t - Alpha portfolio advisors

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Thomas Zimmerer / Florian Hertlein
Schätzung von Renditestrukturkurven für EurolandStaatsanleihen: Gibt es teuere und billige Bonds?*
I. Einleitung................................................................................................................................ 1
II. Abgrenzung von Renditebegriffen ........................................................................................ 2
III. Arbitragefreier Preis und Schätzfunktion............................................................................. 4
IV. Stetige Schätzverfahren zur Renditestrukturkurvenbestimmung......................................... 8
IV.1. Polynom-Modelle .......................................................................................................... 8
IV.2. Vasicek-Fong-Modelle ................................................................................................ 10
IV.3. Nelson-Siegel-Polynome ............................................................................................. 11
V. Fair-Value-Analyse ............................................................................................................. 13
V.1. Querschnittanalyse ........................................................................................................ 13
V.2. Längsschnittanalyse ...................................................................................................... 15
VI. Zusammenfassung.............................................................................................................. 20
Prof. Dr. Thomas Zimmerer ist Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit
Studienschwerpunkt Finanz-, Bank- und Investitionswirtschaft an der Fachhochschule
Ansbach und Senior Consultant bei der alpha portfolio advisors GmbH, Bad Soden.
Forschungsschwerpunkte: Quantitative Portfolio- und Risikomanagementmodelle,
Rentenportfolioanalyse, Portfolio Insurance- und Absolute Return-Strategien.
Florian Hertlein, Diplom-Betriebswirt (FH) ist Consultant bei der alpha portfolio advisors
GmbH, Bad Soden. Tätigkeitsschwerpunkte: Strukturierte Managerauswahl und quantitative
Performanceanalyse.
* erschienen in: FINANZ BETRIEB, 02/2007, S. 98-108.
Zimmerer / Hertlein: Gibt es teuere und billige Bonds?
Seite 1
I. Einleitung
Mit Einführung des Euro ist eine Harmonisierung des Euroland Zinsniveaus verbunden.
Während eine einheitliche Geldpolitik der Europäischen Zentralbank die Homogenität am
kurzen Laufzeitenende sicherstellt, führen v.a. die langen Laufzeitenbereiche ab 10 Jahren
Restlaufzeit eine messbare Eigendynamik. Dies äußert sich an beobachtbaren LänderLaufzeit-Spreads zueinander. Insofern kann es länderübergreifend oder relativ zum
durchschnittlichen Euroland Renditeniveau zu signifikanten Preisabweichungen von
Staatsanleihen gleicher Laufzeit kommen. Das Instrument zur funktionalen Beschreibung des
Zusammenhanges zwischen Restlaufzeiten und Renditen ist die Renditestrukturkurve. Die
Renditestrukturkurve ist nicht direkt am Markt beobachtbar, kann aber aus einem Universum
repräsentativer Anleihen über statistische Schätzverfahren bestimmt werden. Anwender
derartiger Schätzverfahren sind Notenbanken, die dadurch Implikationen über die
Renditestruktur für ihre geldpolitischen Maßnahmen erhalten. Daneben dient die
Renditestruktur im Portfoliomanagement als Grundlage zur Bewertung sämtlicher
zinsbasierter Finanzinstrumente, um darauf aufbauend auf Portfolio- oder Einzeltitelebene
Analysen anzustellen. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, ob Euroland
Staatsanleihen fair bewertet sind oder nicht. Der Beitrag ist wie folgt aufgebaut. Nach einer
Abgrenzung von Renditebegriffen in Abschnitt II wird in Abschnitt III das Konzept des
arbitragefreien Preises erläutert und die Grundstruktur des Schätzproblems einer
Renditestrukturkurve skizziert. Abschnitt IV beschreibt die Schätzmethoden, die im Abschnitt
V einer empirischen Fair-Value-Analyse unterzogen werden. Abschnitt VI fasst die
Ergebnisse zusammen und beantwortet resümierend die Frage nach dem Bondpicking
Potenzial im Euroland Staatsanleihenbereich.
Zimmerer / Hertlein: Gibt es teuere und billige Bonds?
Seite 2
II. Abgrenzung von Renditebegriffen
Bei der Bewertung festverzinslicher Wertpapiere (Bonds) handelt es sich um ein klassisches
Investitionsrechenverfahren, dem Barwertkonzept. Der Barwert einer Anlage in ein
festverzinsliches Wertpapier mit Laufzeit T, d.h. der Marktpreis P des Bonds entspricht dem
Gegenwartswert der bekannten, künftigen Cash Flows CFt zu deren Fälligkeitszeitpunkt t –
den Kupons C und der Rückzahlung des Nominalwertes N. Als Zinsfuß zum Diskontieren der
Cash Flows fungiert die laufzeitkongruente Rendite y, die am Kapitalmarkt abgegriffen
werden kann. Formal lässt sich der Preis schreiben als:
P=
T
T
CFt
C
C
C
N
C
N
+
+
...
+
+
=
+
=
∑
∑
T
T
t
T
2
1 + y (1 + y )
(1 + y ) (1 + y ) t =1 (1 + y ) (1 + y ) t =1 (1 + y )t
(1)
Die Besonderheit und gleichzeitig der theoretische Kritikpunkt der Yield to MaturityPreisformel nach Gleichung (1) liegen in der Unterstellung einer flachen Zinsstrukturkurve,
da sämtliche Zahlungsströme mit dem gleichen Diskontfuß y diskontiert werden. Die Yield to
Maturity beschreibt die Rendite, die den Durchschnittsertrag aus dem Besitz einer Anleihe
über die gesamte Laufzeit unter der Annahme angibt, dass alle Kuponzahlungen während der
Laufzeit der Anleihe zu eben dieser Rendite reinvestiert werden können (kein
Reinvestitionsrisiko). Obwohl eine flache Zinsstrukturkurve nicht der Realität entspricht,
denken die Marktteilnehmer in Yield to Maturities, da sie die relative Attraktivität von Bonds
verschiedener Laufzeiten in einem Renditeargument ausdrücken. So erlaubt Gleichung (1),
aus der am Markt beobachteten Laufzeitrendite einen korrespondierenden Marktpreis zu
berechnen oder aber – zwar nicht durch eine geschlossene analytische Lösungsformel, aber
über iterative Näherungsverfahren – zum quotierten Marktpreis die korrespondierende
Rendite anzugeben. Im Rentenhandel werden beide Größen verwendet: bestimmte Bonds
werden auf Preisbasis (z.B. Staatsanleihen) oder Renditebasis (z.B. Pfandbriefe) gehandelt.
Spot Yields oder Zero Yields knüpfen an den theoretischen Kritikpunkten des Yield to
Maturity-Konzeptes bei der Bewertung von Kuponanleihen (Coupon Bonds) an. Sie
beschreiben die Yield to Maturities von Nullkuponanleihen (Zero Bonds), die als
Abzinsungspapiere nur einen Cash Flow, nämlich die Rückzahlung des Nennwerts bei
Endfälligkeit aufweisen. Das Barwertkonzept aus Gleichung (1) lässt sich nun so
modifizieren, dass eine Kuponanleihe auch mit Zero Yields bewertet werden kann. Der
Grundgedanke dabei ist die Zerlegung der Cash Flows eines Coupon Bonds in ein Bündel von
Zero Bonds, so dass alle Cash Flows des Coupon Bonds mit jetzt unterschiedlichen,
laufzeitadäquaten Nullkuponrenditen diskontiert werden. Die mathematische Realisierung
erfolgt über die Äquivalenzforderung, dass egal, ob die Cash Flows eines Coupon Bonds mit
einer einheitlichen Yield to Maturity oder mit unterschiedlichen Zero Yields der einzelnen
Fälligkeitszeitpunkte diskontiert werden, den Marktpreis des Bonds ergeben müssen:1
P=
T
CFt
∑ (1 + y )
t =1
t
14243
Kupon − Bond mit einheitlicher Rendite y
1
!
=
T
CFt
∑ (1 + s )
t =1
t
1424t3
Null − Kupon − Bonds mit T laufzeitspezifischen Spot Yields st
Vgl. Zimmerer, Finanz Betrieb, 04/2003 S. 243.
(2)
Zimmerer / Hertlein: Gibt es teuere und billige Bonds?
Seite 3
Die formale Überführung von Yield to Maturities in Spot Yields nach Gleichung (2) ist mit
diskreten Rechen- und stetigen Schätzverfahren möglich. Die Anwendung des diskreten
Bootstrapping-Verfahrens ist nur unter bestimmten Voraussetzungen anwendbar:2 es ist auf
Anleihen ganzzahliger Restlaufzeitenstruktur beschränkt, die zu pari, d.h. zum Nennwert
notieren (Par Bonds). Am Startpunkt der Renditestrukturkurve, i.d.R. bei der einjährigen
Laufzeit, werden Par Yield und Zero Yield gleichgesetzt und die nachfolgenden Zero Yields
rekursiv aus sämtlichen darunterliegenden Laufzeiten herausgerechnet.3 Der Nachteil des
Bootstrapping-Verfahrens liegt jedoch in seinen starren Annahmen, da es in der Praxis zum
einen an Par Bonds mit ganzjährigen, äquidistanten Restlaufzeiten fehlt. Zum anderen ist man
an einer stetigen Form der Spot Yields interessiert, um auch gebrochene Laufzeiten
entsprechend abbilden zu können und nicht zwischen zwei Stützpunkten interpolieren zu
müssen, wodurch die Renditestrukturkurve letztendlich abschnittsweise begradigt wird. Um
die Stetigkeit zu gewährleisten, haben sich in der Literatur und der praktischen Anwendung
Schätzmodelle zur Bestimmung von Zero Yield-Funktionen etabliert, die in diesem Beitrag
einem theoretischen und empirischen Vergleich unterzogen werden.
Die Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten, die durch die Schätzung von Nullkuponrenditestrukturkurven (Zero Yield Curves) gegeben sind, findet sowohl bei
Kapitalmarktforschern als auch im Praxisbereich große Anwendung. So werden sämtliche
Derivate oder strukturierte Produkte, deren Pricing einen arbitragefreien Zins erfordert, über
Zero Yields bewertet, die fristenkongruent von einer Zero Yield Curve abgegriffen werden.
Daneben erlaubt eine Nullkuponrenditestrukturkurve die faire Bewertung sämtlicher
gattungsgleicher Kuponanleihen, d.h. Coupon Bonds gleicher Rating- oder Sektorkategorie.
Durch den Abgleich der so ermittelten fairen Preise mit den tatsächlichen Marktpreisen
können über- bzw. unterbewertete Anleihen identifiziert und nach Abzug von
Transaktionskosten Relative Value Trades etabliert werden. Somit ist man in Theorie und
Praxis an Funktionen interessiert, die für beliebige – auch gebrochene – Laufzeiten die
entsprechende Nullkuponrendite liefern. Dabei ist generell ein leicht implementierbarer,
zuverlässiger und für das jeweilige Aufgabengebiet zugeschnittener Schätzansatz zu
präferieren. Die nachfolgende Tabelle zeigt die verwendeten Schätzmodelle ausgewählter
Nationalbanken.4 Alle aufgeführten Modelle eignen sich grundsätzlich für die Darstellung von
Zinsstrukturen.
2
3
4
Vgl. Gruber/Overbeck, Finanzmarkt und Portfolio Management, 12. Jahrgang, Nr.1, 1998 S. 64.
Gegenstand dieses Beitrages ist nicht die Darstellung von diskreten Verfahren zur Generierung einer
Nullkuponrenditestrukturkurve, sondern die Beschreibung und der Vergleich nachfolgend vorgestellter
stetiger Schätzverfahren. Zur formalen Darstellung des Bootstrappings vgl. Fn. 1 und Fn. 2.
Vgl. Bank for International Settlements, BIS Papers No. 25, 2005 S. 11.
Zimmerer / Hertlein: Gibt es teuere und billige Bonds?
Zentralbank
Belgien
Kanada
Finnland
Frankreich
Deutschland
Italien
Japan
Norwegen
Spanien
Schweden
Schweiz
Großbritannien
Vereinigte Staaten
Seite 4
Schätzmethode
Svensson oder Nelson-Siegel
Merrill Lynch Exponential Spline
Nelson-Siegel
Svensson oder Nelson-Siegel
Svensson
Nelson-Siegel
Smoothing Splines
Svensson
Svensson
Smoothing Splines und Svensson
Svensson
Smoothing Splines
Smoothing Splines
Tab. 1: Schätzmethoden zur Renditestrukturkurve ausgewählter Zentralbanken
III. Arbitragefreier Preis und Schätzfunktion
Die Preisgleichung eines Zinsträgers lässt sich unter Rückgriff auf Gleichung (2) auch wie
folgt darstellen:
T
P=∑
t =1
T
CFt
(1 + st )
t
= ∑ CFt ⋅ d t , wobei d t =
t =1
1
(1 + st )t
(3)
Nachdem die Höhe der Cash Flows in Form der Kuponzahlungen und der Rückzahlung des
Nennwertes bei Endfälligkeit sowie die Zahlungstermine (jährliche oder halbjährliche
Zahlungsweise) deterministische Größen sind, ist die Preisbestimmung ausschließlich von den
verwendeten laufzeitadäquaten Spot Yields s t oder Diskontfaktoren d t abhängig. Der
Barwert eines Cash Flows CFt ist durch die Multiplikation des Cash Flows mit dem
fristenkongruenten Diskontfaktor d t gegeben. Gilt es, den Barwert eines Zahlungsstroms
einer Kuponanleihe mit T Zahlungen zu ermitteln, tritt an die Stelle der einfachen
Multiplikation das innere Produkt aus Cash Flows und den korrespondierenden
Diskontfaktoren wie in Gleichung (3) dargestellt. Würden am Markt für jede Fälligkeit eines
zu bewertenden Zahlungsstromes Zero Bonds gehandelt, dann könnten die Diskontfaktoren
direkt aus den Preisen der Zero Bonds berechnet werden. Bei fristenadäquater Anwendung
der so extrahierten Diskontfaktoren auf einen beliebigen Zahlungsstrom entspräche der
Barwert dieses Zahlungsstroms exakt seinem arbitragefreien oder fairen Preis. Wenn nun der
tatsächliche Marktpreis dieses Zahlungsstroms über (unter) seinem Barwert liegt, kann durch
Verkauf (Kauf) des Zahlungsstroms und gleichzeitigem Kauf (Verkauf) eines diesen
Zahlungsstrom replizierenden Portfolios von Zero Bonds ein Arbitragegewinn erzielt
werden.5 In einem funktionierenden Markt würden dann einsetzende Arbitrage-Aktivitäten in
Form von Käufen und Verkäufen des Zahlungsstromes und dessen Replikationsportfolios
solange auf die Preisbildung einwirken, bis „unfairer“ Marktpreis mit fairem Barwert
übereinstimmen. In der Realität jedoch werden Zero Bonds für beliebige Fälligkeiten nicht in
der ausreichenden Markttiefe gehandelt, um die Diskontfaktoren und damit die Zero Yields
direkt am Markt beobachten zu können.
5
Vgl. Binder/Fingerlos/Jankowitsch/Pichler/Zeipelt, Österreichische Kontrollbank, 1999 S. 3.
Zimmerer / Hertlein: Gibt es teuere und billige Bonds?
Seite 5
Wenn im Markt nicht genügend Zero Bonds vorhanden sind, dann können Nullkuponanleihen
aber auch durch ein Portfolio aus Kuponanleihen synthetisch repliziert werden. Dies ist in
Anlehnung an Gleichung (2) dann möglich, wenn der Markt vollständig ist, d.h.
Kuponanleihen mit beliebiger Laufzeit und Fristigkeitsstruktur am Markt verfügbar sind. Dies
ist in der Realität wiederum nicht gegeben: beliebige Zahlungsströme können somit in
unvollständigen Märkten nicht exakt repliziert werden. Für die Generierung einer
Nullkuponrenditestrukturkurve heißt das nun, dass die Diskontfaktoren respektive Zero
Yields nur unter Zuhilfenahme einer Annahme über den funktionalen Verlauf der
Diskontierungsfunktion oder der Zero Yields in Abhängigkeit der Laufzeit geschätzt werden
können.6 Zur Generierung einer Renditestrukturkurve ist somit die Spezifikation eines
funktionalen Zusammenhangs zwischen Laufzeit und Nullkuponrenditen erforderlich. Der
ermittelte Barwert eines Zahlungsstromes entspricht dann nicht mehr exakt, sondern nur mehr
näherungsweise dem arbitragefreien oder fairen Marktpreis.
Sämtlichen Schätzfunktionen und -verfahren gemeinsam ist die Minimum-Quadrat-Methode,
wobei versucht wird, die quadrierte Abweichungssumme zwischen tatsächlichen
Marktpreisen Pi und geschätzten Anleihepreisen P̂i einer repräsentativen Schätzmenge von
i = 1, ..., N Anleihen zu minimieren.7 Das Schätzproblem lässt sich wie folgt formalisieren:
N
(
Min ∑ Pi − Pˆi
β
i =1
) , wobei Pˆ = ∑ (1CF
+ sˆ )
T
2
it
i
mit sˆt = f (t , β k ) bzw. dˆt =
t =1
t
t
T
+ ε i =∑ CFit ⋅ dˆt + ε i ,
t =1
1
und k = 1,...,K
1 + f (t , β k )
(4)
Der theoretische Preis einer Anleihe i ist definiert als die Summe der Gegenwartswerte der
mit dieser Anleihe verbundenen Zahlungsströme, wobei die künftigen Zahlungen mit Hilfe
von geschätzten Spot Yields ŝ t auf ihre Gegenwartswerte diskontiert werden. Die Spot Yields
selbst sind eine Funktion f der Restlaufzeit t und der im Rahmen des Schätzverfahrens
bestimmten K Schätzparameter β k und können in Anlehnung an Gleichung (3) in
Diskontfaktoren überführt werden. Der Fehlerterm ε i reflektiert die Differenz zwischen
tatsächlichen und geschätzten Preisen, d.h. das Residuum der Schätzgleichung, das nicht
durch den Parametervektor β erklärt werden kann.
6
7
Die formalen Überlegungen der nachfolgenden Schätzmodelle formulieren teilweise als Ausgangspunkt
einen funktionalen Zusammenhang zwischen Implied Forward Yields und der Restlaufzeit. Die
Zinsstruktur kann nämlich nicht nur durch Zero Yields, sondern auch durch Implied Forward Yields
beschrieben werden. Dabei entspricht die Implied Forward Yield der arbitragefreien Spot Yield in der
Zukunft für einen zukünftigen Zeitraum. Mathematisch können die verschiedenen Yields, je nachdem
ob man von einer diskreten oder stetigen Verzinsung ausgeht, formal ineinander übergeführt werden.
Die folgenden formalen Darstellungen der Schätzmodelle beschränken sich auf die Darstellung über
Diskontfunktionen oder Funktionen für die Zero Yield-Struktur. Zu den Abgrenzungen der YieldKonzepte in diskreter Notation vgl. Zimmerer, Finanz Betrieb, 04/2003 S. 244 ff bzw. in stetiger
Notation vgl. Bank for International Settlements, BIS Papers No. 25, 2005 S. 5-6.
Zu beachten ist bei der Optimierung, dass zu den am Markt abgegriffenen Preisen (Clean Prices) die
Stückzinsen addiert werden müssen, da die Barwertformel die Preise inklusive aufgelaufener
Stückzinsen (Dirty Prices) liefert.
Zimmerer / Hertlein: Gibt es teuere und billige Bonds?
Seite 6
Je nach funktionaler Spezifikation von f sind lineare oder nichtlineare Schätzmodelle möglich.
Lineare Modelle in Form von Polynom- oder Spline-Funktionen8 werden analytisch in Form
einer linearen Regression gelöst. Die nichtlinearen Modelle erfordern computergestützte
Optimierungsverfahren, die unter Vorgabe eines Startvektors die Schätzparameter iterativ
bestimmen. Zu den bekanntesten Modellen, die in diesem Beitrag komparativ
gegenübergestellt werden und in der Praxis stark verbreitet sind, zählen:9
•
•
•
Polynom-Modelle
Vasicek-Fong-Modell
Nelson-Siegel-Polynome
Eine Zinsstrukturkurve schätzen bedeutet, Schätzparameter zu finden, so dass die
resultierende Funktion die Marktgegebenheiten möglichst gut abbildet. Dabei ist es
entscheidend, dass die geschätzten Zinsstrukturkurven folgende essenziellen Eigenschaften
aufweisen:10
Exaktheit: Sicherstellung, dass die ermittelte Kurve das beobachtbare Marktverhalten
adäquat widerspiegelt und flexibel genug ist, sich an die unterschiedlichen
Zinsstrukturkurvenverläufe (normal ansteigend, invers, flach und/oder ausgewölbt)
anzupassen.
Modellkonsistenz: Ist die empirisch geschätzte Kurve mit den theoretischen
Zinsstrukturkurvenmodellen konsistent oder weist die Kurve „unkontrollierte“
Verläufe verursacht durch einzelne Ausreißer oder an den Enden der Kurve auf?
Simplizität: Das Schätzverfahren sollte einfach zu implementieren sein und eine
benutzerfreundliche Anwendung ermöglichen. Dazu sollte ein geschlossener
Funktionsterm erzeugt werden, der leicht für jede beliebige Restlaufzeit ausgewertet
werden kann.
Zweckorientierung: Das verwendete Modell muss geeignet sein, sinnvolle Ergebnisse
für das entsprechende Untersuchungsgebiet (z.B. Bewertung von Derivaten oder
Anleihen) zu liefern. Eine Schätzmethode ist vorteilhaft, wenn sie eine glatte Kurve
generiert und nicht durch einzelne Ausreißer in Form von falsch oder unsauber
gepreisten Anleihen stark verzerrt wird.
8
9
10
Spline-Funktionen modellieren die Zinsstruktur als eine Aneinanderreihung von abschnittsweise
definierten Funktionen, meist Polynomfunktionen. Die Problematik besteht in der Festlegung von deren
Anzahl, deren formaler Spezifikation, der konkreten Festlegung der „Schnittstellen“ und der
Gewährleistung eines stetigen Übergangs. Der stetige Übergang ist nicht nur durch die Gleichheit der
Funktionswerte an den Schnittstellen sicherzustellen. Zusätzlich ist auch eine Äquivalenz der ersten und
zweiten Ableitung der Splines erforderlich, damit deren Steigung und Krümmung an den
Übergangsstellen übereinstimmen und keine Knickpunkte in den Renditestrukturkurven entstehen.
Grundsätzlich starten Spline-Techniken mit überparametrisierten Polynomfunktionen und einer
Vielzahl von Schnittstellen und nähern sich einer zunehmend sparsameren Parametrisierung, indem die
Schätzgüte relativ zur Parameterzahl optimiert wird. Spline-Funktionen wurden in dieser Studie nicht
weiter untersucht. Siehe dazu McCulloch, Journal of Business 44, 197 S. 19 – 31, Shea, The Journal of
Finance, 40. Jg., 1985 S. 319 – 325 oder Steeley, Journal of Business Finance & Accounting, 18(4),
1991 S. 513-529.
Vgl. Vasicek/Fong, Journal of Finance 37, 1982 sowie Nelson/Siegel, Journal of Business, Vol. 60, 4,
1987 S. 473 – 489 und Svensson, National Bureau of Economic Research, Working Paper 4871, 1994.
Vgl. Choudhry, in: Fabozzi (Hrsg.): The Handbook of Fixed Income Securities, 2005, S. 965.
Zimmerer / Hertlein: Gibt es teuere und billige Bonds?
Seite 7
Neben diesen subjektiven Beurteilungsmaßstäben führt die Verwendung statistischer
Gütekriterien zur notwendigen Objektivität. Aus der Vielzahl der in der Literatur diskutierten
statistischen Gütekriterien werden im Folgenden ausschließlich Lagemaße verwendet.11
Hierunter fallen die drei Fehlermaße Mean Error (ME), Mean Square Error (MSE) und Root
Mean Square Error (RMSE). Nachfolgend ist die Berechnungsweise der verwendeten
Gütekriterien formalisiert dargestellt, wobei N für die Anzahl der Bonds im
Schätzuniversum steht.
ME =
MSE =
(
1 N
∑ Pi − Pˆi
N i =1
(
)
1 N
∑ Pi − Pˆi
N i =1
RMSE =
(
(5)
)
2
1 N
∑ Pi − Pˆi
N i =1
(6)
)
2
(7)
Die Fehlermaße drücken im Prinzip die mittlere Abweichung der tatsächlichen Preise Pi von
den geschätzten Preisen P̂i aus. Der Effekt, dass sich beim ME positive und negative
Fehlbewertungsdifferenzen kompensieren können, wird beim MSE bzw. RMSE umgangen,
indem die Fehlbewertungen quadriert in die Berechnung eingehen.12 Die Fehlermaße in
Preisnotation können in das korrespondierende Renditeargument umgerechnet werden, indem
man die Fehlermaße durationsbereinigt:13 die resultierenden Fehlermaße drücken dann die
durchschnittliche
Renditeabweichung
aller
Anleihen
von
der
geschätzten
Renditestrukturkurve aus.
11
12
13
Die Untersuchung folgt bei der Auswertung der Schätzverfahren dem Vorgehen von Ferguson/Raymar,
die eine vergleichbare Untersuchung für den US-amerikanischen Markt durchführten. Vgl.
Ferguson/Raymar, The Journal of Fixed Income, Vol. 3, 1998 S. 17-33.
Da es nicht auf das Vorzeichen, sondern auf die Höhe der mittleren Fehlbewertung ankommt, wird beim
ME der Absolutbetrag der mittleren kumulierten Fehlbewertung betrachtet.
Dazu wird das Fehlermaß jeweils durch die durchschnittliche Duration des Schätzuniversums dividiert.
Der Divisor entspricht dabei nicht der Macaulay Duration, sondern ist die mittlere barwertgewichtete
Restlaufzeit basierend auf den jeweils vom Modell geschätzten Spot Rates. Diese Kennzahl bezeichnet
man als Effective Duration.
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Seite 8
IV. Stetige Schätzverfahren zur Renditestrukturkurvenbestimmung
In den folgenden Abschnitten werden die stetigen Schätzverfahren zunächst theoretisch
beschrieben und anschließend exemplarisch für das Euroland Staatsanleihenuniversum des
J.P. Morgan EMU Government Bond Index an einem Handelstag angewandt.14 Die
Schätzergebnisse werden graphisch visualisiert und anschließend über statistische
Gütekriterien komparativ ausgewertet.
IV.1. Polynom-Modelle
Das Weierstrass Theorem besagt, dass sich in einem abgeschlossenen Definitionsbereich für
jede stetige und differenzierbare Funktion ein Polynom berechnen lässt, das diese Funktion
beliebig genau approximiert.15 Die Spezifikation der Polynomfunktion kann dabei für die
Spot Yields oder für die Diskontfaktoren erfolgen. Konkret ermöglichen Schätzfunktionen in
Form eines Polynoms des Grades n grundsätzlich die Darstellung der üblicherweise
auftretenden Zinsstrukturkurven.16 Die polynomiale Schätzfunktion über Diskontfaktoren für
den Preis einer Anleihe lautet für ein Polynom vom Grade n allgemein:
N
Pˆi = ∑ CFit ⋅ dˆt
t =1
mit dˆt ( β ) = β 0 + β 1t + β 2 t 2 ... + β n t n , wobei β 0 = 1
(5)
Die Nebenbedingung β 0 = 1 bewirkt, dass ein sofort fälliger Bond (t = 0) mit dem Nennwert
von 1 Euro tatsächlich zu 1 Euro bewertet wird.17 Da das Schätzuniversum nur Anleihen mit
einer Restlaufzeit größer als ein Jahr umfasst, ist diese Nebenbedienung in der vorliegenden
Untersuchung gegenstandslos. Sofern man als definiertes Intervall den gesamten
Fristigkeitsbereich der Zinsstruktur verwendet, sind operative Implementierung des Polynoms
und Bestimmung der kompletten Zinsstrukturkurve aufgrund der Linearität der Funktion über
ein lineares Regressionsmodell relativ einfach möglich. Die praktischen Probleme zeigen sich
aber in der Festlegung des Polynomgrades vor allem bei abnehmender Zahl an Anleihen im
langfristigen Laufzeitbereich. Polynomfunktionen zeichnen sich zwar mit zunehmendem
Polynomgrad durch eine stärkere Flexibilität in der Anpassung an die Datenmenge aus,
reagieren aber an den Rändern der Stichprobe, d.h. im extrem kurz- und langfristigen
Laufzeitbereich mit einer zunehmendem Sensibilität gegenüber Ausreißern. Besonders am
langen Laufzeitende besteht die Gefahr des „Kurvenflatterns“, da der letzte Term β n t n in der
Schätzgleichung (5) mit zunehmendem n extrem an Bedeutung gewinnt. Das Phänomen, dass
sich statistische Schätzfunktionen im Extrem an einzelne Datenpunkte „anschmiegen“, ist als
14
15
16
17
Konkret wurde das Schätzuniversum des 07.07.2006 gewählt. Der J.P. Morgan EMU Government Bond
Index repräsentiert die Marktkapitalisierung der im Umlauf befindlich Staatsanleihen von 11
Euroländern und umfasst ca. 230 Anleihen im Restlaufzeitspektrum von ein bis 50 Jahren Restlaufzeit.
Zwischen 30 und 50 Jahren Laufzeit ist allerdings nur eine französische Staatsanleihe am Markt
verfügbar. Insofern wird das Schätzuniversum auf Anleihen bis Fälligkeiten 2037 verkürzt. Eine
detaillierte Beschreibung des J.P. Morgan EMU Government Bond Index findet man bei
Walther/Zimmerer, in: Kleeberg/Schlenger (Hrsg.): Handbuch Spezialfonds: ein praktischer Leitfaden
für institutionelle Anleger und Kapitalanalgegesellschaften, 2000, S. 541 ff.
Vgl. Weierstrass, Sitzungsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin,
1885.
Vgl. Hunt/Terry, Working Paper No. 81, University of Technology Sydney, 1998, S. 8.
Vgl. Ferguson/Raymar, The Journal of Fixed Income, Vol. 3 1998 S. 29.
Zimmerer / Hertlein: Gibt es teuere und billige Bonds?
Seite 9
Overfitting bekannt. Allgemein gilt für Polynomfunktionen wie für die nachfolgend
vorgestellten Schätzmodelle auch, dass ein Trade Off zwischen einer guten Anpassung an die
Datenmenge (Goodness of Fit) und der Robustheit des Modells besteht. Um das
unkontrollierte Verhalten der Schätzfunktionen zu begrenzen, ist daher auf eine sparsame
Parametrisierung, d.h. Limitierung der Anzahl der Schätzparameter zu achten. Eine praktische
Abhilfe kann darin bestehen, dass man die Schätzfunktion am kurzen wie langen Laufzeitende
durch eine vorgegebene Rendite durch Vorgabe von Nebenbedingungen bei der Optimierung
zwingt. Die Nebenbedingung am kurzen Laufzeitende kann im Vergleich zum langen
Laufzeitende über die Vorgabe einer realen Nullkuponrendite relativ einfach formuliert
werden, da für kurze Laufzeiten ausreichend liquide Nullkuponanleihen gehandelt werden.18
Die Nebenbedingung am langen Ende gestaltet sich dagegen als erheblich schwieriger, da
repräsentative Nullkuponanleihen für lange Laufzeiten am Markt fehlen. Zur Verdeutlichung
der Sensibilität der Polynomfunktion hinsichtlich des Polynomgrades wurden zwei
Schätzfunktionen für die Diskontfaktoren gerechnet:
Polynom Grad 3: dˆt ( β ) = β 0 + β 1t + β 2 t 2 + β 3 t 3
Polynom Grad 4: dˆt ( β ) = β 0 + β1t + β 2 t 2 + β 3 t 3 + β 4 t 4
(6)
(7)
Nachfolgende Abb.1 zeigt in der linken oberen Graphik den Verlauf der über die beiden
Polynom-Modelle ermittelten Renditestrukturkurven im Restlaufzeitspektrum ein bis 30
Jahre. Man erkennt sofort, dass das Polynom vom Grad 3 deutlich besser geeignet ist, die
Zinsstruktur abzubilden.
Renditestrukturkurven
Polynomial-Modelle
5.2%
5.2%
Polynom Grad 3
5.0%
Nullkuponrenditen in % p.a.
Nullkuponrenditen in % p.a.
Renditestrukturkurven
Vasicek-Fong-Modelle
Polynom Grad 4
4.8%
4.6%
4.4%
4.2%
4.0%
3.8%
3.6%
3.4%
Vasicek-Fong 4
4.8%
Vasicek-Fong 6
4.6%
4.4%
4.2%
4.0%
3.8%
3.6%
3.4%
3.2%
3.2%
0
5.2%
5.0%
4.8%
4.6%
4.4%
4.2%
4.0%
3.8%
3.6%
3.4%
3.2%
5
10
15
20
25
5
5
10
15
20
Laufzeit in Jahren
Laufzeit in Jahren
Renditestrukturkurven
Nelson-Siegel-Polynome
Renditestrukturkurven
Best of Three
Nelson-Siegel Modified
Nelson-Siegel Original
Svensson
0
0
30
10
15
Nullkuponrenditen in % p.a.
Nullkuponrenditen in % p.a.
5.0%
20
Laufzeit in Jahren
25
30
5.2%
5.0%
4.8%
4.6%
4.4%
4.2%
4.0%
3.8%
3.6%
3.4%
3.2%
25
30
25
30
Nelson-Siegel Modified
Polynom Grad 3
Vasicek-Fong 4
0
5
10
15
20
Laufzeit in Jahren
Abb. 1: Zero Yield Curves für unterschiedliche Schätzverfahren
18
Zur besseren Vergleichbarkeit der alternativen Schätzmodelle wurden die Renditestrukturkurven am
kurzen Laufzeitende bei der einjährigen Laufzeit durch eine exogen vorgegebene Nullkuponrendite von
3,4% gezwungen. Dies entspricht dem Renditeniveau einjähriger deutscher Nullkuponanleihen
(Finanzierungsschätze) zum Analysezeitpunkt.
Zimmerer / Hertlein: Gibt es teuere und billige Bonds?
Seite 10
IV.2. Vasicek-Fong-Modelle
Die Modelle von Vasicek-Fong basieren auf expotentiellen Splines und versuchen den
Schwächen des eben beschrieben Polynomansatzes entgegenzuwirken, indem die Yield to
Maturity des längsten Bonds im Schätzuniversum in die Schätzfunktion mit einbezogen wird
und so die Renditestrukturkurve am langen Laufzeitende stabilisiert. Vasicek-FongFunktionen kommen als vier- bzw. sechsparametrige Ansätze vor. Die Diskontfunktionen
lauten jeweils:
Vasicek-Fong 4: dˆt ( β ) = β 0 + β1e − Rt + β 2 e −2 Rt + β 3e −3 Rt
mit der Nebenbedingung β 0 + β1 + β 2 + β 3 = 1
Vasicek-Fong 6: dˆt ( β ) = β 0 + β1e − Rt + β 2 e −2 Rt + β 3 e −3 Rt + β 4 e −4 Rt + β 5 e −5 Rt
mit der Nebenbedingung β 0 + β 1 + β 2 + β 3 + β 4 + β 5 = 1
(8)
(9)
Dabei stellt R die Yield to Maturity der längsten Anleihe im Schätzuniversum dar und kann
ökonomisch als Grenzwert der aus der Zero Yield Curve extrahierten Implied Forward Yield
Curve interpretiert werden.19 Die mit dem Vasicek-Fong Modell generierte Implied Forward
Yield Curve zeichnet sich besonders durch einen asymptotischen Verlauf mit einer
Annäherung an Null für sehr große Werte von t aus, wodurch das typische Kurvenflattern der
Polynom-Modelle bei langen Restlaufzeiten verhindert wird, da die Spot und Implied
Forward Yields für steigende Laufzeiten auf einen Grenzwert konvergieren. Die
Nebenbedingungen, dass sich die Schätzparameter jeweils zu Eins aufaddieren, sind
notwendig, damit der Preis eines sofort fälligen Bonds seinem Nominalwert entspricht. Diese
Nebenbedingung wird wiederum analog zu den Polynom-Modellen durch die Vorgabe einer
Zero Yield für die einjährige Laufzeit abgelöst. Durch Modellierung des asymptotischen
Grenzwertes am langen Laufzeitende und die Vorgabe der Zero Yield am einjährigen
Startpunkt der Zero Yield Curve ist das Schätzergebnis relativ stabil. Abb. 1 zeigt in der
rechten oberen Graphik das Schätzergebnis für die beiden Vasicek-Fong-Modelle. Es fällt auf,
dass beide Renditestrukturkurven annähernd deckungsgleich verlaufen, so dass für die
praktische Anwendung auf das sparsamere vierparametrige Modell zurückgegriffen werden
kann.
19
Konkret wurde in der vorliegenden Untersuchung für R = 4,66% gewählt.
Zimmerer / Hertlein: Gibt es teuere und billige Bonds?
Seite 11
IV.3. Nelson-Siegel-Polynome
Das Modell von Nelson und Siegel ist eine nichtlineare Weiterentwicklung von linearen
Schätzmodellen und basiert auf einer Laguerre-Funktion. Aus dem Nelson-SiegelOriginalmodell wurden im Zeitablauf verschiedene Abwandlungen abgeleitet, die man unter
die „Familie von Nelson-Siegel-Funktionen“ subsumieren kann. Das Originalmodell zeichnet
sich durch eine außerordentliche Flexibilität aus, wodurch eine Vielzahl von
Kurvenverläufen, ob monoton steigend oder fallend, gekrümmt, S-förmig bzw. U-förmig mit
und ohne „Buckeln“, d.h. Auswölbungen abgebildet werden kann. Die Schätzgleichung für
die Spot Rates ŝt anhand des Nelson-Siegel Originalmodells lässt sich wie folgt
formalisieren:20
Nelson-Siegel-Original sˆt ( β ) = β 0 + β1
⎤
⎡1 − e − t τ 1
1 − e−t τ 1
+ β2 ⎢
− e−t τ 1 ⎥
t τ1
⎦
⎣ t τ1
(10)
mit den Nebenbedingungen β 0 > 0 , β 0 + β1 > 0 und τ 1 > 0
Neben der flexiblen Struktur des Kurvenverlaufs ist vor allem die ökonomische
Interpretierbarkeit der Schätzparameter von Vorteil:21
•
Der Parameter β 0 entspricht dem langfristigen Zinssatz, da gilt: lim st = β 0 .
•
Die Parameterkombination β 0 + β 1 entspricht dem Startpunkt der Zero Yield Curve,
t →∞
da gilt: lim s t = β 0 + β 1 . Der Parameter β 1 reflektiert somit den Unterschied
t →0
•
zwischen lang- und kurzfristigem Renditeniveau.
Die Parameter β 2 und τ 1 gestatten eine flexible Modellierung eines Buckels (Hump),
wobei der Betrag von β 2 die absolute Höhe und das Vorzeichen von β 2 die Richtung
(U- oder umgekehrt U-förmig) des Buckels angeben. Die Position des Buckels wird
durch den Parameter τ 1 bestimmt.
Ein Kurvenflattern am langen Ende wird durch das Konvergieren der Zinssätze im langen
Bereich auf einen langfristigen Zinssatz β 0 verhindert. Die positive Bedingung der
Parameter β 0 , β 0 + β1 und τ 1 ist notwendig, um negative Spot Yields bzw. Implied Forward
Yields zu verhindern. Um mehr Flexibilität in der Schätzfunktion zu erhalten und einen
zusätzlichen Buckel modellieren zu können, wurde von Svensson ein erweitertes NelsonSiegel-Modell entwickelt. 22 Dazu wurde das Nelson-Siegel-Originalmodell um einen
zusätzlichen dritten Term mit zwei zusätzlichen Schätzparametern erweitert. Die dadurch
erreichte höhere Flexibilität ist erforderlich, wenn die Renditestrukturkurve im Bereich von
kurzen Laufzeiten komplexe Verläufe aufweist. Das Svensson-Modell stellt sich formal wie
folgt dar:
Svensson: sˆt ( β ) = β 0 + β1
20
21
22
⎡1 − e − t τ 1
⎡1 − e − t τ 2
⎤
1 − e−t τ 1
−t τ 1 ⎤
+ β2 ⎢
− e ⎥ + β3 ⎢
− e−t τ 2 ⎥
t τ1
⎣ t τ1
⎦
⎣ t τ2
⎦
(11)
Vgl. Nelson/Siegel, Journal of Business, Vol. 60, 1987 S. 475. Der Parametervektor β umfasst die zu
ermittelnden Parameter β0, β1, β2 und τ1.
Vgl. Bank for International Settlements, BIS Papers No. 25, 2005, S. 6.
Vgl. Svensson, National Bureau of Economic Research, Working Paper 4871, 1994.
Zimmerer / Hertlein: Gibt es teuere und billige Bonds?
Seite 12
mit den Nebenbedingungen β 0 > 0 , β 0 + β1 > 0 , τ 1 > 0 und τ 2 > 0
Das Svensson-Modell verfügt über die gleichen Grenzwerteigenschaften der Parameter β 0 bis
β 2 wie die Nelson-Siegel-Originalfunktion. Die beiden zusätzlichen Parameter β 3 und τ 2
sorgen für die Modellierung eines zweiten Buckels, wobei die Charakteristika von β 3 und τ 2
denen von β 2 und τ 1 wie im Nelson-Siegel-Originalmodell entsprechen. Durch die
zusätzlichen Schätzparameter soll das Svensson-Modell insbesondere in Zeiten hoher
Zinsvolatilitäten komplexere Verläufe im kurzfristigen, speziell im unterjährigen
Restlaufzeitenbereich ermöglichen.23 Der unterjährige Laufzeitbereich ist besonders für
Notenbanken interessant, um Implikationen für die Geldpolitik zu erhalten. Da das Universum
von gängigen Staatsanleihenindices i.d.R. keine Anleihen mit einer Laufzeit von weniger als
einem Jahr Restlaufzeit enthält, ist diese Flexibilität in der Schätzfunktion im
Portfoliomanagement nicht zwingend notwendig. Die Entscheidung, ob man mit einem „OneHump“-Nelson-Siegel-Originalmodell oder einem „Two-Hump“-Svensson-Modell operiert,
ist daher auch anwendungsgetrieben. Deshalb wird nachfolgend eine Variante vorgestellt, die
sich als Kompromiss zwischen Nelson-Siegel-Original- und Svensson-Modell in der Praxis
im Portfoliomanagement für Analysezwecke, die nachfolgend noch demonstriert werden, als
äußerst geeignet erwiesen hat. Das Modell wird fortan als modifiziertes Nelson-Siegel-Modell
oder Nelson-Siegel-Modified bezeichnet und lässt sich formal schreiben als:
Nelson-Siegel-Modified: sˆt ( β ) = β 0 + β1e − t β 4 + β 2 t β 4 e − t β 4 + β 3
1 − e−t β 4
t β4
(12)
mit den Nebenbedingungen β 0 > 0 und β 0 + β1 > 0
Tendenziell weist diese Schätzfunktion mit ihren fünf Parametern einen etwas besseren Fit als
die Nelson-Siegel Originalfunktion auf und verfügt zusätzlich über eine höhere Robustheit als
das Svensson-Modell. Abb. 1 stellt in der linken unteren Graphik die drei Nelson-SiegelVarianten komparativ gegenüber. Dabei fällt auf, dass Nelson-Siegel-Original und NelsonSiegel-Modified annähernd deckungsgleich und die nach dem Svensson-Verfahren geschätzte
Kurve etwas steiler verläuft.
Die optische Auswertung der sieben Schätzmodelle gestaltet sich bis auf die beiden PolynomModelle schwierig. Deshalb werden in der nachfolgenden Tab. 2 die statistischen Fehlermaße
dargestellt:
ME
MSE
RMSE
0,0472
1,0373
1,0185
0,7508
4,6010
2,1450
0,0022
1,0069
1,0034
0,0115
1,0067
1,0033
NelsonSiegel
Original
0,0519
1,0215
1,0107
Renditebasiert ME
Renditebasiert MSE
Renditebasiert RMSE
0,0078
0,0280
0,1672
0,1235
0,1245
0,3528
0,0004
0,0271
0,1647
0,0019
0,0271
0,1647
0,0085
0,0275
0,1659
Fehlermaße
Priesbasiert
Priesbasiert
Priesbasiert
Polynom Polynom VasicekGrad 3
Grad 4
Fong 4
VasicekFong 6
0,2596
1,1566
1,0755
NelsonSiegelModified
0,0071
1,0036
1,0018
0,0414
0,0294
0,1716
0,0012
0,0271
0,1645
Svensson
Tab. 2: Statistische Fehlermaße für unterschiedliche Schätzverfahren
23
Vgl. Schich, Diskussionspapier 8/96, Volkswirtschaftliche Forschungsgruppe der Deutschen
Bundesbank, 1996, S. 15.
Zimmerer / Hertlein: Gibt es teuere und billige Bonds?
Seite 13
Die Tabelle reflektiert die Schätzgütemaße preis- und renditebasiert: die oberen drei Zeilen
berechnen die Fehlermaße durch Differenzbildung der tatsächlichen Marktpreise von den
geschätzten Preisen, während die unteren drei Zeilen durationsrelativiert die Fehlermaße in
Renditenotation ausdrücken. Die Schwäche des ME besteht darin, dass sich positive und
negative Schätzfehler durch Summation kompensieren können. Die Quadrierung im MSE
bzw. RMSE verhindert diesen Effekt. Inhaltlich interpretierbar ist der RMSE: er repräsentiert
die Streuung der Preis- bzw. Renditeabweichung sämtlicher Anleihen im Schätzuniversum
von der Fair-Value-Preislinie bzw. von der geschätzten Renditestrukturkurve. MSE und
RMSE fallen für das Nelson-Siegel-Modified-Modell am besten aus. Im Schnitt streuen die
Anleihen einen Preispunkt vom fairen Preisniveau bzw. rund 17 bp von der geschätzten
Renditestrukturkurve.24 Dies erscheint auf den ersten Blick hoch. Im Rahmen der
nachfolgenden Fair-Value-Analysen geht es darum, die Fehlbewertungsdifferenzen, die im
Durchschnitt offensichtlich signifikant sind, genauer zu untersuchen. Abb. 1 zeigt in der
rechten unteren Graphik die jeweils besten („Best of Three“) aus den drei analysierten
Verfahren der Polynom-, Vasicek-Fong- und Nelson-Siegel-Modelle.25
Die folgenden Fair-Value-Analysen auf Basis des Nelson-Siegel-Modified-Modells
beschäftigen sich mit der Frage, ob Fehlbewertungen statistisch erklärbar sind und ob diese
Fehlbewertungen sich im Zeitablauf abbauen.
V. Fair-Value-Analyse
V.1. Querschnittanalyse
Die Gütemaße aus Tab. 2 deuten bereits darauf hin, dass der tatsächliche Marktpreis einer
Anleihe im Durchschnitt mehr oder weniger stark von seinem auf Basis der geschätzten
Renditestrukturkurve ermittelten fairen Preis abweichen kann. Nachfolgende Abbildung zeigt
die Differenzen zwischen tatsächlichen und geschätzten Marktpreisen in Abhängigkeit von
der Restlaufzeit für sämtliche Anleihen im Schätzuniversum, wobei zusätzlich das
Ländermerkmal durch Verwendung unterschiedlicher Symbole pro Land zusätzliche
Informationen liefert. Man erkennt, dass zum einen die Fehlbewertungen heteroskedastisch
mit zunehmender Laufzeit ansteigen und dass es tendenziell teure und billige Länder gibt.
Teure Länder sind Nationen mit Benchmarkstatus wie Deutschland und Frankreich, billige
Länder im Universum sind die Nationen Portugal, Italien und Griechenland.
24
25
Die preisbasierten Fehlermaße werden aus der Differenz zwischen tatsächlichen und geschätzten
Preisen abgeleitet. Ein Preispunkt entspricht demnach bei einer auf einen Nominalwert von 100 Euro
normierten Anleihe einer mittleren Schwankungsbandbreite von 1 Euro oder 100 Basispunkten (bp)
ausgedrückt in Preiseinheiten. Bei einer volumensgewichteten Effective Duration des Universums von
6,08 Jahren resultiert eine renditebasierte mittlere Streuung von 100bp / 6,08 = 16,45 bp oder gemessen
in Preispunkten 0,1645. Zum Zusammenhang zwischen preis- und renditebasierten Fehlermaßen siehe
Fn. 13.
Obwohl das Nelson-Siegel-Modified-Modell bei der Stichtagsschätzung die besten Gütemaße erzielte,
ist ein allgemeiner Rückschluss auf die Validität eines Modells bei lediglich einer vergleichenden
Stichtagsbetrachtung für einen Bondmarkt wenig zielführend. Die Studie wurde daher für sämtliche
Renditestrukturkurvenmodelle für den US-amerikanischen, japanischen und britischen
Staatsanleihenmarkt über eine Historie von 100 Handelstagen ausgeweitet. Hierbei zeigten sich
insbesondere die Nelson-Siegel Verfahren als äußerst robust und wiesen im Quer- und Längsschnitt die
besten Gütekriterien auf.
Zimmerer / Hertlein: Gibt es teuere und billige Bonds?
Seite 14
3
Fair Value Spread in Preispunkten
2
ATS
BEF
DEM
1
ESP
FIM
0
FRF
GRD
-1
IEP
ITL
-2
NLG
PTE
-3
-4
0
5
10
15
20
25
30
Restlaufzeit in Jahren
Abb. 2: Fehlbewertungsdifferenzen von Euroland Staatsanleihen
Die mit zunehmender Laufzeit signifikant steigenden Preisabweichungen pro Land sind
Reflex des länderspezifischen Renditespreads gegenüber der Euroland Renditestrukturkurve:
da Renditespreads über die Modified Duration in Price Spreads umgerechnet werden können,
nehmen mit zunehmender Restlaufzeit und damit auch zunehmender Modified Duration die
Preisabweichungen zu, was sich in der trichterförmigen, sich öffnenden Punktewolke in Abb.
2 zeigt. Abb. 2 belegt aber auch, dass die Preisabweichungen pro Land laufzeitspezifisch
nicht streng monoton zu- bzw. abnehmen, sondern die Monotonie in kurzen
Laufzeitsegmenten unterbrochen oder gar umgekehrt verläuft. Die Frage die zu klären ist, ist
die, ob derartige Abweichungen von der grundsätzlichen Länder-Laufzeitsystematik
kurzfristig auftreten und ob man diese als Picking Potenzial in Relative Value Trades
abschöpfen könnte.
Eine weitere Ursache für Fair Value Spreads könnte steuerlich motiviert sein. Low Coupon
Bonds, d.h. Unter-Pari-Anleihen mit einem niedrigen, unter dem Marktzins liegendem Kupon
gelten als teuer, da diese Anleihen für steuerpflichtige Investoren attraktiv sind: der steuerbare
Kuponanteil ist gering, während der bis Endfälligkeit eintretende Kursgewinn (Pull-to-ParEffekt) steuerfrei ist, sofern die Anleihe länger als 12 Monate gehalten wird. Eine graphische
Analyse des Kupon-Effekts in Anlehnung an Abb. 2 konnte den steuerlichen Kuponeffekt in
seiner Tendenz über sämtliche Länder und Laufzeiten nicht bestätigen.26 Echtes Picking
Potenzial scheint bei länderübergreifenden Trades gegeben. Interessant ist daher die Frage,
wie lange derartige Spread-Opportunitäten im Markt bestehen bleiben. Antworten darauf gibt
die nachfolgende Längsschnittanalyse.
26
Ein statistischer Ansatz zur Erklärung der Fehlbewertungsdifferenzen auf Basis einer
Querschnittsregression gegen das Länder-Laufzeitmerkmal und die Kuponhöhe findet sich bei
Walther/Zimmerer, a.a.O., (Fn. 14).
Zimmerer / Hertlein: Gibt es teuere und billige Bonds?
Seite 15
V.2. Längsschnittanalyse
Inwieweit die Fehlbewertungsbeiträge lediglich temporär auftreten und „mean reverting“
sind, soll im Weiteren geprüft werden. Dazu erfolgte eine Längsschnittanalyse über
einhundert
Handelstage
für
deutsche
und
italienische
Staatsanleihen
im
27
Restlaufzeitenspektrum bis zehn Jahre. Die Fehlbewertungsanalyse über die Zeit erfolgt
mittels Z-Score und Box Plot, wobei der Z-Score als numerischer und der Box Plot als
graphischer Fehlbewertungsindikator zu verstehen ist. Beide Messverfahren basieren auf einer
hunderttägigen Schätzhistorie und setzen die Fehlbewertung einer Anleihe am aktuellen Rand
in Relation zu den Fehlbewertungen ihrer Historie.28
Der Z-Score Z basiert auf der Normalverteilungsannahme der Fehlbewertungsdifferenzen
(Fair Value Spread) und misst als statistische Kennzahl die Distanz in
Standardabweichungsvielfachen zwischen aktuellem Datenpunkt (aktueller Fair Value
Spread) und dem Erwartungswert (arithmetisches Mittel sämtlicher Fair Value Spreads).
Formalisiert kann dies wie folgt dargestellt werden:
Z=
(P
i
)
− Pˆi − µ s
σs
(13)
Dabei drückt µ s den Mittelwert und σ s die Standardabweichung der historischen Fair Value
Spreads aus. Legt man symmetrische Intervalle um den Mittelwert einer normalverteilten
Zufallsvariablen und drückt man die Intervallbreite in Vielfachen der Standardabweichung,
d.h. in Z-Scores aus, dann liefert der in die Standardnormalverteilungsfunktion eingesetzte ZWert die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Zufallsvariable innerhalb der vorgegebenen
Standardabweichungsbandbreite streut. In der Praxis spricht man dann von den sog. SigmaEvents, die die Ein-, Zwei- bzw. Drei-Standardabweichungsvielfachen der Mittelwertabweichung
repräsentieren.
Die
dazu
korrespondierenden
Werte
aus
der
Standardnormalverteilung sind 68,27%, 95,45% bzw. 99,73%. Je größer der Z-Wert, umso
größer damit die Wahrscheinlichkeit, dass die Spreads innerhalb dem Z-vielfachen der
Standardabweichung um den Mittelwert streuen. Umgekehrt heißt es, dass die
Wahrscheinlichkeit dafür, dass der aktuelle Spread außerhalb dieses Bereiches liegt, mit
zunehmendem Z kleiner wird.
27
28
Die Begrenzung auf dieses Sub-Universum erfolgt zum Zwecke der abgekürzten Darstellung der
Längsschnittanalyse für ein typisch teures und billiges Land. Die Analyse wurde in der Studie für
sämtliche Anleihen im Universum durchgeführt. Die Verkürzung des Restlaufzeitspektrums auf ein bis
zehn Jahre hat dagegen einen ökonomischen Hintergrund. Die Anleihen jenseits von zehn Jahren
erweisen sich für Relative-Value-Trades als weniger geeignet, da das Picking Potenzial, das für diese
Anleihen sicherlich gegeben ist, relativ zum eingegangenen zusätzlichen Zinsänderungsrisiko dieser
Anleihen in keinem vernünftigen Verhältnis steht, wenn es an einem durationsneutralen
Gegenkandidaten fehlt. M.a.W. ist die zinsrisikoadjustierte Extrarendite auf Basis einer langen
Eurolandanleihe nicht ausreichend, um am langen Ende der Renditestrukturkurve Bondpicking zu
betreiben. Generell sollte darauf geachtet werden, dass ein Relative Value Trade möglichst
durationsneutral etabliert wird.
Die Schätzhistorie umfasste einhundert Handelstage im Zeitraum 10.02. bis 06.07.2006. Der aktuelle
Rand der Längsschnittanalyse ist die Schätzung zum 07.07.2006, die bereits als Grundlage für den
Vergleich der Schätzverfahren aus Abschnitt IV. diente.
Zimmerer / Hertlein: Gibt es teuere und billige Bonds?
Seite 16
Für die konkrete Anwendung bedeutet das wiederum, dass Anleihen mit einem hohen
absoluten Z-Wert aktuell relativ zur Historie billig oder teuer sind, wobei das Vorzeichen des
Z-Scores für eine Überbewertung (positiv) bzw. Unterbewertung (negativ) steht. Ein Z-Score
mit Betrag größer zwei deutet demnach mit ca. 95% Konfidenz auf einen Ausreißer hin und
kann somit als Trading-Kandidat gelten. Dabei steht es dem Anwender frei, ab welcher
absoluten Höhe des Z-Wertes sich Bonds als Trading-Kandidaten qualifizieren. Alternativ zur
Konfidenzwahrscheinlichkeit dafür, dass die Spreads innerhalb einer vorgegebenen
Standardabweichungsbandbreite streuen, kann als Gegenwahrscheinlichkeit dazu auch eine
„Outlier“-Wahrscheinlichkeit berechnet werden. Der damit synonyme p-Value gibt an, mit
welcher (Irrtums-)wahrscheinlichkeit der aktuelle Spread außerhalb der Z-Bandbreite um den
Mittelwert liegen kann. Z-Scores von 2 korrespondieren somit mit einem p-Value von 5%.
Die nachfolgende Tabelle veranschaulicht die Ergebnisse für die analysierten deutschen und
italienischen Bonds.
Lokale ID
Land
Fälligkeit
Kupon
Z-Score
p-Value
Lokale ID
Land
Fälligkeit
Kupon
Z-Score
p-Value
W114140
W113711
W113712
W113505
W114141
W114142
W113507
W113509
W114113
W113510
W114144
W113511
W113512
W114145
W113513
W114146
W113515
W114147
W113516
W113518
W113519
W113520
W113521
W113523
W113524
W113525
W113526
W113528
W113529
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
16.08.2003
13.09.2003
13.12.2003
03.01.2004
14.02.2004
10.04.2004
03.07.2004
03.07.2004
09.10.2004
03.01.2005
16.04.2005
03.07.2005
03.07.2005
08.10.2005
03.01.2006
08.04.2006
03.07.2006
07.10.2006
03.01.2007
03.07.2007
03.01.2008
03.07.2008
03.01.2009
03.07.2009
03.01.2010
03.07.2010
03.01.2011
03.07.2011
03.01.2012
4,50
2,25
2,75
5,25
4,25
3,00
4,13
4,75
3,50
3,75
3,25
4,00
4,50
3,50
5,38
3,25
5,25
2,50
5,25
5,00
5,00
5,00
4,50
3,75
4,25
4,25
3,75
3,25
3,50
-1,47
-1,51
-0,68
-1,44
-1,03
-0,90
-0,01
0,73
-0,58
1,90
0,49
1,00
1,62
1,46
1,71
-0,72
-0,73
0,79
-0,86
1,01
-0,58
-0,22
-0,87
-0,98
-0,40
-0,52
-1,21
0,78
0,32
14%
13%
50%
15%
30%
37%
99%
46%
56%
6%
62%
32%
11%
14%
9%
47%
47%
43%
39%
31%
56%
83%
38%
33%
69%
60%
23%
44%
75%
IT327101
IT117000
IT341389
IT380485
IT122430
IT387770
IT353209
IT400812
IT365207
IT127336
IT133861
IT379959
IT387292
IT144861
IT308040
IT319091
IT335798
IT347233
IT361838
IT371991
IT384453
IT
IT
IT
IT
IT
IT
IT
IT
IT
IT
IT
IT
IT
IT
IT
IT
IT
IT
IT
IT
IT
14.10.2003
31.10.2003
14.01.2004
31.01.2004
30.04.2004
14.06.2004
14.09.2004
31.01.2005
14.04.2005
30.04.2005
31.10.2005
14.01.2006
14.06.2006
31.10.2006
31.07.2007
31.01.2008
31.01.2009
31.07.2009
31.07.2010
31.01.2011
31.07.2011
5,00
6,00
3,50
2,75
5,00
2,50
3,50
3,00
3,00
4,50
4,25
3,00
2,75
5,50
5,25
5,00
4,75
4,25
4,25
4,25
3,75
-1,87
-1,24
-0,01
-1,43
-0,86
-0,08
2,64
0,49
0,53
-0,10
0,50
0,37
-0,84
-0,41
1,84
1,06
-1,05
-1,75
-0,94
0,96
0,58
6%
21%
99%
15%
39%
94%
1%
62%
60%
92%
61%
71%
40%
68%
7%
29%
30%
8%
35%
34%
56%
Tab. 3: Z-Scores und p-Values für deutsche und italienische Staatsanleihen
Auffallend ist, dass lediglich eine italienische Anleihe mit mehr als 95% Konfidenz eine
signifikante Fehlbewertung aufweist. Zudem sind deutsche Anleihen nicht durchwegs teuer
bzw. italienische durchwegs billig. Zu beachten ist, dass hier keine länderspezifischen
Fehlbewertungskennziffern ausgewiesen werden, sondern bondspezifisch die aktuelle
Fehlbewertung in Relation zu deren Normalverteilung gesetzt wird, wobei die
Normalverteilung selbst durch die Stichprobenschätzer Mittelwert und Standardabweichung
beschrieben wird. Offensichtlich scheint die Durchführung eines Relative Value Trades
mangels ausreichend signifikanter Fehlbewertungen äußerst schwierig. Zudem muss nicht
gewährleistet sein, dass die Fehlbewertungen tatsächlich normalverteilt sind. Ein genaueres
Bild über den historischen Fehlbewertungsverlauf auf Einzeltitelebene ohne
Normalverteilungsannahme liefert der grafische Fehlbewertungsindikator Box Plot. Der Box
Plot ist eine histogrammähnliche Methode zur gleichzeitigen Darstellung der aktuellen
Fehlbewertung relativ zu folgenden Lagemaßen:
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1. Upper Outlier [75 %-Quartil Q3 zuzüglich der 1,5-fachen Differenz der InterquartilRange (Q3-Q1)]
2. Maximaler Fair Value Spread
3. 75 %-Quartil Q3 (25 % der Spreads sind größer)
4. Median Q2 (Die Hälfte der Fair Value Spreads liegt ober- bzw. unterhalb)
5. 25 %-Quartil Q1 (25 % der Spreads sind kleiner)
6. Minimaler Fair Value Spread
7. Lower Outlier [25 %-Quartil Q1 abzüglich der 1,5-fachen Differenz der InterquartilRange (Q3-Q1)]
Folgende Abbildung visualisiert die acht statistischen Lagemaße für einen fiktiven Bond:
70
Aktueller Spread
15
Upper Outlier
Maximum
75%-Quartil
Median
25%-Quartil
Minimum
Lower Outlier
55
40
25
8
5
0
-25
Interquartil-Range
20
60
Fair Value Spread in bp
50
40
30
20
10
0
Aktueller Spread
Upper Outlier
Maximum
Median
Minimum
Low er Outlier
0,25
-10
-20
-30
Abb. 3: Exemplarische Darstellung eines Box Plots für einen fiktiven Bond
Aus dem Box Plot des fiktiven Bonds lassen sich diverse Charakteristika erkennen. Es handelt
sich hierbei um einen typischen „Haltekandidaten“, da sein aktueller Spread mitten in der
Interquartil-Range liegt und historisch gesehen weder teuer noch billig ist. Aus der nicht
zentrierten Lage des Medians innerhalb der Interquartil-Range lässt sich eine schiefe
Verteilung der Fair-Value-Spreads ableiten, da die Mehrheit der 50%-Fälle größer als der
Median sind. Überdies signalisiert die hohe Interquartil-Range von 20 Basispunkten (bp)
relativ weit bewertete Spreads. Die nachfolgenden Abbildungen zeigen die Box Plots für die
deutschen und italienischen Anleihen sortiert nach aufsteigender Restlaufzeit. Der
Analysevorgang und die Wahl des Betrachtungszeitraums erfolgte analog zu den Z-Scores,
daher sollten die signifikant fehlbewerteten Bonds auch bei den Box Plots auffallen.
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15
Fair Value Spreads in bp
10
5
0
-5
Aktueller Spread
Upper Outlier
Maximum
Median
Minimum
Lower Outlier
-10
W113529
W113528
W113526
W113525
W113524
W113523
W113520
IT347233
W113521
W113519
W113518
IT335798
W113516
W114147
W113515
W114146
W113513
W114145
W113512
W113511
W114144
W113510
W114113
W113509
W113507
W114142
W114141
W113505
W113712
W113711
W114140
-15
Deutsche Staatsanleihen
15
Fair Value Spreads in bp
10
5
0
-5
Aktueller Spread
Upper Outlier
Maximum
-10
Median
Minimum
Lower Outlier
IT384453
IT371991
IT361838
IT319091
IT308040
IT144861
IT387292
IT379959
IT133861
IT127336
IT365207
IT400812
IT353209
IT387770
IT122430
IT380485
IT341389
IT117000
IT327101
-15
Italienische Staatsanleihen
Abb. 4 Box Plots für deutsche und italienische Staatsanleihen
Aus den beiden Abbildungen sind keine laufzeitspezifischen Preisvolatilitäten dahin
erkennbar,
dass
im
analysierten
Zeitfenster
lange
Laufzeiten
größere
Preisschwankungsbandbreiten aufgewiesen hätten als kurze Laufzeiten. Die Lage der Boxes
um den Median weist auf teilweise schiefe Spread-Verteilungen hin. Die Interquartil-Range
ist auffallend gering und bewegt sich in der Bandbreite weniger Basispunkte. Die Beurteilung
der Schiefe der Preisverteilung bei derart engen Box Plots ist allerdings wenig sinnvoll, da
eine minimale Verschiebung des Medians um ein oder zwei Basispunkte bereits darüber
entscheidet, ob die Verteilung symmetrisch oder schief ist. Zusätzlich zur engen InterquartilRange fällt auf, dass auch die Spannweite zwischen minimalem und maximalem Fair Value
Spread unwesentlich größer als 10 bp ist.
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Relative-Value-Trades verfolgen das Ziel (temporäre) Marktineffizienzen auszunutzen und
durch Rich-Cheap-Trading basierend auf der titelspezifischen Fehlbewertung einen „YieldPick-Up“ zu generieren. Auf Grund der minimalen Fehlbewertungen im Basispunktebereich
müssen die Transaktionskosten berücksichtigt werden, um durch den Relative Value Trade
einen echten positiven Netto-Mehrertrag für das Bondportfolio zu erwirtschaften. Im
Rentenbereich manifestieren sich die Kosten für den Kauf bzw. Verkauf einer Anleihe im
Wesentlichen in volumensabhängigen Depotbankgebühren und in der halben Geld-BriefSpanne.29
Durchschnittliche Transaktionskosten
europäischer Staatsanleihen
Transaktionsabhängige
1,4 bp
Depotbankgebühren
Geld-Brief-Spanne
Tab. 4:
2 bp
Durchschnittliche Transaktionskosten europäischer Staatsanleihen
Die Transaktionskostenanalyse ermittelt somit Kosten in Höhe von 3,4 bp pro zweiseitigem
Trade, d.h. Verkauf einer Anleihe und gleichzeitigem Kauf einer anderen oder umgekehrt.
Der bereits festgestellte enge Fehlbewertungskorridor mit einer durchschnittlichen
Interquartil-Range von 2-4 bp, ermöglicht somit keinen sinnvollen Fair-Value-Trade, da die
minimalen Fehlbewertungen durch die Tranksaktionskosten fast vollständig kompensiert
werden. Innerhalb des betrachteten Zeitraums erweisen sich Relativ Value Trading-Strategien
im liquiden Euroland-Staatsanleihenmarkt für Bonds mit einer max. Restlaufzeit von 10
Jahren nach Kosten als unrentabel. Von Bond Picking Potenzial kann nach Kosten somit
keine Rede sein.
29
Vgl. Johanning/Kleeberg/Schlenger, in: Dichtl,/Kleeberg/Schlenger (Hrsg.): Handbuch Asset
Allocation – Innovative Konzepte zur systematischen Portfolioplanung, 2003, S. 463.
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VI. Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag unterzog gängige Zinsstrukturkurvenmodelle einem theoretischen
und praktischen Vergleich. Bei der empirischen Analyse zeigte sich, dass generell sparsam
parametrisierte Verfahren zu präferieren sind. Insbesondere die Nelson-Siegel-Modelle
erwiesen sich für die Ableitung aussagekräftiger Zero Yield Curves als äußerst geeignet, da
sie zum einen über ausreichend Flexibilität verfügen, um realistische Kurvenverläufe
nachzubilden, zum anderen aber auch robust genug sind, um nicht der OverfittingProblematik zu verfallen. Aus diesem Grund werden Nelson-Siegel-Original- oder daraus
abgeleitete Modelle, darunter das Svensson-Modell in der Praxis des Portfoliomanagements
oder auf Seiten der Nationalbanken für vielfältige Analysezwecke eingesetzt. Eine spezielle
Anwendung liegt in der fairen Bewertung von Kuponanleihen mit Identifikation und Analyse
titelspezifischer
Fehlbewertungen.
Die
Fair-Value-Analysen
im
Querund
Längsschnittvergleich zeigten, dass auftretende Preisabweichungen einer EurolandStaatsanleihe zum einen hauptsächlich durch das Länder-Laufzeitmerkmal erklärbar sind und
dass diese Fair Value Spreads im Zeitablauf zum anderen relativ stabil sind. Insofern stellt die
titelspezifische Fehlbewertung nichts anderes als den in ein Preisargument transformierten
länderspezifischen Renditespread einzelner Länder gegenüber dem Eurolandrenditeniveau
dar. Die messbaren Preisvolatilitäten im Zeitablauf in Höhe der Transaktionskosten belegen,
dass der Euroland Government Bondmarkt effizient gepreist ist. Die mit zunehmender
Laufzeit steigenden Preisabweichungen von Nationen, die mit einem Renditeauf- oder –
abschlag gegenüber dem Eurolandzinsniveau gehandelt werden, sind ökonomisch erklärbar
und stellen nichts anderes als den barwertigen, in Preise übersetzten Renditevor- bzw. –
nachteil gegenüber dem Eurolandreferenzniveau dar. Die „Billigkeit“ oder „Teuerheit“ ist
somit keine Fehlbewertungsopportunität, die man im Sinne einer Relative Value TradingStrategie abschöpfen könnte. Der Großteil der feststellbaren Preisabweichung ist nicht etwa
kurzfristiger Natur, sondern baut sich pro rata temporis bis zur Endfälligkeit sukzessive ab.
Der verbleibende kleine Teil der Fehlbewertungen bewegt sich in Höhe der
Transaktionskosten, so dass netto im Staatsanleihensektor kein Bondpicking Potenzial
gegeben ist, wenn man im passiven Management das Länder-Laufzeitprofil eines Portfolios
nicht verändern will. Im aktiven Bondmanagement dominieren dagegen Durationswetten,
Zinsstrukturpositionierungen oder Länderüber- bzw. –untergewichtungen und lassen dann
kaum mehr Freiraum für eine titelspezifische Bondkomponente. Die Maximierung der RichCheap-Zusatzbeiträge eines Bondportfolios selbst unter Beachtung gelockerter Durations- und
Faktorsensitivitäten gegenüber Shift-, Twist- und Butterfly-Bewegungen der
Renditestrukturkurve sowie erlaubter Länderwetten durch Kauf von ausschließlich billigen
Bonds erscheint deshalb illusionär, da die (gelockerten) Nebenbedingungen dies begrenzen.
Billige Bonds sind nämlich nur dort verfügbar, wo der Optimierer nur bedingt oder gar nicht
hin darf.
Zimmerer / Hertlein: Gibt es teuere und billige Bonds?
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