Natascha Sadr Haghighian
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Natascha Sadr Haghighian
Natascha Sadr Haghighian S eda N aiumad der westen leuchtet the luminous west ein mann sitzt an einem tisch. es ist abend. er öffnet einen rasierapparat und holt aus dem inneren einige mikrofiches heraus. das radio spielt die deutschlandhymne. das zeichen für sendeschluss auf der radiostation. er dreht an der frequenz bis eine frauenstimme zu hören ist, die monoton zahlenfolgen aufsagt. er notiert die zahlenfolgen auf einem zettel und vergleicht sie mit denen des mikrofiches. danach verbrennt er den zettel. eine agentengeschichte aus den achziger jahren. damals gehörte die unterscheidung west-ost zum vokabular des kalten krieges. es gab west-berlin und west-fernsehen, welches man durch den eisernen vorhang auch im osten sehen konnte. und es wurde durchnummeriert: der westen war die erste welt, der osten die zweite und der ganze rest die dritte. lustigerweise gehörte japan auch zur ersten welt. der westen hatte also nicht unbedingt etwas mit himmelsrichtungen zu tun, sondern eher mit der nato. aber dann fiel plötzlich der osten weg. also nicht als himmelsrichtung, aber als welt und plötzlich musste man ohne zwei bis drei zählen. ich selbst bin im westen geboren, mein vater kommt aus dem osten. aus dem mittleren osten. von dort leuchtete der westen mit fortschritt durch technik. in teheran stammen die schneeräumfahrzeuge aus deutschland. bei schneefall werden die straßen ordnungsgemäß und zuverlässig geräumt, weniger erwartet man nicht aus deutschland. in berlin türmen sich dafür die schnee- und eisberge mit der hundekacke um die wette. der iranische besuch wundert sich: das ist deutschland? der westen leuchtet ein bisschen weniger. ich erkläre ihm, dass man dafür den sozialstaat geräumt hätte und es jetzt in deutschland offiziell oben und unten gibt. in einer zeit, als das abendland noch da war, wo die sonne untergeht und durch seinen unterschied zum morgenland zu glänzen suchte, gab es eine demonstration in einem düsseldorfer kaufhaus. „leben mit pop, eine demonstration für den kapitalistischen realismus”. man setzte sich unter die lampen der möbelabteilung und blendete die realität der ware mit sich selbst. damit war der westliche realismus gemeint im gegensatz zum sozialistischen realismus des ostens. die ironie eines sit-ins in einer warenlandschaft hat damals noch funktioniert. so wie damals noch klar war, wo der westen aufhört und der osten anfängt. und der warenwelt konnte man entkommen, indem man das kaufhaus verließ. inzwischen hat sich der westen den osten einverleibt und das warenhaus hat keinen ausgang mehr, nur noch ein foyer. die demonstranten für den kapitalistischen realismus sitzen nun ratlos in diesem windigen foyer und versuchen, subtile entscheidungen zu treffen. was natürlich schwerlich gelingt, wegen der zugigkeit. nein, heute haben andere die ironie gepachtet. man lädt sie sich ein, die ironie, trinkt dazu sekt und feiert den standortfaktor. die demonstranten im foyer wissen nicht, ob sie rein oder raus sollen. und raus wohin? dann doch lieber mitfeiern, auch wenn man nicht weiß, was es eigentlich zu feiern gibt. irgendwann ist sonst vielleicht der sekt alle. so ist die ironie heute im museum gelandet und wird vom wachschutz bewacht. das hat mit dem standortfaktor zu tun. die beraterfirmen haben festgestellt, dass leuchten nur dann lohnt, wenn man damit den standort bescheinen kann. also dem standort ein leuchten bescheinigen. und das muss beschützt werden. es geht um was. standorte müssen heute beleuchtet werden, weil sie bedroht sind, im westen wie im osten. vor allem seit der westen gefahr läuft, der neue osten zu werden. a man sits at a table. it is evening. he opens an electric shaver and extracts some microfiches from the inside. the german national anthem is playing on the radio. the sign for the end of broadcast. he adjusts the frequency until a woman’s voice can be heard, reciting a sequence of numbers in a monotone. he notes the sequence of numbers on a slip of paper and compares it with the sequence on the microfiches. afterwards he burns the paper. a secret agent story from the eighties. back then, the eastwest distinction was part of the vocabulary of the cold war. there was west berlin and west tv, which one could also watch in the east, through the iron curtain. and things were numbered consecutively: the west was the first world, the east was the second, and everything else was the third. oddly enough, japan also belonged to the first world. so the west didn’t necessarily have anything to do with cardinal points, but rather with nato. but then suddenly the east ceased to exist. and not as cardinal point but as world and suddenly one had to count to three without two. i myself was born in the west, my father comes from the east. from the middle east. from there, the west glowed with progress through technology. the snow plow vehicles in tehran are made in germany. when snow falls, the streets are cleared with orderliness and reliability. one would not expect any less from germany. but in berlin you can bet that mountains of snow and ice compete with dog poop piled up everywhere. the visitor from iran is astonished: this is germany? the west glows a bit less. i explain to him that the welfare state has been plowed away instead and that now in germany there is officially upper and lower. in a time when the occident was still there, where the sun sets, and sought to shine through its difference to the orient, there was a demonstration in a department store in düsseldorf. ‘life with pop, a demonstration for capitalistic realism’. people sat down under the lamps in the furniture department and outshone the reality of merchandise with their own selves. they meant western realism, as opposed to the social realism of the east. the irony of a sit-in in a consumer landscape could still function then. the same way that back then it was still clear where the west stops and where the east starts. and you could escape the world of consumer goods by leaving the department store. in the meantime the west has absorbed the east and there’s no way out of the department store anymore, only a foyer. now the demonstrators for capitalistic realism sit perplexed in this drafty foyer and try to make subtle decisions. which is of course hard to achieve because of the draftiness. no, these days others lay claim to irony. people invite irony over, drink some champagne, and celebrate the locational advantage factor. the demonstrators in the foyer don’t know whether they should go inside or get out. and after getting out, go where? better indeed to stay and join the celebration, even if you don’t know what there actually is to celebrate. otherwise, the champagne will maybe run out at some point. thus lands irony today in the museum, guarded by security personnel. it has to do with the locational advantage factor. the consultation firms have determined that glowing is only worth it when the location is thereby illuminated. ergo when the location’s glow gets certified. and this has to be protected. something is at stake here. today locations have to be illuminated because they are endangered, as much in the west as in the east. above all since the west runs the risk of becoming the east. illumination is done today primarily with art. everyone agrees about this. not only the consultation firms. and not only 226 Früchte der Arbeit (Installationsansicht), 2008 227 S eda N aiumad leuchten tut man heute vor allem mit kunst. da sind sich alle einig. nicht nur die beraterfirmen. und nicht nur, weil es sonst fast nichts mehr gibt außer kunst. also arbeit oder ausbildung oder straßenreinigung zum beispiel. nein, kunst leuchtet besser und man kann sie sich einladen. mithilfe von billigfluggesellschaften oder lidl-bahntickets werden dann besucher an den standort geholt, um sich das leuchten anzusehen und der standort kann gerettet werden. was passiert dabei mit dem leuchten, mag man sich fragen. funktioniert das nach dem prinzip der lampe aus der möbelabteilung? ein-aus, aus-ein. oder ist das immanent in der kunst drin und scheint tag und nacht so vor sich hin, ganz von allein? beides hätte seine vorteile. das eine scheint ökonomischer, stromsparender. das letztere mutet dafür geheimnisvoller an und hat den vorteil, dass der wachschutz auch nachts nicht drüber stolpert. aber vielleicht verschwindet das leuchten ja auch. vielleicht verschwindet ja sogar die kunst selbst irgendwann plötzlich, wie dereinst der osten. dann wird ohne sie weitergezählt. eins, drei, der letzte macht das licht aus. because almost nothing else exists except art. i.e. work or education or street cleaning for example. no, art glows better and you can invite art over. with the help of discount airlines, or lidl train tickets, visitors are brought to the location so they can gaze at the glow and the location can be rescued. what happens to the glow in the process, one might ask. does it function according to the principle of the lamp from the furniture department? on-off, off-on. or is it immanent in art, glowing its little heart out, day in, day out, all by itself. both modes would have their advantages. the one seems more economical, saving electricity. the latter appears instead to be more mysterious and has the advantage of preventing the security personnel from tripping over it at night. but perhaps the glow will disappear. maybe even art itself will suddenly disappear at some point, like the east, one day. then the counting will go on without it. one, two, the last one to leave turns out the light. References: – Der Westen Leuchtet, feature film 103 min., Federal Republic of Germany 1982. Direction: Nikolaus Schilling, with Armin Mueller-Stahl, Beatrice Kessler, Harry Baer, et al. – Richter, Gerhard and Lueg, Konrad, Leben mit Pop. Eine Demonstration für den Kapitalistischen Realismus, 1963. Verweise: – Der Westen Leuchtet, Spielfilm 103 min, Bundesrepublik Deutschland 1982, Regie: Nikolaus Schilling, mit Armin Mueller-Stahl, Beatrice Kessler, Harry Baer u. a. – Richter, Gerhard; Lueg, Konrad, Leben mit Pop. Eine Demonstration für den Kapitalistischen Realismus, 1963 228 Früchte der Arbeit (geschreddertes Geld), 2008 229 I can’t work like this, 2007 I can’t work like this (Detail), 2007 232