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Informationsunterlage zur Pressekonferenz der Ausstellung URSULA MAYER Zeitkristalle / The Crystals of Time Donnerstag, 4. Oktober 2007, 10.00 Uhr Ausstellungsräume Untergeschoss Gesprächspartnerinnen: Stella Rollig, Direktorin des Lentos Kunstmuseum Linz Ursula Mayer, Künstlerin Pressekontakt: www.lentos.at Mag.a Nina Kirsch [email protected], 0732/7070/3603 URSULA MAYER Zeitkristalle / The Crystals of Time Ausstellungsdauer: 5.10.2007 – 17.2.2008 Pressetermin: 4.10.2007, 10 Uhr Eröffnung: 4.10.2007, 19 Uhr Ursula Mayer präsentiert in der Ausstellung Zeitkristalle / The Crystals of Time einerseits ihre Arbeit Trilogy, bestehend aus den drei Kurzfilmen Portland Place 33, Keeling House und Villa Mairea (2005/06), die als Installation jeweils im Loop laufen – und andererseits ihren neuesten Film The Crystal Gaze (2007). Mit dieser Werkschau zeigt die Künstlerin in filmischen Arbeiten ihre Auseinandersetzung mit performativen Inszenierungs- und Wahrnehmungsmustern in Fotografie und Film. Sie zieht dabei weitläufige Referenzschleifen zu populärer Musik, zu Avantgarde- und Hollywood-Film und zu Architektur. In den jeweils kurzen Arbeiten der Trilogie stellt Ursula Mayer Grundelemente des Filmischen aus: den Schauplatz, eine Protagonistin, die Kamerabewegung. Die ausgewählten Drehorte sind aufgeladen mit historischen, sozialen und ideologischen Fakten und Bezügen: ein viktorianisches Stadthaus, ein Londoner Wohnblock der 1950er Jahre, eine modernistische Privatvilla in Finnland. Hier entspinnen sich komplexe Interaktionen zwischen einer Frau, den Räumen und der Kamera. Fragmentierte Aktionen ergeben keine stringente Erzählung, doch werden die BetrachterInnen in ein faszinierendes Netz aus Fiktionen, Blicken, Gesten und Formen und der suggestiven Tonspur in einer Ellipse von Zeit gebannt. Das cinematografische Moment, das Mayer in ihren Filmen verwendet, zeigt auch, dass der Körper im Stande ist, Zeit selbst zu entwickeln und nicht bloß eine Handlung. Der Raum ist Handlungsträger, das Set wird zum fiktionalen Charakter, wobei das Subjekt der Auseinandersetzung nicht bloß architektonischer Natur ist, sondern ein innerer psychologischer Raum. Die prägnante Geschichte der Gebäude und Schauplätze, welche den Filmen auch die Titel geben, baut Mayer genauso in die Filme ein, wie die Beziehung der Protagonistinnen zur Architektur. Dies stellt zugleich die Handlung dar, für die weder Beginn noch Ende von Bedeutung ist. Die Akteure – Mayer wählt meist Schauspielerinnen, Sängerinnen, oder Tänzerinnen – bewegen sich langsam durch die Räume und stehen somit im Dialog mit ihrem statischen Umfeld. Gestik und Mimik der Darstellerinnen sind minimiert und das „Spiel“ mit der Kamera erzeugt Mayer selbst mit dem Schnitt, durch den schnelle Bewegungen suggeriert werden. Die Wiederaufnahme der Filmsprache von Michelangelo Antonioni dient dabei als Stilmittel und methodischer Entwurf. Der Faktor Zeit spielt auch in Mayers jüngsten Film The Crystal Gaze eine Rolle, der im Lentos seine Premiere feiert. Mayer wählte als Drehort die Art Deco Räume des Londoner Eltham Palace. Narrative und visuelle Parallelen werden zu der Tradition des klassischen Hollywood Films gezogen, wobei die Beziehung zu Hollywoods Faszination durch den Art Deco Style und der Konstruktion von weiblichen Schauspieler-Ikonen untersucht wird. Zum ersten Mal verwendet Mayer ein Skript, ohne klassische lineare Kausalität, sondern vielmehr mit einzelnen unabhängigen Statements, Gedankensträngen und Songzitaten. Ein cinematisches Rollenspiel von Machtbeziehungen zwischen Schauspielerinnen wird kreiert und gespiegelt in der opulenten Eleganz des historischen Settings. Vielschichtig wird das Agieren und Kommunizieren der Figuren im Raum durch komplexe Kameraeinstellungen, gefilmt über/durch Spiegel. Wieder verschmilzt die innere Befindlichkeit der Protagonistinnen mit der Physikalität des architektonischen Raums, der, wie auch in der Trilogy, für unterschiedliche Narrativitätsstränge offen gelassen wird. Ursula Mayer, geb. 1970 in Oberösterreich. Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien, am Royal College of Art sowie am Goldsmith College in London. Seit 1996 internationale Ausstellungen. Die Künstlerin lebt und arbeitet in London. Kontakt für die Zusendung von weiteren Informationen und Bildmaterial: Mag.a Nina Kirsch, [email protected] oder +43(0)732/7070/3603 URSULA MAYER Zeitkristalle / The Crystals of Time Ausstellungsdauer: 5.10.2007 – 17.2.2008 Pressetermin: 4.10.2007, 10 Uhr Eröffnung: 4.10.2007, 19 Uhr Ursula Mayer - Biografie 1970 geboren in Oberösterreich 1990-1996 Akademie der bildenden Künste, Wien und am Royal College of Art, London 2004-2005 MA Fine Art, Goldsmiths College, London Ursula Mayer lebt und arbeitet in London und Wien. Ausstellungen / Projekte 2007 URSULA MAYER Zeitkristalle / The Crystals of Time, Lentos Kunstmuseum Linz; Venetian, Atmospheric, Slowenischer Pavillon, 52. Biennale Venedig, Venedig; True Romance, Kunsthalle Wien, Villa Stuck, München, Kunsthalle Kiel; Double A Side, Stedelijk Museum, Hertognebosch&Artis den Bosch; Frauhaus, the Agency Gallery, London; Ursula Mayer, Monitor, video&contemporary art, Rom; Ursula Mayer, Centraal Museum, Utrecht; Invisible Mend, Lounge Gallery London; Held Together with Water, Kunst aus der Sammlung Verbund, MAK, Wien; Lange nicht gesehen. Begegnungen mit dem Museum auf Abruf, MUSA, Wien; Depiction, perversion, repulsion, obsession, subversion, Witte de With Center for Contemporary Art, Rotterdam. 2006 Potential Dialogue, RCM Art Museum, Nanjing, Kunstraum NOE; The Sound of your Eyes, Künstlerhaus Wien; Mise en scéne, MAMA - Showroom for media and moving art, Rotterdam; Everybody comes to Holyrood, Edinburgh Art Festival, Edingburgh; No space is Innocent!, Steirischer Herbst, Stadtforum, Graz; Videotheka, Ursula-Blickle Lounge, Kunsthalle Wien, Wien; PEACE gerollt - EuroPART, Rolling billboard project, Wien; Another project, Cornerhouse, Manchester; Video- and Photowall, Kunsthalle Wien; Props & Prostheses, Reverberations of the Body in Contemporary Austrian Art, Schloss Kodeljevo, Ljubljana; Videos Viennoise, Hauptbücherei Wien, Wien. 2005 Faites vos jeux, Shedhalle, Zürich; Videos Viennoise, Bétonsalon, Paris; Videotheka, Ex Macelli, Prato. 2004 a room of one´s own, 3. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst, Kunstwerke, Berlin; Breaking the Visual, steirischer herbst, Pavelhaus, Laafeld; Instruction for actions, permanente Installation, Kunsthalle Wien; Born to be Star, k/haus, Wien; Wiener Linien, Wienmuseum, Wien. 2003 Mothers of Invention, a room of one´s own, MUMOK, Wien; Love/Hate, Ursula Blickle Foundation, Kraichtal; Go Jonny Go!, Kunsthalle Wien; 21er, with fem text rapid, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, 20er Haus, Wien; Mimosen-RosenHerbstzeitlosen, KünstlerInnenpositionen von 1945 bis heute, Kunsthalle Krems, Krems; Fallen Imperial, emerging artist, Essl Museum, Klosterneuburg; Out to grass, Koch & Kesslau, Berlin; Come in, International Apartment, Wien; Wo steht der Baum der uns trennte, Offspace, Wien; Kids of America, mit Nina Stuhldreher, Passage Galerie, k/haus, Wien. 2002 Das Experiment 2b, a room of one´s own, Secession, Wien; Let´s twist again, Kunsthalle Exnergasse, Wien; Fem text rapid, mit Justin Hofmann und Nina Stuhldreher, Earworm, Audiobeitrag für Candice Breitz, Künstlerhaus Bethanien, Berlin 2001 Das Experiment 2a: a room of one´s own, Secession, Wien; We are a rockgroup, Oskar-von-Miller Strasse, Frankfurt/Main; 1999 With the Sound of Music, mit Susi Schneider und DJ Kahn, Austrian Cultural Institute, New York. 1996 Young art in Luxemburg, Luxemburg. 1995 Positionen, Neue Galerie, Linz; Galerie Würthle, Wien. 1993 Galerie Würthle, Wien; Veröffentlichungen 2007 Nicolaus, Schafhausen, Janssen, Renske, Changing Roles, Katalog, Witte de With; Seidl, Walter, Held together with water. Kunst aus der Sammlung Verbund, Katalog, Hatje Cantz, Ostfildern (Hrsg.) Gabrielle Schor; Clark, Robert, Frauhaus, The guardian 04/07, London; Serino Angela, Katalog Impakt, 2007, Centraal Museum Utrecht. 2006 Farinati, Lucia, Architectures/Fictions/Re-enactments, Interview mit Ursula Mayer, Juni 2006, in: MALMOE, Nr. 34, Graz 2006; Seidl, Walter, International emerging artist, in Contemporary Magazine, London 2006; Stief, Angela, Monat der Photographie, Katalog, Fotohof Salzburg; Dertnig, Carola, Seibold, Stefanie, let’s twist again, Performance in Wien von 1960 bis heute, Katalog, D.E.A. Verlag; Schedlmayer, Nina, Characteristic interrelationship of rooms, Katalog, Kunstraum NOE, RCM Museum, Nanjing, Probst, Ursula Maria, Interview in Zoom, W-art Magazine N007, 2006; Seidl, Walter, Probst, Ursula, EUROPART, Katalog; 2005 Instruction for actions, Katalog, Kunsthalle Wien; Koether, Jutta, Acoustic mirror, Katalog, Born to be a Star, (Hrsg.) k-haus, Probst, Ursula; Wien; Pernegger, Karin, Glamour was may first sexy therapy, Katalog, Born to be a Star, k-haus Wien. Huck, Brigitte, Wiener Linien ,Katalog, Wienmuseum, Wien; 2003 Stief, Angela, Love / Hate, Katalog, Triton Verlag, Ursula Blickle Stiftung 2003; Hoffmann, Justin, Go Jonny Go!, Katalog, Steidl Verlag, Kunsthalle 2003; Probst, Ursula, Go Jonny Go!, in: Kunstforum International, Nr. 168, 2003; Schedlmayer, Nina, Goldflames out in the sky, Fieber 2003. 2002 Let´s twist again, in: Springerin, Dezember 2002; Gau, Sönke, Let´s twist again, in: Flash Art, November 2002; Scheyerer, Nicole, Vienna is burning, in: Falter, Oktober 2002. URSULA MAYER Zeitkristalle / The Crystals of Time Ausstellungsdauer: 5.10.2007 – 17.2.2008 Pressetermin: 4.10.2007, 10 Uhr Eröffnung: 4.10.2007, 19 Uhr Nina Schedlmayer Ursula Mayer: Charakteristische Raumfolgen In den drei Kurzfilmen von Ursula Mayers „Trilogy“ tut sich, ähnlich wie in Filmen der Nouvelle Vague, nicht viel. In unterschiedlichen, sehr prägnanten Architekturen verfolgen wir die immer gleiche Protagonistin, wie sie durch Räume schlendert, sitzt, liegt, sich streckt. Manchmal entflieht sie schon aus dem Bild, aus dem Filmkader, kaum dass wir sie erblickt haben – „tote Zeit“ hat Gilles Deleuze dieses Phänomen genannt. Das Gesicht der Frau bleibt, so wir es überhaupt sehen, stoisch, Ausdruck wird in Mayers „Trilogy“ vom Raum getragen: In der Villa Mairea von Alvar Aalto im finnischen Noormarkku etwa finden sich Versatzstücke aus der Natur, Holzsäulen und dergleichen – dementsprechend bewegt sich Ursula Mayers Kamera immer wieder in den Wald, vernäht Innen und Außen durch den Schnitt, der zügige Kamerafahrten aneinander reiht. In „Keeling House“ dagegen, einem ursprünglich sozialen Wohnbau in London, verschachtelt sie Räume ineinander, schneidet immer wieder Aufnahmen von Wasser dazwischen, schafft eine kristalline, manchmal verwirrende Raumstruktur. Ganz im Gegenteil dazu nimmt sie in „Portland Place 33“, einem viktorianischen Gebäude, spärlich möblierte Räume - eigentlich Säle – in Totalen auf, filmt mit der Kamera Wände und Stuckaturen aus nächster Nähe ab. In Mayers „Trilogy“ werden die Räume zu Charakteren, die Kamera mit ihrem fast körperlichen, taktilen Blick – oft tastet sie sich langsam und behutsam über Wände oder Objekte – zu ihrer Psychologin. Als Referenz nennt die Künstlerin Michelangelo Antonionis Trilogie („L’Eclisse“, „L’Avventura“ und „La Notte“) – deren ungewisse Grundstimmung ihre „Trilogy“ teilt. Zwar kündigen sich beginnende Handlungen an versanden aber im Nichts: Ein Telefonklingeln wird von der Protagonistin ignoriert, eine Bewegung des Körpers wird ebenso unvermittelt abgeschnitten wie sie begonnen hat, das Geräusch eines Staubsaugers bricht ab, ohne dass man die Geräuschquelle zu Gesicht bekommen hat. Mayers Trilogie erzählt nicht, beschreibt nicht, dokumentiert nicht. Ihr Subjekt ist nicht die Performerin, sondern die Beziehung zwischen Raum, Person und Kamera. Nina Schedlmayer: Ursula Mayer - Charakteristische Raumfolgen; in: POTENTIAL DIALOGUE. The party of Sino - Austria young artists, RCM Museum - KUNSTRAUM NOE, (18.11.2006 - 26.11.2006), 140 Seiten URSULA MAYER Zeitkristalle / The Crystals of Time Ausstellungsdauer: 5.10.2007 – 17.2.2008 Pressetermin: 4.10.2007, 10 Uhr Eröffnung: 4.10.2007, 19 Uhr Architectures/Fictions/Re-enactments Lucia Farinati im Interview mit Ursula Mayer Lucia Farinati: In deinen jüngsten Videoarbeiten, Portland Place und Keeling, die Teile einer Trilogie bilden, hast du sehr spezifische architektonische Kontexte verwendet: einmal das Innere eines viktorianischen Hauses und dann das eines modernistischen Gebäudes. Wie kam es zu deiner Faszination für diese „häusliche“ Architektur und wie können diese Arbeiten in Relation zu deinen vorangehenden Arbeiten gesehen werden, die sich hauptsächlich mit der Repräsentation weiblicher Subjekte im Kontext von Musik und Performance beschäftigen? Ursula Mayer: In meiner Arbeit gibt es stets eine intensive Auseinandersetzung mit Raum, die von der Idee ausging, Raum zu besetzen bzw. für sich zu beanspruchen, z.B. auf einer Bühne oder auf dem Dach eines Gebäudes. In meinen früheren Arbeiten war dieser Ansatz stark mit Populärkultur und Musik verbunden. In meinen Filmen arbeite ich mit Performance, jedoch ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Es handelt sich eher um nicht definierte, ungewöhnliche Räume, in denen Begehren erzeugt, verdeckt und in multipler Weise verhandelt wird. Die Verlagerung vom Körper zum Raum wird hervorgehoben durch Verweise auf Filme von Antonioni, Tarkowski oder Godard. Das Subjekt der Auseinandersetzung ist nicht bloß architektonischer Natur, sondern ein innerer psychologischer Raum. Ich analysiere, wie Filmemacher Raum als fiktionalen Charakter an sich interpretieren und wie diese Regisseure, speziell Antonioni, Schauspielerinnen in leeren Häusern und Räumen herumwandern lassen, wie erotische Nomaden. Ihre inneren Befindlichkeiten scheinen mit der Physikalität der Räume zu verschmelzen. Die Orte werden somit zu einem Spiegel, in dem die gefilmten Objekte das Fehlen einer vollständigen Handlung verbergen und den Raum für unterschiedliche Narrativitätsstränge offen lassen. Lucia Farinati: Das performative Element nimmt in deinen Arbeiten somit eine zentrale Stellung ein, arbeitest du deshalb auch mit Tänzerinnen? Ursula Mayer: Die Trilogie begann ursprünglich mit der Idee, einen Film zu einer Tanzchoreografie zu drehen, deren Szenen ich jedoch nicht verwendet habe, denn was zu sehen ist, ist lediglich das Ende der Performance, die mehr oder weniger schon vorüber ist. Das cinematografische Moment, das ich verwendet habe, versucht zu zeigen, wie der Körper im Stande ist, Zeit selbst zu entwickeln und nicht bloß eine Handlung. Die performative Präsenz materialisiert sich zu etwas, das unsere Erkenntnis übersteigt, das die Konturen der Orte verändert und das Andere als unerwartetes Existenzmoment imaginiert. Lucia Farinati: Die Bewegungen der Kamera umrahmen die Architektur fast wie einen Körper, und bekommen einen Charakter, eine Identität für sich. Ursula Mayer: Ja, ich filme und scanne Orte, um Geschichten von Räumen zu erzählen, in denen die Schauplätze als fiktionale Teile des Films gezeigt werden. Lucia Farinati: Es gibt also auch jene Dynamik des Schauens und Wartens wie in Antonionis Filmen? Ursula Mayer: Im Film gibt es immer diese Erwartungshaltung, dass etwas passiert, wobei am Ende nichts passiert. Lucia Farinati: Parallel zu dieser Trilogie arbeitest du an einem neuen Projekt, das sich erneut mit Innenarchitektur auseinandersetzt, dem 2 Willow Road Haus. Ursula Mayer: Das Haus wurde vom Architekten Erno Goldfinger entworfen. Er und seine Frau Ursula machten es zu einem Treffpunkt für viele KünstlerInnen, die in den 1930er Jahren in Hampstead wohnten. Der Ort ist ein perfektes Set, da er bereits von der Obsession mit Kunst und Architektur gekennzeichnet ist. Ich könnte nie ein Set wie dieses bauen, mit all den Objekten, Möbeln und Kunstwerken. Lucia Farinati: Es handelt sich also hier um eine Art Ready Made! Ursula Mayer: Ja, und das obwohl die Charaktere in meinem Film das Leben und Werk von Barbara Hepworth thematisieren, das an sich nichts mit dieser Sammlung zu tun hat. Zusätzlich zu den Kunstwerken, die in diesem Haus gezeigt werden, arbeite ich mit einem quasi reproduzierten Objekt von ihr, um das sich die Geschichte dreht. Lucia Farinati: Sie spielt sozusagen die weibliche Hauptrolle in 2 Willow Road? Ursula Mayer: Meine Handlungen sind stets offen und so auch deren Interpretationen. Der Film dreht sich um zwei Frauen, eine ältere und eine jüngere. Durch den Altersunterschied stehen beide Frauen für unterschiedliche Vorstellungen von Zeit und Wirklichkeit. Die Handlungen im Haus folgen aufeinander, sind ritualistisch und überlappend, treffen aber nie unmittelbar aufeinander. Das Objekt halluziniert ein Treffen, das nie stattfinden wird, und füllt so den Raum mit poetischer Absenz. Die Architektur zeigt die Grenzen und Möglichkeiten, die auf Prozesse der Erinnerung rekurrieren. Lucia Farinati: Was du also vor hast ist eine Geschichte, die sowohl weitere Geschichten erzeugt als auch aufspürt und von einer Reihe von Kunstgegenständen und Protagonistinnen innerhalb derselben Räumlichkeiten erzählt, ähnlich einer russischen Puppe. Ursula Mayer: Eine Geschichte, die jene Zirkulation von Zeit aktiviert, die weder einen Anfang noch ein Ende benötigt. Lucia Farinati: 2 Willow Road ist ein perfektes Beispiel für modernistische Architektur und Barbara Hepworths Arbeit schreibt sich auch in die Geschichte des Modernismus ein, lässt sich hier eine Art Nostalgie für diese künstlerische Epoche feststellen? Ursula Mayer: Ich will nicht die Vergangenheit idealisieren. Meine Arbeit untersucht die Folgen sowie die nicht realisierten Potenziale dieser Zeit. Indem ich Orte besuche und Situationen nachstelle, ermögliche ich eine unterschiedliche, alternative Lesart, ein Bewusstsein für die Ellipsen der Zeit. Als er sich mit der Geburt der Interieurs befasste, schrieb Walter Benjamin: „Leben bedeutet Spuren hinterlassen“. Und diese Spuren, könnten wir hinzufügen, sind allesamt mögliche Geschichten, Re-Enactments, fiktionale Architekturen der Zeit. Übersetzung aus dem Englischen: Walter Seidl. Lucia Farinati ist freie Kuratorin und lebt in London. Architectures/Fictions/Re-enactments, Interview with Ursula Mayer by Lucia Farinati, June 2006, published in MALMOE n.34, Graz, 2006 URSULA MAYER Zeitkristalle / The Crystals of Time Ausstellungsdauer: 5.10.2007 – 17.2.2008 Pressetermin: 4.10.2007, 10 Uhr Eröffnung: 4.10.2007, 19 Uhr Ian White Kristallblicke Ursula Mayers Trilogie – 33 Portland Place, Keeling House und Villa Mairea (2005/2006) – wirkt im Hinblick auf ihre nachfolgende Arbeit wie eine Studie. Die drei Filme scheinen drei einzigartige und historisch bedeutsame architektonische Räume festzuhalten, wobei sich die Interessen und Methoden der Künstlerin, die in ihrem neuen Film The Crystal Gaze (2007) kristallklar zum Ausdruck kommen, erst metaphorisch andeuten. In jedem der drei Gebäude, die im Rahmen der Trilogie erforscht werden, hält sich eine einzige Frau auf; sie bewegt sich durch die Räume, treppauf, treppab, und die Bilder, die wir von ihr erhaschen, sind wie Ausschnitte aus einer weiterführenden Geschichte, die sich uns nur teilweise erschließt, während Mayers Kamera über die Figur hinweggleitet oder sich von ihr entfernt oder ein Detail des Innenraums streift. Doch es handelt sich hier nicht um Dokumentarfilme. Mayer hat die Funktion der Räume verändert, die Möbel anders angeordnet, Lichtakzente gesetzt und die Soundtracks so manipuliert, dass wir Versionen der Räume zu sehen bekommen, die ebenso fiktional sind wie die menschliche Gestalt und ebenso konstruiert wie das Schweifen der Kamera. Das heißt, das Wesen dieser Gebäude – übersetzt in den Raum, die Zeit und das Licht des Bildes – wird zur Fiktion, wodurch das Wesen von Film und Kino an sich ins Visier gerät. In The Crystal Gaze wird der betörende Innenraum des Eltham Palace in Südlondon von drei Frauen besetzt. Die makellosen historischen Kostüme, Perlenketten und KristallglasArrangements passen perfekt zu den Art-déco-Wandelementen: exotischen, realen und imaginären Szenen – teils phantastische, teils figürliche Holzintarsien, die Orte darstellen, an denen sich die früheren Bewohner einst aufhielten. Wie die Frau in der Trilogie bewegen sich auch diese Frauen mit kaum wahrnehmbaren Schritten durch den Raum, doch, anders als die Protagonistin der Trilogie, bleiben sie dabei nicht stumm. Ihr Text, der von Mayer verfasst wurde, ist eine verwirrende, wenn auch nahtlose Aneinanderreihung von selbstreflexiven, mehrdeutigen, fast abstrakten, melodramatischen Äußerungen, die unentwegt an ein nicht minder vieldeutiges »Du« gerichtet sind. Nehmen diese Frauen aufeinander Bezug? Sind sie in ein unbedeutendes Garderobengeplänkel verstrickt? Wenden sie sich an uns BetrachterInnen? Oder sprechen sie mit sich selbst, führen Selbstgespräche? Falls die Antwort darauf lautet, «alles dies zusammen», so findet sich der Schlüssel dazu in der Trilogie. So wie der eigentliche Gegenstand der Trilogie nicht die Gebäude sind, in denen die Filme gedreht wurden, ist es in The Crystal Gaze nicht das eigentliche Leben der Frauen, das als prismatische Falle fungiert: Sie treten zwar als historische Klischees von (Film-)Diven auf, sind aber dennoch nicht wirklich Protagonistinnen einer konventionellen Geschichte. Was sie zum Ausdruck bringen, ist die Tatsache, dass ihre eigenen Körper zu Bildern geworden sind, was wiederum durch die Metapher unserer und ihrer «kristallenen Blicke» auf raffinierte Weise gebrochen und reflektiert wird. Wenn die ersten Takte zu Peggy Lees Song Is That All There Is? erklingen und die Frauen in einen tragikomischen Gesang ausbrechen, wird darin sowohl affektierte Erleichterung als auch herbe Kritik an unserer Verführbarkeit durch die Leinwand deutlich. Sie verkörpern eine Art Destillat des Kinos: weder Geschichte noch Biografie, sondern einfach die unerträgliche Verführung durch ein Bild, in das wir uns nicht hineinbegeben können, dem wir uns aber ebensowenig zu entziehen vermögen. Ian White ist Filmkurator an der Whitechapel Art Gallery, London. Er arbeitet auch an eigenen Projekten als Autor und Künstler. Übersetzung aus dem Englischen: Suzanne Schmidt