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Informationsunterlage zur
Pressekonferenz der Ausstellung
URSULA MAYER
Zeitkristalle / The Crystals of Time
Donnerstag, 4. Oktober 2007, 10.00 Uhr
Ausstellungsräume Untergeschoss
Gesprächspartnerinnen:
Stella Rollig, Direktorin des Lentos Kunstmuseum Linz
Ursula Mayer, Künstlerin
Pressekontakt:
www.lentos.at
Mag.a Nina Kirsch
[email protected], 0732/7070/3603
URSULA MAYER
Zeitkristalle / The Crystals of Time
Ausstellungsdauer: 5.10.2007 – 17.2.2008
Pressetermin: 4.10.2007, 10 Uhr
Eröffnung: 4.10.2007, 19 Uhr
Ursula Mayer präsentiert in der Ausstellung Zeitkristalle / The Crystals of Time
einerseits ihre Arbeit Trilogy, bestehend aus den drei Kurzfilmen Portland Place 33,
Keeling House und Villa Mairea (2005/06), die als Installation jeweils im Loop laufen
– und andererseits ihren neuesten Film The Crystal Gaze (2007).
Mit dieser Werkschau zeigt die Künstlerin in filmischen Arbeiten ihre
Auseinandersetzung mit performativen Inszenierungs- und Wahrnehmungsmustern
in Fotografie und Film. Sie zieht dabei weitläufige Referenzschleifen zu populärer
Musik, zu Avantgarde- und Hollywood-Film und zu Architektur.
In den jeweils kurzen Arbeiten der Trilogie stellt Ursula Mayer Grundelemente des
Filmischen aus: den Schauplatz, eine Protagonistin, die Kamerabewegung. Die
ausgewählten Drehorte sind aufgeladen mit historischen, sozialen und ideologischen
Fakten und Bezügen: ein viktorianisches Stadthaus, ein Londoner Wohnblock der
1950er Jahre, eine modernistische Privatvilla in Finnland. Hier entspinnen sich
komplexe Interaktionen zwischen einer Frau, den Räumen und der Kamera.
Fragmentierte Aktionen ergeben keine stringente Erzählung, doch werden die
BetrachterInnen in ein faszinierendes Netz aus Fiktionen, Blicken, Gesten und
Formen und der suggestiven Tonspur in einer Ellipse von Zeit gebannt.
Das cinematografische Moment, das Mayer in ihren Filmen verwendet, zeigt auch,
dass der Körper im Stande ist, Zeit selbst zu entwickeln und nicht bloß eine
Handlung. Der Raum ist Handlungsträger, das Set wird zum fiktionalen Charakter,
wobei das Subjekt der Auseinandersetzung nicht bloß architektonischer Natur ist,
sondern ein innerer psychologischer Raum. Die prägnante Geschichte der Gebäude
und Schauplätze, welche den Filmen auch die Titel geben, baut Mayer genauso in
die Filme ein, wie die Beziehung der Protagonistinnen zur Architektur. Dies stellt
zugleich die Handlung dar, für die weder Beginn noch Ende von Bedeutung ist. Die
Akteure – Mayer wählt meist Schauspielerinnen, Sängerinnen, oder Tänzerinnen –
bewegen sich langsam durch die Räume und stehen somit im Dialog mit ihrem
statischen Umfeld. Gestik und Mimik der Darstellerinnen sind minimiert und das
„Spiel“ mit der Kamera erzeugt Mayer selbst mit dem Schnitt, durch den schnelle
Bewegungen suggeriert werden.
Die Wiederaufnahme der Filmsprache von Michelangelo Antonioni dient dabei als
Stilmittel und methodischer Entwurf.
Der Faktor Zeit spielt auch in Mayers jüngsten Film The Crystal Gaze eine Rolle, der
im Lentos seine Premiere feiert. Mayer wählte als Drehort die Art Deco Räume des
Londoner Eltham Palace. Narrative und visuelle Parallelen werden zu der Tradition
des klassischen Hollywood Films gezogen, wobei die Beziehung zu Hollywoods
Faszination durch den Art Deco Style und der Konstruktion von weiblichen
Schauspieler-Ikonen untersucht wird. Zum ersten Mal verwendet Mayer ein Skript,
ohne klassische lineare Kausalität, sondern vielmehr mit einzelnen unabhängigen
Statements, Gedankensträngen und Songzitaten. Ein cinematisches Rollenspiel von
Machtbeziehungen zwischen Schauspielerinnen wird kreiert und gespiegelt in der
opulenten Eleganz des historischen Settings. Vielschichtig wird das Agieren und
Kommunizieren der Figuren im Raum durch komplexe Kameraeinstellungen, gefilmt
über/durch Spiegel. Wieder verschmilzt die innere Befindlichkeit der Protagonistinnen
mit der Physikalität des architektonischen Raums, der, wie auch in der Trilogy, für
unterschiedliche Narrativitätsstränge offen gelassen wird.
Ursula Mayer, geb. 1970 in Oberösterreich. Studium an der Akademie der bildenden
Künste in Wien, am Royal College of Art sowie am Goldsmith College in London. Seit
1996 internationale Ausstellungen. Die Künstlerin lebt und arbeitet in London.
Kontakt für die Zusendung von weiteren Informationen und Bildmaterial:
Mag.a Nina Kirsch, [email protected] oder +43(0)732/7070/3603
URSULA MAYER
Zeitkristalle / The Crystals of Time
Ausstellungsdauer: 5.10.2007 – 17.2.2008
Pressetermin: 4.10.2007, 10 Uhr
Eröffnung: 4.10.2007, 19 Uhr
Ursula Mayer - Biografie
1970 geboren in Oberösterreich
1990-1996 Akademie der bildenden Künste, Wien und am Royal College of Art,
London
2004-2005 MA Fine Art, Goldsmiths College, London
Ursula Mayer lebt und arbeitet in London und Wien.
Ausstellungen / Projekte
2007 URSULA MAYER Zeitkristalle / The Crystals of Time, Lentos Kunstmuseum
Linz; Venetian, Atmospheric, Slowenischer Pavillon, 52. Biennale Venedig, Venedig;
True Romance, Kunsthalle Wien, Villa Stuck, München, Kunsthalle Kiel; Double A
Side, Stedelijk Museum, Hertognebosch&Artis den Bosch; Frauhaus, the Agency
Gallery, London; Ursula Mayer, Monitor, video&contemporary art, Rom; Ursula
Mayer, Centraal Museum, Utrecht; Invisible Mend, Lounge Gallery London; Held
Together with Water, Kunst aus der Sammlung Verbund, MAK, Wien; Lange nicht
gesehen. Begegnungen mit dem Museum auf Abruf, MUSA, Wien; Depiction,
perversion, repulsion, obsession, subversion, Witte de With Center for Contemporary
Art, Rotterdam.
2006 Potential Dialogue, RCM Art Museum, Nanjing, Kunstraum NOE; The Sound of
your Eyes, Künstlerhaus Wien; Mise en scéne, MAMA - Showroom for media and
moving art, Rotterdam; Everybody comes to Holyrood, Edinburgh Art Festival,
Edingburgh; No space is Innocent!, Steirischer Herbst, Stadtforum, Graz; Videotheka,
Ursula-Blickle Lounge, Kunsthalle Wien, Wien; PEACE gerollt - EuroPART, Rolling
billboard project, Wien; Another project, Cornerhouse, Manchester; Video- and
Photowall, Kunsthalle Wien; Props & Prostheses, Reverberations of the Body in
Contemporary Austrian Art, Schloss Kodeljevo, Ljubljana; Videos Viennoise,
Hauptbücherei Wien, Wien.
2005 Faites vos jeux, Shedhalle, Zürich; Videos Viennoise, Bétonsalon, Paris;
Videotheka, Ex Macelli, Prato.
2004 a room of one´s own, 3. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst, Kunstwerke,
Berlin; Breaking the Visual, steirischer herbst, Pavelhaus, Laafeld; Instruction for
actions, permanente Installation, Kunsthalle Wien; Born to be Star, k/haus, Wien;
Wiener Linien, Wienmuseum, Wien.
2003 Mothers of Invention, a room of one´s own, MUMOK, Wien; Love/Hate, Ursula
Blickle Foundation, Kraichtal; Go Jonny Go!, Kunsthalle Wien; 21er, with fem text
rapid, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, 20er Haus, Wien; Mimosen-RosenHerbstzeitlosen, KünstlerInnenpositionen von 1945 bis heute, Kunsthalle Krems,
Krems; Fallen Imperial, emerging artist, Essl Museum, Klosterneuburg; Out to grass,
Koch & Kesslau, Berlin; Come in, International Apartment, Wien; Wo steht der Baum
der uns trennte, Offspace, Wien; Kids of America, mit Nina Stuhldreher, Passage
Galerie, k/haus, Wien.
2002 Das Experiment 2b, a room of one´s own, Secession, Wien; Let´s twist again,
Kunsthalle Exnergasse, Wien; Fem text rapid, mit Justin Hofmann und Nina
Stuhldreher, Earworm, Audiobeitrag für Candice Breitz, Künstlerhaus Bethanien,
Berlin
2001 Das Experiment 2a: a room of one´s own, Secession, Wien; We are a
rockgroup, Oskar-von-Miller Strasse, Frankfurt/Main;
1999 With the Sound of Music, mit Susi Schneider und DJ Kahn, Austrian Cultural
Institute, New York.
1996 Young art in Luxemburg, Luxemburg.
1995 Positionen, Neue Galerie, Linz; Galerie Würthle, Wien. 1993 Galerie Würthle,
Wien;
Veröffentlichungen
2007 Nicolaus, Schafhausen, Janssen, Renske, Changing Roles, Katalog, Witte de
With; Seidl, Walter, Held together with water. Kunst aus der Sammlung Verbund,
Katalog, Hatje Cantz, Ostfildern (Hrsg.) Gabrielle Schor; Clark, Robert, Frauhaus,
The guardian 04/07, London; Serino Angela, Katalog Impakt, 2007, Centraal
Museum Utrecht.
2006 Farinati, Lucia, Architectures/Fictions/Re-enactments, Interview mit Ursula
Mayer, Juni 2006, in: MALMOE, Nr. 34, Graz 2006; Seidl, Walter, International
emerging artist, in Contemporary Magazine, London 2006; Stief, Angela, Monat der
Photographie, Katalog, Fotohof Salzburg; Dertnig, Carola, Seibold, Stefanie, let’s
twist again, Performance in Wien von 1960 bis heute, Katalog, D.E.A. Verlag;
Schedlmayer, Nina, Characteristic interrelationship of rooms, Katalog, Kunstraum
NOE, RCM Museum, Nanjing, Probst, Ursula Maria, Interview in Zoom, W-art
Magazine N007, 2006; Seidl, Walter, Probst, Ursula, EUROPART, Katalog;
2005 Instruction for actions, Katalog, Kunsthalle Wien; Koether, Jutta, Acoustic
mirror, Katalog, Born to be a Star, (Hrsg.) k-haus, Probst, Ursula; Wien; Pernegger,
Karin, Glamour was may first sexy therapy, Katalog, Born to be a Star, k-haus Wien.
Huck, Brigitte, Wiener Linien ,Katalog, Wienmuseum, Wien;
2003 Stief, Angela, Love / Hate, Katalog, Triton Verlag, Ursula Blickle Stiftung 2003;
Hoffmann, Justin, Go Jonny Go!, Katalog, Steidl Verlag, Kunsthalle 2003; Probst,
Ursula, Go Jonny Go!, in: Kunstforum International, Nr. 168, 2003; Schedlmayer,
Nina, Goldflames out in the sky, Fieber 2003.
2002 Let´s twist again, in: Springerin, Dezember 2002; Gau, Sönke, Let´s twist again,
in: Flash Art, November 2002; Scheyerer, Nicole, Vienna is burning, in: Falter,
Oktober 2002.
URSULA MAYER
Zeitkristalle / The Crystals of Time
Ausstellungsdauer: 5.10.2007 – 17.2.2008
Pressetermin: 4.10.2007, 10 Uhr
Eröffnung: 4.10.2007, 19 Uhr
Nina Schedlmayer
Ursula Mayer: Charakteristische Raumfolgen
In den drei Kurzfilmen von Ursula Mayers „Trilogy“ tut sich, ähnlich wie in Filmen der
Nouvelle Vague, nicht viel. In unterschiedlichen, sehr prägnanten Architekturen
verfolgen wir die immer gleiche Protagonistin, wie sie durch Räume schlendert, sitzt,
liegt, sich streckt. Manchmal entflieht sie schon aus dem Bild, aus dem Filmkader,
kaum dass wir sie erblickt haben – „tote Zeit“ hat Gilles Deleuze dieses Phänomen
genannt.
Das Gesicht der Frau bleibt, so wir es überhaupt sehen, stoisch, Ausdruck wird in
Mayers „Trilogy“ vom Raum getragen: In der Villa Mairea von Alvar Aalto im
finnischen Noormarkku etwa finden sich Versatzstücke aus der Natur, Holzsäulen
und dergleichen – dementsprechend bewegt sich Ursula Mayers Kamera immer
wieder in den Wald, vernäht Innen und Außen durch den Schnitt, der zügige
Kamerafahrten aneinander reiht. In „Keeling House“ dagegen, einem ursprünglich
sozialen Wohnbau in London, verschachtelt sie Räume ineinander, schneidet immer
wieder Aufnahmen von Wasser dazwischen, schafft eine kristalline, manchmal
verwirrende Raumstruktur. Ganz im Gegenteil dazu nimmt sie in „Portland Place 33“,
einem viktorianischen Gebäude, spärlich möblierte Räume - eigentlich Säle – in
Totalen auf, filmt mit der Kamera Wände und Stuckaturen aus nächster Nähe ab.
In Mayers „Trilogy“ werden die Räume zu Charakteren, die Kamera mit ihrem fast
körperlichen, taktilen Blick – oft tastet sie sich langsam und behutsam über Wände
oder Objekte – zu ihrer Psychologin. Als Referenz nennt die Künstlerin Michelangelo
Antonionis Trilogie („L’Eclisse“, „L’Avventura“ und „La Notte“) – deren ungewisse
Grundstimmung ihre „Trilogy“ teilt. Zwar kündigen sich beginnende Handlungen an versanden aber im Nichts: Ein Telefonklingeln wird von der Protagonistin ignoriert,
eine Bewegung des Körpers wird ebenso unvermittelt abgeschnitten wie sie
begonnen hat, das Geräusch eines Staubsaugers bricht ab, ohne dass man die
Geräuschquelle zu Gesicht bekommen hat. Mayers Trilogie erzählt nicht, beschreibt
nicht, dokumentiert nicht. Ihr Subjekt ist nicht die Performerin, sondern die Beziehung
zwischen Raum, Person und Kamera.
Nina Schedlmayer: Ursula Mayer - Charakteristische Raumfolgen; in: POTENTIAL
DIALOGUE. The party of Sino - Austria young artists, RCM Museum - KUNSTRAUM
NOE, (18.11.2006 - 26.11.2006), 140 Seiten
URSULA MAYER
Zeitkristalle / The Crystals of Time
Ausstellungsdauer: 5.10.2007 – 17.2.2008
Pressetermin: 4.10.2007, 10 Uhr
Eröffnung: 4.10.2007, 19 Uhr
Architectures/Fictions/Re-enactments
Lucia Farinati im Interview mit Ursula Mayer
Lucia Farinati: In deinen jüngsten Videoarbeiten, Portland Place und Keeling, die Teile einer
Trilogie bilden, hast du sehr spezifische architektonische Kontexte verwendet: einmal das
Innere eines viktorianischen Hauses und dann das eines modernistischen Gebäudes. Wie
kam es zu deiner Faszination für diese „häusliche“ Architektur und wie können diese
Arbeiten in Relation zu deinen vorangehenden Arbeiten gesehen werden, die sich
hauptsächlich mit der Repräsentation weiblicher Subjekte im Kontext von Musik und
Performance beschäftigen?
Ursula Mayer: In meiner Arbeit gibt es stets eine intensive Auseinandersetzung mit Raum,
die von der Idee ausging, Raum zu besetzen bzw. für sich zu beanspruchen, z.B. auf einer
Bühne oder auf dem Dach eines Gebäudes. In meinen früheren Arbeiten war dieser Ansatz
stark mit Populärkultur und Musik verbunden. In meinen Filmen arbeite ich mit Performance,
jedoch ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Es handelt sich eher um nicht definierte,
ungewöhnliche Räume, in denen Begehren erzeugt, verdeckt und in multipler Weise
verhandelt wird. Die Verlagerung vom Körper zum Raum wird hervorgehoben durch
Verweise auf Filme von Antonioni, Tarkowski oder Godard. Das Subjekt der
Auseinandersetzung ist nicht bloß architektonischer Natur, sondern ein innerer
psychologischer Raum. Ich analysiere, wie Filmemacher Raum als fiktionalen Charakter an
sich interpretieren und wie diese Regisseure, speziell Antonioni, Schauspielerinnen in leeren
Häusern und Räumen herumwandern lassen, wie erotische Nomaden. Ihre inneren
Befindlichkeiten scheinen mit der Physikalität der Räume zu verschmelzen. Die Orte werden
somit zu einem Spiegel, in dem die gefilmten Objekte das Fehlen einer vollständigen
Handlung verbergen und den Raum für unterschiedliche Narrativitätsstränge offen lassen.
Lucia Farinati: Das performative Element nimmt in deinen Arbeiten somit eine zentrale
Stellung ein, arbeitest du deshalb auch mit Tänzerinnen?
Ursula Mayer: Die Trilogie begann ursprünglich mit der Idee, einen Film zu einer
Tanzchoreografie zu drehen, deren Szenen ich jedoch nicht verwendet habe, denn was zu
sehen ist, ist lediglich das Ende der Performance, die mehr oder weniger schon vorüber ist.
Das cinematografische Moment, das ich verwendet habe, versucht zu zeigen, wie der Körper
im Stande ist, Zeit selbst zu entwickeln und nicht bloß eine Handlung. Die performative
Präsenz materialisiert sich zu etwas, das unsere Erkenntnis übersteigt, das die Konturen der
Orte verändert und das Andere als unerwartetes Existenzmoment imaginiert.
Lucia Farinati: Die Bewegungen der Kamera umrahmen die Architektur fast wie einen
Körper, und bekommen einen Charakter, eine Identität für sich.
Ursula Mayer: Ja, ich filme und scanne Orte, um Geschichten von Räumen zu erzählen, in
denen die Schauplätze als fiktionale Teile des Films gezeigt werden.
Lucia Farinati: Es gibt also auch jene Dynamik des Schauens und Wartens wie in
Antonionis Filmen?
Ursula Mayer: Im Film gibt es immer diese Erwartungshaltung, dass etwas passiert, wobei
am Ende nichts passiert.
Lucia Farinati: Parallel zu dieser Trilogie arbeitest du an einem neuen Projekt, das sich
erneut mit Innenarchitektur auseinandersetzt, dem 2 Willow Road Haus.
Ursula Mayer: Das Haus wurde vom Architekten Erno Goldfinger entworfen. Er und seine
Frau Ursula machten es zu einem Treffpunkt für viele KünstlerInnen, die in den 1930er
Jahren in Hampstead wohnten. Der Ort ist ein perfektes Set, da er bereits von der Obsession
mit Kunst und Architektur gekennzeichnet ist. Ich könnte nie ein Set wie dieses bauen, mit all
den Objekten, Möbeln und Kunstwerken.
Lucia Farinati: Es handelt sich also hier um eine Art Ready Made!
Ursula Mayer: Ja, und das obwohl die Charaktere in meinem Film das Leben und Werk von
Barbara Hepworth thematisieren, das an sich nichts mit dieser Sammlung zu tun hat.
Zusätzlich zu den Kunstwerken, die in diesem Haus gezeigt werden, arbeite ich mit einem
quasi reproduzierten Objekt von ihr, um das sich die Geschichte dreht.
Lucia Farinati: Sie spielt sozusagen die weibliche Hauptrolle in 2 Willow Road?
Ursula Mayer: Meine Handlungen sind stets offen und so auch deren Interpretationen. Der
Film dreht sich um zwei Frauen, eine ältere und eine jüngere. Durch den Altersunterschied
stehen beide Frauen für unterschiedliche Vorstellungen von Zeit und Wirklichkeit. Die
Handlungen im Haus folgen aufeinander, sind ritualistisch und überlappend, treffen aber nie
unmittelbar aufeinander. Das Objekt halluziniert ein Treffen, das nie stattfinden wird, und füllt
so den Raum mit poetischer Absenz. Die Architektur zeigt die Grenzen und Möglichkeiten,
die auf Prozesse der Erinnerung rekurrieren.
Lucia Farinati: Was du also vor hast ist eine Geschichte, die sowohl weitere Geschichten
erzeugt als auch aufspürt und von einer Reihe von Kunstgegenständen und
Protagonistinnen innerhalb derselben Räumlichkeiten erzählt, ähnlich einer russischen
Puppe.
Ursula Mayer: Eine Geschichte, die jene Zirkulation von Zeit aktiviert, die weder einen
Anfang noch ein Ende benötigt.
Lucia Farinati: 2 Willow Road ist ein perfektes Beispiel für modernistische Architektur und
Barbara Hepworths Arbeit schreibt sich auch in die Geschichte des Modernismus ein, lässt
sich hier eine Art Nostalgie für diese künstlerische Epoche feststellen?
Ursula Mayer: Ich will nicht die Vergangenheit idealisieren. Meine Arbeit untersucht die
Folgen sowie die nicht realisierten Potenziale dieser Zeit. Indem ich Orte besuche und
Situationen nachstelle, ermögliche ich eine unterschiedliche, alternative Lesart, ein
Bewusstsein für die Ellipsen der Zeit. Als er sich mit der Geburt der Interieurs befasste,
schrieb Walter Benjamin: „Leben bedeutet Spuren hinterlassen“. Und diese Spuren, könnten
wir hinzufügen, sind allesamt mögliche Geschichten, Re-Enactments, fiktionale Architekturen
der Zeit.
Übersetzung aus dem Englischen: Walter Seidl.
Lucia Farinati ist freie Kuratorin und lebt in London.
Architectures/Fictions/Re-enactments, Interview with Ursula Mayer
by Lucia Farinati, June 2006, published in MALMOE n.34, Graz, 2006
URSULA MAYER
Zeitkristalle / The Crystals of Time
Ausstellungsdauer: 5.10.2007 – 17.2.2008
Pressetermin: 4.10.2007, 10 Uhr
Eröffnung: 4.10.2007, 19 Uhr
Ian White
Kristallblicke
Ursula Mayers Trilogie – 33 Portland Place, Keeling House und Villa Mairea (2005/2006) –
wirkt im Hinblick auf ihre nachfolgende Arbeit wie eine Studie.
Die drei Filme scheinen drei einzigartige und historisch bedeutsame architektonische Räume
festzuhalten, wobei sich die Interessen und Methoden der Künstlerin, die in ihrem neuen Film
The Crystal Gaze (2007) kristallklar zum Ausdruck kommen, erst metaphorisch andeuten. In
jedem der drei Gebäude, die im Rahmen der Trilogie erforscht werden, hält sich eine einzige
Frau auf; sie bewegt sich durch die Räume, treppauf, treppab, und die Bilder, die wir von ihr
erhaschen, sind wie Ausschnitte aus einer weiterführenden Geschichte, die sich uns nur
teilweise erschließt, während Mayers Kamera über die Figur hinweggleitet oder sich von ihr
entfernt oder ein Detail des Innenraums streift. Doch es handelt sich hier nicht um
Dokumentarfilme. Mayer hat die Funktion der Räume verändert, die Möbel anders angeordnet,
Lichtakzente gesetzt und die Soundtracks so manipuliert, dass wir Versionen der Räume zu
sehen bekommen, die ebenso fiktional sind wie die menschliche Gestalt und ebenso konstruiert
wie das Schweifen der Kamera. Das heißt, das Wesen dieser Gebäude – übersetzt in den
Raum, die Zeit und das Licht des Bildes – wird zur Fiktion, wodurch das Wesen von Film und
Kino an sich ins Visier gerät.
In The Crystal Gaze wird der betörende Innenraum des Eltham Palace in Südlondon von drei
Frauen besetzt. Die makellosen historischen Kostüme, Perlenketten und KristallglasArrangements passen perfekt zu den Art-déco-Wandelementen: exotischen, realen und
imaginären Szenen – teils phantastische, teils figürliche Holzintarsien, die Orte darstellen, an
denen sich die früheren Bewohner einst aufhielten. Wie die Frau in der Trilogie bewegen sich
auch diese Frauen mit kaum wahrnehmbaren Schritten durch den Raum, doch, anders als die
Protagonistin der Trilogie, bleiben sie dabei nicht stumm. Ihr Text, der von Mayer verfasst
wurde, ist eine verwirrende, wenn auch nahtlose Aneinanderreihung von selbstreflexiven,
mehrdeutigen, fast abstrakten, melodramatischen Äußerungen, die unentwegt an ein nicht
minder vieldeutiges »Du« gerichtet sind. Nehmen diese Frauen aufeinander Bezug? Sind sie in
ein unbedeutendes Garderobengeplänkel verstrickt? Wenden sie sich an uns BetrachterInnen?
Oder sprechen sie mit sich selbst, führen Selbstgespräche? Falls die Antwort darauf lautet,
«alles dies zusammen», so findet sich der Schlüssel dazu in der Trilogie.
So wie der eigentliche Gegenstand der Trilogie nicht die Gebäude sind, in denen die Filme
gedreht wurden, ist es in The Crystal Gaze nicht das eigentliche Leben der Frauen, das als
prismatische Falle fungiert: Sie treten zwar als historische Klischees von (Film-)Diven auf, sind
aber dennoch nicht wirklich Protagonistinnen einer konventionellen Geschichte. Was sie zum
Ausdruck bringen, ist die Tatsache, dass ihre eigenen Körper zu Bildern geworden sind, was
wiederum durch die Metapher unserer und ihrer «kristallenen Blicke» auf raffinierte Weise
gebrochen und reflektiert wird. Wenn die ersten Takte zu Peggy Lees Song Is That All There
Is? erklingen und die Frauen in einen tragikomischen Gesang ausbrechen, wird darin sowohl
affektierte Erleichterung als auch herbe Kritik an unserer Verführbarkeit durch die Leinwand
deutlich. Sie verkörpern eine Art Destillat des Kinos: weder Geschichte noch Biografie, sondern
einfach die unerträgliche Verführung durch ein Bild, in das wir uns nicht hineinbegeben können,
dem wir uns aber ebensowenig zu entziehen vermögen.
Ian White ist Filmkurator an der Whitechapel Art Gallery, London. Er arbeitet auch an eigenen
Projekten als Autor und Künstler.
Übersetzung aus dem Englischen: Suzanne Schmidt