2 Ss (OWi) - Brandenburgisches Oberlandesgericht

Transcription

2 Ss (OWi) - Brandenburgisches Oberlandesgericht
2 Ss (OWi) 120 Z/05 Brandenburgisches Oberlandesgericht
5323 Ss-OWi 33/05 Zul Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
40 OWi 975/04 Amtsgericht Lübben
1421 Js-OWi 45450/04 Staatsanwaltschaft Cottbus
Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss
In dem Bußgeldverfahren
gegen
Dr. J… L … ,
geboren am 02.10.1951 in …,
Deutscher,
Verteidiger:
Rechtsanwalt …,
wegen
fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit u.a.
hat der 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts als Senat für Bußgeldsachen
durch
den Richter am Oberlandesgericht …
- als Einzelrichter –
am
30. Juni 2005
-2-
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Lübben
vom 22. Februar 2005 wird zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.
Das Urteil des Amtsgerichts Lübben vom 22. Februar 2005 wird aufgehoben und das
Verfahren gegen den Betroffenen eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen
fallen der Landeskasse zur Last.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen vorsätzlich verbotswidrigen Benutzens eines
Mobiltelefons in Tateinheit mit fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 120 € verurteilt. Der Verstoß soll am 14.04.2004 begangen
worden sein. Seinetwegen erging am 04.08.2004 ein Bußgeldbescheid. Das Amtsgericht hat
im Hinblick auf eine Anordnung der Anhörung des Betroffenen am 12.05.2004 eine rechtzeitige Verjährungsunterbrechung gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG angenommen.
II.
Die gemäß § 80 Abs. 1 OWiG zulassungsbedürftige Rechtsbeschwerde war zur Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG). Das Amtsgericht
hat – wie andere Amtsgerichte im Land Brandenburg auch, vgl. die Senatsentscheidung vom
09. Juni 2005 (2 Ss [OWi] 100 B/05) - eine Verjährungsunterbrechung infolge eines manuellen Eingriffs in die automatisierte Vorgangsverwaltung der Verwaltungsbehörde angenommen, obwohl die entsprechende Anordnung nicht hinreichend in den Akten dokumentiert ist.
Im Hinblick darauf, dass eine solche Handhabung durch die Verwaltungsbehörde offenbar
eher die Regel als die Ausnahme darstellt, hat die Frage und ihre Behandlung über den Einzelfall hinaus Bedeutung, was die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfordert (vgl. Steindorf in
KK-OWiG, 2. Aufl., § 80 Rn. 10), zumal die Verjährungsfrage im Hinblick auf § 80 Abs. 5
OWiG im Zulassungsverfahren selber noch nicht zur Verfahrenseinstellung führen kann.
-3-
III.
Die Frage der Verjährung betrifft eine Verfahrensvoraussetzung, die das Rechtsbeschwerdegericht auch ohne ausdrückliche Rüge jederzeit von Amts wegen im Freibeweisverfahren unter
Rückgriff auf alle ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen, insbesondere den gesamten Akteninhalt, zu prüfen hat. Diese Prüfung musste zur Verfahrenseinstellung führen. Denn
als der Bußgeldbescheid erging, war der Vorwurf bereits verjährt, da seit Tatbegehung mehr
als drei Monate verstrichen waren (§ 26 Abs. 3 StVG).
Die Anordnung der Anhörung am 12.05.2004 vermochte nämlich die Verjährung nicht zu
unterbrechen. Die Verwaltungsbehörde hatte unter Benutzung ihrer per Computer gesteuerten,
automatisierten Vorgangsverwaltung zunächst die Fahrzeughalterin, die Fa. …GmbH & Co.
A… KG, angehört. Nachdem diese den Betroffenen als Fahrzeugbesitzer zum Tatzeitpunkt
benannt hatte, wurde er am 12.05.2004 als Betroffener durch den Sachbearbeiter der Verwaltungsbehörde mit dem Personen-Kürzel "osb3a" in der EDV-Anlage eingetragen und die
Versendung des Anhörungsbogens an ihn veranlasst.
Der Senat misst diesem Geschehen keine verjährungsunterbrechende Wirkung zu. In der Rspr.
ist anerkannt, dass eine vom programmierten Ablauf einer EDV-gesteuerten Vorgangsverwaltung abweichende, durch einen Sachbearbeiter der Behörde individuell erfolgende Anordnung
der Anhörung die Verjährung gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG nur unterbricht, wenn die Anordnung sich, durch Unterschrift oder Handzeichen abgezeichnet, bei den Akten befindet
(OLG Köln NZW 2001, 314; OLG Zweibrücken NZV 2001, 483; OLG Dresden DAR 2004,
534; vgl. auch KG VRS 100, 134 [135]). Der Senat sieht keinen Anlass, von dieser Rspr. abzuweichen. Denn sie fordert aus gutem Grund eine Autorisierung der Anordnung durch einen
individualisierbaren Sachbearbeiter. Andernfalls wäre nicht gewährleistet, dass geprüft wurde,
ob die Voraussetzungen der Verfolgung des (neuen) Betroffenen vorliegen, insbesondere hinreichende Verdachtsmomente vorhanden sind und Verjährung noch nicht eingetreten ist.
So besteht diese Gewähr auch im vorliegenden Fall nicht. Bis heute ist nämlich unklar, wer
sich eigentlich hinter dem Kürzel "osb3a" verbirgt und ob die fragliche Person wirklich eigenhändig die Anordnung der Anhörung nach Prüfung getroffen (oder etwa in ihrer zeitweiligen
Abwesenheit vom Computerarbeitsplatz eine andere Person die betreffenden Daten eingegeben) hat. Es ist mithin nicht hinlänglich dokumentiert, dass die Fortführung des Verfahrens
gegen den Betroffenen überhaupt auf einer ordnungsgemäßen Autorisierung durch die Ver-
-4-
waltungsbehörde beruht, geschweige denn nach Prüfung ihrer Voraussetzungen ergangen ist,
weil niemand in Person die Verantwortung für sie übernommen hat.
Folglich vermag die unzureichend dokumentierte Anordnung der Anhörung die Verjährung
nicht zu unterbrechen. Es ist aber auch nicht ersichtlich, dass die Anhörung den Betroffenen
erreicht hat und daher als solche die Verjährung gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG hätte unterbrechen können. Der Umstand, dass er sich erst nach Erlass des Bußgeldbescheides über einen
Verteidiger zu Wort gemeldet hat, spricht eher gegen als für eine vorherige Information des
Betroffenen über den gegen ihn erhobenen Vorwurf.
IV.
Im Hinblick auf die eingetretene Verjährung war das Urteil des Amtsgerichts aufzuheben und
das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen. Letzteres konnte der Senat
gemäß § 354 Abs. 1 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG selber tun.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.
…