Staatshaftung für Asbestschäden Zur Entscheidung des
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Staatshaftung für Asbestschäden Zur Entscheidung des
Staatshaftung für Asbestschäden Zur Entscheidung des Distriktgerichts Tokyo vom 5. Dezember 2012 Moritz Bälz / Hiroki Kawamura ∗ I. II. Einleitung Asbestverbrauch, Asbestschäden und Asbestkompensation in Japan 1. Von der Wunderfaser zum Gefahrstoff 2. Der „Kubota-Schock“ von 2005: Wendepunkt im Umgang mit Asbest in Japan 3. Arbeitsschutzmaßnahmen vor 2006 4. Drei Wege der Entschädigung für Asbestopfer und Asbesthilfegesetz 5. Massenprozesse: Sennan-Prozesse und jüngste Prozesse in der Bauindustrie III. Das Urteil des DG Tokyo vom 5.12.2012 1. Streitentscheidende Vorschriften 2. Zusammenfassung des Sachverhalts 3. Die Argumentation der Kläger 4. Zusammenfassung der Entscheidung des Gerichts IV. Anmerkungen 1. Klagen wegen Asbestschäden 2. Zur Haftung des Staates gemäß Art. 1 SHG 3. Zur Haftung der beklagten Unternehmen gemäß Art. 719 ZG I. EINLEITUNG Weltweit hat der massive Einsatz der vermeintlichen Wunderfaser Asbest in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer der größten Industriekatastrophen überhaupt geführt. In Japan beschäftigen das Leiden der zahlreichen Opfer und die komplexe Problemlage nicht nur zunehmend die Öffentlichkeit, sondern in den letzten Jahren vermehrt auch die Gerichte in Form von Schadenersatzklagen.1 Der folgende Beitrag gibt einen Einblick in die Thematik anhand einer Entscheidung des Distriktgerichts Tokyo aus dem Jahre 2012. Mit der aufsehenerregenden Entscheidung hat das Gericht den japanischen Staat zum Schadenersatz verurteilt, da die zustän∗ 1 Professor bzw. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Japanisches Recht und seine kulturellen Grundlagen, Goethe-Universität Frankfurt am Main. Die Autoren danken Herrn Sebastian Schwarz, B. A., für tatkräftige Unterstützung. Für die Entwicklung bis 2005 siehe die Aufstellung bei K. MATSUMOTO, Asbestos Litigation in Japan: Recent Trends and Related Issues, in: Miyamoto / Morinaga / Mori (eds.) Asbestos Disaster: Lessons from Japan’s Experience (Tokyo et al. 2011) 282. 118 MORITZ BÄLZ / HIROKI KAWAMURA ZJAPANR / J.JAPAN.L digen staatlichen Stellen, konkret das Arbeitsministerium, von ihrer Kompetenz zur Statuierung von Schutzpflichten rechtswidrig unzureichenden Gebrauch gemacht hätten. Demgegenüber entgingen eine Reihe ebenfalls verklagter Unternehmen, die asbesthaltige Baumaterialien hergestellt bzw. vertrieben hatten, einer Haftung, da weder die Kausalität der schuldhaften Warnpflichtverletzung für die konkreten Schäden noch die Voraussetzungen für eine gemeinschaftliche unerlaubte Handlung bewiesen werden konnten. Der folgende Beitrag beginnt mit einigen allgemeinen Ausführungen zu den Hintergründen der jüngsten Asbestklagen (II.). Sodann wird der Inhalt der sehr umfangreichen Entscheidung des DG Tokyo skizziert (III.). Der Beitrag schließt mit einigen Anmerkungen zu den zentralen rechtlichen Fragen des Falles (IV.). II. ASBESTVERBRAUCH, ASBESTSCHÄDEN UND ASBESTKOMPENSATION IN JAPAN 1. Von der Wunderfaser zum Gefahrstoff Unter dem kommerziellen Begriff Asbest werden verschiedene in der Natur vorkommende Mineralfasern zusammengefasst, die sich durch besondere Temperaturbeständigkeit, Feuerfestigkeit, Isolierfähigkeit und eine hohe Elastizität und Widerstandsfähigkeit auszeichnen. Dank der günstigen Kombination dieser physikalischen Eigenschaften galt Asbest sowohl in Deutschland als auch in Japan lange Zeit als „Wunderfaser“. Dem entsprechend erfreute sich das Material insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg in der Industrie, aber auch im verbrauchernahen Bereich, vor allem im Gebäudebau großer Beliebtheit. Während die japanische Eigenproduktion vergleichsweise überschaubar blieb, 2 importierte Japan im Zeitraum zwischen 1930 und 2005 Schätzungen zufolge knapp 10 Mio. Tonnen Asbest.3 Insbesondere in den 1950er und 1960er Jahren nahm der Asbestverbrauch in Japan rasant zu4 und erreichte um das Jahr 1980 mit 398.877 Tonnen seinen Höhepunkt.5 Bemerkenswert ist, dass sich der Rückgang des Asbestverbrauchs in Japan nach 1980 sehr viel langsamer vollzog als etwa in der Bundesrepublik.6 2 3 4 5 6 R. L. VIRTA, Worldwide Asbestos supply and consumption trends from 1900 through 2003: U. S. Geological Survey Circular 1298 (2006), Appendix 36 ff. [Online unter http://pubs. usgs.gov/circ/2006/1298/c1298.pdf (letzter Zugriff am 30.10.13)]. JAPAN ASBESTOS ABOLITION TECHNOLOGY & INFORMATION ASSOCIATION, Nihon ni okeru asubesuto no yu‘nyū-ryō [Statistik der japanischen Asbestimporte] (2007), online unter http://www.jati.or.jp/data/toukei_07.pdf (letzter Zugriff am 30.10.13)]. Daten zur in Japan verbrauchten Gesamtmenge fehlen für diesen Zeitraum. VIRTA (Fn. 2) 25 und 41 ff. Betrug der geschätzte Verbrauch 1950 noch 12.245 Tonnen, waren es 1960 schon 92.483 Tonnen und 1970 319.473 Tonnen. Die Vergleichsdaten für die Bundesrepublik betrugen 89.000 Tonnen (1950), 132.408 Tonnen (1960) bzw. 174.688 Tonnen (1970). VIRTA (Fn. 2) 51. Der Vergleichswert für die Bundesrepublik betrug 365.645 Tonnen. VIRTA (Fn. 2) 25 und 53 ff. Im Jahre 1985 betrug der Asbestverbrauch in Japan noch 264.327 Tonnen gegenüber 60.108 Tonnen in der Bundesrepublik. Im Jahre 1990 wurden in Nr. / No. 36 (2013) STAATSHAFTUNG FÜR ASBESTSCHÄDEN 119 Noch im Jahre 2003 wurde in Japan mit 23.437 Tonnen mehr Asbest verbraucht als im wiedervereinigten Deutschland im Jahre 1990.7 In Ländern wie den Vereinigten Staaten, Schweden oder Großbritannien war der Asbestverbrauch sogar schon in den 1970er Jahren stark zurückgegangen.8 Andererseits stieg der Asbestverbrauch in Schwellenländern wie Indien oder China sogar nach dem Jahre 2000 weiter an.9 Der für seine physikalischen Eigenschaften gepriesene Asbest wurde früh als gesundheitsschädlicher Gefahrstoff identifiziert. 10 Heute ist allgemein bekannt, dass das Einatmen von Asbestfasern zu einer Asbestlunge (sog. Asbestose), zu Lungenkrebs und zu Tumoren (sog. Mesotheliomen) führen kann. Auch in Japan wurde die Verwendung von Asbest deshalb seit 1960 zunehmend u. a. durch Arbeitsschutzmaßnahmen reglementiert. 11 Dabei wiesen die japanischen Vorschriften jedoch zahlreiche Lücken und Ausnahmen auf.12 Der Vergleich mit anderen hochindustrialisierten Ländern zeigt, dass in Japan viele Maßnahmen erst mit mehreren Jahren Verspätung oder nur in abgeschwächter Form ergriffen wurden.13 Während in Deutschland im Jahr 1995 ein generel- 7 8 9 10 11 12 13 Japan mit 292.701 Tonnen sogar erneut etwas größere Asbestmengen verbraucht gegenüber einem weiteren Rückgang im inzwischen wiedervereinigten Deutschland (15.084 Tonnen). Erst Ende der 1990er Jahre ging auch in Japan der Verbrauch stärker zurück (1999: 114.931 Tonnen; 2000: 85.440 Tonnen). VIRTA (Fn. 2) 56 und 70. VIRTA (Fn. 2) 25 und 45 ff. R. L. VITRA, World Asbestos Consumption from 2003 through 2007: U. S. Geological Survey (2009) 2 [Online unter http://minerals.usgs.gov/minerals/pubs/commodity/asbestos/mis2007-asbes.pdf]. Gewisse gesundheitsschädliche Wirkungen von Asbest wurden schon um 1900 erkannt. Zum allmählich wachsenden Wissen um asbestbedingte Krankheiten siehe die Chronologie bei J. MCCULLOCH / G. TWEEDALE, Defending the indefensible: the global asbestos industry and its fight for survival (Oxford 2008) 7 ff. KŌSEI RŌDŌ-SHŌ [Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Wohlfahrt (MHLW)], Asubesuto mondai ni kansuru Kōsei-rōdōshō no kako no taiō no kenshō [Überprüfung der bisherigen Maßnahmen bezüglich des Asbestproblems durch das Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Wohlfahrt, 2005: http://www.mhlw.go.jp/shingi/2005/08/s0830-6l.html]. K. NISHIMURA, Der Versicherungsumfang in der japanischen Unfallversicherung unter besonderer Berücksichtigung der Wegeunfälle, der schwerdefinierbaren Berufskrankheiten und der Asbestentschädigungsproblematik, in: Becker / Nishimura / Walser (Hrsg.), Perspektiven der Unfallversicherung in Japan und Deutschland (Baden Baden 2009) 35 ff. Für den Zeitraum vor 1980 in Japan vgl. auch CHŪ-HISHU JINPAI ASUBESUTO SENTĀ [Mesothelioma - Pneumoconiosis Asbestos Center] (Hrsg.), Asubesuto-ka wa naze hirogatta noka. Nihon no ishiwata sangyō no rekishi to kuni no kan‘yo [Warum Asbestschäden soweit um sich greifen konnten. Die Geschichte der japanischen Asbestindustrie und der Beitrag des Staates] (Tokyo 2009) 175 ff. Zur Entwicklung der Maßnahmen gegen Asbestbelastung in der Bundesrepublik Deutschland vgl. BERUFSGENOSSENSCHAFT DER BAUWIRTSCHAFT, Asbest. Informationen über Abbruch, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeit (Berlin 2012) 67 f. H. MORI, A Political Economy of Asbestos Disasters, in: Morinaga et al. (Fn. 1) 3. L. NOTTAGE, The ABC of Product Safety Re-Regulation in Japan: Asbestos, Buildings, Consumer Electronic Goods, and Schindler’s Lifts, Griffith Law Review Vol. 15 No. 2 (2006) 120 MORITZ BÄLZ / HIROKI KAWAMURA ZJAPANR / J.JAPAN.L les Herstellungs- und Verwendungsverbot erging, 14 folgte Japan erst über zehn Jahre später im Jahr 2006 mit einem Herstellungs-, Verwendungs- und Importverbot für Materialien mit einem Asbestanteil von über 0,1 %. Auch zu diesem Zeitpunkt wurden einige Asbestmaterialien durch Aufnahme in eine Positivliste vom Verbot zunächst ausgenommen.15 Wegen der langen Latenzzeit asbestbedingter Krankheiten – bei einem durch Asbest verursachten Tumor beträgt diese etwa 30–40 Jahre – wird die Zahl bekannter Asbestgeschädigter in Japan auch lange nach dem umfassenden Verbot weiter steigen.16 Die lange Latenzzeit verschärft zugleich die Probleme der Verjährung und des Kausalitätsnachweises.17 Gerade letzterer stellt angesichts des häufigen Zusammenwirkens mehrerer Ursachen (z. B. Asbestexposition und Tabakkonsum bei Lungenkrebs) und der Tatsache, dass Geschädigte häufig über Jahre hinweg an unterschiedlichen Orten und durch unterschiedliche asbesthaltige Produkte Asbestrisiken ausgesetzt waren, ohnehin eine hohe Hürde für die Geschädigten dar. 2. Der „Kubota-Schock“ von 2005: Wendepunkt im Umgang mit Asbest in Japan Obwohl man auch in Japan seit langem um die von Asbest ausgehenden Gesundheitsgefahren jedenfalls im Grundsatz wusste, bedurfte es eines Schockereignisses, um einen grundlegenden Politikwandel einzuleiten. Bereits in den 1930er Jahren hatte es in Japan epidemiologische Untersuchungen zur Asbestlunge bei Beschäftigten der Asbestindustrie gegeben. Als Lungenkrebsursache identifiziert wurden Asbestexpositionen zumindest in wissenschaftlichen Kreisen in den 1950er Jahren. In den 1960er Jahren wurden erste Fälle asbestbedingten Lungenkrebses als Berufserkrankung anerkannt. 1970 folgten Zeitungsberichte über asbestbedingte Lungenkrebserkrankungen mit tödlichem Ausgang 14 15 16 17 249. Vgl. aber die Sicht des DG Tokyo im vorliegenden Fall hinsichtlich der Rechtzeitigkeit des Verbots von Asbest in Japan unten III.4. Verordnung zum Schutz vor gefährlichen Stoffen i.d.F. der Bekanntmachung vom 26.10.1993, BGBl. I. 1782, Anhang IV Nr. 1, § 15 f. Ihr § 54 sah für die Herstellung Übergangsfristen bis zum 31.12.1993 sowie für die Verwendung bis zum 31.12.1994 vor. Rōdō anzen eisei-hō shikō-rei tō no ichibu o kaisei suru seirei [Verordnung zur Änderung eines Teils der Ausführungsverordnung zum Arbeitssicherheits- und -hygienegesetz (ASHG)], Kabinettsverordnung Nr. 267/2006. Vorher waren die Herstellung und Verwendung von asbesthaltigen Materialien mit einem Asbestanteil von über 1 % durch die Änderung des ASHG im Jahre 2004 verboten worden. Die Positivliste wurde im Jahre 2012 durch die Verordnung vom 25.1.2012, Kabinettsverordnung Nr. 13/2012, abgeschafft. Vgl. die Mitteilung des MHLW unter http://www.mhlw.go.jp/new-info/kobetu/roudou/sekimen/hourei/dl /hou20-350.pdf . Zur medizinischen Seite siehe K. MORINAGA / Y. SHINOHARA, Asbestos Pollution and Its Health Effects: Asbestos-Related Diseases in Japan, in: Miyamoto et al. (Fn. 1) 55 ff. Siehe MATSUMOTO (Fn. 1) 288 ff. und 293 ff. Nr. / No. 36 (2013) STAATSHAFTUNG FÜR ASBESTSCHÄDEN 121 und – damit verbunden – über die Gefährlichkeit der Asbestfaser.18 Gleichwohl blieb es bis Mitte der 2000er Jahre dabei, dass Asbesterkrankungen die Gericht eher selten beschäftigten, zumal die langen Latenzzeiten es den Betroffenen schwer machten, ihre Leiden mit einer lange zurückliegenden Asbestexposition in Verbindung zu bringen.19 Eine grundlegende Wende brachte im Jahre 2005 der sog. „Kubota-Schock“. Im Juni dieses Jahres veröffentlichte ein Hersteller asbesthaltiger Produkte, Kubota Corp., einen Bericht, nach dem eine hohe Zahl seiner Fabrikarbeiter sowie drei Anwohner aus der fabriknahen Umgebung an asbestbedingten Krankheiten litten und teilweise an deren Folgen bereits verstorben waren. Die Meldung fand ihren Weg in die Medien, rief vielen Betroffenen weit zurückliegende Asbestkontakte als mögliche Ursache ihrer Leiden ins Bewusstsein und setzte einen politischen Prozess in Gang.20 Zugleich kam es zu vermehrten Schadensersatzprozessen, darunter auch Massenklagen, bei denen wie in dem im Folgenden näher betrachteten Fall eine Vielzahl von Geschädigten als Streitgenossen Schadenersatz begehrten. 3. Arbeitsschutzmaßnahmen vor 2006 In besonderem Maße den von Asbest ausgehenden Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind die Beschäftigten der Unternehmen, welche Asbest oder asbesthaltige Stoffe in der herstellenden Industrie verarbeiten oder im Baugewerbe verbauen. Für die Begrenzung der Asbestrisiken kommt daher dem Arbeitsschutz zentrale Bedeutung zu. 21 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Japan insoweit das Arbeitsstandardgesetz aus dem Jahre 1947 (ASG)22 geschaffen und durch Kabinettsverordnungen sowie Verordnungen des Arbeitsministeriums ergänzt. Mit dem schnellen Wirtschaftswachstum ab 1955 änderte sich auch die Arbeitsumwelt, was eine höhere Arbeitsunfallgefahr mit sich brachte. Der Gesetzgeber reagierte hierauf, indem er im Jahre 1972 bestimmte, bislang in Kapitel 5 18 Vgl. CHŪ-HISHU JINPAI ASUBESUTO SENTĀ (Fn. 11) 151 ff., 164 f. Im Jahre 1987 wurde über asbestbelastete Schulgebäude berichtet, was zu einer verbreiteten gesellschaftlichen Verunsicherheit führte (sog. „Schulen-Panik“). SHŪGI-IN CHŌSA-KYOKU KANKYŌ CHŌSA-SHITSU [House of Representatives Research Bureau, Research Office on Environment] (Hrsg.), Ishiwata kanren-hō shikō jōkyō chōsa [Untersuchungsbericht über die Ausführung der Gesetze betreffend Asbest], 2008 [Online unter http://www.shugiin.go.jp/itdb_rchome.nsf/html /rchome/Shiryo/kankyo_200803_ishiwata_houkokusho.pdf/$File/kankyo_200803_ishiwata _houkokusho.pdf (Letzter Zugriff am 01.11.13)]. 19 Siehe Fn. 1. 20 K. MIYAMOTO, An Exploration of Measures Against Industrial Asbestos Accidents, in: Miyamoto et al. (Fn. 1) 19 ff. M. MORI, Process Tracing of Asbestos Politics in Japan: Focus on Fiscal Years 2005 and 2006, in: Miyamoto et al. (Fn. 1) 201 ff. Vgl. auch H. OSHIMA, Asubesuto: hirogaru higai [Asbest: Um sich greifende Schäden] (Tokyo 2011) 30 ff. 21 Allgemein zum Arbeitsschutz S. NISHITANI / H.-P. MARUTSCHKE, § 9 Arbeitsrecht, Sozialversicherung, Geschäftstätigkeit von Ausländern in Japan, in: Baum / Bälz, Handbuch Japanisches Handels- und Wirtschaftsrechts (Köln 2011) Rn. 4 ff. 22 Rōdō kijun-hō, Ges. Nr. 49/1947, zuletzt geändert durch Ges. 42/2012. 122 MORITZ BÄLZ / HIROKI KAWAMURA ZJAPANR / J.JAPAN.L des ASG geregelte Gegenstände in das neu geschaffene Arbeitssicherheits- und -hygienegesetz (ASHG) überführte und dort umfassender regelte.23 Das ASHG wird dabei als spezielleres Gesetz gegenüber dem ASG verstanden.24 Arbeitsschutzmaßnahmen speziell gegen Asbestexpositionen waren zunächst in Form einer Ministerialverordnung zum ASG durch die Arbeitssicherheitsbestimmungen von 194725 und auf der Grundlage des Staublungengesetzes von 196026 getroffen worden. Der Asbestkontakt wurde mithin als Staubexposition behandelt. Dabei definierte das Staublungengesetz freilich keine verbindlichen Grenzwerte, sondern verpflichtete Arbeitgeber und Arbeitnehmer lediglich sich um eine Reduktion der Staubimmissionen und angemessene Schutzvorkehrungen zu bemühen.27 Seit 1971 unterlag der Einsatz des nunmehr als krebserregend anerkannten Stoffes der Verordnung zur Prävention von Schäden durch bestimmte chemische Stoffe.28 Auf Grundlage des ASHG wurde die Asbestverwendung stärker kontrolliert, was jedoch, wie an den obigen Ausführungen zum Asbestverbrauch in Japan zu erkennen ist, zu keinem verminderten Einsatz des Materials führte.29 Durch Änderung dieser Bestimmungen im Jahre 1975 erfolgte die Verschärfung der Regulierungen einschließlich eines Verbots von Spritzasbest mit einem Asbestgehalt von über 5 %, von dem jedoch das Auftragen entsprechender Materialien auf Pfeiler in geschlossenen Räumen unter Verwendung einer Atemschutzmaske mit Gebläse ausgenommen war. Das Gesetz zur Vermeidung von Verunreinigungen der Luft (GVL)30 definierte erstmals 1989 Grenzwerte für den Ausstoß von Asbeststaub durch asbestherstellende Betriebe. Die allgemeine rechtliche Verpflichtung zum Tragen einer Staubschutzmaske bei Bauarbeiten mit asbesthaltigen Materialien erfolgte erst im Jahr 1995. Ebenfalls 1995 wurden zunächst Produktion, Import, Vertrieb und Verwendung von Amosit (braunem Asbest) und Krokydolith (blauem Asbest) durch Änderung der Rōdō anzen eisei-hō, Ges. Nr. 57/1972, zuletzt geändert durch Ges. Nr. 74/2011. Vgl. T. ARAKI, Rōdō-hō [Arbeitsrecht], 2. Aufl. (Tokyo 2013) 211 f. Rōdō anzen eisei kisoku, Verordnung des Arbeitsministeriums Nr. 32/1947. Jinpai-hō, Ges. Nr. 30/1960, zuletzt geändert durch Ges. Nr. 150/2004. H. MORI, Asbestos Disaster and Public Policy: From the Prewar Era through the Postwar Economic Boom, in: Miyamoto et al. (Fn. 1) 118 f. 28 Tokutei kagaku busshitsu-tō shōgai yobō kisoku (Tokka-soku), Verordnung des Arbeitsministeriums Nr. 11/1971. Diese Verordnung wurde zur Ausführung der Arbeitsschutzvorschriften erlassen, wurde dann mit Erlass des ASHG 1972 aufgrund der Integration der Arbeitsschutzvorschriften in dieses Gesetz abgeschafft und sodann erneut als Verordnung des Arbeitsministeriums Nr. 39/1972 erlassen. 29 Oben II.1. Vgl. CHŪ-HISHU JINPAI ASUBESUTO SENTĀ (Fn. 11) 179 ff. 30 Taiki osen bōshi-hō, Gesetz Nr. 97/1968, zuletzt geändert durch Ges. Nr. 60/2013. Zum japanischen Luftschutzrecht allgemein siehe T. ICHINOSE, § 31 Umweltrecht, in: Baum / Bälz (Fn. 21) Rn. 61 ff. 23 24 25 26 27 Nr. / No. 36 (2013) STAATSHAFTUNG FÜR ASBESTSCHÄDEN 123 Ausführungsverordnung zum ASHG verboten,31 bevor 2006 schließlich ein generelles Asbestverbot folgte.32 4. Drei Wege der Entschädigung für Asbestopfer und Asbesthilfegesetz Das japanische Recht bietet bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten grundsätzlich drei Möglichkeiten, eine Entschädigung zu erhalten: Ansprüche nach dem Arbeitsstandardgesetz, Ansprüche im Rahmen der Arbeitsunfallversicherung und die allgemeine zivilrechtliche Haftung.33 Das Arbeitsstandardgesetz enthält einen Abschnitt über die verschuldensunabhängige Entschädigung des Arbeitnehmers im Falle eines Arbeitsunfalls oder bestimmter Berufskrankheiten (Artt. 75–88 ASG). Durch die Entwicklung der Arbeitsunfallversicherung (rōsai hoken), die den zweiten Kompensationsansatz darstellt, hat die Entschädigung nach ASG jedoch weitgehend ihre praktische Bedeutung eingebüßt. 34 Denn einerseits ermöglicht die Arbeitsunfallversicherung heute weitergehende Leistungen, andererseits werden Leistungen der Arbeitsunfallversicherung auf die Verpflichtung zum Schadenersatz nach ASG angerechnet (Art. 84 Abs. 1 ASG).35 Da kein Regress gegen den Arbeitgeber erfolgt, ähnelt die Arbeitsunfallversicherung im Effekt einer Haftpflichtversicherung für den Arbeitgeber. 36 Die gesetzliche Arbeitsunfallversicherung, die zeitgleich mit dem ASG im Jahre 1947 durch das Arbeitsunfallversicherungsgesetz (AUG)37 eingeführt wurde, schützt zunächst alle Erwerbstätigen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen. Sofern bestimmte Voraussetzungen vorliegen, sind jedoch auch Kleinunternehmer und selbstständige Handwerker (hitori oyakata) erfasst.38 Die Kriterien für die Anerkennung asbestbedingter Berufskrankheiten sind schrittweise gelockert worden.39 Die Versicherungsbeiträge werden von der Regierung erhoben und sind von den Arbeitgebern zu entrichten.40 Anders als im deutschen Recht (§ 104 SGB VII) ent31 Änderung durch die Kabinettsverordnung Nr. 9/1995 (in Kraft getreten am 1.4.1995). 32 Siehe Fn. 15. Zu den zunächst wiederum bestehenden Ausnahmen siehe NISHIMURA (Fn. 11) 36. 33 Siehe allgemein K. YAMAMOTO / T. YOSHIMASA, Employers‘ Liability and Workers‘ Compensation: Japan, in: Oliphant/Wagner, Employers‘ Liability and Workers‘ Compensation (Berlin/Boston 2012) 333 ff. 34 Vgl. ARAKI (Fn. 24) 216 ff. sowie K. NISHIMURA, Shakai hoshō-hō nyūmon [Einführung in das Recht der sozialen Sicherung] (ergänzte Aufl. Tokyo 2010) 128 ff. 35 YAMAMOTO / YOSHIMASA (Fn. 33) Rn. 3 f. und 33. 36 YAMAMOTO / YOSHIMASA (Fn. 33) Rn. 33. 37 Rōdō saigai hoshō hoken-hō, Ges. Nr. 50/1947, zuletzt geändert durch Ges. 63/2012. Zur Funktionsweise siehe NISHITANI/MARUTSCHKE (Fn. 22) Rn. 193. 38 Art. 33 ff. AUG. 39 NISHIMURA (Fn. 11) 38 ff. 40 Art. 10 Rōdō hoken no hoken-ryō no chōshū tō ni kansuru hōritsu, Gesetz über die Beitragserhebung zur Arbeitsversicherung usw., Ges. Nr. 84/1969, zuletzt geändert durch Ges. Nr. 47/2011. 124 MORITZ BÄLZ / HIROKI KAWAMURA ZJAPANR / J.JAPAN.L faltet die Einordnung eines Schadensereignisses als Arbeitsunfall nach japanischem Recht keine Sperrwirkung für die Geltendmachung weitergehender Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die auf Ersatz des von der Arbeitsunfallversicherung nicht gedeckten Schadens gerichtet sind. Insbesondere können daher neben einem Anspruch aus der Unfallversicherung auch Schmerzensgeldansprüche bestehen. Ansprüche nach allgemeinem Zivilrecht stellen mithin die dritte Möglichkeit zur Kompensation bei Arbeitsunfallschäden dar.41 Hier kommen sowohl die vertragsrechtliche Anspruchsgrundlage des Art. 415 Zivilgesetz (ZG)42 (Schadenersatz wegen Nichterfüllung) als auch Ansprüche aus Delikt (Art. 709 ff. ZG) in Frage, die vor Gericht nebeneinander geltend gemacht werden können.43 Beide Ansprüche setzen ein Verschulden des Arbeitgebers voraus. Ein vertraglicher Schadenersatzanspruch wegen Nichterfüllung kann dabei bestehen, sofern der Arbeitgeber eine dem Arbeitnehmer gegenüber bestehende Schutzpflicht (anzen hairyo gimu) verletzt hat, wie sie zunächst von der Rechtsprechung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (shingi-soku) entwickelt wurde44 und seit 2007 auch in Art. 5 des Arbeitsvertragsgesetzes (AVG)45 kodifiziert ist.46 Wegen der für den Geschädigten günstigeren Beweislast hinsichtlich des Verschuldens und einer längeren Verjährungsfrist machen Geschädigte in Asbestprozessen zumeist vertragliche Ansprüche geltend.47 Ansprüche im Rahmen der Arbeitsunfallversicherung entstehen bei Asbestschäden, soweit die entsprechenden Beschwerden als Berufskrankheit (shokugyō-sei shippei) an- 41 Bei Berechnung der Höhe der Versicherungsleistungen werden persönliche Umstände nicht berücksichtigt. Höchstgrenze des während der Arbeitsunfähigkeit ausgezahlten Lohnersatzes sind 80 % des Durchschnittsarbeitslohns. Angesichts dieser Pauschalberechnungen sehen sich viele Geschädigte gezwungen, die durch Versicherungsleistungen nicht mögliche vollständige Kompensation ihrer Schäden über andere Ansprüche zu suchen. 42 Minpō, Gesetz Nr. 89/1896 und Nr.91/1898, zuletzt geändert durch Ges. 74/2011, dt. Übers. (Stand 2007) bei A. KAISER, Das japanische Zivilgesetzbuch in deutscher Sprache (Köln u. a. 2008). 43 Eingehend YAMAMOTO / YOSHIMASA (Fn. 33) Rn. 48 ff. 44 Der Obersten Gerichtshofs (OGH) hat diese Schutzpflicht zuerst in seinem Urteil vom 25.2.1975, Minshu 29-22, 143, anerkannt. 45 Rōdō keiyaku-hō, Gesetz Nr. 128/2007, zuletzt geändert durch Ges. Nr. 56/2012. 46 Eine Schutzpflicht besteht nicht nur innerhalb des unmittelbaren Arbeitsverhältnisses, sondern auch gegenüber den Arbeitnehmern eines Subunternehmers. Vgl. dazu ARAKI, (Fn. 24) 240 sowie T. ARAKI [u. a.], Shōsetsu rōdō keiyaku-hō [Erläuterungen zum Arbeitsvertragsgesetz] (Tokyo 2010) 81 ff. 47 Bei einer Verletzung der vertraglichen Schutzpflicht wird praktisch immer von einem Verschulden des Arbeitgebers ausgegangen. YAMAMOTO / YOSHIMASA (Fn. 33) Rn. 54. Vgl. auch T. KATŌ [u. a.], Shakai hoshō-hō [Recht der sozialen Sicherung], 3. Aufl. (Tokyo 2007) 221 f. sowie ARAKI (Fn. 24) 240. Die Verjährungsfrist beträgt für vertragliche Ansprüche zehn Jahre ab dem Zeitpunkt, zu dem der Anspruch geltend gemacht werden kann (Art. 167 Abs. 1 ZG), bei deliktischen Ansprüchen dagegen drei Jahre ab Kenntnis von Schaden und Schädiger (Art. 724 ZG). Nr. / No. 36 (2013) STAATSHAFTUNG FÜR ASBESTSCHÄDEN 125 erkannt werden, d. h. auf Asbestkontakt am Arbeitsplatz zurückführbar sind. Zwischen April 2012 und März 2013 wurden in insgesamt 1.008 Fällen asbestbedingte Berufserkrankungen anerkannt.48 Die asbestbedingt Erkrankten, deren Beschwerden durch Asbestbelastungen außerhalb des Arbeitsplatzes verursacht wurden, darunter die zahlenmäßig bedeutsamen Gruppen der Anwohner aus der Umgebung von Asbestfabriken sowie der Familienangehörigen der Arbeitnehmer, fallen jedoch aus dem Schutz der Arbeitsunfallversicherung heraus. Ferner verjähren Ansprüche auf Hinterbliebenenrente oder Einmalzahlungen innerhalb von fünf Jahren nach dem Tod des Asbestgeschädigten. Dieser Situation begegnete der Gesetzgeber in Anbetracht des „Kubota-Schock“ 2006 mit dem Gesetz über die Hilfe bei asbestbedingten Gesundheitsschäden (Asbesthilfegesetz), das 2008 und 2011 weitere Änderungen zur Effektivierung des Hinterbliebenenschutzes erfuhr.49 Das Gesetz schuf für Hinterbliebene, deren Ansprüche aus der Arbeitsunfallversicherung verjährt waren, eine Sonderrente bzw. eine Sondereinmalzahlung. 50 Auch an Geschädigte, die außerhalb des Arbeitsplatzes Asbest ausgesetzt gewesen sind, können aufgrund des Gesetzes Hilfszahlungen geleistet werden. Was die Höhe der gewährten Hilfen angeht, sieht sich das Regelwerk jedoch der Kritik ausgesetzt, dass die Hilfszahlungen erheblich hinter den Kompensationsleistungen der Arbeitsunfallversicherung zurückbleiben. 51 Auch wurde bei einer sog. Asbestlunge Entschädigung zunächst nur unter sehr strengen Voraussetzungen gewährt.52 Ferner ist das neue Gesetz auch insofern heftiger Kritik ausgesetzt, als es das Verursacherprinzip weitestgehend aufgibt. Die Zahlungen nach dem Asbesthilfegesetz werden nämlich ganz überwiegend durch eine Erhöhung der Beiträge zur Arbeitsunfallversicherung aufgebracht, d. h. durch alle Arbeitgeber, während nur die vier größten Asbesthersteller und auch diese nur in geringer Höhe einen besonderen Beitrag leisten müssen.53 48 Die Anerkennungsrate lag im Jahre 2012 bei 90,4 %. Vgl. Statistik des MHLW, http://www. mhlw.go.jp/stf/houdou/ 2r9852000003554t-att/2r9852000003556a.pdf. 49 Ishiwata ni yoru kenkō higai no kyūsai ni kansuru hō, Ges. Nr. 4/2006, zuletzt geändert durch Ges. Nr. 104/2011. Vgl. T. SUMI, Ishiwata ni yoru kenkō higai kyūsai o meguru kokkai rongi [Parlamentsdebatten über die Hilfe bei asbestbedingten Gesundheitsschäden], in: Rippō to chōsa 322 (2011) 57-64; MIYAMOTO (Fn. 20) 20 ff; NISHIMURA (Fn. 11) 41 ff. 50 NISHIMURA (Fn. 11) 43. Von April 2012 bis März 2013 wurde in insgesamt 166 Fällen Hinterbliebenen eine Sonderrente oder eine einmalige Sonderzahlung gewährt. Vgl. Statistik des MHLW in Fn. 48. 51 Vgl. OSHIMA (Fn. 20) 76. MIYAMOTO (Fn. 20) 25. Zurückhaltender NISHIMURA (Fn. 11) 41 f 52 Im Jahre 2010 wurde das Gesetz insoweit geändert. Bis März 2013 wurde in insgesamt 8.647 Fällen ein Anspruch aus dem Asbesthilfegesetz anerkannt. Unter diesen belief sich die Anzahl anerkannter Ansprüche wegen einer Asbestlunge auf lediglich 52. Statistik der ENVIRONMENTAL RESTORATION AND CONSERVATION AGENCY (ERCA), http://www.erca. go.jp/asbestos/relief/uketsuke/pdf/nintei_24.pdf. 53 N. OBATA, Inaction on Asbestos Disasters and Delayed Countermeasures, in: Miyamoto et al. (Fn. 1) 198 f. 126 MORITZ BÄLZ / HIROKI KAWAMURA ZJAPANR / J.JAPAN.L Neben den Versicherungsleistungen erhalten geschädigte Arbeitnehmer größerer Unternehmen teilweise auch betriebliche Kompensationszahlungen. Die Asbesthersteller Kubota und NICHIAS gewähren darüber hinaus auch geschädigten Anwohnern in der Umgebung ihrer Fabriken sowie deren Hinterbliebenen Hilfsgeldzahlungen (kyūsai-kin). Im Falle von Kubota ist zur angemessenen Verwaltung dieser Gelder und zur Streitbeilegung ein „Hilfsgeldverwaltungsrat“ eingerichtet worden. 54 Allerdings sieht sich das Unternehmen lediglich moralisch verpflichtet. Einen Kausalzusammenhang zwischen den Asbestemissionen seiner Fabriken und den Erkrankungen der Anwohner erkennt Kubota offiziell nicht an.55 5. Massenprozesse: Sennan-Prozesse und jüngste Prozesse in der Bauindustrie Schon seit der Vorkriegszeit war die Sennan-Region der Präfektur Osaka zum Zentrum der japanischen Asbestindustrie aufgestiegen.56 Insbesondere befanden sich dort zahlreiche Unternehmen der Asbest-Textilindustrie. Viele (ehemalige) Mitarbeiter dieser Fabriken, ihre Familienmitglieder und auch Anwohner aus der Region litten in Folge der Asbestbelastung des Gebietes an einer Asbestlunge, an Lungenkrebs, Mesotheliomen oder anderen asbestbedingten Krankheiten. Auch hier rief der „Kubota-Schock“ den asbestbedingt erkrankten Arbeitnehmern und Einwohnern zurückliegende Asbestkontakte als Ursache ihrer Erkrankungen ins Bewusstsein. Die Arbeitgeber waren hier hauptsächlich mittelständische und Kleinunternehmen mit weniger als zehn Arbeitnehmern. Wie bei solchen Unternehmen nicht unüblich, hatten viele der Arbeitnehmer innerhalb der Branche ihren Arbeitgeber häufig gewechselt. 57 Dieser Umstand erschwerte den Geschädigten, Ersatzansprüche für ihre Schäden geltend zu machen, wie es geschädigten Arbeitnehmern größerer Unternehmen möglich ist.58 Angesichts dieser im Hinblick auf 54 Im Fall Kubotas beträgt das Hilfsgeld 25 Mio. bis 46 Mio Yen. Vgl. Kubota-Mitteilung vom 17.4.2006, geändert am 15.10.2009, http://www.kubota.co.jp/new/2006/s4-17.html. Zum Hilfsgeld von NICHIAS vgl. die Mitteilung des Unternehmens vom 2.5.2006, http:// www. nichias.co.jp/pdf/060502_01.pdf. Siehe. auch OSHIMA (Fn. 20) 60 f. 55 Siehe die englische Übersetzung der Erklärung von Kubota vom Dezember 2005 und Auszüge aus einer Pressekonferenz, abgedruckt bei M. KATO, Persistent Thorns: Responsibility for Asbestos Disasters, in: Miyamoto et al. (Fn. 1) 135; ferner MIYAMOTO (Fn. 20) 20. Das DG Kobe stellte im Jahre 2012 indes einen Kausalzusammenhang zwischen den Asbestemissionen einer Kubota-Fabrik und der Erkrankung eines Anwohners aus der Umgebung fest. DG Kobe v. 7.8.2012, in: Hanrei Jihō 2191 (2013) 67. 56 Ausführlich MORI (Fn. ) 110 ff. 57 Das sog. System der „lebenslangen Beschäftigung“ (shūshin koyō), das oft als Charakteristikum der japanischen Arbeitswelt herausgestellt wird, ist in kleineren und mittleren Unternehmen seit jeher weniger üblich. Vgl. dazu K. SUGENO, Shin koyō shakai no hō [Recht in der neuen Arbeitsgesellschaft], (ergänzte Aufl. Tokyo 2004) 6 f. 58 Vgl. T. ITO, Ōsaka Sennan asubesuto kokka baishō soshō [Der Asbest-Staathaftungsprozess von Osaka-Sennan], in: Nichibenren [Japan Association of Bar Associations] (Hrsg.), Kōgai kankyō soshō to bengoshi no chōsen [Prozessuale Aufarbeitung von Umweltverschmutzung und deren Herausforderungen für die Anwaltschaft] (Kyoto 2010) 204–216. Die – wie oben Nr. / No. 36 (2013) STAATSHAFTUNG FÜR ASBESTSCHÄDEN 127 den Verursachungszusammenhang verworrenen Lage wandten sich die Geschädigten bzw. deren Erben in den Jahren 2006 und 2009 auf der Grundlage des Staatshaftungsgesetzes (SHG)59 an den Staat.60 Ein Vorgehen gegen die Unternehmen als Arbeitgeber fand nicht statt. Am 19. Mai 2010 verurteilte das DG Osaka den japanischen Staat zum Schadenersatz, da die staatlichen Maßnahmen unzureichend gewesen seien.61 U. a. stellte das Gericht fest, dass die Maßnahmen des Staublungengesetzes von 1960 unzureichend gewesen seien und eine Pflicht zur Installation von Ventilatoren und Staubbeseitigungsvorrichtungen geboten gewesen wäre. In der Berufungsinstanz verneinte das Obergericht Osaka jedoch die Verantwortlichkeit des Staates und hob das erstinstanzliche Urteil auf.62 In 54,4 % der im Jahre 2012 anerkannten Fälle einer asbestbedingten Berufskrankheit waren die Betroffenen in der Bauindustrie tätig gewesen.63 Sie stellen damit die am stärksten asbestgeschädigte Berufsgruppe dar. Die meisten von ihnen arbeiteten für mittelständische und Kleinunternehmen oder waren selbständige Handwerker oder Kleinunternehmer. Teilweise unsichere, häufig wechselnde Beschäftigungsverhältnisse, wie sie in der Baubranche häufig vorkommen, erschweren den Betroffenen generell, Ort, Zeitpunkt und Art und Weise der für ihre Beschwerden ursächlichen Asbestexpositionen darzulegen. Ein Vorgehen gegen die Arbeitgeber und Generalunternehmer, das sich auf zivilrechtliche Ansprüche hätte stützen können, erwies sich mithin oft als schwierig. Dies erklärt, weshalb die Geschädigten in der im Folgenden näher betrachteten Entscheidung des DG Tokyo einerseits den japanische Staat, andererseits Unternehmen, welche asbesthaltige Baumaterialien hergestellt oder vertreiben hatten, auf Schmerzensgeld verklagt haben. Ähnliche Klagen wurden noch im selben Jahr in Yokohama sowie im Jahre 2013 in Sapporo, Kyoto, Osaka und Fukuoka anhängig gemacht. 59 60 61 62 63 erwähnt – geringen Hilfsgeldzahlungen nach dem Asbesthilfegesetz können die Schäden der Betroffenen derweil nicht annähernd decken. Erschwert wurde die Situation der oft an Asbestose leidenden Geschädigten außerdem durch die strengen Anforderungen, die im Rahmen des Asbesthilfegesetzes an die Anerkennung in dieser Kategorie gestellt werden. Kokka baishō-hō, Gesetz Nr. 125/1947. Eingehend zur Staatshaftung in Japan in deutscher Sprache B. ELBEN, Staatshaftung in Japan. Eine rechtsvergleichende Darstellung unter besonderer Berücksichtigung von gyōsei shidō (Hamburg 2001). Vgl. ŌSAKA JUNPAI ASUBESUTO BENGO-DAN [Zusammenschluss der Vertreter im Staublungen-Asbest-Prozess Osaka] (Hrsg.), Towareru seigi. Ōsaka Sennan asubesuto kokubai soshō no shōten [Gerechtigkeit hinterfragt: Streitpunkte im Asbest-Staatshaftungsprozess von Osaka-Sennan] (2012) sowie ITO (Fn. 58). DG Osaka v. 19.5.2010, in: Hanrei Jihō Nr. 2093 (2011) 3. Siehe knapp KATO (Fn. 55) 145, dem zufolge es sich um den ersten Fall handelt, in dem die Haftung des Staates festgestellt wurde. NOTTAGE (Fn. 13) 251 und MCCULLOCH / TWEEDALE (Fn. 10) 167 erwähnen Verfahren, die überwiegend durch Vergleich beendet wurden und bei denen die japanische Regierung schon zu Beginn der 2000er Jahre an Asbestgeschädigte, die auf der US Basis in Yokosuka gearbeitet hatten, Zahlungen geleistet hat. OG Osaka v. 25.8.2011, in: Hanrei Jihō Nr. 2135 (2012) 60. Statistik des MHLW (Fn. 48). 128 MORITZ BÄLZ / HIROKI KAWAMURA ZJAPANR / J.JAPAN.L III. DAS URTEIL DES DG TOKYO VOM 5.12.201264 Im Folgenden soll auf den erwähnten Prozess vor dem DG Tokyo näher eingegangen werden. Die Entscheidung des Gerichts hat erhebliches Aufsehen erregt. Da sowohl die Kläger als auch der beklagte Staat Berufung beim OG Tokyo eingelegt haben, ist die Entscheidung noch nicht rechtskräftig. Der Text der Entscheidung umfasst mehrere hundert Seiten, diese kann daher im Folgenden nur auf Kernpunkte fokussiert skizziert werden: 1. Streitentscheidende Vorschriften Art. 1 Staatshaftungsgesetz (SGH) „Verletzt ein Staatsbediensteter, der die öffentliche Gewalt des Staates oder einer öffentlich-rechtlichen Körperschaften ausübt, bei seinem Dienst vorsätzlich oder fahrlässig rechtswidrig einen Anderen, so hat der Staat bzw. die Körperschaft den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.“ Art. 719 Abs. 1 Zivilgesetz (ZG)65 „Haben mehrere durch eine gemeinschaftlich begangene unerlaubte Handlung einem anderen Schaden zugefügt, so ist jeder als Gesamtschuldner zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Das gleiche gilt, wenn sich nicht ermitteln lässt, wer von den Mittätern den Schaden verursacht hat.“ 2. Zusammenfassung des Sachverhalts Kläger sind vorliegend Arbeitnehmer, Kleinunternehmer sowie selbständige Handwerker (hitori oyakata), die über unterschiedliche Zeiträume bis zum Jahre 2010 im Rahmen diverser Bauvorhaben in der Region Tokyo Arbeiten ausgeführt hatten (im Folgenden: die Baubeschäftigten), sowie teilweise ihre Erben. Infolge mittelbarer oder unmittelbarer Asbestexposition am Bau litten die Baubeschäftigten an Krankheiten wie Asbestose oder Mesotheliomen. Der Asbestkontakt war als Ursache ihrer Beschwerden, die Krankheiten selbst somit als Berufskrankheiten im Sinne der gesetzlichen Arbeitsunfallversicherung bereits anerkannt worden. Im Jahr 2010 strengten die insgesamt 337 Kläger als Streitgenossen zwei Klagen an, mit denen sie zusätzlich zu den Leistungen der Versicherung vom japanischen Staat sowie von insgesamt 42 Unternehmen, welche asbesthaltige Baustoffe hergestellt oder vertrieben hatten, Schmerzensgeld begehrten. Beantragt wurde – wie in vergleichbaren Fällen nicht unüblich – ein einheitliches Schmerzensgeld, in diesem Fall 35 Mio. Yen [rund 250.000 €] pro Kläger nebst Zinsen und Anwaltskosten. 64 Hanrei Jihō Nr. 2183 (2013) 194; Volltext in LEX/DB No.25500187. 65 Übersetzung nach KAISER (Fn. 42) 168. Nr. / No. 36 (2013) STAATSHAFTUNG FÜR ASBESTSCHÄDEN 129 3. Die Argumentation der Kläger Die Kläger machen einerseits Ansprüche gegen den Staat aufgrund von Art. 1 des Staatshaftungsgesetzes (SHG) geltend. Nach Ansicht der Kläger haben es die zuständigen staatlichen Stellen rechtswidrig (ihō) unterlassen, durch Ministerialverordnung angemessene Arbeitsschutzvorschriften zu erlassen und sonstige Maßnahmen zu ihrem Schutz zu ergreifen. In Anbetracht der von Asbest ausgehenden Gefahren für Leben und Gesundheit sei der Staat verpflichtet gewesen, die Herstellung und den Vertrieb asbesthaltiger Baumaterialien zu untersagen. Zumindest aber hätte er die Arbeitgeber der Baubranche verpflichten müssen zu kontrollieren, ob bei der Arbeit mit asbesthaltigen Stoffen elektronische Werkzeuge mit Staubabsaugung eingesetzt und geeignete Atemschutzmasken getragen werden. Den Unternehmen, welche asbesthaltige Baumaterialen herstellten oder vertrieben, hätte der Staat nach Auffassung der Kläger auferlegen müssen, ihre Produkte mit Warnhinweisen zu versehen, aus denen die krebserzeugende Eigenschaft des enthaltenen Asbests und die Gefahr einer möglichen Mesotheliombildung hervorgehen. Andererseits machen die Kläger aufgrund des Art. 719 des Zivilgesetzes Ansprüche wegen gemeinschaftlich begangener unerlaubter Handlung gegen Unternehmen geltend, die asbesthaltige Baustoffe hergestellt oder vertrieben haben. Da es praktisch unmöglich ist, im Nachhinein darzulegen, die Produkte welchen Unternehmens die konkreten Gesundheitsschäden der Baubeschäftigen verursacht haben, richtet sich die Klage gegen größere Aktiengesellschaften, die in einer Datenbank als Hersteller oder als Händler asbesthaltiger Baustoffe bzw. als Rechtsnachfolger einer solchen Gesellschaft verzeichnet sind.66 Diese hätten nach Auffassung der Kläger asbesthaltige Baumaterialien nicht in den Verkehr bringen dürfen oder die Baubeschäftigten zumindest auf das in ihren Produkten enthaltene Asbest und die damit verbundenen Gefahren hinweisen müssen. Hinsichtlich der Haftungsanteile des Staates einerseits und der Unternehmen andererseits sind die Kläger der Ansicht, dass der Staat und die beklagten Unternehmen ihnen als Gesamtschuldner haften. 4. Zusammenfassung der Entscheidung des Gerichts a) Ergebnis Im Ergebnis gab das DG Tokyo der Klage teilweise statt: (1) Es verurteilte den japanischen Staat, den Geschädigten (bzw. deren Erben) ein Schmerzensgeld zu bezahlen, soweit es sich bei den Geschädigten um Arbeitnehmer handelte. 66 Es handelt sich um eine Datenbank, welche das Ministeriums für Land, Infrastruktur, Verkehr und Tourismus (Kokudo kōtsū-shō) und des Ministeriums für Wirtschaft, Handel und Industrie (Keizai sangyō-shō, METI) unterhalten, siehe http://www.asbestos-database.jp/. 130 MORITZ BÄLZ / HIROKI KAWAMURA ZJAPANR / J.JAPAN.L (2) Soweit Schäden von Kleinunternehmern und selbstständigen Handwerkern oder deren Erben geltend gemacht wurden, wies das Gericht die Klage ab. (3) Ebenfalls abgelehnt wurde eine Haftung der beklagten Unternehmen. (4) Die Höhe des Schmerzensgeldes bemisst das Gericht abweichend vom Antrag der Kläger nicht einheitlich, sondern orientiert sich an den Stufen des Staublungengesetzes, berücksichtigt die Dauer der Asbestexposition und nimmt Abschläge für Tabakkonsum vor. Die Haftung des Staates für die so ermittelten Schäden begrenzt das Gericht zudem auf ein Drittel des jeweiligen Schadens. b) Haftung des Staates gemäß Art. 1 SHG wegen Nichtgebrauchs der Regelungskompetenz 67 Nach Auffassung des Gerichts hat der Arbeitsminister rechtswidrig (ihō) im Sinne des Art. 1 SHG gehandelt, indem er von der ihm durch das ASHG übertragenen Regelungskompetenz für den Arbeitsschutz unzureichend Gebrauch gemacht hat. Das Gericht stützt sich insofern auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Dieser hat verschiedentlich entschieden, dass der Nichtgebrauch einer Regelungskompetenz durch einen Bediensteten des Staates oder einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft i. S. des Art 1 Abs. 1 SHG gegenüber dem Geschädigten rechtswidrig ist, soweit der Nichtgebrauch im Lichte der Zielsetzung und des Zwecks der Kompetenz unter den Umständen des Einzelfalls grob unangemessen ist.68. Ziel des ASHG (und der Vorgängerregelungen im ASG) sei die Abwehr von Gefahren für Leib und Leben der Arbeitnehmer und der Schutz ihrer Sicherheit und Gesundheit. Auf der Grundlage dieser Gesetze setze der Staat Standards zur Prävention von Arbeitsunfällen. Ferner verpflichte er die Arbeitgeber, diese Standards einzuhalten und Maßnahmen zu treffen, um die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Auch die Arbeitnehmer treffe eine Pflicht, mit ihrem Arbeitgeber bei der Umsetzung dieser Maßnahmen zu kooperieren. Die Regelungen des Arbeitsschutzes basierten auf dem Gedanken, Arbeitsunfällen könne wirksam vorgebeugt werden, wenn der Staat, die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer ihren jeweiligen Pflichten nachkämen. Insofern handele es sich bei den vom Staat geschaffenen Vorschriften um bloße Mindeststandards. Die Verpflichtung, auf der Baustelle Arbeitnehmer vor Gefahren zu schützen und Sicherheit und Hygiene zu gewährleisten, treffe primär den Arbeitgeber, während die Verantwortung des beklagten Staates nur sekundär sei. Das ASHG (wie das frühere ASG) sähen vor, dass die vom Arbeitgeber zu treffenden Maßnahmen durch Ministerialverordnung geregelt werden. Diese Delegation an die Verwaltung sei zweckmäßig, da es sich um fachspezifische und technische Angelegenheiten handele und es notwendig sei, die Vorschriften rasch an sich wandelnde Gege67 Kapitel 5 des Urteils. 68 OGH v. 24.11.1989, Minshū 43-10, 1169; OGH v. 23.6.1995, Minshū 49-6, 1600; OGH v. 27.4.2004, Minshū 58-4, 1032; OGH v. 15.10.2004, Minshū 58-7, 1802. Nr. / No. 36 (2013) STAATSHAFTUNG FÜR ASBESTSCHÄDEN 131 benheiten auf den Baustellen und am Fertigungsort an den technischen Fortschritt sowie an neue medizinische Erkenntnisse anzupassen. Dementsprechend müsse der zuständige Arbeitsminister seine Kompetenz aber auch zeitnah und angemessen ausüben. Das Gericht erörtert die seitens des Arbeitsministeriums getroffenen Maßnahmen und deren Effektivität im Hinblick auf den Schutz der Baubeschäftigten. Ferner setzt es sich detailliert mit der Frage auseinander, zu welchem Zeitpunkt welche Risiken bekannt und welche weiteren Maßnahmen geboten waren. Als grob unangemessen und i. S. v. Art. 1 SHG rechtwidrig stuft das Gericht zum einen die Vorschriften über die Verwendung von Spritzasbest ein. Dessen besonderes Risiko sei seit 1971 bekannt gewesen. Gleichwohl sei bei der Änderung der Verordnung zur Prävention von Schäden durch bestimmte chemische Stoffe im Jahre 1975 zwar das Spritzen von asbesthaltigen Materialien mit einem Anteil von mehr als 5 % grundsätzlich verboten worden (weiterhin erlaubt war das Bespritzen von Eisenpfeilern, sofern dies unter strengen Sicherheitsvorkehrungen erfolgte). Die Verwendung von Spritzasbest mit einem Anteil von weniger als 5 % sei dagegen weiterhin zugelassen worden, ohne für diesen Fall besondere Schutzvorkehrungen, etwa das Tragen von Atemschutzmasken, vorzuschreiben. Dies sei grob unangemessen gewesen, denn es habe keinen Grund gegeben anzunehmen, dass das Spritzen von Materialien mit einem Asbestanteil von weniger als 5 % unbedenklich sei. Zum anderen erachtet das Gericht es für grob unangemessen und rechtswidrig i. S. v. Art. 1 SHG, dass auch nach dem Jahre 1981 Arbeitgebern keine Pflicht auferlegt wurde, dafür zu sorgen, dass ihre Arbeitnehmer bei Tätigkeiten, welche Asbestfasern freisetzen wie beispielsweise das Zersägen von Dämmplatten, Staubschutzmasken tragen. Insoweit hätte das Arbeitsministerium den Arbeitgebern nach Auffassung des Gerichts eine sanktionsbewehrte Pflicht auferlegen müssen flankiert von der Verpflichtung, die Arbeitnehmer auf die Gefahren der asbesthaltigen Baumaterialien und die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen hinzuweisen. Dagegen folgt das Gericht nicht der Argumentation der Kläger, der Staat hätte die Herstellung asbesthaltiger Baumaterialien schon früher generell verbieten müssen. Das Gericht begründet dies damit, dass vor dem Jahre 2004 nur begrenzt Ersatzmaterialen zur Verfügung gestanden hätten. Auch im Vergleich mit anderen führenden Industrienationen sei Japan mit dem grundsätzlichen Verbot in den Jahren 2004/2006 nicht besonders stark verspätet gewesen. Deutschland sei mit seinem Verbot von 1993 insoweit ein Ausnahmefall.69 Die Pflicht, effektivere Maßnahmen zu ergreifen, habe unter den Geschädigten ferner nur gegenüber den Arbeitnehmern, nicht dagegen gegenüber den Kleinunternehmern und den selbständigen Handwerkern bestanden. Daher liege auch nur ersteren gegenüber 69 Zum schrittweisen Asbestverbot in Japan siehe oben Fn. 15. Die tatsächlichen Feststellungen des Gerichts bezüglich der internationalen Entwicklungen und die Auswahl der Staaten, die zum Vergleich herangezogen werden, scheinen nicht über jeden Zweifel erhaben. 132 MORITZ BÄLZ / HIROKI KAWAMURA ZJAPANR / J.JAPAN.L eine rechtswidrige, zum Schadenersatz verpflichtende Nichtausübung von Regelungskompetenz vor. Denn die einschlägigen Artikel 55 und 57 des Arbeitssicherheitsund -hygieniegesetzes schützen nur Arbeitnehmer. Der Begriff des Arbeitnehmers in Art. 2 Nr.2 ASHG nehme auf Art. 9 ASG Bezug, wonach „Arbeitnehmer“ unabhängig von der Art des Berufs eine Person ist, die in einem Betrieb oder einer Betriebsstätte gegen Entgelt arbeitet. Hierfür sei auf die Abhängigkeit abzustellen. Soweit die Geschädigten Kleinunternehmer seien, beschäftigten sie selbst Arbeitnehmer und könnten daher keine Arbeitnehmer sein. Bei selbständigen Handwerkern sei zwar im Einzelfall nicht gänzlich ausgeschlossen, dass sie vom Schutzbereich des ASHG erfasst werden, insoweit hätten die Kläger jedoch vorliegend keine hinreichenden Tatsachen vorgetragen. c) Haftung der beklagten Unternehmen gem. Art. 719 ZG wegen gemeinschaftlicher unerlaubter Handlung 70 Nach Auffassung des Gerichts traf Unternehmen, welche asbesthaltige Baustoffe herstellten oder vertrieben, spätestens ab Januar 1981 aus der Natur der Sache (jōri) sowie nach Treu und Glauben eine Warnpflicht. Unabhängig davon, ob der Asbestanteil in ihren Baumaterialien 5 % überschritt oder nicht, seien die Unternehmen verpflichtet gewesen, die Baumaterialien deutlich als asbesthaltig zu kennzeichnen und darauf hinzuweisen, dass bei einer Verarbeitung ohne Schutzmaßnahmen die Gefahr schwerer Erkrankungen besteht. Auf diese Weise wäre die Verwendung von schützenden Staubschutzmasken u. ä. gefördert worden. Diese Sorgfaltspflicht traf nach Auffassung des Gerichts jeden, der asbesthaltige Baumaterialien in Verkehr brachte, mithin neben den Herstellern auch die Unternehmen, die derartige Baustoffe lediglich vertrieben hatten. Diesen Anforderungen genügten die von den beklagten Unternehmen verwendeten Warnhinweise nach Auffassung des Gerichts nicht. Deshalb bejaht das Gericht eine fahrlässige Pflichtverletzung. Da die Kläger jedoch nicht darlegen konnten, die Produkte und damit die Pflichtverletzung welchen Unternehmens für ihre jeweiligen Schäden konkret ursächlich gewesen sind, setzte eine Haftung der beklagten Unternehmen weiter voraus, dass die Voraussetzungen einer gemeinschaftlichen unerlaubten Handlung erfüllt sind (Art. 719 ZG). Nach Art. 719 Abs. 1 S. 1 ZG haften mehrere, wenn sie eine unerlaubte Handlung gemeinschaftlich begangen haben, als Gesamtschuldner. Nach Satz 2 gilt dasselbe, wenn sich nicht ermitteln lässt, welcher der Mittäter den Schaden verursacht hat. In beiden Fällen kommt es im Interesse des Schutzes des Geschädigten auf den Kausalzusammenhang zwischen der Handlung des einzelnen Schädigers und dem konkreten Schaden nicht an. Das Gericht betont, angesichts der weitreichenden Rechtsfolgen des Art. 719 ZG müsse die gemeinschaftliche Verbundenheit im Sinne des Art. 719 Abs. 1 S. 1 ZG ausreichend stark sein. Der fahrlässige Pflichtverstoß der beklagten Unternehmen als sol- 70 Kapitel 7 des Urteils. Nr. / No. 36 (2013) STAATSHAFTUNG FÜR ASBESTSCHÄDEN 133 cher reiche dafür nicht aus. Vorliegend sei es bei einigen der beklagten Unternehmen unwahrscheinlich, dass sie die Kläger geschädigt hätten, daher sei keine gemeinschaftliche Eingriffshandlung ersichtlich. Das Gericht prüft weiter, ob ein Fall des Art. 719 Abs. 1 S. 2 ZG gegeben ist. Nach der Auffassung des Gerichts wäre danach auch ohne gemeinschaftliche Verbundenheit die Kausalität jedes Tatbeitrags zu vermuten und eine gesamtschuldnerische Haftung gegeben, sofern feststünde, dass jedenfalls eines der beklagten Unternehmen den Schaden (bezogen auf die individuellen Geschädigten) verursacht habe (Alternativtäter). Voraussetzung sei jedoch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass die auf diese Weise der weitreichenden gesamtschuldnerischen Haftung unterworfenen Täter den Schaden eines individuellen Geschädigten verursacht hätten. Bei vielen der vorliegend beklagten Unternehmen sei die Wahrscheinlichkeit, dass das Inverkehrbringen gerade ihres Produkts den Schaden der einzelnen Kläger verursacht habe, indes gering. Daher sei auch nach Art. 719 Abs. 1 S. 2 ZG keine gesamtschuldnerische Haftung gegeben. Bemerkenswerterweise betont das Gericht, dass es bedenklich sei, dass die Unternehmen, die pflichtwidrig vor den Gefahren ihrer Produkte nicht gewarnt hätten, keinerlei Haftung treffe. Dies zu korrigieren sei jedoch Aufgabe des Gesetzgebers. d) Begrenzung des Haftungsanteils des Staates auf ein Drittel71 Haftet den Klägern nach dem oben Gesagten mithin nur der Staat, nicht auch die beklagten Unternehmen, so beschränkt das Gericht die Haftung des Staates zugleich auf ein Drittel des dem einzelnen zustehenden Schmerzensgelds.72 Denn, so das Gericht, die asbestbedingten Erkrankungen der Kläger seien nicht nur durch die Nichtausübung der Regelungskompetenz seitens des Staates, sondern auch durch die mit diesem zusammentreffenden Pflichtverletzungen der Arbeitgeber sowie der die Baumaterialien herstellenden und vertreibenden Unternehmen verursacht worden. In erster Linie verantwortlich seien die Arbeitgeber sowie die Unternehmen, welche die asbesthaltigen Baumaterialien in den Verkehr gebracht hätten. Die Verantwortlichkeit des Staates für entsprechende Schutzmaßnahmen sei demgegenüber zweitrangig. 71 Kapitel 8 des Urteils. 72 Zu den vom Gericht gegenüber den einheitlichen Anträgen vorgenommenen Anträgen der Kläger siehe oben III.4.a). 134 MORITZ BÄLZ / HIROKI KAWAMURA ZJAPANR / J.JAPAN.L IV. ANMERKUNGEN 1. Klagen wegen Asbestschäden Die bisher vor japanischen Gerichten behandelten Fälle asbestbedingter Gesundheitsschäden teilen sich in drei Kategorien: (1) Klagen aufgrund schädlicher Asbestexpositionen am Arbeitsplatz,73 (2) Klagen von Angehörigen in der Asbestherstellung tätiger Arbeitnehmer, die mittelbar selbst Gesundheitsschäden erlitten haben74 und (3) Klagen von Geschädigten im sonstigen Lebensumfeld.75 Die meisten Schadensersatzklagen der ersten Kategorie, der Berufskrankheiten, stützen sich auf die vertragsrechtliche Anspruchsgrundlage des Art. 415 ZG und richten sich gegen die Arbeitgeber der Geschädigten. Im sog. Sennan-Fall suchten die Kläger hingegen Kompensation für ihre Gesundheitsschäden durch den Staat auf der Grundlage des Staatshaftungsgesetzes. Ein Vorgehen gegen Unternehmen nicht als Arbeitgeber, sondern als Hersteller asbesthaltiger Produkte findet sich erstmals im hier behandelten Fall. In Japan wird nicht selten betont, dass die Zahl der Asbestprozesse dort trotz der Zunahme nach 2005 bei weitem nicht an die Zahl der Klagen heranreiche, die in diesem Zusammenhang in den USA – meist auf der Grundlage der Produkthaftung – erhoben wurden.76 Verglichen mit der milliardenschweren asbestos litigation in den USA, wo mehrere Hunderttausend Kläger an zahlreichen class actions beteiligt waren,77 ist die Zahl rechtlicher Auseinandersetzungen in Japan bislang in der Tat gering geblieben. Diese Diskrepanz dürfte nicht zuletzt den Besonderheiten des US-amerikanischen Prozessrechts wie der pre-trial discovery, dem Instrument der class action und der Kosten73 Etwa OG Sapporo v. 29.8.2008 (Asbestexposition eines Hotelangestellten bei Arbeiten im Boiler-Raum) oder OG Osaka v. 25.2.2011, in: Hanrei Jihō 2119 (2011) 47 (Asbestschäden mehrerer Angestellter im Zuge von Hafenarbeiten). 74 Etwa OG Tokyo v. 20.1.2005, in: Hanrei Taimuzu 1210 (2006) 145 (an seiner Gesundheit geschädigtes Kind eines Arbeiters aus der Asbestindustrie). 75 K. MATSUMOTO, Nihon ni okeru asubesuto-soshō no genjō to kadai [Asbestprozesse in Japan: Die Lage der Dinge und ungelöste Fragen], in: Ritsumeikan Hōgaku Nr. 331 (2010) 870 ff. Zur dritten Gruppe siehe etwa OGH v. 12.7.2013 (Selbstmord angesichts Mesotheliombildung aufgrund asbestbelasteter Wände im eigenen Laden) oder DG Kobe v. 7.8.2012, in: Hanrei Jihō 2191 (2013) 67 (Asbestbelastung durch eine Kubota-Fabrik in der Stadt Amagasaki). 76 K. MATSUMOTO (Fn. 75), 867. 77 Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Asbest in den USA wurden dort durch zahlreiche Studien aufgearbeitet, z. B.: M. J. WHITE, Asbestos and the future of mass torts, NBER Working Paper No. 10308 (2004) [Online unter http://www.nber.org/papers/w10308 (letzter Zugriff am 30.10.13)]; S. J. CAROLL [u. a.], Asbestos litigation. Costs and Compensation (Santa Monica 2005) [Auch online unter http://www.rand.org/pubs/monographs/MG162.html (Letzter Zugriff am 30.10.2013)]; J. W. BELLUCK [u. a.], The asbestos litigation Tsunami. Will it ever end?, in: Journal of Law, Economics & Policy Vol. 9 (2012) 489-518. Die Zahl der in den USA bis Ende 2002 aufgetretenen Kläger beläuft sich auf geschätzte 730.000, die Zahl der Beklagten auf mindestens 8.400 (CAROLL [u. a.] a.a.O. 69 ff. sowie 78 ff.). Nr. / No. 36 (2013) STAATSHAFTUNG FÜR ASBESTSCHÄDEN 135 regelungen (American rule of cost, contingency fees) einerseits sowie den hohen Kosten nicht flächendeckend versicherter Heilbehandlungen geschuldet sein.78 Dass ungeachtet der globalen Dimension des Asbestproblems die Rolle der Gerichte in den verschiedenen Ländern abhängig von den versicherungs-, prozess- und haftungsrechtlichen Rahmenbedingungen stark variiert, zeigt auch der Blick auf Deutschland. Auch hier sind asbestbedingte Gesundheitsschäden bekanntlich ein erhebliches Problem,79 freilich ohne dass dies zu einer Klagewelle bei den Gerichten geführt hätte. Die Bewältigung des Problems erfolgt statt über das Individualhaftungsrecht primär über die Unfallversicherung. Die in erster Linie betroffene Gruppe der Arbeitnehmer kann durch die gesetzliche Unfallversicherung einen Ausgleich, wenn auch kein Schmerzensgeld erhalten. Zugleich sind weitergehende zivilrechtliche Ansprüche gegen den Arbeitgeber – anders als in Japan – bis auf seltene Fälle, in denen eine vorsätzliche Schädigung bewiesen werden kann,80 weitestgehend ausgeschlossen (§ 104 Abs. 1 SGB VII; sog. Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz). Für Produkthaftungsklagen sind die prozessualen Rahmenbedingungen verglichen mit den USA für Asbestgeschädigte im Allgemeinen deutlich weniger günstig.81 2. Zur Haftung des Staates gemäß Art. 1 SHG In Japan haben sich in den letzten Jahrzehnten – schon lange vor der Katastrophe von Fukushima – in ganz unterschiedlichen Bereichen Massenschäden ereignet. So haben auch im Westen die sog. „vier großen Umweltkrankheiten“ Aufmerksamkeit erregt, von denen die Minamata-Krankheit die bekannteste sein dürfte. Andere Fälle betreffen belastete Lebensmittel (etwa der Kanemi-Reisöl-Fall oder der Morinaga-Michpulver-Fall) und schädliche Arzneimittel (etwa der SMON-Fall und der HIV-Blutkonserven-Fall). In diesen Fällen haben die Betroffenen versucht, neben den als Schädiger in Frage kommenden Unternehmen auch den Staat in Anspruch zu nehmen. Der Vorwurf gegen die 78 Nicht vertieft werden kann an dieser Stelle, wie man die enormen Dimensionen der USamerikanischen asbestos litigation bewerten soll. M. J. WILSON, Failed Attempt to Undermine the Third Wave: Attorney Fee Shifting Movement in Japan, Emory International Law Review Vol. 9 (2005) 1482 f. vermutet, dass prozessuale Regeln wie in den USA die japanischen Unternehmen und den japanischen Staat zu einem entschiedeneren Vorgehen gegen die mit Asbest verbundenen Risiken veranlasst hätten. MIYAMOTO (Fn. 20) 40 f. weist demgegenüber darauf hin, dass von den enormen seitens der Kläger erstrittenen Summen nur ca. 30 bis 40 % tatsächlich den Opfern zugutegekommen sind. 79 Auch in Deutschland werden jährlich weiterhin Tausende neuer asbestbedingter Berufskrankheiten bekannt. Siehe Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), BK-Report 1/2013 Faserjahre (2013) [online unter http://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/ 10002/bk_ rep0113.pdf (letztere Zugriff 1.11.2013)] 17 ff. 80 Siehe jüngst die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts v. 20.6.2013, BeckRS 2013, 72036. 81 R. BEST, Liability for Asbestos Related Disease in England and Germany, German Law Journal Vol. 4 No. 7 (2003) 678 ff. 136 MORITZ BÄLZ / HIROKI KAWAMURA ZJAPANR / J.JAPAN.L Behörden bestand in allen Fällen in einem pflichtwidrigen Unterlassen rechtzeitiger Vorsorge- oder Eindämmungsmaßnahmen i. S. des Art. 1 SHG. Diesbezüglich gestand die Rechtsprechung der Verwaltung jedoch einen weitgehenden Ermessensspielraum zu, weshalb den Klägern die Darlegung der Rechtswidrigkeit oft schwer fiel.82 Im vorliegenden Fall prüfte das Gericht, ob sich der Staat dadurch, dass er von seiner Kompetenz zum Erlass von Arbeitsschutzvorschriften keinen Gebrauch gemacht hat, rechtswidrig i. S. des Art. 1 SHG verhalten hatte. Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat in Entscheidungen von 1989 und 199583 Maßstäbe für derartige Fälle entwickelt, auf die sich auch die vorliegende Entscheidung des DG Tokyo stützte. In diesen Fällen erkannte der OGH indes die Rechtswidrigkeit des staatlichen Unterlassens nicht an. Von großer Bedeutung für die staathaftungsrechtliche Bewertung der Asbestfälle waren dann die OGH-Entscheidungen im Chikuhō-Staublungen-Prozess 84 und im Kansai-Prozess betreffend die Minamata-Krankheit,85 jeweils aus dem Jahr 2004. Hier erachtete das Gericht das Unterlassen geeigneter Schutzmaßnahmen als gegenüber den Geschädigten rechtswidrig i. S. des Art. 1 SHG und verurteilte den Staat, den Opfern, an einer Staublunge leidenden ehemaligen Kohlebergarbeitern bzw. unter Quecksilbervergiftung leidenden Opfern des Minamata-Skandals, Schadenersatz zu leisten. Der Zweck der in diesen Fällen maßgeblichen Vorschriften, die dem Staat die Kompetenz verliehen, Maßnahmen zu ergreifen, umfasste unmittelbar den Schutz der Arbeitnehmer bzw. Einwohner vor gesundheitlichen Schäden. Auch waren die aufgetretenen, durch staatliches Unterlassen geförderten Gesundheitsschäden von beträchtlichem Ausmaß. In seiner Entscheidung zum Staublungenprozess äußerte sich der OGH zur Ausübung der staatlichen Regelungskompetenzen. Diese sollten durch Ministeriumsverordnungen wahrgenommen werden, über die den Arbeitgebern technisch detaillierte Sicherungspflichten auferlegt werden könnten. Um Fortschritte in Medizin, Technik usw. möglichst schnell umsetzen zu können, sei es sinnvoll, den zuständigen Ministern diesbezüglich umfassende Änderungsbefugnisse zu übertragen. Hierauf aufbauend stellte der OGH in diesem Urteil und seinem Urteil im Minamata-Prozess die Verpflichtung der zuständigen Minister 82 Eine Prozessvertreterin aus einem der Minamata-Prozesse nennt den Staatshaftungsprozess einen Prozesstyp, der praktisch nicht zu gewinnen sei. Einer der Gründe hierfür liege in dem weiten Ermessensspielraum, den die Gerichte den Behörden regelmäßig zugestünden. R. NAGASHIMA, Minamata-byō Kansai-soshō [Der Kansai Prozess betreffend die Minamata-Krankheit], in: Hōgaku Seminā Nr. 602 (2005) 61. 83 OGH v. 24.11.1989, Minshū 43-10, 1169 (Takken Gyōsha-Fall); OGH v. 23.6.1995, Minshū 49-6, 1600 (Chloroquin-Fall). 84 OGH v. 24.4.2004, Minshū 58-4, 1032. Für eine englische Übersetzung des Falles siehe BÄLZ / DERNAUER / HEATH / PETERS-PADBERG (eds.), Business Law in Japan – Cases and Comments. Intellectual Property, Commercial and International Private Law. Writings in Honour of Harald Baum (Alphen aan den Rijn 2012) 123 ff. mit einem Kommentar von J. O. HALEY auf S. 142 ff. 85 OGH v. 15.10.2004, Minshū 58-7, 1802. Englische Übersetzung ebenfalls in BÄLZ ET AL. (Fn. 84) 135 mit Anmerkung von J. O. HALEY auf S. 142 ff. Nr. / No. 36 (2013) STAATSHAFTUNG FÜR ASBESTSCHÄDEN 137 fest, im Krisenfall ihre Befugnisse zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer bzw. Anwohner zeitnah und angemessen auszuüben.86 Diese OGH-Entscheidungen haben bislang noch zu keiner einheitlichen Beurteilung der Asbestschädenfälle durch die unteren Instanzen geführt.87 So kamen die Urteile in den Sennan-Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen: Während die Berufungsinstanz im ersten Prozess einen rechtwidrigen Nichtgebrauch entgegen der Vorinstanz abgelehnt hat, hat das DG Osaka auch im zweiten Sennan-Prozess eine entsprechende Verantwortlichkeit des Staates anerkannt.88 Vier Monate vor der hier behandelten Entscheidung sah das DG Yokohama in einem anderen Asbestfall aus dem Baubereich keine rechtswidrige Nichtausübung von Regelungenkompetenzen auf Seiten des Staates und entschied somit anders als das DG Osaka.89 Die Anerkennung einer Haftung des Staates im vorliegenden Fall findet Zustimmung in der Literatur.90 In den folgenden drei Punkten sieht sich das Urteil indes auch Kritik ausgesetzt: 91 Zunächst trifft die Entscheidung auf Ablehnung, Kleinunternehmer und selbständige Handwerker aus dem Kreis der durch das ASHG Geschützten auszuschließen.92 Der zweite große Kritikpunkt besteht in dem späten Zeitpunkt, ab dem nach Auffassung des Gerichts eine rechtswidrige Nichtausübung von Kompetenzen gegeben war (1975 bzgl. der Verwendung von Spritzasbest mit einem Anteil von weniger als 5 % ohne Schutzvorkehrungen bzw. 1981 bzgl. Asbestfasern freisetzenden Tätigkeiten ohne Schutzvorkehrungen).93 Ebenfalls nicht überzeugen konnte als dritter Punkt die Begrenzung des vom Staat zu leistenden Ersatzes auf ein Drittel der Schadenssumme mit der Begründung, der Staat sei hier nur sekundär verantwortlich hinter den Arbeitgebern und 86 Vgl. R. FUTAGOISHI / K. SUZUKI, Kisei kengen no fu-kōshi o meguru Kokka baishō-hō tō no sho-mondai ni tsuite [Über einige Probleme des Staatshaftungsgesetzes in Bezug auf die Nichtausübung von Regelungskompetenzen] Teil 1, in: Hanrei Taimuzu Nr. 1356 (2011) 17 ff.; M. NORO, Sennan asubesuto kokka baishō seikyū soshō [Staatshaftung im SennanAsbestprozess], in: Hōritsu Jihō Bd. 84 Nr. 10 (2012) 65. 87 In anderen Fällen von Massengesundheitsschädigungen wie dem Irressa-Fall, dem TunnelStaublungen-Fall oder dem Hepatitis-C-Fall, ist die Haftung des Staates ebenfalls noch umstritten. 88 DG Osaka v. 19.5.2010, in: Hanrei Jihō 2093 (2011) 3; OG Osaka v. 25.8.2011, in: Hanrei Jihō 2135 (2012) 60; DG Osaka v. 28.3.2012, in: Hanrei Taimuzu 1386 (2013) 117. 89 DG Yokohama v. 25.5.2012. 90 Vgl. R. YOSHIMURA, Kensetsu asubesuto soshō ni okeru kuni to kenzai mēkā no sekinin [Verantwortlichkeit des Staates und der Hersteller asbesthaltiger Materialien in BauasbestProzessen], in: Ritsumeikan Hōgaku Nr. 374 (2013) 8 f. 91 YOSHIMURA (Fn. 90) 9. 92 YOSHIMURA (Fn. 90) 9 f.; K. MATSUMOTO, (Kommentar zum Urteil des DG Tokyo vom 5.12.2012), in: Shin-hanrei Kaisetsu Watch Minpō Zaisan-hō Nr. 71 (2013) 3. 93 Siehe oben II.4.b). YOSHIMURA (Fn. 90) 10 ff. 138 MORITZ BÄLZ / HIROKI KAWAMURA ZJAPANR / J.JAPAN.L Herstellerunternehmen.94 Letzteres scheint auch aus Sicht des deutschen Rechts schwer nachvollziehbar. 3. Zur Haftung der beklagten Unternehmen gemäß Art. 719 ZG Aufgrund ihrer Tätigkeit wechselte der Einsatzort der geschädigten Baubeschäftigten in unregelmäßigen Abständen. Auf jeder Baustelle verarbeiteten sie zahlreiche asbesthaltige Materialarten, unter denen sich wiederum die Produkte vieler verschiedener Hersteller finden konnten. Wegen der mangelnden Gefahrkennzeichnung haben sie diese Produkte meist verarbeitet, ohne sich der damit verbundenen Gefahren bewusst zu sein. Daher ist ihnen Jahre später die genaue Bestimmung der für ihre Schäden ursächlichen Asbestexpositionen (Ort, Zeit und Art des Kontaktes sowie das konkrete Produkt) kaum möglich. Angesichts dieser Beweisschwierigkeiten stützten sich die Kläger gegenüber den beklagten Unternehmen auf Art. 719 Abs. 1 ZG.95 Auch im Rahmen dieser Regelung konnten die Kläger indes den notwendigen Beweis nicht führen. Dies gestaltete sich schwierig, da die asbesthaltigen Produkte der beklagten Hersteller zunächst landesweit an mehreren Orten vertrieben und von diesen aus ihren Weg an wiederum verschiedene Baustellen fanden, wo sie letztlich verarbeitet oder verbaut wurden. Hierin unterscheiden sich die Fälle der Asbestschädigungen im Baubereich von den ansonsten für eine Anwendung des Art. 719 Abs. 1 ZG beispielhaften Prozessen im Zusammenhang mit der Luftverschmutzung an Industriestandorten. Schädliche Industierabgase erreichen meist nur nahegelegene, abgrenzbare Gebiete, weshalb der Ort des Schadensniederschlags noch eine Verbindung zur Schadensquelle erkennen lässt, was den Schadensverlauf beweisbar macht. Andererseits lässt sich in den Fällen einer Asbestschädigung zumindest die Zahl der Herstellerunternehmen klar eingrenzen und vorbringen, dass einmal in Verkehr gebrachten Produkte notwendigerweise letztlich an irgendeine Baustelle gelangen müssen. Daher versuchten die Kläger bereits das Inverkehrbringen der asbesthaltigen Baumaterialien als Eingriffshandlung der Beklagten darzustellen. Zu prüfen hatte das Gericht somit eine im Rahmen des Art. 719 Abs. 1 S. 1 ZG vorausgesetzte Verbundenheit zwischen den Herstellerunternehmen im Zeit- 94 YOSHIMURA (Fn. 90) 15 ff. Die OGH-Entscheidung zum Chikuhō-Staublungen-Prozess begrenzte den Haftungsanteil des Staates ebenfalls auf ein Drittel der Schadensumme. Das DG Osaka sprach den Geschädigten im ersten Senan-Fall einen Anspruch auf vollen Schadensersatz gegen den Staat zu. Dazu vgl. N. ŌKUBO, (Kommentar zum DG Osaka vom 19.5.2010), Hōgaku Seminā Nr. 673 (2011) 115. 95 Vgl. K. MATSUMOTO, Kyōdō fuhō kōi to kagai kōi no tōtatsu mondai [Die gemeinschaftliche unerlaubte Handlung und das Problem des Sich-Niederschlagens einer Handlung im Schaden], in: Ritsumeikan Hōgaku Nr. 339/340 (2011) 519 f.; R. YOSHIMURA, „Shijō baikaigata“ higai ni okeru kyōdō fuhō kōi-ron [Lehre der gemeinschaftlichen unerlaubten Handlung bei über den Markt vermittelten Schäden], in: Ritsumeikan Hōgaku Nr. 344 (2012) 212 f. Nr. / No. 36 (2013) STAATSHAFTUNG FÜR ASBESTSCHÄDEN 139 punkt des Inverkehrbringens ihrer Produkte. 96 Nach dem heute in der Literatur und Rechtsprechung der unteren Instanzen verbreiteten Verständnis findet die Vorschrift bei Vorliegen einer sog. „starken Verbundenheit“ zwischen den Handelnden Anwendung, selbst wenn es an einem subjektiven Zusammenschluss zwischen diesen mangelt.97 Diese Verbundenheit zwischen den beklagten Herstellern versuchten die Kläger zu begründen mit deren Einheit als „Gefahrgemeinschaft“ einerseits (Gleichartigkeit der Gefahr der hergestellten asbesthaltigen Baustoffe, Lieferung an Baustellen, Wissen um die nicht exklusive Verwendung ihrer Materialen nach Inverkehrbringen usw.) und deren Verbindung als „Interessengemeinschaft“ andererseits (Betriebstätigkeit, Werbetätigkeit, Lobbyarbeit durch Branchenvereine gegen Regulierung etc.). Das Gericht lehnte die Einschätzung der Kläger über die Verbundenheit zwischen den beklagten Herstellerunternehmen jedoch aus folgenden Gründen ab: Zuerst wurden die Produkte einiger Hersteller nur in Regionen verkauft, in denen keiner der Kläger beschäftigt war; andere Produkte wurden nicht für Bauzwecke hergestellt und auf keiner der Baustellen, auf denen die Kläger beschäftigt waren, verwendet; einige Hersteller ließen ihre Produkte nur von eigens beauftragtem Personal verarbeiten, wobei die Exposition anderer Arbeiter im Zuge eventueller Abrissarbeiten wegen der Festigkeit und des niedrigen Produktalters der Stoffe ausschied; in anderen Fällen wiederum gestaltete sich der Marktanteil der Produkte sehr gering (0,1 % oder weniger); selbst in Anbetracht der unterlassenen Warnkennzeichnung hätten sich mithin Fälle des Inverkehrbringens asbesthaltiger Stoffe durch die beklagten Unternehmen ausmachen lassen, in denen diese Handlung tatsächlich zu keiner Asbestexposition der Kläger hätte führen können. Nach Ansicht des Gerichts konnten die von den Klägern hierzu vorgetragenen Punkte die große Belastung der Beklagten im Falle einer Verantwortlichkeit als Gesamtschuldner i. S. des Art. 719 Abs. 1 S. 1 ZG deshalb nicht rechtfertigen. Das Gericht sah ferner auch keinen Fall des Art. 719 Abs. 1 S. 2 ZG gegeben. Einzelne der beklagten Unternehmen hätten wahrscheinlich gar nicht zu den Schäden der Baubeschäftigten beigetragen. Das Gericht erkannte daher keine hinreichende Verbundenheit zwischen den Herstellerunternehmen und befand Art. 719 Abs. 1 S. 2 ZG in diesem Fall für nicht einschlägig. Ein Fall von Alternativtäterschaft lag nach dem Gesagten eindeutig nicht vor. Gleichwohl stößt das Urteil teilweise in diesem Punkt auf Kritik, da es keine Ausführungen zur Rechtsfigur der „schwachen Verbundenheit“ macht. Diese war zu Art. 719 Abs. 1 S. 2 ZG durch Urteile unterer Instanzen in Luftverschmutzungsfällen entwickelt worden und würde zur Umkehr der Beweislast zugunsten der Kläger führen.98 96 Vgl. YOSHIMURA (Fn. 95) 234. 97 Für die Theorien zur gemeinschaftlichen unerlaubten Handlung gemäß Art. 719 Abs. 1 ZG vgl. in westlichen Sprachen L. NOTTAGE, § 12 Deliktsrecht und Produkthaftung, in: Baum / Bälz (Fn. 22) Rn. 14 ff.; H. ODA, Japanese Law (3rd ed. Oxford 2009) 196 f. 98 MATSUMOTO (Fn. 92) 4; YOSHIMURA (Fn. 90) 31 f. 140 MORITZ BÄLZ / HIROKI KAWAMURA ZJAPANR / J.JAPAN.L Dagegen würde die Parallelvorschrift des deutschen Rechts in § 830 Abs. 1 BGB in einem vergleichbaren Fall, jedenfalls wenn man die vorherrschende Ansicht zugrunde legt, auch keinen Anspruch begründen können: Für eine Mittäterschaft im Sinne des Abs. 1 S. 1 wäre ein gemeinsamer Tatvorsatz erforderlich. Alternativtäterschaft im Sinne des Abs. 1 S. 2 würde erfordern, dass der konkrete Schaden eines Klägers mit Gewissheit von einem der Beklagten verursacht worden sein müsste. Zwar hielt das DG Tokyo auf Seiten der Kläger keinen Schadenersatzanspruch gegen die beklagten Unternehmen für gegeben. Jedoch stellte es auf Seiten der Hersteller asbesthaltiger Baumaterialien eine fahrlässige Pflichtverletzung fest. Darüber hinaus erwähnte das Gericht hinsichtlich der Haftung der Herstellerunternehmen im Besonderen, dass der Beitrag ihrer Produkte zur Asbestbelastung der erkrankten Baubeschäftigten kaum abzustreiten sei. Es sei folglich bedenklich, auf Seiten der Herstellerunternehmen jegliche Haftung auszuschließen. Diese Feststellung ist für die Kläger angesichts ihres übergeordneten Ziels, das sie mit allen vergleichbaren Geschädigten teilen, von großer Bedeutung: Damit Betroffenen vollständige Kompensation für asbestbedingte Gesundheitsschäden auch ohne Gerichtsurteil offen steht, fordern sie die Gründung eines Hilfsfonds, der durch den Staat, Bauunternehmen und (ehemalige) Hersteller sowie Importeure asbesthaltiger Produkte nach dem Verursacherprinzip99 finanziert werden soll.100 So könnte die Entscheidung des DG Tokyo nicht nur die Notwendigkeit einer politischen Lösung vor Augen geführt, sondern diese auch ein Stück näher gebracht haben. 99 Das Gesetz über Kompensation etc. von Gesundheitsschäden durch Umweltverschmutzung, Kōgai kenkō higai no hoshō tō ni kansuru hōritsu, Gesetz Nr. 111/1973, zuletzt geändert durch Ges. Nr. 44/2013, begründet einen solchen Hilfsfond nach dem Verursacherprinzip. Dagegen organisiert das Asbesthilfegesetz den auf ihm gründenden Fond weitgehend unabhängig von zivilrechtlichen und staatshaftungsrechtlichen Verantwortlichkeiten. Vgl. M. YOKEMOTO, Asubesto kenkō higai no hosho, kyūsai to hiyō futan [Gesundheitsschäden durch Asbest: Kompensation, Hilfe und Kostentragung], Tokyo Keidai Gakkai-shi Nr. 267 (2010) 156 ff. 100 Vgl. die Stellungnahme der Prozessvertreter der Kläger im vorliegenden Verfahren, Kyūsai kikin kōsō kosshi [Das Wichtigste zum Hilfsfond] [Online unter: http://shutoken.kensetuasbestos.jp/topics-2 (letzter Zugriff: 04.11.13)]. Die Forderungen der Kläger richten sich neben dem Ersatz für ihre gesundheitlichen Schäden u. a. auf eine Entschuldigung seitens des Staates und der Hersteller, eine Änderung des Asbesthilfegesetzes zur vollständigen Entschädigung aller Betroffener sowie die Prävention zukünftiger Schädigungen (Vgl. KENSETSU ASUBESTO KANAGAWA BENGO-DAN [Anwaltgruppe Bauasbest Kanagawa], Kaiketsu ni mukete (In Bemühung um eine Lösung) [Online unter: http://kanagawa.kensetuasbestos.jp/resolve (letzter Zugriff: 04.11.13)]). Vgl. YOSHIMURA (Fn. 90) 25 ff. Nr. / No. 36 (2013) STAATSHAFTUNG FÜR ASBESTSCHÄDEN 141 ZUSAMMENFASSUNG Der Beitrag behandelt eine Entscheidung des Distriktgerichts Tokyo vom 5. Dezember 2012 in einem vielbeachteten Asbesthaftungsfall. Ehemalige Baubeschäftigte hatten sowohl vom japanischen Staat als auch von verschiedenen Unternehmen der Asbestindustrie Schadenersatz für Krankheiten verlangt, welche sie auf Asbestexpositionen während diverser Bauprojekte zurückführten. Das Gericht gab der Staatshaftungsklage teilweise statt, da das Arbeitsministerium es rechtswidrig unterlassen habe, seine Regelungskompetenz im Bereich des Arbeitsschutzes angemessen wahrzunehmen. Dagegen wies das Gericht die Klage gegen die Unternehmen ab, da die Voraussetzungen einer gemeinschaftlich begangenen unerlaubten Handlung nicht bewiesen seien. Der Beitrag stellt zunächst den Hintergrund der Entscheidung dar, skizziert sodann die Kernpunkte der Entscheidung und schließt mit einigen kritischen Anmerkungen. SUMMARY This contribution discusses the decision rendered by the Tokyo District Court on 5 December 2012 in a widely published asbestos liability case. The plaintiffs had sought damages both from the Japanese State as well as from several enterprises from the asbestos industry for diseases suffered due to their asbestos exposure on various construction sites. The Tokyo District Court held the Japanese State partly liable as a result of the failure of the Ministry of Health, Labour and Welfare to implement appropriate safety regulations. By contrast, the Court found that liability of the enterprises could not be established. The contribution starts with outlining the background of the case, then summarizes the main findings of the Court and closes by giving a critical assessment.