Leseprobe

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ie Journalistin Margot Thaler hat inkognito ein Hellseherseminar bei der etwas sonderlichen Wahrsagerin Karen Karras
gebucht. Der Kurs nimmt eine überraschende Wende: Noch ehe der
erste Tag vorüber ist, wird Karen Karras tot in ihrem Schlafzimmer
aufgefunden, erstochen während der Mittagspause. Eine Herausforderung für Margot Thaler, die begeisterte Hobbydetektivin, die bei
der Spurensuche mysteriöse Entdeckungen macht und dafür ganz
und gar irdische Erklärungen findet.
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elga Beyersdörfer, gebürtige Hessin, hat ihre journalistische
Laufbahn bei der Frankfurter Rundschau begonnen und danach
als Redakteurin viele Jahre für renommierte Magazine und das Fernsehen gearbeitet. Seit 1996 lebt sie als freiberufliche Autorin in Hamburg und Berlin. »Mit geschlossenen Augen« ist ihr zweiter Roman
mit der umtriebigen Spürnase Margot Thaler, die in »Mitten im
Wort« ihren ersten Fall löst und in »Asams Pfeil« ihren dritten.
H
Helga Beyersdörfer
Mit geschlossenen
Augen
Kriminalroman
Dieses Buch erschien erstmals 1999
im Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek.
Der Verlag der Criminale ist ein BoD™-Verlag der Buch & medi@ GmbH,
München. Dieser Verlag publiziert ausschließlich Books on Demand in
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dem Hamburger Buchgrossisten Libri. Die Bücher werden elektronisch
gespeichert und auf Bestellung gedruckt, deshalb sind sie nie vergriffen.
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April 2002
Verlag der Criminale
Ein BoD™-Verlag der Buch & medi@ GmbH, München
© 2002 Helga Beyerdörfer
Umschlaggestaltung: Bauer+Möhring, Berlin
Herstellung: Books on Demand GmbH, Norderstedt
Printed in Germany · ISBN 3-935877-33-1
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as Haus hatte ein spitzes Dach, vier kleine Fenster zur Vorderseite hin und es war weiß gestrichen. Es sah aus, als sei es geradewegs aus dem Malbuch eines Vorschulkindes herausgesprungen und
habe sich hier seinen Platz gesucht zwischen Apfelbäumen und Tulpenbeeten.
Von der Gartentür aus führte ein schmaler, gewundener Pfad bis
zu dem kleinen Haus. Ein heftiger Regenguss hatte überall Pfützen
hinterlassen, und so hüpfte die Frau, die an diesem vierten April
durch das Gartentor trat, mal zur Seite und mal vorwärts, wie sie es
als Kind beim Kästchenspielen getan hatte.
Margot lächelte, als ihr dieses Kinderspiel wieder einfiel, und
beschwingt übersprang sie auch die letzten zwei Hürden. Ihre Schuhe
waren dennoch feucht geworden und ihre Jeans hatten in Höhe der
Waden einige markante Lehmspritzer abbekommen. Margot zuckte
die Schultern. Künstlerpech. Sie zupfte ihr Jackett zurecht, fuhr mit
den Fingern durch ihr dichtes, braunes Haar und sprang entschlossen die zwei Steinstufen hoch zur Eingangstür.
Die Tür war nur angelehnt.
Margot blieb überrascht stehen und sah sich suchend um. War
da vielleicht jemand kurz in den Garten gelaufen und hatte deshalb
nicht abgeschlossen? Da sie niemanden entdeckte, schob sie die Tür
zögernd ein Stück weiter auf, bis sie in einen schmalen, dunklen Flur
sehen konnte. »Hallo«, rief sie leise und dann noch einmal lauter,
»hallo.« Nichts. Sie scheute davor zurück, weiter in das Haus einzudringen. Schließlich war sie Reporterin und kein Undercoveragent.
Andererseits war sie hier verabredet und es kam überhaupt nicht
in Frage, dass sie so einfach wieder abzog. Sie war eigens in diese
aus ihrer Sicht entfernteste Ecke Hamburgs gefahren, was bedeutete,
dass sie von Eppendorf aus den hässlichen und ständig verstopften
Ring 2 fahren musste bis sie endlich kurz vor der Autobahnauffahrt
nach Berlin links abgebogen war in dieses Gässchen im hintersten
Marienthal.
Ärgerlich und unschlüssig zog sich Margot aus dem Flur nach draußen zurück, entnahm ihrer großen, ausgebeulten Umhängetasche das
»Hamburger Abendblatt«, legte es auf die oberste Steinstufe und
setzte sich mitten auf den Kanzler und dicht neben den Schweif des
Kometen Hale-Bopp, von dem sie sich in diesem Moment wünschte,
er würde augenblicklich auf dem Schreibtisch des alten Senft ein-
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schlagen. Senft hatte ihr das hier eingebrockt, hatte sie geradezu
genötigt, diesen Termin zu vereinbaren. »Mystisches bringt Auflage,
Gnädigste«, hatte er geblafft, »und wir machen die Serie auch ohne
Sie, wenn es sein muss.«
Als Chefredakteur des »Journal« konnte er sich seine Autoren aussuchen, während Margot sich niemals auch nur einen einzigen Chefredakteur aussuchen konnte.
Nun also dies hier: ein Hellsehertraining für Anfänger. Noch dazu
in einem menschenleeren Haus, wie es schien.
Margot spürte Kälte und Feuchtigkeit durch den Hosenboden in
ihre Glieder ziehen und zog fröstelnd das Jacket enger um sich. Im
Haus rührte sich noch immer nichts. Sollte sie sich im Datum geirrt
haben?
Wieder stöberte sie in ihrer Riesentasche und förderte diesmal
einen Schnellhefter zu Tage. Sie blätterte die Unterlagen durch, die
ihr Karen Karras geschickt hatte. Na bitte, da stand es schwarz auf
weiß: »Liebe Frau Thaler, danke für ihre Anmeldung. Das Training
beginnt am vierten April um zehn Uhr.«
Es war der vierte April und es war – Margot sah auf ihre Armbanduhr – mittlerweile sogar schon zehn nach zehn. Angriffslustig musterte sie die Tür, stand etwas steifbeinig auf und betrat den dunklen
Flur. Links sah sie drei niedrige, verschlossene Türen, rechts führte
eine steile Holztreppe in das obere Stockwerk.
Margot öffnete die erste Tür zu ihrer Linken und blickte in eine
sauber aufgeräumte Küche. Hinter der nächsten Tür verbarg sich eine
Art Gästezimmer mit einer Liege, einem Schrank, einem kleinen runden Tisch und mehreren Holzstühlen.
Nun also Tür drei. Margot, inzwischen ungeduldig, öffnete diese
hinterste Tür mit erheblich mehr Schwung als die ersten beiden und
blieb in der Bewegung mit erhobenem Arm und offenem Mund auf
der Schwelle stehen.
Sie sah zwei Männer und sechs Frauen, die schweigend auf niedrigen Holzstühlen im Kreis saßen. In der Mitte dieses Kreises hockte
im Schneidersitz eine blasse, schmale Frau auf einem weißen langhaarigen Teppich. Sie hatte die Augen geschlossen, die Hände lagen mit
den Innenflächen nach außen entspannt auf ihren Knien.
Margot hatte noch immer die Türklinke in der Hand und wartete
darauf, zur Kenntnis genommen zu werden. Die Frau in der Mitte
drehte langsam den Kopf, nickte Margot freundlich zu, erhob sich
und kam auf sie zu.
»Margot, nicht wahr. Ich bin Karen.«
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»Aha, ja. Tut mir Leid, dass ich zu spät bin. Ihre Eingangstür steht
übrigens offen. Wussten Sie das?«
»Oh, die steht immer offen. Eine positive Aura lässt das Böse nicht
ein.« Karen Karras sprach mit der hellen, dünnen Stimme einer alten
Frau, obwohl sie kaum älter als fünfunddreißig sein konnte. Sie wirkte erschöpft, unter ihren hellgrauen Augen lagen violette Schatten.
Während sie sprach, sahen die anderen von ihren Kinderholzstühlchen aus lächelnd zu ihr hoch.
»Hier ist dein Schild«, fuhr sie fort und hielt Margot einen Sticker
hin, auf dem ihr Name und die Zahl 38 für ihr Alter standen, »hefte
es dir bitte an, es erleichtert das Kennenlernen. Mach es dir bequem,
wir können dann auch gleich anfangen.«
Margot spürte die stickige Wärme in dem kleinen Zimmer, dessen
zwei Fenster fest geschlossen waren. Durch die Scheiben sah sie auf
den Gartenpfad, auf dem noch immer die Pfützen standen.
»Es ist warm hier«, sagte sie und streifte ihr Jackett ab, wobei ihre
prall gefüllte Umhängetasche mit einem lauten Plumps zu Boden
krachte. Alle Augen waren jetzt auf sie gerichtet und schienen sagen
zu wollen: mach dich klein und sei ruhig. Tatsächlich forderte Karen
sie im selben Moment auf, sich zu den anderen in den Kreis zu gesellen.
Margot kauerte sich auf den einzigen freien Stuhl zwischen die beiden Männer, wobei der jüngere galant aufstand und ihr das harte
Holz in die Kniekehlen schob. Der Duft von Davidoff for men stieg
ihr in die Nase und erinnerte sie augenblicklich an Harald, dem sie
es als vorläufig letztem Mann in ihrem Leben gestattet hatte, sein
Rasierwasser nebst Zahnbürste in ihrem Badezimmer zu platzieren.
Das mit Harald war seit mehr als einem Jahr beendet und ausgestanden, aber dieser Duft bescherte Margot einen versöhnlichen Hauch
von Nostalgie.
Dankbar, dass er zur dringend notwendigen Aufhellung ihrer Stimmung beigetragen hatte, besah sich Margot ihren Sitznachbarn zur
Linken genauer. Er bevorzugte zweifellos nicht nur teures Rasierwasser, sondern auch elegante Garderobe, die makellos war bis auf einen
kleinen Riss im Pullover, genau am Ellenbogen. Hemd, Pullover und
Bundfaltenhose waren in einem hellblauen Ton aufeinander abgestimmt , der sich in der Farbe seiner Augen wiederholte. Sein volles,
braunes Haar war an den Schläfen von ersten weißen Fäden durchzogen. Margot konnte ihn sich gut auf einer Villenterrasse vorstellen, in
der einen Hand einen Cocktail und in der anderen einen Golfschläger. Aber was, fragte sie sich, wollte ein solcher Mann ausgerechnet
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hier? Und wieso stand auf seinem Namensschild »Professor Daniel
Bothwell« ohne Altersangabe, während alle anderen außer Margots,
Lilos und Helmas mit aufgedruckten Zahlen zwischen dreißig und
sechzig waren?
»Professor Bothwell, Sir«, flüsterte Margot, die es immer vorzog,
ihre Neugierde sofort zu befriedigen, »sind Sie der VIP hier?«
»Daniel«, antwortete er gelassen, »wir geben uns das Du hier.« Er
hatte einen leichten britischen Akzent und blitzte Margot aus seinen
blauen Augen an.
»Ich bin ein Freund von Karen und helfe ihr ein wenig. Es ist sehr
anstrengend, was sie hier macht, weißt du.«
»Eine Art Zauberlehrling also«, flüsterte Margot zurück, »und
wofür steht der Professor?«
»Du fragst und fragst. Mach deinen Kopf leer und lass die Intuition
auf dich wirken«, sagte Daniel, ohne auf die letzte Frage einzugehen.
Karen, die inzwischen wieder ihre Position in der Mitte des Kreises eingenommen hatte, hinderte Margot an einer Antwort, indem
sie die Hand hob und unter halb geschlossenen Lidern in die Runde
blinzelte.
»Bevor wir mit unseren ersten Übungen beginnen«, näselte sie,
»möchte ich euch ermahnen, in den Pausen nichts Persönliches von
euch preiszugeben, denn wir wollen uns nicht beeinflussen lassen bei
unserer Sicht in Vergangenes und Zukünftiges. Wir wollen uns jetzt
verbinden mit unserem Erdenband und uns von der starken hellen
Sonne über uns durch den Scheitel neue Energie holen. Wir reiben
kräftig unsere Hände, öffnen sie dem Kosmos, weilen im Herzen und
atmen dazu tief ein und ebenso tief wieder aus.« Sie lächelte matt und
schloss die Augen wieder, als habe diese kleine Ansprache ihre Kräfte
verzehrt.
Eine Stunde später schon staunten die Kursteilnehmer glücklich
glucksend über erste Erfolge.
Helma und Sonja, die Margot genau gegenüber saßen, weilten
bereits völlig souverän im Herzen und erspürten mit ihren gefeuerten
Händen problemlos die Energiefelder der anderen. Helma war sogar
schon einen Schritt weiter. Deutlich hatten ihre Hände einen Energieknubbel in Sonjas Brustbereich wahrgenommen. »Da will sie was
nicht rauslassen«, vermutete sie.
Margot hatte sich in einer Zimmerecke in Sicherheit gebracht, fest
entschlossen, ihre Energiefelder vor fremder Einmischung zu bewahren. Fasziniert beobachtete sie, wie sechs Frauen und zwei Männer
hingebungsvoll ihre Hände rieben, die Augen schlossen und ihr
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jeweiliges Gegenüber vom Kopf bis zu den Füßen abstreiften, immer
einen Zentimeter vom Körper entfernt. Karen gesellte sich mal zu
dem einen, mal zu dem anderen und ließ ab und zu ein sanftes
»Schön« vernehmen. Ihren attraktiven Professor aber, den guten
Freund und Helfer, hatte Karen bislang nicht eines Blickes gewürdigt.
Margot betrachtete Daniel nachdenklich. Zwei Schritte neben ihr
bemühte er sich gerade um den ältlichen Frank, der anfangs einige
Probleme hatte, die Energiefelder überhaupt wahrzunehmen.
Nein, Daniel passte nicht ins Bild. Mit seiner Designergarderobe,
seinen gepflegten grauen Schläfen und der Ausstrahlung eines Landadeligen wirkte er in dieser Umgebung wie ein Zebra zwischen Pinguinen. Andererseits war nicht zu leugnen, dass Daniel engagiert bei
der Sache war. Richtig rührend, wie er sich geduldig um den schüchternen Frank kümmerte. Frank war ein kleiner, hagerer Mann von
einundsechzig Jahren. Seine resignierten Gesichtszüge ließen ahnen,
dass das Leben es ihm nicht immer leicht gemacht hatte. Nun aber
hoben sich Franks Mundwinkel zu einem seligen Lächeln. »Ein Energiestau«, sagte er zu Daniel und deutete auf dessen Becken, »ich spüre es ganz deutlich.« Margot biss sich vergnügt auf die Lippen.
»Vielleicht will er da was nicht rauslassen«, sagte sie betont ernst
und Frank nickte bekümmert. Daniels Augen wurden schmal.
»Du bist renitent«, zischte er und packte Margot unsanft am Handgelenk, ließ sie aber sofort wieder los, als Karen auf sie zukam.
»Willst du nicht üben?«, fragte sie sanft, während sie sich zwischen
Margot und Daniel schob und ihm dabei den Rücken zudrehte.
»Das klappt nicht bei mir«, antwortete Margot mürrisch. Ihr zorniger Blick Richtung Daniel ging ins Leere, er hatte sich demonstrativ
abgewendet.
»Deine Sperre ist im Kopf, aber das ist lösbar«, sagte Karen und
dirigierte Margot zu Elfie, die hellsichtig erriet, was von ihr erwartet
wurde.
»Wollen wir«, rief sie und strahlte. Margot sah in ihr erwartungsvolles, glückliches Gesicht und gab sich einen Ruck.
»Na gut«, antwortete sie deshalb, »aber ich zuerst.« Margot rieb
energisch ihre Handflächen aneinander bis sie rot waren, ging dann
mit ausgebreiteten Händen einen Schritt auf Elfie zu und blieb
erschrocken stehen.
Elfie hatte einen spitzen Schrei ausgestoßen und hielt sich wimmernd den Kopf.
»Wahnsinn«, rief Karen, schob Margot beiseite und strich Elfie
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