster Care Pflegekinderwesen Foster Care Population Anzahl der Kinder im Pflegekinderwesen Hispanic Lateinamerikaner Independent Living selbstständig leben und wohnen In-home Therapy Therapie in der häuslichen Umgebung Intake Aufnahme Intake Unit Aufnahmeabteilung Investigation Untersuchung Kinship Care Verwandtenpflege Legal Guardianship Vormundschaft Long-Term Foster Care Langzeitpflege Non-Hispanic Black Afroamerikaner nicht lateinamerikanischer Herkunft Non-Hispanic White Amerikaner nicht lateinamerikanischer Herkunft Ongoing Social Worker Hauptbezugs-Sozialarbeiter Opening Öffnung Permancy Hearing Anhörung vor Gericht Permanency Plan Plan für eine dauerhafte Lösung Petition Klageschrift Promoting Safe and Stable Families Fördern von sicheren, stabilen Familien Reasonable Efforts angemessene Bemühungen Reunification Rückführung in die Herkunftsfamilie Reunification Unit Abteilung für Rückführung 121 Wort- und Abkürzungsverzeichnis Reunification Level Wahrscheinlichkeit der Rückführung für ein Pflegekind Screen In Verdacht nachgehen Screen Out Ausschluss des Verdachtes Service Delivery Vermittlung von Hilfen Shared Parenting geteilte Elternschaft Social Security Act Sozialversicherungsgesetz Social Service Sozialeinrichtungen Terminating parental rights Entzug der elterlichen Sorge Traditional or Rehabilitation Foster Care traditionelle oder Rehabilitationspflege AACWA Adoption Assistance and Child Welfare Act ACF Administration for Children & Families AFDC Aid for Families with Dependent Children ASFA Adoption and Safe Families Act CHIPS Child in need of Protective Services DYFS Division of Youth and Family Services HHS Department of Health and Human Services MMAC Mothers Making A Change NCSL National Conference of State Legislatures NDAS National Data Analysis System TANF Temporary Assistance for Needy Families TPR Terminating parental rights Inhaltsverzeichnis Seite Vorwort Inhaltsverzeichnis Einleitung S. 6 Kapitel: 1. Das Pflegekinderwesen der USA 1.1 Definition Foster Care und die unterschiedlichen Ausprägungen des Pflegeverhältnisses Statistische Erhebung zur Foster Population Die geschichtliche Entwicklung im us-amerikanischen Pflegekinderwesen 1.2 1.3 1.3.1 Frühe Entwicklungen im Pflegekinderwesen 1.3.2 Die Child Welfare Reformen des 20. Jahrhunderts 1.4 Die Organisation des Pflegekinderwesens 1.4.1 Die Organisationsstruktur der staatlichen Sozialeinrichtung 1.4.2 Die Finanzierung des us-amerikanischen Pflegekinderwesens 2. Theoretische Konzepte im Pflegekinderwesen 2.1 Permanency Planning 2.1.1 Definition von Permanency Planning 2.1.2 Die Richtlinien von Permanency Planning und die sich daraus ergebende Hierarchie 2.2 Reunification 2.2.1 Definition Reunification 2.2.2 Richtlinien von Reunification 2.3 Die Argumente der Bindungstheorie in den Konzepten Permanency Planning und Reunification 3. Der Prozess der Rückführung 3.1 3.2 Der Ablauf bei Verdacht auf Gefährdung des Kindeswohls Detaillierte Beschreibung der Arbeitsschritte des Child Protective Services am Beispiel des Wisconsin Model Workflow Der Reunification Prozess Faktoren, die Reunification beeinflussen 3.3 3.4 S. 8 S. 9 S. 13 S. 13 S. 14 S. 20 S. 20 S. 23 S. 27 S. 27 S. 28 S. 32 S. 32 S. 34 S. 35 S. 38 S. 40 S. 42 S. 46 Inhaltsverzeichnis 4. Die Herkunftseltern 4.1 Der Blick auf die Herkunftseltern 4.1.1 Die Probleme der Herkunftseltern 4.1.2 Die Gefühle der Herkunftseltern 4.2 Die Arbeit mit den Herkunftseltern im Reunification Prozess 4.2.1 Die Hauptaufgaben der Sozialarbeiter 4.2.2 Die Kompetenzen der Sozialarbeiter im Hinblick auf ihren Aufgabenbereich 4.2.3 Die Aufgaben und Erwartungen an die Pflegeeltern 5. Reunification Arbeit und Programme in der Praxis 5.1 Reunification Programme in Abgrenzung zur Family Preservation Programme 5.1.1 Family Preservation Programme 5.1.2 Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Family Preservation und Reunification Programme 5.2 Allgemeine Aspekte der Reunification Programme 5.2.1 Instrumente der Reunification Arbeit 5.2.2 Die Unterschiede der verschiedenen Reunification Programme 5.2.3 Reunification Programme mit spezifischen Fokus 5.3 Konkrete Beispiele für Reunification Programme 5.3.1 Das Reunification Programm aus New Jersey 5.3.2 Einblick in die Struktur und Arbeitsweise der Reunification Unit in Dane County Human Service Department, Madison Wisconsin 6. Seite S. 50 S. 50 S. 53 S. 55 S. 55 S. 57 S. 64 S. 69 S. 69 S. 71 S. 72 S. 72 S. 74 S. 77 S. 78 S. 78 S. 80 Reunification Arbeit im Kontext einer Suchterkrankung der leiblichen Eltern 6.1 Kindesmisshandlung und Vernachlässigung in Verbindung mit der Suchtabhängigkeit der Herkunftseltern S. 85 6.2 Die besonderen Gegebenheiten der Suchtproblematik in der Reunification Arbeit S. 87 6.3 Spezielle Reunification Programme für suchtkranke Eltern S. 89 6.4 Fallbeispiel Nicole S. 91 6.4.1 Kontaktaufnahme und Verlauf des Treffens S. 91 6.4.2 Fallbeschreibung S. 92 7. Kritische Auseinandersetzung mit der praktischen Umsetzung des Reunification Konzeptes 7.1 Die Anzahl der Rückführungen im Jahr 2005 S. 99 Inhaltsverzeichnis 7.2 Die Rückkehr der ehemaligen Pflegekinder in das Pflegekinderwesen 7.2.1 Die Rückkehrquote 7.2.2 Faktoren, die eine Rückkehr in das Pflegekinderwesen begünstigen 7.3 8. Darstellung einiger Schwachpunkte des Reunification Konzeptes anhand einiger Teilaspekte Seite S. 100 S. 100 S. 101 S. 103 Gedanken zu Übertragbarkeit von Reunification auf das deutsche Pflegekinderwesen S.107 Persönliche Schlussbemerkung S. 110 Literaturverzeichnis S. 112 Verzeichnis verwendeter Onlinedokumente S. 115 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis S. 118 Wort- und Abkürzungsverzeichnis S. 119 Erklärung Anhang: The Number and Rate of Foster Children Ages 17 and Under 1990- 2005 Number of Children Under Age 18 in the U.S 1950-2030 Reentry Rate by Year of Admission Wisconsin Model Workflow Wisconsin Model Implementation Preservice, Institute for Human Services: Myths and Realities Intensive In-home/Multi-Agency 90 Day Treatment Plan Goal Review Intake/Assessment and Intensive In-home Multi-Agency Treatment Plan AI A II A III BI B II C DI D II