Internetrecht - Zentrum für Angewandte Rechtswissenschaft (ZAR)

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Internetrecht - Zentrum für Angewandte Rechtswissenschaft (ZAR)
Erstellt von Georg Nolte, zuletzt geändert am 20.11.06 um 12:52 von Anne van Raay
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- InternetrechtVorlesung von
Prof. Dr. Thomas Dreier, M.C.J.
- vorläufiges Skript (Stand Oktober 2006) -
An den Universitäten
Freiburg und Karlsruhe
Wintersemester 2006/2007
Erstellt von Georg Nolte, zuletzt geändert am 20.11.06 um 12:52
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Vorbemerkung:
Dieses Skript wurde im Rahmen der Veranstaltung Internetrecht an den Universitäten Freiburg und Karlsruhe erstellt und wird nur turnusmäßig zum Wintersemester aktualisiert. Aus dem Hauptverwendungszweck des Skripts als unterrichtsbegleitendes Material ergibt sich die Notwendigkeit einer Auswahl der behandelten Schwerpunkte sowie der Rechtsprechungsbeispiele; diese unterliegt
subjektiven Erwägungen und erhebt naturgemäß keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.
Inhalt
I.
Einführung...................................................................................................................7
II.
Domain- und Kennzeichenrecht ............................................................................... 11
A. Aufbau und Funktion von Domains.....................................................................................13
B. Vergabe- und Registrierung von Domains ...........................................................................15
C. Domaininhaberschaft als Eigentumsrecht? ............................................................................18
D. Verletzung von Kennzeichenrechten nach dem Markengesetz........................................18
1. Kennzeichenrechtliche Benutzung im geschäftlichen Verkehr...............................21
2. Verwechslungsgefahr .....................................................................................................22
3. Rufausbeutung und Verwässerungsgefahr..................................................................25
E. Verletzung von Namensrechten ............................................................................................27
1. Namensrechtsverletzungen gegenüber Gebietskörperschaften ..............................31
2. Gleichnamigkeit mit berühmten Unternehmen.........................................................32
F. Verwendung von Gattungsbegriffen ......................................................................................34
G. Rechtsfolgen bei Verletzung fremder Kennzeichenrechte .................................................38
H. Pfändung von Domains...........................................................................................................39
I. Sonstige kennzeichnungsrechtliche Besonderheiten im Internet.......................................40
1. Hyperlinks .......................................................................................................................41
2
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2. Meta-Tags ........................................................................................................................41
J. Kollisionsrechtliche Fragen ........................................................................................................42
1. Markenrecht.......................................................................................................................43
2. Allgemeines Namensrecht...............................................................................................43
3. Wettbewerbsrecht.............................................................................................................44
III.
Urheberrecht............................................................................................................44
A. Das Rechtsgebiet des Urheberrechts - Ein kurzer Überblick..............................................46
1. Begriff.................................................................................................................................46
2. Einzelheiten.......................................................................................................................47
B. Urheberrecht in der Informationsgesellschaft........................................................................50
1. Die Urheberrechtsrichtlinie für die Informationsgesellschaft ..................................54
a.
b.
c.
d.
e.
f.
g.
Vervielfältigungsrecht, Art. 2.................................................................................. 54
Recht der öffentlichen Wiedergabe und Recht der Zugänglichmachung, Art. 3 .... 55
Verbreitungsrecht, Art. 4 ......................................................................................... 56
Ausnahmen und Schranken, Art. 5.......................................................................... 56
Technische Schutzmaßnahmen, Art. 6 .................................................................... 57
Schutz von Informationen für die Rechtewahrnehmung, Art. 7 .............................. 59
Bewertung ............................................................................................................... 59
2. Das Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft.....61
a. Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§§ 15 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, 19a) ........ 61
b. Vervielfältigungsrecht (§ 16 Abs. 1)........................................................................ 63
c. Änderung der Schrankenbestimmungen (§§ 44a ff.) ............................................... 64
§ 53 (Vervielfältigungen zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch)
............................................................................................................................64
d. Änderungen der Vorschriften über den Schutz von Computerprogrammen (§§ 69a
Abs. 5, 69c Nr. 4) ......................................................................................................... 65
e. Rechtsschutz gegen die Umgehung technischer Schutzmaßnahmen (§§ 95a ff.,
108b, 111a)................................................................................................................... 66
aa) Schutz technischer Maßnahmen (§ 95a) ................................................66
bb) Durchsetzung von Schrankenbestimmungen ......................................67
cc) Schutz der zur Rechtewahrnehmung erforderlichen Informationen (§
95c) ....................................................................................................................67
dd) Kennzeichnungspflichten (§ 95d) ..........................................................67
d) Sanktionen (§§ 108b, 111a)...................................................................68
3. Weitergehende Reformpläne (sog. „Zweiter Korb“) ..................................................69
a. Motivation ................................................................................................................ 69
b. Der Regierungsentwurf des BMJ ............................................................................. 70
aa) elektronische Leseplätze (§ 52b RegE) ..................................................70
bb) Privatkopie, § 53 .......................................................................................70
cc) Kopienversand, § 53 a RegE ...................................................................71
dd) Vergütungsregelungen, § 54 ff RegE.....................................................72
ee) Keine Regelung zum elektronischen Pressespiegel..............................72
3
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ff) Kein Auskunftsanspruch gegen Provider...............................................73
4. Sonstiges.............................................................................................................................73
a. Das Internet als „unbekannte Nutzungsart“ .......................................................... 73
b.
Ein eigenes Schutzrecht: Schutz des Datenbankherstellers, §§ 87a ff
UrhG
75
aa) Einleitung ...................................................................................................75
bb) Schutzgegenstand .....................................................................................75
cc) Rechte des Datenbankherstellers ............................................................76
dd) Schranken ..................................................................................................77
ee) Dauer...........................................................................................................78
c. Webdesign, Thumbnails & Open Source – aktuelle urheberrechtliche Fragen im
Netz .............................................................................................................................. 78
aa) Webdesign ..................................................................................................78
bb) Thumbnails................................................................................................79
cc) OSS-Lizenzen ............................................................................................80
C. Kurze Einführung: Internationale Bezüge des Urheberrechts ............................................82
IV.
Zivilrechtliche Grundlagen des E- Commerce..........................................................84
A. Der Vertragsschluss im Internet ............................................................................................87
1. Die elektronische Willenserklärung .............................................................................88
2. Websiteangebot als „invitatio ad offerendum“..........................................................88
3. Zugang von elektronischen Willenserklärungen........................................................90
4. Anfechtbarkeit von elektronischen Willenserklärungen...........................................91
a.) Eingabefehler ........................................................................................................ 91
b.) Übermittlungsfehler .............................................................................................. 92
c.) Systemfehler.......................................................................................................... 92
d.) Spezialfall: Auto- Reply- Erklärungen nach § 312e Abs. 1 Nr. 3 BGB ................. 92
5. Formerfordernisse..........................................................................................................94
B. Die elektronische Signatur ......................................................................................................96
C. Verbraucherschutz im E-Commerce...................................................................................100
1. Die Regelungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen .....................................101
a.) Ausdrücklicher Hinweis....................................................................................... 101
b.) Zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme ....................................................... 102
2. Das ehemalige Verbraucherkreditgesetz ...................................................................103
3. Fernabsatzgesetz...........................................................................................................104
a.) Anwendungsbereich ............................................................................................. 104
b.) Informationspflichten........................................................................................... 106
c.) Widerrufs- und Rückgaberechte .......................................................................... 107
4. Sonderthema: Online-Auktionen .................................................................................108
V. Internetspezifische Vertragsarten ...............................................................................112
A. Access-Provider-Verträge .....................................................................................................112
4
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B. Host-Provider-Verträge (Presence Providing) ...................................................................115
C. Webdesign-Verträge...............................................................................................................116
D. E-Mail-Account-Verträge.....................................................................................................116
E. Domainregistrierungs-Verträge............................................................................................117
F. ASP- Verträge (Application- Service- Providing) ..............................................................118
G. Datenbankrecherche und Informationserwerb .................................................................121
VI.
Wettbewerbsrecht .................................................................................................... 123
A. Lauterkeitsrecht ......................................................................................................................125
1.
Überblick über das neue UWG...................................................................126
2. Die neue Generalklausel: § 3 UWG nF......................................................................127
a. Die Wettbewerbshandlung ..................................................................................... 127
aa. Unternehmens- und marktbezogene Handlung..................................128
bb. Handlung zu Absatzförderungszwecken.............................................129
b. Unlauterkeit ............................................................................................................ 130
c. Eignung zur nicht nur unerheblichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs zum
Nachteil der Mitbewerber, Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer................. 130
d. Subjektive Anforderungen ..................................................................................... 131
3. Einzelne Fallgruppen .....................................................................................................132
a. Kundenfang ........................................................................................................... 132
b. Behinderung ........................................................................................................... 133
c. Ausbeutung............................................................................................................ 133
d. Rechtsbruch ........................................................................................................... 135
e. Marktstörung ......................................................................................................... 135
4. Das Schicksal der „kleinen“ Generalklausel, § 3 UWG aF ......................................135
5. Spezifische Anwendungsfälle des Lauterkeitsrechts im Internet ...........................137
a. Gestaltung des Internetauftritts ........................................................................... 137
aa. Metatags ....................................................................................................138
b.
Werbung ........................................................................................... 142
aa. E-Mail-Werbung....................................................................................142
bb. Trennungsgebot.....................................................................................148
c. Einzelne Vertriebsmodelle ..................................................................................... 150
aa. Internet-Auktionen ...............................................................................150
bb. „Reverse Auctions“..............................................................................154
cc. Powershopping......................................................................................156
d. Freie Berufe im Internet ......................................................................................... 158
aa. Internet-Apotheken.................................................................................158
bb. Anwaltliche Dienstleistungen über das Internet ...............................161
6. Zu den Rechtsfolgen im UWG ....................................................................................162
B. Kartellrecht..............................................................................................................................164
1. Covisint ...........................................................................................................................166
2. AOL/Time Warner......................................................................................................166
5
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3. Microsoft und Deutsche Telekom..............................................................................167
4. Ausschluss reiner Internethändler................................................................................170
5. «Essential Facilities» ......................................................................................................170
VII.
Haftung im Internet .............................................................................................. 173
A. Anwendbarkeit deutschen Rechts .......................................................................................177
1. Die Auschwitzlüge.........................................................................................................179
2. Yahoo Inc. vs. La Ligue Contre le Racisme et l'Antisémitisme...............................180
B. Haftungsregeln nach TDG und MDStV ............................................................................181
1. CompuServe...................................................................................................................183
2. Midi-Files ........................................................................................................................184
3. Zugangsvermittlung zum Meinungsmarkt.................................................................186
4. Online-Auktionshäuser..................................................................................................187
5. Auskunftsansprüche gegen Internetprovider .............................................................189
C. Haftung für Hyperlinks .........................................................................................................190
D. Haftung für Suchmaschinenbetreiber..................................................................................194
E. Haftung für Meinungsforen und Weblogs............................................................................195
6
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I.
Einführung
Allgemeine Literatur:
Michel, Konvergenz der Medien, MMR 2005, 284; Vassilaki/Wiebe, Wir brauchen eine europäische Informationspolitik!,
MMR 2005, 493
A. Zu den Begriffen Internetrecht und Rechtsinformatik
Die Grenzen zwischen den einzelnen Rechtsgebieten im IT (= information technology) - Bereich sind fließend, Schwerpunkte und Abgrenzungen müssen entsprechend der technischen
Entwicklungen immer wieder überdacht werden. Die Rechtsinformatik umfasste in einem
engen Begriff zunächst nur den Einsatz digitaler Datenverarbeitung im Rahmen der Rechtsanwendung und Rechtsfindung. Hierher gehören die ersten Versuche einer Strukturierung
juristischer Subsumtions- und Entscheidungsfindungsprozesse mit dem Ziel der Konstruktion
eines „Richterautomaten“, denen angesichts der in den 70er Jahren noch vergleichsweise begrenzten Rechenleistung und Speicherkapazitäten allgemein zugänglicher Computer seinerzeit freilich kaum Erfolg beschieden sein konnte. Heute herrscht ein wesentlich weiteres Verständnis der Rechtsinformatik vor, das ihr über den Einsatz der informationsverarbeitenden
Technik im Recht hinaus auch die Untersuchung derjenigen Rechtsfragen zuordnet, welche
durch den Einsatz dieser Technik aufgeworfen werden. Die rechtlichen Fragestellungen, welche die Rechtsinformatik aufgegriffen hat, firmierten parallel zur technischen Entwicklung
bzw. zu deren jeweiliger gesellschaftlicher Implementierung zunächst unter Computerrecht
(das inzwischen in der Praxis weitgehend mit Computervertragsrecht gleichgesetzt wird),
dann unter Multimediarecht und schließlich unter der Bezeichnung Internetrecht.. Mit den
über den Technikbezug hinausgehenden, generellen Fragen nach der Zuordnung von und der
Herrschaft über Informationen beschäftigt sich dagegen das Informationsrecht, das daher
mit der Rechtsinformatik nur insoweit deckungsgleich ist, als es um die oben genannten
Rechtsfragen bezüglich des Einsatzes der informationsverarbeitenden Technik geht.
B. Das Internet
7
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Das Internet als weltweites „Netzwerk der Netzwerke“ verknüpft über 10.000 nationale, regionale und lokale Netze, die ihrerseits unzählige einzelne Host-Rechner miteinander verbinden. Dem Datenaustausch liegt ein einheitliches Protokollsystem, abgekürzt TCP/IP für
„Transport Control Protocol“ (Auf- und Abbau der Datenverbindungen, Gewährleistung
vollständiger Übertragung) und „Internet Protocol“ (Organisation und Adressierung im
Netz), zugrunde.1 Entwickelt wurde es aus einem Datenvermittlungssystem des amerikanischen Verteidigungsministeriums, dem ArpaNet. Der wichtigste Internetdienst ist das World
Wide Web (www), ursprünglich entwickelt am Europäischen Zentrum für Hochenergiephysik
in Genf als international zugängliches wissenschaftliches Austauschforum. Zu dieser Nutzungsfunktion des reinen Informationsaustausches insbesondere im wissenschaftlichen Diskurs sind inzwischen noch einige andere hinzugekommen: Neben dem mailing als neuartiger
Kommunikationsform hat das Internet das E-Business hervorgebracht, das inzwischen von
immenser wirtschaftlicher Bedeutung ist. Unterschieden werden dabei die B2B- (business-tobusiness-), B2C- (business-to-consumer-) und P2P- (peer-to-peer) Geschäfte, je nachdem, ob
es sich um Transaktionen der Geschäftswelt, Verbrauchergeschäfte oder Verträge von Nutzer
zu Nutzer handelt.
Mit der fortschreitenden Digitalisierung und globalen Vernetzung einher geht der Wandel von
der Industrie- zur Informationsgesellschaft, teils als lineare Fortentwicklung, zumeist aber als
Umbruch betrachtet: Industrielle Produktion und materieller Besitz werden als Kurbeln der
technischen und wirtschaftlichen Entwicklung abgelöst von Information und dem Zugang zu
Informationen. Durch Datenkompression und immer leistungsfähigere Datenübertragungstechnologien werden Geschwindigkeit und Qualität der Informationsübermittlung dabei immer noch gesteigert.
C. Rechtsgebiete
Die schier unendlichen technischen Möglichkeiten des Internets führen zu erheblichem rechtlichen Regelungsbedarf, das Bild vom Internet als anarchistischer, rechtsfreier Raum ließ sich
angesichts der vielen aufgeworfenen Fragen und auftretenden Interessenkollisionen nicht lange halten. Gerade aber wegen der Vielseitigkeit der tatsächlichen, sachlichen und rechtlichen
Bezüge dieser Fragen führte dies nicht zur Schaffung eines „Internetrechts“ als eigener Materie. Vielmehr wird grundsätzlich auf bereits bestehende Rechtsgebiete und deren Begriffe
zurückgegriffen; die Rechtsinformatik ist damit Querschnittsmaterie. Eine wichtige Rolle
1
Kloepfer, Informationsrecht, § 1 Rn. 9 f.
8
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spielen hier insbesondere das Marken- und Namensrecht (Domains), das Urheberrecht
(Stichwort file sharing, MP3, digitale Vervielfältigung und Verbreitung von urheberrechtlich
geschützten Werken), das Vertrags- und im Besonderen das Verbraucherrecht aus dem BGB
(E-Commerce, Internet-Auktionen, E-Mail-Accountverträge), das Lauterkeitsrecht (Domains,
SPAM, anwaltliche Dienstleistungen im Internet, Internetapotheken), das Kartellrecht (Probleme durch marktbeherrschende Anbieter bspw. von Software und Zugangsmitteln) sowie
natürlich das Datenschutzrecht als Ausfluss einer der Grundfragen der Informationsgesellschaft. Schließlich ergeben sich haftungs- und strafrechtliche sowie verfahrensrechtliche
Probleme, letztere sowohl hinsichtlich der tatsächlichen Rechtsdurchsetzbarkeit als auch hinsichtlich kollisionsrechtlicher Fragen.
D. Regelungswerke auf nationaler und europäischer Ebene2
Neben der Anwendung bestehender Rechtsnormen wurde auf nationaler wie auf europäischer
Ebene aber auch die Notwendigkeit erkannt, in einigen Bereichen einen den neuen Techniken
angepassten Rechtsrahmen zu schaffen. Prominente Beispiele waren dafür zunächst die sog.
Fernabsatzrichtlinie3, die Signatur-Richtlinie4 und die E-Commerce-Richtlinie5. Hinsichtlich
der Nutzungsmöglichkeiten der elektronischen Dienste wurden außerdem in Deutschland das
Teledienstegesetz (TDG)6 und das Teledienstedatenschutzgesetz (TDDSG)7 geschaffen; eine
Zusammenlegung der Normen des Teledienste- mit denen des Mediendiensterechts durch ein
„Telemediengesetz“ ist angedacht, allerdings in der 15. Legislaturperiode nicht mehr verwirklicht worden. Zur Regelung elektronischer Signaturen entstand schließlich das Signaturgesetz
(SigG)8. Es folgten auf europäischer Ebene die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kom-
2
Einen umfassendere Aufzählung als hier angezeigt findet sich in der NJW-Reihe „Die Entwicklung des Internetrechts“ von Hoffmann, NJW 2001, Beilage zu Heft 14; NJW 2003, 2576; NJW 2004, 2569 f.
3 Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei
Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, AblEG Nr. L 144, S. 19.
4 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Rahmenbedingungen für elektronische
Signaturen vom 13.12.1999, AblEG Nr. L 13, S. 12 = NJW 2000, Beilage zu Heft 36, S. 13.
5 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.6.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt
(„Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABlGEG Nr. L 178/1 v. 17.7.2000.
6 Gesetz über die Nutzung von Telediensten, Art. 1 des Gesetzes zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste (Informations- und Kommunikationsdienstegesetz-IuKDG) vom 22.7.1997,
BGBl I, S. 1870
7 Gesetz über den Datenschutz bei Telediensten, Art. 2 IuKDG.
8 Gesetz zur digitalen Signatur, Art. 3 IuKDG.
9
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munikation9 und eine Richtlinie für den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher10. Die Datenschutzrichtlinie sowie das EU-Richtlinienpaket vom 7.3.2002 für elektronische Kommunikationsdienste wurden in Deutschland im Rahmen der jüngst in Kraft getretenen Neufassung des Telekommunikationsgesetzes11 umgesetzt. Bereits im Jahre 2001 war die
Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten
Schutzrechte in der Informationsgesellschaft erlassen worden12, die mit dem am 13.9.2003 in
Kraft getretenen Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft umgesetzt wurde. Ein „zweiter Korb“ dieser Reform lag als Referentenentwurf13 vor. Durch die
verkürzte Legislaturperiode ist das Vorhaben seit September 2005 aber zunächst vom Tisch
und das Schicksal des „Zweiten Korbes“ damit ungewiss.14 Im Zuge der Neufassung des
UWG15 schließlich wurde insbesondere die Zulässigkeit von E-Mail-Werbung geregelt, § 7
II, III iVm § 3 UWG n.F.
9
Richtlinie 2002/58/EG v. 12.7.2002, AblEG Nr. L 201 v. 31.7.2002, S. 37.
Richtlinie 2002/65/EG, AblEG Nr. L 271 v. 9.10.2002, S. 16.
11 Telekommunikationsgesetz (TKG) v. 22.6.2004, BGBl I, 1190, in kraft getreten am 26.6.2004.
12 Richtlinie 2001/29/EG v. 22.5.2001, AblEG Nr. L 167 v. 22.6.2001, S. 10; s. dazu ausführlich unten.
13 S. unter http://snipurl.com/9k8k
14 s. dazu den Kommentar von Hoeren, MMR 2005, 341.
15 Gesetz zur Reform des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) v. 16.6.2004; endgültige Fassung BTDrucks. 15/2795.
10
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II.
Domain- und Kennzeichenrecht
Literatur:
Anderl, Die Domain-Streitschlichtung für .at, MMR 2003, 374; Bettinger, Online-Schiedsgerichte für Domainstreitigkeiten, WRP 2000, S. 1109; Bettinger/Freytag, Verantwortlickeit der DENIC e.G. für rechtswidrige Domains?, CR
1999, S. 28; Bottenschein, Namensschutz bei Streitigkeiten um Internet-Domains, MMR 2001, S. 286; Bröcher, Domainnamen und das Prioritätsprinzip im Kennzeichenrecht, MMR 2005, 203; Deichsel, Markentechnische Beobachtung zum Markenschutz, GRUR 1998, S. 336; Dittrich, Rechtsprechungsübersicht zur Frage der Verwendbarkeit von
Gattungsbegriffen als DomainJurPC Web-Dok. 160/2001 (www.jurpc.de/aufsatz/20010160.htm); Ernst, Internetadressen – Der Stand der Rechtsprechung, MMR 2001, S. 368; Fezer, Die Kennzeichenfunktion von Domainnamen, WRP
2000, S. 669; Härting, Von Heidelberg nach Soco in „de“ und anderen Welten, CR 2005, 753; Härting/Reinholz,
Domainrecht- eine Bilanz der Rechtsprechung aus den Jahren 2003/2004, K&R 2004, 460; dies., Domainrecht- eine
Bilanz der Rechtsprechung aus den Jahren 2002/2003, K&R 2003, 485; Hanloser, Die „Domain-Pfändung“ in der
aktuellen Diskussion, CR 2001, S. 456; Heim, Zur Markenbenutzung durch Meta-Tags, CR 2005, 200; Hoeren,
WWW- Accounts nach dem Tode des Inhabers, NJW 2005, 2113; Hombrecher, Domains als Vermögenswerte –
Rechtliche Aspekte des Kaufs, der Lizenzierung, der Beleihung und der Zwangsvollstreckung, MMR 2005, 647;
Jaeger/Lenz, Die Einführung der .eu-Domains – Rechtliche Rahmenbedingungen für Registrierung und Streitigkeiten,
WRP 2005, 1234; Kazemi, Schutz von Domainnamen in den Beitrittsstaaten, MMR 2005, 577; Kazemi/Leopold, Die
Internetdomain im Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG, MMR 2004, 287; Kaufmann, Metatagging - Markenrecht
oder reformiertes UWG?, MMR 2005, 348; Koos, Die Domain als Vermögensgegenstand zwischen Sache und Immaterialgut, MMR 2004, 359; Körner, Der Schutz der Marke als absolutes Recht – insbesondere die Domain als Gegenstand markenrechtlicher Ansprüche, GRUR 2005, 33; Kunze, Zur Frage der Identität des Domainnamens mit der Marke
im STOP- Verfahren, WRP 2003, 339; Marwitz, Das System der Domainnamen, ZUM 2001, S. 398; Mietzel/Groening, Von „.se?“ zu „.se!“: Die Liberalisierung der Domainregistrierung am Beispiel Schwedens, K&R 2003,
542; Neubauer, Die neue .eu- Domain, K&R 2005, 343; Plaß, Die Zwangsvollstreckung in die Domain, WRP 2000, S.
1077; Reinholz/Härting, Umlaute und Unlaute. Was ist eigentlich eine Domain? Und wie schützt die Rechtsordnung
die Website als Wirtschaftsgut?, CR 2004, 603; Rössel, Stellvertretende Domaininhaberschaft des Providers, CR 2004,
754; Schafft, Streitigkeiten über „.eu“-Domains, GRUR 2004, 986; ders., Benutzungszwang für Internetdomains,
GRUR 2003, 664; Seifert, Das Recht der Domainnamen, 1. Aufl., Berlin 2003; Strömer, Domains in Treuhandverwaltung, K&R 2004, 384; ders., First come – first serve: Keine Regel ohne Ausnahme, K&R 2002, S. 306; Viefhues,
Wenn die Treuhand zum Pferdefuß wird, MMR 2005, 76; ders., Domain-Names – Ein kurzer Rechtsprechungsüberblick, MMR Beilage 8/2001, S. 25; ders., Gleichnamigkeit im Internet: Sind doch einige gleicher als die anderen?,
MMR 2002, S. 341; Welzel, Zwangsvollstreckung in Internet-Domains, MMR 2001, S. 131; Wübbelsmann, Domainrechtliche Probleme im Vier-Parteien-Verhältnis, K&R 2005, 484; Wüstenberg, Das Namensrecht der Domainnamen,
GRUR 2003, 109.
Nach wie vor werden eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten im Bereich des Internet um Domains geführt. Als die wirtschaftliche Bedeutung des Internet erkannt wurde, kam es zu einer
massenweisen Reservierung von Domains. Die für die Vergabe von .com- und .net-Domains
zuständige Registry VeriSign gab jüngst bekannt, dass im zweiten Quartal 2004 weltweit 4,6
Millionen Domains neu registriert wurden, damit seien nun 64, 5 Millionen Domains verge-
11
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ben, 7 % mehr als noch 2003.16 In Deutschland war bei den Neuanmeldungen gar ein Anstieg
von 18% zu verzeichnen, rund 7,9 Millionen Domains wurden hier bisher registriert. Davon
werden nach Angaben der VeriSign Deutschland 80 % privat und 20 % im Business-Bereich
genutzt.17
Oft erfolgte die Registrierung einer Domain für den eigenen Gebrauch, oft aber auch um die
Domain später an einen finanzkräftigen Interessenten, etwa den Inhaber einer identischen
Marke, zu verkaufen. Dieses Verhalten hat unter dem Schlagwort „Domain-Grabbing“ zu
zahlreichen Rechtstreitigkeiten geführt. Mangels eines eigenen Domainrechts werden zur Lösung von Streitigkeiten um die teilweise sehr wertvollen Internetadressen in erster Linie die
herkömmlichen Regeln des Kennzeichenrechts herangezogen. Auch wenn diesbezüglich mittlerweile viele Probleme durch die Literatur und Rechtssprechung geklärt wurden, bestehen
noch zahlreiche offene Fragen hinsichtlich der Einbeziehung des ‚Domainrechts’ in das Netz
der bestehenden Regeln des Kennzeichenrechts, welche auf die Besonderheiten von Internetadressen zurückzuführen sind. Eine neue Herausforderung bieten hier die neuen UmlautDomains (Beispiel „müller.de“ gg. „mueller.de“, s. dazu näher unten).
Einigkeit besteht nunmehr darüber, dass Domains trotz ihrer technischen und funktionalen
Qualität (sie sind in technischer Hinsicht mit Telefonnummern vergleichbar) grundsätzlich als
Kennzeichen im rechtlichen Sinne, wie Namen, Firmen, Marken oder Titel, angesehen und
auch geschützt werden können.18 Dies ist sachgerecht, da die Domains in der Regel von deren
Inhaber frei gewählt werden und hierzu ganz bewusst Namen, Unternehmensbezeichnungen
oder Marken verwendet werden, um so auf einen bestimmten, mit dieser Bezeichnung verknüpften Inhalt hinzuweisen. Diskutiert wurde davon unabhängig die Qualität der Domain als
Vermögensgegenstand und damit als originäres, eigenständiges absolutes Recht in Abgrenzung zum lediglich aus anderen Schutzrechten wie Marken- oder Urheberrecht abgeleiteten
Recht.19 Das BVerfG hat dazu entschieden, dass das Nutzungsrecht an der Domain durchaus
eine eigentumsfähige Position iSd Art 14 GG darstelle, allerdings eingeschränkt sei durch
marken- und kennzeichenrechtliche Unterlassungsansprüche.20 Der Schutz von Domains richtet sich somit in erster Linie an markenrechtlichen (insbes. §§ 14 und 15 MarkenG) und namensrechtlichen Kriterien (§ 12 BGB) aus. Aber auch das Wettbewerbsrecht, das Deliktsrecht
16
http://verisign.com; s. auch http://www.heise.de/newsticker/meldung/51087.
http://www.heise.de/newsticker/meldung/51046.
18 Köhler/Arndt, Recht des Internet, Rn. 32ff; Boehme-Neßler, CyberLaw, S. 92 m.w.Nachw.; LG Düsseldorf Urt. v.
4.4.1997 (epson.de), CR 1998, S. 165 (m. Anm. Weinknecht).
19 Einen Überblick über die Literaturmeinungen m. Nachw. bieten Schulze et. al., MMR 2005, Beilage 5, 25.
20 BVerfG GRUR 2005, 261 – ad-acta.de = MMR 2005, 165 m. Anm. Leopold/Kazemi.
17
12
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oder gar das Strafrecht können beim Streit um Domains einschlägig sein.
Bevor auf die kennzeichenrechtlichen Besonderheiten von Domains im einzelnen eingegangen wird, sollen zunächst einleitend Aufbau, Funktion und die Vergabe von Domains dargestellt werden.
A. Aufbau und Funktion von Domains
Alle Rechner, die mit dem Internet verbunden sind, werden durch sogenannte InternetProtokoll-Numbers (IP-Nummern) identifiziert. Die jeweilige IP-Nummer ist unbedingte
Voraussetzung dafür, dass ein Rechner im Internet identifiziert werden kann und so ein Datenaustausch über das Internet möglich wird. Die IP-Nummer, die entweder einem bestimmten Rechner oder Server statisch zugewiesen ist oder bei der Einwahl ins Netz vom Provider
dynamisch zugewiesen wird, besteht aus einer längeren Zahlenkette, die bis zu 63 Zeichen
umfassen kann.21 Da eine solche IP-Nummer nur schwer zu merken ist, werden die Zahlenkombinationen der IP-Nummer in leicht verständliche Domains übersetzt. Zwar können so
mehrere Domains einer IP-Adresse zugeordnet werden, jedoch kann umgekehrt eine Domain
leider nicht auf verschiedene IP-Adressen verweisen. Jede Domain kann daher nur einmal
vergeben werden.
Domains bestehen grundsätzlich aus mindestens zwei Komponenten, welche durch einen
Punkt getrennt werden. Die sogenannte Top-Level-Domain, wie beispielsweise .de oder .com
und die frei wählbare Second-Level-Domain, die vor dem Punkt steht und in der Regel auf
den Inhaber oder den Inhalt der jeweiligen Website hinweist. Die Second-Level-Domains
können von deren Inhaber in weitere Sub-Domains oder Third-Level-Domains aufgespaltet
werden. Hinter der Top-Level-Domain können nach einem Schrägstrich zudem noch Pfade
oder Dateinamen auf dem Server des Domaininhabers angegeben werden. Die vollständige
Internetadresse oder URL (Uniform Resource Locator) der Bibliothek des Fachbereichs Jura
an der Universität Freiburg setzt sich beispielsweise folgendermaßen zusammen:
http://www.jura.uni-freiburg.de/biblio
http:// - bezeichnet das Übertragungsprotokoll (hier: hypertext transfer protocol)
www.
- bezeichnet das jeweilige Netz an welches der jeweilige Server
ange-
schlossen ist (hier: world wide web)
21
Fezer, Die Kennzeichenfunktion von Domainnamen, WRP 2001, S. 669.
13
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.de
- Top-Level-Domain (hier: Länderkennung für Deutschland)
uni-freiburg
- Second-Level-Domain
jura.
- Sub-Domain oder Third-Level-Domain
/biblio
- Pfadname auf dem Server der juristischen Fakultät
Zu derzeit 239 länderbasierten Top-Level-Domains (sog. ccTLDs; country-code Top-LevelDomain; z.B.: .de, .uk, .fr, .nl etc.) ist die .eu-Domain hinzugekommen (aufgrund der sog.
„dot-EU-Verordnung“, EG-Verordnung Nr. 874/2004 v. 28.04.2004). Die Registrierung soll
in zwei Stufen erfolgen, in der ersten, einer „Sunrise-Period“ sollen Inhaber von Kennzeichenrechten diese bevorzugt als Domain anmelden können. Grundsätzlich ist die dot-EUKennung aber auch Privatpersonen zugänglich.22
Es bestehen außerdem folgende generischen Top-Level-Domains (gTDLs):
.com (für kommerzielle Angebote)
.net (für internetbezogene Angebote)
.org (für nichtkommerzielle Organisationen)
.int (für internationale Organisationen)
.edu (für Bildungseinrichtungen, hauptsächlich der USA)
.mil (für militärische Einrichtungen, hauptsächlich der USA)
.gov. (für Regierungseinrichtungen, hauptsäclich der USA)
Darunter stellen die .com-Domains mit 45 % den größten Anteil, mit derzeit insgesamt 39 %
haben allerdings die länderdefinierten TLD’s die größten Wachstumsraten. Die .de- und .ukDomains stellen vor .net die zweit- und drittstärkste TLD.23
Zusätzlich hat die Internet-Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) im November 2000 sieben weitere TLDs zugelassen, über deren Vergabeprozedur jedoch teilweise
noch keine Einigkeit besteht:24
.info (für Informationsdienste)
.biz (für Unternehmen)
22
Zum Vergabeverfahren näher unten B.
http://www.heise.de/newsticker/meldung/51087
24 s. dazu zB http://www.icannchannel.de/tlds/index.htm
23
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.aero (für Einrichtungen des Luftverkehrs)
.coop (für genossenschaftliche organisierte Einrichtungen)
.museum (für Museen)
.pro (für professionelle Nutzer, etwa Freiberufler)
.name (für private Nutzer)
Da, wie bereits erwähnt, jede Domain nur einmal belegt werden kann, werden sehr viele
Rechtsstreitigkeiten um Domains geführt. Ein einträgliches Geschäft für Rechtsanwälte. Die
Einmaligkeit jeder Domain und deren teilweise sehr hoher wirtschaftlicher Wert hat zudem zu
einem regen Handel mit Domains geführt.25
B. Vergabe- und Registrierung von Domains
Die im Oktober 1998 gegründete gemeinnützige Gesellschaft „Internet Corporation for the
Assigned Numbers and Names“ (ICANN) wurde von der US-Regierung mit der Verwaltung
der Internetadressen und Namen beauftragt.26 Sie steuert als Zentralstelle die Vergabe von
Domains durch verschieden Registrierungsstellen.27 Die geographischen Top-Level-Domains
werden zum Teil von privaten Providerorganisationen, staatlichen Behörden oder auch Universitäten verwaltet.28 Domains unter der Top-Level Domain .de werden beispielsweise von
dem genossenschaftlich organisierten Deutschen Network Information Center (DeNIC e.G.)
vergeben.29
Für die Vergabe der Domains durch die privaten Vergabestationen bestehen keine gesetzliche
Vorschriften. Ein eigenes Domainrecht existiert nicht. Das Verfahren wird von den Vergabestellen grundsätzlich nach dem Prinzip „first come first served“ organisiert. Gegen eine relativ
geringe Gebühr kann jeder eine Domain registrieren lassen, sofern diese noch nicht belegt ist.
In der Regel wird von den Vergabestellen nicht überprüft, ob fremde Rechte an einer zu vergebenden Domain bestehen. Ob eine solche Prüfungspflicht der Denic e.G. besteht, war Gegenstand einer Reihe gerichtlicher Entscheidungen. Eine Prüfungspflicht oder gar Haftung für
rechtsverletzende Domains wird inzwischen weitgehend verneint; der BGH bestätigte inso25
Boehme-Neßler, CyberLaw, S. 92 m.w.Nachw. ; s.a. LG Düsseldorf, GRUR 1998, S. 159 –epson.de. Siehe beispielhaft auch die Internetseite: www.domaindeluxe.com.
26 Köhler/Arndt, Recht des Internet, Rn. 17.
27 s. ausführlich bei Viefhues in: Horen/Sieber, Handbuch Multimediarecht, Teil 6, Rn. 6 ff.
28 Marwitz, Das System der Domainnamen, ZUM 2001, S. 398 (399).
29 s. ausführlich bei Bettinger/Freytag, Verantwortlichkeit der DENIC e.G. für rechtswidrige Domains?, CR 1999, S. 28
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weit die Rechtsprechung der Berufungsgerichte.30 Im Vorfeld der Erstregistrierung ist die
Denic danach im Interesse der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung des schnellen und
preiswerten automatisierten Registrierungsverfahrens von jeglicher Prüfungspflicht befreit.31
Dies gilt auch für den Fall einer erneuten Registrierung eines zuvor gelöschten DomainNamens für einen neuen Anmelder.32 Nur unter besonderen Umständen, wie etwa nach Hinweis des angeblich Verletzten (nach erfolgter Registrierung) auf ganz offensichtliche, unschwer erkennbare Rechtsverstöße, kann die Denic e.G. als verantwortlich oder mitverantwortlich gesehen werden.33 Gegen eine rechtsverletzende Domain muss so in der Regel zunächst ein rechtskräftiges Urteil gegen den jeweiligen Anmelder auf Freigabe erstritten werden. Erst mit diesem Urteil kann von der Denic e.G. verlangt werden, die entsprechende Registrierung aufzuheben.34 Die vollständige Sperrung einer im konkreten Fall zu Recht angegriffenen Domain auch für die Zukunft kann von der Denic konsequenterweise nicht verlangt
werden, solange nicht ausnahmsweise davon auszugehen ist, dass dem Interesse des Antragstellers unter allen Umständen gegenüber einem Dritten trotz dessen Priorität der Vorrang
einzuräumen wäre.35 Auch im Falle eines nicht namensgleichen Dritten ist die Gefahr einer
Zuordnungsverwirrung zu Lasten des Antragstellers nicht offensichtlich, da schützenswerte
Interessen des Antragstellers, wenn er selbst keinen entsprechenden Benutzungswillen hat,
erst mit der tatsächlichen Verwendung der Seite verletzt werden können.36
30
BGH NJW 2004, 1793 = GRUR 2004, 619 f = MMR 2004, 467 = WRP 2004, 769 = CR 2004, 531– kurtbiedenkopf.de, Vorinstanz OLG Dresden, ZUM-RD 2001, S. 348; BGHZ 148, 13, 20 = NJW 2001, 3265 = GRUR
2001, 1038 – ambiente.de Vorinstanz OLG Frankfurt, MMR 2000, S. 36 = CR 1999, S. 685 = K&R 2000, S. 144; s.
aber noch LG Frankfurt a.M. NJW 1999, 586 = MMR 1999, 233 = K & R 1999, 189 zu kurt-biedenkopf.de sowie
LG Frankfurt a.M. WM 2000, 1750 = CR 2001, 51 – dresdnervereinsbank.de; mwN Hoffmann , Die Entwicklung des
Internet-Rechts, NJW 2001, Beilage zu Heft 14, S. 33 f.
31 BGH NJW 2004, 1793 = GRUR 2004, 619 f = MMR 2004, 467 = WRP 2004, 769 = CR 2004, 531– kurtbiedenkopf.de; vgl. BGHZ 148, 13, 20 = NJW 2001, 3265 = GRUR 2001, 1038 – ambiente.de
32 BGH NJW 2004, 1793 = GRUR 2004, 619 f = MMR 2004, 467 = WRP 2004, 769 = CR 2004, 531– kurtbiedenkopf.de
33 BGHZ 148, 13, 20 = NJW 2001, 3265 = GRUR 2001, 1038 – ambiente.de ; Vorinstanz: OLG Frankfurt, MMR
2000, S. 36 = CR 1999, S. 685 = K&R 2000, S. 144.
34 BGHZ 148, 13 = NJW 2001, 3265 = MMR 2001, 671 m. Anm. Welzel – ambiente.de ; davor auch OLG Frankfurt,
MMR 2000, S. 36 = CR 1999, S. 685 = K&R 2000, S. 144.
35 BGH NJW 2004, 1793 f = GRUR 2004, 619 f = MMR 2004, 467 = WRP 2004, 769 = CR 2004, 531– kurtbiedenkopf.de ; vgl. die vorinstanzliche Begründung des OLG Dresden, ZUM-RD 2001, 347, 351.
36 BGH NJW 2004, 1793, 1795 = GRUR 2004 = MMR 2004, 467 = WRP 2004, 769 = CR 2004, 531– kurtbiedenkopf.de; insofern unterscheidet sich die Ausgangslage von den den Entscheidungen „shell.de“ und „maxem.de“ zugrundeliegenden Sachverhalten, vgl. BGHZ 149, 191 = NJW 2002, 2031 = MMR 2002, 382 m. Anm.
Hoeren – shell.de; s. auch Hoffmann, Entwicklung des Internetrechts, NJW 2004, 2569, 2573 und BGHZ 155, 273 =
NJW 2003, 2978 = MMR 2003, 726 m. Anm. Hoffmann – maxem.de.
16
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Für die .eu-Kennung (eingeführt aufgrund der sog. „dot-EU-Verordnung“, EG-Verordnung
Nr. 874/2004 v. 28.04.2004) gelten eigene Vergaberegeln (Public Policy Rules, PPR). Die
Registrierung soll danach in zwei Stufen erfolgen, in der ersten, einer „Sunrise-Period“ sollen
Inhaber von Kennzeichenrechten diese bevorzugt als Domain anmelden können, wobei auch
hier das „first-come-first-served“-Prinzip gelten soll.37 Grundsätzlich wird die dot-EUKennung aber auch an Privatpersonen vergeben.38
Die Selbstregulierung des Internet funktioniert in diesem Bereich nicht.39 Es sei jedoch auf
das außergerichtliche Streitschlichtungsverfahren der ICANN hingewiesen.40 Im Jahre 1999
hat die ICANN die Uniform Domain Name Dispute Policy (UDRP) verabschiedet und damit
einen Rechtsrahmen für ein außergerichtliches Streitschlichtungsinstrument zur Beilegung
von Domainstreitigkeiten auf internationaler Ebene geschaffen. Dieser effektive und unbürokratische Mechanismus kommt in Fällen eines offensichtlichen Missbrauchs mit der Domainregistrierung, also in erster Linie bei klassischem „Domain-Grabbing“, zur Anwendung.41
Beschwerdebefugt sind ausschließlich Domainnamen im Bereich der Top-Level-Domains
.com, .net und .org. Für die länderbasierten Top-Level-Domains entfaltet die UDRP zunächst
keine Wirkung. Jedoch steht es den nationalen Vergabestellen frei die UDRP für die Domaininhaber verbindlich werden zu lassen, wovon bisher allerdings kaum Gebrauch gemacht wurde;42 auch die Denic hat die UDRP bis heute nicht übernommen.43
Schon bei der Registrierung des Domainnamens unterwerfen sich die Domaininhaber mit Anerkennung der Vergabeverordnung. Vorteil des Verfahrens ist vor allem eine schnelle und
kostengünstige Entscheidung (regelmäßig nach zwei Monaten; zum Preis von US $ 1.500 –
3.000).44 Mit der Durchführung der Konfliktlösungsverfahren sind bisher vier sogenannte
37
Zu den möglichen rechtlichen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den dot-eu-Domains s. die Zusammenfassung mwN bei Schuster et. al., MMR 2005, Beilage 5, 25 f.
38 zur .eu-Kennung s. Jaeger/Lenz, Die Einführung der .eu-Domains – Rechtliche Rahmenbedingungen für Registrierung und Streitigkeiten, WRP 2005, 1234.
39 Boehme-Neßler, CyberLaw, S. 100 m.w.N..
40 siehe hierzu ausführlich: Bettinger, Online-Schiedsgerichte für Domainstreitigkeiten, WRP 2000, S. 1109; Marwitz,
das System der Domainnamen, ZUM 2001, S. 398 (400 ff).
41 Marwitz, das System der Domainnamen, ZUM 2001, S. 400.
42 Bettinger, Online-Schiedsgerichte für Domainstreitigkeiten, WRP 2000, S. 1109 (1110); vgl. Jahresbericht der WIPO
für 2002 unter http://www.wipo.int/freepublications/en/general/441/wipo_pub_441_2002.pdf, S. 22.
43 Vgl. zu den Bedenken bzgl. UDRP und ccNSO das Interview mit dem Vorstand der Denic unter
http://www.domain-recht.de/magazin/article.php?id=187 .
44 Bettinger, Online-Schiedsgerichte für Domainstreitigkeiten, WRP 2000, S. 1109 (1110).
17
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Dispute Resolution Provider beauftragt worden. Das bedeutendste unter Ihnen ist das WIPO
Arbitration and Mediation Center mit Sitz in Genf. Von Dezember 1999 bis Ende 2002 wurden dort über 20.000 Verfahren zu Domain-Namen eingereicht.45 Im Jahr 2005 ist die Zahl
der eingereichten Verfahren noch mal um 20% auf 1456 gestiegen.46
C. Domaininhaberschaft als Eigentumsrecht?
Interessant ist auch die Frage, ob und inwieweit die Inhaberschaft einer Domain eine eigenständige Rechtsposition begründet. Das BVerfG hat im Fall „adacta.de“ hierzu entschieden,
dass an Domains kein Eigentum im Rechtssinne bestehen könne, dass jedoch das von der
DENIC abgeleitete Nutzungsrecht als geschützte Eigentumsposition i.S.v. Art. 14 GG anzusehen sei. Einschränkungen ergäben sich dann durch die Inhalts- und Schrankenbestimmungen der einschlägigen markenrechtlichen Vorschriften, §§ 5 Abs. 1 und2, 15 Abs. 2 und 4
MarkenG, die insoweit auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen.47 Danach
hat nun das OLG Köln48 das Nutzungsrecht an einer Domain als „sonstiges Recht“ i.S.d. §
823 Abs. 1 BGB eingeordnet und damit einen Anspruch auf Löschung eines zu Unrecht erfolgten Dispute- Eintrages gestützt.
Unabhängig davon bleiben die Fragen der vermögensrechtlichen Bewertung49 von Domains,
etwa auch in der Zwangsvollstreckung50.
D. Verletzung von Kennzeichenrechten nach dem Markengesetz
Durch das Markengesetz geschützt werden in erster Linie Marken, Unternehmenskennzeichen
und Werktitel. Als Marken gelten Zeichen, die geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen
eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (§ 3 Abs. 1 MarkenG). Als Unternehmenskennzeichen gelten insbesondere Zeichen, die im geschäftlichen
Verkehr als Name oder Firma von Unternehmen genutzt werden (§ 5 Abs. 2 MarkenG).
45
S. Jahresbericht 2002 der WIPO für 2002 unter
http://www.wipo.int/freepublications/en/general/441/wipo_pub_441_2002.pdf. Die Entscheidungen sind über
www.wipo.org im Internet abrufbar.
46
Quelle: Hoffmann, NJW 2006, 2602 aus der Pressemitteilung der WIPO vom 25.1.2006,
www.wipo.int/edocs/prdocs/en/2006/wipo_pr_2006_435.html [Rev. 2006-10-18].
47 BVerfG MMR 2005, 165 m. Anm. Leopold/Kazemi = GRUR 2005, 261 – adacta.de; vgl. dagegen OLG Hamm,
MMR 2005, 381.
48 OLG Köln, MMR 2006, 469.
49 Dazu Hombrecher, MMR 2005, 647.
50 Näher unten unter II.H.)
18
Erstellt von Georg Nolte, zuletzt geändert am 20.11.06 um 12:52
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In Marken wie auch in Unternehmensbezeichnungen kann der wesentliche Wert von Unternehmen verkörpert sein.51 Der durch das Markengesetz gewährte Imageschutz für Marken
und Unternehmenskennzeichen bedeutet in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht den
Schutz von unternehmerischen Leistungen, nicht zuletzt auch im Interesse der Verbraucher.52
Markenschutz kann entweder durch Eintragung in das vom Patentamt geführte Markenregister (§ 4 Nr. 1 MarkenG) erlangt werden oder durch die bloße Benutzung einer Marke, sofern
diese innerhalb der betreffenden Verkehrskreis bekannt geworden ist und eine ausreichende
„Verkehrsgeltung“ erlangt hat (§ 4 Nr. 2 MarkenG). Der hierfür erforderliche Grad der Bekanntheit lässt sich jeweils nur relativ zur Art des Kennzeichens unter Einbeziehung der konkreten Umstände des Einzelfalls ermitteln.53 Der Nachweis einer entsprechenden Verkehrsgeltung ist im Streitfall durch aufwendige Marktforschungsbefragungen zu erbringen. Ferner
kann Markenschutz durch die notorische Bekanntheit einer Marke entstehen (§ 15 Abs. 3
MarkenG).
Domains und Marken weisen insbesondere bezüglich Kennzeichnungskraft54, der von ihnen
ausgehenden Monopolstellung des Inhabers, der (grundsätzlichen) Voraussetzung einer Registrierung und des auf beide anwendbaren Prioritätsgrundsatzes eine Reihe von Ähnlichkeiten auf. Andererseits bestehen auch einige grundlegende Unterschiede, so dass eine generelle
Anwendung markenrechtlicher Regelungen auf die Nutzung von Domainnamen nicht ohne
weiteres möglich ist. Beispiele hierfür sind die fehlende rechtliche Prüfung bei der Vergabe
der Domains, die Ausschließlichkeitsfunktion der Domain über alle Branchenbereiche, während die Kennzeichnungskraft der Marke auf ihren Produkt- oder Dienstleistungsbereich
grundsätzlich beschränkt ist, sowie schließlich die im Gegensatz zur Marke bei der Domain
fehlende dingliche Rechtsposition.55
51
Der Aufbau einer Marke kann mit dem Laden eines Akkus verglichen werden (Diesen Vergleich stellt in anschaulicher Weise Deichsel an, Markentechnische Beobachtung zum Markenschutz, GRUR 1998, S. 336). Die einzelnen
Zellen des Akkus stellen in diesem Vergleich die Konsumenten dar. Durch positive Leistungen der Unternehmen
kann das Interesse der Kunden geweckt und gefördert werden und sich die Marke in dieser Weise mit Energie aufladen. Der wirtschaftliche Wert von Unternehmensleistungen wird so dauerhaft in der Marke festgehalten.
52 Vgl. Fezer, Markenrecht, Einl. MarkenG, Rn. 28; allgemein zur Funktion der Marke: Fezer, aaO, Rn 30 ff.
53 Fezer, Markenrecht, § 4 Rn, 123.
54 Inzwischen für die Domain allgemein anerkannt, s. dazu den Überblick bei Dieselhorst in Moritz/Dreier (Hrsg.),
Rechts-Handbuch zum E-Commerce, B Rz. 848 ff
55 Nach BVerfG ist die Domain zwar eigentumsfähig iSd Art. 14 GG, das Recht an ihr ist allerdings kein dingliches,
absolutes Recht und unterliegt den Einschränkungen, die sich v.a. aus Marken- und Kennzeichenrechten ergeben,
19
Erstellt von Georg Nolte, zuletzt geändert am 20.11.06 um 12:52
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In den meisten Streitigkeiten um Internetadressen geht es darum, dass eine bereits bestehende
Marke oder ein bestehendes Unternehmenskennzeichen unbefugt als Domain verwendet wird.
Ist das für eine Domain verwendete Zeichen nicht bereits kennzeichenrechtlich geschützt, so
kann es durch Benutzung selbst einen kennzeichenrechtlichen Schutz erlangen. Beispielsweise wurde die Domain amazon.com durch ihre Benutzung selbst zur Marke.56 Ebenso
kann durch die Benutzung eines Domainnamens ein entsprechendes Unternehmenskennzeichen entstehen, zumindest, wenn durch die Art der Benutzung deutlich wird, dass der Domainname nicht lediglich als Adressbezeichnung verwendet wird, und der Verkehr daher in
der als Domainnamen gewählten Bezeichnung einen Herkunftshinweis erkennt.57Das Markengesetz gewährt dem Inhaber einer Marke, eines Unternehmenskennzeichens oder eines
Werktitels nach §§ 14 und 15 MarkenG ein ausschließliches Recht zu dessen Nutzung.
§ 14 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG verbietet die unbefugte Nutzung einer Marke für Waren oder
Dienstleistungen die identisch mit denjenigen sind, für welche die ursprüngliche Marke
Schutz genießt (sog. Doppelidentität)58. Meistens wird jedoch lediglich ein ähnliches Zeichen
verwendet oder ein identisches Zeichen jedoch für andere oder nur ähnliche Produkte. In diesen Fällen ist die Nutzung durch das Markengesetz untersagt, wenn aufgrund der Ähnlichkeit
von Zeichen oder der jeweiligen Produkte eine sogenannte Verwechslungsgefahr besteht (§ 14
Abs. 2 Nr. 2 MarkenG). Entsprechendes gilt für Unternehmenskennzeichen und Werktitel (§
15 Abs. 2 MarkenG). Besteht eine solche Verwechslungsgefahr nicht, etwa weil ein Kennzeichen in verschiedenen Branchen oder zur Bezeichnung unterschiedlicher Produkte verwendet
wird, kommt unter Umständen ein erweiterter Schutz unter dem Gesichtpunkt der unlauteren
Rufausbeutung oder der Gefahr der Verwässerung des geschützten Kennzeichens in Betracht
(§§ 14 Abs. 2 Nr. 3, 15 Abs. 3 MarkenG).Innerhalb des zeichenrechtlichen Schutzes gilt das
kennzeichenrechtliche Prioritätsprinzip: Der Inhaber des älteren Zeichens hat eine stärkere
Rechtsposition inne als der des prioritätsjüngeren, so dass der Inhaber des jüngeren Zeichens
auch dessen Verwendung als Domainname unterlassen muss, zumindest, soweit zB wegen
Branchennähe eine Verwechslungsgefahr besteht (s.u. C.1.).59
BVerfG GRUR 2005, 261; s. auch Dieselhorst in Moritz/Dreier (Hrsg.), Rechts-Handbuch zum E-Commerce, B Rz.
831 ff.
56 Boehme-Neßler, CyberLaw, S. 102.
57 BGH MMR 2005, 171 m. Anm. Karl = GRUR 2005, 262 – soco.de.
58 Fezer, Markenrecht, § 14 Rn 71
59 BGH, GRUR 2005, 430 – mho.de m.w.N.
20
Erstellt von Georg Nolte, zuletzt geändert am 20.11.06 um 12:52
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Gibt eine Firma ihre geschäftliche Bezeichnung auf und hat sie eine Domain inne, deren Namen aus dieser Geschäftsbezeichnung gebildet ist, so muss sie damit rechnen, dass nun ein
anderes Unternehmen mit besserer Priorität die Löschung der Domain verlangen kann; eine
„prioritätswahrende Fortführung“ ist nicht möglich.60
1. Kennzeichenrechtliche Benutzung im geschäftlichen Verkehr
Kennzeichenrechtliche Ansprüche aus dem Markengesetz setzen zunächst eine Benutzung im
geschäftlichen Verkehr voraus (§§ 14, 15 MarkenG). Darunter ist jede wirtschaftliche Betätigung zu verstehen, die der Wahrnehmung oder Förderung eigener oder fremder Geschäftsinteressen im Erwerbsleben dient.61 Rein private Nutzungen fallen dagegen nicht unter das
Markengesetz. Zur Annahme einer Benutzung im Wirtschaftlichen Verkehr genügt es jedoch
bereits, wenn Anhaltpunkte für eine zukünftige geschäftliche Nutzung vorliegen. 62
In Bezug auf Streitigkeiten um Domains kommt das Markengesetz daher auch zur Anwendung, wenn eine registrierte Domain erst in Zukunft geschäftlich genutzt werden soll oder der
spätere Verkauf der Domain geplant ist.63 „Domain-Grabber“, die es ja gerade darauf anlegen,
mit Domains Geschäfte zu machen, sind also grundsätzlich auch den Ansprüchen aus dem
Markengesetz ausgesetzt. Der BGH hat nun allerdings entschieden, dass der Inhaber einer
bekannten Marke (in Form eines Gattungsbegriffs: Zeitung „Die Welt“), gegen einen Dritten,
der sich einen dieser Marke ähnlichen Gattungsbegriff als Domain registrieren lässt („weltonline.de“), nicht vorgehen kann, solange keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dieser Domainname im geschäftlichen Verkehr in einer das Kennzeichen verletzenden Weise verwendet werden soll.64 Allein die Registrierung stelle noch keine Benutzung dar, eine drohende
Benutzung in derselben oder einer ähnlichen Branche sei nicht dargetan worden.65
Wenn eine Benutzung im geschäftlichen Verkehr nicht vorliegt, kann bezüglich Unternehmensbezeichnungen gegebenenfalls auch auf das allgemeine Namensrecht nach § 12 BGB66
zurückgegriffen werden. Unter Umständen kommt sogar ein deliktsrechtlicher Anspruch in
Betracht (§§ 823, 826, 1004 BGB). Unter dem Gesichtspunkt einer schikanösen, sittenwidri-
60
BGH GRUR 2005, 871, 873 – Seicom.
Freitag in: Kröger/Gimmy, Handbuch zum Internetrecht, S. 347.
62 Köhler/Arndt, Recht des Internet, Rn 35.
63 Kur in: Loewenheim/Koch, Praxis des Online-Rechts, S. 345.
64 BGH GRUR 2005, 687 – weltonline.de
65 BGH GRUR 2005, 687, 689 – weltonline.de.
66 Siehe dazu unten unter II D.
61
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gen Behinderung bejahte das OLG Frankfurt67 so einen Anspruch gegen eine Privatperson,
der sich ohne schutzwürdiges Interesse die für Milchprodukte eingetragene Marke „Weideglück“ als Domain hatte eintragen lassen. In der Registrierung eines Gattungsbegriffs als
Domainname (hier: „weltonline.de“) liegt dagegen nach BGH regelmäßig keine sittenwidrige
Schädigung, selbst wenn es nahe liegt, dass ein anderes Unternehmen (hier: Die Zeitung „Die
Welt“) diesen Domainnamen für seinen Internetauftritt verwenden könnte. Da ein Schaden für
dieses Unternehmen, das bereits unter einer anderen Domain eine Website unterhält
(„welt.de“), nicht zu erwarten sei, könne allein von der Bereitschaft des jetzigen Domaininhabers, dem Unternehmen den Domain-Namen gegen Entgelt zur Verfügung zu stellen, nicht
auf eine Schädigungsabsicht geschlossen werden.68
Eine markenrechtlich relevante Benutzung abgelehnt hat das OLG Hamburg im Fall einer
Domain, die die Ehefrau eines ehemaligen Mitarbeiters eines Unternehmens („AWD“) unterhielt, um darunter ein kritisches Forum über das konkrete Unternehmen zu unterhalten („awdaussteiger.de“). Eine Gesamtbetrachtung ergab in diesem Fall, dass die Verwendung der Marke lediglich als Teil eines Domainnamens keine markenmäßige Benutzung darstelle. Außerdem stellte es auf eine „notwendige Benutzung“ iSd „ 23 MarkenG ab.69 Dagegen nutzt derjenige, der eine Domain zur Weiterleitung auf eine andere Domain (auf der er dann wie im
vom OLG Köln entschiedenen Fall eigene Waren anbietet) verwendet, diese Domain markenmäßig, und zwar egal, ob die Verknüpfung über einen Link oder mit Hilfe des HTMLBefehls „Refresh“ hergestellt wird.70
2. Verwechslungsgefahr
Der Begriff der Verwechslungsgefahr stellt den zentralen Rechtsbegriff des gesamten Kennzeichenrechts dar.71
Zur Beurteilung, ob zwischen einem als Domain verwendetem Zeichen und einer kennzeichenrechtlich geschützten Marke eine Verwechslungsgefahr gegeben ist, kommt es sowohl
auf den Ähnlichkeitsgrad der verwendeten Zeichen an, als auch auf die Nähe zwischen den
geschützten Waren und Dienstleistungsbereichen.72 Je ähnlicher ein verwendetes Zeichen der
67
OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 12.4.2000 (weideglueck.de), CR 2000, S. 615.
BGH GRUR 2005, 687 – weltonline.de.
69 OLG Hamburg, MMR 2004, 415; s. auch Schuster et. al., MMR 2005, Beilage 5, 27.
70 OLG Köln, CR 2006, 549 – ecolab.de.
71 Fezer, Markenrecht, § 14, Rn. 79.
72 Freitag in: Kröger/Gimmy, Handbuch zum Internetrecht, S. 349.
68
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geschützten Marke ist, desto größer kann die Produkt- bzw. Branchenverschiedenheit sein und
umgekehrt.73 Entsprechendes gilt für die Unternehmenskennzeichen und Werktitel.74
Voraussetzung für das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr ist also zunächst, dass sich die
gegenüberstehenden Zeichen zumindest ähnlich sind. Beispielsweise75:
Intershop / Intershopping
JURIS / juris-solvendi
klugsuchen.de / klug-suchen
EXPLORER / Explora
big.mac.de / bigmac.de
Mobell / mobelli.de76
„Eltern“ / eltern-online.de77
Da die zur Bildung eine Domain bestehenden Mittel recht eingeschränkt sind (keine Farben,
keine besondere Schriftarten oder sonstige graphische Gestaltungsmittel), ist bei der Annahme
einer Verwechslungsgefahr jedoch Zurückhaltung geboten.78 Jedoch dürften kleinste Änderungen, wie etwa das Einfügen eines Bindestrichs noch nicht zur Vermeidung einer Verwechslungsgefahr genügen. Auch sind unterschiedliche Top-Level-Domains nicht geeignet,
eine Verwechslungsgefahr auszuschließen.79 Nach BGH kann für die Annahme einer Verwechslungsgefahr auch auf klangliche Ähnlichkeit abgestellt werden. Anders als das Berufungsgericht hielt der BGH es zB für möglich, dass die Verkehrskreise das Wort „donline“
wie „d-online“ aussprechen würden und nahm eine Verwechslungsgefahr mit der Marke „TOnline“ an;80 er verwies die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zurück.
Je stärker die Kennzeichnungskraft eines geschützten Zeichens ist, desto höheren Schutz wird
es vor ähnlichen Zeichen genießen.
73
Freitag in: Kröger/Gimmy, Handbuch zum Internetrecht, S. 349.
Fezer, Markenrecht, § 14, Rn. 81.
75 Weitere Beispiele und Fundstellen bei Viefhues in: Hoeren/Sieber, Handbuch MultimediaRecht, Teil 6, Rn. 88, Fn.
1.
76 OLG Düsseldorf, MMR 2004, 491 – mobell.de.
77 OLG Hamburg GRUR-RR 2004, 104 = MMR 2004, 174 - Eltern.
78 Viefhues in: Hoeren/Sieber, Handbuch MultimediaRecht, Teil 6, Rn. 89 f..
79 Z.B.: LG Hamburg, CR 1999, S. 47 (48) – eltern.de.
80 BGH GRUR 2004, 239 – DONLINE = MMR 2004, 158.
74
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Zum Vorliegen einer Verwechslungsgefahr verlangt § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG weiter, dass
das entsprechende Zeichen auch für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen
benutzt wird. Für Unternehmenskennzeichen verlangt die Rechtsprechung, dass zwischen den
jeweiligen Branchen zumindest eine gewisse Nähe besteht.81
Besteht sogar eine Identität der jeweiligen Waren- oder Branchen, können unter Umstände
auch relativ unterschiedliche Bezeichnungen eine Verwechslungsgefahr begründen. Beispielsweise die Bezeichnungen „Blaue Seiten“ und „Gelbe Seiten“, wenn beide Bezeichnungen ein Branchenverzeichnis benennen.82 In Bezug auf schriftbildliche Ähnlichkeit ist insbesondere das OLG Düsseldorf der Überlegung entgegen getreten, im Internet andere Maßstäbe
bei der Prüfung der Ähnlichkeit im Schriftbild anzulegen und wegen des Erfordernisses des
exakten Eingebens einer Domain bereits bei geringfügige Abweichungen eine Verwechslungsgefahr auszuschließen. Wertungswidersprüche außerhalb und innerhalb des Internet seien zu vermeiden und außerdem der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Domainnamen auch in
herkömmlicher Weise zB im Rahmen der Werbung wahrgenommen würden.83 Andererseits
hat das OLG Düsseldorf eine Verwechslungsgefahr zwischen dem Zeitschriftentitel „Versicherungsrecht“ und der Domainbezeichnung „versicherungsrecht.de“ ausgeschlossen, da der
maßgebliche Verkehrskreis mit der Zeitschrift in der Regel nicht vertraut sei und darin lediglich eine hinweisende Bezeichnung sehe.84
Liegt allerdings eine Branchen- oder Warenähnlichkeit nicht vor, so kann es nach dem Markengesetz grundsätzlich zur Koexistenz von gleichlautenden Marken oder Unternehmenskennzeichen kommen. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass neben Ansprüchen aus dem
Markengesetz auch Ansprüche nach dem Wettbewerbsrecht oder dem Namensrecht in Betracht kommen können. Zudem kommt für bekannte Marken und Unternehmensbezeichnungen noch ein erweiterter Schutz nach § 14 Abs. 2 Nr. 3, beziehungsweise nach § 15 Abs. 3
MarkenG unter dem Aspekt der unlauteren Rufausbeutung in Betracht. Hierzu im Folgenden:
81
Viefhues in: Hoeren/Sieber, Handbuch MultimediaRecht, Teil 6, Rn. 95 m.w.Nachw..
So OLG Frankfurt/Main, Bechl. v. 15.7.1996 (Blaue Seiten), GRUR 1997, S. 52.
83 OLG Düsseldorf, MMR 2004, 491 – mobell.de; vgl. dagegen LG Koblenz, MMR 2000, 571 – alles-ueber-wein.de,
s. auch
Hoeren, Rechtsfragen im Internet, S 24f. mwN, abzurufen unter
http://www.unimuenster.de/Jura.itm/hoeren/material/Skript/Skript_August2005.pdf
84 OLG Düsseldorf MMR 2003, 177 - versicherungsrecht.de.
82
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3. Rufausbeutung und Verwässerungsgefahr
Besteht bei bekannten Marken oder Unternehmensbezeichnung aufgrund von Waren- oder
Branchenverschiedenheit keine Verwechslungsgefahr, so kann der Inhaber einer entsprechenden Domain dennoch auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wenn dieser die
Wertschätzung der jeweiligen Zeichens in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt (§§
14 Abs. 2 Nr. 3, 15 Abs. 3 MarkenG). Der Inhaber eines bekannten Zeichens wird so vor einem „Imagetransfer“ geschützt. Das OLG München85 gab einer Klage statt, mit welcher der
Inhaber des Zeichens „Freundin“ (als Werktitel und Marke für eine Frauenzeitschrift) die Unterlassung der Nutzung der Domain „freundin.de“ verfolgt hatte. Unter der streitbefangenen
Domain wurde eine Kontaktbörse betrieben. Die Beklagte leite so Interessenten, die sich an
der Bezeichnung der Klägerin orientieren, auf ihr eigenes Produkt. Durch dieses Verhalten
nutze sie die Wertschätzung der bekannten Marke „Freundin“ in unlauterer Weise aus.86 Inzwischen hat das LG München I auch einen Unterlassungsanspruch bezüglich der (Baustellen-) Domain „freundin-online.de“ bejaht, da ein großer Teil der Internet-Nutzer darunter den
Onlinedienst der Zeitschrift vermute und daneben kein Freihaltebedürfnis der Beklagten bestehe.87
Unter dem Aspekt der Rufausbeutung und Verwässerung werden auch die Fälle der sogenannten „Tippfehler-Domains“ diskutiert. Es handelt sich dabei um Domains, die von einem
bekannten Zeichen abgeleitet sind und dieses mit nur kleinen aber gängigen Schreibfehlern
übernehmen. Sofern nicht schon eine Verwechslungsgefahr gegeben ist, kann sich deren Unzulässigkeit aus dem Gesichtspunkt der Rufausbeutung ergeben. Werden Tippfehler der Internetnutzer bewusst ausgenutzt um Kunden des ursprünglichen Zeicheninhabers abzufangen,
kommt zudem eine Unlauterkeit im Sinne des UWG in Betracht.
4. Räumliche Beschränkung des Markenschutzes und grenzüberschreitende Fälle
Unternehmenskennzeichen sind in aller Regel im gesamten Geltungsbereich des Gesetzes
geschützt. Eine Ausnahme bilden aber Bezeichnungen von Unternehmen, die nach Zweck und
Zuschnitt nur lokal oder regional tätig und auch nicht auf Expansion ausgelegt sind.88 Wenn
sich zwei branchennahe Unternehmen unter demselben oder ähnlichen Kennzeichen in unter85
OLG München, NJW-RR 1998, 984 –freundin.de.
OLG München, NJW-RR 1998, 984 – freundin.de; ähnlich OLG Karlsruhe, MMR 1999, S. 123 – zwilling.de.
87 LG München I, MMR 2003, 677 – freundin-de; krit. und mwN Hoeren, Rechtsfragen im Internet, S. 23, abzurufen
unter http://www.uni-muenster.de/Jura.itm/hoeren/material/Skript/skript_August2005.pdf
88 BGH, GRUR 2005, 262, 263 – soco.de m.w.N..
86
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schiedlichen territorial beschränkten Schutzbereichen gegenüberstehen, besteht insoweit keine
Kollisionslage. Es gilt dann das bekannte „first-come-first-served“-Prinzip bezüglich der Firmenbezeichnung als Domainnamen. Zu einer Prüfung der Verwechslungsgefahr und anschließend der Prüfung der kennzeichenrechtlichen Priorität kommt es dann, wenn eine Partei
die wirtschaftliche Koexistenz durch Ausweitung ihrer Marktpräsenz auch auf den Bereich
der anderen Partei verlässt. Dies ist jedoch nach BGH nicht schon deshalb anzunehmen, weil
die Partei, die sich zuerst die Domain mit dem gemeinsamen Kennzeichen sichert, damit einen deutschlandweit abrufbaren Internetauftritt gestaltet. Allein die Erreichbarkeit via Internet
lässt trotz dessen „ubiquitären Charakters“ nicht auf einen nun räumlich unbeschränkten Wirkungskreis schließen.89 Dass die deutschland- und weltweite Abrufbarkeit im Internet nichts
über die tatsächliche räumliche Nutzung einer Marke aussagt, hat der BGH auch in seinem
Urteil „hufeland.de“ entschieden und daneben eine Abwägung zwischen einerseits regionaler
und andererseits überregionaler Bekanntheit zweier gleichlautender Unternehmenskennzeichen bei gleicher kennzeichenrechtlicher Priorität abgelehnt. Beide Parteien (zwei Kliniken
jeweils aus einem der alten und einem der neuen Bundesländer) hatten hier dieselbe Firmenbezeichnung. Schon das OLG Karlsruhe hatte entschieden, dass beiden zeitlich die selbe
kennzeichenrechtliche Priorität, nämlich mit dem Zeitpunkt der Wiedervereinigung, zukomme.90 Während das OLG allerdings dann darauf abstellte, dass die eine Firma ihren Schutzbereich auf das gesamte Bundesgebiet ausgedehnt habe, während der Schutz der anderen wegen
rein regionalen Bezugs räumlich beschränkt bleibe und die letztere dann nicht lediglich durch
Registrierung als Internet-Domain den ihr zukommenden Schutz erstarken lassen könne91 ,
hat der BGH dagegen mit der Wiedervereinigung ein gleichberechtigtes Gegenüberstehen der
beiden Kennzeichenrechte angenommen und auf den „first come, first served“- Grundsatz
verwiesen. Die Verwendung der Domain sei nicht als unzulässige räumliche Ausweitung des
Tätigkeitsbereichs der Beklagten in den der Klägerin zu werten. Insoweit wurde die Sache zur
näheren Tatsachenklärung zurückverwiesen.92
Im Hinblick auf grenzüberschreitende Sachverhalte gilt im Immaterialgüterrecht das Territorialitätsprinzip. Danach richtet sich der Schutz eines inländischen Kennzeichens nach dem
89
BGH GRUR 2005, 262, 263 – soco.de.
OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2003, S. 83 – hufeland.de.
91 OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2003, S. 83 – hufeland.de.
92 BGH, Urt. v. 23.06.2005, Az. I ZR 288/02 – hufeland.de; zur durch die Instanzen oft inkohärenten Anwendung
des Prioritätsprinzips gibt einen guten Überblick Bröcher, MMR 2005, 203.
90
26
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des Schutzlandes, damit dem deutschen Recht. Er ist damit auch auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt.93 Daher muss die kennzeichenrechtliche Benutzung, um
eine markenrechtliche Rechtsfolge auszulösen, auch einen Inlandsbezug aufweisen. Im Bereich des Domainrechts wirft dieses Erfordernis dann Probleme auf, wenn ein Inhaber einer
ausländischen Marke einen – natürlich auch vom deutschen Inland aus zugänglichen - Internetauftritt unter einem auch im Inland als Marke geschützten Begriff benutzt. Im Fall „Hotel
Maritime“ hatte der Inhaber eines dänischen Hotels mit Namen „Hotel Maritime“ und einer in
Dänemark geschützten gleichlautenden Marke unter der Domain „www.hotel-maritime.dk“
eine Homepage unterhalten, auf der er in dänischer, deutscher und englischer Sprache Informationen und einen Online-Reservierungsdienst anbot; daneben wurde ein mehr- u.a. auch
deutschsprachiger Prospekt angeboten, der auf Anfrage auch nach Deutschland verschickt
wurde. Dagegen klagte der Inhaber der deutschen Marke „MARITIM“, der ebenfalls Hotels
betreibt. Der BGH hat die Unterlassungsansprüche verneint, da allein die Internet-Werbung
(auch) in deutscher Sprache keine relevante Verletzungshandlung im Inland darstelle. Ansonsten bestünde die Gefahr einer uferlosen Ausdehnung der Schutzbereiche nationaler
Kennzeichen. Vielmehr sei erforderlich, dass das Angebot einen „wirtschaftlich relevanten
Inlandsbezug“ aufweise.94
Und noch ein ganz anderer Kontext: Ein deutscher Nutzer, der sich unter seinem Familiennamen eine Domain mit der TLD „.at“ (Länderkennung Österreich) gesichert hat, verliert seine
Priorität gegenüber einem in Österreich ansässigen Markeninhaber nicht deshalb, weil er die
Domain von Deutschland aus betreibt und nutzt.95
E. Verletzung von Namensrechten
Neben Rechten aus dem Markengesetz können Domains auch fremde Namensrechte im Sinne
des § 12 BGB, der „Generalklausel des Kennzeichenrechts“, verletzen. Zudem kann an dem
Wortzeichen einer Domain auf Grund seiner Benutzung selbst Namensschutz im Sinne von §
12 BGB erworben werden.96 In einem solchen Fall ist die Domain jedoch nicht bereits als
solche geschützt, sondern nur dann, wenn dem Domainnamen von Hause aus eine originäre
Namensfunktion zukommt.97 Dies ist der Fall wenn für die Domain der Name einer Person,
93
dazu eingehend Fezer, Markenrecht, Einl. Rn. 80.
BGH, CR 2005, 359 – HOTEL MARITIME.
95 LG Hamburg, MMR 2005, 190 – sartorius.at.
96 Fezer, Die Kennzeichenfunktion von Domainnamen, WRP 2001, S. 669 (674).
97 Fezer, Die Kennzeichenfunktion von Domainnamen, WRP 2001, S. 669 (674).
94
27
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eines Unternehmens (Firma) oder etwa einer Stadt verwendet wird.98 Beispielsweise Steffi
Graf, Krupp99 oder Heidelberg100.
§ 12 BGB schützt Namen als Kennzeichen zur Unterscheidung eines Rechtssubjektes von
anderen Rechtssubjekten.101 Fremde Namen dürfen nicht unbefugt verwendet werden, wenn
hierdurch schutzwürdige Interessen des Namensträgers verletzt werden, insbesondere dann
nicht, wenn die Nutzung zu einer sogenannten Identitäts- oder Zuordnungsverwirrung führt.
102
Eine Besonderheit besteht allerdings, wenn der Name gleichzeitig auch zB als Adjektiv
gebräuchlich ist, wie im Fall „Süß“: Mangels ausreichender Unterscheidungskraft kann der
Namensinhaber vom Inhaber der entsprechenden Domain („suess.de“) nicht Unterlassung der
Verwendung verlangen.103 Hat der Domaininhaber allerdings eine „catch-all-Funktion“ eingerichtet, so dass der Name, auch wenn er in Verbindung mit beliebigen Vornamen eingegeben wird, wiederum auf die Domain führt – hier ein Erotikportal-, ist hierin eine eine Zuordnungsverwirrung auslösende Namensanmaßung zu sehen.104
Problematisch sind insbesondere solche Fälle, in denen sich zwei Rechtssubjekte mit identischen Namen um die Verwendung einer Domain streiten. Grundsätzlich gilt in einem solchen
Fall der Prioritätsgrundsatz: Derjenige soll das Recht an einer streitbefangenen Domain
bekommen, der das ältere Recht an dem verwendeten Namen erworben hat beziehungsweise
derjenige, der sich zuerst die Domain für sich registriert hat. Bei Registrierungen im Auftrag
eines Namensträgers durch eine Agentur105 oder einen sonstigen Beauftragten106 ist allerdings
Vorsicht geboten: Aus ihnen kann sich nach bisheriger Rechtsprechung kein vorrangiges
Recht dieses Namensträgers gegenüber einem anderen Namensträger ergeben, da die Agentur
diesem Dritten gegenüber den Domain-Namen unbefugt gebraucht und damit eine Zuordnungsverwirrung auslöst.107 Andererseits soll es in bestimmten Fällen möglich sein, dass eine
98
Fezer, Die Kennzeichenfunktion von Domainnamen, WRP 2001, S. 669 (673f).
OLG Hamm, CR 1998, S. 241 m. Anm. Bettinger – krupp.de.
100 LG Mannheim, CR 1996, S. 353 = GRUR 1997, S. 377 – heidelberg.de.
101 Vgl. Palandt, BGB, § 12, Rn. 1.
102 Palandt, BGB, § 12, Rn. 19 ff.
103 OLG Nürnberg, CR 2006, 485- suess.de.
104 OLG Nürnberg, CR 2006, 485- suess.de.
105 OLG Celle, MMR 2004, 486 = ZUM 2004, 473 - grundke.de; Revision anhängig beim BGH; vgl. auch LG Hannover, MMR 2005, 550 – schmidt.de ; LG Hamburg CR 2005, 465 m. Anm. Rössel- müller.de; krit. gg. der Rechtsprechung
Wübbelsmann, der auf eine Einordnung des Domainregistrierungsvertrages als Vertrag sui generis mit Schutzwirkung
für Dritte verweist, K&R 2005, 484; zur Problematik von „Treuhand“-Domains insgesamt Viefhues, MMR 2005, 76.
106 OLG Celle, CR 2006, 697- raule.de; ebensoLG Hamburg im ersten Urteil zu einer der neuen Umlaut-Domains:
„müller.de“, LG Hamburg, MMR 2005, 254.
107 OLG Celle, CR 2006- 697- raule.de; OLG Celle, MMR 2004, 486 = ZUM 2004, 473-grundke.de; LG Hamburg,
MMR 2005, 254.
99
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Person eine Internetdomain, die aus einem bürgerlichen Namen besteht, mit Priorität hält,
auch wenn sie selbst nicht Namensträger ist; und zwar unter der Voraussetzung, dass sie ein
berechtigtes Interesse an der Führung des Namens hat und ihr die Führung des Namens durch
den Namensträger (in diesem Fall der Ehegatte) gestattet worden ist.108 In einem Konzern ist
eine Holdinggesellschaft nach BGH ebenfalls berechtigt, die Unternehmensbezeichnung einer
Tochterfirma mit deren Zustimmung als Domain registrieren zu lassen. Sie kann dann im
Streitfall wie die Berechtigt auftreten.109
Es gilt jedoch ebenfalls der Grundsatz, dass niemand am redlichen Gebrauch seines Namens
im Wirtschaftsverkehr gehindert werden darf.110 Oft erfordern Domainstreitigkeiten Gleichnamiger deshalb einen schwierigen Interessenausgleich zwischen den betreffenden Namensträgern. Meist kann ein solcher Interessenausgleich dadurch hergestellt werden, dass der prioritätsjüngere zur Vermeidung von Verwechslungen eine Domain wählt, die zusätzlich zu dem
Namen einen weiteren Zusatz enthält. Allerdings gilt nach Rechtsprechung des BGH – und
nun bestätigt vom BVerfG111- in Fällen von Alias- Namen auch bei langjähriger Nutzung zur
Kommunikation im Internet das Prioritätsprinzip gegenüber einem „echten“ Namensträger
nicht, solange bezüglich des Alias- Namens keine Verkehrsdurchsetzung anzunehmen ist.112
In besonderen Fällen kann ausnahmsweise der Namensschutz den markenrechtlichen Schutz
einer Unternehmensbezeichnung ergänzen. Grundsätzlich verdrängt zwar der kennzeichenrechtliche Schutz den namensrechtlichen; allerdings kann der Namensschutz ausnahmsweise
dann ergänzend eingreifen, wenn zum Beispiel mangels Branchennähe der Schutzbereich des
Markenrechts nicht mehr betroffen ist. Wer sich also als Nichtberechtigter eine Domain registrieren lässt, die mit einem fremden Kennzeichen bezeichnet ist, der beeinträchtigt allein
dadurch die berechtigten geschäftlichen Interessen des Kennzeichenrechtsinhabers.113 Eine
Ausnahme sieht der BGH aber in solchen Fällen, in denen die Registrierung im Vorgriff auf
108
OLG Stuttgart, Urt. v. 04.07.2005 – Az. 5 U 33/05; als JurPC Web-Dok. 125/2005 abzurufen unter
http://www.jurpc.de/rechtspr/20050125.htm .
109 BGH , MMR 2006, 104 – segnitz.de.
110 Palandt, BGB, § 12, Rn. 27.
111 BVerfG, Beschl. v. 21.09.2006 - Az.: 1 BvR 2047/03: „Das Prioritätsprinzip als Regel der Konfliktentscheidung ist verfassungsrechtlich zwar erlaubt (...), aber nicht geboten. Der von dem Bundesgerichtshof aus dem einfachen Recht abgeleitete Vorrang des
bürgerlichen Namens ist angesichts von dessen Bedeutung für die Bezeichnung der Person als Entscheidungsregel verfassungsrechtlich
jedenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn das Pseudonym noch keine allgemeine Verkehrsgeltung erlangt hat, wovon der Bundesgerichtshof ausgegangen ist, und es dem Betroffenen nicht verwehrt wird, es zusammen mit einem weiteren Zusatz als Internetadresse zu
nutzen.", noch nicht veröffentlicht, zitiert aus dem Rechts- Newsletter der Kanzlei Dr. Bahr, 40.KW/2006.
112 BGHZ 155, 273 = NJW 2003, 2978 = MMR 2003, 726 m. Anm. Hoffmann- maxem.de; wie allerdings die Entscheidung hinsichtlich der TLD „.name.de“ ausfallen würde, ist offen, vgl. auch Hoffmann, Entwicklungen des Internetrechts bis Mitte 2004, NJW 2004, 2573; s. aber auch Seifert, Das Recht der Domainnamen, Kap. 3 Rn. 17.
113 BGH GRUR 2005, 430, 431 –mho.de unter Verweis auf BGH GRUR 2002, 622 – shell.de.
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die zügig folgende Aufnahme einer für sich genommen rechtlich unbedenklichen Aufnahme
einer entsprechenden Benutzung als Unternehmenskennzeichen vorgenommen wird. Wenn
die Nutzung dann in der Art geschieht, dass dem Domain-Inhaber ein eigenes Recht nach § 5
Abs. 2 MarkenG erwächst, so können bei Branchenverschiedenheit zwei voneinander unabhängige, gleichberechtigte Kennzeichenrechte bestehen, die markenrechtlich nicht kollidieren.
Dann gilt wieder das First-come-first-served-Prinzip.114 Dagegen ist eine „prioritätswahrende
Fortführung“ nicht möglich, wenn eine Firma ihre geschäftliche Bezeichnung aufgibt und
dabei eine Domain innehatte, deren Namen aus dieser Geschäftsbezeichnung gebildet ist. Sie
muss damit rechnen, dass nun ein anderes Unternehmen mit besserer Priorität die Löschung
der Domain verlangen kann.115
Interessant könnten im Zusammenhang insb. mit den namensrechtlich geschützten Domains
die Auswirkungen der neu eingeführten „Umlaut“ - Domains werden. Wie wird man namensrechtlich die Rechtsposition einer Frau Müller, bisher Inhaberin der domain „mueller.de“ gegenüber einer Frau Mueller beurteilen?116Bisher ist die Rechtsprechung noch wenig vorangeschritten. Immerhin hat das OLG Köln im Fall einer Firma, die sich nach ihrer Domain
„schluesselbaender.de“ nun auch noch „schlüsselbänder.de“ sicherte, keine wettbewerbswidrige Behinderung von Mitbewerbern gesehen.117 Im direkten Konflikt zweier entsprechender
Domains gab das AG Köln dem Namensinhaber und Inhaber der Domain „goerg.de“ wegen
Verwechslungsgefahr gegenüber der neuen Domain „görg.de“ Recht, da ansonsten in die ältere Rechtsposition des bisherigen Inhabers der goerg.de- Domain eingegriffen würde.118
In bestimmten Fällen erweist sich auch das Recht der einen Partei als besonders schützenswert. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn der Name berühmter Unternehmen oder
auch der Name von Gebietskörperschaften als Domain verwendet wird. Solche Domains sind
vor allem wegen ihres hohen Kanalisierungseffektes beliebt.119
114
BGH GRUR 2005, 430 f.-mho.de.
BGH GRUR 2005, 871, 873 – Seicom.
116 s. dazu Reinholz/Härting, CR 2004, 603; wN bei Schuster et.al., MMR 2005, Beilage 5, 25.
117 OLG Köln, MMR 2005, 763 – schlüsselbänder.de.
118 AG Köln, CR 2005, 682 – görg.de.
119 Ernst, Internetadressen – Der Stand der Rechtssprechung , MMR 2001, S. 368 (372).
115
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1. Namensrechtsverletzungen gegenüber Gebietskörperschaften
Als Geburtsstunde des Domainrechts wurde die Entscheidung des LG Mannheims120 aus dem
Jahre 1996 zur Domain „heidelberg.de“ bezeichnet.121 Ein Softwareunternehmen wollte eine
Datenbank mit Informationen über die Rhein-Neckar-Region ins Internet stellen und ließ sich
zu diesem Zweck die Domain „heidelberg.de“ registrieren. Hiergegen klagte erfolgreich die
Stadt Heidelberg, die darin eine Verletzung ihres Namensrechtes sah. Das LG Mannheim entschied, dass die Stadt Heidelberg gemäß § 12, S. 2 BGB Unterlassung der Benutzung verlangen könne. Durch die namensmäßige Verwendung der Domain „heidelberg.de“ seien die Interessen der Stadt Heidelberg verletzt, da ein nicht unerheblicher Teil der Benutzer die Domain
„heidelberg.de“ mit der Stadt in Verbringung brächte. Es liege nahe, dass unter dieser Domain
nicht nur Informationen über die Stadt Heidelberg, sondern Informationen von der Stadt Heidelberg abgerufen werden könnten.
Die Verwendung eines Städtenamens durch fremde Anbieter birgt so vor allem die Gefahr
einer sogenannten Zuordnungsverwirrung.
Die vom LG Mannheim begonnene Rechtsprechung ist von zahlreichen weiteren Entscheidungen zu Städtenamen oder sonstigen Gebietskörperschaften (etwa „deutschland.de“122)
bestätigt worden.123
Im Fall der Kollision von Namensrechten überwiegt das Interesse einer Gebietskörperschaft
jedoch nicht zwangsläufig dasjenige eines Inhabers eines identischen Namens.124 Insbesondere wenn es sich lediglich, wie im Fall „boos.de“125 um eine relativ kleine Gemeinde handelt.
Es bleibt dann bei dem Prioritätsgrundsatz.
Noch reichlich Streitpotential bieten solche Domains, welche außer dem Städtenamen noch
weitere Zusätze beinhalten, wie etwa „freiburg-online.de“.126 Eine Zuordnungsverwirrung
scheidet dann aus, wenn durch den Zusatz in der Second Level Domain der Verkehr davon
ausgehen wird, dass hier nicht Informationen des Namensinhabers, sondern solche über ihn
120
LG Mannheim, CR 1996, S. 353 = GRUR 1997, S. 377 – heidelberg.de.
Köhler/Arndt, Recht des Internet, Rn. 52.
122 LG Berlin, MMR 2001, S. 57 – deutschland.de.
123 Überblick bei Ernst, Internetadressen – Der Stand der Rechtssprechung , MMR 2001, S. 368 (372) mit zahlreichen
w. Nachw..
124 Seifert, Das Recht der Domainnamen, Kap. 3 Rn. 29 f, 31 mwN; Hoeren, Rechtsfragen im Internet, S. 37 f, abzurufen unter http://www.uni-muenster.de/Jura.itm/hoeren/material/Skript/skript_August2005.pdf.
125 So LG Augsburg, K&R, 2001, S. 423 – boos.de; vgl. auch LG Leipzig, Urt. V. 8.2.2001, jurPC Web-Dok. 6/2002
– waldheim.de; LG Coburg, Urt. V. 13.6.2001, jurPC Web-Dok. 212/2001 – tschirn.de.
126 Ernst, Internetadressen – Der Stand der Rechtssprechung , MMR 2001, S. 368 (372).
121
31
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angeboten werden.127 Insbesondere fraglich ist bei solchen Domains, ob eine Zuordnungsverwirrungs- oder Verwechslungsgefahr auch dann bejaht werden kann, wenn der Inhalt der aufgerufenen Websites keinerlei Bezug zur Gebietskörperschaft aufweist, oder die Website, unter
der Top-level-Domain .com (für „commercial“) registriert ist und somit auf einen kommerziellen Inhalt der betreffenden Website hinweist.128 (Das LG Karlsruhe hat jedoch in der Entscheidung „badwildbach.com“129 eine Zuordnungsverwirrung bejaht, obwohl die betreffende
Website unter der Top-Level-Domain .com registriert war.)
2. Gleichnamigkeit mit berühmten Unternehmen130
Zu Problemen kann es auch kommen, wenn jemand seinen Namen als Domain benutzt, der
identisch ist mit dem eines bekannten Unternehmens. Grundsätzlich gilt auch hier der Prioritätsgrundsatz. Allerdings hat die Rechtsprechung von diesem Prinzip zugunsten von Unternehmen mit überragender Bekanntheit Ausnahmen gemacht.
In dem Fall „krupp.de“131 gab das OLG Hamm einer Klage der Krupp AG auf Unterlassung
der Nutzung der Domain „krupp.de“ durch einen Einzelkaufmann statt, der unter der Firma
W.E. Krupp Kommunikation eine Online-Agentur betrieb.
Die Nutzung der Domain „krupp.de“ durch den Beklagten verletze das Interesse der Klägerin
an der ungestörten Führung ihres Namens „Krupp“. Zwar sei aufgrund der unterschiedlichen
Geschäftsbereiche eine Verwechslungsgefahr eher unwahrscheinlich, jedoch sei das Firmenschlagwort „Krupp“ aufgrund seiner überragenden Verkehrsgeltung auch unter dem Aspekt
der Verwässerungsgefahr geschützt. Der Beklagte könne sich nicht darauf berufen selbst mit
bürgerlichem Familiennamen „Krupp“ zu heißen und unter diesem Namen eine eigene Firma
zu führen. Auch seine zeitliche Priorität bei der Registrierung der Domain „krupp.de“ verschaffe ihm nicht das bessere Namensrecht gegenüber der Klägerin. Vielmehr ergebe die Priorität beim Namensrecht als solchem den besseren Rang. Bei Streitigkeiten um kollidierende
Domainnamen müsse ein Interessenausgleich gefunden werden, der beiden Namensträgern
ein kennzeichnungskräftiges Auftreten im Internet ermöglicht. Als prioritätsjüngerem obliege
127
OLG Düsseldorf WRP 2002, 1085 - duisburg-info.de; s. auch Seifert, Das Recht der Domainnamen, Kap. 3 Rn.
20.
Bottenschein, Namensschutz bei Internet-Domains, MMR 2001, S. 286 (291).
129 LG Karlsruhe, MMR 1999, S. 604 – badwildbach.com.
130 Zur insoweit nicht immer kohärenten Handhabung durch die Gerichte informativ Bröcher, Domainnamen und das
Prioritätsprinzip im Kennzeichenrecht, MMR 2005, 203.
131 OLG Hamm, CR 1998, S. 241 m. Anm. Bettinger – krupp.de.
128
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dem Beklagten jedoch grundsätzlich die Pflicht zur Abstandswahrung. Schließlich könne er
seinen Namen durch geringfügige Zusätze weiterhin als kennzeichnungskräftige Domain nutzen.
Diese Rechtsprechung wurde im Wesentlichen von den Gerichten beibehalten und noch präzisiert.132 In dem ähnlich gelagerten Fall „joop.de“133 entschied das LG Hamburg, dass nach
der Grundregel des Rechts der Gleichnamigen der jüngere Namensträger, der ja im Prinzip
auch ein berechtigtes Interesse an der Verwendung seines Namens vorweisen kann, alles zumutbare zu tun habe, um Verwechslungen auszuschließen. Nach dieser Regel sei der Beklagte, ein norddeutscher Klavierhändler, nicht berechtigt gewesen, die unzweifelhaft auf die Firma des Klägers, dem bekannten Modeunternehmen, hinweisende Domain zu benutzen. Der
Beklagten sei es zuzumuten ihren Namen mit Zusätzen als Domain zu verwenden (etwa
„joop-pianohaus.de“). Demgegenüber habe der Kläger aufgrund seiner Inhaberschaft an dem
bekannten Unternehmenszeichen ein besonderes Interesse an der Domain „joop.de“ ohne Zusätze, schon um einer Verwässerungsgefahr gegen jede Beeinträchtigung der Werbekraft des
Kennzeichens vorzubeugen. Das LG Hamburg zieht schließlich einen weiteren Aspekt in die
Interessenabwägung mit ein, nämlich die enttäuschte Erwartung der Internet-Nutzer bei Eingabe der Adresse www.joop.de die Homepage der Klägerin vorzufinden. Der Großteil der
Internetnutzer werde gezwungen, sich ungewollt die Homepage der Beklagten anzusehen.
In seiner Grundsatzentscheidung „shell.de“134 hat der BGH diese unterinstanzliche Rechtsprechung bestätigt. Zwar gelte bei Gleichnamigkeit grundsätzlich das Gerechtigkeitsprinzip der
Priorität.135 Diesem Prinzip müsse sich grundsätzlich auch der Inhaber eines relativ stärkeren
Rechts unterwerfen.136 Sei aber das Interesse der streitenden Parteien, auf Grund der überragenden Bekanntheit der einen Partei, von sehr unterschiedlichem Gewicht, so könne es nicht
allein bei der Prioritätsregel bleiben.137 Es sei vielmehr eine Interessenabwägung vorzunehmen.138 Im Falle der überragenden Bekanntheit einer der Parteien, sei die andere Partei wegen
der zwischen Gleichnamigen geschuldeten Rücksichtsnahme verpflichtet, für ihre Domain-
132
z.B. OLG München, CR 1999, S. 383 – shell.de.
LG Hamburg, ZUM-RD 2001, S. 287 – joop.de.
134 BGH, MMR 2002, S. 382 m. Anm. Hoeren – shell.de; für das schweizerische Recht inzwischen ähnlich entschieden
durch das Schweiz. BGzu „maggi.com“, MMR 2005, 366 m. krit. Anm. Mietzel.
135 BGH, MMR 2002, S. 382 (385) – shell.de.
136 BGH, MMR 2002, S. 382 (385) – shell.de.
137 BGH, MMR 2002, S. 382 (385) – shell.de.
138 BGH, MMR 2002, S. 382 (384) – shell.de.
133
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namen einen Zusatz zu wählen.139 Der BGH begründet diese Ausnahme vom Prioritätsprinzip,
wie schon zuvor das LG Hamburg im Falle „joop.de“140, mit der Erwartung der Internetnutzer, nach Eingabe des Namens des bekannten Unternehmens unter der Domain .de die Homepage des betreffenden Unternehmens zu finden.141 Dagegen würde der eher kleinere, homogenere Benutzerkreis, der im Internet die Seite des weniger bekannten Namensträgers sucht,
von sich aus nicht erwarten diese unter der Domain des überragend bekannten Unternehmens
zu finden und könne darüber hinaus leicht über die Änderung des Domainnamens informiert
werden.142
Die Entscheidung des BGH schafft Rechtsklarheit und ist in der Literatur auf Zustimmung
gestoßen.143 Grundsätzlich bleibt es also bei der Prioritätsregel, bei überragender Bekanntheit
kann jedoch eine vorzunehmende Interessenabwägung auf Grund der Erwartung des Publikums ergeben, dass dem bekannten Unternehmen das Recht zur Nutzung der Domain zugesprochen wird.
F. Verwendung von Gattungsbegriffen
Eines der in der Literatur und in der Rechtsprechung meistdiskutierten Probleme im Bereich
des Domainrechts der letzten Jahre war die Frage nach der Zulässigkeit der Verwendung von
Gattungsbegriffen als Domains. Mittlerweile existieren einige Urteile auf der Ebene der Oberlandesgerichte144 sowie des Bundesgerichtshofs zu dieser Frage145.
Wegen der mangelnden Unterscheidungskraft solcher Gattungsbezeichnungen können diese
nicht als Marke eingetragen werden. Da jedoch für die Registrierung einer Domain nicht Voraussetzung ist, dass ihr Unterscheidungskraft zukommt, können Gattungsbegriffe als beschreibende Domains ohne weiteres angemeldet werden.146
139
BGH, MMR 2002, S. 382 (385) – shell.de.
LG Hamburg, ZUM-RD 2001, S. 287 – joop.de.
141 Vgl. BGH, MMR 2002, S. 382 (385) – shell.de.
142 BGH, MMR 2002, S. 382 (385) – shell.de.
143 Hoeren, MMR 2002, S. 386 (Anm. zu: BGH, MMR 2002, S. 382 – shell.de); Viefhues, MMR 2002, S. 341.; Strömer,
K&R 2002, S. 307.
144 OLG Hamm, MMR 2001, S. 237 – sauna.de; OLG Braunschweig, MMR 2000 S. 610 = CR 2000, S. 614 – stahlguss.de,; OLG Hamburg, MMR 2000, S. 40 = CR 1999, S. 779 – mitwohnzentrale.de.
145 BGHZ 148, 1 = NJW 2001, 3262 = MMR 2001, 666 m. Anm. Hoeren – mitwohnzentrale.de; dem folgend BGH
GRUR 2005, 687 – weltonline.de u.a., s.u..
146 BGHZ 148, 1 = NJW 2001, 3262 = MMR 2001, 666 m. Anm. Hoeren – mitwohnzentrale.de; dem folgend BGH
GRUR 2005, 687 – weltonline.de.
140
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Diskutiert wurde das Problem in erster Linie unter dem Aspekt eines monopolisierenden Kanalisierungseffektes, beziehungsweise einer unlauteren Behinderung von Wettbewerbern gemäß § 4 Nr. 10 UWG nF.
Eine unlautere Behinderung von Wettbewerbern könnte darin zu sehen sein, dass viele Nutzer
auf der Suche nach einer bestimmten Information oder einem bestimmten Angebot aus Bequemlichkeit zunächst eine Gattungsbezeichnung eingeben und so bei einem „erstbesten“
Anbieter hängen bleiben könnten, der die entsprechende Gattungsbezeichnung für sich registriert hat. Unter diesem und dem damit verknüpften Gesichtspunkt einer monopolisierenden
Kanalisierung von Kundenströmen nahm das LG München147 („rechtsanwälte.de“) einen
Verstoß gegen § 1 UWG a.F. an. Unter einem Gattungsbegriff geschaltete Websites könnten
den Nutzer veranlassen das entsprechende Angebot anzunehmen und auf eine Suche nach
weiteren Anbietern zu verzichten. Ein Leistungsvergleich mit anderen Wettbewerbern fände
damit nicht mehr statt. Ähnlich entschied auch das LG Köln148 („zwangsversteigerungen.de“), sowie das OLG Hamburg149 („mitwohnzentrale.de“). Demgegenüber nahm das
OLG Hamm150 („sauna.de“) an, allein mit Ausnutzung der Bequemlichkeit könne noch kein
Unlauterkeitsvorwurf begründet werden, da ein verständiger Internetnutzer wisse, dass es
weitere Wettbewerber auf dem Markt gibt. Auch andere Gerichten waren jedoch skeptisch, ob
ein solcher Kanalisierungseffekt eine Sittenwidrigkeit begründen könne. Verneint wurde dies
außerdem durch das LG Hamburg151 („lastminute.de“) und das OLG München152 („autovermietung.de“) Das OLG Braunschweig153 („stahlguss.de“) urteilte, dass eine Verwendung
eines Gattungsbegriffes nur dann unlauter sei, wenn eine Gesamtschau aus Domain und Auftritt den Eindruck erwecke, das Angebot sei abschließend.
In seiner Grundsatzentscheidung („mitwohnzentrale.de“)154 entschied der BGH, dass eine
Kanalisierung der Kundenströme alleine noch keine Wettbewerbswidrigkeit begründen könne. Ein Abfangen von Kunden sei nur unlauter, wenn sich der Werbende zwischen den Mitbewerber und dessen Kunden stellt, um diesen gewissermaßen eine Änderung des Kaufent-
147
LG München I, MMR 2001, S. 179 = CR 2001, S. 128 – stahlguss.de.
LG Köln, Urt. v. 10.10.2000, MMR 2001, S. 55 = CR 2001 S. 193 – zwangsversteigerungen.de.
149 OLG Hamburg, MMR 2000, S. 40 = CR 1999, S. 779 - mitwohnzentrale.de.
150 OLG Hamm, MMR 2001, S. 237 - sauna.de.
151 LG Hamburg, MMR 2000, S. 763 = CR 2000, S. 617 - lastminute.com.
152 OLG München, “), ZUM 2001, S. 602 - autovermietung.com.
153 OLG Braunschweig, “), MMR 2000, S. 610 = CR 2000, S. 614 - stahlguss.de.
154 BGH BGHZ 148, 1 = NJW 2001, 3262 = MMR 2001, 666 m. Anm. Hoeren – mitwohnzentrale.de; dem folgend
BGH GRUR 2005, 687 – weltonline.de .
148
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schlusses aufzudrängen. Der Betreiber einer mit einem Gattungsbegriff bezeichneten Website
nutze jedoch lediglich in legitimer Weise einen sich bietenden Vorteil aus. Der durchschnittlich unterrichtete und verständige Bürger wisse in der Regel, dass es sich bei einer so bezeichneten Website nicht um das alleinige Angebot handele. Im konkreten Fall sei die Vorinstanz jedoch nicht genügend der Frage nachgegangen sei, ob durch die Verwendung der Gattungsbezeichnung eine Irreführung des Verbrauchers im Sinne von §§ 3, 5 UWG nF vorliege.
Der Fall wurde insoweit an die Berufungsinstanz zurückgewiesen. Sollte das Berufungsgericht eine Irreführung durch unzutreffende Alleinstellungsbehauptung bejahen, könne es dem
Domaininhaber aufgegeben sein auf seiner Website darauf hinzuweisen, dass es weitere Mitbewerber gäbe. Das OLG Hamburg hat denn auch inzwischen in seinem zweiten Berufungsurteil („Mitwohnzentrale II“) die Irreführung verneint. Mit dem inzwischen auf der Seite befindlichen Hinweis „Auf dieser Seite werden nur Mitglieder des Rings Europäischer Mitwohnzentralen e.V. aufgeführt“ werde eine Alleinstellung offensichtlich nicht behauptet.155
Irreführend wegen unzutreffender Alleinstellungsbehauptung ist nach OLG Hamm allerdings
die Domain „tauchschule-dortmund.de“156 sowie nach LG Berlin die Bezeichnung „Deutsches
Anwaltsverzeichnis“157, wobei in letzterem Fall auch ein Disclaimer nicht als zur Irrtumsvermeidung ausreichend angesehen wurde. Als nicht irreführend sieht der Anwaltssenat des
BGH inzwischen auch die Domains „rechtsanwaelte-notar.de“158 und „presserecht.de“159.
Dabei wurde zum einen darauf abgestellt, dass sich dem Nutzer bereits auf der ersten Seite
der Homepage erschließe, dass es sich lediglich um eine Einzelpräsentation handele,160 zum
anderen darauf hingewiesen, dass der durchschnittliche Internet-Nutzer wisse, dass er selbst
unter einer Domain wie „presserecht.de“ nicht mit Sicherheit auf neutrale Informationen stoßen werde.161
Der Gattungsbegriff „deutsche-anwaltshotline.de“ ist nach OLG Jena ebenfalls grundsätzlich
zulässig; da er sich im konkreten Fall jedoch gezielt an die bereits davor bestehende „Deutsche Anwaltshotline“, die seit Jahren anwaltliche Telefonberatung anbietet, anlehnte, wurde
hier eine wettbewerbswidrige Behinderung angenommen.162
155
OLG Hamburg, MMR 2003, S. 537 – Mitwohnzentrale II.
OLG Hamm, MMR 2003, 471 m. Anm. Karl.
157 LG Berlin, MMR 2003, 490.
158 BGH, NJW 2003, 504; beachte aber : BGH MMR 2005, 759 – anwaltskanzlei-notariat.de..
159 BGH, NJW 2003, 662; dazu auch Hoffmann, Die Entwicklung des Internet – Rechts bis Mitte 2003, NJW 2003,
2576, 2579.
160 BGH, NJW 2003, 504.
161 BGH, NJW 2003, 662.
162 OLG Jena, MMR 2005, 776; davor LG Erfurt MMR 2005, 121 m. Anm. Schulte.
156
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Wie der BGH nun entschieden hat, liegt in der Registrierung eines Gattungsbegriffs (hier:
„weltonline.de“) als Domainnamen regelmäßig auch keine sittenwidrige Schädigung, selbst
wenn es nahe liegt, dass ein Unternehmen (hier: Die Zeitung „Die WELT“) diesen Domainnamen für seinen Internetauftritt verwenden könnte.163
Wer einen Domainnamen für sich beansprucht, der aus einem Gattungsbegriff besteht, muss
nach einer weiteren Entscheidung des BGH originäre Unterscheidungskraft bzw. für markenrechtlichen Schutz eine Verkehrsgeltung nachweisen. Dies gelang dem Verein „Literaturhaus
e.V.“ nicht. Allerdings hat der BGH auch festgehalten, dass in Fällen wie dem vorliegenden,
wo der jetzige Domaininhaber die Domain ursprünglich auf Anfrage der Klägerin hatte registrieren lassen, um ihr einen Internetauftritt zu erstellen, eine Verpflichtung zur Aufgabe der
Domain wegen gezielter Behinderung eines Mitbewerbers nach § 4 Nr. 10 UWG und eines
Verschuldens bei Vertragsverhandlungen in Betracht komme.164 Wegen gezielter Behinderung eines Mitbewerbers unterlag auch der Inhaber der generischen Domain „Advanced Microwave Systems“.165
Eine neue Variante vermeintlichen Behinderungswettbewerbs ist im Zusammenhang mit den
am 01.03.2004 eingeführten „Umlaut-Domains“ aufgekommen: Das OLG Köln166 hatte über
einen Fall zu entscheiden, in dem sich zunächst die Parteien mit ihren Domains „schluesselband.de“ einerseits und „schluesselbaender.de“ andererseits gegenüberstanden. Nach Einführung der Umlaut-Domains gelang es der einen Partei, sich sowohl die Domainnamen „schlüsselband.de“ als auch „schlüsselbänder.de“ registrieren bzw. von einem Dritten übertragen zu
lassen. Dem Argument, die Aufhebung der Unterscheidung zwischen einerseits Singular und
andererseits Plural im Domainnamen führe zu einem Abfangen von Kundenströmen, ist das
OLG Köln nicht gefolgt: Wer sich durch die neuen Domains weitere Schreibweisen eines
Gattungsbegriffs gesichert habe, behindere noch nicht allein dadurch wettbewerbswidrig einen Mitbewerber, der denselben Gattungsbegriff ohne Umlautschreibweise als Domain innehabe.167
163
BGH GRUR 2005, 687 – weltonline.de = MMR 2005, 534 m. krit. Anm. Viefhues.
BGH MMR 2005, 374 – literaturhaus.de.
165 OLG Hamburg, MMR 2006, 328.
166 OLG Köln, Urt. v. 02.09.2005, Az. 6 U 39/05 – schlüsselbänder.de; als JurPC Web-Dok. 116/2005 abzurufen
unter http://www.jurpc.de/rechtspr/20050116.htm .
167 OLG Köln, Urt. v. 02.09.2005, Az. 6 U 39/05 – schlüsselbänder.de; als JurPC Web-Dok. 116/2005 abzurufen
unter http://www.jurpc.de/rechtspr/20050116.htm .
164
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Öffentlich-rechtliche Institutionen stellen hier ein Sonderproblem dar: Der Begriff „Hessentag“168 darf wegen Gefahr der Zuordnungsverwirrung auch als Domains nur von Institutionsträgern gehalten bzw. genutzt werden; bei der Bezeichnung wie „Mahngericht“169 allerdings
sah das OLG Köln zwar ebenfalls die Gefahr der Zuordnungsverwirrung, schloss allerdings
namensrechtliche Ansprüche des klagenden Bundeslandes aus, so dass der Anspruch auf
Freigabe nicht durchging.
G. Rechtsfolgen bei Verletzung fremder Kennzeichenrechte
Liegen die Voraussetzungen des Markengesetzes vor, so kann der Verletzer gemäß § 14 Abs.
5 und 6 MarkenG beziehungsweise gemäß § 15 Abs. 4 und 5 MarkenG auf Unterlassung und
im Verschuldensfall auch auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden. Das gleiche
gilt für Verletzungen von Namensrechten im Sinne des § 12 BGB. Hier ergeben sich die Ansprüche aus §§ 12, 1004 Abs. 1 BGB beziehungsweise aus §§ 12, 823 Abs. 1 BGB. Bei unlauterem oder irreführendem Verhalten im Wettbewerb kommen Unterlassungsansprüche und
Schadensersatz nach den § 3 iVm § 4 oder § 5, iVm §§ 8,9 UWG nF in Betracht. Bei sittenwidrigem „Domain-Grabbing“ außerhalb von Wettbewerbsverhältnissen können sich zudem
Ansprüche aus §§ 226, 826, 1004 Abs. 1 BGB ergeben.170
Der Unterlassungsanspruch richtet sich auf die Entfernung der entsprechenden Website und
Freigabe der Domain. Obwohl dies vereinzelt vertreten wurde, besteht kein Anspruch auf eine
Übertragung der streitbefangenen Domain.171 Vielmehr muss der Gläubiger selbst einen entsprechenden Registrierungsantrag bei der DeNIC e.G. stellen. Um zu verhindern dass ein
Dritter die freigewordene Domain zuerst besetzt, kann bei der DeNIC ein sogenannter „Dispute-Antrag“ gestellt werden.172
Sofern Domain-Namen bekannter Unternehmen registriert werden, um von dem eigentlichen
Kennzeicheninhabern ein Entgelt für die Freigabe der Domain zu verlangen, ist dieses Verhalten über die genannten zivilrechtlichen Ansprüche hinaus unter Umständen auch als Kennzeichenverletzung (§ 143 MarkenG) und Erpressung (§ 253 StGB) strafbar.173
168
LG Frankfurt/Main, MMR 2005, 782 – hessentag.de.
OLG Köln MMR 2006, 31, anders die Vorinstanz: LG Köln, MMR 2005, 621 – mahngericht.de.
170 z.B. LG München I, MMR 2006, 692: Domain-Grabbing durch planmäßige Suche nach versehentlich freigewordenen Domainnamen.
171 Vgl. m. w. Nachw. Viefhues, Domain-Names, MMR-Beilage 8/2001, S. 25 (28 f).
172 Viefhues, Domain-Names, MMR-Beilage 8/2001, S. 28.
173 Siehe hierzu LG München II, Urt. v. 14.9.2000 (Strafbarkeit wegen Domain-Grabbing), CR 2000, S. 847.
169
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H. Pfändung von Domains
Wie Marken können auch Domains einen bedeutsamen wirtschaftlichen Wert darstellen. Dieser Wert kann sich daraus ergeben, dass eine Domain besonders einprägsam ist. Darüber hinaus kann eine Domain ihren Wert durch die Leistung des dahinterstehenden Unternehmens
erhalten. Etwa dadurch dass die Domain einen hohen Bekanntheitsgrad erlangt hat, oder weil
mit der Domain als Kennzeichen des Unternehmens oder bestimmter Produkte ein besonderer
Qualitätsstandard verbunden wird.
Strittig ist jedoch ob, und unter welchen Umständen Domains als anderes Vermögensrecht im
Sinne von § 857 ZPO gepfändet werden können.174 Als erstes Gericht entschied das AG
Gladbeck175 und bestätigend das LG Essen176, dass Domains grundsätzlich pfändbar seien. Es
handele sich bei Domains um ein Rechtsinstitut sui generis, welches verkauft, vermietet oder
versteigert werden könne. Als grundsätzlich übertragbares Recht könne es daher auch gepfändet werden. Das LG München177 hat dagegen in zwei Urteilen eine Pfändbarkeit von Domains
verneint. In einem ersten Fall178 sah das LG München durch die Pfändung einer Domain, die
ausschließlich aus dem Familiennamen des Schuldners bestand dessen Namensrecht aus § 12
BGB verletzt. In einem zweiten Fall179 erklärte das LG München die Pfändung von Domains
auf Grund ihrer Namensfunktion für grundsätzlich unzulässig. Die beteiligten Verkehrskreise
würden einen Domainnamen nicht nur als Verbindung zu einem Rechner sondern auch zu
dem Inhaber des Domainnamens auffassen. Diese Erwartung der Nutzer könne durch eine
Pfändung enttäuscht werden und so eine unzulässige Zuordnungsverwirrung und Identitätstäuschung entstehen. Die Rechtsprechung des LG München ist in der Literatur weitgehend auf
Kritik gestoßen.180 Da Rechte aus einer Domain-Registrierung grundsätzlich übertragbar seien, könne an einer Pfändbarkeit einer Domain kein grundsätzlicher Zweifel bestehen.181 Auch
das Namensrecht würde durch eine Pfändung nicht verletzt, da der Schuldner seinen Namen
174
Zustimmend Thomas/Putzo, ZPO, § 857 Rn. 6 mwN; s. auch Ernst, Internetadressen, MMR 2001, S. 368 (374)
m. w. Nachw..
175 AG Gladbeck, Beschl. v. 5.2.1999 (13 M 56/99).
176 LG Essen, Beschl. v. 22.9.1999, MMR 1999, S. 286 (m. Anm. Viefhues).
177 LG München I, Beschl. v. 28.6.2000, MMR 2000, S. 565 = CR 2000, S. 620; LG München I Beschl. v. 12.2.2001,
MMR 2001, 319 (m. Anm. Welzel) = CR 2001, S. 342 (m. Anm. Hanloser).
178 LG München I, Beschl. v. 28.6.2000, MMR 2000, S. 565 = CR 2000, S. 620.
179 LG München I, Beschl. v. 12.2.2001, MMR 2001, 319 (m. Anm. Welzel) = CR 2001, S. 342 (m. Anm. Hanloser).
180 Welzel, Anmerkung zu LG München I Beschl. v. 12.2.2001, MMR 2001, S. 321; derselbe, Zwangsvollstreckung in
Internet-Domains, MMR 2001, S. 131; Hoffmann, Die Entwicklung des Internet-Rechts, NJW-Beilage 14/2001, S.
25f; ebenfalls für eine Pfändbarkeit von Domains: Plaß, Die Zwangsvollstreckung in die Domain, WRP 2000, S.
1077; kritisch: Hanloser, Die „Domain-Pfändung“ in der aktuellen Diskussion, CR 2001, S. 456.
181 Hoffmann, Die Entwicklung des Internet-Rechts, NJW-Beilage 14/2001, S. 25 f.
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unter einer anderen Top-Level-Domain oder mit einem Zusatz weiterhin als Internet-Adresse
verwenden könne.182 Das OLG München hat dementsprechend die Pfändbarkeit der Domain
„sport.de“ bejaht.183 Die Pfändbarkeit der Konnektierungsansprüche des Domaininhabers gegen die Denic im Wege der Forderungspfändung ist davon unabhängig allerdings anerkannt,
wobei in diesem Fall die Verwertung problematisch ist.184
Der BGH hat dem folgend nun entschieden, dass eine Internet-Domain kein „anderes Vermögensrecht“ i.S.d. § 875 Abs. 1 ZPO darstelle. Vielmehr sei zulässiger Gegenstand der
Pfändung die Gesamtheit der schuldrechtlichen Ansprüche, die dem Domaininhaber aus
dem Vertragsverhältnis mit der Vergabestelle zustünden.185 Die Verwertung der so gepfändeten Ansprüche könne nach §§ 857 Abs. 1, 844 Abs. 1 ZPO durch Überweisung an Zahlungs
Statt zu einem Schätzwert erfolgen.186
Unabhängig davon interessant sind daneben die Lösungsansätze zur Bewertung von Domains.187 Hier wurden verschiedene Formeln und Modelle erarbeitet, die mit einer unterschiedlichen Breite an Indikatoren versuchen, den wirtschaftlichen Wert188 einer Domain zu
erfassen, so z.B. die RICK189- oder die Horatius190-Formel sowei das SCHARF191-Modell.
Aus steuerrechtlicher Sicht soll nach einem Urteil des FG Rheinland-Pfalz die Domain als
immaterielles Wirtschaftsgut zwar Teil des Anlagevermögens, aber mangels Wertverzehr
nicht abschreibungsfähig sein.192
I. Sonstige kennzeichnungsrechtliche Besonderheiten im Internet
182
Hoffmann, Die Entwicklung des Internet-Rechts, NJW-Beilage 14/2001, S. 26.
OLG München, K&R 2004, 496 – sport.de.
184 Hanloser, Rechtspfleger 2000, 525, 527; ders. CR 2001, 344 f; Hoeren, Rechtsfragen im Internet, S. 56 m.w.N., abzurufen unter http://www.uni-muenster.de/Jura.itm/hoeren/material/Skript/skript_August2005.pdf.
185 BGH, JurPC Web-Dok. 110/2005= MMR 2005, 685 m. Anm. Hoffmann = GRUR 2005, 969= NJW 2005, 3353.
186 BGH, JurPC Web-Dok. 110/2005= MMR 2005, 685 m. Anm. Hoffmann = GRUR 2005, 969= NJW 2005, 3353;
dagegen für die Versteigerung auf einer Internetplat:tform LG Mönchengladbach, MMR 2005, 197.
187 dazu Hombrecher, MMR 2005, 647.
188 zur Streitwertberechnung Florian Schmitz/Steffen/Schröder, Streitwertbestimmung bei Domainstreitigkeiten,
K & R 2002, 189; Hoeren, Rechtsfragen im Internet, S. 57 m.w.N. aus der Rspr., abzurufen unter http://www.unimuenster.de/Jura.itm/hoeren/material/Skript/skript_August2005.pdf.
189 s. z.B. http://www.domain-recht.de/handel/rick.php.
190 S. http://www.adresso.de/horatius.htm.
191 Zu finden unter http://www.bewertungsformel.de.
192 FG Rheinland-Pfalz, MMR 2005, 336 m. krit. Anm. Terhaag/Terhaag = CR 2005, 525 m. krit. Anm. Schmittmann.
183
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1. Hyperlinks
Viel Beachtung gefunden hat ein Urteil des LG Braunschweig193. In diesem Verfahren hatte
die Klägerin auf Feststellung geklagt, dass sie auf Ihrer Website unter Verwendung des Zeichens „FTP-Explorer“ Hyperlinks zur Homepage des amerikanischen Softwareherstellers
FTPX-Windows Corp. setzen darf, von der die Software „FTP-Explorer“ kostenlos heruntergeladen werden kann. Die Beklagte, Firma Symicron, ist Inhaberin der für Deutschland eingetragenen Wortmarke „Explorer“ für Softwareprodukte. Sie stellt dieses Marke lizenzweise
auch Microsoft zu Verfügung. Das LG Braunschweig sah in dem Verwenden des Zeichens
„FTP-Explorer“ durch die Klägerin eine Markenverletzung gemäß § 14 MarkenG, da zwischen dem verwendeten Zeichen „FTP Explorer“ und der von der Beklagten eingetragenen
Marke „Explorer“ Verwechslungsgefahr bestehe.
Diese Urteil wurde mittlerweile vom OLG Braunschweig aufgehoben.194
Identische Verfahren waren auch bei einer Anzahl anderer Gerichte anhängig. So hat das
OLG Hamm195 die Verwendung des Zeichens „FTP-Explorer“ als Link für unrechtmäßig erklärt, weil so die Marke „Explorer“ verwässert werden könne. Ebenso entschied auch das
OLG München.196
Das OLG Düsseldorf197 wiederum hat eine Berufung der Firma Symicron zurückgewiesen, da
das Zeichen "Explorer" nur über eine schwache Kennzeichnungskraft verfüge und bereits der
Zusatz "FTP" vor einer Verwechslungsgefahr schütze. Das OLG Düsseldorf eröffnete jedoch
die Möglichkeit einer Revision zum BGH, so dass die Frage nach der markenrechtlichen Haftung für Links dort entschieden werden kann.
2. Meta-Tags
Intensiv diskutiert wurde auch das Problem der Verwendung geschützter Kennzeichen in
Websites als sogenannte Meta-Tags. Meta-Tags sind für den Nutzer der Website nicht sichtbare Stichwörter im Quelltext einer Websites, die auf den Inhalt der jeweiligen Site hinweisen
und so die gezielte Suche durch Suchmaschinen erleichtern sollen. Nicht selten werden als
193
LG Braunschweig, Urt. v. 6.9.2000 (FTP-Explorer), MMR 2001, S. 187.
OLG Braunschweig, Urt. v. 19.7.2001 – Az. 2 U 141/00 (FTP-Explorer), abzurufen unter: http://www.afsrechtsanwaelte.de/urteile90.htm.
195
OLG Hamm, Urt. v. 15.05.2001 - Az.: 4 U 33/01 (FTP-Explorer), abzurufen unter:
http://www.gravenreuth.de/Urteile/olg_hamm.htm.
196 OLG München, Urt. v. 2.8.2001 - Az.: 6 U 2561/01 (FTP-Explorer), abrufbar unter: http://www.afsrechtsanwaelte.de/urteile91.htm.
197
OLG
Düsseldorf,
Urt.
v.
19.09.2001
–
noch
nicht
veröffentlicht,
siehe
aber:
http://www.golem.de/0109/15924.html.
194
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solche Meta-Tags Marken oder Namen bekannter Unternehmen oder Persönlichkeiten markiert, um möglichst oft in den Trefferlisten der Suchmaschinen zu erscheinen, auch wenn das
tatsächliche Angebot der Website nichts mit dem verwendeten Zeichen zu tun hatte. Umstritten war die Frage, ob in der Verwendung eines Kennzeichens als nicht sichtbarer Meta-Tag
eine kennzeichenrechtliche Benutzung gesehen werden könne.198
Das LG Hamburg199 sowie das OLG München200 hatten diese Frage bejaht und Klagen auf
Unterlassung der Verwendung einer geschützten Marke als Meta-Tag wegen Verwechslungsgefahr stattgegeben. Ebenso in einer jüngeren Entscheidung das LG München I.201 Allerdings
hat das OLG Düsseldorf nun in zwei Fällen einen Unterlassungsanspruch wegen Markenrechtsverletzung durch Verwendung des Kennzeichens in MetaTags abgelehnt;202 die entscheidende Frage der kennzeichenrechtlichen Benutzung ist somit als noch nicht abschließend
geklärt anzusehen.203 Daneben herrscht auch Unsicherheit, ob dem Missbrauch von MetaTags
eher mit markenrechtlichen oder wettbewerbsrechtlichen Mitteln beizukommen ist.204
J. Kollisionsrechtliche Fragen
Die „Ubiquität“ des Internets trägt mit dazu bei, dass immer häufiger Rechtsstreitigkeiten
zwischen Parteien unterschiedlicher nationaler Herkunft auftreten. So verhält es sich auch im
Bereich des Domainrechts. Die Behandlung dieser internationalen Konflikte richtet sich auch
hier nach der anwendbaren Rechtsmaterie.205
198
Schuster/Müller, Entwicklung des Internet- und Multimediarechts, MMR-Beilage 10/2000, S. 22 m. w. Nachw..
LG Hamburg, Beschl. v. 13.9.1999, MMR 2000, S. 46 = CR 2000 121 m. Anm. Ernst.
200 OLG München, Urt. v. 6.4.2000, MMR 2000, S. 546.
201 LG München I, MMR 2004, 689 m. Anm. Pankoke.
202 OLG Düsseldorf, CR 2004, 462 und 936; wN bei Schuster et. al., MMR 2005, Beilage 5, 16, 19.
203 Einen Überblick über die verschiedenen Ansätze bietet Heim, Zur Markenbenutzung durch Meta-Tags, CR 2005,
200.
204 S. dazu informativ Kaufmann, Metatagging- Markenrecht oder reformiertes UWG?, MMR 2005, 348.
205 In diesem Zusammenhang bietet aktuell einen Überblick über den Schutz von Domainnamen in den Beitrittsstaaten der EG Kazemi, MMR 2005, 577.
199
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1. Markenrecht
Soweit das Markenrecht zur Anwendung kommt, unterliegen grenzüberschreitende Konfliktfälle dem sog. Territorialitätsprinzip. Aus ihm ergibt sich, dass Rechtsschutz gegen Kennzeichenrechtsverletzungen nur im Rahmen dessen gewährt wird, was das Recht desjenigen Landes vorsieht, auf dessen Gebiet die Verletzung abgewehrt werden soll. Bedenkt man, dass
eine Internet-Domain weltweit abgerufen werden kann, hat in der Konsequenz jeder Domaininhaber eine Unzahl an unterschiedlichen national geschützter Rechtspositionen zu beachten.
Um dieser ausufernden Haftung zu begegnen, wurde seitens der Rechtsprechung zum Teil ein
besonderer, über die reine Möglichkeit des Abrufs hinausgehender Inlandsbezug der Domainnutzung als Anknüpfungspunkt für eine Rechtsverletzung verlangt.206 Ist somit eine Domain
in Deutschland abrufbar, so kommt es für die Frage der Rechtsverletzung nicht darauf an,
unter welcher TLD sie registriert ist207, sondern es ist zu klären, ob sich der Inhalt gerade
(auch) an den deutschen Markt richtet. Hier wird es auf eine Gesamtschau ankommen, bei der
allerdings die Sprache der Website208, mögliche direkte deutsche Kontaktadressen209, Ort der
Leistungserbringung (wie z.B. bei einem nur in Dänemark vorhandenen Hotel)210 wichtige
Anhaltspunkte sein können. Ob Disclaimer, die den angesprochenen Kundenkreis in nationaler Hinsicht ausdrücklich beschränken, zu einem Haftungsausschluss führen können, ist umstritten.211 Zur internationalen Zuständigkeit hat der BGH jüngst die Zuständigkeit deutscher
Gerichte nach Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ bejaht, wenn die Verletzung des geschützten Rechtsguts
im Inland plausibel behauptet wird.212
2. Allgemeines Namensrecht
206
OLG Karlsruhe MMR 2002, 814 m. Anm. Mankowski – Intel; LG Hamburg GRUR Int. 2002, 163 – hotelmaritime.dk.
207 BGH CR 2005, 359 – HOTEL MARITIME.
208 LG Hamburg MD 2001, 354 – nimm2.com; Seifert, Das Recht der Domainnamen, Kap. 5 Rn. 5; Hoeren, Internetrecht, S. 16f., abzurufen unter
http://www.uni-muenster.de/Jura.itm/hoeren/material/Skript/skript_August2005.pdf.
209 Seifert, Das Recht der Domainnamen, Kap. 5 Rn. 5; LG Hamburg GRUR Int. 2002, 163 – hotel-maritime.dk.
210 LG Hamburg GRUR Int. 2002, 163 – hotel-maritime.dk, bestätigt durch BGH CR 2005, 359 – HOTEL MARITIME.
211 vgl. Seifert, Das Recht der Domainnamen, Kap. 5 Rn. 5; Freitag in Kröger/Grimmy, Hdb. Zum Internetrecht, S. 495;
kritisch m. w. Nachw. Hoeren, Internetrecht, S. 16f., abzurufen unter
http://www.uni-muenster.de/Jura.itm/hoeren/material/Skript/skript_August2005.pdf.
212 BGH CR 2005, 359 – HOTEL MARITIME.
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Verletzungen des Namensrechts aus § 12 BGB werden als unerlaubte Handlung nach § 823
BGB in internationalen Konfliktfällen nach den allgemeinen Grundsätzen aus Art. 40 ff
EGBGB behandelt. Danach gilt das Tatortprinzip, wobei Tatort einerseits der Handlungsort,
nach Wahl des Verletzten aber auch der Erfolgsort der Rechtsverletzung sein kann. Letzterer
liegt überall dort, wo die Domain auf einem PC abgerufen werden kann. Dagegen herrscht
über den Anknüpfungspunkt des Handlungsortes213 Uneinigkeit. Hier wird sowohl auf den
Standort des Registrierungsservers214 abgestellt als auch auf den Ort, an dem über die Domain
Inhalte ins Netz gestellt werden215. Die Rechtsprechung stellt hier hinsichtlich der Domains
auf den Grundsatz des bestimmungsgemäßen Abrufs, also einen Inlandsbezug, ab.216
3. Wettbewerbsrecht
Im Wettbewerbsrecht gilt kollisionsrechtlich das Marktortprinzip. Anwendbar ist das Recht
desjenigen Landes, in dem die wettbewerblichen Interessen im konkreten Markt aufeinander
treffen. Zur Bestimmung des Marktortes im Falle von Internet-Domains gelten ähnliche
Grundsätze wie im Kennzeichenrecht. Auch hier können weniger die TLD’s als vielmehr die
Sprache, Leistungsbedingungen, Kontaktadressen etc. für den inländischen Markt relevante
wettbewerbliche Handlung sprechen.217 Die Wirkung von Disclaimern ist auch in diesem Zusammenhang zweifelhaft.218
III.
Urheberrecht
Literatur:
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CR 2005, 646; ders., Ansprüche des Rechteinhabers bei Umgehung seiner technischen Schutzmaßnahmen, MMR 2005,
148; Aschenbrenner, Leitlinien aus Europa für die Umsetzung der Privatkopieschranke im Zweiten Korb der Urheberrechtsnovelle, ZUM 2005, 145; Barlow, Selling Wine without Bottles – The Economy od Mind and the Global Net, in:
Bernd Hugenholtz (ed.), The Future of Copyright in an Digital Environment, S. 169; Bartsch/Dreier, 20 Jahre Urheber-
213
Seifert, Das Recht der Domainnamen, Kap. 5 Rn. 3.
LG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 979 – epson.de.
215 Palandt-Heldrich, BGB, Art. 40 EGBGB Rn. 12; Sack WRP 2000, 269.
216 Nachw. bei Hoeren, Internetrecht, S. 16f., abzurufen unter
http://www.uni-muenster.de/Jura.itm/hoeren/material/Skript/skript_August2005.pdf.
217 vgl. auch hier LG Hamburg GRUR Int. 2002, 163 – hotel-maritime.dk.
218 Seifert, Das Recht der Domainnamen, Kap. 5 Rn. 10 m. w. N.
214
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Bechtold, Stefan, Vom Urheber- zum Informationsrecht – Implikationen des Digital Rights Management, München 2002;
Becker/Dreier (Hrsg.), Urheberrecht und digitale Technologie, 1994; Berberich, Die urheberrechtliche Zulässigkeit von
Thumbnails bei der Suche nach Bildern im Internet, MMR 2005, 145; Berger, Verträge über unbekannte Nutzungsarten
nach dem „Zweiten Korb“, GRUR 2005, 907; ders., Elektronische Pressespiegel und Informationsrichtlinie, CR 2004,
360; Berger/Degenhardt, Urheberrechtliche und verafssungsrechtliche Aspekte eines Unternehmens zum Vertrieb elektronischer Pressespiegel, AfP 2003, 105; Castells, The Network Society, 2000; Czychowski, Das Gesetz zur Regelung des
Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, NJW 2003, 2409; ders., Karlsruhe locuta, causa finita: Elektronische
Pressespiegel nunmehr erlaubt ?!, NJW 2003, 118; ders., Auskunftsansprüche gegenüber Internetzugangsprovidern „vor“
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Schulz/Klugmann, Mit dem „Google-Prinzip“ durch die virtuelle Bibliothek?, CR 2006, 568; Schulze, Meine Rechte als
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CR 2005, 169; Zerdick u.a., Die Internetökonomie, 2001.
A. Das Rechtsgebiet des Urheberrechts - Ein kurzer Überblick
1. Begriff
Urheberrecht bezeichnet das Recht zum Schutz der Schöpfer von Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst. Neben Urhebern (Urheberrecht i.e.S.) sind auch Inhaber sog. Nachbarrechte geschützt, die als ausübende Künstler oder aufgrund ihrer kaufmännischorganisatorischen Tätigkeit etwa als Tonträgerhersteller, Sendeunternehmen und Filmhersteller zum Kulturschaffen beitragen (Urheberrecht i.w.S.). Gesetzlich geregelt ist das Urheberrecht in Deutschland im Urheberrechtsgesetz (UrhG) vom 9.9.1965. Das Urheberrecht ist
damit Teil des Rechts des geistigen Eigentums (intellectual property). Abzugrenzen ist das
Urheberrecht vom Patentrecht als dem Recht der Erfindungen, wie auch vom Markenrecht als
dem Recht geschäftlicher Kennzeichen. Zum Geschmacksmusterschutz für eigentümliche
Formgebungen besteht dagegen kein Ausschließlichkeits-, sondern ein graduelles Verhältnis.
Im Gegensatz zu diesen zuletzt genannten Rechten setzt der Urheberrechtsschutz keine Anmeldung und Eintragung bei einer Behörde voraus, sondern wird ohne weitere Formalitäten
allein aufgrund der Vollendung der schöpferischen Formgebung gewährt.
Kern des urheberrechtlichen Schutzes sind neben den persönlichkeitsrechtlichen Belangen die
Ausschließlichkeitsrechte, die das Gesetz den Rechtsinhabern in Bezug auf die Verwertung
ihrer geschützten Werke gewährt (sog. Verwertungs-, bzw. Nutzungsrechte). Danach kann der
Rechtsinhaber jeden Dritten für die im Gegensatz zum Sacheigentum zeitlich begrenzte Dauer des Schutzes von der Nutzung seines Werkes ausschließen oder umgekehrt einem Dritten
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die Nutzung seines Werkes gestatten, sei es gegen Zahlung einer Lizenzgebühr, sei es kostenlos (z.B. bei open source Software). Mitunter gewährt das Gesetz dem Rechteinhaber für einzelne Verwertungshandlungen allerdings nur einen sog. Vergütungsanspruch. Wer ohne Zustimmung des Rechteinhabers ein fremdes geschütztes Werk nutzt und verwertet, begeht eine
Rechtsverletzung, die zu Unterlassungs- sowie Beseitigungsansprüchen führt und den Verletzer im Verschuldensfall schadensersatzpflichtig macht. Als solches ist das Urheberrecht auch
durch die Eigentumsgarantie der Verfassung (Art. 14 GG) geschützt.
Dem Urheberrecht im weitesten zuzurechnen sind auch sonstige Rechtsmaterien, die wie das
Urheberrechtswahrnehmungsgesetz die kollektive Geltendmachung individueller Ansprüche
regeln, die Tarifwerke der Verwertungsgesellschaften und urheberrechtliche Regelungen in
Tarifverträgen, Norm- und Musterverträgen, Mittelstandsempfehlungen u.ä. Dadurch wird
das Urheberrecht zum Recht der Kulturgüterwirtschaft und der qualifizierten menschlichen
Kommunikation. Soziologisch hat schon seit langem eine Wandlung vom individuellen
Schöpfer hin zum angestellten Urheber eines Medienunternehmens stattgefunden. Über weite
Strecken ist letzteres und nicht mehr der individuelle Schöpfer Inhaber der wirtschaftlich relevanten Nutzungsrechte. Damit tritt der Amortisationsgedanke in den Vordergrund, demzufolge Ziel des urheberrechtlichen Schutzes die Amortisation der zur Bereitstellung geschützter
Leistungen erforderlichen Investitionen ist. Dagegen ist der ursprüngliche Gedanke der Alimentation des Urhebers und seiner Angehörigen weitgehend auf das Verhältnis zwischen Urheber und Medienunternehmen beschränkt; Rechnung getragen wird ihm im weiteren durch
das Bestreben einer angemessenen Beteiligung der Urheber am wirtschaftlichen Erlös der
Verwertung ihrer Werke wie auch dadurch, dass Nutzungsrechte, derer es zur vertraglich vereinbarten Verwertung nicht bedarf, im Zweifel beim Urheber verbleiben. Damit unterscheidet
sich das Urheberrecht kontinentaleuropäischer Prägung vom Grundgedanken des Copyright,
wie ihn die U.S.A., das Vereinigte Königreich und die vom Commonwealth beeinflussten
Staaten kennen.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Urheberrechtsindustrien war schon vor Digitalisierung und Vernetzung beachtlich. Nationale Studien der späten 70-er und frühen 80-er Jahre
weisen einen Anteil von knapp 3% am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt aus. Die Informationsgesellschaft führt zu einem ungebrochenen Wachstum, und für den Welthandel ist das
Urheberrecht von nicht zu unterschätzender Bedeutung.
2. Einzelheiten
Zu den geschützten Werken gehören neben den traditionellen Gattungen von Literatur, Musik,
Photo und Film inzwischen auch Computerprogramme und Datenbanken. Der Katalog ist
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nicht abschließend; für die Schutzfähigkeit entscheidend ist vielmehr, dass es sich um eine
sog. „persönlich geistige Schöpfung“ handelt. Absolute Neuheit ist nicht erforderlich, es
reicht aus, dass sich ein Werk hinreichend vom vorbekannten Formenschatz abhebt (sog.
Schöpfungshöhe oder Originalität). Die Entscheidung darüber obliegt den Gerichten in jedem
Einzelfall. Geschützt ist vor allem die Form eines Werkes, nicht hingegen die Idee oder etwa
ein bestimmter Stil. Zwar können auch inhaltliche Elemente den Schutz begründen, doch
können Elemente, die der Allgemeinheit für weiteres Schaffen zugänglich bleiben müssen,
nicht monopolisiert werden. Weiterhin ist zu unterscheiden zwischen dem geschützten geistigen Werk und dem körperlichen Gegenstand (z.B. einem Buch), das dieses verkörpert.
Die Ausschließlichkeitsrechte umfassen die körperliche wie die unkörperliche Verwertung
geschützter Werke. Mit dem Recht der Vervielfältigung (§ 16 UrhG), Verbreitung (§17
UrhG), Sendung (§ 20 UrhG) und jeder öffentlichen Wiedergabe einschließlich der Zurverfügungstellung seiner Werke zum Abruf im Netz (Recht der öffentlichen Zugänglichmachung, §
19a UrhG) kommt dem Urheber eine umfassende rechtliche Kontrollmöglichkeit zu. Auch die
Bearbeitung bzw. deren Verwertung bedarf seiner Zustimmung unabhängig davon, dass die
Bearbeitung selbst wiederum ein urheberrechtlich schutzfähiges Werk darstellen mag (wie
etwa die Übersetzung eines Romans). Der ausschließliche Schutz ist freilich nicht grenzenlos,
sondern mit Rücksicht auf sonstige Allgemeininteressen z.B. der freien Berichterstattung, der
geistigen Auseinandersetzung, der Rechtspflege und öffentlichen Sicherheit durch sog.
Schrankenbestimmungen beschränkt (vgl. v.a. §§ 44a ff. UrhG). Die Schranken können eine
bestimmte Nutzung erlaubnis- und vergütungsfrei stellen, oder aber die Erlaubnispflicht beseitigen und den Rechteinhabern dennoch einen Vergütungsanspruch belassen. Letztere Lösung wählt der Gesetzgeber vor allem in Fällen des Marktversagens; ein Beispiel hierfür ist
die Leerkassetten-, Geräte- und Betreiberabgabe als Ausgleich für die zulässige Vervielfältigung zum privaten Gebrauch.
Die klassischen Gegenstände von Nachbarrechten (s.o. A.; sog. verwandte Schutzrechte) hat
das deutsche UrhG noch um wissenschaftliche Ausgaben und nachgelassene Werke, um
nichtoriginale Fotografien und Filme sowie zuletzt im Zuge einer EU-Harmonisierung um
nichtoriginale Datenbanken ergänzt.
Die Dauer des urheberrechtlichen Schutzes (vgl. §§ 64 ff UrhG) beträgt seit einer Harmonisierung innerhalb der EU im Jahre 1995 70 Jahre nach dem Tod des -letzten überlebenden Urhebers; weltweit gilt hier in der Regel eine 50-jährige Schutzfrist. Die Nachbarrechte hingegen sind zumeist 50 Jahre nach erster Veröffentlichung bzw. erster öffentlicher Wiedergabe
geschützt. Nach Ablauf der Schutzfrist wird der geschützte Gegenstand gemeinfrei, d.h., er
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kann ohne Zustimmung des seinerzeitigen Urhebers oder sonstigen Rechteinhabers vergütungsfrei benutzt und auch bearbeitet werden.
Wer in seinen Urheberrechten verletzt wird, kann den Verletzer zum einen auf Unterlassung
in Anspruch nehmen und die Beseitigung verletzender Exemplare (also deren Vernichtung
oder Unbrauchbarmachung) verlangen, § 97 Abs.1 S.1 UrhG. Insoweit haftet auch der Betriebsinhaber persönlich (bei Fortsetzung droht Ordnungsgeld), wenn es ihm nicht gelingt,
eine Verletzung in seinem Betrieb durch seine Angestellten zu unterbinden. Die Ansprüche
auf Unterlassung und Beseitigung setzen kein Verschulden voraus, und selbst wer in gutem
Glauben ist, kann fremde Urheberrechte nicht erwerben. Daher ist jeder Nutzer zur sorgfältigen Prüfung der Rechtekette verpflichtet, aus der er seine eigene Berechtigung ableitet. Gegenüber Ansprüchen Dritter sichern sich Verwerter in der Praxis regelmäßig durch sog. Freistellungsklauseln ab, d.h. derjenige der Rechte überträgt, verpflichtet sich, für etwaige Schäden aufzukommen, die dem Nutzer aus der Inanspruchnahme durch den wahren Rechteinhaber entstehen. Ohne Verschulden herauszugeben ist weiterhin die sog. Bereicherung, also
dasjenige, was der Verletzer durch die rechtswidrige Verwertung erlangt hat; in der Regel ist
das der Betrag, der für eine ordnungsgemäße Benutzung des betreffenden geschützten Werkes
normalerweise gezahlt wird. Bei Verschulden hat der Verletzer Schadensersatz zu leisten, §
97 Abs. 1 S.1 a.E., S.2. Da konkrete Einbußen und ein verletzungsbedingt entgangener Gewinn nur in seltenen Fällen nachweisbar sind, kommt in der Praxis regelmäßig die sog. Lizenzanalogie in Betracht, d.h. der Verletzer hat den Betrag zu zahlen, den er als ordnungsgemäßer Lizenznehmer für die Nutzung hätte zahlen müssen. Ein darüber hinaus gehender
Strafzuschlag ist von der Rechtsprechung zwar für die Verletzung von Persönlichkeitsrechten
durch Massenmedien, noch nicht jedoch für Urheberrechtsverletzungen anerkannt. Möglichkeiten der Grenzbeschlagnahme verletzender Waren und Auskunftsansprüche ergänzen die
zivilrechtlichen Rechtsfolgen. Darüber hinaus ist die Verletzung fremder Urheberrechte auch
strafrechtlich sanktioniert, vgl. §§ 106 ff. UrhG; in der Praxis wird von dieser Möglichkeit
bisher fast ausschließlich in Fällen gewerbsmäßiger Verletzung (sog. Piraterie) Gebrauch
gemacht. Dem Massenphänomen urheberrechtlicher Verletzungen in Internet-Plattformen
(insb. Musik- und Filmtauschbörsen)219 versuchen die Rechteinhaber allerdings inzwischen
mit einer Politik auch der strafrechtlichen (Massen-)Verfolgung zu begegnen; zum einen soll
damit das vorher wenig ausgeprägte Unrechtsbewusstsein bei Tauschbörsen-Usern u.ä. Nutzern gefördert werden, und nicht zuletzt ist die Aufnahme staatsanwaltschaftlicher Ermittlun-
219
Allerdings entstehen inzwischen auch Modelle zur Errichtung legaler Internet-Musiktauschbörsen, vgl. zB
http://www.heise.de/newsticker/result.xhtml?url=/newsticker/meldung/65229 .
49
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gen nach derzeitigem Stand der einzige Weg, um an die zur Rechtsdurchsetzung notwendigen
Daten zur Ermittlung der Identität dieser Nutzer heranzukommen.220
Die rechtmäßige Nutzung geschützter Werke und Leistungen Dritter erfolgt im Wege der Einräumung und Übertragung von Nutzungsrechten. Lizenzen können exklusiv oder nichtexklusiv erteilt werden, zeitlich, inhaltlich und im internationalen Bereich (innerhalb der EU allerdings mit gewissen Einschränkungen) auch räumlich beschränkt vergeben werden. Die Rechte
dienen insoweit einer Steuerung der Verwertung zumeist mit dem Ziel der Maximierung des
Verwertungserlöses. Wo eine individuelle Rechtswahrnehmung ausscheidet, werden die
Rechte einer Vielzahl von Urhebern für eine Vielzahl von Nutzungen kollektiv durch sog.
Verwertungsgesellschaften (VGen) wahrgenommen, deren bekannteste in Deutschland die
GEMA ist. Angesichts ihrer rechtlich anerkannten faktischen Monopolstellung unterliegen
Verwertungsgesellschaften einem Wahrnehmungs- und Kontrahierungszwang und unterstehen der Aufsicht durch das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA). Bei Streit über Nutzungsbedingungen und die von den VGen geforderten Tarife entscheiden die Gerichte; schon
zuvor kann der Verwerter mit der Nutzung beginnen, wenn er die geforderte Vergütung hinterlegt. Urheberrecht ist schließlich nationales Recht, es gibt also kein Welturheberrecht.
Auch innerhalb der EU existiert kein gemeinschaftsweites Urheberrecht, sondern allein eine
Vielzahl nationaler Gesetze. Im Hinblick auf den Gemeinsamen Markt sind diese sind jedoch
in wesentlichen Teilen durch Richtlinien harmonisiert. EU-Bürger müssen in Deutschland wie
Inländer behandelt werden; im übrigen genießen Ausländer im Inland aufgrund internationaler Konventionen (insbesondere die Berner Übereinkunft und das Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums - TRIPS im Rahmen des Welthandelsabkommens) den gleichen Schutz wie Inländer sowie einen durch die Konventionen festgelegten
Mindestschutz. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ist zunächst zu prüfen, ob das inländische oder aber ein ausländisches Gericht zur Entscheidung zuständig ist. Bei Zuständigkeit
eines inländischen Gerichts kann es dann nach den Regeln des - deutschen - sog. Internationalen Privatrechts (IPR) auch zur Anwendung ausländischen Rechts kommen. Inländische
Urteile bedürfen vor ihrer Vollstreckung im Ausland der Anerkennung nach den dafür vorgesehenen Regeln (innerhalb der EU gem. dem Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsabkommen, EuGVÜ bzw. innerhalb des EWR gem. dem Locarno-Abkommen).
B. Urheberrecht in der Informationsgesellschaft
220
Zu diesem Thema, insb. zum Streitstand über die Auskunftshaftung der Internet-Provider s. näheres unten im
Kapitel VII. Haftung im Internet.
50
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Wurde angesichts der Digitaltechnik und des Internets zunächst ein Ende des Urheberrechts
prophezeit221, so zeichnet sich heute ab, dass das Urheberrecht, als ein maßgebliches Steuerungsinstrument in der Informationsgesellschaft, zunehmend an Bedeutung gewinnt und gewinnen wird. Die wachsende Bedeutung des Urheberrechts steht in direktem Zusammenhang
mit der rasanten Entwicklung neuer Informationstechnologien, insbesondere der Digitalisierung von Daten und deren weltweiten Vernetzung. Diese Entwicklung führt zu einer Bedeutungssteigerung von Informationen für unsere Gesellschaft.222 Die wirtschaftliche Produktion
verlagert sich immer mehr auf die Produktion von Informationsgütern. Immer mehr Schutzgegenstände werden in den urheberrechtlichen Schutzschirm einbezogen.223 Aus rechtlicher
Sicht kommt im Hinblick auf den Umgang mit Informationen dem Urheberrecht eine maßgebliche Steuerungsfunktion zu. Das Urheberrecht ist als „Magna Charta“ der Informationsgesellschaft bezeichnet worden.224
Das Urheberrecht, welches im Laufe der Zeit immer wieder die unterschiedlichen Interessen
im Hinblick auf neue technische und gesellschaftliche Gegebenheiten neu austariert hat, muss
sich an die Bedürfnisse der Informationsgesellschaft anpassen und wird das auch in Zukunft
müssen. Rechtshistorisch ist das Urheberrecht noch ein sehr junges Recht. Seine Wurzeln
gehen zurück auf das Zeitalter der Aufklärung und des Humanismus. Es wurde entwickelt um
dem freischaffenden Autor - und freilich mit ihm seine Verleger - vor dem Büchernachdruck
zu schützen und so seine Einnahmen zu sichern. Der mittellose Autor, wie er in Spitzwegs
„Armen Poeten“ (1839) verbildlicht wurde, kann jedoch nicht mit dem Content-Provider der
heutigen Urheberrechtsindustrie verglichen werden. Die rechtstheoretischen und rechtsphilosophischen Fundamente, auf denen das Urheberrecht entwickelt wurde, müssen im Hinblick
auf die zukünftige Funktion des Urheberrechts auf ihre Berechtigung überprüft werden.
Dank der Digitaltechnik können Werke ohne Qualitätsverlust zu geringsten Kosten in nahezu
beliebiger Anzahl kopiert und sekundenschnell weltweit über das Internet verbreitet werden.
Fast jeder Haushalt verfügt heute über einen mit dem Internet verbundenen PC und den zur
Vervielfältigung notwendigen Peripheriegeräten. Das Internet ist als riesige außer Kontrolle
221
Negroponte, Being Digital, 1995, S. 58; Barlow in: Hugenholtz (Hrsg.), The Future of Copyright in an Digital Environment, S. 169 (174 f.); Saniers, The Int. Journal for Communication Studies 2000, 379 (397).
222 Vgl. Castells, The Network Society, 2000; Shapiro/Varian, Information Rules, 2001.
223 Vgl. etwa Gyertyánfy, GRUR Int. 2002, S. 557.
224 Hoeren, MMR 2000, S. 3.
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geratene Kopiermaschine bezeichnet worden.225 Angesichts der Verlagerung der Vervielfältigungsverfahren in den privaten Bereich leuchtet es ein, dass die Rechteinhaber hier einen
Kontrollverlust fürchten, dem sie mit einer Stärkung des Urheberrechts begegnen wollen.
Endnutzer sowie die Entwickler derivativer Produkte und Anbieter derivativer Informationsdienstleistungen hingegen sehen bereits in der Anwendung des traditionellen Rechts und erst
recht in dessen Stärkung ein Innovationshemmnis, das die Möglichkeiten der Informationsgesellschaft beschneidet und den Rechtsinhabern eine letztlich ungerechtfertigte, weil zu breite
Monopolstellung in Bezug auf neue Märkte einräumt.
Geht es im traditionellen analogen Bereich darum, über eine möglichst weite Verbreitung
einen möglichst großen Erlös zu erzielen, wird das Urheberrecht im digitalen Umfeld zunehmend eingesetzt, um Wettbewerbern den Zutritt zu Märkten zu versperren, auf denen später
einmal tätig zu werden sich der Rechteinhaber als Option offen halten will.
Dem verstärkten Schutzbedürfnis der Primärproduzenten entspricht insbesondere der neue
Schutz für Datenbanken226, die für Beschaffung, Überprüfung oder Darstellung des Inhalts „in
qualitativer oder quantitativer Hinsicht wesentliche Investitionen“ erfordern, ebenso wie die
Verpflichtung nationaler Gesetzgeber, rechtlichen Schutz gegen die Umgehung technischer
Schutzmechanismen vorzusehen. Technische Schutzmaßnahmen stellen ein effektives Mittel
zur Kontrolle unliebsamer Kopiertätigkeiten dar, an deren Entwicklung und Implementierung
derzeit fieberhaft gearbeitet wird. Solche technischen Maßnahmen können sehr nützlich sein,
dem Urheberrecht Geltung zu verschaffen und so die berechtigten Interessen der Urheber zu
wahren. Gleichzeitig besteht durch die von den Rechtinhabern angewandten technischen
Schutzmaßnahmen die Gefahr einer Privatisierung des Urheberschutzes.227 Das birgt zumindest die Gefahr in sich, dass freie Informationen monopolisiert werden können und technische
Schutzmöglichkeiten faktisch weit über dasjenige hinausgehen, was nach dem Willen des
Gesetzgebers monopolisierbar sein soll. Durch technische Schutzmaßnahmen lassen sich auch
solche Nutzungen verhindern, die traditionell frei von der Zustimmung des jeweiligen Rechtinhabers möglich sind, wie etwa die durch die Schrankenregelungen privilegierten Nutzungen
oder gar die Nutzung gemeinfreien Materials.
Große Schwierigkeiten bereitet die Anwendung des traditionellen Urheberrechts nicht zuletzt
aufgrund der Konvergenz der Medien (z.B. elektronischer Dokumentversand als Kopiendienst
225
Vgl. Shapiro/Varian, Information Rules, 2001, S. 29
vgl. dazu näher unten 4.).
227 Lessig, Code and Other Laws of Cyberspace, 1999, S. 130; Bechtold, Vom Urheber- zum Informationsrecht – Implikationen des Digital Rights Management, 2002, S. 370.
226
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oder Pressespiegel? Webcasting als Rundfunk oder on-demand-Dienst?).228 Eine weitere Frage betrifft Voraussetzungen und Umfang der rechtlichen Verantwortlichkeit derjenigen, die an
einer fremden Urheberrechtsverletzung beteiligt sind (Zugangsprovider, Napster u.ä.). Und
schließlich ist gegenwärtig noch nicht absehbar, inwieweit die massenhaften urheberrechtlichen Transaktionen im Netz einer zentralisierten Rechtewahrnehmung bedürfen oder ob sich
diese künftig nicht automatisiert erledigen lassen. All diese Fragen warten noch immer auf
eine Lösung unter angemessener Berücksichtigung der berechtigten Interessen aller Beteiligten.
Das Urheberrecht ist ein in besonderem Maße sozialgebundenes Recht. Den Interessen der
Allgemeinheit wird vor allem durch die Schrankenregelungen der §§ 44a ff. UrhG Rechnung
getragen. Sie dienen der Feinabstimmung der Konturen der dem Urheber vorbehaltenen ausschließlichen Rechte und bringen sie mit den Interessen der Allgemeinheit in Ausgleich.229
Der Ausgleich der verschiedenen Interessen ist über Jahrzehnte sorgfältig austariert und an
veränderte technische Gegebenheiten angepasst worden. Nun ist dieser Ausgleich erneut in
Frage gestellt. Er muss angesichts digitaler Vervielfältigungstechnik einerseits und den Möglichkeiten technischer Schutzmaßnahmen andererseits neu gefunden werden.
Die im Mai 2001 – nach langjährigen Diskussionen230 - verabschiedete europäische Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten
Schutzrechte in der Informationsgesellschaft231, stellte eine wichtige Etappe dar, das Urheberecht an die Bedürfnisse der Informationsgesellschaft anzupassen. Mit dem in seinen wesentlichen Teilen am 13.9.2003 in Kraft getretenen „Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in
der Informationsgesellschaft“232 wurden die zwingenden Vorgaben der Richtlinie in nationales Recht umgesetzt. Dabei offen gebliebene Fragen wie die Problematik der urheberrechtlichen Vergütungssysteme oder der Pressespiegel233 sollten in einem „Zweiten Korb“ der
228
Vgl. dazu auch Michel, Konvergenz der Medien, MMR 2005, 284
Dreier in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht auf dem Weg zur Informationsgesellschaft, 1997.
230 Vgl. insofern das Grünbuch Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, KOM
(95) 382 endg. vom 10.12.1997; die Mitteilung der Kommission „Initiativen zum Grünbuch über Urheberrecht und
verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft“ vom 20.11.1996, KOM (96) 568 endg.; und den ursprünglichen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter
Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, KOM (97) 628 endg.
vom 10.12.1997. Eine umfassende Zusammenstellung der reichhaltigen Literatur zu dem Richtlinienvorhaben findet
sich bei Flechsig, ZUM 2002, S. 1 (FN 11).
231 Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001, ABl. EG Nr. L 167 vom
22.06.2001, S. 10. Zum Werdegang der Richtlinie s. Spindler, GRUR 2002, S. 105 (106); Reinbothe, GRUR Int. 2001, S.
733 (734 f.); Flechsig, ZUM 2002, S. 1 f., jew. m. w. Nachw..
232 BGBl I, 1774.
233 Wichtig dazu die Entscheidung BGH NJW 2002, 3393 – Elektronischer Pressespiegel; s. u. dazu unten 3.b.ee).
229
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Novelle geregelt werden. Seit dem 27.9.2004 lag hierzu ein Referentenentwurf des BMJ vor
(s. dazu unten 3. ); durch die Verkürzung der 14. Legislaturperiode liegt der Entwurf aber nun
zunächst auf Eis, sein genaues Schicksal ist ungewiss.234
1. Die Urheberrechtsrichtlinie für die Informationsgesellschaft
Mit der europäischen Urheberrechtsrichtlinie wurden zunächst die internationalen Verpflichtungen umgesetzt, die sich aufgrund des WIPO Copyright Treaty (WCT)235 und des WIPO
Performances and Phonograms Treaty (WPPT)236 aus dem Jahre 1996 ergeben haben. Hierzu
zählen insbesondere das neue Recht des „making available“ sowie der rechtliche Schutz von
technischen Schutzmaßnahmen. Darüber hinaus hatte sich der europäische Gesetzgeber das
ehrgeizige Ziel gesetzt, auch Kernbereiche des Urheberrechts, wie die Verwertungsrechte und
die bedeutsamen Schrankenregelungen, zu harmonisieren. Insofern ist der Regelungsgehalt
der Richtlinie nicht nur auf Rechtsfragen der Informationsgesellschaft beschränkt. Im Hinblick auf die ehrgeizige Zielsetzung der Richtlinie mag das Ergebnis zunächst enttäuschen.
Die Richtlinie ist in der Literatur auf teilweise heftige Kritik gestoßen.237 Betrachtet man die
Richtlinie jedoch als einen ersten Versuch in einem längeren Prozess, das Urheberrecht im
Hinblick auf die Bedürfnisse der Informationsgesellschaft in Europa zu harmonisieren, so darf
man auf die nächsten Schritte gespannt sein.238
Doch nun zu den Regelungen der Richtlinie im Einzelnen:
a. Vervielfältigungsrecht, Art. 2
Art. 2 der Richtlinie definiert und harmonisiert den Begriff der Vervielfältigung. Gemäß Art.
2 ist den Urhebern, ausübenden Künstlern, Tonträgerherstellern, Filmherstellern sowie Sendeunternehmen ein ausschließliches Vervielfältigungsrecht zu gewähren. Dieses Ausschließlichkeitsrecht erstreckt sich auf jede „unmittelbare oder mittelbare, vorübergehende oder dauerhafte Vervielfältigung auf jede Art und Weise und in jeder Form“. Diese Definition enthält
234
Vgl. dazu Hoeren, Der zweite Korb & Co.- Was bleibt im Hinblick auf die vorgezogenen Bundestagsneuwahlen?,
MMR 2005, 341.
235 Abrufbar unter: http://www.wipo.int/clea/docs/en/wo/wo033en.htm.
236 Abrufbar unter: http://www.wipo.int/clea/docs/en/wo/wo034en.htm.
237 Vgl. zur Kritik der Richtlinie vor allem Hugenholtz, EIPR 2000, S. 499; ferner Davies, GRUR Int. 2001, S. 915;
Kröger, CR 2001, S. 316. Dagegen weist Reinbothe , GRUR Int. 2001, S. 733, als zuständiger Referent in der GD Binnenmarkt auf den Kompromisscharakter der Richtlinie hin. Vgl. auch Spindler GRUR 2002, S. 105; Linnenborn, K&R
2001, S. 394; Flechsig, ZUM 2002, S. 1.
238 In diesem Sinne Spindler, GRUR 2002, S. 105 (120).
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nichts entscheidend Neues.239 Insofern bestand für den deutschen Gesetzgeber kein wirklicher
Umsetzungsbedarf.240 Klargestellt wird durch Art. 2 lediglich, dass auch flüchtige oder rein
technisch bedingte Kopiervorgänge grundsätzlich vom Vervielfältigungsrecht erfasst sind.
Solche flüchtige Vervielfältigungen die integraler Bestandteil eines technischen Verfahrens
sind und deren alleiniger Zweck es ist, die Übertragung in einem Netz oder die rechtmäßige
Nutzung eines Schutzgegenstandes zu ermöglichen, werden jedoch durch die zwingende
Schrankenregelung aus Art. 5 Abs. 1, wieder vom Vervielfältigungsrecht des Art. 2 ausgenommen.
b. Recht der öffentlichen Wiedergabe und Recht der Zugänglichmachung, Art. 3
Mit Art. 3 sind zwei neue Formen der Verwertung urheberrechtlich geschützter Leistungen
geschaffen worden: Das ausschließliche Recht der drahtgebundenen oder drahtlosen Wiedergabe an die Öffentlichkeit, sowie das ausschließliche Recht der Zugänglichmachung an die
Öffentlichkeit im Wege des interaktiven Abrufes durch den Nutzer („right of making avaiable“). Diese Regelung ist weitgehend den Vorbildern der WIPO-Verträge nachgebildet.241
Die öffentliche Wiedergabe i.S.v. Art. 3 Abs. 1 betrifft die „remote communication to the
public“ im Gegensatz zur „public performance“. Erfasst sind somit nur Übermittlungsvorgänge auf Distanz, nicht aber die Wahrnehmbarmachung unter Anwesenden.
Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung umfasst, als Unterfall der öffentlichen Wiedergabe, das ausschließliche Recht, geschützte Werke und sonstige Schutzgegenstände im
Wege der „interaktiven Übertragung auf Abruf für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen“.242 Der Schwerpunkt liegt hierbei bei der Interaktivität. Vom neuen Recht des öffentlichen Zugänglichmachens nicht erfasst sind daher Sendeformen wie etwa Pay-TV oder NearVideo-on-Demand. Durch das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung soll die bestehende
Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Art und des Umfangs des Schutzes der netzvermittelten
Übertragung beseitigt werden.243
239
Reinbothe, GRUR Int. 2001, S. 733 (736).
Dreier, ZUM 2002, S. 28 (29).
241 Art. 8 WCT für Urheber und Art. 10, 14 WPPT für ausübende Künstler, bzw. Tonträgerhersteller.
242 Erwägungsgrund 25.
243 Erwägungsgrund 25. Zur Diskussion über die rechtliche Einordnung der netzvermittelten Übertragung von Inhalten siehe zahlreiche Nachweise bei Spindler, GRUR 2002, S. 105 ff. (FN 53).
240
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c. Verbreitungsrecht, Art. 4
Art. 4 der Urheberrechtsrichtlinie harmonisiert ferner das Verbreitungsrecht für Urheber.244
Bezüglich dieses Verbreitungsrechtes bestand kein Umsetzungsbedarf für den deutschen Gesetzgeber, da § 17 UrhG bereits mit der Richtlinie in Einklang steht.245
d. Ausnahmen und Schranken, Art. 5
Über die von den WIPO-Verträgen gemachten Vorgaben hinaus hat sich der europäische Gesetzgeber der komplexen und „politisch verminten Schrankenproblematik“246 angenommen.
Das ursprüngliche Ziel, die Schrankenbestimmungen gemeinschaftsweit zu harmonisieren,
kann wohl als gescheitert bezeichnet werden. In Art. 5 der Richtlinie findet sich die beachtliche Anzahl von 21 Schrankenregelungen. Zwar ist diese Liste erschöpfend, d.h. es dürfen
außer den genannten Schranken keine weiteren eingeführt werden, jedoch sind 20 der 21
Schranken fakultativ, ihre jeweilige Umsetzung steht also im Belieben der Mitgliedsstaaten.
Zudem sieht Art. 5 Abs. 3 lit. o eine Auffangschranke vor, die es den Mitgliedsstaaten erlaubt,
bisherige Schranken aufrecht zu erhalten, allerdings vorausgesetzt, sie betreffen lediglich analoge Nutzungen und sind von geringer Bedeutung. Wirklich harmonisiert ist nur eine einzige
Schranke – die der Freistellung von flüchtigen Vervielfältigungen die im Zuge der technischen Übertragung oder der rechtmäßigen Nutzung erfolgen und die keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben.247
Es kann hier nicht auf die einzelnen Schrankenbestimmungen eingegangen werden.248 Überwiegend konnten jedoch die bisher im analogen Bereich privilegierten Zwecke nach der
Richtlinie auch in Bezug auf digitale Medien aufrecht erhalten werden, wobei sie auf Grund
der erhöhten Nutzungsintensität im digitalen Umfeld möglicherweise enger zu fassen sind.249
Insgesamt bleibt den Mitgliedsstaaten ein weiter Umsetzungsspielraum, der zu einer Schrankenvielfalt und somit zu einem Wettbewerb der Schrankensysteme führen könnte.250
244
Welches freilich für Urheber von Computerprogrammen und Datenbanken sowie durch die Vermiet- und Verleihrichtlinie für die dort genannten Leistungsschutzberechtigten bereits harmonisiert war.
245 Vgl. Dreier, ZUM 2002, S.28 (33).
246 So treffend Hoeren, MMR 2000, S. 515 (516).
247 Art. 5 Abs. 1 RL. Vgl. hierzu Erwägungsgrund 33 und erläuternd Spindler, GRUR 2002, S. 105 (111 f.).
248 Vgl. hierzu die Übersichten bei Bayreuther, ZUM 2001, S. 828; sowie Hoeren, MMR 2000, S. 515 (517 ff.); Reinbothe,
GRUR Int. 2001, S. 733 (738 ff.); Spindler, GRUR 2002, S. 105 (110 ff.); Kröger, CR 2001, S. 316 (319 ff.); Flechsig,
ZUM 1998, S. 139 (147 ff.); Schippan, ZUM 2001, S. 116 (118 ff.).
249 Vgl. Erwägungsgrund 44. Spindler, GRUR 2002, S. 105 (111).
250 Dreier, ZUM 2002, S. 28 (34).
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Die Mitgliedsstaaten können bei der Anwendung der Schranken einen „gerechten Ausgleich“
für die Rechtinhaber vorsehen.251 Für einige der Schranken ist dies zwingend vorgeschrieben.252 Als Kriterien für die Bemessung des Ausgleichs nennt die Richtlinie die Höhe des
Schadens für den Rechtinhaber253, den Grad des Einsatzes technischer Schutzmaßnahmen254,
und schließlich, in Bezug auf die private Kopierfreiheit, ob es sich um digitale oder analoge
Vervielfältigungen handelt.255 Das im deutschen Urheberrechtsgesetz verankerte System der
pauschalen Vergütungen über die Geräte- und Leermedienabgaben kann beibehalten werden,
wobei allerdings insbesondere im Hinblick auf digitale Nutzungen die Höhe der Vergütungssätze deutlich erhöht werden sollten.256
Als Auslegungsregel ist der Drei-Stufen-Test aus Art. 9 Abs. 2 RBÜ in die Richtlinie übernommen worden.257 Demnach dürfen Beschränkungen nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Werks nicht beeinträchtigt wird und
schließlich die berechtigten Interessen der Rechteinhaber nicht ungebührlich verletzt werden.258
e. Technische Schutzmaßnahmen, Art. 6
Die wohl umstrittensten Bestimmungen der Richtlinie finden sich in den „wirren und verwirrenden“259 Regelungen des Art. 6. Es geht um den rechtlichen Schutz von technischen
Schutzmaßnahmen, die von Rechteinhabern zum Schutze ihres geistigen Eigentums einge-
251
Erwägungsgrund 36.
Art. 5 Abs. 2 lit. a, lit. b und lit. c.
253 Erwägungsgrund 35.
254 Erwägungsgrund 35.
255 Erwägungsgrund 38.
252
256
Vgl. hierzu Erwägungsgrund 38. Die Vergütungssätze waren bereits für analoge Medien sehr niedrig (vgl.
Schack, ZUM 2002, S. 497 (499); Nordemann, GRUR 1985, S. 837 (840)); als „angemessene Vergütung“ für
digitale Privatkopien wären sie völlig unzulänglich. Soll die private Kopierfreiheit zumindest in ihrem Kern (zu
gewissen Einschränkungen der Rechte aus § 53 UrhG für den digitalen Bereich siehe Dreier in: Schricker
(Hrsg.), Das Urheberrecht auf dem Weg zur Informationsgesellschaft, S. 163 ff.) auch im digitalen Bereich aufrecht erhalten werden, so könnten über erhöhte Vergütungssätze die (monetären) Interessen der Rechteinhaber
gewahrt werden und somit nicht zuletzt dem Drei-Stufen-Test aus Art. 9 Abs. 2 RBÜ, bzw. Art. 5 Abs. 5 der
Urheberrechtsrichtlinie genüge getan werden.
257 Art. 5 Abs. 5 RL. Der Drei-Stufen-Test findet sich ferner in Art. 13 TRIPS und in den Art. 10 WCT, 16 Abs. 2
WPPT.
258 M.E. gibt die Richtlinie den Drei-Stufen-Test nicht ganz zutreffend wieder. Gemäß dem Drei-Stufen-Test, wie er
auch in der Richtlinie wiedergegeben ist, dürfen Beschränkungen des urheberrechtlichen Ausschließlichkeitsrechts
nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden. Da die Richtlinie diesen Grundsatz als Auslegungsregel lediglich
auf die ausdrücklich genannten Schrankenbestimmungen aus Art. 5 bezieht, hätte insofern ein Zwei-Stufen-Test
genügt, da die genannten Schrankenbestimmungen bereits bestimmte Ausnahmefälle darstellen.
259 Davies, GRUR Int. 2001, S. 915 (919).
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setzt werden.260 Um einen Wettlauf zwischen Kopierschutz und deren Umgehung zu verhindern, bedürfen technische Schutzmaßnahmen einer rechtlichen Flankierung.261 Die spannende
Frage ist, wie weit dieser rechtliche Schutz reicht. Durch technische Schutzmaßnahmen können auch Nutzungen, die durch eine Schrankenregelung privilegiert sind, unmöglich gemacht
werden, was zu einer Verabsolutierung des Schutzes des Urhebers führen könnte. Sollen also
technische Schutzmaßnahmen vom Recht nur soweit geschützt werden, wie derjenige, der
technologische Schutzmaßnahmen umgeht, den Schutzgegenstand auf eine dem Urheber vorbehaltene Weise nutzt, oder auch dann, wenn er sich hinsichtlich der Nutzung auf eine
Schrankenbestimmung (oder gar auf die Gemeinfreiheit) des entsprechenden Materials berufen kann? Anders formuliert könnte gefragt werden: Was hat Vorrang – die technische
Schutzmaßnahme, oder die durch eine Schrankenregelung privilegierte Nutzung eines Werkes? Die Art. 11 WCT und 18 WPPT enthalten lediglich die Vorgabe, einen angemessenen
Schutz und effektive Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Umgehung von Schutzmaßnahmen, die nicht von den Rechtinhaber autorisiert oder vom Gesetz erlaubt sind, vorzusehen.
Die Richtlinie geht jedoch über diese Vorgabe hinaus. Sie gewährt rechtlichen Schutz nicht
nur gegen Akte der Umgehung selbst, sondern darüber hinaus auch gegen eine Vielzahl von
Vorbereitungshandlungen, etwa der Herstellung, Einfuhr, Verbreitung oder Bewerbung von
Vorrichtungen zum Zwecke der Umgehung technischer Schutzmaßnahmen.262 Zudem räumt
die Richtlinie tendenziell den technischen Schutzmaßnahmen Vorrang vor den durch Schrankenbestimmungen privilegierte Nutzungen ein.263
Von dem in Art. 6 Abs. 1 und 2 der Richtlinie formulierten weitreichenden Schutz technischer
Maßnahmen sind in Abs. 4 als Korrektiv Einschränkungen zugunsten der durch die Schrankenregelungen des Art. 5 privilegierten Nutzungen vorgesehen. Demnach sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet geeignete Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass die Rechteinhaber durch technische Maßnahmen nicht solche Nutzungen unmöglich machen, die durch
bestimmte, abschließend geregelte Schrankenregelungen privilegiert sind. Hinsichtlich der
hier nicht genannten Schranken wird es den Mitgliedstaaten also künftig nicht mehr möglich
260
Zur Definition von „technischen Maßnahmen“ vgl. Art 6 Abs. 3 der Richtlinie. Zu technischen Schutzmaßnahmen in Bezug auf das Urheberrecht s. Wand, GRUR Int. 1996, S. 897; Möschel/Bechtold, MMR 1998 571; sowie die
empfehlenswerten Dissertationen von Wand, Technische Schutzmaßnahmen und Urheberrecht, 2001 und Bechtold,
Vom Urheber- zum Informationsrecht – Implikationen des Digital Rights Management, 2002; kritisch Vinje E.I.P.R.
1999, S. 192.
261 Spindler, GRUR 2002, S. 105 (115).
262 Vgl. im Einzelnen Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie.
263 Anders dagegen Davies, GRUR Int. 2001, S. 915 (919), die aus den „wirren und verwirrenden“ Regelungen der
Richtlinie einen Vorrang hinsichtlich der Ausnahmen zugunsten der privaten Nutzung gegenüber der Benutzung und
dem rechtlichen Schutz von technischen Maßnahmen herausliest.
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sein, geeignete Maßnahmen zu ergreifen um den Zugang zu Werken oder Schutzgegenständen zu ermöglichen, die von technischen Schutzmaßnahmen geschützt sind. Zu den nicht genannten Bestimmungen gehören immerhin so gewichtige Schrankenregelungen wie die Zitierfreiheit (Art. 5 Abs. 3 lit. d) oder die Parodierfreiheit (Art. 5 Abs. 3 lit. k). In Bezug auf die
private Kopierfreiheit ist es den Mitgliedsstaaten gemäß Art. 6 Abs. 4 Unterabsatz 2 immerhin
freigestellt, ob sie entsprechende Maßnahmen ergreifen wollen.264
Die durch Abs. 4 Unterabsatz 1 und 2 der Richtlinie ermöglichten Korrekturen gegen weitreichende technische Schutzmaßnahmen werden im Unterabsatz 4 für solche Schutzgegenstände
ausgeschlossen, die der Öffentlichkeit aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung in einer
Weise zugänglich gemacht werden, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu
Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind. In Bezug auf alle interaktiven Online Nutzungen steht es
demnach im Belieben der Anbieter, ob diese die von den Schrankenbestimmungen erfassten
Nutzungen ermöglichen oder durch technische Schutzmaßnahmen vereiteln.265
f. Schutz von Informationen für die Rechtewahrnehmung, Art. 7
Art. 7 der Richtlinie verpflichtet die Mitgliedsstaaten schließlich einen angemessenen rechtlichen Schutz von Informationen für die Wahrnehmung von Rechten (z.B. Digitales Wasserzeichen) vorzusehen.266
g. Bewertung
Die Richtlinie setzte die sich aus den WIPO-Vertägen ergebenden Verpflichtungen in europäisches Recht um. Insbesondere gilt dies für das neue Recht des „making available“ und den
rechtlichen Schutz technischer Maßnahmen. Das neue Verwertungsrecht des „Rechts des öffentlichen Zugänglichmachens“ aus Art. 3 der Richtlinie ist zu begrüßen und schafft Rechtssi264
Jedoch dürfen die Rechtinhaber nicht daran gehindert werden geeignete Maßnahmen in Bezug auf die Zahl der
Vervielfältigung zu ergreifen (Art. 6 Abs. 4 Unterabsatz 2 a.E.).
265 Der sehr verklausulierte Wortlaut des Art. 6 Abs. 4 Unterabsatz 4 der Richtlinie hat zu unterschiedlichen Interpretationen Anlass gegeben. So wird vorgeschlagen Art. 6 Abs. 4 Unterabsatz 4 so auszulegen (und umzusetzen), dass er
sich lediglich auf die Nutzungshandlung des Abrufs bezieht, die so gelieferte Kopie hingegen nicht der Regelung
unterfällt. So Linnenborn, K&R 2001, S. 394 (400 f.); Metzger/Kreutzer, MMR 2002, S. 139 (141 f.). Ob sich eine solche
Auslegung mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbaren lässt, scheint jedoch fraglich. Dieser knüpft ausdrücklich an
die Werke (bzw. sonstige Schutzgegenstände) an, die aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung online zugänglich
gemacht werden, und nicht an den Vorgang des Zugänglichmachung als solches. M.E. gilt demnach die getroffene
Beschränkung für Werke unabhängig, ob sie noch auf dem Server des Anbieters, oder bereits im Speicher des Nutzers befindlich sind. Für eine solche Auslegung spricht letztlich auch Erwägungsgrund 53 der Richtlinie, nach welchem durch den Schutz technischer Maßnahmen ein sicheres Umfeld für die Erbringung interaktiver Dienste gewährleistet werden soll.
266 S. hierzu etwa Dreier, ZUM 2002, S. 28 (39 f.); Spindler, GRUR 2002, S. 105 (119).
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cherheit, auch wenn sich hierzu einige neue Fragen ergeben.267 Zugleich stellt die Richtlinie
einen Versuch dar, bestimmte Bereiche des Urheberrechts, insbesondere den der Schrankenregelungen, im Hinblick auf die Bedürfnisse der Informationsgesellschaft europaweit zu harmonisieren. Ob der Richtlinie dies geglückt ist, mag angesichts der Vielzahl fakultativer
Schrankenbestimmungen und des teilweise unklaren Wortlauts bezweifelt werden. Die zahlreichen Schrankenregelungen sind jedoch vor dem Hintergrund schwieriger politischer Verhandlungen, nicht zuletzt unter dem starken Druck gewichtiger Lobbyisten der Urheberrechtsindustrie, als politischer Kompromiss zu verstehen.268 Manche hätten statt einem erschöpfendem Katalog zahlreicher Schrankenbestimmungen eine Lösung zugunsten einer flexiblen Megaschranke nach Vorbild des amerikanischen „fair use“ bevorzugt.269 In dieser Hinsicht ist
nun allerdings die Entscheidung zugunsten von Rechtsicherheit und gegen die Vorzüge einer
flexiblen Megaschranke gefallen. Trotz der Vielzahl der Schrankenregelungen ist mit dem
abschließenden Schrankenkatalog ein Mindestmaß an Harmonisierung erreicht worden.270 Der
weite Umsetzungsspielraum kann zu einem Wettbewerb der Schrankensysteme in Europa
führen.271
Hinsichtlich des rechtlichen Schutzes von technischen Maßnahmen geht die Richtlinie weit –
vielleicht zu weit - über die internationalen Vorgaben der WIPO-Verträge hinaus. Art. 6 der
Richtlinie ist wegen seines unklarheitsstiftenden verklausulierten Wortlaut tatsächlich zu kritisieren. Von einer eleganten Lösung kann nicht gesprochen werden. Auch inhaltlich bietet
der weitreichende Schutz Anlass zur Kritik, insbesondere hinsichtlich des weiten Schutzes
technischer Maßnahmen in Bezug auf die interaktive Online-Übermittlung. Hier können die
Schranken von den Rechteinhabern gänzlich unterlaufen werden. Inwieweit ein solch weitreichender Schutz für die zukünftige Entwicklung der Informationsgesellschaft förderlich ist,
wird sich zeigen müssen.272
267
Vgl. Dreier, ZUM 2002, S. 29 (30 ff.).
So Reinbothe , GRUR Int. 2001, S. 733; Spindler GRUR 2002, S. 105 (120); Kröger, CR 2001, S. 316 (318); sehr kritisch bewertet Hugenholtz (EIPR 2000, S. 499 ff.) den Kompromisscharakter und den Einfluss gewichtiger Lobbyisten.
269 So etwa Hoeren, MMR 2000, S. 3 (5); wohl auch Hugenholtz (EIPR 2000, S. 499 (501)) der in Bezug auf die dynamische Entwicklung den starren Charakter einer erschöpfenden Liste möglicher Schrankenregelungen kritisiert. Spindler
(GRUR 2002, S. 105 (115)) unterstreicht dagegen den Vorteil der Rechtsicherheit, der sich aus fest umrissenen
Grenzen urheberrechtlicher Ausschließlichkeitsrechte ergibt.
270 Kröger, CR 2001, S. 316 (319).
271 Dreier, ZUM 2002, S. 28 (34).
272 Die Richtlinie begegnet mit diesem weitreichenden Schutz den nicht unberechtigten Befürchtungen der Rechteinhabern, der Online-Vertrieb ihrer Produkte könne dazu führen, dass sich ein zunächst unter Berufung auf die
Schrankenbestimmungen erlangter Datensatz unkontrollierbar im Netz weiterverbreitet. Der weitreichende Schutz
könnte so den Rechtinhabern die Scheu nehmen, das Internet verstärkt zum Vertrieb von Informationsprodukten
268
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Die Urheberrechtsrichtlinie stellt insgesamt eine Etappe in einem längeren Prozess zukünftiger Anpassungen dar. Sie regelt nur einen kleinen Ausschnitt aus dem großen Feld der Fragen, die in Bezug auf ein künftiges Urheberrecht in der Informationsgesellschaft noch offen
sind.
2. Das Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft
Mit dem Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, in seinen
wesentlichen Vorschriften in Kraft seit dem 13.09.2003, wurde mit einiger Verspätung (die
Frist nach Art. 13 der Richtlinie war am 22.12.2002 abgelaufen) die EU-Richtlinie
2001/29/EG in nationales Recht umgesetzt. Allerdings wurden mit dieser Umsetzung nicht
sämtliche Fragen geregelt, die im digitalisierten und vernetzten Kontext für das Urheberrecht
auftreten. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber im Wesentlichen darauf beschränkt, die durch
die Richtlinie unmittelbar angezeigten Änderungen des deutschen UrheberG vorzunehmen;
die Kann-Vorschriften der Richtlinie sind damit nicht ausgefüllt. Die Antwort auf viele weitere wichtige Fragen sollte ein „Zweiter Korb“ der Urheberrechtsreform bringen, zu dem seit
dem 22.3.2006 ein Regierungsentwurf vorliegt.273
Zu einigen wichtigen Regelungen des neuen UrhG:
a. Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§§ 15 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, 19a)
Den Vorgaben von Art. 8 des WIPO-Urheberrechtsvertrags (WCT) sowie Art. 10 und 14 des
WIPO-Vertrages über Darbietungen und Tonträger (WPPT) entsprechend und in Umsetzung
von Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/29/EG ist in §§ 15 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, 19a jetzt
ausdrücklich auch das ausschließliche Recht des Urhebers geregelt, sein Werk „drahtgebun-
einzusetzen. Die Gefahr der unkontrollierbaren Weiterverbreitung besteht jedoch auch in Bezug auf Informationsprodukte, die auf herkömmlichen Wege vertrieben werden und erst im nachhinein von einem Nutzer ins Internet
eingestellt wird oder über das Internet versendet wird. Es ist nicht einzusehen, warum zu diesem Zweck die Schrankenbestimmungen in Bezug auf interaktiven Online-Vertrieb gänzlich ins Belieben der Rechtinhaber gestellt werden.
Auf längere Sicht kann ein so weitreichender Schutz nicht gewollt sein. Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie sieht dementsprechend eine regelmäßige Überprüfung des Art. 6 vor. Sollte dieser keinen ausreichenden Schutz sicherstellen oder
sich nachteilig auf gesetzlich erlaubte Handlungen auswirken, sind erforderlichenfalls von der Kommission Änderungsvorschläge vorzulegen.
273 Dazu s.u. 3.b).
61
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den oder drahtlos der Öffentlichkeit in einer Weise zugänglich zu machen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist”. Damit ist der frühere Streit darüber obsolet geworden, ob das Bereithalten und Anbieten urheberrechtlich geschützter Werke zum Zugriff für Mitglieder der Öffentlichkeit eher als körperliche Verbreitung, unkörperliche Sendung oder aber unbenannte Art der unkörperlichen Werkwiedergabe
anzusehen sei. Zugleich ist die Unsicherheit beseitigt worden, ob der Begriff der Öffentlichkeit in § 15 Abs. 3 voraussetzt, dass die Mitglieder der Öffentlichkeit zeitgleich auf ein- und
dasselbe geschützte Werk zugreifen müssen oder nicht.274 Denn jetzt ist der Zeitpunkt des
Zugänglichmachens und nicht des Zugriffs entscheidend. Auf eine entsprechende Klarstellung
im Gesetzestext selbst hat der Umsetzungsgesetzgeber jedoch mit der Begründung verzichtet,
der Wortlaut lasse eine entsprechend differenzierte Auslegung zu.
Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung besteht seit der Umsetzung - teils im Wege
der direkten oder indirekten Verweisung - auch für alle Inhaber verwandter Schutzrechte (§§
68c Nr. 4, 70 Abs. 1, 71 Abs. 1 Satz 2, 72 Abs. 1, 78 Abs. 1 Nr. 1, 85 Abs. 1 Satz 1, 87 Abs. 1
Nr. 1, 87b Abs. 1 Satz 1, 94 Abs. 1 Satz 1 und 95). Besonders die ausübenden Künstler und
Tonträgerhersteller kommen so wieder zu einer ausschließlichen Kontrollbefugnis über die
Nutzung ihrer Darbietungen und Tonträger im Internet. Problematisch bleibt danach lediglich
die Einordnung von Diensten wie Webcasting Simulcasting und Near-Video-on-demand, die
technisch zwischen herkömmlicher Sendung nach § 20 und öffentlicher Zugänglichmachung
nach § 19a angesiedelt sind.275
Nach § 52 Abs. 3 UrhG ist für das Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung nach § 19a die
allgemeine Schrankenbestimmung des Rechts der öffentlichen Wiedergabe nach § 52 ausgeschlossen, vielmehr ist sie ebenso wie öffentliche bühnenmäßige Aufführungen und Funksendungen eines Werkes nur mit Einwilligung des Berechtigten zulässig. Insbesondere das Bereithalten fremder geschützter Werke zum Download oder Abruf in sog. File-SharingSystemen unterfällt also grundsätzlich dem Ausschließlichkeitsrecht der Rechtsinhaber und
stellt ohne deren Zustimmung eine Rechtsverletzung dar. Die noch vor Umsetzung der Richt-
274
Für zeitgleichen Zugriff vor Einfügung des § 19a vor allem Schricker/v. Ungern-Sternberg2, § 15 Rdnr. 24.
275 Eine instruktive Auflistung sämtlicher Dienste findet sich bei Schwarz, ZUM 2000, 816 ff. - Die wohl überwiegende Ansicht in der Literatur will diese Zwischenformen aufgrund ihres im Wesentlichen der Sendung vergleichbaren und diese oft ergänzenden Erscheinungsbildes als Sendung behandelt wissen; vgl. die Nachw. bei Dreier/Schulze,
Urheberrechtsgesetz, § 20 Rdnr. 16, die selbst jedoch a.A. sind, vgl. Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, § 19a
Rdnr.10.
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linie mitunter vertretene andere Ansicht276 kann danach nicht mehr aufrecht erhalten werden.
So erfüllt auch ein Angebot, mit dem Internetnutzer aus in Deutschland ausgestrahlten Fernsehprogrammen Sendungen auswählen und zeitversetzt auf dem eigenen Rechner ansehen
können, indem der Anbieter eine von ihm digitalisierte Fassung der Sendung auf einem dem
jeweiligen nutzer zugewiesenen Speicherplatz seines Servers vorhält, den Tatbestand des
§ 19a UrhG und greift damit in das Vervielfältigungsrecht des ausstrahlenden Fernsehsenders
nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 UrhG ein.277
Die neue Schrankenbestimmung des § 52a nimmt dagegen die öffentliche Zugänglichmachung zum Zweck des Unterrichts und der Forschung in begrenztem Umfang vom Verbotsrecht aus und legt lediglich eine Vergütungspflicht fest.278 Ansonsten hat der deutsche Umsetzungsgesetzgeber die öffentliche Zugänglichmachung in einer ganzen Reihe der einen bestimmten Zweck privilegierenden Schrankenbestimmungen freigestellt, in anderen Schrankenbestimmungen die öffentliche Zugänglichmachung jedoch auch ausdrücklich ausgenommen.
b. Vervielfältigungsrecht (§ 16 Abs. 1)
Das Vervielfältigungsrecht ist in Übereinstimmung mit Art. 2 der Richtlinie dahingehend ergänzt worden, dass nach § 16 Abs. 1 nun ausdrücklich auch die auch nur vorübergehende
Vervielfältigung eine Vervielfältigung im Sinne des UrhG darstellt. Während nun alle auch
nur rein technischen Vervielfältigungshandlungen grundsätzlich zunächst vom Urheberrecht
erfasst, sind, die insbesondere im Zuge der digitalen Nutzung und Übermittlung von geschützten Werken stattfinden, sieht der ebenfalls in Umsetzung einer zwingenden Richtlinienvorschrift279 neu ins UrhG übernommene § 44 a vor, dass all diejenigen vorübergehenden Vervielfältigungshandlungen ohne Zustimmung des Rechtsinhabers zulässig sind, die flüchtig
oder begleitend sind, einen integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens
darstellen und deren alleiniger Zweck es ist, entweder eine Übertragung in einem Netz zwischen Dritten durch einen Vermittler oder eine rechtmäßige Nutzung eines Werkes oder sonstigen Schutzgegenstands zu ermöglichen, sofern derartige Vervielfältigungshandlungen keine
eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben.
276
Vgl. vor Änderung des § 52 etwa Kreutzer, GRUR 2001, 193, 199.
OLG Köln, CR 2006, 557; LG Leipzig, K&R 2006, 426 zu virtuellen Videorekordern,
278 Dazu Thum, K&R 2005, 490.
279 Art. 5 Abs. 1 RL. Vgl. hierzu Erwägungsgrund 33 und erläuternd Spindler, GRUR 2002, S. 105 (111 f.).
277
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c. Änderung der Schrankenbestimmungen (§§ 44a ff.)
Die umfangreichsten Änderungen finden sich bei den Schrankenbestimmungen der ehemaligen §§ 45 ff. Aufgrund der fehlgeschlagenen Harmonisierung des Inhalts der Schranken enthält die Richtlinie 2001/29/EG wie oben aufgeführt einen Katalog von insgesamt 21 Schranken, von denen lediglich eine zwingender Natur ist (Art. 5 Abs. 1, umgesetzt in § 44 a). Alle
übrigen Schrankenbestimmungen sind fakultativ und ihre Umsetzung ins Belieben der nationalen Gesetzgeber der einzelnen Mitgliedstaaten gestellt.
Neben den bereits erwähnten § 44 a und § 52 (insb. Abs. 3) finden sich maßgebliche Neuerungen insbesondere in:
§ 53 (Vervielfältigungen zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch)
Bei der Neuregelung des § 53 hat sich der Umsetzungsgesetzgeber dafür entschieden, grundsätzlich auch die Privilegierung der digitalen Privatkopie aufrecht zu erhalten (zur Debatte um
die digitale Privatkopie im Rahmen des Zweiten Korbs s.u. 3 b. bb)). Nach den Vorgaben
von Art. 5 Abs. 2 und 3 der Richtlinie ist die digitale Privatkopie allerdings gegenüber derjenigen in Papierform in einigen Punkten eingeschränkt worden:
Abs. 1 stellt nun klar, dass die Kopie zum privaten Gebrauch weder unmittelbar noch mittelbar Erwerbszwecken dienen darf. Werden Kopien zum privaten Gebrauch des Auftraggebers,
die nicht auf Papier oder einem ähnlichen analogen Trägermedium mittels eines Ablichtungsverfahrens hergestellt werden, durch Dritte hergestellt, so ist dies fortan - wie schon bisher für
die Übertragung von Werken auf Bild- oder Tonträger und die Vervielfältigung von Werken
der bildenden Künste - im Rahmen der Privilegierung nur dann zulässig, wenn der Dritte die
Kopien unentgeltlich anfertigt.
Nach Abs. 1 S. 1 a.E. ist die Privatkopie nicht zulässig, soweit sie von einer offensichtlich
rechtswidrig hergestellten Vorlage angefertigt wird. Dieser Punkt geht auf die Kompromisslösung des Vermittlungssausschusses280 zurück, da bis zuletzt zwischen Bundesrat und Bundes280
Vgl. BT-Drucks. 15/1353.
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tag die Frage heftig umstritten war, ob Kopien im Rahmen von § 53 Abs. 1 überhaupt eine
rechtmäßige Vorlage voraussetzen, oder ob sie auch von rechtswidrigen Vorlagen zulässig
sein sollten. Der Bundestag wollte verhindern, dass ein in der Praxis nicht kontrollierbares
Verbotsrecht geschaffen wird, gegen das von Seiten der Nutzer massenhaft verstoßen wird,
der Bundesrat hingegen die Position der Rechteinhaber stärken. Die Klärung, wann das
Merkmal der „offensichtlich rechtswidrig hergestellten Vorlage“ erfüllt ist, bleibt der Rechtsprechung überlassen. Sofern man nicht sämtliche in sog. File-Sharing-Systemen angebotenen
Werke als rechtswidrige Vervielfältigungen ansieht - und sei es deswegen, weil das Angebot
zum Download eine von § 52 nicht gedeckte Verletzung des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung nach § 19a darstellt281 -, wäre in File-Sharing-Systemen danach dann zwar das
Downloaden zulässig, nicht hingegen, eigene oder über das System herunter geladene Werke
zum Downloading durch andere Teilnehmer bereit zu halten. Nicht beachtet hatte der Gesetzgeber allerdings, dass nach dem jetzigen Wortlaut auch das Downloading solcher files zulässig ist, die aufgrund einer zulässigen Privatkopie rechtmäßig hergestellt, aber unter Umgehung des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung aus § 19a angeboten wurden. Dem wird
durch einen entsprechenden Zusatz im Rahmen des Regierungsentwurfs zum „Zweiten Korb“
Rechnung getragen.282
d. Änderungen der Vorschriften über den Schutz von Computerprogrammen (§§ 69a
Abs. 5, 69c Nr. 4)
Zwei kleinere Änderungen hat der Gesetzgeber in Bezug auf den Schutz von Computerprogrammen nach den §§ 69a ff. vorgenommen. Zum einen erklärt der neue Abs. 5 des § 69a die
Vorschriften über die technischen Schutzmaßnahmen der §§ 95a - d im Einklang mit der
Richtlinie 2001/29/EG auf Computerprogramme für unanwendbar. Insoweit verbleibt es also
bei den bereits im Zuge der Umsetzung der Richtlinie 91/250/EWG über den Rechtsschutz
von Computerprogrammen ins deutsche Recht eingefügten speziellen Umgehungsschutz des §
69f Abs. 2. Ohnehin kennt der Computerprogrammschutz mit § 69d Abs. 2 (Erstellung einer
Sicherheitskopie) und § 69e (Dekompilierung) speziell auf Computerprogramme zugeschnittene Besonderheiten.
Zum anderen ist in § 69c Nr. 4 jetzt ausdrücklich das für Computerprogramme bislang fehlende Recht der öffentlichen Wiedergabe normiert worden, das bei Erlass der Richtlinie of-
281
282
S. näher Dreier/Schulze, § 53 Rdnr 12.
vgl. unten 3 b).
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fenbar nicht für relevant angesehen wurde.283 Das Recht der öffentlichen Wiedergabe umfasst
auch für Computerprogramme das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.
e. Rechtsschutz gegen die Umgehung technischer Schutzmaßnahmen (§§ 95a ff., 108b,
111a)
In Umsetzung der Art. 6 und 7 der EU-Richtlinie 2001/29/EG wurden die Vorschriften über
den rechtlichen Schutz gegen die unerlaubte Umgehung wirksamer technischer Schutzmechanismen sowie über die Pflichten in bezug auf Informationen zur Rechtewahrnehmung ins
UrhG aufgenommen. Der Gesetzgeber hat zu diesem Zweck den Schutz technischer Maßnahmen begründet (§ 95a), die Durchsetzung von Schrankenbestimmungen gegenüber technischen Schutzmaßnahmen geregelt (§ 95b), die zur Rechtewahrnehmung erforderlichen Informationen geschützt (§ 95c), Kennzeichnungspflichten mit technischen Maßnahmen versehener Gegenstände eingeführt (§ 95d) und die Verletzung dieser Verbote und Verpflichtungen
sanktioniert (§§ 108b, 111a).
aa) Schutz technischer Maßnahmen (§ 95a)
Bei der Umsetzung der Vorschriften über den rechtlichen Schutz gegen die unerlaubte Umgehung wirksamer technischer Schutzmaßnahmen in Art. 6 der Richtlinie 2001/29/EG hat sich
der deutsche Umsetzungsgesetzgeber eng an den Richtlinienwortlaut angelehnt. Dadurch sind
sämtliche Auslegungsfragen („Wirksamkeit” technischer Schutzmechanismen; „normaler
Betrieb”; „Umgehung” ) einstweilen der Rechtsprechung überlassen. Verboten ist danach die
Umgehung (Abs. 1) wirksamer technischer Schutzmaßnahmen (zur Definition vgl. Abs. 2)
sowie Herstellung, Einfuhr, Verbreitung, Verkauf, Vermietung, diesbezügliche Werbung sowie der zu gewerblichen Zwecken dienende Besitz von Vorrichtungen, Erzeugnissen oder
Bestandteilen sowie die Erbringung von Dienstleistungen, die (1.) Gegenstand einer Verkaufsförderung, Werbung oder Vermarktung mit dem Ziel der Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen sind oder (2.) abgesehen von der Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen nur einen begrenzten wirtschaftlichen Zweck oder Nutzen haben oder (3.) hauptsäch-
283
A. A. seinerzeit jedoch Czarnota/Hart, Legal protection of computer programs in Europe, 1991, S. 59: vom
Verbreitungsrecht erfasst.
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lich entworfen, hergestellt, angepasst oder erbracht werden, um die Umgehung wirksamer
technischer Maßnahmen zu ermöglichen oder zu erleichtern.
bb) Durchsetzung von Schrankenbestimmungen
Umstritten sind nach wie vor die Regelungen zur Durchsetzung des Rechts auf Privatkopie
gegen technische Schutzmaßnehmen, insbesondere die Tatsache, dass § 95b Abs. 1 Nr. 6 und
Abs. 2 UrhG wohl eine Durchsetzung der analogen, nicht aber der digitalen Privatkopie284
gestatten, somit das Digital Rights Management (DRM) zwar Schrankenbestimmungen beschneidet, diese aber nicht durchsetzbar sind, da es sich nicht um originäre Rechtspositionen
handelt.285
cc) Schutz der zur Rechtewahrnehmung erforderlichen Informationen (§ 95c)
§ 95c statuiert die Pflichten in bezug auf Informationen zur Rechtewahrnehmung wiederum in
enger Anlehnung an den Wortlaut von Art. 7 der Richtlinie. Nach § 95 c Abs. 1 ist das Entfernen oder Verändern von Informationen verboten, die zur Rechtewahrnehmung erforderlich sind
und die entweder an einem Vervielfältigungsstück eines Werkes oder eines sonstigen Schutzgegenstandes angebracht sind oder die im Zusammenhang mit der öffentlichen Wiedergabe eines
solchen Werks oder Schutzgegenstandes erscheinen. Abs. 2 enthält die Definition derjenigen
Informationen, die im Sinne der Vorschrift als Informationen für die Rechtewahrnehmung angesehen werden. Abs. 3 regelt ein Verbreitungs- und Nutzungsverbot für solche Werke und sonstige Schutzgegenstände, bei denen Informationen für die Rechtewahrnehmung unbefugt entfernt oder geändert worden sind.
dd) Kennzeichnungspflichten (§ 95d)
284
Dazu Arlt, MMR 2005, 148.
Zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung Arlt, CR 2005, 646; das BVerfG hat eine Verfassungsbeschwerde
insoweit zurückgewiesen mangels Rechtswegausschöpfung und grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung,
BVerfG GRUR 2005, 1032 – Eigentumsverletzungen durch Kopierschutz = MMR 2005, 751 m. Anm. Köcher/Kaufmann. Zu wettbewerbsrechtlichen Aspekten Arlt, GRUR 2005, 1003.
285
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Mit § 95d Abs. 1 hat der Umsetzungsgesetzgeber Rechteinhaber dazu verpflichtet, Werke und
andere Schutzgegenstände, die mit technischen Maßnahmen geschützt werden, deutlich sichtbar mit Angaben über die Eigenschaften der technischen Maßnahmen zu kennzeichnen. Diese
Hinweispflicht hat ihre Begründung v.a. im Verbraucherschutz, dabei trägt sie auch zu weiterer Markttransparenz bei. Zwar hat der Gesetzgeber die Verletzung der Pflicht weder nach
Abs. 1 nach § 108 a straf- noch nach § 111 a zumindest ordnungswidrigkeitenrechtlich sanktioniert, jedoch dürften bei fehlender Kennzeichnung Mängelgewährleistungsansprüche nach
§§ 434 ff. BGB in Betracht kommen.
d)
Sanktionen (§§ 108b, 111a)
Art. 6 Abs. 1 und 7 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG verpflichten die Mitgliedstaaten zur Gewähr eines angemessenen Rechtsschutzes in Bezug auf technische Schutzmechanismen und
Informationen zur Rechtewahrnehmung, lassen ihnen dabei jedoch die Entscheidung offen, ob
sie diesen Rechtsschutz im Rahmen des Zivil-, Ordnungswidrigkeiten- oder Strafrechts verwirklichen wollen. Der deutsche Umsetzungsgesetzgeber hat sich hier mit dem neuen § 108b
und dem ebenfalls neuen § 111a (der bisherige § 111a über die Zollbeschlagnahme ist dafür
zum § 111b geworden) sowohl für eine strafrechtliche als auch für eine ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktionierung entschieden.
Nach § 108b strafbar sind im einzelnen: nach Abs. 1 Nr. 1 Verstöße gegen § 95 a Abs. 1
(Umgehung wirksamer technischer Schutzmaßnahmen); nach Abs. 2 Nr. 2 Verstöße gegen
§ 95 c Abs. 1 (Veränderung oder Entfernung zur Rechtewahrnehmung erforderlicher Informationen) und § 95 c Abs. 3 (Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Werken mit veränderten oder entfernten Informationen zur Rechtswahrnehmung), wobei die Strafbarkeit in diesen
beiden Fällen voraussetzt, daß der Täter nicht ausschließlich zum eigenen privaten Gebrauch
oder mit dem Täter persönlich verbundener Personen gehandelt hat oder sich die Tat nicht auf
einen derartigen Gebrauch bezieht; nach Abs. 2 Verstöße gegen § 95 a Abs. 3 (Herstellung,
Handel und Einfuhr von Umgehungsmitteln). Die Taten sind nach § 109 Antragsdelikte. Der
Strafrahmen beträgt Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr - sowie bei gewerbsmäßigem Handeln
im Fall des Abs. 1, nicht jedoch des Abs. 2, bis zu drei Jahre (Abs. 3) - oder Geldstrafe.
Als Ordnungswidrigkeiten ausgestaltet sind nach § 111a Abs. 1 Nr. 1 - 3 die folgenden drei
Tatbestände: die Verletzung des rechtlichen Schutzes gegen technische Umgehungshandlun68
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gen und -vorrichtungen (§ 95 a Abs. 3); die Verletzung der Verpflichtung von Rechteinhabern, die sich technischer Schutzmittel bedienen, Nutzern zur Umgehung des Schutzes geeignete technische Mittel zur Verfügung zu stellen, damit jene in den Genuss der im Gesetz genannten Schrankenbestimmungen gelangen können (§ 95 b Abs. 1 Satz 1), sowie schließlich
die Verletzung der Verpflichtung der Rechteinhaber in diesen Fällen Werke und Schutzgegenstände mit den erforderlichen Angaben zu versehen (§ 95 d Abs. 2 Satz 1). Nach § 111a
Abs. 2 beträgt der Bußgeldrahmen in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 und 2 bis zu fünfzigtausend Euro und in den übrigen Fällen bis zu zehntausend Euro.
Entsprechend dem zeitlich bis zum 1.9.2004 hinausgeschobenen Beginn der Verpflichtungen
nach den §§ 95b Abs. 2 und 95d Abs. 2 treten auch die Bußgeldvorschriften nach § 111a Abs.
1 Nr. 2 und 3 erst zu diesem Zeitpunkt in Kraft.
3. Weitergehende Reformpläne (sog. „Zweiter Korb“)
a. Motivation
Direkt im Anschluss an die Umsetzung der Richtlinie 2001/29/EG durch das Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft hat das Bundesministerium der Justiz
(BMJ) im September 2003 unter der Bezeichnung „Zweiter Korb“ mit den Arbeiten an einer
weiteren Novellierung des UrhG begonnen.286 Nachdem die Umsetzungsfrist für die zwingenden Vorgaben der Richtlinie recht knapp bemessen war, ging es nun um weitere Fragen
einer Modernisierung des UrhG. Damit hat sich das BMJ für eine Weiterentwicklung des
deutschen UrhG entschieden, welche das Urheberrecht auf europäischer Ebene im Wettbewerb eigenständiger nationaler Lösungen mit zu gestalten sucht.
Behandelt werden sollte vor allem eine Reform des urheberrechtlichen Vergütungssystems
der §§ 54 ff, insb. im Hinblick auf die digitale Privatkopie.287 Daneben stand die Durchsetzung der Privatkopie gegenüber technischen Schutzmaßnahmen in der Diskussion. Eine „AG
Schranken“ hat sich schließlich u. a. mit den Fragen beschäftigt, ob die geltende Pressespiegelschranke des § 49 UrhG angesichts der Entscheidung des BGH288 zu elektronischen Pres-
286
Vgl. dazu die Beiträge des Eröffnungssymposiums am 16.9.2003 in München in ZUM 2003, 979 ff.
287
Vgl. Presseerklärung 74/03 v. 16.9.2003.
BGH NJW 2002, 3393 – Elektronischer Pressespiegel; s. dazu unten b.ee)
288
69
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sespiegeln neu gefasst werden sollte und ob sich eine klarstellende Regelung zu elektronischen Archiven empfiehlt, desweiteren ob eine Schranke für die on-the-Spot-Consultation in
Bibliotheken eingeführt und inwieweit der elektronische Kopienversand auf Bestellung sollte.
b. Der Regierungsentwurf des BMJ
Seit dem 22.03.2006 existiert der Regierungsentwurf für ein Zweites Gesetz zur Regelung des
Urheberrechts in der Informationsgesellschaft.289
Er sieht u. a. folgendes vor:
aa) elektronische Leseplätze (§ 52b RegE)
Vorbehaltlich anders lautender vertraglicher Regelungen dürfen Werke aus eigenen Bibliotheksbeständen auch ohne vorherige Zustimmung der Rechteinhaber gegen angemessene
Vergütung an eigens eingerichteten elektronischen Leseplätzen (vor Ort, nicht z.B. campusweit) zugänglich gemacht werden, solange insgesamt keine wirtschaftlichen Ziele verfolgt
werden. Die noch im Referentenentwurf vorgesehene und umstrittene Beschränkung, nach der
nicht mehr Exemplare eines Werkes gleichzeitig hätten zugänglich gemacht werden dürfen,
als der tatsächliche Bibliotheksbestand umfasst, ist im Regierungsentwurf nicht übernommen
worden. Damit soll einerseits dem Bildungsauftrag der Bibliotheken Rechnung getragen und
die „Medienkompetenz der Bevölkerung“ gestärkt, andererseits „verhindert werden, dass die
Bibliotheken aufgrund der Einführung der neuen Schrankenregelung ihr Anschaffungsverhalten ändern.“290 Durch die neue Schrankenregelung wird Art. 5 Abs. 3 lit. n der Richtlinie in
nationales Recht umgesetzt.
bb) Privatkopie, § 53
Die Zulässigkeit Privatkopie bleibt im Referentenentwurf auch in Bezug auf digitale Vervielfältigungen erhalten. Im Interesse der Urheber wie auch der Verbraucher soll die bewährte
Regelung des Urheberrechts beibehalten werden, die realistischerweise nicht zu verhindernde
private Vervielfältigung zu gestatten, aber nach einem pauschalen Vergütungssystem vergü289
Begr. RegE des BMJ vom 22.03.2006, S. 64; abrufbar unter www.bmj.de oder
http://www.kopien-brauchen-originale.de/media/archive/139.pdf
290 Noch RefE des BMJ vom 27.9.2004, S. 51; abrufbar unter www.bmj.de oder
http://www.kopien-brauchen-originale.de/media/archive/129.pdf
70
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tungspflichtig zu halten.291 Der Forderung insbesondere von Verbraucherverbänden, die
Durchsetzung der Privatkopie auch gegen technische Schutzmaßnahmen zu regeln, wurde im
Regierungsentwurf dagegen eine Absage erteilt. Begründet wird dies mit der Ausrichtung der
Privatkopie-Regelung an den Interessen der Urheber: Schon der Gesetzgeber von 1965 habe
vor allem das geistige Eigentum durch die Vergütungsregelung schützen wollen, der Vorteil
für die Verbraucher habe sich lediglich als ein Reflex hieraus ergeben. Weder aus dieser Regelung noch aus der in Art. 5 GG geschützten Informationsfreiheit ergebe sich ein Recht des
Verbrauchers auf kostenlosen Zugang zu allen gewünschten Informationen.292 Schließlich
wäre ein Eingreifen des Gesetzgebers zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht, da nicht abzusehen sei,
inwieweit sich die Systeme des digitalen Rechtemanagments technisch und in Bezug auf die
Geschäftsmodelle entwickeln und inwieweit technische Schutzmaßnahmen tatsächlich das
Mittel der Wahl der Rechteinhaber werden.293 Außerdem wird nun klargestellt, dass eine Vorlage auch dann rechtswidrig ist, wenn sie zwar rechtmäßig hergestellt, aber rechtswidrig öffentlich zugänglich (Internet) gemacht wurde.
Nicht übernommen wurde die im Referentenentwurf vorgesehene und von vielen Seiten als
„rechtspolitisch falsches Signal“ kritisierte „Bagatellklausel“, die insb. private Endnutzer aus
strafrechtlicher Sicht haftungsfrei stellen sollte, wenn sie Raubkopien nur in geringer Anzahl
herstellten.
cc) Kopienversand, § 53 a RegE
Mit dem Vorschlag zur Regelung des Kopienversands folgt der Entwurf dem Urteil des BGH
zur Zulässigkeit des Kopienversands.294 Eine öffentliche Bibliothek darf danach auf Anfrage
Vervielfältigungen einzelner Zeitschriftenbeiträge fertigen und diese an den Besteller im Wege des Post- oder Faxversands übermitteln. Allerdings besteht ein Vergütungsanspruch des
Urhebers (Abs. 2) und die Übermittlung zu kommerziellen Zwecken des Bestellers ist nicht
291
Schon Begr. RefE des BMJ vom 27.9.2004, S. 31; abrufbar unter www.bmj.de oder
http://www.kopien-brauchen-originale.de/media/archive/129.pdf; dies ist allerdings gerade im Hinblick auf die
Nicht-Durchsetzbarkeit der Privatkopie gegen Digital Rights Management-Systeme nicht unumstritten, vgl. zB Krüger
GRUR 2005, 206. Das LG München I hat aber über die Geräteabgabe für PCs entschieden, dass man die Rechner
als zur Vornahme von Vervielfältigungen auch dann bestimmt ansehen könne, wenn dazu noch zusätzliche Hardware benötigt würde. Der Höhe nach seien 12,- € pro Gerät angemessen, LG München I, MMR 2005, 255; ähnlich
zu Druckern und Plottern OLG Stuttgart MMR 2005, 700. Zum Ganzen Richters/Schmitt, CR 2005, 473; Bäcker,
Anm. zum Urteil des LG München I, ZUM 2005, 241; Büchner zum selben Urteil, CR 2005, 217.
292 Begr. RefE aaO, S. 35 f.
293 Begr. RefE aaO, S. 36.
294 BGHZ 141, 13 ff = NJW 1999, 1953 ff – Kopienversanddienst.
71
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zulässig. Über die Form des Post- oder Faxversandes hinaus ist eine Übermittlung in „sonstiger elektronischer Form“ zulässig, soweit nicht die Rechteinhaber schon anderweitig vertragliche Möglichkeiten zum –kommerziellen- elektronischen Bezug nutzen bzw. anbieten. In
digitaler Form ist eine Übermittlung nur als graphische Datei zulässig..295
dd) Vergütungsregelungen, § 54 ff RegE296
Gerade mit Blick auf das Internet, neue digitale Vervielfältigungsverfahren und die zunehmende Konvergenz der Medien formuliert der Regierungsentwurf den neuen Grundtatbestand
der Vergütungspflicht in § 54 RefE offen für alle Vervielfältigungsquellen und –verfahren.
Anspruchsgegner sind Hersteller nicht nur von Geräten, sondern auch von Speichermedien,
die in nennenswertem Umfang von ihrem Typ her zu Vervielfältigungshandlungen genutzt
werden. Unter Speichermedien fallen u. a. Smartcards, Memory Sticks, Festplatten, Disketten, DVD, CD-ROMs, CD-R, CD-RW und Laserdisks.297 Als Grundsatz für die Gestaltung
der Tarife legt § 54a RefE v.a. das Maß der tatsächlichen Nutzung als Kriterium fest.298 Davon unabhängig wird in der Literatur immer wieder über ganz alternative Vergütungssysteme
für einen „Weg zurück in die Legalität nachgedacht, etwa im Sinne einer Kultur- oder Content- Flatrate299 oder einem anreiz- und provisionsgesteuerten Bezahlsystem, bei dem gleichzeitig die Kosten des gesamten Systems verringert werden sollen.300
ee) Keine Regelung zum elektronischen Pressespiegel
Der Referentenentwurf hat aber davon abgesehen, auch das BGH-Urteil301 zum elektronischen Pressespiegel im UrhG nachzuvollziehen. Schließlich sei mit der Entscheidung im Wege der Auslegung geklärt worden, dass auch elektronische Pressespiegel unter die Voraussetzungen des § 49 UrhG zu subsumieren sind. Diese Frage der Anwendbarkeit der Schrankenregelung in Hinblick auf Zeitungsartikel und Rundfunkkommentare auf die Fälle elektro295
Begr. RefE aaO, S. 55 f.
Zu verfassungsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit den urheberrechtlichen Geräteabgaben nach dem
„Zweiten Korb“ s. Degenhart, K&R 2006, 388.
297 Begr. RegE des BMJ vom 22.03.2006, S. 64; abrufbar unter www.bmj.de oder
http://www.kopien-brauchen-originale.de/media/archive/139.pdf
298 näher s. Begr. RegE des BMJ vom 22.03.2006, S. 65 f.; abrufbar unter www.bmj.de oder
http://www.kopien-brauchen-originale.de/media/archive/139.pdf
299 dazu etwa Rösler, GRUR Int. 2005, 991.
300 das Prinzip „Potato Web Services“, Nützel/Grimm, DuD 2005, 125.
296
301
BGH NJW 2002, 3393 – Elektronischer Pressespiegel.
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nischer Pressespiegel war lange Zeit hoch umstritten. Der BGH hat schließlich entschieden,
dass ein Pressespiegel von der Privilegierung des § 49 Abs. 1 UrhG nicht etwa deshalb nicht
mehr gedeckt sei, weil der Inhalt dem Abnehmer in elektronischer Form übermittelt wird. Zur
Begrenzung der spezifischen Gefahren allerdings, die mit der Weitergabe in elektronischer
Form einhergehen, hat der BGH die elektronischen Pressespiegel nur unter den zwei einschränkenden Voraussetzungen für zulässig erklärt, dass es sich erstens um eine rein behörden- oder betriebsinterne Verbreitung handele und zweitens die Artikel lediglich als graphische oder Faksimile-Datei gesendet werde.302
Auch über diese Entscheidung hinausgehende Änderungen, etwa, die elektronische Erstellung
und Versendung von Pressespiegeln durch kommerzielle Diensteanbieter zu gestatten, hat das
BMJ als zu weitgehend abgelehnt.303
ff) Kein Auskunftsanspruch gegen Provider
Die „AG Internet“ hatte sich im Vorfeld des Entwurfs mit der Frage beschäftigt, ob
Zugangsvermittler (Provider) de lege ferenda verpflichtet werden sollten, Rechtsinhabern
Auskünfte über die Identität von Nutzern zu erteilen, die sich über den Zugangsvermittler ins
Internet einwählen und dort Urheberrechtsverletzungen begehen. Dies wurde im Entwurf allerdings noch nicht übernommen. Eine entsprechende zivilrechtliche Auskunftspflicht ist aber
vorgesehen in Art. 8 der sog. „Enforcement-Richtlinie“ der EU304: Sie verlangt einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch auch gegen Internetzugangsprovider, wenn durch Nutzer Urheberrechtsverstöße begangen wurden. Die Richtlinie ist bis Ende April 2006 in nationales
Recht umzusetzen.305
4. Sonstiges
a. Das Internet als „unbekannte Nutzungsart“
Der Urheber kann die Nutzungsrechte an seinem Werk einem anderen grundsätzlich frei einräumen, im erforderlichen oder gewünschten Umfang. Allerdings gehört auch zu den Grund302
BGH NJW 2002, 3393 – Elektronischer Pressespiegel; ausführlich dazu Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, § 49 Rn.
20; s. weiterführend Berger, Elektronische Pressespiegel und Informationsrichtlinie, CR 2004, 360.
303 Begr. RefE des BMJ vom 27.9.2004, S. 37; abrufbar unter www.bmj.de oder
http://www.kopien-brauchen-originale.de/media/archive/129.pdf
304 Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 29.4.2004 zur Durchsetzung der Rechte
des geistigen Eigentums, Abl. EG Nr. L 157/45 v. 30.4.2004.
305 s. dazu die Darstellung bei Czychowski, Auskunftsansprüche gegenüber Internetzugangsprovidern „vor“ dem 2.
Korb und „nach“ der Enforcement-Richtlinie der EU, MMR 2004, 514 ff.
73
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gedanken des Urheberrechts, dass der Urheber an den wirtschaftlichen Früchten der Verwertung seines Werkes möglichst weitgehend zu beteiligen ist (Beteiligungsgrundsatz).306 Damit der Urheber sich durch die Rechtseinräumung nicht einer Nutzungs- und damit Verdienstmöglichkeit begibt, die zum Zeitpunkt der Vereinbarung noch nicht abzusehen war,
sind nach § 31 Abs. 4 UrhG die Einräumung von Nutzungsrechten für noch unbekannte Nutzungsarten sowie die Verpflichtung hierzu unwirksam. Damit soll dem Urheber nicht nur
eine angemessene Honorarregelung, sondern auch immer die Entscheidung darüber vorbehalten bleiben, ob er überhaupt mit der Nutzung des Werkes auch auf diese neue Weise einverstanden ist.307
Bei der neuen Nutzungsart muss es sich dazu nach dem BGH um eine tatsächlich neu geschaffene, und nicht lediglich um eine durch den technischen Fortschritt mögliche Erweiterung und Verstärkung einer schon bisher üblichen Nutzungsart handeln.308 Die Nutzung im
Internet nun stellt als solche eine eigene, neue Nutzungsart dar, die wohl erst 1995 bekannt
war. 309 Die Veröffentlichung in Form digitalisierter Zeitungen oder Zeitschriften im Internet soll sich nach OLG Hamburg spätestens seit 1993 nicht mehr als unbekannte Nutzungsart
darstellen, während sie 1986 noch keine wirtschaftliche Bedeutung gehabt habe.310 Sonstige
digitale Online-Dienste, die sich unter die Begriffe Multimedia, Video on demand oder Music
on demand fassen lassen, sollen nach Literaturmeinungen in Deutschland frühestens ab 1995,
allgemein aber wohl erst ab 2000 bekannt gewesen sein.311
Für die Zukunft wird die Problematik möglicherweise nur noch eine untergeordnete Rolle
spielen: Im Regierungsentwurf zum „Zweiten Korb“312 sieht § 31a RegE ausdrücklich vor,
dass Verträge über die Einräumung von zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch unbekannten Nutzungsarten geschlossen werden dürfen. Dies muss schriftlich erfolgen, § 31a I Abs. 1,
S. 1 RegE. Bis der Vertragspartner mit der Verwertung in der neuen Nutzungsart beginnt,
steht allerdings dem Urheber nach § 31a Abs. 1 S. 2 RegE ein unverzichtbares Widerrufsrecht
306
BGH GRUR 1974, 786-Kassettenfilm; w. N. bei Dreier/Schulze, § 31 Rn 65.
S. amtl. Begr. UFITA 45/1965, 240, 271.
308 BGH GRUR 1997, 215, 217-Klimbim; näher dazu und zur Kritik an der engen Auslegung durch den BGH Dreier/Schulze, § 31 Rn 72 f..
309 einzelne Nachweise bei Dreier/Schulze, § 31 Rn 100.
310 OLG Hamburg, JurPC Web-Dok 121/2005 - Yacht-Archiv = ZUM 2005, 833.
311 einzelne Nachweise bei Dreier/Schulze, § 31 Rn 99; zu CD’s, CD-ROM’s, DVD’s etc. s. ebenda, Rn 92 ff; die
Zweitverwertung von Spielfilmen auf DVD stellt nach BGH, im Verhältnis zur herkömmlichen Videozweitverwertung keine neue Nutzungsart dar, Jur-PC Web-Dok. 142/2005 = MMR 2005, 839 m. Anm. Stieper =GRUR 2005,
937-Der Zauberberg.
312 RegE des BMJ vom 22.03.2006, S. 65 f.; abrufbar unter www.bmj.de oder
http://www.kopien-brauchen-originale.de/media/archive/139.pdf; Begr. aaO S. 52 ff.
307
74
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zu, danach ein Anspruch auf eine gesonderte angemessene Vergütung, § 32c RegE. Sinn dieser Neuregelung ist es, eine Erschwerung oder Verzögerung der Nutzung in neuen Formen zu
vermeiden.313
b. Ein eigenes Schutzrecht: Schutz des Datenbankherstellers, §§ 87a ff UrhG
aa) Einleitung
Ein eigenes Schutzrecht kommt dem Datenbankhersteller zugute. Die Vorschriften der
§§ 87a ff UrhG gehen auf Art. 7 der Richtlinie 96/9/EG über den rechtlichen Schutz von Datenbanken zurück314 und waren damit bereits vor der europäischen und deutschen Richtlinienund Gesetzgebung über Schutzrechte in der Informationsgesellschaft Bestandteil des Urhebergesetzes. Sie gewähren dem Hersteller einer Datenbank einen 15jährigen Schutz sui generis für die zur Herstellung seiner Datenbank erforderlichen Investitionen. Der Schutz
besteht damit unabhängig vom eigentlichen urheberrechtlichen Schutz für sog. Datenbankwerke nach § 4 Abs. 2 UrhG: Es werden nach §§ 87a ff. nicht die schöpferische Auswahl und
Anordnung des Datenbankinhalts, sondern vielmehr die Investition in die Beschaffung,
Sammlung, Überprüfung, Aufbereitung und Darbietung des Inhalts geschützt.315
bb) Schutzgegenstand
§ 87a Abs. 1 S. 1 UrhG definiert die Datenbank als „eine Sammlung von Werken, Daten oder
anderen unabhängigen Elementen, die systematisch oder methodisch angeordnet und einzeln
mit Hilfe elektronischer Mittel oder auf andere Weise zugänglich sind und deren Beschaffung,
Überprüfung oder Darstellung eine nach Art oder Umfang wesentliche Investition erfordert“.
Zu diesen Tatbestandsmerkmalen bzw. ihrer richtlinienkonformen Auslegung sind inzwischen
einige EuGH-Entscheidungen zu berücksichtigen. So hat der EuGH im Fall der „Fixtures“ –
Datenbank, die die kompletten Spielpläne der englischen Fußballliga beinhaltete, entschieden,
dass durch den Begriff der Datenbank i.S. der Richtlinie 96/9/EG eine Sammlung erfasst werde, „die Werke, Daten oder andere Elemente umfasst, die sich voneinander trennen lassen,
313
Begr. RegE des BMJ vom 22.03.2006, S. 52 f.; abrufbar unter www.bmj.de oder
http://www.kopien-brauchen-originale.de/media/archive/139.pdf;
314 RiLi 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.3.1996 über den rechtlichen Schutz von
Datenbanken, Abl. EU Nr. L 77 v. 27.3.2996, S. 20 ff .
315 eingehend Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, Vor §§ 87a ff. Rn. 1 f.
75
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ohne dass der Wert ihres Inhalts dadurch beeinträchtigt wird, und die eine Methode oder ein
System beliebiger Art enthält, mit der bzw. dem sich jedes der Elemente der Sammlung wieder auffinden lässt“.316 Nach EuGH ist außerdem der Begriff der mit der Beschaffung des
Inhalts einer Datenbank verbundenen Investition nach dem zugrundeliegenden Art. 7 I der
Richtlinie 96/9/EG dahingehend zu verstehen, dass er „die Mittel bezeichnet, die der Ermittlung von vorhandenen Elementen und deren Zusammenstellung in dieser Datenbank gewidmet werden.“ 317 Er umfasse dagegen nicht die Mittel, die eingesetzt würden, um die Elemente , aus denen der Inhalt der Datenbank später bestehen soll, erst noch zu erzeugen.318
Deshalb hat der EuGH den Fußballspielplänen einen Schutz als Datenbank abgesprochen: Die
Ermittlung und Zusammenstellung der Daten der Fußballbegegnungen seien untrennbar mit
dem Erzeugen dieser Daten verbunden, an dem die Fußball-Ligen als verantwortliche Veranstalter der Fußballmeisterschaften beteiligt seien. Es fehlte damit nach Ansicht des EuGH am
Erfordernis einer eigenen Investition zur Ermittlung und Zusammenstellung, die im Verhältnis zur Investition zur Datenerzeugung selbständig wäre.319 Die Vermutung liegt nahe,
dass diese Unterscheidungskriterien des EuGH in anderen, weniger klar gelagerten Fällen in
Zukunft noch erhebliche Schwierigkeiten aufwerfen könnten.
Unter einer mit der Überprüfung des Datenbankinhalts verbundenen Investition sind schließlich nach EuGH die Mittel zu verstehen, die „der Kontrolle der Richtigkeit der ermittelten
Elemente bei der Erstellung der Datenbank und während des Zeitraums des Betriebs der Datenbank gewidmet sind“.320 Auch hierunter fallen keine Überprüfungsmaßnahmen im Stadium
der Generierung der Datenbankelemente.321
cc) Rechte des Datenbankherstellers
Wer als Datenbankhersteller nach § 87 a UrhG auftritt, dem steht wie dem Urheber oder sonstigen Leistungsschutzinhaber das ausschließliche Recht zu, „die Datenbank insgesamt oder
einen nach Art oder Umfang wesentlichen Teil der Datenbank zu vervielfältigen, zu
316
EuGH GRUR 2005, 254 f.- Fixtures-Fußballspielpläne II.
EuGH GRUR 2005, 244 – BHB-Pferdewetten sowie GRUR 2005, 252-Fixtures-Fußballspielpläne I und GRUR
2005, 254-Fixtures-Fußballspielpläne II.
318 EuGH GRUR 2005, 244 – BHB-Pferdewetten sowie GRUR 2005, 252-Fixtures-Fußballspielpläne I und GRUR
2005, 254-Fixtures-Fußballspielpläne II; ebenso EuGH MMR 2005, 29 m. Anm. Hoeren = CR 2005, 10 m. Anm.
Lehmann; EuGH CR 2005, 412.
319 EuGH GRUR 2005, 252-Fixtures-Fußballspielpläne I und GRUR 2005, 254-Fixtures-Fußballspielpläne II.
320 EuGH GRUR 2005, 244 – BHB-Pferdewetten.
321 EuGH GRUR 2005, 244 – BHB-Pferdewetten.
317
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verbreiten und öffentlich wiederzugeben“, § 87b Abs. 1 S. 1 UrhG. Dem stehen wiederholte
und systematische Vervielfältigungen auch unwesentlicher Teile der Datenbank gleich, soweit
sie einer normalen Auswertung zuwiderlaufen oder die berechtigten Interessen des Datenbankherstellers beeinträchtigen, § 87b Abs. 1 S. 2 UrhG. Unklar war dabei zunächst die Bedeutung des „nach Art oder Umfang wesentlichen“ Teils der Datenbank.322 Zugrunde liegt
dem die Formulierung eines „in qualitativer oder quantitativer Hinsicht wesentlichen Teils“ in
Art. 7 I der Richtlinie 96/9/EG. Hierzu hat der EuGH nun zunächst klargestellt, dass sich der
Begriff des wesentlichen Teils in quantitativer Hinsicht (also „nach Umfang“) auf das Datenvolumen beziehe und nach dem Verhältnis zum Gesamtvolumen zu beurteilen sei. Die
eigentlich neue Aussage desselben Urteils lautet dann, dass sich der Begriff „in qualitativer
Hinsicht wesentlicher Teil“ (also „nach Art“) wiederum auf den Umfang der mit der Beschaffung, der Überprüfung oder der Darstellung seines Inhalts verbundenen Investition beziehe.323
Wichtig zur Bestimmung des Schutzumfangs der Datenbankvorschriften war auch die Entscheidung „HITBILANZEN“ des BGH, in dem es um die Übernahme von Daten aus Musikcharts ging. Danach kann ein Verstoß gegen das ausschließliche Recht eines Datenbankherstellers, die Datenbank insgesamt oder in einem nach Art oder Umfang wesentlichen Teil der
Datenbank zu vervielfältigen, auch dann gegeben sein, wenn Daten entnommen und auf andere Weise zusammengefasst werden. Auf die Übernahme der Anordnung der Daten in der
Datenbank des Herstellers kommt es danach für den Schutz nach § 87b Abs. 1 S. 1 UrhG
nicht an; die andersartige Anordnung der entnommenen Daten durch den Verwender hat nicht
zur Folge, dass diese ihre Eigenschaft als wesentlicher Teil der Datenbank verlieren.324
dd) Schranken
Auch der Datenbankhersteller unterliegt mit seinen Rechten schließlich Schranken, geregelt in
§ 87c UrhG; diese liegen insb. im privaten und wissenschaftlichen Gebrauch und zu Unterrichtszwecken, wobei die Vervielfältigung auch zum privaten Gebrauch dann ausgeschlossen
ist, wenn eine Datenbank mit Hilfe elektronischer Mittel zugänglich ist – hier trägt der Gesetzgeber der erhöhten Weiterverbreitungsgefahr bei elektronischen Datenbanken Rech-
322
Vgl. Benecke, Was ist wesentlich beim Schutz von Datenbanken?, CR 2004, 608.
EuGH GRUR 2005, 244, 250 ff. – BHB-Pferdewetten.
324 BGH, Urt. v. 21.07.2005, Az. I ZR 290/02 – HIT BILANZ; als JurPC Web-Dok. 108/2005 abzurufen unter
http://www.jurpc.de/rechtspr/20050108.htm .
323
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nung.325 Diese Schranken bilden abschließende Sonderreglungen und sind nicht lediglich Ergänzungen zu den allgemeinen Schrankenregelungen der §§ 44a ff. UrhG.326
ee) Dauer
Die Rechte des Datenbankherstellers nach §§ 87a ff. UrhG erlöschen 15 Jahre nach Veröffentlichung oder, falls eine solche nicht geschah, nach Herstellung der Datenbank, gem. § 87d
S.1 UrhG. Dabei ist zu beachten, dass nach § 87a Abs. 1 S. 2 UrhG eine in ihrem Inhalt nach
Art oder Umfang wesentlich geänderte Datenbank als neue Datenbank gilt, sofern die Änderung eine nach Art oder Umfang wesentliche Investition erfordert. Durch regelmäßige investitionsintensive Pflege einer Datenbank lässt sich deren Schutzdauer daher theoretisch unbegrenzt verlängern.327
Unabhängig davon besteht ein eventueller Schutz der Datenbank als Datenbankwerk nach § 4
Abs. 2 UrhG, der dann 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers fortbesteht, §§ 64, 65 Abs. 1
UrhG.328
c. Webdesign, Thumbnails & Open Source – aktuelle urheberrechtliche Fragen im
Netz
Nur kurz angesprochen sollen hier einige Problemfelder sein, die sich im Netz aus dem Zusammenspiel der –zumindest technisch- freien Verfügbarkeit einerseits und den Schutzinteressen des Urhebers andererseits ergeben.
aa) Webdesign
Beispielsweise kann man in Hinblick auf die Frage nach dem urheberrechtlichen Schutz von
Webdesign von Rechtssicherheit noch lange nicht sprechen. Dabei hat auch derjenige, der
eine Internetseite gestaltet, zumeist ein – je nach Fallgestaltung mehr oder weniger berechtigtes - Interesse daran, dass kein anderer entweder sein Gesamtkonzept des Internetauftritts oder
auch nur einzelne Elemente der Seite unautorisiert benutzt. Dazu gehören in aller Regel Gra-
325
Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, § 87c Rn. 7.
Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, § 87c Rn. 1.
327 Näher Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, § 87a Rn. 16 ff.
328 Zum Ganzen näher Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, § 87d Rn. 2 ff.
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fiken, Textteile, Bilder oder auch Navigationsstrukturen.329 Werden nur einzelne insb. grafische oder fotografische Elemente übernommen, kann rechtlicher Schutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 4
UrhG, § 72 UrhG bestehen, soweit die erforderliche Gestaltungshöhe erreicht wird, was allerdings häufig fraglich sein dürfte. Außerdem können, wenn zB das Logo einer Firma kopiert
wird, wettbewerbsrechtliche Schutzvorschriften eingreifen.330 Bei Nachahmung des gesamten Seitenlayouts kommt Schutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG in Betracht, wobei wiederum die
erforderliche Schöpfungshöhe zu beachten ist, die Gestaltung der Seite muss also Ausdruck
künstlerischen Schaffens sein. Sind Bildanimationen wesentlicher Bestandteil der Seite, so
kommt u.U. ein Schutz als Multimediawerk nach § 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG in Betracht.331 Auf
der anderen Seite ist auch ein Schutz als Computerprogramm nach den §§ 69a ff iVm §§ 2
Abs. 1 Nr. 1 UrhG in Bezug denkbar; inwieweit dies lediglich den Quellcode332 der Seite betrifft oder auch, aufgrund einer engen Verknüpfung von Quellcode und dargestelltem Ergebnis, die Bildschirmgrafik als solche333, ist umstritten.334 Ein zumindest denkbarer Schutz als
Datenbankwerk wird zumeist nicht ernsthaft in Betracht kommen.335 Entsteht aber mit der
Webseite ein ganz neuartiger Gesamteindruck, so kann Geschmacksmusterrecht greifen.336
bb) Thumbnails
Eine Fortführung der Deep-Link-337, Frame-Link338 bzw. Hyperlink-339 Problematik bei
Suchmaschinen liegt in der Frage um die Zulässigkeit sogenannter Thumbnails. Dabei handelt es sich um Miniaturen (daher der Bezug zur „Daumennagelgröße“) von Fotografien, die
als Vorschaubilder bzw. grafische Gestaltung eines Links insbesondere den Nutzern von
(Bilder-) Suchmaschinen oder von Internet-Nachrichtenagenturen die Auswahl des tatsächlich
329
s. auch Heutz, MMR 2005, 567.
Heutz, MMR 2005, 567, 568.
331 Z.B. LG München I MMR 2005, 267; Heutz, MMR 2005, 567, 568 m.w.N..
332 Heutz, MMR 2005, 567, 569 f..
333 Härting/Kuon, CR 2004, 527.
334 Gegen einen Schutz rein als digitale Herstellung, da eine HTML-Datei kein Computerprogramm i.S.d. UrhG
darstelle OLG Frankfurt, MMR 2005, 705, nach dem bei entsprechender Schöpfungshöhe aber grundsätzlich ebenfalls ein Schutz als Computerprogramm bzw. Multimediawerk zumindest möglich ist; anders wohl OLG Hamm,
K&R 2005, 141 m. krit. Anm. Härting/Kuon K&R 2005, 237.
335 Einzelheiten bei Härting/Kuon, CR 2004, 527 und Heutz, MMR 2005, 567, 570.
336 Dazu Heutz, MMR 2005, 567, 570 ff..
337 s. dazu BGH CR 2003, 920 –Paperboy m. Anm. Nolte.
338 S. dazu die Übersicht bei Schreibauer/Mulch, WRP 2004, 446.
339 Bei Suchmaschinen in der Regel keine Verletzungshandlung; vgl. die Übersicht bei Dreier/Schulze, § 16 Rn. 14
m.w.N..
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gewünschten Bild - Links erleichtern sollen. In rechtlicher Hinsicht sind solche Thumbnails
als unfreie Bearbeitungen iSd § 23 S. 1 (i.V.m. § 19a) UrhG340 oder auch als „echte“ Verwertung des Originalswerkes341 eingeordnet worden. Es finde im Gegensatz zu den urheberrechtlich zulässigen Deep-Links342 bereits auf der verweisenden Seite selbst eine Nutzung
statt.343 Die Tatsache, dass die Thumbnails gegenüber den Originalen stark verkleinert und
mit einer viel gröberen Auflösung zum Abruf bereitgehalten werden, führt nach LG Hamburg
nicht zur Einordnung als freie Benutzung i.S.V. § 24 UrhG.344 Noch stärker als bei Textsuchmaschinen, bei denen Schlagwörter oder stichwortartige Textausschnitte ohne eigenständigen
Werkcharakter dargestellt werden können, stehen hier die Interessen des Urhebers an seinem
ausschließlichen und möglichst umfassenden Verwertungsrecht den Interessen an einem reibungslosen und effizienten Ablauf einer Internetsuche gegenüber. Letztere liegen nicht nur
auf Seiten der Suchmaschinenbetreiber und -nutzer; vielmehr kann ja auch der Urheber selbst
ein Interesse daran haben, dass sein Werk für den Interessenten gut zu finden ist; zumindest
unter der Prämisse, dass eine eigene Thumbnail- Verwertung durch den Urheber scheitern
würde und die eigentliche Verwertung nicht behindert wird.345 Zur Lösung dieses Interessensausgleichs kommt die Konstruktion einer konkludenten Einwilligung durch den Urheber in
Betracht,346 wobei zwischen der Einwilligung in die Verlinkung als solche einerseits und die
in die grafische Gestaltung des Links mit Thumbnails andererseits zu differenzieren ist.347
Eine Lösung über die Schrankenregelungen der §§ 44a ff. UrhG ist dagegen aufgrund des
Gebots einer engen Auslegung wohl nicht machbar348, und angesichts des abschließenden
Charakters der Schrankenregelungen ebenso wenig durch eine im Wege richterlicher Rechtsfortbildung einzuführende neue Schranke im Sinne einer erlaubten „Nutzung im Interesse der
Internetgemeinde“349.
cc) OSS-Lizenzen
Am Rande erwähnt sei noch eine aktuelle Entwicklung im Bereich der Softwarelizenzen. Da
Software grundsätzlich nicht patentierbar ist, genießt sie in Deutschland Schutz nach den Re340
LG Hamburg GRUR-RR 2004, 313 - thumbnails.
S. dazu Bettinger/Leistner, Werbung und Vertrieb im Internet, 2003, Rn. 69.
342 BGH CR 2003, 920 –Paperboy m. Anm. Nolte; zur Zulässigkeit auch nach Wettbewerbsrecht s. unten VI A. 3c).
343 LG Hamburg GRUR-RR 2004, 313 – thumbnails.
344 LG Hamburg GRUR-RR 2004, 313 – thumbnails.
345 Dazu eingehend Berberich MMR 2005, 145 ff.
346 LG Hamburg GRUR-RR 2004, 313 – thumbnails; eingehend Berberich MMR 2005, 147 f;.
347 LG Hamburg GRUR-RR 2004, 313 – thumbnails.
348 Ausführlich dazu Berberich MMR 2005, 147 f.
349 LG Hamburg GRUR-RR 2004, 313 – thumbnails.
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geln des Urheberrechtes, vgl. §§ 69a ff UrhG. Einen Sonderfall stellt dabei die Open Source
Software (OSS) dar: Es handelt sich um Software, deren Quellcode grundsätzlich für jedermann kostenlos offen einsehbar ist, zumeist über eine öffentliche Zugänglichmachung im
Internet. Damit soll eine stetige Weiterentwicklung und Optimierung der jeweiligen Computerprogramme durch interessierte und fähige Programmierer ermöglicht werden. Auch wenn
dies keiner Kostenpflicht unterliegt, so verzichten die Entwickler der zugrundeliegenden OSProgramme, wie nun auch in einem ersten Urteil bestätigt wurde, keinesfalls auf ihre Urheberrechte; vielmehr räumen sie anderen Programmierern lediglich Nutzungsrechte ein.350 Dies
geschieht im Rahmen der sogenannten General Public License (GPL), einer eigenen Lizenz
für Open Source Software, die u.a. vorschreibt, dass bei der Veröffentlichung eines aus dem
ursprünglichen OS- Programm weiterentwickelten „derivativen“ Programms auf die Open
Source Software hingewiesen, die GPL mitveröffentlicht und der Source Code zugänglich
gemacht werden muss. Verstößt ein Nutzer gegen diese Lizenzbestimmungen, so erlöschen
seine Nutzungsrechte und er kann wegen Verletzung fremder Urheberrechte in Anspruch genommen werden. Diese GPL- Bestimmungen waren nun erstmals Gegenstand einer gerichtlichen Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. und wurden mit der Entscheidung als zulässig bestätigt.351
350
LG München I CR 2004, 774 m. Anm. Hoeren und Metzger = MMR 2004, 693 m. Anm. Kreutzer.
LG München I CR 2004, 774 m. Anm. Hoeren und Metzger = MMR 2004, 693 m. Anm. Kreutzer; zur unterschiedlichen Gewichtung des Urteiles und zu weiteren, noch offenen Fragen wie beispielsweise der Frage der Aktivlegitimation des Miturhebers oder der (Nicht-)Berücksichtigung des Erschöpfungsgrundsatzes s. die einzelnen Urteilsanmerkungen sowie die Übersicht bei Schuster et.al., MMR Beilage 5/2005, S. 30; zu Fragen der Open Source Software im
behördlichen Vergaberecht s. Müller/Gerlach, CR 2005, 87.
351
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C. Kurze Einführung: Internationale Bezüge des Urheberrechts
Der Schutz des nationalen Urheberrechts endet, so ein allgemein anerkannter Grundsatz im
internationalen Immaterialgüterrecht, an den Grenzen des jeweiligen Staates (sog. Territorialprinzip). Der Schutz durch das hiesige Urheberrecht besteht also nur im Inland, wie auch
umgekehrt in Deutschland ein in einem ausländischen Staat gewährtes Schutzrecht grundsätzlich nicht anerkannt ist.352
Er gilt außerdem grundsätzlich nur für Inländer, egal, wo oder ob ihre Werke erschienen sind
und ob lediglich ein Miturheber deutscher Staatsangehöriger ist, § 120 Abs. 1 UrhG. Maßgeblicher Anknüpfungszeitpunkt für den urheberrechtlichen Schutz ist dabei derjenige der Verletzungshandlung353. In §§ 120 Abs. 2 ff UrhG finden sich allerdings auch Erweiterungen auf
sonstige Deutsche i.S.d. Art. 116 Abs. 1 GG, sog. Ausländer in besonderen Fällen, Staatsangehörige des EWR, Staatenlose und ausländische Flüchtlinge, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben. Die §§ 120 – 128 UrhG regeln damit das sog. Fremdenrecht,
den Umfang des Urheberrechts im Inland für in- und ausländische Urheber und Leistungsschutzberechtigte; sie beziehen sich für Ausländer im Wesentlichen auf die bi- und internationalen Staatsverträge aus dem Bereich des Urheberrechts.354
Fragen der internationalen Zuständigkeit und des auf grenzüberschreitende Sachverhalte anzuwendenden Rechts sind dagegen nicht im UrhG geregelt, sondern über die Regeln des internationalen Zivilprozessrechts sowie des richterrechtlich präzisierten IPR des Urheberrechts
zu lösen. Da diese recht komplex sind, bietet es sich allerdings in der Praxis in vielen Fällen
eher an, seine Rechte im Ausland auf Grundlage des dortigen nationalen Rechts einzuklagen
und zu vollstrecken, als auf Grund des deutschen IPR vor einem deutschen Gericht einen Titel
zu erwirken, der dann im Ausland anerkannt und vollstreckt werden muss.355 Hinsichtlich des
IPR gilt es zum einen die Besonderheit zu beachten, dass das deutsche Urheberrecht zwingende Regelungen zugunsten des Urhebers enthält, die nicht durch eine Rechtswahlklausel
nach Art. 27 EGBGB ausgehebelt werden können.356 In Bezug auf deliktsrechtliche Fragen
352
S. dazu Rehbinder, Urheberrecht, Rn 474 ff; Dreier/Schulze, vor §§120 ff, Rn 1,
BGH GRUR 1973, 602.
354 Dreier/Schulze, vor §§120 ff, Rn 2; ein Überblick über die Staatsverträge findet sich ebenda, Rn. 14 ff; s. auch Rehbinder, Urheberrecht, § Rn. 474, 478 ff.
355 S. dazu Einführung bei Dreier/Schulze, vor §§120 ff, Rn 2 f.
356
S. dazu Hoeren, Rechtsfragen im Internet, S. 64 mwN; abrufbar unter http://www.unimuenster.de/Jura.itm/hoeren/material/Skript/skript_August2005.pdf
353
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gilt das Schutzlandprinzip, wonach das Recht desjenigen Staates zur Anwendung kommt,
für dessen Gebiet Schutz gesucht wird.357 Das Schutzlandprinzip bestimmt nach Rspr. und
hM auch die Auslegung der Art. 40 ff EGBGB in den Fällen, in denen der Erfolgsort (z.B. der
Ort des Abrufens aus dem Netz) und der Handlungsort (z.B. der Ort des „Einstellens“ in das
Internet) auseinander fallen.358 Bezüglich Internet-Nutzungen ist genau auf die einzelne Verletzungshandlung abzustellen; bei Verletzungen des Vervielfältigungsrechts geschehen
maßgebliche Vervielfältigungen sowohl beim Upload als auch beim Download auf den jeweiligen PCs und eventuell auch Servern, so dass bei örtlichem Auseinanderfallen grundsätzlich
das Recht aller beteiligten Länder Anwendung finden kann.359 Welches Recht in Bezug auf
die öffentliche Zugänglichmachung anzuwenden ist, ist von den Art. 8 WCT, 10 und 14
WPPT und Art. 3 der Richtlinie 2001/29/EG nicht festgelegt und immer noch umstritten. Im
Ergebnis wird man nicht analog zur Regelung des Art. 1 II der sog. „Satelliten-Richtlinie“360
(umgesetzt in § 20a UrhG)361 allein auf die Rechtslage in einem Sendeland abstellen, sondern
entsprechend der sog. „Bogsch-Theorie“362 zur Wahrung des erforderlichen Schutzstandards
das Recht der Empfangsstaaten anwenden können. Die Regelungen des Vorrangs des beiderseitigen gewöhnlichen Aufenthalts aus Art. 40 Abs. 2 EGBGB finden dagegen wegen des
insoweit stärkeren Schutzlandprinzips keine Anwendung.363 Ebenso wenig soll eine Rechtswahl nach Art. 42 EGBGB nach Eintritt des Verletzungsereignisses Vorrang vor dem Schutzlandprinzip haben.364 Bereicherungsrechtliche Ansprüche sind dagegen unproblematisch
nach Art. 38 Abs. 2 EGBGB zu behandeln, der ebenfalls auf der lex loci protectionis basiert.
Der Internetanbieter muss sich damit grundsätzlich hinsichtlich jeden potentiellen Schutzlandes rechtlich absichern, andererseits ist durch internationale Urheberrechtsverträge und EU357
S. dazu Hoeren, Rechtsfragen im Internet, S. 65 mwN; abrufbar unter http://www.unimuenster.de/Jura.itm/hoeren/material/Skript/skript_August2005.pdf
358 S. dazu Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, vor §§ 120 ff, Rn. 27 a.E., 28 ff.
359 Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, vor §§ 120 ff, Rn. 33; Hoeren/Sieber, Handbuch Multimediarecht, 7.10, Rn. 15
ff.
360 Richtlinie 83/93/EG, AblEG 1993, L 248/15 = GRUR Int. 1993, 936 ff.; zum Richtlinienvorschlag Dreier,
GRUR Int. 1991, 13 ff; Sack, Das internationale Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht nach der EGBGB- Novelle, WRP 2000, 269, 275 ff mwN.
361 S. dazu eingehend Sack, Das internationale Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht nach der EGBGB- Novelle,
WRP 2000, 269, 275 ff.
362 S. dazu Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, vor §§ 120 ff, Rn. 38; Sack, Das internationale Wettbewerbs- und
Immaterialgüterrecht nach der EGBGB- Novelle, WRP 2000, 269, 275.
363 Begr. RegE zur Novelle des EGBGB 1999, BT-Drucks. 14/343, S. 10; dazu auch Sack, Das internationale Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht nach der EGBGB- Novelle, WRP 2000, 269 f, 278 f; Rehbinder, Urheberrecht, Rn
476.
364 dazu instruktiv Sack, Das internationale Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht nach der EGBGB- Novelle,
WRP 2000, 269, 284; Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, vor §§ 120 ff, Rn 28.
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Harmonisierungen wenigstens teilweise eine Angleichung des Schutzniveaus erfolgt. Stellte
man dagegen alleine auf das Ursprungslandprinzip ab, wäre zu befürchten, dass als Ursprungsland vermehrt und gezielt Länder mit niedrigem Schutzniveau gewählt würden.
IV.
Zivilrechtliche Grundlagen des E- Commerce
Literatur:
Aigner/Hofmann, Virtuelle Kaufhäuser – Auswirkungen des Fernabsatzgesetzes, MMR Beilage 8/2001, S. 30; Becker/Föhlisch, Von Quelle bis eBay: Reformaufarbeitung im Versandhandelsrecht, NJW 2005, 3377; Bergfelder, Was
ändert das 1. Signaturänderungsgesetz?, CR 2005, 148; Bodenstedt, „Alles für einen Euro“? Abgrenzung von Zugangsbestätigungen und Annahmeerklärungen im Internet, MMR 2004, 719; Braun, Widerrufsrecht und Haftungsausschluss bei
Internetauktionen, CR 2005, 113; Bröhl, EGG – Gesetz über rechtliche Rahmenbedingungen des elektronischen Geschäftsverkehrs, MMR 2001, S. 67; Brönneke, Abwicklungsprobleme beim Widerruf von Fernabsatzgeschäften, MMR 2004, 127;
Brunst, Umsetzungsprobleme der Impressumspflicht bei Webangeboten; MMR 2004, 8; Cichon/Pighin, Transportschäden
und Umtausch bei Online-Auktionen und anderen physisch abgewickelten Online-Geschäften, CR 2003, 435; Cortese,
Verbraucherschutz im digitalen Zeitalter: Zum Europäischen IPR für online-Verbraucherverträge, GRUR 2005, 192;
Deutsch, Vertragsschluss bei Internet-Auktionen- Probleme und Streitstände, MMR 2004, 586; Ditscheid/Rudloff, Das
Verhältnis von § 305a Nr. 2 lit. B BGB zu den Informationspflichten im Fernabsatz- und E-Commerce-Recht; K & R 2005,
258; Dörner, Rechtsgeschäfte im Internet, AcP 2002, S. 363; Ernst, Beweisprobleme bei E-Mail und anderen OnlineWillenserklärungen, MDR 2003, 1091; Gitter/Rossnagel, Rechtsfragen mobiler Agentensysteme im E- Commerce, K&R
2003, 64; Glatt, Vertragsschluss im Internet, ZUM 2001, S. 390; Härting, Gesetzentwurf zur Umsetzung der E- Commerce- Richtlinie, CR 2001, S. 271; Härting/ Schirmbacher, Finanzdienstleistungen im Fernabsatz, CR 2005, 48;
Heig/Rettenmaier, Widerruf und Herstellergarantie- Probleme beim Fernabsatz; K&R 2004, 559; Herwig, Zugang und
Zustellung in elektronischen Medien, MMR 2001, S. 145; Hoeren, Bewertungen bei eBay, CR 2005, 498; Hoeren/Müller,
Widerrufsrecht bei eBay- Versteigerungen, NJW 2005, 948; Kamanabrou, Vorgaben der E- Commerce- RL für die Einbeziehung von AGB bei Online Rechtsgeschäften, CR 2001, S. 421; Keller, Versandhandelskauf und Preisirrtum im Internet,
K&R 2005, 167; Kimmelmeann/Winter, E- Commerce: Keine Herausforderung für das BGB – AG Butzbach, NJW-RR
2003, 54, JUS 2003, 532; Klimke, Korrekturhilfen beim Online-Vertragschluss, CR 2005, 582; Koch, Geltungsbereich von
Internet-Auktionsbedingungen, CR 2005, 502; Leible/Sosnitza, Sniper- Software und Wettbewerbsrecht- Zur vertrags- und
lauterkeitsrechtlichen Beurteilung automatisierter Gebote bei Internet-Auktionen, CR 2003, 344; Leible/Wildemann, Von
Powersellern, Spaßbietern und einem Widerrufsrecht bei Internetauktionen, K & R 2005, 26; Mankowski, Zum Nachweis
des Zugangs bei elektronischen Erklärungen, NJW 2004, 1901; ders.; Für einen Anscheinsbeweis hinsichtlich der Identität
des erklärenden bei E-Mails, CR 2003, 44; Marx/Bäuml, Die Information des Verbrauchers zum Widerrufsrecht im Fernabsatz – „klar und verständlich“?, WRP 2004, 162; Obergfell, Die Onlineauktion als Chimäre des deutschen Vertragsrechts,
MMR 2005, 495; Oertel, Elektronische Form und notarielle Aufgaben im elektronischen Geschäftsverkehr, MMR 2001, S.
419; Ott., Informationspflichten im Internet und ihre Erfüllung durch das Setzen von Hyperlinks, WRP 2003, 945; Roßnagel in : Roßnagel, Recht der Multimediadienste, Teil 5; Roßnagel, Das neue recht elektronischer Signaturen, NJW 2001,
1817; Roßnagel, Das neue Signaturgesetz – Grundlage des elektronischen Geschäftsverkehrs, MMR 2001, S. 201; Roßnagel/Pfitzmann, Der Beweiswert von E-Mail, NJW 2003, 1209; Schirmbacher, Von der Ausnahme zur Regel: Neue Widerrufsfristen im Online-Handel?, CR 2006, 673; Schmittmann, Aktuelle Entwicklungen im Fernabsatzrecht, K&R 2005, 337,
vorher K&R 2004, 361 sowie K&R 2003, 385; Schnabl, Zwangsversteigerung beweglicher Sachen bei eBay?, NJW 2005,
940; Schneider, Zur Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie im Regierungsentwurf zur Schuldrechtsmodernisierung, K&R
2001, S. 344; Schöttle, Zur Bedeutung des neuen Fernabsatzrechts für die Anwaltshomepage, NJW 2005, 1979; Szczesny/Holthusen, Zur Unternehmereigenschaft und ihren zivilrechtlichen Folgen im Rahmen von Internetauktionen, K & R
2005, 302; Sieber/Nöding, Die Reform der elektronischen Unterschrift, GRUR 2001, S. 199; Spindler/Klöhn, Neue Qualifikationsprobleme im E-Commerce- Verträge über die Verschaffung digitalisierter Informationen als Kaufvertrag, Werkvertrag, Verbrauchsgüterkauf?, CR 2003, 81; Steinbeck, Umgekehrte Versteigerungen und Lauterkeitsrecht, K&R 2003,
344; Stickelbrock, „Impressumspflicht“ im Internet- eine kritische Analyse der neueren Rechtsprechung zur Anbieterkennzeichnung nach § 6 TDG, GRUR 2004, 111; Stockmar/Wittwer, Die Pflicht zur Empfangsbestätigung von elektronischen
Bestellungen im Spiegel der Rechtsprechung, CR 2005, 118; Vander, Eingriffe in das allgemeine Fernabsatzrecht, MMR
2005, 139; ders., Verhaltenskodizes im elektronischen Geschäftsverkehr, K&R 2003, 339; Viefhues, Elektronischer
Rechtsverkehr – rechtliche Aspekte und organisatorische Auswirkungen, CR 2001, S. 556; von Wallenberg, B2B-
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Onlineshop- betriebswirtschaftliche und rechtliche Fragen, MMR 2005, 661; Woitke, Informations- und Hinweispflichten
im E-Commerce, BB 2003, 2469.
Ob b2c (business-to-consumer), b2b (business-to-business) oder zunehmend auch p2p (peerto-peer) - Verträge werden immer häufiger direkt im Internet abgeschlossen.
Es lassen sich dabei im Wesentlichen zwei Arten von Verträgen unterscheiden: Zum einen
Verträge, bei denen die Leistung auf herkömmlichen Wegen außerhalb des Internets erbracht
wird, wenn beispielsweise eine Ware im Internet bestellt und per Post geliefert wird, zum
anderen Verträge, bei denen auch die Erfüllung innerhalb des Netzes stattfindet. Beispiel für
letzteres ist der „Kauf“ von Informationsprodukten wie etwa Software oder Medieninhalte.
Für beide Arten von Verträgen stellen sich aus zivilrechtlicher Sicht zunächst jedoch dieselben Fragen.
Die Vorteile, Geschäfte im Internet zu tätigen, sind vielfältig. Produkte können mitsamt relevanter Informationen weltweit in kürzester Zeit gefunden und deren Preise mühelos miteinander verglichen werden. Zudem ist Online-Shopping stressfrei: Kein Ladenschluss, keine
Parkplatzsuche, kein „sales-talk“, keine überfüllten Warenhäuser etc. Die Nutzung des Internet zum Kauf oder Verkauf von Waren und Dienstleistungen ist komfortabel und zeiteffizient.
Die zunehmende Nutzung des Internet zum Abschluss von Verträgen stellt das Recht vor vielfältige Herausforderungen. Wie können Verträge über das Internet überhaupt wirksam zustande kommen? Wie lässt sich die Unverfälschtheit und die Identifikation von elektronischen
Willenserklärung sicherstellen? Wie lässt sich der Verbraucher auch im Internet schützen?
Wie können Waren im Internet sicher bezahlt werden?
Meist lassen sich die Probleme mit den herkömmlichen Regeln oder geringfügigen Anpassungen meistern. In den letzten Jahren sind jedoch auch zahlreiche neue Vorschriften speziell
für den E-Commerce entwickelt worden. Zu den wichtigsten Neuerungen zählt die Einführung der elektronischen Signatur und die korrespondierenden Anpassungen der Formvorschriften an den elektronischen Geschäftsverkehr. Zudem wurde europaweit der Verbraucherschutz an die Anforderungen des E-Commerce angepasst. Zu nennen ist hier in erster Linie
die sogenannte Fernabsatz-Richtlinie. Grundlegende Vorschriften zum E-Commerce enthält
ferner die sogenannte E-Commerce-Richtlinie, welche bis zum 17.1.2002 in nationales Recht
umzusetzen war. Die Art. 9-11 dieser Richtlinie befassen sich mit dem Abschluss von Verträgen auf dem elektronischen Weg.
Die folgende Tabelle stellt die relevanten EU-Richtlinien sowie die wichtigsten nationalen
Umsetzungsmaßnahmen in einem (groben) Überblick dar:
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Richtlinien
Umsetzungsmaßnahmen
Nach Schuldrechtsmodernisierung im
BGB
Fernabsatzrichtlinie365
Fernabsatzgesetz366
Umsetzungsfrist: 17.02.2000
Art. 1 u. 2: Anwendungsbereich
§ 1 FernAbsG
§ 312b BGB n.F.
Art. 4 u. 5: Unterrichtungspflichten
§ 2 FernAbsG
§ 312c BGB n.F. i.V.m. Informationspflichtenverordnung
Art. 6: Widerrufsrecht, Rüchgabe- § 3 FernAbsG
§ 312d BGB n.F.
recht
Signaturrichtlinie367
Umsetzungsfrist: 21.7.2001
Signaturgesetz368 in der Neufassung
vom 16.05.2001 i.V.m. Signaturverordnung vom 16.11.2001
Art. 5: Rechtswirkung elektroni- - Signaturgesetz
scher Signaturen
- Gesetz zur Anpassung der Formvor- div. Vorschriften.
schriften an den modernen Rechtsge- (Siehe insbesondere die §§ 126 Abs. 3 BGB,
schäftsverkehr 369
126a BGB sowie § 292a ZPO, inzwischen §
371a Abs. 1 S. 2 ZPO )
Art. 6: Haftung der Zertifizierungs- Signaturgesetz (§ 11)
diensteanbieter
E-Commerce-Richtlinie370
Umsetzungsfrist: 16.01.2002
Art. 3: Herkunftslandprinzip
§ 4 Teledienstegesetz, geändert durch:
Art 1 Elektronischer Geschäftsver-
365
Richtlinie 1997/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz („Fernabsatzrichtlinie“), ABl. Nr. L 144/19
366 Gesetz über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf den Euro vom 27. Juni 200, BGBl. I, 987.
367 Richtlinie 99/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.1.2000 über gemeinschaftsrechtliche
Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (Signaturrichtlinie), ABl. Nr. L 13, S. 12.
368 Gesetz über Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (SigG) vom 16. Mai 2001, BGBl. I Nr. 22 vom
21.05.2001, S. 876.
369 Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen
Rechtsgeschäftsverkehr vom 13.7.2001, BGBl. I Nr. 35 vom 18.Juli 2001, S. 1542.
370 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche
Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl. Nr. L 178/1.
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kehrgesetz (EGG)371
Art. 9: Behandlung von elektroni- - Signaturgesetz
schen Verträgen
- Gesetz zur Anpassung der Formvor- div. Vorschriften.
schriften an den modernen Rechtsge- (Siehe insbesondere die §§ 126 Abs. 3 BGB,
schäftsverkehr
126a, 126b BGB sowie § 292a ZPO, inzwischen § 371a Abs. 1 S. 2 ZPO)
Art. 10: Informationspflichten
Schuldrechtsmodernisierungsgesetz
§ 312e Abs. 1 BGB n.F. i.V.m. Informationspflichtenverordnung
Art. 11 Abs. 1: Empfangsbestäti- Schuldrechtsmodernisierungsgesetz
§ 312e Abs. 1, Nr. 3 BGB n.F.
gung bei Bestellungen
Art. 11 Abs. 1: Zugangsfiktion bzgl. Schuldrechtsmodernisierungsgesetz
§ 312e Abs. 1, Nr. 4, S. 2 BGB n.F.
Bestellung und Bestätigung
Art. 11 Abs. 2: Mittel zur Fehlerkor- Schuldrechtsmodernisierungsgesetz
§ 312e Abs. 1, Nr. 1 BGB n.F.
rektur
Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen372
Umsetzungsfrist: 09.10.2004
Art. 3 ff: Informationspflichten
Gesetz zur Änderung der Vorschriften § 312b Abs. 1S.1 BGB nF iVm § 312 c BGB
über Fernabsatzverträge bei Finanz- und § 1 BGB-InfoVO nF.
dienstleistungen373 v. 2.12.2004
Art. 6: Widerrufsrecht
Gesetz zur Änderung der Vorschriften §§ 312b Abs. 1, 312d Abs. 3 Nr. 1, Abs. Abs. 4
über Fernabsatzverträge bei Finanz- Nr. 6, Abs. 6 , 355, 357 Abs. 2 BGB nF.
dienstleistungen
Art. 7: Rückabwicklung bei Wider- Gesetz zur Änderung der Vorschriften § 312d Abs. 6BGB nF iVm § 357 BGB.
ruf
über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen
A. Der Vertragsschluss im Internet
Hinsichtlich des Vertragsschlusses im Internet gelten die allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches. Internetspezifische Besonderheiten ergeben sich bei der Frage nach dem
Zeitpunkt des Zugangs elektronischer Willenserklärung sowie nach gegebenenfalls zu beach371
Gesetz über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Geschäftsverkehr-Gesetz – EGG) vom 14.12.2001, BGBl. I, Nr. 70 vom 20.12.2001, S. 3721 ff.
372 Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der
Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG, ABl Nr. L 271 vom 09/10/2002, S. 0016 - 0024.
373 Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen v. 2.12.2004, BGBl. I
2004, S. 3102, in Kraft seit 8.12.2004.
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tenden Formvorschriften. Von besonderem Interesse ist hierbei die neu ins BGB eingeführte
elektronische Form, welche auf der neu geregelten elektronischen Signatur374 basiert.
1. Die elektronische Willenserklärung
Sofern nicht die Einhaltung einer bestimmten Form gesetzlich oder vertraglich vorgeschrieben ist, können Willenserklärungen - wie im Internet üblich - auch per Mausklick oder per
Email abgegeben werden.
Sogar automatisch generierte Erklärungen können echte Willenserklärungen im Sinne des
BGB sein.375 So ist es unter Umständen ausreichend, wenn Computer im Rahmen von automatisierten Verfahren Erklärungen generieren und absenden. Auch wenn auf den ersten Blick
kein menschlicher Wille hinter solchen Computererklärungen erkennbar ist, so können sie
dennoch durch die jeweilige Programmierung auf einen menschlichen Willen zurückzuführen
sein.376
2. Websiteangebot als „invitatio ad offerendum“
In der Regel stellt die Präsentation von Waren im Internet mit direkter Bestellmöglichkeit
noch kein Angebot im Sinne von § 145 BGB dar, sondern lediglich eine „invitatio ad offerendum“.377 Die Warenbestellung stellt dann das Angebot, und zumeist die Übersendung der
Artikel die konkludente Annahmeerklärung dar.378 Hiervon geht auch § 312e Abs. 1, Nr. 3
BGB n.F. (Art. 11 Abs. 1 der E-Commerce-Richtlinie) aus, der dem Diensteanbieter aufgibt,
den Eingang von Bestellungen der Nutzer unverzüglich auf elektronischem Weg zu bestätigen. In der Regel geht demnach das Angebot zu einem Vertragsschluss vom Besteller aus.
Etwas anderes kann sich zB bei automatisch generierten Bestätigungsmails ergeben, wenn Sie
als Annahmeerklärung formuliert sind.379
Ein anderer Fall liegt vor, wenn im Rahmen von Online-Versteigerungen Sachen zum Verkauf angeboten werden. In einem solchen Fall war es strittig, ob mit der Freischaltung des
jeweiligen Angebotes bereits ein bindendes Angebot im Sinne von § 145 BGB zu sehen ist,
oder ob dies lediglich eine unverbindliche Aufforderung an die Teilnehmer der Versteigerung
374
Siehe hierzu unten unter B.
LG Köln MMR 2003, 481 = CR 2003, 613; Palandt, BGB, Einf. v. § 116, Rn. 1.
376 Boehme-Neßler, CyberLaw, S. 142.
377 BGH NJW 2005, 3567; Hoffmann, Entwicklung des Internetrechts, NJW-Beilage 14/2001, S. 7.
378 BGH NJW 2005, 3567.
379 Näher dazu unten 4d).
375
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darstellt, ihrerseits Angebote abzugeben.380 Der Streit wurde im November 2001 von BGH
entschieden.381 Der BGH sah in der Freischaltung des Anbieters bereits ein rechtsverbindliches Angebot, welches durch den höchstbietenden mit Ablauf der zuvor festgelegten Zeitspanne angenommen werde. Die Entscheidung des BGH ist sachgerecht. Das Argument, welches bei der Präsentation von Waren auf der Website von Online-Warenhäusern oder etwa in
Schaufenstern ganz realer Kaufhäuser die Annahme lediglich einer „invitatio ad offerendum“
nahe legt, nämlich dass der Anbieter nicht im voraus wissen kann, wie oft der betreffende
Artikel tatsächlich nachgefragt wird, trifft auf die Online-Versteigerung nicht zu. Hier geht es
jeweils nur um eine einzelne Sache, die auch nur einmal, nämlich an den Höchstbietenden
verkauft werden soll. Der jeweilige Anbieter hat zudem die Möglichkeit sein Angebot so zu
gestalten, dass dies nur ab einem bestimmten zu erzielendem Minimalpreis wirksam ist.
Wichtig ist bei allen Online-Angeboten, dass die Voraussetzungen des § 1 VI PAngVO
(Preisangabenverordnung) eingehalten werden. Nach OLG Köln gehört zu den Bestandteilen
eines Warenangebots auch die Pflicht zur Tragung der Versandkosten. Wird der Käufer auf
den ersten Web-Seiten nicht auf zusätzlich anfallende Versandkosten hingewiesen sondern
werden diese erst erwähnt, wenn der virtuelle Warenkorb gefüllt ist, genügt dies nicht den
preisangabenrechtlichen Vorgaben.382 Ein solcher Verstoß ist auch wettbewerbsrechtlich relevant.383
Ganz allgemein gilt: Wer mit einer Seite im Internet präsent ist, muss gewisse Impressumspflichten beachten, § 6 TDG.384 Allerdings müssen bei einer Webseite mit verschiedenen
untergeordneten Seiten nicht alle Seiten mit einem solchen Betreiberhinweis versehen sein.
Die „unmittelbare Erreichbarkeit“ ist bereits dann gewährleistet, wenn die Hinweise zwar nur
auf der Hauptseite stehen, diese aber durch einfachen Link aufrufbar ist.385
380
Ulrici, NJW 2001, S. 1112f; Grapentin, GRUR 2001, S. 713ff; Hartung/Hartmann, MMR 2001, S. 278; Wiebe in:
Spindler/Wiebe, Internet-Auktionen, S. 53ff; OLG Hamm, ZUM 2001, S. 242ff: a.A.: LG Münster, ZUM 2000, S. 515;
Hager, JZ 2001, S. 786 ff.
381
BGH
Urt.
vom
7.11.2001
(„ricardo.de“),
VIII
ZR
13/01,
abzurufen
unter:
http://www.jurpc.de/rechtspr/20010255.htm .
382 OLG Köln MMR 2005, 111; s. auch OLG Hamburg, MMR 2005, 467 sowie OLG Hamburg MMR 2005, 108.
383 OLG Hamburg, MMR 2005, 318.
384 S. dazu Stickelbrock, „Impressumspflicht“ im Internet- eine kritische Analyse der neueren Rechtsprechung zur
Anbieterkennzeichnung nach § 6 TDG, GRUR 2004, 111; weiterführend Brunst, Umsetzungsprobleme der Impressumspflicht bei Webangeboten; MMR 2004, 8.
385 OLG Hamburg, ZUM-RD 2005, 232.
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3. Zugang von elektronischen Willenserklärungen
Hinsichtlich von Vertragsschlüssen im Internet ist fraglich, zu welchem Zeitpunkt eine elektronische Willenserklärung zugeht und somit – im Falle empfangsbedürftiger Willenserklärungen - wirksam wird.
Elektronische Willenserklärungen stellen nach ganz überwiegender Meinung Erklärungen
unter Abwesenden gemäß § 130 BGB dar, sofern nicht online eine direkte Kommunikation
stattfindet, die jeweilige Erklärung also zumindest kurzzeitig gespeichert und zeitversetzt abgerufen wird. 386 Gemäß § 130 Abs. 1 BGB wird eine gegenüber Abwesenden geäußerte Willenserklärung in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie ihm zugeht. Als zugegangen gilt eine
Willenserklärung dann, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt, dass dieser unter
normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen.387
Wird eine Erklärung elektronisch über das Internet, etwa via Email übermittelt, besteht technisch gesehen für den Erklärungsempfänger bereits unmittelbar nach Versand der Erklärung
die Möglichkeit des Abrufes und somit der Kenntnisnahme – rund um die Uhr. Es muss daher
gefragt werden, wann mit dem Abruf einer Email unter Zugrundelegung gewöhnlicher Umstände gerechnet werden kann.388 Wann und wie oft Emails üblicherweise abgerufen werden,
lässt sich zum derzeitigen Stand jedoch nur schwer definieren. Sinnvollerweise muss zwischen privaten und geschäftlichen Empfängern unterschieden werden. Bei geschäftlicher Nutzung des Internets kann mit einem regelmäßigen Abruf von Email-Nachrichten gerechnet
werden.389 Der Zugang erfolgt hier daher noch am selben Tag.390 Nach Ende der Geschäftszeiten abrufbar gewordene Emails gehen dagegen erst am nächsten Geschäftstag zu.391 Werden Bestellungen im Internet im Rahmen eines automatisierten Verfahren bearbeitet, welches
rund um die Uhr Bestellungen entgegennimmt, so ist von einem sofortigen Zugang auszugehen.
386
Hoffmann, Entwicklung des Internetrechts, NJW-Beilage 14/2001, S. 7; Glatt, Vertragsschluss im Internet, ZUM
2001, S. 390, 393.
387 BGH 67, S. 275, NJW 1980, S. 990, BAG NJW 1984, S. 1651; Palandt, BGB, § 130, Rn. 5.
388 Vgl. Palandt, BGB, § 130, Rn. 5.
389
Hoeren, Rechtsfragen des Internetrechts, S. 230 f., abzurufen unter http://www.unimuenster.de/Jura.itm/hoeren/material/Skript/skript_August2005.pdf; Glatt, Vertragsschluss im Internet, ZUM
2001, S. 390, 394.
390 Glatt, Vertragsschluss im Internet, ZUM 2001, S. 390, 394.
391
Hoeren, Rechtsfragen des Internetrechts, S. 230 f., abzurufen unter http://www.unimuenster.de/Jura.itm/hoeren/material/Skript/skript_August2005.pdf;
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Wann bei Privatleuten der Abruf neuer Emails üblicherweise erwartet werden kann, ist
schwieriger zu entscheiden. Nach einer neueren Ansicht ist sogar von einem täglichen Abruf
auszugehen.392 Dagegen ist vor nicht allzu langer Zeit davon ausgegangen worden, dass bei
privaten Nutzern mit einem Abruf höchstens einmal in der Woche zu rechnen sei.393 Da der
Umgang mit dem Internet als Kommunikationsmedium neben Post und herkömmlichen Telkommunikationstechniken in den letzten Jahren zunehmend selbstverständlich geworden ist,
kann mittlerweile wohl tatsächlich von einem täglichen Abruf ausgegangen werden. Da dies
aber zu jeder beliebigen Tages- und Nachtzeit geschehen kann, sollte der Zugang erst einen
Tag nach Abrufbarkeit angenommen werden.394 Eine tägliche Abfrage dürfte jedenfalls von
solchen Privatleuten zu erwarten sein, die mit dem Erhalt rechtsgeschäftlicher Erklärungen
rechnen mussten.395 Nutzt jemand seine Email-Adresse dagegen ausschließlich für private
Zwecke, so wird man zu seinem Schutz den Zugang erst zu einem späteren Zeitpunkt, etwa
bei tatsächlicher Kenntnisnahme annehmen können.396
Für Bestellungen und Empfangsbestätigungen stellt § 312e Abs. 1 Nr. 4 S. 2 BGB in Umsetzung von Art. 11 Abs. 1 der E-Commerce- Richtlinie eine Zugangsfiktion auf. Demnach gelten Bestellungen und Empfangsbestätigungen als zugegangen, wenn die Parteien, für die sie
bestimmt sind, sie abrufen können. Auf die Frage, wann mit einem Abruf üblicherweise gerechnet werden kann, soll es demnach nicht mehr ankommen. Keine Anwendung findet diese
Regelung allerdings auf Verträge, die im Wege individueller Kommunikation zustande kommen , § 312e Abs. 2 BGB.
4. Anfechtbarkeit von elektronischen Willenserklärungen
Eine Anfechtung von im Internet geschlossenen Verträgen erfolgt über die herkömmlichen
Regeln der §§ 119 ff BGB.
Als internetspezifische Anfechtungsgründe kommen vor allem in Betracht: Eingabefehler,
Übermittlungsfehler oder Systemfehler.
a.) Eingabefehler
Werden Erklärungen am Computer falsch eingegeben, kommt eine Anfechtung wegen Erklärungs- oder Inhaltsirrtum nach § 119 Abs. 1 BGB in Betracht.
392
So: Hoeren, Rechtsfragen des Internetrechts, S. 230 f.,
muenster.de/Jura.itm/hoeren/material/Skript/skript_August2005.pdf;
393 Ebenfalls Hoeren, Rechtsfragen des Internet, S. 125.
394
Vgl. Hoeren, Rechtsfragen des Internetrechts, S. 230 f.,
muenster.de/Jura.itm/hoeren/material/Skript/skript_August2005.pdf.
395 Härting, Internetrecht, S. 84.
396 Härting, Internetrecht, S. 84.
abzurufen
unter
http://www.uni-
abzurufen
unter
http://www.uni-
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Umstritten ist, ob dies auch bei computergenerierten Erklärungen, deren Fehler auf lange zuvor eingegebenen Daten beruhen, gilt.397
Apropos Eingabefehler: Gemäß § 312e Abs. 1, Nr. 1 BGB hat der Diensteanbieter dem Nutzer bei der Abgabe seiner Bestellung wirksame technische Mittel zur Erkennung und zur Korrektur von Eingabefehlern zur Verfügung zu stellen.398
b.) Übermittlungsfehler
Fehler, die während der Übermittlung elektronischer Willenserklärungen auftreten, können
grundsätzlich nach § 120 BGB angefochten werden. Dies gilt auch, wenn die Erklärung fehlerhaft durch den Internet-Provider weitergeleitet wurde, da es sich bei diesem um eine „Anstalt“ im Sinne des § 120 BGB (bzw. um eine „Einrichtung“ i.S. von § 120 BGB n.F.) handelt.399
c.) Systemfehler
Eine Anfechtung fehlerhafter Erklärungen ist dagegen ausgeschlossen, wenn der Fehler durch
die Soft- oder Hardware des jeweiligen Anwenders oder durch die Verwendung von veraltetem oder unkorrektem Datenmaterial verursacht wurde.400 Es handelt sich in solchen Fällen
nicht um Fehler in der Willensäußerung, sondern um Fehler in der Willensbildung, welche als
„Motivirrtümer“ oder „Kalkulationsirrtümer“ grundsätzlich nicht angefochten werden können.401
d.) Spezialfall: Auto- Reply- Erklärungen nach § 312e Abs. 1 Nr. 3 BGB
Wer als Unternehmer im Internet eine Ware zur Bestellung anbietet, ist nach § 312e Abs. 1
Nr. 3 BGB verpflichtet, den Zugang einer Bestellung dem potentiellen Kunden unverzüglich
auf elektronischem Wege zu bestätigen. Diese Auto- Reply- Erklärungen werden oft innerhalb weniger Minuten nach Eingang der Bestellung automatisch generiert. Die automatische
Erstellung steht dabei der Einordnung als Willenserklärung nicht entgegen, da sie immerhin
auf eine willentliche Programmierung zurückgeführt werden kann und dem Ersteller damit
zugerechnet wird. Eine rechtlich verbindliche Willenserklärung, nämlich die Annahme des
Vertragsangebots des Kunden, stellen diese Auto- Reply- Mails dann dar, wenn aus der E397
So OLG Frankfurt, MMR 2004, 405; aA AG Frankfurt, CR 1990, 469, LG Frankfurt, CR 1997, 738; vgl. auch
Hoeren,
Rechtsfragen
des
Internetrechts,
S.
229,
abzurufen
unter
http://www.unimuenster.de/Jura.itm/hoeren/material/Skript/skript_August2005.pdfdf.
398
Dazu eingehend Klimke, Korrekturhilfen beim Online-Vertragsschluss, CR 2005, 582.
Boehme-Neßler, Cyberlaw, S. 148 f.
400 Köhler/Arndt, Recht des Internet, Rn. 103 ff.
401 Boehme-Neßler, Cyberlaw, S. 147 f.
399
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Mail eindeutig ein entsprechender Wille zur Annahme hervorgeht. Man kann auch sagen, dass
in einem solchen Fall die eigentlich nur geschäftsähnliche Handlung der Auto-Reply-Mail mit
einer in ihr zum Ausdruck gebrachten Annahmeerklärung verknüpft ist. Geklärt werden kann
dies immer nur über die Auslegung des Wortlauts im Einzelfall.402 Es erging dementsprechend dazu bisher auch ein Fülle von Entscheidungen, deren Differenzierungen nicht immer
ohne Mühe nachvollziehbar waren.403 Nach einer ersten Entscheidung des BGH in dieser
Frage stellt z.B. eine automatische verfasste E-Mail eine konkludent erklärte Annahme des
Angebots auf Abschluss eines Kaufvertrages dar, wenn der Absender den Empfänger „als
Kunden anspricht, sich bei ihm für den Auftrag bedankt und mitteilt, dass sein Auftrag nunmehr bearbeitet werde“404. Das LG Köln hat den Annahmewillen daraus gelesen, dass neben
dem Eingang der Bestellung auch eine umgehende Ausführung des Auftrags angekündigt
wurde.405 Als Vertragsschluss angesehen wurden auch die Bestätigung einer Buchung406
(Flugreise), außerdem der Satz „Vielen Dank für Ihren Auftrag, den wir so schnell als möglich ausführen werden“407 sowie die Formulierung „Vielen Dank für Ihre Bestellung...die wir
so schnell wie möglich für Sie bearbeiten werden“.408
Die Frage der Erklärungsqualität automatisch generierter Bestätigungs-Mails kommt zumeist
dann auf, wenn in diesen falsche Preisangaben, zumeist ein irrtümlich zu niedrig angegebener
Preis enthalten sind.409 In dem Fall, über den das LG Köln zu entscheiden hatte, war bereits
ein falscher Preis (DM statt Euro) in das Internet eingestellt und von dort übernommen worden. Umstritten war dann, inwieweit der vorgelagerte Irrtum aus der invitatio ad offerendum
innerhalb der Bestätigungsmail fortwirkt. Nach Argumentation des LG Köln lag der Irrtum
bereits im Moment des Einstellens in das Internet vor und wurde als unbeachtlicher Motivirrtum bewertet410. Es mache keinen Unterschied, ob ein Programm oder ein uninformierter
Verkäufer den Preis entsprechend der falschen Auszeichnung weitergebe.
402
einen Überblick über die teilweise widersprüchliche Rechtsprechung bieten Schuster et al., Entwicklung des Internet- und Multimediarechts, MMR Beilage 4/2004, S. 10 f.
403 Einen guten Überblick über die Rechtsprechung, allerdings noch ohne Berücksichtigung des BGH-Urteils XXX
bieten Stockmar/Wittwer, Die Pflicht zur Empfangsbestätigung von elektronischen Bestellungen im Spiegel der rechtsprechung, CR 2005, 118.
404 BGH CR 2005, 355 m. Anm. Ernst; krit. Keller, K & R 2005, 167.
405 LG Köln, MMR 2003, 481 = CR 2003, 613.
406 OLG München NJW 2003, 367 = MMR 2003, 274 m. Anm. Hoffmann.
407 OLG Frankfurt/Main CR 2003, 450.
408 AG Westerburg, Urt. V. 14.3.2003 – 21 c 26/03.
409 s. eine Übersicht zur Rechtsprechung bei Hoffmann, Die Entwicklung des Internetrechts, NJW 2003, 2576 f.
410 LG Köln, MMR 2003, 481 = CR 2003, 613; ebenso AG Herford, CR 2003, 935.
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In einem Fall, in dem aufgrund eines Softwarefehlers des Providers der Kaufpreis im Internet
und in der Auftragsbestätigung in Höhe von 1 % des eigentlichen Preises erschien, obwohl
dieser richtig eingegeben worden war, hat dagegen das OLG Frankfurt/Main eine Anfechtbarkeit der Auftragsbestätigung nach § 120 BGB wegen falscher Übermittlung bejaht.411 Die
falsche Preisbezeichnung kam hier durch einen Formelfehler in der Software des Providers
zustande. Die Auto-Reply-Annahmeerklärung war von diesem Übermittlungsirrtum zwar
auch nicht unmittelbar betroffen, nach Ansicht des OLG Frankfurt wirkte aber der Übermittlungsfehler auf diese Erklärung fort.412 Ähnlich hat nun der BGH in seiner ersten Entscheidung zu dieser Frage argumentiert.413 Im zugrundeliegenden Fall hatte ein Fehler in der Software des EDV-gesteuerten Warenwirtschaftssystems eines PC- und PC-Zubehör-Anbieters
dafür gesorgt, dass der ursprünglich korrekt eingegebene Preis von 2.650 € für ein Notebook
in der Datenbank als Verkaufspreis von 245 € erschien. Dementsprechend war das Notebook
auf der Internetseite unter diesem Preis eingestellt. Ein Interessent bestellte es zu dem angegebenen Preis von 245 € und erhielt vom Anbieter noch am selben Tag zwei automatisch generierte E-Mails: In der ersten bestätigte man den Eingang seiner Bestellung zu diesem Preis.
In der zweiten dankte man für den Auftrag, der jetzt unter einer angegebenen Kundennummer
bearbeitet werde. Nachdem das Notebook zum Verkaufspreis von 245 € zzgl. Versandkosten
geliefert worden war, bemerkte der PC-Anbieter den Fehler und erklärte die Anfechtung des
Kaufvertrages. Der BGH hat eine Berechtigung zur Anfechtung bejaht. Auch wenn der Erklärungsirrtum nach § 119 Abs. 1 BGB in der Verfälschung des ursprünglich richtig Erklärten
auf dem Weg zum Empfänger durch die unerkannt fehlerhafte Software und damit vor der
Annahmeerklärung lag, bleibt nach BGH der Erklärungsirrtum dann anfechtbar, wenn er über
die Abgabe der invitatio ad offerendum hinaus auch im Zeitpunkt einer späteren Annahmeerklärung fortwirkt.414
5. Formerfordernisse
Grundsätzlich können Verträge formfrei geschlossenen werden. Dies gilt selbstverständlich
auch im Hinblick auf im Internet geschlossene Verträge. In bestimmten Fällen ist die Wirk411
OLG Frankfurt/Main CR 2003, 450.
OLG Frankfurt/Main, CR 2003, 450; ebenso OLG Hamm, Urt. v. 12.1.2004, NJW 2004, 2601-karstadt.de.
413 BGH CR 2005, 355 m. Anm. Ernst
414 BGH CR 2005, 355, 356 m. Anm. Ernst.
412
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samkeit von Erklärungen jedoch an die Einhaltung einer bestimmten Form gebunden. Beispielsweise ist die Wirksamkeit von Verbraucherkreditverträgen (§492 Abs. 1, S. 1 BGB ),
Bürgschaftserklärungen (§ 766 BGB), Einzugsermächtigungen (Lastschriftabkommen Abschnitt 1, Nr. 1), Quittungen (§ 368 BGB) oder des Testamentes (§ 2247 Abs. 1 BGB) von der
Einhaltung der Schriftform abhängig.
Ist vom Gesetzgeber die Schriftform vorgeschrieben, so muss die entsprechende Urkunde
gemäß § 126 Abs. 1 BGB unterschrieben werden. Die Unterschrift muss persönlich mit der
Hand geleistet werden, da sich nur so die charakteristischen, individuellen Züge der Unterschrift zeigen.415 Eine zunächst eingescannte und dann in das elektronische Dokument eingefügte Unterschrift genügt nicht.416 Da eine eigenhändige Unterzeichnung im Sinne des § 126
Abs. 1 BGB bei Online abgeschlossenen Verträgen nicht geleistet werden kann, war bisher
der Abschluss entsprechender Verträge im Internet nicht möglich. Mit dem am 1. August
2001 in Kraft getretenen Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und
anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr417 wurde eine neue „elektronische Form“ eingeführt, durch welche die im Gesetz vorgesehene Schriftform ersetzt werden
kann (§ 126 Abs. 3 BGB). Vorraussetzung ist jedoch, dass das elektronische Dokument mit
einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen wurde (§ 126a
BGB).418 Die Einführung der elektronischen Form dient der Umsetzung von Art. 9 der ECommerce-Richtlinie. Nach Art. 9 Abs. 1 E-Commerce-Richtlinie haben die Mitgliedsstaaten
sicherzustellen, dass in ihrem Rechtssystem auf elektronischem Wege wirksam und ohne
Hindernisse Verträge abgeschlossen werden können. Laut Absatz 2 können die Mitgliedsstaaten jedoch für bestimmte Verträge, wie etwa im Bereich des Familien- oder Erbrechts, Ausnahmen davon machen. Für Verbraucherdarlehensverträge im Sinne des BGB n.F. wurde die
elektronische Form beispielsweise ausgeschlossen (§ 492 Abs. 1, S. 2 BGB n.F.). Gemäß
§ 502 Abs. 2 BGB n.F. soll der Ausschluss der elektronischen Form wiederum nicht für sogenannte Teilzahlungsgeschäfte419 im Fernabsatz gelten, wenn dem Verbraucher die entsprechenden Angaben aus § 502 Abs. 1 BGB n.F. so rechtzeitig in Textform mitgeteilt sind, dass
er sie eingehend zu Kenntnis nehmen kann.
415
Gimmy in: Kröger/Gimmy, Handbuch zum Internetrecht, S. 79.
Gimmy in: Kröger/Gimmy, Handbuch zum Internetrecht, S. 79.
417 BGBl 2001, S. 1542.
418 Zur digitalen Signatur siehe unten unter IV. B.
419 Verträge, welche die Lieferung einer bestimmten Sache oder die Erbringung einer bestimmten anderen Leistung
gegen Teilzahlungen zum Gegenstand haben (§ 499 Abs. 2 BGB n.F.).
416
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Für bestimmte Dokumente, denen im Rechtsverkehr keine besondere Beweiswirkung zukommt, wurde zudem die „Textform“ eingeführt (§ 126b BGB). Ist durch das Gesetz eine
solche Textform vorgeschrieben, so genügt es, wenn die jeweilige Erklärung in einer Urkunde
oder auf andere zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeignete Weise abgegeben
wird und die Person des Erklärenden genannt wird. Eine eigenhändige Unterschrift ist dagegen nicht erforderlich.
Um mit der Einführung der neuen elektronischen Form auch die angestrebte Rechtssicherheit
zu erreichen, wurde in § 292a ZPO zunächst ein Anscheinsbeweis für die Echtheit elektronischer Dokumente vorgesehen. Demnach kann der Anschein der Echtheit einer in elektronischer Form gemäß § 126a BGB vorliegenden Willenserklärung, der sich auf Grund der Prüfung nach dem Signaturgesetz ergibt, nur durch Tatsachen erschüttert werden, die ernstliche
Zweifel daran begründen, dass die Erklärung mit dem Willen des Signaturschlüssel-Inhabers
abgegeben worden ist. Diese Beweisvermutung soll nur in Bezug auf qualifizierte elektronische Signaturen gelten, die von einer akkreditierten Zertifizierungsstelle gemäß § 15 SigG
vergeben wurde.420 Inwieweit auf einem niedrigeren Sicherheitsniveau ein Anscheinsbeweis
in Frage kommt, ist umstritten.421 Inzwischen wurde die Regelung unter Aufgabe der Beschränkung auf Willenserklärungen (nach dem Wortlaut sind nun alle Arten von „Erklärungen“ erfasst) mit anderen verwandten Regelungen zusammengebracht; sie findet sich in der
neuen Form seit Mai 2005 in § 371 a Abs. 1 S. 2 ZPO.
B. Die elektronische Signatur
Wie einleitend bereits angedeutet, stellen aus rechtlicher Sicht die Unverfälschtheit und die
Authentizität von auf elektronischem Wege abgegebenen Willenserklärung eines der größten
Hindernisse für den E-Commerce dar. Während sich für den herkömmlichen Geschäftsverkehr relativ gut funktionierende Regeln entwickelt haben, die Unverfälschtheit von Erklärungen und die Identität des Erklärenden zu ermitteln, bestanden solche Mechanismen für über
das Internet abgegebene Erklärungen lange Zeit nicht. Leicht lässt sich die eigene Identität im
Internet verschleiern oder eine fremde vorspiegeln. Zudem ist einer elektronischen Erklärung
nicht ohne weiteres anzusehen, ob sie nachträglich verändert wurde. Wegen dieser Gefahr der
420
Rossnagel, Das neue Recht elektronischer Signaturen, NJW 2001, S. 1817 (1826), vgl. auch Hoeren, Rechtsfragen des
Internetrechts,
S.
244
ff.;
abrufbar
unter
http://www.unimuenster.de/Jura.itm/hoeren/material/Skript/skript_August2005.pdf; Fischer-Dieskau/Gitter/Paul/Steidle, MMR,
2002, 709; Hoffmann, Entwicklungen des Internetrechts, NJW 2003, 2576 f.
421
Zustimmend Mankowski, CR 2003, 44; ablehnend Rossnagel/Pfitzmann, NJW 2003, 1209.
96
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Manipulation ist das Vertrauen des Geschäftsverkehrs in elektronische Willenserklärungen
sowie deren Beweiskraft gering.
Die elektronische Signatur soll diese Rechtsunsicherheiten beseitigen. Sie soll im wesentlichen zweierlei gewährleisten: Zum einen die zweifelsfreie Identifikation des Ausstellers einer
elektronischen Nachricht und zum anderen die Unverfälschtheit der übermittelten Nachricht.
Darüber hinaus übernimmt sie auch die weiteren Funktionen der eigenhändigen Unterschrift,
die Abschlussfunktion (räumlicher Abschluss des rechtsverbindlichen Textes), die Beweisfunktion (Möglichkeit der Beweisführung hinsichtlich der unterzeichneten Erklärung), sowie
die Warnfunktion (Schutz vor übereilten Rechtshandlungen). Umgesetzt wurde dies in Form
der qualifizierten elektronischen Signatur nach § 2 Nr. 3 SigG in der Fassung von 2001. Sie
genügt den Anforderungen an die elektronische Form nach § 126a BGB, außerdem besteht
ein Anscheinsbeweis bezüglich ihrer Echtheit nach § 371 a Abs. 1 S. 2 ZPO (§ 292a ZPO
a.F.). Ist das elektronische Dokument Gegenstand des Beweises, so wird der Beweis durch
Vorlegung oder Übermittlung der Datei angetreten, § 372 Abs. 1 S. 2 ZPO.
Die qualifizierte elektronische Signatur basiert auf einem asymmetrischem kryptographischen
Verfahren.422 Neben einem privaten Schlüssel, der nur dem Absender bekannt ist, existiert ein
passender öffentlicher Schlüssel, der frei verfügbar ist (asymmetrisches Schlüsselpaar). Mit
seinem privaten Schlüssel kann der Absender das Dokument signieren. Dies erfolgt, indem
mittels eines mathematischen Verfahrens aus dem zu signierenden Dokument ein sogenannter
Hashwert (Zeichenkette mit fester Länge, die aus einer beliebig langen Zeichenkette errechnet
wird) gewonnen wird und an das digitale Dokument angehängt wird. Mit dem frei erhältlichen öffentlichen Schlüssel des Absenders kann der Empfänger den Hashwert entschlüsseln
und somit feststellen, ob das Dokument mit dem privaten Schlüssel des Absenders signiert
wurde und ob das Dokument nachträglich verändert wurde.
Die zur Signierung erforderlichen privaten Schlüssel werden auf Chipkarten gespeichert. Zur
Signierung eines digitalen Dokumentes ist neben der Chipkarte und einem entsprechendem
am PC angeschlossenen Kartenlesegerät eine PIN-Nummer erforderlich, welche den Nutzer
der entsprechenden Karte als Berechtigten ausweist. Vergeben und verwaltet werden die
Schlüssel von sogenannten Zertifizierungsdiensteanbietern (Trustcenter). Diese stellen zudem
Zertifikate aus, mittels derer sichergestellt werden kann, dass der öffentliche Schlüssel tatsächlich der signierenden Person zugeordnet ist.
422
Siehe detailliert bei Rossnagel, Recht der Mulitmediadienste, Teil 5, Einl. SigG, Rn. 11 ff.
97
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Die (damals noch so bezeichnete) digitale Signatur wurde in Deutschland erstmals geregelt im
Signaturgesetz423 (SigG) aus dem Jahre 1997. Für digitale Signaturen, die dem im Signaturgesetzt festgelegten Standard entsprachen, sah das Gesetz im Hinblick auf den Beweiswert digitaler Dokumente eine Echtheitsvermutung vor. Die vom Gesetz vorgeschriebenen technischen
und organisatorischen Anforderungen an das Verfahren waren jedoch so hoch, dass sich der
im Gesetz vorgesehen Standard nicht durchzusetzen vermochte.424
Die 1999 verabschiedete Signaturrichtlinie425 stellte demgegenüber niedrigere Anforderungen
die elektronische Signatur und knüpfte zudem weitreichende Rechtswirkungen an sie an. Gemäß Art. 5 der Richtlinie soll die elektronische Signatur der handschriftlichen Unterschrift
weitgehend gleichgestellt werden und als Beweismittel in Gerichtsverfahren zugelassen werden.426 Neben Fragen der Haftung von Zertifizierungsdiensteanbietern sieht die Richtlinie
insbesondere vor, dass die Tätigkeit von Zertifizierungsstellen nicht von einer vorherigen behördlichen Genehmigung abhängig gemacht werden darf. Die Mitgliedsstaaten dürfen jedoch
gemäß Art. 3 Abs. 2 Signaturrichtlinie ein freiwilliges Akkreditierungssystem einführen oder
beibehalten.
Mit der Novellierung des Signaturgesetzes427 ist nun die Aufnahme einer Tätigkeit als Zertifizierungsdiensteanbieter ohne vorherige staatliche Genehmigung möglich. Die Zertifizierungsdiensteanbieter unterliegen jedoch gemäß § 19 Abs. 3 SigG n.F. der staatlichen Aufsicht. Der deutsche Gesetzgeber hat zudem von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ein freiwilliges Akkreditierungsverfahren einzuführen (§ 15 SigG n.F). Akkreditierte Zertifizierungsdiensteanbieter werden vor Aufnahme ihrer Tätigkeit von der Regulierungsbehörde für
Post- und Telekommunikation umfassend überprüft und erhalten ein Gütezeichen mit welchem der Nachweis der geprüften technischen und administrativen Sicherheit für die auf ihren
Zertifikaten beruhenden elektronischen Signaturen zum Ausdruck gebracht wird (§ 15 Abs. 1
SigG). Neben der auf der Signaturrichtlinie beruhenden „qualifizierten elektronischen Signatur“ existiert so in Deutschland mit der „qualifizierten elektronische Signaturen mit Anbieter-
423
Gesetz über Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (SigG) vom 16. Mai 2001, BGBl. I Nr. 22 vom
21.05.2001, S. 876.
424 Vgl. Sieber/Nöding, Die Reform der elektronischen Unterschrift, ZUM 2001, S. 199 (200).
425 Richtlinie 99/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.1.2000 über gemeinschaftsrechtliche
Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (Signaturrichtlinie), ABl. Nr. L 13, S. 12.
426 Dies entspricht der Forderung aus Art. 9, Abs. der E-Commerce-Richtlinie, den Abschluss von Verträgen auf
elektronischem Wege zu ermöglichen.
427 Gesetz über Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (SigG) vom 16. Mai 2001, BGBl. I Nr. 22 vom
21.05.2001, S. 876.
98
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Akkreditierung“ gemäß § 15 SigG (sogenannte „akkreditierte elektronische Signatur“) ein
zweiter Standard mit Gütesiegel.
Da die elektronische Signatur im Wesentlichen alle rechtlichen Funktionen einer handschriftlichen Unterschrift erfüllt, teilweise sogar einen höheren Schutz bietet, kann sie die früher
bestehende Rechtsunsicherheit beseitigen und somit das Vertrauen in die Nutzung des Internets für rechtserhebliche Erklärungen nachhaltig stärken.428 Zusammen mit der Einführung
der elektronischen Form, sowie den neuen Beweisregelungen, sollte der Gesetzgeber somit
mit dem Signaturgesetz einen wichtigen rechtlichen Grundstein für den E-Commerce gelegt
haben. Die elektronische Signatur wurde auch als „Basistechnologie des elektronischen
Rechtsverkehrs“ bezeichnet.429 Die tatsächliche Nutzung ist bis heute allerdings eher enttäuschend, in Deutschland sind bisher nur rund 32.000 Signaturen vergeben.
Das größte Problem im Zusammenhang mit der elektronischen Signatur stellt derzeit noch
dar, dass zwischen den verschiedenen Anbietern noch kein einheitlicher Zertifizierungsstandard implementiert ist (Stichwort Interoperabilität), was den Umgang mit den unterschiedlichen Zertifikaten für den Nutzer noch recht unübersichtlich macht. Weitere Probleme sind vor
allem die mangelnde Verbreitung der technischen Ausrüstung sowie die Frage, wer die Kosten für die elektronische Signatur übernehmen wird. Derzeit trägt die Kosten noch allein der
Nutzer. Für den Durchschnittsverbraucher stellt sich dann die Frage, inwieweit er Geld zahlen
möchte dafür, dass im Geschäftsverkehr seine elektronischen Äußerungen als Dokument Beweiskraft oft gerade zu seinen Lasten erlangen.
Um der Verbreitung der elektronischen Signatur etwas auf die Sprünge zu helfen, hat der
Bundestag am 12.11.2004 das 1. Signaturänderungsgesetz430 beschlossen, in dem die rechtlichen und tatsächlichen Anforderungen an die Erteilung von qualifizierten elektronischen Signaturen heruntergeschraubt werden und eine allgemeine Deregulierung erreicht werden
soll.431 Das Änderungsgesetz beschränkt sich dabei allerdings weitgehend auf Klarstellungsund Ergänzungsregelungen, die bei der Anwendung des Signaturgesetzes nötig erschienen.
Auch sollen nun bewährte Registrierungs- und Ausgabeverfahren, wie z.B. bei EC-Karten,
zur Vergabe der elektronischen Signaturen und der Zertifikate fruchtbare gemacht werden.432
428
Vgl. Sieber/Nöding, Die Reform der elektronischen Unterschrift, ZUM 2001, S. 199 (210).
Rossnagel, Recht der Multimediadienste, Teil 5, Einl. SigG, Rn. 7.
430 BT-Drucks. 15/3417 i.d.F. Drucks. 15/4172; einen Überblick bietet dazu Bergfelder, Was ändert das 1. Signaturänderungsgesetz?, CR 2005, 148.
431 BT-Prot. 15/139, S. 12831 f. (http://dip.bundestag.de/btp/15/15139.pdf), BR-Drs. 931/04.
432 Eingehend Bergfelder, Was ändert das 1. Signaturänderungsgesetz?, CR 2005, 148, 149 ff.
429
99
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Schließlich wurde mit dem Justizkommunikationsgesetz ein Schritt zur Schaffung gesetzlicher Grundlagen für die Einführung der elektronischen Aktenbearbeitung in der ordentlichen
Gerichtsbarkeit getan.433 Es beinhaltet Anpassungen der Verfahrensordnungen, insb. der ZPO,
an die Erfordernisse einer elektronischen Aktenbearbeitung, zum Beispiel die Einführung des
gerichtlichen elektronischen Dokuments (§ 130b ZPO) so z.B. wie Regelungen zur Transformation von elektronischen Dokumenten in Papierform oder umgekehrt. Ziel des Gesetzes ist
es, allen Verfahrensbeteiligten die Nutzung elektronischer Kommunikationsformen –je nach
Ausprägung mit Signaturerfordernissen- weitgehend gleichberechtigt neben schriftlicher und
mündlicher Form zu ermöglichen.434
Derzeit wird im Rahmen der UNCITRAL (United Nations Council of International Trade
Law) an einer globalen Regelung im Hinblick auf die elektronische Signatur gearbeitet.435
C. Verbraucherschutz im E-Commerce
Aus Sicht des Verbrauchers stellt das Internet eine bequeme und schnelle Möglichkeit dar,
Geschäfte abzuschließen. Er kann zudem in kurzer Zeit weltweit den günstigsten Anbieter
finden oder sich zu virtuellen Einkaufgemeinschaften zusammenschließen. Es wird deshalb
vermutet, das Internet habe die Marktmacht des Verbrauchers gegenüber der des Unternehmers deutlich gestärkt.436 Auf der anderen Seite besteht jedoch die Gefahr, dass der Verbraucher durch entsprechend gestaltete Internetangebote vorschnell zu Vertragsschlüssen animiert
wird, ohne dass ihm die Reichweite seiner Erklärung bewusst ist. Oft fehlen genaue Produktbeschreibungen oder es werden dem Verbraucher im Kleingedruckten seltsame Vertragbsedingungen diktiert. Auch ist die Identität des Anbieters nicht selten schleierhaft oder es fehlt
eine Anschrift an die man sich wenden kann. Der Verbraucher ist somit auch im Internet
schutzbedürftig. Es fragt sich daher zunächst, inwieweit die herkömmlichen Verbraucherschutzvorschriften auf im Internet zustande kommende Verträge anwendbar sind. Zudem sind
im Laufe der letzten Jahre, vor allem auf Grund von europäischen Vorgaben, zahlreiche internetspezifische Vorschriften geschaffen worden.
Als im Internet anwendbare Gesetze kommen in erster Linie die Vorschriften aus den ehemaligen, nun im BGB aufgegangenen verbraucherschützenden Gesetzen wie das Gesetz über
Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGBG) das Verbraucherkreditgesetz (VerbrKrG) sowie
433
BT-Drucks. 15/4952, in Kraft getreten am 01.04.2005.
Zu den für das Beweisrecht im Zivilprozess relevanten Regelungen des JKomG siehe Bergfelder, Der Beweis im
elektronischen Rechtsverkehr, Kapitel 6, C, erscheint vs. 2006.
435 Vgl. Boehme-Neßler, CyberLaw, S. 145.
436 S. Boehme-Neßler, Cyberlaw, S. 163 m.w.Nachw..
434
100
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das speziell für den Fernabsatz geschaffene Gesetz über Fernabsatzverträge (FernAbsG) in
Betracht. Alle diese Vorschriften sind im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes
in das BGB eingearbeitet worden.
Die Vorschriften aus dem ehemaligen Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und
ähnlichen Geschäften (HwiG), finden im Internet in der Regel keine Anwendung. Gemäß §
312 BGB n.F. soll der Verbraucher geschützt werden, wenn er durch mündliche Verhandlungen am Arbeitsplatz oder in der Privatwohnung, im Anschluss an eine Freizeitveranstaltung
oder im Anschluss an ein überraschendes Ansprechen auf öffentlichen Verkehrsflächen oder
in öffentlichen Verkehrsmitteln „überrumpelt“ und so zum Vertragsschluss „bestimmt“ wurde. Eine solche Überrumplungssituation besteht bei Online Geschäften gerade nicht. Eine
ähnliche Schutzfunktion für das Online-Shopping übernimmt das Fernabsatzgesetz.437
1. Die Regelungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen
Auch für im Internet geschlossene Verträge werden typischerweise vom Anbieter vorformulierte Vertragsbedingungen für den Vertragsschluss vorgegeben. Hier finden die Regelungen
über Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) Anwendung. Es ergeben sich diesbezüglich
keine wesentlichen Besonderheiten gegenüber auf herkömmlichem Wege geschlossenen Verträgen. Internetspezifische Besonderheiten ergeben sich allenfalls bei der Frage nach der
wirksamen Einbeziehung solcher vorformulierten Vertragsbedingungen.
Gemäß § 305 Abs. 2 BGB werden Allgemeine Geschäftsbedingungen nur dann Bestandteil
eines Vertrages, wenn der Verwender zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ausdrücklich auf
sie hinweist und der Vertragspartner in zumutbarer Weise von ihrem Inhalt Kenntnis nehmen
kann.
a.) Ausdrücklicher Hinweis
Grundsätzlich genügt es, wenn auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen mittels eines Hyperlinks hingewiesen wird. Dieser Link muss jedoch so ausgestaltet sein, dass er auch bei
flüchtiger Betrachtung der Internetseite nicht zu übersehen ist.438 Allein die Möglichkeit des
Kunden, die AGB kostenlos herunterzuladen, reicht zwar für die Anforderung der zumutbaren
Möglichkeit der Kenntnisnahme, nicht aber für die eines ausdrücklichen Hinweises auf die
AGB und den Einbeziehungswillen des Verwenders aus.439 Es empfiehlt sich den Link auf der
Angebotsseite in naher Verbindung zum Angebot oder zum Bestellformular zu platzieren
437
siehe hierzu unten (IV. C 3.).
Härting, Internetrecht, S. 133.
439 OLG Hamburg, Urt. v. 13.06.2002, JurPC Web-Dok. 288/2002, Abs. 30 f; vgl. auch LG Köln, Urt. v. 15.04.2003,
JurPC Web-Dok. 232/2003.
438
101
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bzw. damit zu verknüpfen.440 Wird der Link irgendwo auf der Internetseite bzw. einer „unteren Ebene des Internet-Auftritts, die nicht zwangsläufig von jedem Kunden wahrgenommen
wird“441 versteckt oder findet sich lediglich ein allgemeiner Hinweis, etwa auf der Homepage,
so ist den Anforderungen des § 305 Abs. 2 BGB dagegen nicht Genüge getan:- dass der Vertragspartner lediglich die Möglichkeit hat, bei weiterer Recherche auf die AGB des Verwenders zu stoßen, hält der Pflicht zum ausdrücklichen Hinweis nicht Stand.442 Der Link muss
ferner so formuliert sein, dass er eindeutig und unmissverständlich als Hinweis auf Vertragsbedingungen zu erkennen ist.443
b.) Zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme
Ferner muss dem Vertragspartner die Möglichkeit verschafft werden, in zumutbarer Weise
vom Inhalt der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Kenntnis zu nehmen. Dies setzt voraus,
dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht unzumutbar lang sind und ein Mindestmaß
an Verständlichkeit aufweisen.444 Nach § 312e Abs. 1 Nr. 4 BGB ist außerdem in Umsetzung
des Art. 10 Abs. 3 der E-Commerce-Richtlinie vorgeschrieben, dass dem Nutzer die Allgemeinen Geschäftsbedingungen so zur Verfügung zu stellen sind, dass er sie speichern und
reproduzieren kann. Sind die AGB hinter einem gut sichtbaren Link eingestellt, werden sie
wirksamer Vertragsbestandteil.445 Inwieweit fremdsprachige Geschäftsbedingungen zumutbar
im Sinne des § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB n.F. sein können, ist strittig.446 Die Frage dürfte jedoch
im Hinblick auf die Internationalität des Internets nicht gänzlich zu verneinen sein. Vielmehr
dürfte ausschlaggebend sein, in welcher Sprache das Angebot im Internet präsentiert wird.447
Ist ein Angebot in englischer Sprache formuliert, so werden für den Vertragspartner auch englischsprachige AGBs beziehungsweise „Terms of Payment“ zumutbar sein.448
c) Inhaltskontrolle
440
OLG Hamburg, Urt. v. 13.06.2002, JurPC Web-Dok. 288/2002, Abs. 30 f.
OLG Hamburg, Urt. v. 13.06.2002, JurPC Web-Dok. 288/2002, Abs. 30 f.
442 OLG Hamburg, Urt. v. 13.06.2002, JurPC Web-Dok. 288/2002, Abs. 30 f; vgl. auch LG Köln, Urt. v. 15.04.2003,
JurPC Web-Dok. 232/2003.
443 Härting, Internetrecht, S. 138.
444 Boehme-Neßler, CyberLaw, S. 152;Härting, Internetrecht, S. 141 .
445 BGH, K&R 2006, 460.
446 Gimmy, in: Kröger/Gimmy, Handbuch zum Internetrecht, S. 73; Boehme-Neßler, CyberLaw, S. 152f.; Härting, Internetrecht, S. 142.
447 so auch Härting, Internetrecht, S. 142; Boehme-Neßler, CyberLaw, S. 152 f.
448 Boehme-Neßler, CyberLaw, S. 152f.; vgl. Härting, Internetrecht, S. 142 f.
441
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Für Internet- AGB gelten im Prinzip die gleichen Regeln wie für andere vorformulierte Vertragsbedingungen. Dennoch hier einige Beispiele aus der Rechtsprechung: So ist zum Beispiel
eine Ersatzlieferungsklausel in den AGB eines Internetshops nach § 308 Nr. 4 BGB unzulässig, wenn sie bei Nichtlieferbarkeit eines bestellten Artikels ein Recht zur Ersatzlieferung in
Form eines „qualitativ und preislich gleichwertigen Artikels“ vorsieht.449 Eine Klausel, nach
der der Kunde bei Wahrnehmung seines Rückgaberechts die Ware in Originalverpackung
samt Innenverpackung zurücksenden muss, hat das OLG Frankfurt/Main beanstandet.450
2. Das ehemalige Verbraucherkreditgesetz
Gemäß § 492 Abs. 1 S. 1 BGB n.F. müssen Kreditverträge im Sinne des Verbraucherkreditgesetzes schriftlich abgeschlossen werden. Zudem müssen die in § 492 Abs. 1 S. 5 BGB n.F.
genannten Angaben in der vom Verbraucher zu unterzeichnenden Erklärung enthalten sein.
Der Abschluss solcher Verträge in elektronischer Form ist ausdrücklich ausgeschlossen (§
492 Abs 1 S. 2 BGB n.F.).
Nach § 502 Abs. 2 BGB n.F. gilt für so genannte Teilzahlungsgeschäfte, d.h. für Verträge,
welche die Lieferung einer bestimmten Sache oder die Erbringung einer bestimmten anderen
Leistung gegen Teilzahlungen zum Gegenstand haben (§ 499 Abs. 2 BGB n.F.), eine Privilegierung: Das Schriftformerfordernis findet keine Anwendung, wenn dem Verbraucher die
entsprechenden Angaben so rechtzeitig in Textform mitgeteilt sind, dass er sie eingehend zu
Kenntnis nehmen kann. In diesem Fall hält der Gesetzgeber den Verbraucher für hinreichend
geschützt. Für Verbraucherdarlehensverträge im Sinne von § 491 Abs. 1 BGB n.F. gilt dagegen das strenge Schriftformerfordernis aus § 492 Abs. 1 BGB n.F.
Mit dieser Neuregelung ist übrigens ein alter Streit hinfällig geworden, inwieweit das sogenannte Versandhausprivileg aus § 8 Abs. 1 VerbrKrG a.F. auch auf im Internet geschlossene
Verträge anzuwenden war. § 8 Abs. 1 VerbrKrG a.F. sah eine Ausnahme vom Schriftformerfordernis vor, wenn der Verbraucher sein Kaufangebot auf Grund eines Verkaufsprospektes
abgegeben hatte, den er eingehend zur Kenntnis nehmen konnte und der alle wesentlichen
Angaben aus § 4 VerbrKrG enthielt. Fraglich war insbesondere, ob eine Website als Verkaufsprospekt im Sinne von § 8 VerbrKrG a.F. angesehen werden konnte. Ganz überwiegend
wurde dies bejaht.451
449
BGH NJW 2005, 3567; vgl. auch OLG Frankfurt/Main, MMR 2006, 325.
OLG Frankfurt/Main, MMR 2006, 325.
451 LG München, Urt. v. 28.5.2000, CR 2001, S. 50, Boehme-Neßler, Cyberlaw, S. 166 m.w.Nachw.; abweichend: Mankowski, Websites und Versandhandelsprivileg, CR 2001, S. 30.
450
103
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3. Fernabsatzgesetz
Ein klassisches Verbraucherschutzgesetz für den E-Commerce ist das am 1. Juli 2000 in Kraft
getretene Fernabsatzgesetz. Es geht zurück auf die Richtlinie über den Verbraucherschutz bei
Vertragsabschlüssen im Fernabsatz452 (Fernabsatzrichtlinie) vom 20. Mai 1997. Auch das
Fernabsatzgesetz ist inzwischen in das BGB aufgenommen.
Das Fernabsatzgesetz enthielt insbesondere umfangreiche Informationspflichten der Anbieter
sowie Widerrufs- und Rückgaberechte der Verbraucher. Ergänzt werden die Informationsrechte des Fernabsatzgesetzes durch die Informationspflichten aus Art. 10 der E-CommerceRichtlinie.
a.) Anwendungsbereich
Gemäß § 312b Abs. 1 BGB sind die Vorschriften anwendbar auf Verträge über die Lieferungen von Waren oder über die Erbringung von Dienstleistungen, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen werden. Fernkommunikationsmittel im Sinne des Fernabsatzgesetztes sind alle Kommunikationsmittel, welche bei Anbahnung oder Abschluss von Verträgen
ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Vertragpartner eingesetzt werden können (§
312b Abs. 2 BGB).
Anwendbar sind diese Vorschriften also typischerweise auf alle Verbraucherverträge im Bereich des E-Commerce, aber auch auf sonstige Verträge im Fernabsatz, beispielsweise im
Bereich des Katalog- und Versandhandels.
Die Unternehmereigenschaft des Verkäufers im Internet ist insbesondere im Rahmen von
Online-Auktionen oft nicht auf den ersten Blick zu beurteilen aber von entscheidender Bedeutung. Denn eigentlich muss sie der Kunde, der seiner Verbraucher-Widerrufsrecht geltend
machen möchte, nach den allgemeinen Grundsätzen zur Beweislast nachweisen. In der
Rechtspraxis wurde versucht, dies über die Regeln entweder einer echten Beweislastumkehr453 oder auch eines Anscheinsbeweises454 zu lösen, zumindest aber wird man sich an be-
452
Richtlinie 1997/7/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. Nr. L 144/19.
453 OLG Koblenz MMR 2006, 236 m. Anm. Mankowski; wohl auch OLG Karlsruhe, CR 2006, 690.
454 Durchweg unterinstanzliche Entscheidungen: LG Mainz, MMR 2006, 51 m. Anm. Kazemi; AG Bad Kissingen,
NJW 2005, 2463; AG Radolfzell, NJW 2004, 3342.
104
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stimmte „gewichtige Indizien“455 halten können: Führt der Anbieter die –durch eBay auf
Wunsch nach bestimmten Kriterien, aber nicht automatisch vergebene- Bezeichnung „Powerseller“ und hat er eine relativ hohe Anzahl an Verkäufen vorzuweisen (im vom LG Mainz
entschiedenen Fall 252 Verkäufe in zweieinhalb Jahren), muss er darauf gefasst sein, nach §
14 BGB als Unternehmer behandelt zu werden; weitere Indizien können in der Art der verwendeten AGB sowie im Anbieten größerer Posten bzw. mehrerer gleichartiger Waren kurz
hintereinander liegen.456 Die Erklärungsformel „Dieser Artikel wird von Privat verkauft“ ändert an der Einordnung dann nichts.457
§ 312b Abs. 3 BGB
enthält einige Einschränkungen zum weit gefassten Anwendungsbe-
reich. Insbesondere sollte das Fernabsatzrecht nicht auf Verträge über Finanzdienstleistungen
anwendbar sein. In Umsetzung der EU-Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher458 ist seit dem 08.12.2004 allerdings eine Erstreckung des Fernabsatzrechts auch auf Finanzdienstleistungen (Ausnahme: Versicherungen, vgl. § 312b Abs. 3 Nr. 3
BGB nF) in Kraft: Im neuen § 312b Abs. 1 BGB sind die Verbraucherverträge über Finanzdienstleistungen jetzt als Unterfall der Fernabsatzverträge genannt.459 Damit entstehen umfassende Informationspflichten des Unternehmers sowie ein Widerrufsrecht des Verbrauches,
dessen Befristung von der Übermittlung der vorgeschriebenen Informationen durch den Anbieter abhängt. Fehlen diese Informationen, so kann das Widerrufsrecht nach § 312d Abs. 3
Nr. 1 BGB nF erst erlöschen, wenn der Vertrag von beiden Seiten auf ausdrücklichen Wunsch
des Verbrauchers vollständig erfüllt ist. Im Falle eines rechtzeitigen Widerrufs gilt für Finanzdienstleistungen eine weitere Besonderheit im Fernabsatzrecht: Nach § 312d Abs. 6 muß
der Verbraucher bei der Rückabwicklung des Vertrages den Wertersatz (das können zB Zinsen zu einem bereits gewährten Darlehen sein) nur leisten, wenn er vor seiner Willenserklärung auf eine solche Pflicht hingewiesen wurde und sich ausdrücklich damit einverstanden
erklärt hat, dass der Unternehmer vor Ende der Widerrufsfrist bereits mit der Ausführung der
Finanzdienstleistung beginnt. Dafür ist das Widerrufsrecht nach § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB nF
ausgeschlossen bei solchen Finanzdienstleistungen, die wie zB Devisen- und Aktiengeschäfte
Schwankungen des Finanzmarktes unterliegen, die kurzfristig auch innerhalb der Widerrufsfrist und völlig unabhängig vom Anbieter auftreten können: Natürlich soll der Verbraucher
hier nicht das gesamte Geschäftsrisiko auf den Dienstleister abwälzen können.
455
456
LG Mainz, MMR 2006, 51 m. Anm. Kazemi; weitere Kriterien stellen Szczesny/Holthusen, K&R 2005, 302 auf.
OLG Frankfurt/M, CR 2005, 883.
458 RiLi 2002/65/EG
459 abzurufen unter http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/bgb/__312b.html.
457
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b.) Informationspflichten
Der § 312 c Abs. 1 BGB i.V.m. § 1 Abs. 1 Informationspflichtenverordnung enthält Vorschriften, wie und über was der Verbraucher vor Vertragsschluss vom Unternehmer zu unterrichten ist.
So ist der Verbraucher spätestens zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses klar und verständlich
über Identität und Anschrift des Unternehmers, über die wesentlichen Merkmale der Ware
oder Dienstleistung, über alle relevanten Vertragsbedingungen sowie über das Bestehen gesetzlicher Widerrufs- und Rückgaberechte zu informieren. Dabei ist zu beachten, dass selbst
die Übernahme von Muster-Widerrufsbelehrungen, hier aus der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1
BGB-InfoV, keine Garantie für eine ordentliche Belehrung gibt: Nach LG Halle stimmte diese nicht mit den gesetzlichen Regelungen in §§ 355 Abs. 2, 187 Abs. 1 BGB überein und
führte deshalb zu einer später beginnenden Laufzeit der Widerrufsrist.460
Entstehen dem Verbraucher durch die Nutzung der Fernkommunikationsmittel Kosten, die
über den üblichen Grundtarifen liegen, so ist er auch hierüber zu informieren (§ 312 c Abs. 1
BGB n.F. i.V.m. § 1 Abs. 1 Informationspflichtenverordnung). Spätestens bei Lieferung muss
der Verbraucher darüber hinaus in hervorgehobner Form auf Einzelheiten des Widerrufs- oder
Rückgaberechts, auf Gewährleistungs- und Garantiebedingungen, sowie auf Kündigungsbedingungen bei Dauerschuldverhältnissen aufmerksam gemacht werden (§ 312 c Abs. 2 BGB
n.F. i.V.m. § 1 Abs. 1 Informationspflichtenverordnung).
Im Einzelnen müssen insb. Versandkosten schon bei der Preiswerbung und nicht erst im Zuge
des Bestellvorganges ausgewiesen werden, und zwar so, dass sie leicht erkennbar und eindeutig zuzuordnen sind (nicht ausreichend: ein Link „mehr Info“);461 nach OLG Köln stellen die
notwendigen Versandkosten beim ausschließlichen Versandhandel einen Teil des Angebots
der ganzen Ware dar.462 Allerdings müssen sie nicht noch einmal unmittelbar vor Abschluss
des Bestellvorgangs ausgewiesen werden, da dies nach BGH weder aus § 312c BGB noch § 1
Abs. 1 Nr. 7, 8 BGB-InfoV erforderlich ist.463
Neben den sich aus der Fernabsatz-Richtlinie ergebenden Informationspflichten, enthält Art.
10 Abs. 1 E-Commerce-Richtlinie weitere Informationspflichten, im Wesentlichen zum technischen Ablauf des Vertragsabschlusses.
460
LG Halle, CR 2006, 709.
OLG Hamburg MMR 2005, 467; OLG Köln, MMR 2005, 111; nach OLG Hamburg, MMR 2005, 108, gilt dies
auch für die Angabe der Umsatzsteuer.
462 OLG Köln, MMR 2005, 111.
463 BGH MMR 2006, 101.
461
106
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Daneben ist auch immer die Pflicht zur Anbieterkennzeichnung nach § 6 TDG zu beachten;464
ein Verstoß kann wettbewerbsrechtlich geahndet werden, § 4 Nr. 11 UWG.465
Wohl sinnvollerweise ist für einen Internet-Händler die Angabe einer Telefonnummer wohl
übrigens nicht erforderlich.466
c.) Widerrufs- und Rückgaberechte
Gemäß § 312 d Abs. 1 i.V.m. § 355 BGB n.F. kann der Verbraucher einen im Fernabsatz geschlossenen Vertrag innerhalb einer Frist von zwei Wochen widerrufen. Der Widerruf muss
nicht begründet werden. Der Unternehmer kann dem Verbraucher anstelle des Wiederrufsrechts bei Verträgen über die Lieferung von Waren auch ein Rückgaberecht nach § 312 d
Abs. 1 i.V.m. § 356 BGB n.F. einräumen.
Ein Widerrufsrecht besteht nicht bei Lieferungen von Audio- und Videoaufzeichnungen oder
von Software, bei Zeitungen oder Zeitschriften, bei ersteigerten Waren467 sowie bei Waren die
entweder speziell nach Kundenwünschen angefertigt wurden oder sich, etwa aufgrund einer
schnellen Verderblichkeit, nicht für eine Rücksendung eignen (§ 312d Abs. 4 BGB n.F.). Die
Kosten und Gefahr einer Rücksendung bei Wiederruf und Rückgabe hat gemäß § 357 Abs. 2
S. 2 BGB n.F. der Unternehmer zu tragen. Im Falle des Widerrufs können gemäß § 357 Abs.
2 S. 3 BGB n.F. die Kosten der Rücksendung jedoch dem Verbraucher auferlegt werden, sofern die Bestellung einen Betrag von 40 Euro nicht übersteigt. In die Vorschrift ist nun allerdings Bewegung gekommen: Seit dem 08.12.2004 ist eine Änderung der 40-€-Klausel in
Kraft, nach der auch bei teureren Waren dem Verbraucher die Kosten der Rücksendung übertragen werden können, soweit der Verbraucher „die Gegenleistung oder eine Teilzahlung zum
Zeitpunkt des Widerrufs noch nicht erbracht hat“, vgl. § 357 Abs. 2 Satz 2 a.E. BGB nF.468
Problematisch könnte hier allerdings die genaue Bestimmung des Zeitpunkts der Gegenleistung im Einzelfall werden.
464
Zur Frage von Anbieterangaben, die auf Unterseiten verteilt sind vgl. LG Traunstein MMR 2005, 781; dagegen
OLG Hamm MMR 2005, 540.
465 OLG Karlsruhe, CR 2006, 689.
466 OLG Hamm, MMR 2004, 549.
467
Hier ist allerdings die neue Rechtsprechung zum Widerrufsrecht bei Internet-„Auktionen“ zu beachten, s.
unten 4.).
468
http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/bgb/__357.html.
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4. Sonderthema: Online-Auktionen
Als eine für das Internet typische Art des Warenverkehrs hat sich inzwischen das Ver- und
Ersteigern von Waren über Plattformen wie eBay etabliert. Der BGH hat dazu bereits im November 2001 festgestellt,469 dass die Freischaltung durch den Anbieter ein rechtsverbindliches
Angebot darstelle, welches durch den Höchstbietenden mit Ablauf der zuvor festgelegten
Zeitspanne angenommen werde. Die technische Möglichkeit, das eingestellte Angebot vor
Ablauf der Bietzeit zu stornieren, hat dabei nach neuerer Rechtsprechung keinen Einfluß auf
die vertragliche Ebene. Wer also sein Angebot mit dieser Technik zurückzieht, muß sich nach
den Rgeln der Anfechtung behandeln lassen; ein wirksamer Widerruf ist hierin nicht zu sehen.470
Im Zusammenhang mit der Frage nach einem eventuellen Widerrufsrecht des Ersteigerers hat
der BGH inzwischen konkreter entschieden, dass daher bei Internet-Versteigerungen kein
Zuschlag im Sinne des § 156 BGB anzunehmen ist. Handelt es sich beim Anbieter der Ware
um einen Unternehmer, ist der Verbraucher dann ebenso schutzwürdig wie bei einem Kauf
unter „normalen“ Fernabsatzumständen,471 weshalb ihm auch das nach Fernabsatzrecht bestehende Widerrufsrecht aus § 312d Abs. 1 BGB nicht nach § 312 d Abs. 4 Nr. 5 BGB verwehrt
ist:472 Da bei Internet- Auktionen nicht (wie im jüngst entschiedenen Fall von der Klägerseite
angeführt) ein „Zuschlag durch Zeitablauf“ zustande gekommen sei, sondern ein Vertragsschluss durch die Abgabe des Höchstgebotes, habe keine Annahme durch einen Auktionator
stattgefunden. Eine solche andere, von § 156 BGB abweichende Form des Vertragschlusses
werde aber nach Wortlaut, systematischer Stellung als Ausnahmevorschrift und Sinn und
Zweck des § 312 d Abs. 4 Nr. 5 BGB nicht von diesem erfasst.473 Unabhängig von der Frage,
ob nach der Fernabsatzrichtlinie, die keine Begriffsbestimmung für die Versteigerung enthält,
über herkömmliche Versteigerungen hinaus auch Internet-Auktionen erfasst sein sollen, sei
diese enge Auslegung des § 312 d Abs. 4 Nr. 5 BGB auch gemeinschaftsrechtkonform, da die
Richtlinie nur Mindestanforderungen an den Verbraucherschutz stelle und eine engere Lesart
der Ausnahme ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher nach sich ziehe.474 In der Litera469
BGH
Urt.
vom
7.11.2001
(„ricardo.de“),
VIII
ZR
13/01,
abzurufen
unter:
http://www.jurpc.de/rechtspr/20010255.htm .
470 OLG Oldenburg, MMR 2005, 766; KG MMR 2005, 709; LG Coburg, MMR 2005, 330.
471 Dagegen sollte noch nach OLG Oldenburg ein Händler, der im Rahmen einer Internet-Auktion ein Verkaufsangebot macht, mangels Schutzinteresses des Kunden nicht zu einem Hinweis auf seine Händlereigenschaft verpflichtet sein- OLG Oldenburg, NJW-RR 2003, 1061 = MMR2003, 270.
472 BGH CR 2005, 53 m. Anm. Wiebe und Stern = MMR 2005, 37 m. Anm. Spindler; schon LG Hof, MMR 2002, 760.
473 BGH CR 2005, 53, 54 f. m. Anm. Wiebe und Stern = MMR 2005, 37, 38 f. m. Anm. Spindler.
474BGH CR 2005, 53, 55 m. Anm. Wiebe und Stern = MMR 2005, 37, 39 m. Anm. Spindler.
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tur ist der BGH mit dieser Entscheidung nicht nur auf Zustimmung475 gestoßen. Dabei wurde
zum Teil eine Verkennung der auktionsspezifischen Schutzbedürfnisse476 als auch eine zu
weitgehende Ausweitung des Verbraucherschutzes auf spekulative Geschäfte477 kritisiert.
Zur Belehrung des Verbrauchers über sein Widerrufsrecht ist es nicht ausreichend, dass sich
ein Hinweis unter dem Link über die Schaltfläche „mich“ befindet, unter der bei einem Internet-Auktionshaus verkäuferbezogene Informationen, wie zB die Bewertungsspiegel, abzurufen sind. Denn die Frage des Widerrufsrechts ist kauf- und nicht verkäuferbezogen, wie das
OLG Hamm entschieden hat.478 Dieser Verstoß ist ebenso wie ein Verstoß gegen die PAngVO auch wettbewerbsrechtlich unzulässig.479 Hinsichtlich der Widerrufsfrist zeichnet sich
eine ganz neue Entwicklung ab: Gleich zwei Obergerichte480 haben nun entschieden, dass die
Widerrufsfrist bei Online-Auktionen gem. § 355 Abs. 2 S. 2 BGB statt zwei Wochen einen
Monat beträgt. Begründet wird dies damit, dass bei einem Zuschlag durch Zeitablauf, also
Angebotsannahme durch den Höchstbietenden, die Belehrung in Textform- hierzu genüge die
Belehrung auf der Website nicht!- erst nach Vertragsschluss erfolge, ja erfolgen kann, da der
Vertragspartner vorher ja noch nicht konkreter Adressat einer an ihn gerichteten Belehrung ist
und sein kann. Die Entscheidung wird allerdings auch kritisch aufgenommen, etwa weil sich
dadurch das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen § 355 Abs 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 BGB
umkehre.481 Es wird beispielsweise zu einer teleologischen Reduktion bzw. zur gesetzgeberischen klarstellung geraten, dass das die Belehrung „bei vertragsschluss“ auch dann eingehalten ist, wenn sie in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang auf den Ablauf der Auktion erfolgt.482
Apropos eBay-Bewertungen: Auch zu diesem durch das System der Online-Auktionen erst
eingeführten Problemkreis gibt es inzwischen einige Entscheidungen. Es geht bei den Bewertungen hauptsächlich darum, ob es sich um Tatsachen- oder Meinungsäußerungen handelt,
475
Zustimmend aber bspw. Stern in seinen Anmerkungen, CR 2005, 57 sowie Hoeren/Mueller, Widerrufsrecht bei
eBay- Versteigerungen, NJW 2005, 948.
476 Braun, Widerrufsrecht und Haftungsausschluss bei Internetauktionen, CR 2005, 113, 115; Wiebe in seinen Anm.,
CR 2005, 56.
477 Obergfell, Die Onlineauktion als Chimäre des deutschen Vertragsrechts, MMR 2005, 495; Leible/Wildemann, Von
Powersellern, Spaßbietern und einem Widerrufsrecht bei Internet-Auktionen, K & R 2005, 26.
478 OLG Hamm MMR 2005, 540 = JurPC Web-Dok. 91/2005.
479
Allgemein zur Verbraucherinformation über das Widerrufsrecht im Fernabsatz Marx/Bäuml, WRP 2004, 162.
KG, CR 2006, 680= MMR 2006, 678; OLG Hamburg, MMR 2006, 675 m. Anm. Hoffmann; vgl. aber AG Flensburg, MMR 2006, 686.
481 Schirmbacher, CR 2006, 673.
482 Hoffmann, K&R 2006, 676, 677; Schirmbacher, CR 2006, 675.
480
109
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und inwieweit hier die freie Meinungsäußerung überhaupt beschränkt werden darf.483 Bekommt ein Anbieter zu viele schlechte Bewertungen, dann darf der AuktionsplattformBetreiber seine Mitgliedschaft ohne weitere Überprüfung sperren.484
Neben den Bewertungsforen gibt es bei eBay die Besonderheit, dass der Anbieter die technische Möglichkeit bekommt, sein Angebot schon vor Ablauf des festgesetzten Auktionszeitraums zu stornieren. Darin liegt aber nach der Rechtsprechung keine Einräumung eines Widerrufsrechts: Es kommt auch bei der vorzeitigen Beendigung einer Internet-Auktion ein Vertrag mit dem bis dahin Höchstbietenden zustande. Davon unabhängig ist dann eine etwaige
Anfechtungsmöglichkeit. Dies ist dogmatisch nur konsequent, sieht man die Einstellung eines
Angebots in eBay ja eben gemeinhin nicht als reine invitatio an. Die rein technische Zurverfügungstellung einer Eingriffsmöglichkeit unter der Bezeichnung einer „Stornierung“ führt
nicht zum Instrument einer rechtswirksamen Beendigung der gesamten Auktion.485
Ein der nach wie vor offenen Fragen des Rechtes der Online-Auktionen ist die nach dem Geltungsbereich von Internet-Auktionsbedingungen. Sind diese geeignet, im Verhältnis der
Teilnehmer einer solchen Plattform untereinander vertragliche Rechte und Pflichten zu begründen, auch wenn sie vom Plattformbetreiber gestellt wurden? Oder lassen sie sich lediglich
als „Auslegungsgrundlage“ in Form von „Schlussfolgerungen auf die wechselseitigen Erwartungen von Anbieter und Bieter“ heranziehen?486 Auch hier kommt es im Einzelfall auf eine
wirksame Einbeziehung in den Vertrag an. Sie können bei Drittbegünstigung u.U. sogar
Rechtswirkung nach den Grundsätzen des Vertrags zugunsten Dritter entfalten. Schließlich
sind auch bei diesen Auktionsbedingungen die Grundsätze der Inhaltskontrolle nach §§ 307
ff. BGB zu beachten.487
Mit anderen Tücken und Unwägbarkeiten der Online-Versteigerungen hat sich das LG Bonn
befasst.488 Es hat dabei bekräftigt, dass bei im Internet geschlossenen Verträgen grundsätzlich
die allgemeinen Rechtsprinzipien gelten und auch in den Fällen, in denen in der Auktion nicht
das vom Anbieter erhoffte Ergebnis erreicht wurde, eine Unwirksamkeit allein aufgrund eines
483
Z.B. OLG Oldenburg, NJW-RR 2006, 1204; s. desweiteren die Übersicht zur Rechtsprechung bei Schuster et al.,
MMR 2005, Beilage 5, S. 16; Hofmann, NJW 2005, 2595, 2596; eingehend Hoeren, Bewertungen bei eBay, CR 2005,
498.
484 OLG Brandenburg, MMR 2005, 698; zu einer Sperrung bei bereits gesperrtem Account des Ehepartners s. LG
Berlin, CR 2005, 372; zur Frage einer vor der Sperrung erforderlichen Abmahnung KG MMR 2005, 764.
485 OLG Oldenburg, NJW 2005, 2556; LG Coburg, MMR 2005, 330; s. dazu auch die Anm. zu OLG Oldenburg von
Weber, JurPC Web-Dok. 102/2005.
486 So formuliert bei OLG Oldenburg NJW 2005, 2556.
487 Soweit an dieser Stelle nur ein stichwortartiger Anriss; es sei verwiesen auf die ausführliche und lehrreiche Darstellung bei Koch, Geltungsbereich von Internet-Auktionsbedingungen, CR 2005, 502.
488 LG Bonn (Urt. V. 12.11.2004 – Az.: 1 O 307/04), s. http://snipurl.com/b71i .
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besonders krassen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung nicht in Betracht
komme.
Bei einer später bestrittenen Ersteigerung per e- mail im Rahmen einer Internet-Auktion ergeben sich vor allem Probleme der Beweislast. Grundsätzlich gelten wie oben erläutert auch
im Rahmen der Online-Verträge über Internet- Auktionen die allgemeinen Rechtsgrundsätze.
Von Anbieterseite wird aber immer wieder versucht, die Beweislast über das Zustandekommen eines Vertrages gerade mit dem (vermeintlichen) Käufer zu umgehen. Die Rechtsprechung folgt dem bisher jedoch überwiegend nicht. So hat das OLG Köln eine Beweislastumkehr nach Gefahrenkreisen verneint: Wer eine e- mail- Adresse unterhalte, trage noch nicht
allein deshalb das Missbrauchsrisiko.489 Das OLG Naumburg hat jüngst eine Beweislastumkehr aufgrund des Einsatzes von Passwörtern ebenfalls verneint, schließlich sei es „gerichtsbekannt, dass die Nutzung des Internets mit Gefahren verbunden ist, weil es technisch möglich ist, ein ordnungsgemäß geschütztes Passwort ‚auszuspähen’ (Stichwort z. B. Trojaner und
‚Passwortklau’) und rechtswidrig zu Lasten des Käufers zu nutzen.“490 Das damit verbundene
Risiko der Beweislast in Fällen von „Kaufreue“ des Abnehmers müsse der Verkäufer, der die
Vorteile einer Internet-Auktion nutzen wolle, in Kauf nehmen.
489
OLG Köln, MMR 2002, 813.
LG Magdeburg, CR 2005, 466; OLG Naumburg, Urt. v. 2. Februar 2004, Az.: 9 U 145/03, zu finden unter NJOZ
2005,
2222;
zum
öffentlich
inszenierten
„Passwortklau“
bei
stern
TV
s.
http://www.heise.de/Newsticker/meldung/54605.
490
111
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V. Internetspezifische Vertragsarten
Literatur:
Alpert, Kommerzielle Online-Nutzung von Computerprogrammen, CR 2000, 345; Cichon, Internetverträge, Köln 2000;
Gottschalk, Vertragsgestaltung bei Content und Access Providern, in Kröger/Gimmy (Hrsg.), Handbuch zum Internetrecht,
Berlin 2002, S. 245; Gey, Zivilrechtliche Haftung von Access-Providern bei Zugangsstörungen, K&R 2005, 120; Härting,
Die Gewährleistungspflichten von Internetdienstleistern, CR 2001, S. 37; ders., Hinweise zur Vertragsgestaltung- Domainverträge, ITRB 2002, 96; Junker, Die Entwicklung des Computerrechts in den Jahren 2001/2002, NJW 2003, 2792;
Marly, Software-Überlassungsverträge, 4. Aufl. 2004; Müller/Bohne, Providerverträge, München 2005; Röhborn, Sinhart,
Application Service Providing – juristische Einordnung und Vertragsgestaltung, CR 2001, S. 69; Rössel, Stellvertretende
Domaininhaberschaft des Providers, CR 2004, 754; Schneider, IT- Vertragsrecht, CR 2005, 695; Sedlmeier/Kolk, ASPEine vetragstypologische Einordnung, MMR 2002, 75; Spindler, Neues im Vertragsrecht der Internetprovider, CR 2004,
203; Spindler u.a. (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, 2. Aufl., Köln 2004; Spindler/Klöhn, Neue Qualifikationsprobleme im E- Commerce- Verträge über die Verschaffung digitalisierter Informationen als Kaufvertrag, Werkvertrag,
Verbrauchsgüterkauf?, CR 2003, 81; von Westerholt/Berger, Der Application Service Provider und das neue Schuldrecht,
CR 2002, 81; Wischmann, Rechtsnatur des Access Providing, MMR 2000, S. 461; Witzel, Gewährleistung und Haftung in
Application Service Providing- Verträgen, ITRB 2002, 183.
Mit dem Internet sind zahlreiche neue Vertragsarten entstanden, deren rechtliche Einordnung
in die Typologie des BGB - denn es wird zur Behandlung dieser neuen Form von Geschäftsmodellen nach wie vor auf die herkömmlichen Leistungs- und Gewährleistungsvorschriften
des besonderen Schuldrechts zurückgegriffen - immer noch zu einigen juristischen Herausforderungen führt. Viele dieser Verträge haben das Internet, bzw. dessen Nutzung selbst zum
Gegenstand; andere Verträge nutzen das Internet zur Erbringung der vertraglichen Leistung.
Ein „Leitbild“ des Providervertrages gibt es angesichts der vielen Leistungskombinationen,
die die Internetprovider anbieten, kaum.491 Im Folgenden sollen exemplarisch einige dieser
Verträge im Hinblick auf deren Einordnung in die Vertragssystematik des BGB erläutert werden. Dabei bleiben solche Verträge außer Betracht, bei denen das Internet lediglich zum Vertragsschluss dient, wie etwa Kaufverträge, deren Erfüllung herkömmlich auf Wegen außerhalb des Netzes erfolgt.
A. Access-Provider-Verträge
491
Spindler, CR 2004, 203, der einen ausführlichen Überblick über die aktuellen Entwicklungen im Vertragsrecht der
Internet-Provider gibt.
112
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Der Access-Provider-Vertrag ist gerichtet auf die Einrichtung und Bereithaltung eines Zugangs zum Internet.492 Grob vereinfacht lässt sich die Tätigkeit des Access-Providers folgendermaßen beschreiben: Der Access-Provider betreibt einen Einwahlknoten (Point of Presence
– PoP), welcher über eine feste Datenleitung mit dem sogenannten Backbone des Internet
verbunden ist und über welchen sich der Nutzer in das Internet „einwählen“ kann. Kern des
Access-Provider-Vertrags ist die Weiterleitung von Informationen ins Internet und vom Internet zum Nutzer auf der Basis des TCP/IP- Standards.493
Die rechtliche Einordnung der Verträge über die Leistungen von Access-Providern in die herkömmliche Vertragstypologie des BGB war lange umstritten. In seinem Urteil vom 23.3.2005
hat sich nun der BGH in einem ausführlichen obiter dictum ausdrücklich der in der Literatur
überwiegend vertretenen Ansicht angeschlossen, die den ASP- Vertrag schwerpunktmäßig als
Dienstvertrag einordnet.494 Argument des BGH war vor allem die Parallele der Leistungsinhalte zu denen der Telefonnetz- und Mobilfunkverträge, die ihrerseits auch als Dienstleistungsverträge qualifiziert werden. In der Literatur waren neben einer Einordnung als Dienstvertrag495 auch eine Qualifizierung als Werk-496 oder als Mietvertrag497 sowie als Rahmenvertrag mit dienst-, werk- und mietrechtlichen Elementen in Betracht gezogen worden.498
Vieles spricht jedoch für eine Qualifizierung als Dienstvertrag, bei welchem die geschuldete
Leistung in der Bereithaltung der technischen Möglichkeiten für den Zugang in das Internet
besteht.499 Gegen eine Qualifizierung als Mietvertrag soll nicht zwingend sprechen, dass der
Provider einen ständigen Zugang zum Internet auf Grund technischer Unzulänglichkeiten
492
Spindler, Vertragsrecht der Internet-Provider, IV Rn. 81; Wischmann, Rechtsnatur des Access-Providing, MMR,
2000, S. 461.
493 Vgl. Wischmann, Rechtsnatur des Access-Providing, MMR, 2000, S. 461; Koch, BB 1996, 2049; zur Problematik der
Inhaltskontrolle von Providerverträgen Spindler, CR 2004, 203..
494 BGH NJW 2005, 2076 mit zahlreichen Nachweisen zum Stand in der Literatur.
495 Vgl. aus jüngerer Zeit Gey, Zivilrechtliche Haftung von Access-Providern bei Zugangsstörungen, K&R 2005, 120;
früher Wischmann, Rechtsnatur des Access- Providing, MMR, 2000, S. 461ff; Härting, Die Gewährleistungspflichten
von Internet- Dienstleistern, CR 2001, S. 37 ff; Runte, CR 2002, 299; Koch, Internet-Recht, S. 31; vgl. auch Jessen,
ZUM 1998, 282.
496 Auch hier aus jüngerer Zeit Gey, Zivilrechtliche Haftung von Access-Providern bei Zugangsstörungen, K&R
2005, 120; ansonsten u.a. Spindler, K&R 1999, S. 488 (490); Roth in Loewenheim/Koch, Praxis des Online-Rechts, S.
57; Heun in Bartsch/Lutterbeck, Neues Recht für Neue Medien, S. 249.
497 Gottschalk in Kröger/Gimmy (Hrsg.) Handbuch des Internetrechts, S. 258; Cichon, Internetverträge, S. 24 ; Moritz
in Killian/Heussen (Hrsg.) Computerrechtshandbuch, Kap. 43 Rn. 36 f; Komarnicki in Hoeren/Sieber, Handbuch
Multimedia-Recht, 12.2. Rn. 37 f; w. N. auch bei Spindler, Vertragsrecht der Internet-Provider, Teil IV Rn 83.
498 Vgl. Cichon, Internetverträge, S. 17 m.w.Nachw..
499 so schon Härting, Die Gewährleistungspflichten von Internet- Dienstleistern, CR 2001, S. 37 (38).
113
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nicht zusagen kann.500 Es ist vor allem, so auch der BGH, dem Kunden mit der Nutzung des
Providerservers, also der bloßen Gebrauchsüberlassung der technischen Infrastruktur, nicht
gedient; vielmehr erwartet der Nutzer vom Access-Provider, dass dieser ihm den Internetzugang ermöglicht. Der Schwerpunkt der Leistung liegt also beim Datentransport, so dass die
Nutzung der Sache nicht im Vordergrund steht.501 Gegen eine Qualifizierung als Werkvertrag spricht die werkvertragsrechtliche Erfolgshaftung aus § 631 BGB: Der Provider kann
keine ständige Verbindung zum Internet zusagen, da seine Leistungskapazitäten begrenzt sind
und auch die Übertragungsgeschwindigkeit je nach Netzauslastung schwankt.502 Außerdem
passen die Gewährleistungsvorschriften des Werkvertragsrechts, wie z.B. das Nachbesserungsrecht aus § 633 BGB, nicht zur Interessenlage des Access Providing.503 Eine insoweit
differenziertere Ansicht nimmt allerdings einen Werkvertrag dann an, wenn im Rahmen sog.
Call- by- Call- Verbindungen nur leistungsabhängig vergütet wird, so dass der Vertrag immer
nur mit Verbindungsherstellung zustande kommt504. Andernfalls steht jedoch auch eine leistungsabhängige Vergütung nicht im Widerspruch zur Einordnung des Access Providings als
Dauerschuldverhältnis. Für die verbreiteteren Formen gemischter Vergütungen von monatlicher Grundgebühr und leistungsabhängiger Vergütung (nach Zeit) bietet sich im Ergebnis
eine Anwendung des Dienstvertragsrechts an,505 so dass dem Nutzer Gewährleistungsansprüche in erster Linie über die – nunmehr in § 280 BGB geregelten – Grundsätze der Positiven
Vertragsverletzung (pVV) zustehen. Ist die vertraglich vereinbarte Leistung des Providers
mangelhaft und ist dies vom Provider verschuldet, so kann der Nutzer Schadensersatz nach §
280 BGB verlangen. Zudem kommt unter Umständen ein außerordentliches Kündigungsrecht
nach § 626 BGB in Betracht, wenn dem Kunden ein Festhalten an dem Vertag nicht mehr
zumutbar ist.506
500
Gottschalk in Kröger/Gimmy (Hrsg.), Handbuch des Internetrechts, S. 258; vgl. ähnlich Bettinger/Scheffelt in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, Teil XI Rn. 18 m.w.N.
501 BGH NJW 2005, 2076 m.w.N. aus der Literatur; anders zum Beispiel beim Application Service Providing, s. u. F.,
oder im Falle der Fernnutzung eines fremden Großrechners, dazu BGH NJW-RR 1993, 178.
502 BGH NJW 2005, 2076 m. w. N..
503 Gottschalk in Kröger/Gimmy (Hrsg.), Handbuch des Internetrechts, S. 258.
504 Spindler in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, Teil IV Rn. 87; Roth in Loewenheim/Koch
(Hrsg.), Praxis des Online-Rechts, S. 57, 66; Heun in Bartsch/Lutterbeck (Hrsg.), Neues Recht für Neue Medien, S.
249, 253.
505 So auch Spindler in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, Teil IV Rn. 93; s. ebenda Rn. 88 ff zur
Vertiefung eine eingehende Auseinandersetzung mit den Alternativen Werkvertragsrecht und atypischer, gemischter
Mietvertrag.
506 Härting, Die Gewährleistungspflichten von Internet- Dienstleistern, CR 2001, S. 37 (39).
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B. Host-Provider-Verträge (Presence Providing)
Host-Provider-Verträge (auch Presence- Provider-Verträge genannt) haben zum Inhalt, Websites des Kunden zum Abruf im Internet auf einem Host-Server des Providers zu speichern.
Pflichten des Anbieters sind in erster Linie die Speicherung des jeweiligen Inhalts auf dem
Server und die Sicherstellung der Abrufbarkeit dieses Inhalts im Internet.507
Hinsichtlich beider Vertragskomponenten, also der Speicherung sowie der Sicherstellung der
Abrufbarkeit, liegt ein Dauerschuldverhältnis vor. In Bezug auf die Überlassung von Speicherplatz auf dem Host-Server wird in der Literatur die Anwendung von Mietvertragsrecht
vorgeschlagen.508 Dies erscheint sachgerecht. Es handelt sich um eine dauerhafte Nutzungsüberlassung des Speicherplatzes an den Kunden. Dies entspricht am ehesten dem Vertragstyp
der Miete i.S.v. §§ 535ff BGB. Dass der Kunde keinen tatsächlichen Besitz erlangt und der
genaue Speicherort auf dem Host-Server nicht genau konkretisiert wird, steht einer Einordnung als Mietvertrag nicht entgegen.509 Dem ist bisher auch die Rechtsprechung gefolgt.510
Mit der Zurverfügungstellung von Speicherplatz ist es jedoch noch nicht getan. Der Provider
hat zudem für die Abrufbarkeit des gespeicherten Informationen über das Internet zu sorgen511, somit die „Dialogfähigkeit der Präsentation“ herzustellen.512 Hinsichtlich dieser Pflicht
wird vorgeschlagen, Dienstvertragsrecht anzuwenden.513 Der Host-Providervertrag ähnelt
dem Access-Provider-Vertrag. Hier wie dort kann der Provider keine ununterbrochene Verbindung zum Internet zusagen. Er schuldet vielmehr ein dauerhaftes Bemühen im Rahmen der
technischen Möglichkeiten für eine Abrufbarkeit aus dem Internet zu sorgen.514 In Bezug auf
diese zweite Vertragskomponente sollte daher, wie auf das Access- Providing, Dienstvertragsrecht Anwendung finden.
In Bezug auf das Gewährleistungsrecht ergibt sich somit für das Host- Providing Folgendes:
In Bezug auf die Speicherung der Website auf den Servern des Providers stehen dem Kunden
die mietvertragsrechtlichen Gewährleistungsrechte, insbesondere der §§ 537, 538 BGB zu.
507
S. auch Schuppert in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, Teil II Rn. 42 ff.
Cichon, Internetverträge, S. 57 m. w. Nw.. So auch das AG Charlottenburg, MMR 2001, S. 258 m. Anm. Münster =
CR 2002, S. 297 m. Anm. Runte = K&R 2002, S. 321 m. Anm. Beckmann.
509 Cichon, Internetverträge, S. 58 f.
510 vgl. OLG Köln, Urt. v. 13.05.2002, MMR 2003, 191.
511 Härting, Die Gewährleistungspflichten von Internet- Dienstleistern, CR 2001, S. 37 (39).
512 Roth in Loewenheim/Koch (Hrsg.), Online-Recht, S. 57 ff; vgl. dazu auch Schuppert in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, Teil II Rn. 49 mwN.
513So auch Schuppert in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, Teil II Rn. 49; bereits Härting, Die Gewährleistungspflichten von Internet- Dienstleistern, CR 2001, S. 37 (39).
514 Härting, Die Gewährleistungspflichten von Internet- Dienstleistern, CR 2001, S. 37 (39).
508
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Gegebenenfalls ist der Kunde berechtigt, nach § 542 BGB den Providervertrag fristlos zu
kündigen. Was die Abrufbarkeit des gespeicherten Inhalts aus dem Internet angeht, kann der
Kunde im Falle einer schuldhaften Pflichtverletzung des Providers Schadensersatz nach den
Grundsätzen der pVV (§ 280 BGB) verlangen, oder gegebenenfalls den Vertrag gemäß § 626
BGB außerordentlich kündigen.515
C. Webdesign-Verträge
Eindeutig als Werkverträge zu qualifizieren sind Verträge, die auf das Erstellen, bzw. Programmieren von Webseiten gerichtet sind.516 Da es sich bei einer Website allerdings um
Software handelt und auf diese nach h.M. die Sachvorschriften des BGB Anwendung finden517, könnte es sein, dass über § 651 BGB n.F. Kaufvertragsrecht zur Anwendung kommt.
Soll die Website im Weiteren von dem Webdesigner “gepflegt“ werden, so ist zu differenzieren: Handelt es sich um bloße Pflege oder Wartung, d.h. um die Aufrechterhaltung der Funktionstüchtigkeit, unterfällt dies dem Dienstvertragsrecht. Wird die Website dagegen inhaltlich aktualisiert, so findet Werkvertragsrecht Anwendung.518 Wird die von einem Webdesigner gestaltete Homepage dann für einen anderen ins Netz gestellt, geschieht dies außerdem
im Rahmen eines urheberrechtlichen Lizenzvertrages.519
D. E-Mail-Account-Verträge
Verträge die auf die Einrichtung und Bereithaltung eines E- Mail- Accounts gerichtet sind,
bestehen im Wesentlichen aus zwei Komponenten: Zum einen wird dem Kunden auf dem
Server des E-Mail-Providers Speicherplatz zur Lagerung seiner elektronischen Post zur Verfügung gestellt. Zum anderen soll der Provider dafür sorgen, dass der Kunde über das Internet
Emails erhalten und versenden kann. Wie beim Host-Provider-Vertrag ist in Bezug auf die
Zurverfügungstellung des Speicherplatzes Mietvertragsrecht einschlägig. Für den Vertragsbestandteil, welcher den Versand und den Abruf der Emails betrifft, kommt dagegen Werkvertragsrecht oder Dienstvertragsrecht in Betracht. Gegen die Einordnung als Werkvertrag
spricht jedoch wieder die Erfolgshaftung des § 631 Abs. 1 BGB. Der Provider wird auf Grund
515
Siehe auch Härting, Die Gewährleistungspflichten von Internet-Dienstleistern, CR 2001, S. 37 (39 f).
zu Rechtsnatur und Vertragsgestaltung auch Gottschalk in Kröger/Gimmy (Hrsg.), Handbuch zum Internetrecht,
Berlin 2002, S. 255.
517 S. Röhborn/Sinhart, Application Service Providing – juristische Einordnung und Vertragsgestaltung, CR 2000, S.
69ff (Fußnote 12); BGH, CR 1997, S. 472.
518 Härting, Die Gewährleistungspflichten von Internet-Dienstleistern, CR 2001, S. 37 (40).
519 Gottschalk in Kröger/Gimmy (Hrsg.), Handbuch zum Internetrecht, Berlin 2002, S. 255.
516
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technischer Unsicherheiten keine Garantiehaftung für den Abruf und Versand der Emails übernehmen wollen. Auf der anderen Seite wird der Kunde den konkreten Erfolg in Form von
Weitergabe der E-Mail an der Schnittstelle sowie Zwischenspeicherung und Zurverfügungstellung zum Abruf der eingegangenen E-Mails und damit eine Werkleistung erwarten.
In den Fällen, in denen diese Dienste - wie häufig der Fall - unentgeltlich angeboten und rein
über Werbung bzw. kostenpflichtige Zusatzleistungen finanziert werden, kommt dann eine
entsprechende Anwendung der Schenkungsvorschriften mit ihrem verringerten Haftungsmaßstab nach § 521 BGB in Betracht.520 Im Ergebnis könnte damit in Bezug auf den Versand
von E-Mails über mehrere Schnittstellen zu anderen Netzen über das Internet Dienstvertragsrecht angewandt werden, da hier der Anbieter mangels Beherrschbarkeit der Transportvorgänge keine Erfolgshaftung übernehmen kann.521 Bis zur Schnittstelle wäre dann aber Werkvertragsrecht einschlägig.522
E. Domainregistrierungs-Verträge
Soll eine eigene Website im Netz unter einer bestimmten Domain abrufbar sein, so muss die
Domain zunächst bei einer zuständigen Stelle, etwa der DENIC (zuständig für Domains unter
der Top-Level .de), registriert werden. Die Registrierungsstelle konnektiert die entsprechende
Domain mit der IP- Nummer des jeweiligen Rechners, von welchem aus die Website abrufbar
sein soll. Regelmäßig übernimmt die Registrierung der Domain der Host-Provider.523 Dieser
handelt dann im Auftrag seines Kunden und es liegt im Verhältnis Kunde-Provider in der Regel ein entgeltlicher Geschäftsbesorgungsauftrag gemäß § 675 Abs. 1 BGB vor.524 Der eigentliche Registrierungsvertrag kommt allerdings zwischen dem Nutzer der Domain und der Registrierungsstelle zustande. Kann dieser Registrierungsvertrag einem der BGB-Vertragtypen
zugeordnet werden?
Ein Kauf liegt offensichtlich nicht vor, da dem Inhaber einer Domain diese lediglich zu Nutzung überlassen wird.525 Mit der Registrierung erwirbt der Kunde ein zeitlich begrenztes Nutzungsrecht. Insofern handelt es sich bei dem Registrierungsvertrag um ein Dauerschuldver520
Schuppert in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, Teil II Rn. 38.
Jessen in Lehmann (Hrsg.) Rechtsgeschäfte im Netz, S. 125 ff; Roth in Loewenheim/Koch (Hrsg.), Praxis des Online-Rechts, S. 57, 68; Koch, BB 1996, 2049, 2055; Cichon, Internetverträge, S. 43; Schuppert in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, Teil IV Rn 143 m.w.N.
522 Schuppert in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, Teil IV Rn. 143 m.w.N.
523 Zu Fragen der Schadensersatzpflicht bei fehlerhafter Domainregistrierung vgl. LG Görlitz, MMR 2005, 392 (verzögerte Domain-Anmeldung) sowie LG Frankfurt/Main, MMR 2005, 129 (Schadensersatz bei Domainverlust).
524 Siehe Härting, Die Gewährleistungspflichten von Internet-Dienstleistern, CR 2001, S. 37 (42).
525 Cichon, Internetverträge, S.94.
521
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hältnis.526 Da es einer Domain an jeglicher Sachqualität ermangelt, kann sie auch nicht als
Mietsache i.S.d. §§ 535 angesehen werden.527 In Betracht kommt aber eine Einordnung des
Registrierungsvertrages als Pachtvertrag.528 Im Gegensatz zur Miete können Gegenstand der
Pacht auch Dinge sein, die keine Sachen i.S.v. § 90 BGB sind. Noch eher passt aber wohl der
Dienstvertrag auf die sich aus dem Registrierungsvertrag ergebenden Pflichten.529 Die Registrierungsstelle hat dafür Sorge zu tragen, dass für die Dauer der Vertragslaufzeit die entsprechende Domain über einen sogenannten Domain-Name-Server mit der IP-Adresse des
Kunden konnektiert wird. Wegen der Erfolgsbezogenheit der von der Registrierungsstelle zu
erbringenden Leistung könnte allerdings auch an die Einstufung als Werkvertrag gedacht
werden, wogegen aber sprechen soll, dass es sich um ein Dauerschuldverhältnis handelt.530
Dabei schließt andererseits die Ausgestaltung als Dauerschuldverhältnis die Annahme eines
Werkvertrages auch nicht aus.531 Jedenfalls in solchen Fällen, in denen die einmalige Registrierung der Domain im Mittelpunkt der Betrachtung steht und nicht etwaige fortlaufende
Verwaltungstätigkeiten des Providers hinsichtlich der Domain, ist eine Einordnung als
Werkvertrag naheliegend.532
F. ASP- Verträge (Application- Service- Providing)
Ein relativ neues und zukunftsträchtiges Geschäftsfeld ist das Application- Service- Providing.533 Damit ist die Nutzung von Anwendungen, bzw. Softwareprogrammen auf dem Server
eines Application- Service-Providers (ASP) über das Internet oder ein anderes Netzwerk gemeint.534 Die verwendete Software wird auf den Servern der ASP bereitgehalten und über das
Internet genutzt, ohne dass die Software auf dem System des jeweiligen Nutzers installiert
526
so Cichon, Internetverträge, S.95.
Es sei jedoch daraufhingewiesen, dass die Rechtsprechung Vorschriften über Sachen u.U. analog auch auf unkörperliche Dinge wie etwa auf Software anwendet (so etwa BGH, CR 1997, S. 472).
528 So: Cichon, Internetverträge, S.98 ff; ähnlich Schuppert in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, Teil
VI Rn. 11.
529 So: Härting, Die Gewährleistungspflichten von Internet-Dienstleistern, CR 2001, S. 37 (41).
530 Cichon, Internetverträge, S.97 f.
531 daher auch für eine Einordnung als Werkvertrag Schuppert in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider,
Teil IV Rn. 12; s. auch Ernst, MMR 2002, 716.
532 Schuppert in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, Teil VI Rn. 11.
533 Dazu eingehend Bettinger/Scheffelt in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, Teil XI Rn. 1 ff.
534 Das ASP kann definiert werden als: „Die Zuverfügungstellung von Anwendungen und deren Funktion sowie
damit verbundenen Dienstleistungen über ein Netzwerk mit der Abrechnung der Software-Lizenz per effektiver
Softwarenutzung (pay as you go)“, soRöhborn/Sinhart, Application Service Providing – juristische Einordnung und
Vertragsgestaltung, CR 2000, S. 69; s. auch Marly, Software-Überlassungsverträge, 4. Aufl. 2004, Rn. 557.
527
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werden muss. Der Vorteil liegt auf der Hand: Der Kunde muss nicht mehr teure Software kaufen und erst auf seinem Rechner installieren, sondern kann jederzeit auf die ständig gewartete
Software auf den Servern des ASP zugreifen und bezahlt nur für deren tatsächliche Nutzung.
Meist kommen im Rahmen solcher ASP- Dienste neben der Überlassung der Software noch
weitere Leistungen hinzu, wie etwa die Bereithaltung von Speicherplatz oder die Sicherung
von Datenbeständen.535 Auch ist oft technische Unterstützung und Hilfe Teil des ASP- Vertrages. Insgesamt handelt es sich beim ASP um ein mit den Entwicklungen des Marktes immer noch ständigem Wandel unterliegendes Geschäftsmodell.536 Er stellt sich als ein gemischter Vertrag mit unterschiedlichen Elementen dar. Da es sich um einen oft für längere Zeit geschlossenen Vertrag handelt, entstehen dabei im Vergleich zum einmaligen Austauschvertrag
gesteigerte Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnisse.537 Die komplexen Risiken, die dabei
in rechtlicher Hinsicht bestehen, erfordern eine sorgfältige Koordination der einzelnen Leistungspflichten und eine differenzierte vertragliche Regelung der Risikoverteilung. Insoweit
wird der ASP- Vertrag bereits nach dem Vorbild von Verträgen aus dem Bereich des Anlagebaus in der Bauindustrie oder der gemeinschaftlichen Softwareherstellung als „komplexer
Langzeitvertrag“ klassifiziert.538
Zunächst zur Hauptleistungspflicht, der Überlassung der Software, oder genauer, der Bereitstellung der Nutzungsmöglichkeit an der Software. Hier kommt eine Einordnung als Mietoder Pachtvertrag oder auch als Leasingvertrag in Betracht.539 Nicht ganz unproblematisch ist
dabei die Qualifizierung von Software als Sache i.S.v. § 90 BGB.540 Überwiegend wird jedoch die Sacheigenschaft von Software bejaht, oder zumindest die Sachvorschriften des BGB
auf Software entsprechend angewandt.541 Zumindest das auf einem Datenträger verkörperte
Programm ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH als Sache im Sinne des § 90 BGB zu
klassifizieren.542
535
Röhborn/Sinhart, Application Service Providing – juristische Einordnung und Vertragsgestaltung, CR 2000, S. 69
(70); zu „Datahousing“ und „Datawarehousing“ s. auch Marly, Software-Überlassungsverträge, 4. Aufl., Rn. 558.
536 Eingehend Marly, Software-Überlassungsverträge, 4. Aufl. 2004, Rn 559.
537 Bettinger/Scheffelt in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, Teil XI Rn. 16.
538 Ausführlich Bettinger/Scheffelt in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, Teil XI Rn. 16 m.w.N.
539Marly, Software-Überlassungsverträge, 4. Aufl. 2004, Rn 567; Redeker, IT-Recht in der Praxis, 3. Aufl. 2003, Rn.
949 ff; Röhborn/Sinhart, Application Service Providing – juristische Einordnung und Vertragsgestaltung, CR 2000, S.
69 (70).
540 Dazu instruktiv Sedlmeier/Kolk, MMR 2002, 75, 76.
541 Röhborn/Sinhart, Application Service Providing – juristische Einordnung und Vertragsgestaltung, CR 2000, S. 69ff
(Fußnote 12); BGH, CR 1997, S. 472.
542 BGH NJW 1993, 2436, 2438.
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Da es sich bei dem ASP um eine Gebrauchsüberlassung auf Zeit handelt, liegt zunächst die
Anwendung von Mietrecht nahe.543 Der Provider ist verpflichtet, dem Nutzer den Zugang zu
den entsprechenden Anwendungen während der Vertragslaufzeit zu ermöglichen; der Nutzer
hat im Gegenzug das vereinbarte Entgelt zu zahlen. Dass dem Kunden kein tatsächlicher Besitz verschafft wird, schadet einer Qualifizierung als Miete nicht,544 ebensowenig die gleichzeitige Nutzungsmöglichkeit für mehrere Endkunden, da die Anwendung von Mietrecht keine
ausschließliche Gebrauchsmöglichkeit voraussetzt.545
Ein Pachtvertrag liegt demgegenüber vor, wenn der Kunde als Pächter neben dem einfachen
Nutzungsrecht auch ein Fruchtziehungsrecht (Vgl. §§ 581, Abs. 1; 99 BGB) eingeräumt wird.
Unklar ist, ob es sich bei den Ergebnissen der Softwarenutzung um Früchte im Sinne des
§ 99 Abs. 1, 2 BGB handelt.546 Als Früchte denkbar wären im Falle des ASP ansonsten allenfalls Erträge aus der Weiterverpachtung oder Weitervermietung. Dies ist jedoch für ASPVerträge untypisch.
ASP- Verträge können zudem als Leasingverträge ausgestaltet sein.547 Jedoch handelt es sich
bei einem solchen rechtlich gesehen dann ebenfalls um einen Mietvertrag. Der Leasinggeber
überlässt dem Leasingnehmer gegen Entgelt eine Sache zum Gebrauch, wobei regelmäßig der
Leasingnehmer die Gefahr bzw. Haftung für Instandhaltung, Untergang und Beschädigung
trägt. Eine werkvertragliche Gestaltung scheidet dagegen auch in solchen Fällen aus, in denen die durch das ASP bereitgestellte Software bestimmte Prozesse des Kunden be- oder verarbeitet, da der Kunde immer „Herr der Software“ bleibt und sie nutzt, als läge sie auf seinem
eigenen EDV- System.548
Da beim typenkombinierten Vertrag des ASP549 im Wesentlichen Mietrecht anwendbar ist,
stehen dem Kunden insoweit insbesondere die Gewährleistungsrechte der §§ 537, 538 BGB
zu. Gegebenenfalls ist der Kunde berechtigt, nach § 542 BGB den Providervertrag fristlos zu
kündigen.
Für die sonstigen Leistungen ist jeweils gesondert nach der Vertragsart zu fragen. Bei der
Bereithaltung von Speicherplatz liegt beispielsweise die Annahme von Mietvertragsrecht na543
Junker, NJW 2003, 2792, 2797; v. Westerholt/Berger CR 2002, 81, 84; Marly, Software-Überlassungsverträge, 4. Aufl.
2004, Rn 567; aA Alpert, CR 2000, 345, 349.
544 Vgl. Cichon, Internetverträge, S. 58f. m.w.Nachw..
545 Koch, ITRB 2001, 39 ff; Bettinger/Scheffelt in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, Teil XI Rn. 18
m.w.N.
546 dahingestellt von Bettinger/Scheffelt in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, Teil XI Rn. 18.
547 Siehe hierzu: Röhborn/Sinhart, Application Service Providing – juristische Einordnung und Vertragsgestaltung, CR
2000, S. 69 (71); für eine Einordnung als Rechtspacht Alpert, CR 2000, 345, 349.
548 Sedlmeier/Kolk, MMR 2002, 75, 77.
549 Bettinger/Scheffelt in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, Teil XI Rn 13.
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he550, während für Datensicherung oder Support-Leistungen eher an Werkvertragsrecht oder
Dienstvertragsrecht zu denken ist.551
G. Datenbankrecherche und Informationserwerb
Fast jede Nutzung des Internets hat im weitesten Sinne mit dem Erwerb von Informationen zu
tun. Viele der im Internet abrufbaren Informationen sind dabei in sogenannten Datenbanken
gespeichert. Eine Datenbank lässt sich beschreiben als Informationssammlung, die unter
Verwendung elektronischer Datenverarbeitung aufgebaut und betrieben wird und die mit Hilfe eines Suchsystems aufgrund von an sachlichen Kriterien orientierten Abfragen maschinell
den Zugriff auf die enthaltenen Daten erlaubt.552 Entsprechend der Datenbank-Richtlinie der
EG definiert § 87a UrhG eine Datenbank als „...Sammlung von Werken, Daten oder anderen
unabhängigen Elementen, die systematisch oder methodisch angeordnet und einzeln mit elektronischen Mitteln oder auf andere Weise zugänglich sind...“. 553 Insofern ist tatsächlich fast
alles im Internet eine Datenbank. Die meisten Datenbanken sind frei zugänglich. Zunehmend
werden jedoch auch aufwendige Datenbanken ins Netz gestellt, deren Nutzung kostenpflichtig
ist. Als Beispiel seien nur die Rechtsdatenbank JURIS oder die Wirtschaftsdatenbank GENIOS genannt. Der Definition entsprechend bestehen solche Datenbanken aus zwei Komponenten: zum einen aus dem Datenbestand in elektronischer Form und zum anderen aus einer
Softwarestruktur, welche die gespeicherten Daten verwaltet und einen zielgerichteten Zugriff
auf die gespeicherten Daten ermöglicht (Retrieval-Funktion). Wie ist die Nutzung solcher
kostenpflichtigen Datenbanken im Internet in die Vertragstypik des BGB einzuordnen?
Hauptpflichten des Anbieters sind einerseits die Gewährung eines kontrollierbaren Zugangsund Nutzungsrechts für einen bestimmten Zeitraum an dem Inhalt der Datenbank und andererseits die Erteilung der Befugnis, die recherchierten Daten herunterzuladen und ihren Inhalt
zu verwenden.554 Zunächst ist zwischen solchen Datenbanken zu unterscheiden, bei welchen
ein einmaliges Entgelt für eine einzelne Nutzung der Datenbank gezahlt wird und solchen
Verträgen, bei denen für einen Pauschalbetrag die ständige Verfügbarkeit einer Datenbank
550
Vgl. die Ausführungen oben zu den Host-Provider-Verträgen.
Zur Gewährleistung in ASP-Verträgen s. Witzel, ITRB 2002, 183, 185; zur Vertiefung die eingehende Darstellung
bei Bettinger/Scheffelt in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, Teil XI Rn 13 ff und zu den Nebenleistungen Rn 19 f..
552 Vgl. Nippe, Urheber und Datenbank, S. 9.
553zum Datenbankenschutz nach dem Urheberrechtsgesetz s. ausführlich oben III 4 b).
554 Gottschalk in Kröger/Gimmy (Hrsg.), Handbuch zum Internetrecht, 2. Aufl., S. 247.
551
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geschuldet wird. In beiden Fällen richtet sich die Einordnung allerdings nach der Ausprägung
der Leistungen im Einzelfall. Allgemein wird der reine Erhalt von „Informationen, die vorgehalten werden“555 als Kauf gewertet, und zwar nicht nur für urheberrechtlich geschützt
Werke, da Informationen auch allein aufgrund ihrer Aktualität oder Vollständigkeit interessant und geldwert sein können.556 Aufgrund § 453 BGB n.F., der von „sonstigen Gegenständen“ spricht, soll auch ein Rückgriff auf die Analogiezum Kaufrecht insoweit nicht mehr
notwendig sein.557
Ob die Information auf einem körperlichen Gegenstand enthalten ist, oder im Internet „körperlos“ erworben wird, ist dabei nicht von Belang.558 Vor allem wird dem Nutzer ein dauerhaftes Nutzungsrecht an der Information übertragen.559 Sofern der Schwerpunkt des Vertrages
jedoch auf der Rechercheleistung und nicht auf der Lieferung liegt, erscheint es nicht sachgerecht, den Datenbankvertrag (oder besser: Recherchevertrag) als Kaufvertrag einordnen. Angedacht wird dann, den Datenbankvertrag als Miet- oder Pachtvertrag zu qualifizieren.560
Für die Dauer der Recherche werde das Datenbanksystem dem Kunden zur Nutzung überlassen.561 Dies lasse an eine mietrechtliche oder pachtrechtliche Gebrauchsüberlassung denken,
u.U. typengemischt mit einem kaufrechtlichen Vertrag hinsichtlich der Informationsübertragung562. Dass der Kunde keinerlei Verfügungsgewalt über Server, Datenbank oder Speicherkapazitäten erlangt, ist dabei unschädlich, da dem Nutzer der Zugang zum vertragsgemäßen
Gebrauch der Information gewährt wird.563 Die Einordnung als Miet- oder Pachtverhältnis ist
aber nur insoweit sachgerecht, als im Rahmen einer dauerhaften Vertragsbeziehung immer
wieder Zugriffsrechte eingeräumt bzw. Daten bereitgehalten werden und ein Recht zur Re555
so Spindler in Bartsch/Lutterbeck (Hrsg.), Neues Recht für neue Medien, S. 143, 153.
Schuppert in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, 4. Aufl. 2004, Teil II Rn 56 f; anders wohl im
Zusammenhang mit dem Download urheberrechtlich geschützter Rechtsgüter: Cichon, Internetverträge S. 281 ff,
bzw. zum Download von Software S. 227 ff; vgl. zur Urheberrechtsfähigkeit reiner Informationen Loewenheim, in:
Schricker, Urherrecht, § 2, Rn. 55 ff.
557 m.w.N. Schuppert in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, 4. Aufl. 2004, Teil II Rn 56
558 Vgl. Cichon, Internetvertäge, S. 182; Schuppert in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, 4. Aufl.
2004, Teil II Rn 56 f mit Bezug auf § 453 BGB nF und die allgemeinen Regeln, die bereits für die Übertragung von
nutzungsrechten an Computerprogrammen aufgestellt wurden; ähnlich Gottschalk in Kröger/Gimmy (Hrsg.), Handbuch zum Internetrecht, 2.Aufl. 2002, S. 248.
559 Gottschalk in Kröger/Gimmy (Hrsg.), Handbuch zum Internetrecht, 2.Aufl. 2002, S. 248; Schuppert in Spindler
(Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, 4. Aufl. 2004, Teil II Rn 56 f.
560 Cichon, Internetvertäge, S. 185 f; Schuppert in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, 4. Aufl. 2004,
Teil II Rn. 59.
561 Cichon, Internetvertäge, S. 185.
562 Gottschalk in Kröger/Gimmy (Hrsg.), Handbuch zum Internetrecht, 2.Aufl. 2002, S. 249; Schuppert in Spindler
(Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, 4. Aufl. 2004, Teil II Rn. 51 ff m.w.N, Rn. 59.
563 Gottschalk in Kröger/Gimmy (Hrsg.), Handbuch zum Internetrecht, 2.Aufl. 2002, S. 248.
556
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cherche eingeräumt wird. Soweit die Leistung des Anbieters schwerpunktmäßig nicht einfach
in der Nutzungsüberlassung des Systems besteht, sondern vielmehr auf die Suchabfrage des
Kunden aktiv etwas geleistet, nämlich ein Rechercheergebnis zusammengestellt wird, ist an
einen Dienst-564 oder Werkvertrag zu denken. Dass die Leistung automatisiert erfolgt, ist
dabei unbeachtlich, ist sie doch auf die zugrundeliegende Leistung des Anbieters, nämlich der
Einrichtung der Datenbank zurückzuführen. Da in der Regel nicht das bloße Bemühen um ein
Ergebnis geschuldet wird, sondern die Vergütung erfolgsorientiert bemessen wird, kommt vor
allem eine Qualifizierung als Werkvertrag in Frage.565 Der Anbieter schuldet dann als konkreten Erfolg die Auffindung und Zusammenstellung der gespeicherten Informationen, welche
der jeweiligen Suchanfrage des Kunden entsprechen, sowie ihre Übermittlung.566 Im Einzelnen kommt es zur genauen Qualifizierung auf die konkrete Vertragsgestaltung an.
VI.
Wettbewerbsrecht
Literatur:
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Internet, K&R 2004, 126; Asschenfeldt, B2B-Marktplätze: Aktuelle wettbewerbsrechtliche Problemstellungen, MMR
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Spam- Abwehr, DuD 2005, 548; Eckhardt, Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation – Auswirkungen auf
die Werbung mittels elektronischer Post, MMR 2003, 557; Engels, Haftung für Anzeigen in Online-Angeboten, K&R
2001, S. 338; Ernst, Arzneimittelverkauf im Internet, WRP 2001, S. 893; Fezer, Kommentar zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), München 2005; Fleischer/Körber, Marktmacht, Machtmissbrauch und microsoft, K&R, S. 623;
Frank, „You’ve got (Spam-)Mail“, CR 2004, 123; Freitag, Wettbewerbsrechtliche Probleme im Internet, in: Kröger/Gimmy, Handbuch zum Internetrecht, 2. Auflage, S. 412 ff.; Fritzemeyer, Der US-amerikanische CAN-SPAM Act,
K&R 2005, 49; Gassner, Internet-Handelsplattformen im Spiegel des Kartellrechts, MMR 2001, S. 14; Gey, Das Berufungsurteil in Sachen Microsoft – Kartellrecht in dynamischen Technologiemärkten, WuW 2001, S. 933; Hager, Die
Versteigerung im Internet, JZ 2001, S. 786; Harte-Bavendamm/ Henning-Bodewig, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), München 2004; Hartung/Hartmann, „Wer bietet mehr?“ – Rechtssicherheit des Vertragsschlusses bei
564
Schuppert in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, 4. Aufl. 2004, Teil II Rn. 51 ff.
So Cichon, Internetvertäge, S. 189 ff.
566 Vgl. Nachweise bei Schuppert in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider, 4. Aufl. 2004, Teil II Rn. 52,
m.w.N.- „dem Werkvertrag nahestehender Vertrag sui generis“, sowie ebenda, Rn 57; Gottschalk in Kröger/Gimmy
(Hrsg.), Handbuch zum Internetrecht, 2.Aufl. 2002, S. 248; Cichon, Internetvertäge, S. 190 m.w.Nachw.
565
123
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Internetauktionen, MMR 2001, S. 278; Heermann, Die Erheblichkeitsschwelle i. S. des § 3 UWG-E, GRUR 2004, 94;
Heinemann, Kartellrecht und Informationstechnologie, CR 2005, 715; ders., Internet-Plattformen und Kartellrecht, in:
Büllesbach/Dreier (Hrsg.), Konvergenz in Medien und Recht – Konfliktpotential und Konfliktlösung, 2002, S. 79 ff.;
Hoeren, Keine wettbewerbsrechtlichen Bedenken mehr gegen Hyperlinks?- Anmerkung zum BGH-Urteil „Paperboy“,
GRUR 2004, 1; ders., Werbung im WWW – aus der Sicht des neuen UWG, MMR 2004, 643; Hoß, Web-Impressum und
Wettbewerbsrecht - Eine kritische Auseinandersetzung mit der ersten Rechtsprechung zu § 6 TDG, CR 2003, 687; Kahlert,
Unlautere Werbung mit Selbstverpflichtungen. Wettbewerbsrechtliche Probleme der Werbung mit Datenschutz im Internet,
DuD 2003, 412; Kaufmann, Metatagging – Markenrecht oder reformiertes UWG?, MMR 2005, 348; Khorrami, PolitSpam? Zur rechtlichen Zulässigkeit politischer E-Mail/E-Card- Werbung, K&R 2005, 161; Kitz, Meine E-Mails les ich
nicht!, CR 2005, 450; Köhler, UWG – Reform und Verbraucherschutz, GRUR 2003, 265; Körber, Meilenstein oder Pyrrhussieg? Zur Entscheidung Microsoft/Kommission des EuG, K & R 2005, 193; Lange, Steht das Powershopping in
Deutschland vor dem Aus?, WRP 2001, S. 888; Kaufmann, Metatagging - Markenrecht oder reformiertes UWG?, MMR
2005, 348; Leible/Sosnitza, Sniper- Software und Wettbewerbsrecht- Zur vertrags- und lauterkeitsrechtlichen Beurteilung
automatisierter Gebote bei Internet-Auktionen, CR 2003, 344; Leistner/Pothmann, E-Mail-Direktmarketing im neuen
europäischen Recht und in der UWG-Reform, WRP 2003, 815; Lettl, Rechtsfragen des Direktmarketings per Telefon und
e- mail, GRUR 2000, S. 978; ders., Das neue UWG, München 2004; Leupold/Bräutigam/Pfeiffer, Von der Werbung zur
kommerziellen Kommunikation: Die Vermarktung von Waren und Dienstleistungen im Internet, WRP 2000, S. 575; Lorz,
Internetwerbung für verschreibungspflichtige Medikamente aus gemeinschaftsrechtlicher Perspektive, GRUR Int. 2005,
894; Mayer/Möller, Bekämpfung von Spam mit den Mitteln des Telekommunikationsrechts durch die Reg TP, K&R 2005,
251; Menke, Community Shopping und Wettbewerbsrecht, WRP 2000, S. 337;
Nordemann, Wettbewerbs-
recht/Markenrecht, 10. Aufl., Baden-Baden 2004Peschel-Mehner, Bedeutung des Wettbewerbsrechts für das Internet, in:
Schwarz (Loseblattsammlung), Recht im Internet, Teil 5-2.1; Rössel, Der Wettlauf um Suchmaschinen- Wettbewerbswidrige Einflussnahme auf Trefferlisten, CR 2003, 349; Schafft, „Reverse Auctions“ im Internet, CR 2001, S. 393; Schrick,
Direktmarketing mittels E-Mail und seine Entwicklung, MMR 2000, S. 399; Spindler/Schmittmann, Unerwünschte E-MailWerbung, MMR Beilage 8/2001, S. 10; Spindler/Wiebe, Internet-Auktionen, München 2001; Stadler, Schutz vor Spam
durch Greylisting, DuD 2005, 344; Steinbeck, Umgekehrte Versteigerungen und Lauterkeitsrecht, K&R 2003, 344; Stoffmehl, Powershopping und Customer- driven Pricing als Marketing- und Vertriebsform im Internet, MMR Beilage 8/2001,
S. 35; Thyri, Immaterialgüterrechte und Zugang zur wesentlichen Einrichtung, WuW 2005, 388; v. Wallwitz, Kartellrechtliche Wirkungen auf das Internet, in: Schwarz (Hrsg.), Recht im Internet (Loseblattsammlung), Kap. 5-4.1; Ziem, Spamming
– Zulässigkeit nach § 1 UWG, Fernabsatzrichtlinie und E- Commerce- Richtlinienentwurf, MMR 2000, S. 129.
Neben seiner Funktion als Kommunikationsmittel dient das Internet zunehmend als virtueller
Marktplatz. Sofern das Medium Internet zu kommerziellen Zwecken eingesetzt wird, sind die
Vorschriften des Wettbewerbsrechts zu beachten.
Das Wettbewerbsrecht hat im Wesentlichen zwei Funktionen. Zum einen ist der freie Wettbewerb in seinem Bestand zu sichern, damit das Marktgeschehen durch den Wettbewerb gesteuert werden kann.567 Zur Erhaltung eines funktionsfähigen Wettbewerbs muss verhindert
werden, dass der Markt durch Monopole vermachtet wird.568 Diese Rolle übernimmt das
Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellrecht).569 Die wesentlichen Vorschriften
des Kartellrechts finden sich im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB).
567
Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., Allg., Rn. 76.
Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., Allg., Rn. 76.
569 Siehe hierzu unten unter B.
568
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Zum anderen soll das Wettbewerbsrecht solche Wettbewerbshandlungen verhindern, die unlauter sind und somit die Freiheit anderer Markteilnehmer beeinträchtigen. Diese Funktion
übernimmt das „klassische“ allgemeine Wettbewerbsrecht oder auch Lauterkeitsrecht, dessen
grundlegende Normen sich im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) finden. Nach
einer bündigen Formel schützt damit das UWG die Lauterkeit im Wettbewerb, das GWB die
Freiheit des Wettbewerbs.570
A. Lauterkeitsrecht
Hatte es auch zu Anfang der kommerziellen Nutzung des Internets für eine kurze Zeit den
Anschein, als seien Aktivitäten im Internet nicht oder zumindest nur in geringem Maß einer
Kontrolle durch das Recht unterworfen, ist die „Goldgräberstimmung nach WildwestManier“571 längst der nüchternen Einsicht gewichen: Wer im Internet Geschäfte machen will,
der muss die strengen Regeln des deutschen Wettbewerbsrecht beachten. Sind dessen Regeln
auch nicht immer eins-zu-eins auf Vorgänge der virtuellen Märkte im Internet zu übertragen,
so hat das Wettbewerbsrecht doch in Bezug auf das Internet ein beachtliches Maß an Anpassungsfähigkeit bewiesen. Diese Flexibilität mag auch durch die starken Liberalisierungstendenzen im Wettbewerbsrecht, die lauterkeitsrechtlich einen vorläufigen Abschluss in der großen UWG-Reform von 2004 fanden, erleichtert worden sein.572 Bezüglich der lauterkeitsrechtlichen Lösungsansätze zu den neuen Problemen des E- Commerce wird inzwischen eine
weitgehende Konsolidierung verzeichnet: Es besteht nun ein gewisses „Raster von Entscheidungen“, dass den Weg auch für die Behandlung künftiger Konfliktfälle weisen kann.573
Kern des deutschen Wettbewerbsrechts bildet das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
(UWG). Das UWG soll zum einen die Wettbewerber untereinander vor unlauteren Praktiken
schützen, dient darüber hinaus aber auch dem Schutz der übrigen Markteilnehmern, insbesondere der Verbraucher.574 Das UWG hat mit der am 08.07.2004 in Kraft getretenen Reform
einige umwälzende Änderungen erfahren.575 Vorher stand im Mittelpunkt des Lauterkeitsrechts die „große“ Generalklausel des § 1 UWG a.F., mit dem Verbot unlauterer Wettbe570
dazu Fezer, UWG, E Rn. 40 f.
Vgl. Peschel-Mehner, in: Schwarz, Recht im Internet, Teil 5-2.1, S. 3.
572 Dazu Bornkamm/Seichter, Das Internet im Spiegel des UWG, CR 2005, 753.
573 Bornkamm/Seichter, Das Internet im Spiegel des UWG, CR 2005, 747.
574 insoweit hat der Gesetzgeber mit der Reform des UWG im Jahre 2004 die bisherige Rechtslage nach der rechtsprechung normiert und den Schutz der Verbraucher neben dem der Mitbewerber und sonstigen Marktteilnehmer
mit in § 1 UWG n. F. aufgenommen, vgl. Baumbach/Hefermehl/Köhler, Wettbewerbsrecht, 23. Aufl. 2004, Einl.
UWG Rn. 2.17; zum Verbraucherschutz im Lauterkeitsrecht eingehend Fezer, UWG, E Rn. 97 ff.
575 BGBl I 2004, 1414.
571
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werbshandlungen, , daneben die „kleine“ Generalklausel des § 3 UWG a.F. mit dem Verbot
irreführender Angaben im Geschäftsverkehr. Neben den beiden Generalklauseln existierten
noch weitere wettbewerbsrechtlich relevante Vorschriften, etwa in § 7 UWG a.F., in der
Preisangabenverordnung (PAngVO) oder außerhalb des Wettbewerbsrecht, etwa die §§ 1004,
823 Abs. 1 BGB. Wichtige Regelungen enthielten auch die Regelungen des Rabattgesetzes
und der Zugabenverordnung, welche jedoch im Zuge der zunehmenden Internationalisierung
des Rechts abgeschafft worden sind.
Bevor einige durch das Internet ermöglichte Geschäftspraktiken in wettbewerbsrechtlicher
Hinsicht erläutert werden, soll zunächst einführend ein grober Überblick über das Lauterkeitsrecht, wie es sich nach der jüngsten Reform darstellt, gegeben werden.
1. Überblick über das neue UWG576
Das neue UWG beginnt in § 1 mit einer Schutzzweckbestimmung, in der die von der Rechtsprechung entwickelte Schutzzwecktrias (Mitbewerber, Verbraucher577 und Allgemeininteressen) normiert ist. In § 2 folgen einige wesentliche Begriffsbestimmungen wie z.B. „Wettbewerbshandlung“ (§ 2 Nr.1 UWG nF) , „Marktteilnehmer“ (§2 Nr. 2 UWG nF) oder „Mitbewerber“(§ 2 Nr. 3 UWG nF). Für den Verbraucherbegriff wird auf §§ 13 f des BGB verwiesen, § 2 Abs. 2 UWG nF. Das „Kernstück“ des Lauterkeitsrechts, früher die sog. Große Generalklausel (§ 1 UWG aF) bleibt in § 3 UWG erhalten. Hier ist die Unzulässigkeit unlauteren
(früher: sittenwidrigen) Wettbewerbsverhaltens festgelegt.578 Ergänzt und erläutert wird die
Generalklausel durch die §§ 4 bis 7 UWG nF, in denen vor allem gefestigte Fallgruppen aus
der Rechtsprechung als nicht abschließender Beispielskatalog normiert sind. § 4 UWG regelt
nun die wichtigsten Fallgruppen zu § 1 UWG aF, wie Kundenfang, §4 Nr. 1 UWG nF, Ausbeutung, § 4 Nr. 9 UWG nF, Behinderung, § 4 Nr. 10 UWG nF, und Rechtsbruch, § 4 Nr. 11
UWG nF. Die Fallgruppe der Marktstörung leitet sich nach wie vor aus der Generalklausel,
nun also § 3 UWG, ab.579 Die wichtigste Rechtsprechung zur früheren sog. Kleinen Generalklausel in § 3 UWG aF (Irreführung) ist nun in § 5 UWG nF zusammengefasst und erweitert
um die insbesondere auf einige bekannte Großdiscounter zugeschnittenen Regelungen zu sog.
„Mondpreisen“, § 5 Abs. 2 Nr. 4 UWG nF und zu Lockvogelangeboten, § 5 Abs. 2 Nr.5
576
S. die Darstellung bei Lettl, Das neue UWG, Rn. 5 ff.
Für Frauenbewegte interessant dürfte sein, dass der Gesetzgeber nach dem Wortlaut der Schutzzweckklausel
(Schutz der „Mitbewerber, der Verbraucherinnen und der Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer“)
Frauen als relevant offenbar nur auf Verbraucherseite ansieht, vgl. § 1 UWG nF.
578 Vgl. Lettl, Das neue UWG, Rn. 7.
579 Baumbach/Hefermehl/Köhler, § 4 Rn. 10.2.
577
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UWG nF. § 6 und § 7 UWG nF konkretisieren die Unlauterkeit der vergleichenden und der
belästigenden Werbung.
Die Rechtsfolgen des Lauterkeitsrechts und die jeweiligen Aktivlegitimierten sind nun systematisch kompakt in §§ 8 ff UWG nF verortet. § 8 regelt den Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch, § 9 UWG den Schadensersatzanspruch. Als novum nicht nur im Wettbewerbssondern auch allgemein im Zivilrecht wurde mit § 10 UWG nF ein Gewinnabschöpfungsanspruch eingeführt. In Fällen vorsätzlicher Unlauterkeitshandlungen (und weiterer besonderer
Voraussetzungen) können damit bestimmte Verbände eine Herausgabe des aus dieser Handlung erwirtschafteten Gewinns an den Bundeshaushalt verlangen. Der Anspruch sui generis
ist rechtspolitisch und in Bezug auf sein tatsächliches Anwendungspotential die umstrittenste
Norm der UWG-Reform.580
In §§ 16 ff. UWG nF sind schließlich die Strafvorschriften normiert.
2. Die neue Generalklausel: § 3 UWG nF
Die neue Kernvorschrift des Lauterkeitsrechts ist § 3 UWG. Nach ihr sind unlautere Wettbewerbshandlungen unzulässig, die geeignet sind, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher oder der sonstigen Marktteilnehmer nicht unerheblich zu beeinträchtigen. Auch im neuen UWG dreht sich damit alles um eine Generalklausel anstatt abschließender Einzelvorschriften. Damit können auch neue Formen des Wettbewerbs subsumiert und
den sich wandelnden Wertemaßstäben in der Gesellschaft besser Rechnung getragen werden.581 Auch die Kataloge der §§ 4 bis 7 UWG nF sind lediglich die Generalklausel konkretisierende Beispielsfallgruppen. Sie sorgen bei aller „Offenheit“ der Generalklausel für Transparenz und eine gewisse Rechtssicherheit.582 Unter das Verbot des § 3 UWG nF fällt eine
Handlung unter den folgenden Voraussetzungen:
a. Die Wettbewerbshandlung
Nachdem im alten UWG Anwendungsvoraussetzung eine „Handlung im geschäftlichen Verkehr und zum Zwecke des Wettbewerbs“ war, vgl. § 1 UWG aF, ist an ihre Stelle (wenn auch
im Inhalt nicht vollständig deckungsgleich583) nun das Tatbestandsmerkmal der „Wettbewerbshandlung“ getreten, das in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG nF legaldefiniert wird als „jede Handlung einer Person mit dem Ziel, zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens den
580
s. die ausführliche Darstellung bei Fezer/von Braunmühl, UWG, § 10 Rn 99 ff.
Begr RegE, BT-Drucks. 15/1487, S. 16.
582 Vgl. Begr RegE, BT-Drucks. 15/1487, S. 17 (zu § 4).
583 Baumbach/Hefermehl/Köhler, Wettbewerbsrecht, §. 2 Rn. 4.
581
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Absatz oder den Bezug von Waren oder die Erbringung oder den Bezug von Dienstleistungen,
einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen zu fördern“. Zusammengefasst wurde dies von einem der ersten Kommentatoren zum neuen UWG in der Formel
„marktbezogene geschäftliche Tätigkeit zu Absatz- oder Bezugsförderungszwecken“584.
aa. Unternehmens- und marktbezogene Handlung
Unter das weite Merkmal der Wettbewerbshandlung fallen Verhaltensweisen aller Art, bei
Vorliegen einer Handlungspflicht auch Unterlassen. Das UWG gilt für von einem natürlichen
Erklärungswillen getragene tatsächliche Verhaltensweisen, Äußerungen, rechtliche Erklärungen.585 Der Unternehmensbezug in Verbindung mit dem „Marktbezug“586 der Handlung ist an
die Stelle des Merkmals des Handelns im geschäftlichen Verkehr getreten.587 Damit wird das
Lauterkeitsrecht vom allgemeinen Deliktsrecht abgegrenzt:
Nicht jede unternehmerische
Handlung, sondern nur die mit Marktbezug ist nach den Maßstäben des Lauterkeitsrechts zu
beurteilen.588 Beim Begriff des Unternehmens kommt es auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise an, abzustellen ist also nicht auf die Rechtsform, sondern auf eine tatsächliche
Stellung im Wettbewerb. Erforderlich ist daher eine auf Dauer angelegte, selbständige wirtschaftliche Betätigung, die darauf gerichtet ist, Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt zu
vertreiben.589 Auch alle einem Geschäftszweck dienenden freiberuflichen Tätigkeiten wie die
der Architekten, Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater, oder Wirtschaftsprüfer werden erfasst.590 Auf Dauer angelegt ist die Tätigkeit dann, wenn sie nicht bloß gelegentlich erfolgt.
Werden zum Beispiel bei eBay zahlreiche gleichartige Waren in kurzen zeitlichen Abständen
ge- und verkauft, so ist damit die private Sphäre verlassen.591 Ebenso, wenn mehrere Domain-Namen erworben werden in der Absicht, sie an Interessenten gegen Entgelt ab-
584
Harte/Henning/Keller, § 2 Rn. 9.
vgl. Baumbach/Hefermehl/Köhler, Wettbewerbsrecht, § 2 Rn. 5; Lettl, Das neue UWG, Rn. 74; Fezer, UWG, § 2
Rn. 17.
586 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 15/1487, S. 16; dazu Harte/Henning/Keller, § 2 Rn. 11 ff.
587 aA Fezer, der gar ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers befürchtet und das Merkmal des Handelns im geschäftlichen Verkehr als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal beibehalten möchte, vgl. Fezer, UWG, § 2 Rn 16.
588 S. auch begr. RegE, BT-Drucks. 15/1487, S. 16.
589 BGH GRUR 1995, 697, 699 – Funny Paper; s. im Einzelnen Baumbach/Hefermehl/Köhler, Wettbewerbsrecht, § 2
Rn. 8.
590 Baumbach/Hefermehl/Köhler, § 2 Rn. 10.
591 Baumbach/Hefermehl/Köhler, § 2 Rn 8 mit Bezug auf LG Berlin GRUR-RR 2004, 16, 17.
585
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zugeben.592 Für ein marktbezogenes geschäftliches Verhalten von Kaufleuten und wirtschaftlichen Interessenverbänden gilt eine widerlegbare Vermutung.593
bb. Handlung zu Absatzförderungszwecken
Ziel der Handlungen muss die Förderung des Absatzes oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen sein. Beide Begriffe sind dabei im Interesse eines wirksamen Wettbewerbsschutzes
weit zu verstehen; Waren sind damit neben beweglichen auch unbewegliche Sachen, daneben
Rechte und Verpflichtungen jeglicher Art. Insbesondere auch erfasst sind Energieverträge,
gewerbliche Schutzrechte, Nutzungsrechte, vermögenswerte Immaterialgüter wie Know-How
oder Werbeideen, die (noch) keine eigenen Rechte darstellen, sowie Domain-Namen.594
Dienstleistungen dagegen sind alle geldwerten unkörperlichen Leistungen.595
Die Handlung muss außerdem objektiv dazu geeignet sein, den Wettbewerb zugunsten des
eigenen oder eines fremden Unternehmens zu fördern. Während nach früherem Recht aus
dem Wortlaut „zu Zwecken des Wettbewerbs“ in §§ 1 und 3 aF eine Wechselbeziehung zwischen den Vorteilen, die der Handelnde erzielen will und den Nachteilen, die ein anderer dadurch erleidet, vorausgesetzt wurde,596 also ein konkretes Wettbewerbsverhältnis bestehen
musste, ist diese Erfordernis nunmehr weggefallen.597 Der Gesetzgeber wollte das Lauterkeitsrecht damit bewusst auch gegenüber Monopolunternehmen, die keinem Wettbewerb ausgesetzt sind, zur Anwendung bringen.598 Sinnvoll ist das insbesondere in den Bereichen, in
denen sich die Unlauterkeit schwerpunktmäßig im Vertikalverhältnis, also vor allem gegenüber Verbrauchern und anderen Abnehmern, auswirkt. Hier schlägt sich der Funktionswandel des Lauterkeitsrechts von einem Recht des Konkurrentenschutzes zu einem Recht, das
auch die Interessen der Verbraucher und der Allgemeinheit schützt, nieder.599 Davon unabhängig ist dann immer noch die Frage nach der Aktivlegitimation im Klagefall zu behandeln,
die im Regelfall ein konkretes Wettbewerbsverhältnis voraussetzt, immer dann nämlich, wenn
Anspruchsberechtigter der „Mitbewerber“ im Sinne des § 2 Nr. 3 UWG ist, vgl. den Unterlas-
592
Baumbach/Hefermehl/Köhler, § 2 Rn 8.
Harte/Henning/Keller, § 2 Rn 29.
594 Baumbach/Hefermehl/Köhler, § 2 Rn 18.
595 S. dazu eingehend Fezer, UWG, § 2 Rn. 64 ff; Baumbach/Hefermehl/Köhler, § 2 Rn. 18 ff.
596 eingehend Fezer, UWG, § 2 Rn. 10 ff; Baumbach/Hefermehl/Köhler, § 2 Rn. 48.
597 Fezer, UWG, § 2 Rn. 10 ff; Baumbach/Hefermehl/Köhler, § 2 Rn. 48; Harte/Henning/Keller, § 2 Rn 32.
598 S. die Begr. RegE, BT-Drucks. 15/1487, S. 16.
599 Eingehend Fezer, UWG, § 2 Rn 12; Baumbach/Hefermehl/Köhler, § 2 Rn 48; allerdings war das Erfordernis des
konkreten Wettbewerbsverhältnisses in der Rechtspraxis schon sehr weit ausgedehnt worden, vgl. Fezer, UWG, § 2
Rn 11 mwN.
593
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sungsanspruch aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 und den Schadensersatzanspruch aus § 9 S. 1
UWG nF. 600
b. Unlauterkeit
Die Ersetzung des Merkmals der Sittenwidrigkeit durch das der Unlauterkeit ist ein reiner
Wechsel in der Terminologie und mit keinen inhaltlichen Änderung verbunden.601 Als Tatbestandsmerkmal ist die Unlauterkeit im UWG nicht legaldefiniert; der Gesetzgeber versteht
laut Begründung als unlauter solche Handlungen, die „den anständigen Gepflogenheiten in
Handel, Gewerbe, Handwerk oder selbständiger beruflicher Tätigkeit zuwiderlaufen“602. Die
Beispiele aus §§ 4 bis 7 UWG dienen hier zur Konkretisierung; sie geben typische Erscheinungsformen unlauteren Handelns wieder und sind daher nicht als abschließend anzusehen. In
allen sonstigen Fällen kommt § 3 UWG nF nur eine Auffangfunktion zu.603 Da mit der Reform die meisten Fallgruppen aus dem umfangreichen lauterkeitsrechtlichen „Case Law“ der
Rechtsprechung normiert wurden, sind allerdings derzeit nicht allzu viele Konstellationen
denkbar, für die auf § 3 UWG nF zurückgegriffen werden müsste.604 In Betracht kommen hier
die nicht normierte Fallgruppe der allgemeinen Marktstörung605, bestimmte unlautere Verhaltensweisen der öffentlichen Hand606 sowie vor allem neuartige Wettbewerbshandlungen, für
die sich aus den Beispielstatbeständen keine Bewertungskriterien ableiten lassen.607
c. Eignung zur nicht nur unerheblichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs zum Nachteil der Mitbewerber, Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer
600
Für diese Differenzierung schon früher Baumbach/Hefermehl, 22. Aufl, Einl. Rn 247; s. auch Fezer, UWG, § 2
Rn 11.
601 Baumbach/Hefermehl/Köhler, § 3 Rn 3.
602 Begr RegE, BT- Drucks. 15/1487, S. 16; eingehend zur Unlauterkeit als Rechtsbegriff Fezer, UWG, § 3 Rn 76.
603 Baumbach/Hefermehl/Köhler, § 3 Rn 7.
604 Vgl. Lettl, Das neue UWG, Rn. 137.
605 Unter die Fallgruppe der Marktstörung werden Handlungen gefasst, die den Wettbewerb als Institution gefährden. Wie bereits erwähnt, schützt das UWG neben den Interessen der Wettbewerber auch die der übrigen Marktteilnehmer sowie der Allgemeinheit an der Erhaltung eines funktionsfähigen Wettbewerbs. Wird dieser als solcher durch
unlautere Handlungen gestört, so kann die entsprechende Handlung gegen § 3 UWG verstoßen. § 3 UWG ist insofern grundsätzlich gleichberechtigt neben den Vorschriften des GWB anwendbar. Beispielsfälle für Verstöße gegen
§ 1 UWG unter dem Gesichtpunkt der Marktstörung sind etwa die massenweise Verschenkung von Originalwaresowie die längerfristige Gratislieferung von Presseerzeugnissen, s. dazu Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht,
22. Aufl., § 1 UWG, Rn. 856 ff, 859 ff.
606
607
Lettl, Das neue UWG, Rn 137; dazu im Einzelnen Baumbach/Hefermehl/Köhler, § 4 Rn 13.30 ff.
Lettl, Das neue UWG, Rn 137.
130
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Die Wettbewerbshandlung muss aber weiterhin nicht nur unlauter, sondern auch geeignet
sein, den Wettbewerb zum Nachteil einer der in der Schutzzweckklausel genannten Gruppen
der Mitbewerber, Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer nicht nur unerheblich zu
beeinträchtigen. Diese Erheblichkeitsklausel hat ihren Vorläufer in dem Merkmal der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung aus § 13 Abs. 2 UWG aF, damals auf der Ebene der Sachbefugnis. Inhaltlich sollen sich hierdurch keine Änderungen ergeben608, vielmehr wird die Wesentlichkeitsprüfung nun schon auf Tatbestandsebene von § 3 sowie der auf ihn verweisenden
§§ 4 bis 7 UWG vorgenommen und damit v.a. die Verfolgung von Bagatellfällen vermieden609: Als materielle Anspruchsvoraussetzung müssen die Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle und die Geeignetheit, den Wettbewerb zu beeinträchtigen, vom Anspruchsteller
dargelegt und bewiesen werden.610 Die Beurteilung dieser Sachverhalte erfordert dann immer
eine Wertung der Gesamtsituation. Im Hinblick auf die Interessen der Mitbewerber (sog. Horizontalverhältnis) ist zu prüfen, ob ihre Marktchancen durch das unlautere Verhalten „spürbar beeinträchtigt“ sind, oder ob im Gegenteil nur ein geringfügiger Wettbewerbsvorteil611 zu
verzeichnen ist. Bezüglich der Verbraucherinteressen und der Interessen der sonstigen Marktteilnehmer, die alle in einem Vertikalverhältnis zum unlauter Handelnden stehen, kommt es
darauf an, ob ihre durch das UWG geschützten Rechtsgüter wie Entscheidungsfreiheit, Gesundheit, allgemeines Persönlichkeitsrecht, Eigentum, Besitz, Vermögen „spürbar beeinträchtigt“ sind.612
d. Subjektive Anforderungen
Auf subjektiver Seite muss der unlauter Handelnde grundsätzlich lediglich in Kenntnis der
objektiven Tatumstände gehandelt haben.613 Auf ein Verschulden kommt es nur im Rahmen
des Schadensersatzanspruchs aus § 9 UWG bzw. der Gewinnabschöpfung nach § 10 UWG
an, wobei letztere allerdings sogar einen vorsätzlichen Verstoß gegen § 3 UWG erfordert.
608
Lettl, Das neue UWG, Rn 139 mit Hinweis auf Heermann, GRUR 2004, 94, 95.
Begr RegE, BT- Drucks. 15/1487, S. 17.
610 Baumbach/Hefermehl/Köhler, § 3 Rn 50.
611 Vgl. BGH WRP 2001, 1301, 1304 – Fernflugpreise.
612 S. Baumbach/Hefermehl/Köhler, § 3 Rn 54; vgl. auch Fezer, UWG, § 3 Rn 37 ff; Lettl, Das neue UWG, Rn 147.
613Baumbach/Hefermehl/Köhler, § 3 Rn 41; Lettl, das neue UWG, Rn 152; ausnahmsweise sind höhere Anforderungen gestellt, wie zB bei der Verdrängungsabsicht in § 4 Nr. 10 UWG nF.
609
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3. Einzelne Fallgruppen
a. Kundenfang
Die wichtigste Fallgruppe des § 1 UWG aF war der unzulässige Kundenfang bzw. die unlautere Beeinflussung des Kunden. Zwar gehört die Beeinflussung von Kunden zum Vorteil des
Werbenden zum Wesen des Wettbewerbs und ist daher grundsätzlich zulässig; wettbewerbswidrig ist es jedoch, den Kunden mit Mitteln zu beeinflussen, die darauf gerichtet sind, seine
freie Willensentschließung zu beeinträchtigen oder gar auszuschließen.614 Unzulässig kann es
so etwa sein, den Kunden durch Irreführung, Ausübung von Zwang, Belästigung durch Anreißen, durch Verlockung mit besonderen Vorteilen oder mit sogenannten aleatorischen
Reizmitteln (solche, die auf den Spieltrieb des Kunden zielen) oder durch die Ausnutzung
seiner Gefühle zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen.615 Zu all diesen Untergruppen
gab und gibt es eine umfangreiche Rechtsprechung.616 Sie sind inzwischen alle von den Beispielsregelungen der §§ 4,5, und 7 UWG nF erfasst. Das Verbot der irreführenden Werbung
ist in § 5 (immer in Verbindung mit § 3) UWG nF normiert; Fälle, in denen die Entscheidungsfreiheit der Marktgegenseite durch Ausübung von Druck und sonstige unangemessene
Einflussnahme beeinträchtigt wird, regelt § 4 Nr. 1 iVm § 3 UWG nF. Das Thema der Ausnutzung aleatorischer Reize berühren die Vorschriften aus § 4 Nr. 2, 4, 5, 6 iVm § 3 UWG nF,
und die Ausnutzung von Angst, Leichtgläubigkeit oder Unerfahrenheit durch Wettbewerbshandlungen ist unlauter nach §§ 4 Nr. 2, 3 UWG nF.
In Bezug auf das Internet kommt es häufig gerade zu irreführenden Praktiken, beispielsweise
dadurch, dass Werbung getarnt wird, im Rahmen des sog. Framings eine Herkunftstäuschung
herbeigeführt wird617 oder es der Website an Transparenz bezüglich eines Angebots mangelt.
Eine wettbewerbswidrige Ausnutzung des Spieltriebs wird von der Rechtsprechung beispielsweise in bestimmten Formen des Powershoppings oder den sogenannten „reverse auctions“ gesehen.618
Auch die Belästigung durch Werbung ist ein besonderes Phänomen des Internets. Insbesondere der unerbetene Versand von E-Mails („Spamming“) mit werbendem Inhalt war ein klas-
614
Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., § 1 UWG, Rn. 4; Nordemann, Wettbewerbsrecht/Markenrecht,
Rn 201.
615 Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., § 1 UWG, Rn. 4.
616 Vgl. im Einzelnen: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, § 1 UWG, 22. Aufl., Rn. 4 ff.
617 dazu Bornkamm/Seichert, Das Internet im Spiegel des UWG, CR 2005. 747, 751 und unten 5.A.bb.
618 Siehe hierzu unten unter VI. A. 4. b. bb und cc.
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sischer Fall von § 1 UWG aF.619 Nach § 7 Abs. 1 UWG nF sind nun ausdrücklich solche
Handlungen als unlauter i.S.d. § 3 UWG nF anzusehen, durch die ein Marktteilnehmer in unzumutbarer Weise belästigt wird. Fallgruppen unzumutbarer Belästigungen durch Wettbewerbshandlungen sind in § 7 UWG Abs. 2 nF aufgezählt. Die Unlauterkeit des „Spamming“
620
hat hier neben der der Telefon- und Faxwerbung (vgl. § 7 Abs. 1, 2 Nr. 2 und 3 iVm § 3
UWG) Niederschlag ins Gesetz gefunden: Nach § 7 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 iVm § 3 UWG nF ist
eine unzumutbare und damit unlautere Belästigung insbesondere dann anzunehmen, wenn
„bei einer Werbung mit elektronischen Nachrichten, bei der die Identität des Absenders, in
dessen Auftrag die Nachricht übermittelt wird, verschleiert oder verheimlicht wird oder bei
der keine gültige Adresse vorhanden ist, an die der Empfänger eine Aufforderung zur Einstellung solcher Nachrichten richten kann, ohne dass hierfür andere als die Übermittlungskosten
nach den Basistarifen entstehen“.
b. Behinderung
Eine zweite Fallgruppe des unzulässigen Wettbewerbsverhaltens nach § 1 UWG aF besteht in
der unlauteren Behinderung von Wettbewerbern.621 Sofern die Absatzchancen von Mitbewerbern durch die bessere Leistung eines Unternehmens beeinträchtigt werden, liegt darin selbstverständlich keine Behinderung im Sinne des Lauterkeitsrechts. Das ist gerade der Zweck des
Wettbewerbs. Eine wettbewerbswidrige Behinderung liegt erst dann vor, wenn ein Wettbewerber durch eine Handlung zu erreichen versucht, dass ein Konkurrent seine Leistung auf
dem Markt nicht oder nicht mehr rein zur Geltung bringen kann und infolgedessen die Marktpartner auf der Marktgegenseite einen echten, auf ihrem freien Willen beruhenden Leistungsvergleich nicht vornehmen können622 Eine solche Behinderung kann etwa durch ruinöse
Preisunterbietung, durch Boykott oder auch durch herabsetzende vergleichende Werbung erfolgen.623 Auch das Domain- Grabbing gehört in diese Fallgruppe, sofern im Wettbewerb
eine Domain blockiert wird, um einen Konkurrenten an dessen Nutzung zu hindern. Diese
Fallgruppe der gezielten Behinderung von Mitbewerbern ist nun in § 4 Nr. 10 UWG nF normiert.
c. Ausbeutung
Eine dritte Fallgruppe besteht in der wettbewerbswidrigen Übernahme fremder Leistungen.
Zwar gilt außerhalb der Gewerblichen Schutzrechte zum Zwecke des Fortschritts grundsätz619
Siehe hierzu unten unter VI. A. 4. a. aa.
Siehe dazu unten VI. A. 5. b. aa.
621 Vgl. im Einzelnen: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., § 1 UWG, Rn. 208 ff.
622 BGH, GRUR 1979, S. 321 (323).
623 Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., § 1 UWG, Rn. 208.
620
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lich Nachahmungsfreiheit, jedoch schützt ergänzend das UWG vor einem verwerflichen Ausnutzten fremder Leistung mit unlauteren Mitteln, um sich dadurch einen Vorsprung vor seinen
Mitbewerbern zu verschaffen (sog. ergänzender wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz).624
Unlauter kann die Übernahme einer fremden Leistung, zu deren Erstellung erheblicher Aufwand von Mühen und Kosten erforderlich war, beispielsweise sein, wenn diese unmittelbar
ohne eigenen Arbeitsaufwand übernommen wird. Auch eine sklavische Nachahmung eines
fremdes Produktes konnte die Unlauterkeit im Sinne von § 1 UWG begründen. Ferner fällt die
Rufausbeutung durch Nachahmung von Werbung, durch Nutzung fremder Kennzeichen oder
durch sonstige Täuschung über die betriebliche Herkunft einer Leistung unter diese Fallgruppe. Sie ist seit der Reform von 2004 in § 4 Nr. 9 UWG normiert.
Die Digitaltechnik und das Internet schaffen besonders einfache Möglichkeiten, fremde Leistungen ohne eigenen Aufwand zu übernehmen. Beispielsweise kann es den Tatbestand der
Unlauterkeit erfüllen, wenn fremde Inhalte über sogenannte Inline-Frames in ein eigenes Angebot übernommen werden625, oder wenn das „Look & Feel“ fremder Online-Angebote
nachgeahmt wird, um sich an den Ruf eines bekannten Anbieters anzulehnen.626 Auch MetaSuchmaschinen als „Pfad in der Dunkelheit des WWW“ 627 könnten mit der Übernahme von
Leistungen anderer Suchmaschinenbetreiber gegen das Verbot der Leistungsübernahme verstoßen. Dagegen ist höchstrichterlich geklärt, dass das Setzen eines Hyperlinks keine Übernahme einer fremden Leistung i.S.d. § 4 Nr. 9 UWG nF darstellt, da der Link lediglich den
Zugriff auf eine Seite und Inhalte ermöglicht, die de Berechtigte ohnehin schon der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.628 Gleiches gilt beim Verweis mittels sog. Deep-Links auf
unter der Startseite „tieferliegende“ Inhalte. Zwar ist der Betreiber der Zielseite insofern benachteiligt, als eventuell auf der Hauptseite liegende Werbung nicht mit angezeigt wird, andererseits muss, wer sich im Internet präsentiert, mit derartigen Verweisen rechnen.629 Ist der
Seiteninhaber mit einem Deep-Link überhaupt nicht einverstanden, muss er dies mit technischen Maßnahmen unterbinden.630
624
Vgl. im Einzelnen: Baumbach/Hefermehl, 22. Aufl., Wettbewerbsrecht, § 1 UWG, Rn. 438,ff.
Vgl. Schack, Urheberrechtliche Gestaltung von Webseiten unter Einsatz von Links und Frames, MMR 2001, S. 9
(16); Freitag, in: Kröger/Gimmy, Handbuch zum Internetrecht, S. 396.
626 Peschel-Mehner, in: Schwarz, Recht im Internet, Teil 5-2.1, S. 33.
627 So: Hoeren, Rechtliche Zulässigkeit von Meta-Suchmaschinen, MMR Beilage 8/2001, S. 2 (6 ff).
628 BGHZ 156, 1, 18 = CR 2003, 920 –Paperboy m. Anm. Nolte.
629 Bornkamm/Seichter, Das Internet im Spiegel des UWG, CR 2005, 747, 750 m.w.N; Hoeren, Keine wettbewerbsrechtlichen Bedenken mehr gegen Hyperlinks? - Anmerkung zum BGH-Urteil „Paperboy“,
GRUR 2004, 1,2
630 S. dazu Bornkamm/Seichter, Das Internet im Spiegel des UWG, CR 2005, 747, 750 m.w.N.
625
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d. Rechtsbruch
Eine besondere Fallgruppe des unlauteren Wettbewerbs stellt es dar, wenn sich Wettbewerber
einen Vorteil verschaffen, indem sie planmäßig gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen. Es
widerspricht dem Gedanken des Leistungswettbewerbs, wenn sich Wettbewerber dadurch
einen Vorsprung vor ihren Konkurrenten verschaffen, dass sie sich nicht an Vorschriften, oder
u.U. auch an vertragliche Verpflichtungen halten, an die ihre Konkurrenten sich in rechtstreuer Weise halten.631 Klassische Fälle sind die Entlohnung von Angestellten unter Tarif oder die
Missachtung steuerrechtlicher Vorschriften.632
In Bezug auf das Internet wurde die Fallgruppe des Rechtsbruchs in den letzten Jahren insbesondere durch die Nichtbeachtung standesrechtlicher Regelungen von Angehörigen der freien
Berufe relevant.633 Auch Verstöße gegen die Preisangaben-Verordnung gehören in diese Fallgruppe. Sie ist heute in § 4 Abs. 11 UWG nF gesetzlich geregelt.
e. Marktstörung
Die Fälle der allgemeinen Marktstörung wurden dagegen nicht im neuen UWG verankert und
sind daher nach wie vor über die Generalklausel, nun also § 3 UWG nF, zu behandeln.634
4. Das Schicksal der „kleinen“ Generalklausel, § 3 UWG aF
Als „kleine“ Generalklausel des Wettbewerbsrecht gewährte § 3 UWG einen Unterlassungsanspruch gegen alle Angaben geschäftlicher Art, die zu Werbezwecken im geschäftlichen
Verkehr gemacht werden und geeignet sind, bei einem nicht unerheblichen Teil des angesprochenen Publikums über das Angebot irrezuführen und so auf den Kaufentschluss einzuwirken.
Diese Wettbewerbswidrigkeit der objektiven Täuschung der Verbraucher über alle Arten geschäftlicher Angaben, sei es im Zusammenhang mit Eigenschaften des Produkts, des Preises
oder anderer relevanter Daten, beurteilt aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise,635 ist
nun in § 5 (i.V.m. § 3 ) UWG nF geregelt. Während der BGH in seiner Rechtsprechung zur
Irreführung früher traditionell ein Leitbild des flüchtigen, unkritischen und gar etwas naiven
Verbrauchers zugrunde legte, ging der EuGH in seiner Rechtsprechung von einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers aus, der
631
Vgl. Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., § 1 UWG, Rn. 608 ff.
Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., § 1 UWG, Rn. 608.
633 Siehe hierzu unten unter VI. A. 4. c.
634 s. dazu oben VI.A. 2 c; sowie Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., § 1 UWG, Rn. 856 ff, 859 ff.
635 vgl. Nordemann, Wettbewerbsrecht und Markenrecht, Rn 212.
632
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aufgrund ausreichender Information in der Lage sein muss, seine Entscheidung auf dem
Markt frei zu treffen.636 Im Anschluss daran hat der BGH in seiner Rechtsprechung im Hinblick auf die Wettbewerbsfreiheit im Binnenhandel zunehmend auch das Verbraucherleitbild des EuGH berücksichtigt und folgt ihm seit Ende 1999.637 Bei Internet-Sachverhalten ist
nach BGH folglich ebenfalls auf das Verständnis eines durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers abzustellen, der „der Werbung die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt“. Dabei ist nach BGH in Bezug auf das Internet in jeder Einzelfallentscheidung der Umstand, dass der interessierte Nutzer die benötigten Informationen
selbst nachfragen muss, bei der Bestimmung des Grades der Aufmerksamkeit zu berücksichtigen.638
Im Bezug auf das Internet ist beispielsweise die Verwendung irreführender Domains ein Fall
wettbewerblicher Unlauterkeit639, so etwa, wenn unter der Domain „lastminute.de“ auch Reisen vertrieben werden, die gar keine last- minute- Angebote darstellen.640 Irreführend als objektive Sachaussage über geschäftliche Verhältnisse ist auch die Angabe „Sorgenfrei ins Internet“, da sie vom angesprochenen Verkehrskreis so verstanden werden muss, dass der Werbende einen Internetanschluss anbietet, der die Gefahren des Internet weitgehend ausschließen
kann- soweit dies nicht tatsächlich durch den Anbieter bzw. die mitgelieferte Sicherheitssoftware gewährleistet werden kann.641 Über die Wettbewerbswidrigkeit der Verwendung fremder Marken oder Geschäftsbezeichnungen als meta-tags642, insbesondere auch das inhaltlich
sinnlose Aneinanderreihen von Suchbegriffen in meta-tags oder von word-stuffing643, die allesamt so verwendet werden, dass bei deren Eingabe in einer Suchmaschine auf das eigene
Angebot verwiesen wird,644 herrscht noch keine Einigkeit.645 Die Fälle der vergleichenden
636
Zuerst in der Mars- Entscheidung des EuGH vom 6.7.1995, WRP 1995, 677, 678, Erwägungsgrund 24; vgl. Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., Einl. UWG, Rn. 647; Nordemann, Wettbewerbsrecht/Markenrecht, Rn
217 m.w.N. aus der Rspr. des EuGH.
637 BGH GRUR 2000, 619 – Orient-Teppichmuster; s. auch Nordemann, Wettbewerbsrecht und Markenrecht, Rn
217.
638 BGH GRUR 2005, 438 – Epson-Tinte.
639 Boehme-Neßler, Rechtsprobleme der Internet-Werbung, ZUM 2001, S. 547 (550).
640 So: LG München Urt. v. 26.2.1998, K&R, 1998, S. 362f.
641 OLG Hamburg, MMR 2005, 119; vgl. dagegen zur Werbeaussage „führender Internet-Provider Europas“ OLG
Hamburg CR 2005, 521.
642 Meta-tags sind bestimmte Schlüsselworte im Quelltext einer Website, die von Suchmaschinen erkannt werden.
643 Als „word-stuffing“ wird es bezeichnet, wenn im Text einer Website bestimmte Wörter so platziert werden, dass
sie zwar von Suchmaschinen, nicht jedoch vom Betrachter der Website wahrgenommen werden können (etwa indem
sie in der Farbe des Hintergrunds dargestellt werden).
644 Vgl. aber noch Härting, Internetrecht, Rn. 141.
645 S. dazu im Anschluss VI 5. a. aa.
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Werbung waren nach deutscher Systematik als unlautere Werbung i.S. von § 1 UWG behandelt worden. Die europäische Irreführungsrichtlinie646 sieht in der vergleichenden Werbung
eher ein Problem der Irreführung von Verbrauchern.647 Mit der UWG-Reform wurde die vergleichende Werbung als eigener Themenkomplex in § 6 nF ins Gesetz aufgenommen. Unter
den besonderen Voraussetzungen des Ab. 2 Nr. 1 bis 6 (alternativ) ist auch sie unlauter im
Sinne des § 3 UWG nF.
5. Spezifische Anwendungsfälle des Lauterkeitsrechts im Internet
Die Anwendungsgebiete des Wettbewerbsrechts im Internet sind mannigfaltig. Im Folgenden
sollen exemplarisch einige in den letzten Jahren hervorgetretene Fälle angesprochen werden.
Es handelt sich dabei im Wesentlichen um Probleme der Werbung, internetspezifischer Vertriebsmethoden (z.B. Powershopping) sowie um die Beachtung standesrechtlicher Vorschriften für freie Berufe.
a. Gestaltung des Internetauftritts
Eine der Besonderheiten des Internets in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht ist die grundsätzlich
passive648 Darstellungsart der Präsentation von Produkten und Inhalten: Der interessierte Nutzer muss von sich aus die entsprechenden Informationen durch Anklicken oder Eingabe abrufen. Entsprechend wird um die Aufmerksamkeit des Nutzers mit allen, hin und wieder auch
unlauteren Mitteln gebuhlt. Über die Wettbewerbswidrigkeit einiger solcher „Tricks“
herrscht im Einzelnen allerdings noch Uneinigkeit.
Insgesamt hat der BGH festgestellt, dass bei der Beurteilung eines werbenden Auftritts im
Internet in Bezug auf eventuelle Irreführung wie auch sonst auf das Verständnis eines durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers, der dieser Werbung die der Situation
angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt, abzustellen ist. Ob sich dann mehrerer Angaben auf einem Internetauftritt vom angesprochenen Verkehrskreis als für den maßgeblichen
646
Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 6.10.1997, ABl. Nr. L 2908 vom
23.10.1997, S. 18 ff.
647
Vgl. Körner/Lehment in: Hoeren/Sieber, Handbuch Multimediarecht, Kap. 11.1 Rn. 127 ff Vgl. zur vergleichenden
Werbung auch die neu eingeführten § 2 UWG und § 3 Satz 2 UWG.
648 BVerfG GRUR 2003, 966 f.
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Gesamteindruck zusammengehörig verstehen lassen, richtet sich dann nach der Beurteilung
im Einzelfall.649
aa. Metatags
Das bekannteste Problem dürfte dabei das sog. Meta-Tagging sein, die manipulative Verwendung allgemeiner Begriffe sowie fremder Marken oder Geschäftsbezeichnungen als MetaTags650, insbesondere auch das inhaltlich sinnlose Aneinanderreihen von Suchbegriffen in
Meta-Tags oder von word-stuffing651, die allesamt so verwendet werden, dass bei deren Eingabe in einer Suchmaschine auf das eigene Angebot verwiesen wird. Während teilweise
mangels kennzeichenmäßiger Benutzung eine markenrechtliche Relevanz verneint wurde652,
und auch eine wettbewerbsrechtliche Unzulässigkeit abgelehnt wurde mit dem Argument,
dass dem durchschnittlichen Benutzer die Existenz von Meta-Tags bekannt sei und niemand
bei der Eingabe eines Suchbegriffs in Suchmaschinen damit rechne, in der Trefferliste nur
Homepages des Markeninhabers angezeigt zu bekommen,653 hat sich wohl der BGH – wenn
auch im Rahmen eines Versäumnisurteils- der Rechtsprechung angeschlossen, die eine Verletzung von Markenrecht durch fremde Markenbezeichnungen in Meta-Tags gesehen hatte.654
und Zumindest soweit überhaupt kein inhaltlicher Zusammenhang zwischen dem Markennamen und dem betreffenden Internet-Auftritt bestehen, vermochte die Gegenargumentation
auch nur eingeschränkt zu überzeugen.655 Ein erstinstanzliches Urteil, in dem das LG Essen
das Auflisten vieler hundert Meta-Tags ohne jeden inhaltlichen Zusammenhang zu einer Internetseite als unlautere Manipulation von Suchmaschinen bewertete,656 ist inzwischen aufgehoben: In der mündlichen Verhandlung vor der Berufungsinstanz ließen die Richter erkennen,
dass sie das Handeln der Beklagten zwar durchaus für kritikwürdig hielten, die Schwelle zur
649
BGH GRUR 2005, 438 – Epson-Tinte.
Meta-Tags sind bestimmte Schlüsselworte im Quelltext einer Website, die von Suchmaschinen erkannt werden.
651 Als „word-stuffing“ wird es bezeichnet, wenn im Text einer Website bestimmte Wörter so platziert werden, dass
sie zwar von Suchmaschinen, nicht jedoch vom Betrachter der Website wahrgenommen werden können (etwa indem
sie in der Farbe des Hintergrunds dargestellt werden).
652 so auch Kaufmann, MMR 2005, 348.
653 s. Bericht unter http://www.bonnanwalt.de/entscheidungen/OLG-Duesseldorf20U104-03.html.
654 BGH, Urt. v. 18.05.2006, Az. I ZR 183/03; vgl. aber OLG Düsseldorf, CR 2006, 695; davor OLG Düsseldorf
MMR 2003, 407; OLG Hamburg, MMR 2005, 186 – AIDOL = JurPC Web-Dok. 274/2004, Abs. 1 – 59 =
http://www.jurpc.de/rechtspr/20040274.htm; weitere Rechtsprechungsnachweise bei Hoffmann, NJW 2006, 2602,
Fn. 82, 83.
655 Für die Annahme von Wettbewerbswidrigkeit bereits Härting, Internetrecht, Rn. 141; zur Problematik der MetaTags ausführlich Fezer/Jung-Weiser, UWG, § 4 –S11, Rn 203 ff.
656 Als PDF unter http://snipurl.com/auo2.
650
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Wettbewerbswidrigkeit in diesem Fall aber noch nicht überschritten sei. Weder eine Irreführung des Verkehrs noch eine gezielte Mitbewerberbehinderung liege vor - woraufhin die Klägerin die Klage zurücknahm.657
Unter weitgehender Zustimmung der Literatur658 hat das OLG Düsseldorf659 in einem Fall, in
dem ein Versandhändler für Richter- und Anwaltsroben allgemeine Begriffe und Abkürzungen wie „StVO“, „ZPO“, „Urteil“ etc. in die Meta-Tags seines Internetauftrittes aufgenommen hatte, ebenfalls keinen Verstoß gegen das Lauterkeitsrecht gesehen. Im Gegensatz zur
Vorinstanz660, die einen solchen ( nach altem UWG) noch angenommen hatte, hielt das OLG
weder den Tatbestand der Irreführung – schließlich rechne der Internet-Verkehr damit, dass
Suchmaschinen auch Treffer brächten, die mit dem gesuchten Thema nichts oder nicht viel zu
tun hätten, noch den des Behinderungswettbewerb oder des übertriebenen Anlockens – denn
auch die Entscheidungsfreiheit werde durch unzutreffende Suchmaschinentreffer nicht ernsthaft beeinträchtigt- für erfüllt. Auch eine unzumutbare Belästigung durch eine eventuelle Fülle unzutreffender Suchmaschinenergebnisse sei nicht anzunehmen.661
In einem weiteren Fall, in dem es allerdings um die Verwendung fremder Kennzeichen in
den Meta-Tags der eigenen Seite ging, hat das OLG Düsseldorf662 ebenfalls weder eine marken- noch eine wettbewerbsrechtliche Rechtsverletzung angenommen. Auch hier hat das OLG
angenommen, der Verbraucher gehe nicht davon aus, lediglich solche Treffer angezeigt zu
bekommen, die in unmittelbarem inhaltlichen Zusammenhang mit dem von ihm eingegebenen
Suchbegriff stünden. Folglich wurde eine wettbewerbsrechtlich relevante Irreführung verneint.663 Ebenso abgelehnt wurde, solange sich der Anbieter nicht gegenüber dem Kennzeicheninhaber „vordränge“, ein unlauteres Abfangen von Kunden.
Der natürliche Name eines anderen wird durch das Einstellen in Metatags als unbefugt gebraucht.664
bb. Framing
657
Quelle: http://www.dr-bahr.com/findex.php?p=news/news_det_20041211014530.html.
S. nur Fezer/Mankowski, UWG, § 4-S12 Rn. 81 ff.; w.N. bei Bornkamm/Seichter, Das Internet im Spiegel des
UWG, CR 2005, 747, 752.
659 OLG Düsseldorf, NJW-RR 2003, 328 = MMR 2003, 407 m. Anm. Pohle; dazu auch Rössel, CR 2003, 349.
660 LG Düsseldorf, MMR 2002, 557.
661 a.A.. Bornkamm/Seichter, Das Internet im Spiegel des UWG, CR 2005, 747, 752.
662 OLG Düsseldorf CR 2004, 936. Zum Vergleich: OLG Düsseldorf CR 2004, 462 (Revision beim BGH zugelassen); anders dagegen: OLG Karlsruhe CR 2004, 535; OLG Hamburg CR 2005, 258 (allerdings für Fantasiebegriffe;
auch hier hat der BGH bereits die Revision zugelassen).
663 a.A Fezer/Mankowski, UWG, § 4-S 12, Rn. 78.
664 OLG Celle, CR 2006, 679.
658
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Zwischen Rechtsprechung und Literatur noch umstritten ist die Behandlung sog. „Frames“.
Frames ermöglichen grundsätzlich die Wiedergabe mehrerer Fenster mit voneinander unabhängigen Inhalten auf derselben Webseite.665 Dem wettbewerbsrechtlich relevanten Framing
liegt ein Import von Inhalten fremder Internetseiten in die eigene Seite zugrunde, und zwar
nicht in Form eines inhaltlichen Verweises oder Link, sondern durch partielles Einfügen des
fremden Inhaltes in die eigene Webseite. Dadurch ist die Herkunft des Inhalts(teils) für den
Nutzer nicht erkennbar. Außerdem werden oftmals Angebote oder etwa von Dritten geschaltete Anzeigen, die sich auf der Ausgangsseite des importierten Inhalts befinden, nicht mitübernommen und damit ausgeblendet.666
Auch hier hat das OLG Düsseldorf allerdings einen lauterkeitsrechtlichen Verstoß verneint,
wiederum unter Berufung auf den Grundsatz, dass derjenige, der sich mit einer Website im
Internet präsentiert, mit Verweisen rechnen müsse und mit ihnen grundsätzlich einverstanden
sei. Außerdem wiesen Websites keine rechtliche Eigenart auf und über den Urheber mache
sich der Nutzer in der Regel keine Gedanken.667
Die Literatur sieht das zu großen Teilen anders. Zum Teil wird im Framing eine unzulässige
Werbebehinderung gesehen, wenn auf der „Untersite“ vorhandene Werbung optisch ausgeblendet oder „weggeschnitten“ werde.668 Auch eine Herkunftstäuschung bzw. Irreführung
nach §§ 3,5 UWG wird als regelmäßig vorliegend669 oder zumindest als möglich670 angenommen – dem Nutzer sei die Person des Inhalteanbieters entgegen OLG Düsseldorf durchaus nicht gleichgültig671. Schließlich halten die dazu verlautenden Stimmen in der Literatur
auch die Voraussetzungen einer wettbewerbswidrigen Leistungsübernahme als „QuasiAneignung der fremden Inhalte“672 für häufig gegeben.673
cc. Pop-Ups
665
Harte/Henning/Frank, UWG, Einl G, Rn. 22.
Ausführlich zum Framing Fezer/Mankowski, §4-S12, Rn. 124 ff.
667 OLG Düsseldorf CR 2000, 184, 186.
668 Fezer/Mankowski, UWG, §4-S12, Rn. 125; Plaß WRP 2000, 599, 607.
669 Fezer/Mankowski, UWG, §4-S12, Rn. 126.
670 Baumbach/Hefermehl/Bornkamm, UWG, 23. Aufl., § 5 UWG Rn. 4.120; Bornkamm/Seichert, CR 2005, 747, 751
m.w.N.; Ernst, K&R 1998, 536, 539.
671 Fezer/Mankowski, UWG, §4-S12, Rn. 126.
672 Fezer/Mankowski, UWG, §4-S12, Rn. 127.
673 Bornkamm/Seichert, CR 2005, 747, 751; Fezer/Mankowski, UWG, §4-S12, Rn. 127; Ernst, K&R 1998, 536, 539.
666
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Jedem Internet-Nutzer bekannt sind die sog- Pop-Up-Fenster oder auch Pop-Up-Banner bekannt. Sie öffnen sich „von selbst“ beim Anklicken oder Verlassen (sog. Exit-Pop-UpBanner674) einer Webseite und bedecken den Inhalt der darunter geöffneten Seite zumindest
teilweise. Damit werden sie, soweit sie werbende Funktionen erfüllen, in die Kategorie der
sog. „Unterbrecherwerbung“675 eingeordnet. Ihre Zulässigkeit ist bisher von der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt und innerhalb der Literatur umstritten. Zwar hat das
LG Düsseldorf676 in einem Fall von „Kaskaden“ sich öffnender Pop-Ups auf der Seite eines
Erotik-Angebots eine Wettbewerbswidrigkeit angenommen677, allerdings wird dieser Fall
aufgrund seiner Extremität nicht für alle zukünftigen Entscheidungen als Maßstab gelten können.678 Die entscheidende, noch zu klärende Frage bleibt, inwieweit Pop-Ups allgemein, auch
wenn sie sich durch einfaches Klicken entfernen lassen, belästigende Werbung nach § 7 Abs.
1 UWG darstellen.
Die ablehnende Meinung führt dazu an, es mangele schon an der Vergleichbarkeit mit den
klassischen Formen der belästigenden Werbung wie insbesondere der E-Mail-Werbung.679
Wer sich von den Pop-Ups einer Seite gestört fühle, werde diese in Zukunft nicht mehr aufsuchen.680 Diese Argumentation ist geprägt vom Verständnis der Internet-Werbung als einer
passiven, auf die Wahl und Auswahl des Nutzers angewiesenen Präsentationsform. Tatsächlich kann der Internet-User durch seine Präferenz auch marktsteuernd wirken. Folglich besteht
nach dieser Ansicht zumindest solange kein Anlass, zum Wettbewerbsrecht als Gegenmittel
zu greifen, wie der Nutzer nicht daran gehindert wird, die fraglichen Fenster und Websites
wieder zu verlassen.681
Dagegen hält eine ebenso gewichtige Literatur-Meinung die Pop-Ups generell für belästigend
im Sinne des § 7 UWG. Schließlich verdecke ein Pop-Up die Inhalte, die für den Nutzer eigentlich Ziel und von Interesse seien. Aufbau und Wegklicken der Pop-Ups führten zu Zeitverlusten. Auch wenn der Belästigungsgrad mit steigender Anzahl an solchen Bannern zunehme, komme es auf Größe oder Anzahl der Pop-Ups gerade nicht an. Weder das Argument
der nötigen Werberefinanzierung der Websites durch Pop-Up-Banner noch die Konstruktion
674
Dazu Harte/Henning/Frank, UWG, Einl G, Rn 28 m.w.N.
Leupold/Bräutigam/Pfeiffer WRP 2000, 575, 591; Fezer/Mankowski, UWG, § 4-S12, Rn. 128
676 LG Düsseldorf CR 2003, 525.
677 Dazu Bornkamm/Seichert, CR 2005, 747, 752.
678 Zu dem Urteil vgl. Hufnagel, AfP 2003, 247, 248.
679 Bornkamm/Seichert, CR 2005, 747, 752.
680 Bornkamm/Seichert aaO.
681 Bornkamm/Seichert, CR 2005, 747, 753; so wohl auch, mit Berufung auf das Urteil des LG Düsseldorf, Baumbach/Hefermehl/Köhler, UWG, 23. Aufl., § 7 Rn. 144.
675
141
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einer stillschweigenden Einwilligung des Users könnten gegen den Lauterkeitsverstoß durchgreifen.682
b. Werbung
Auch wenn sich voreilige Prognosen nicht erfüllt haben, ist die Online-Werbung immer noch
ein enormer Wachstumsmarkt.683 Der Grund dafür ist einfach: leidet der herkömmliche Werbemarkt unter Zielgruppenzersplitterung und allgemeiner Werbeüberdrüssigkeit, eröffnet das
Internet völlig neue Werbestrategien, insbesondere im Bereich des zielgerichteten One-to-One
Marketings.684
Besondere Aufmerksamkeit gefunden hat in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht der unaufgeforderte Versand von E-Mails mit Werbeinhalten (a), sowie die Beachtung des Trennungsgebotes (b).
aa. E-Mail-Werbung
Ein besonders effektives Werbemittel der Internetökonomie ist der Versand von E-Mails.
Zum einen sind die Versandkosten im Vergleich zu herkömmlichen Werbemethoden verschwindend gering, wichtiger aber noch ist, dass die mit E-Mail-Werbung zu erreichenden
Erfolgsquoten zwischen 5 und 15 % verglichen mit konventionellen postalischen Mailings
(0,5 % bis 2 %) sehr hoch sind.685 Auch im Vergleich mit der Banner-Werbung im Internet,
deren Click-through-Rate laut Forrester Research bei 0,65% stagnieren, ist die Werbung via
E-Mails mit Quoten von bis zu 18 % sehr effizient.686
Insgesamt lässt sich beobachten, dass sich im Bereich des E-Mail-Marketing auch immer
mehr die Grundsätze des sogenannten Permission- Marketing durchsetzen, die Unternehmen
also versuchen, mit ihren (potentiellen) Kunden auf Basis der Freiwilligkeit zu kommunizieren und so langfristige Vertrauensbeziehungen aufzubauen. Der Trend soll neben dem wahllosen massenhaften Versand von Werbebotschaften hin zum langfristig angelegten, die Wünsche des Kunden berücksichtigenden, Customer-Relation-Management (CRM) gehen. Im
682
S. zu dieser Ansicht statt aller ausführlich und m.w.N. Fezer/Mankowski, UWG, § 4-S12, Rn. 131-141.
Vgl. Boehme-Neßler, ZUM 2001, S. 547 m.w.Nachw..
684Boehme-Neßler, ZUM 2001, S. 547, siehe zu den einzelnen Werbearten im Internet: Leupold/Bräutigam/Pfeiffer, WRP
2000, S. 575ff.
685 Vgl. Studie der Kommission der EG, Unerbetene kommerzielle Kommunikation und Datenschutz (GD Binnenmarkt
–
Vertrag
Nr.
ETD/99/B5-3000/E/96),
Zusammenfassung
abrufbar
unter:
http://europa.eu.int/comm/internal_market/en/media/dataprot/studies/spamsumde.pdf , dort S. 2.
686 Zitiert aus: Studie der Kommission der EG, Unerbetene kommerzielle Kommunikation und Datenschutz (GD
Binnenmarkt
–
Vertrag
Nr.
ETD/99/B5-3000/E/96),
Zusammenfassung
abrufbar
unter:
http://europa.eu.int/comm/internal_market/en/media/dataprot/studies/spamsumde.pdf, dort S. 2.
683
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Rahmen einer solchen Beziehung kann der Werbende weitere Informationen über die Interessen des Kunden erhalten und so profilierte Kundendatenbanken aufbauen, mittels derer er auf
den einzelnen Kunden individuell zugeschnittene Werbung verschicken kann. Das Direktmarketing via E-Mail ist so für beide Seiten interessant: Der Kunde erhält Informationen zu
Produkten, die ihn grundsätzlich auch interessieren; das werbende Unternehmen spart Versandkosten, vermeidet Streuverluste und kann, insbesondere bei gezielten Kampagnen, mit
hohen Responseraten rechnen.
Aus Sicht des Verbrauchers stellt das E-Mail-Marketing aber ein besonders lästiges Werbemittel dar, wenn der Versand unaufgefordert erfolgt und der Erhalt der Werbe-Mails unerwünscht ist. Für den Versand solcher unerwünschter Werbemails hat sich der Begriff „Spamming“ durchgesetzt. Der Name stammt von einer Fleischkonserve der Marke „Spam“, vor der
es kein Entrinnen gibt, dem running gag einer Monty-Python-Serie.687 Spamming ist, obwohl
schon von einer Rückläufigkeit aufgrund von Abwehrmechanismen innerhalb des Netzes
(etwa durch Schwarze Listen wie MAPS-RBL – The Mail Abuse Prevention System - Realtime Blackhole List688) und zum anderen von eindeutigen Verbotsvorschriften, insbesondere
in den USA,689 ausgegangen worden war, inzwischen ein alltägliches Massenphänomen. Man
geht davon aus, dass mindesten ein Fünftel690 bis zur Hälfte691, eine neue Studie spricht sogar
von 62 %692 der weltweit versandten eMails spam sind, mehrere Milliarden täglich.693 So sollen schon im Jahre 2003 der Anbieter Microsoft für die Dienste MSN und Hotmail 2,4 Milliarden und der Anbieter AOL 780 Millionen Emails als Spam blockiert haben.694
In Deutschland beurteilte sich die rechtliche Behandlung von unaufgefordert zugesandter EMail-Werbung vor allem nach der Wettbewerbsrechtlichen Generalklausel des § 1 UWG aF.
687
Ziem, MMR 2000, S. 129f m. w. Nachw; der Inhaber der Marke „Spam“ (für „Spiced Ham“), ein Lebensmittelhersteller, unterlag jüngst vor dem europäischen Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt mit seiner Klage gegen die
Hersteller von Anti- Spam- Software. Diese sollten unterlassen, den geschützten Markennamen zu verwenden. Auch
eine Verwässerungsgefahr sah das Amt nicht als gegeben an, vgl. http://www.heise.de/newsticker/meldung/79434
[Rev. 2006-10-15].
688 In solche Listen, welche mittlerweile von fast allen gängigen Mail-Providern abgefragt werden, werden die IPAdressen von Spamming betreibenden Unternehmen eingetragen und von den System-Administratoren der Provider
kurzerhand blockiert. Diese, rechtliche nicht unbedenkliche Praxis, kann zur Blockade der gesamten E-MailKommunikation eines als Spamming-Sünder aufgefallenen Unternehmens führen.
689 Vgl. Studie der Kommission der EG, Unerbetene kommerzielle Kommunikation und Datenschutz (GD Binnenmarkt
–
Vertrag
Nr.
ETD/99/B5-3000/E/96),
Zusammenfassung
abrufbar
unter:
http://europa.eu.int/comm/internal_market/en/media/dataprot/studies/spamsumde.pdf, dort S. 2.
690 Fezer/Mankowski, UWG, § 7 Rn 88 mwN.
691 Frank, CR 2004, 123.
692 Nachweis bei Heidrich, Anm. zu OLG München, MMR 2004, 324, 325.
693 Fezer/Mankowski, UWG, § 7 Rn 88 mwN.
694 Zitiert nach Harte/Henning/Frank, UWG, Einl G, Rn. 31.
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Bei Handlungen, welche außerhalb von Wettbewerbsverhältnissen stattfinden, beurteilt sich
die Zulässigkeit nach § 823 Abs. 1 BGB. Bei gewerblichen Adressaten unter dem Aspekt eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und bei privaten Adressaten unter dem Aspekt einer Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, bzw. einer
Verletzung der negativen Informationsfreiheit im Sinne eines Rechts, „in Ruhe gelassen“ zu
werden.695 Nach zunächst widersprüchlichen Urteilen hatte sich durchgesetzt, dass der Versand von E-Mails zu Werbezwecken nur nach vorheriger Zustimmung des Empfängers erfolgen darf (sogenannte „Opt-in“-Lösung). 696 Letztlich stellte sich die Frage, ob der Empfang
unangeforderter E-Mail-Werbung eine unzumutbare Belästigung darstellt. Bei der Frage nach
der rechtlichen Zulässigkeit des Versandes unangeforderter E-Mails mit werbendem Inhalt
wurde z.T. auf Grundsätze zurückgegriffen, welche hinsichtlich Werbemethoden mit herkömmlichen, Kommunikationsmitteln (Telefon-, Telefax-, Brief- und Btx-Werbung) entwickelt wurden.697
Eine ankommende E-Mail wird zunächst im elektronischen Briefkasten bei dem E-MailProvider des Adressaten gesammelt. Der Empfänger kann die E-Mail von dort abrufen und
anhand der Absendkennung und des Betreffs beurteilen. Insofern gleicht die Werbung mittels
E-Mails der gewöhnlichen Briefkastenwerbung. Jedoch wird bei der Werbung durch E-Mails,
anders als bei der bloßen Briefkastenwerbung, auch auf Betriebsmittel des Adressaten zugegriffen, indem Speicherplatz auf dem Server belegt wird und Kosten für den Abruf anfallen.
Dabei muss auch die begrenzte Speicherkapazität, welche dem Nutzer vom Provider eingeräumt ist, sowie das typischerweise massenhafte Auftreten der Spam-Mails berücksichtigt
werden.698 Ist der Speicherplatz voll, so können nachkommende E-Mails nicht mehr empfangen werden. Für denjenigen, welcher seine E-Mail-Adresse als Postanschrift gegenüber Dritten verbreitet hat, besteht die Gefahr, dass er sich, sofern er vorwerfbar seine Mailbox nicht
regelmäßig geleert hat, hinsichtlich des Zeitpunktes des Zugangs einer E-Mail analog § 162
BGB so behandeln lassen muss, als sei die in der E-Mail enthaltene Willenserklärung zugegangen. Eine einzelne E-Mail mag eine Gefahr des Überlaufens der Mailbox zwar nicht ver-
695
So Fikentscher/Möllers, NJW 1998, S. 1337 (1340).
LG Traunstein, MMR 1998, S. 109; LG Berlin, MMR 1999, S. 43; LG Ellwangen, MMR 1999 S. 675; LG Berlin,
MMR 2000, S. 441; LG Berlin, MMR 2000, S. 704; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, § 1, Rn. 70a; PeschelMehner, in: Schwarz, Recht im Internet, Teil 5-2.1, S. 18; Boehme-Neßler, Rechtsprobleme der Internet-Werbung, ZUM
2001, S. 547 (552f); Körner/Lehment in: Hoeren/Sieber, Handbuch Multimediarecht, Kap. 11.1, Rn. 34; Spindler/Schmittmann, MMR Beilage 8/2001, S. 10.
697 Vgl. Körner/Lehment in: Hoeren/Sieber, Handbuch Multimediarecht, Kap. 11.1, Rn. 21 ff.
698vgl. dazu BGH GRUR 2004, 517 – E-Mail-Werbung m. Anm. Hoeren; BGH CR 2004, 445 m. Anm. Eckhardt;
eingehend Fezer/Mankowski, UWG, § 7 Rn 90 mwN..
696
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ursachen, jedoch lässt sich die Unzulässigkeit schon einer einzigen unangeforderten Werbe-EMail mit deren Vorbildcharakter begründen.699 Es besteht gerade angesichts der geringen
Kosten, die dem Versender von Spam-Mails im Vergleich zu herkömmlichen WerbeKommunikationswegen, die Gefahr einer massenhaften Nachahmung solchen Verhaltens .700
Die Rechtsprechung hierzu konnte zunächst über einen langen Zeitraum als recht uneinheitlich bezeichnet werden.701 Nachdem der Bundesgerichtshof schon in ähnlichen Fällen (z.B.
bzgl. Btx-Werbung) geurteilt hat, dass ein werbliches Verhalten bereits dann als unlauter zu
beurteilen sei, wenn es den Keim zu weiterem Umsichgreifen in sich trüge und damit erst zu
einer „Verwilderung der Wettbewerbssitten“ führt,702 hat er diese Rechtsprechung nun auch
auf Spam- Mails übertragen.703 Auch er sah die besondere Gefährlichkeit des Spamming in
dem enormen Imitationseffekt, den es auslöst.704
Die dargestellte Argumentation hat dazu geführt, dass die ganz überwiegende Meinung in der
Rechtsprechung und Literatur die Zulässigkeit von E-Mail-Werbung ohne eine vorherige ausdrückliche oder mutmaßliche Einwilligung des Adressaten ablehnten.705 Eine mutmaßliche
Einwilligung sollte vorliegen, wenn der Werbende auf Grund von konkreten Anhaltspunkten
davon ausgehen durfte, dass der Empfänger mit der E-Mail-Werbung einverstanden ist.706
Insofern konnte hinsichtlich der Rechtslage in Deutschland von einer „Opt-in-Lösung“ gesprochen werden, wonach der Versand von werbenden E-Mails grundsätzlich der vorherigen
Zustimmung des Empfängers bedarf.
699
so bereits Körner/Lehment in: Hoeren/Sieber, Handbuch Multimediarecht, Kap. 11.1, Rn. 33; inzwischen auch
OLG München MMR 2004, 324 ff; BGH GRUR 2004, 517 – E-Mail-Werbung m. Anm. Hoeren .
700 BGH („BTX-Werbung“), GRUR 1988, S. 614 (616); BGHZ 43 („Kleenex“), S. 278 (282); Körner/Lehment in:
Hoeren/Sieber, Handbuch Multimediarecht, Kap. 11.1, Rn. 33.
701 S. dazu zB Schuster et. al., MMR Beilage 4/2004, S. 15.
702 BGH („BTX-Werbung“), GRUR 1988, S. 614 (616); BGHZ 43 („Kleenex“), S. 278 (282).
703 BGH GRUR 2004, 517 – E-Mail-Werbung m. Anm. Hoeren.
704 BGH GRUR 2004, 517 – E-Mail-Werbung m. Anm. Hoeren; dazu auch Fezer/Mankowski, UWG, § 7 Rn 94.
705 LG Traunstein, MMR 1998, S. 109; LG Berlin, MMR 1999, S. 43; LG Ellwangen, MMR 1999 S. 675; LG Berlin,
MMR 2000, S. 441; LG Berlin, MMR 2000, S. 704; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., § 1, Rn. 70a;
Peschel-Mehner, in: Schwarz, Recht im Internet, Teil 5-2.1, S. 18; Boehme-Neßler, Rechtsprobleme der Internet-Werbung,
ZUM 2001, S. 547 (552f); Körner/Lehment in: Hoeren/Sieber, Handbuch Multimediarecht, Kap. 11.1, Rn. 34; Spindler/Schmittmann, MMR Beilage 8/2001, S. 10.
706 Bei Privatpersonen liegt ein mutmaßliches Einverständnis etwa vor, wenn der Adressat eine Verteilerliste (mailing
list) vorausbestellt hat und ein direkter Themenbezug zum Gegenstand der Verteilerliste besteht. Die Angabe einer
Emailadresse auf einer Visitenkarte genügt dagegen nicht für ein mutmaßliches Einverständnis. Bei Gewerbetreibenden
muss die E-Mail im Interessenbereich des Adressaten liegen und auf Grund konkreter tatsächlicher Umstände vermutet werden können, dass der Adressat die Werbung gerade via E-Mail empfangen will, so z.B., wenn zu dem Werbenden bereits ein geschäftlicher Kontakt besteht und dabei E-Mail das gebräuchliche Kommunikationsmittel ist.
(Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., § 1, Rn. 70a; zur neuen Rechtslage ausführlich Fezer/Mankowski,
UWG, § 7 Rn 104).
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Diese Rechtslage entsprach auch den europarechtlichen Vorgaben. Einschlägig ist Art. 10 der
Fernabsatzrichtlinie707 sowie Art. 7 der E-Commerce-Richtlinie708. Beide Richtlinien sind
jedoch nicht ganz eindeutig.709 Aus dem Wortlaut des Art. 10 Fernabsatzrichtlinie ist zu
schließen, dass E-Mail-Werbung nur dann unzulässig sein soll, wenn der Verbraucher „offenkundig abgelehnt“ hat. Dies entspricht der sogenannten „Opt-out-Lösung“, d.h. der Versand
von E-Mails ist grundsätzlich zulässig, sofern der Kunde nicht ausdrücklich widerspricht. Zu
diesem Zweck schreibt Art. 7 Abs. 1 E-Commerce-Richtlinie vor, dass Anbieter regelmäßig
Robinsonlisten (Opt-out-Register) zu konsultieren haben, in welche sich Verbraucher, die den
Erhalt von E-Mail-Werbung ablehnen, eintragen können. Auch sind Werbemails klar und
deutlich als solche erkennbar zu machen.710 Da die Mitgliedstaaten aber auch strengere Regelungen einführen oder beibehalten dürfen (vgl. Art. 14 Fernabsatzrichtlinie) und zudem die
Pflichten aus Art. 7 E-Commerce-Richtlinie nur in Bezug auf Mitgliedsstaaten formuliert ist,
welche die nicht angeforderte kommerzielle Kommunikation mittels elektronischer Post zulassen, ist die „Opt-out-Lösung“ lediglich als Mindeststandard zu verstehen. 711 Die Beibehaltung oder Einführung strengerer Bestimmungen sind den Mitgliedstaaten freilich möglich.
Insofern hat der deutsche Gesetzgeber auch bzgl. Art. 10 der Fernabsatzrichtlinie sowie Art. 7
der E-Commerce-Richtlinie keinen Umsetzungsbedarf gesehen.
712
Umzusetzen war dann
allerdings Art. 13 der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation, nachdem die
Verwendung automatischer Anrufsysteme, Faxgeräte oder elektronischer Post für die Zwecke
der Direktwerbung nur bei vorheriger Einwilligung der Teilnehmer gestattet werden darf, Art.
13 Abs. 1 RL 2002/58/EG.713 Hier wurde nun auch auf europäischer Ebene das „opt-in“ System eingeführt.714
707
Richtlinie 1997/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz („Fernabsatzrichtlinie“), ABl. Nr. L 144/19.
708 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche
Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl. Nr. L 178/1.
709 Siehe hierzu: Spindler/Schmittmann, MMR Beilage 8/2001, S. 10 (14); Ziem, MMR 2000, S. 129.
710 Art. 7 Abs. 2 E-Commerce-Richtlinie.
711 A.A. Ziem, MMR 2000, S. 129.
712 Zu der Rechtslage in anderen europäischen Ländern siehe: Spindler/Schmittmann, MMR Beilage 8/2001, S. 10 (17
ff).
713 RL 2002/58/EG des Europäischejn Parlaments und des Rates vom 12.7.2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation, Abl. EG 2002 Nr. L 201 S.
37.
714 Dazu eingehend Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815.
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Die Umsetzung erfolgte mit der UWG- Novellierung 2004. Seitdem ist die Unlauterkeit von
unzumutbaren Belästigungen durch elektronische Post in § 7 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4, Abs. 1
iVm § 3 UWG nF als eigene Beispielsfallgruppe geregelt- in Umsetzung der Datenschutzrichtlinie und zur Fixierung der bisherigen Grundsätze aus Rechtsprechung und Literatur.715
Eine unzumutbare Belästigung ist danach insbesondere anzunehmen bei „einer Werbung unter Verwendung von automatischen Anrufmaschinen, Faxgeräten oder elektronischer Post,
ohne dass eine Einwilligung der Adressaten vorliegt“, § 7 Abs. 2 Nr. 4 UWG, außerdem bei
„einer Werbung mit elektronischen Nachrichten, bei der die Identität des Absenders, in dessen
Auftrag die Nachricht übermittelt wird, verschleiert oder verheimlicht wird oder bei der keine
gültige Adresse vorhanden ist, an die der Empfänger eine Aufforderung zur Einstellung solcher Nachrichten richten kann, ohne dass hierfür andere als die Übermittlungskosten nach den
Basistarifen entstehen“, § 7 Nr. 4 UWG nF. Zu beachten ist die Privilegierung in § 7 Abs. 3
UWG nF, nach dem eine Belästigung unter Vorliegen bestimmter Voraussetzungen (kumulativ; insbesondere muss der Unternehmer die Adresse des Kunden im Zusammenhang mit einer Geschäftsbeziehung mit diesem erhalten haben, außerdem darf der Kunde nicht widersprochen haben bei deutlichem Hinweis auf diese Möglichkeit) nicht anzunehmen ist.
Mit Hinweis darauf, dass die Bewertung der bisherigen Rechtsprechung, die Übersendung
bereits einer einzigen Werbe-Mail als unterlassungsrelevanten Eingriff in das Recht des Empfängers am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb anzusehen, in § 7 Abs. 2 Nr. 3
UWG nF nun seine Bestätigung gefunden habe, hat das OLG Düsseldorf ebenfalls die Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle schon durch eine einzelne Werbenachricht angenommen.716 Im Gegensatz zur Meinung der Vorinstanz war nach Ansicht der Richter die einzelne Werbe-Mail keine „nur geringe Beeinträchtigung“ mehr, da sie in diesem Zusammenhang
angesichts ihres massenhaften Vorkommens nicht isoliert zu betrachten sei. Ansonsten liefe
das Spam-Verbot auf nationaler wie europarechtlicher Ebene leer.717
Nach einer neuen Entscheidung des OLG Hamburg zum Thema Spam ist auch der OnlineDienst-Betreiber, der selbst nicht Adressat von Spam ist, zur Verfolgung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche gegen den Absender aktivlegitimiert, da auch er in seinen
Netz-, Speicher- und Personalkapazitäten in wirtschaftlich erheblicher Weise und Umfang
beeinträchtigt wird.718
715
Einen Überblick geben Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815.
OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.9.2004, Az.: I-15 U 41/04 – E-Mail-Werbung; abgedruckt als JurPC Web-Dok.
261/2004.
717 OLG Düsseldorf, JurPC WebDok. 261/2004, Abs. 22.
718 OLG Hamburg MMR 2005, 322.
716
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Eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit E-Mail-Marketing spielt auch das Datenschutzrecht. Erfolgreiche E-Mail-Werbekampagnen setzen voraus, dass das werbende Unternehmen
über umfangreiche Adressdatenbanken verfügt. Zur zielgerichteten Werbung werden neben
der E-Mail-Adresse weitere Kriterien wie etwa soziodemographische Merkmale (Geschlecht /
Altersgruppe / Familienstand / Anzahl der Kinder etc.), Einkommensgruppen, Bildungsabschluss und insbesondere die Interessensgebiete der Empfänger von Marketingmails benötigt.
Da sich all diese Daten über die E-Mail-Adresse einer Person zuordnen lassen (sofern kein
gänzlich anonymer Fantasiename als E-Mail-Adresse verwendet wird), gelten diese Daten als
„personenbezogene Daten“ im Sinne des Datenschutzes. Die Erhebung und der Umgang mit
diesen Daten werfen gewichtige datenschutzrechtliche Problem auf.719
Auf der anderen Seite sind auch die Filterung von E-Mails oder das sog. „Greylisting“ zur
Spam- Abwehr Gegenstand juristischer Erörterung geworden, insb. in Bezug auf das Postund Fernmeldegeheimnis sowie das Telekommunikationsrecht.720
bb. Trennungsgebot
Eine wichtige Regel des deutschen Werberechts ist die Trennung von redaktionellen Inhalten
und Werbung. Explizit ist dieses Gebot beispielsweise in § 9 Abs. 2 MediendiensteStaatsvertrag (MDStV) normiert. Dort heißt es: „ Werbung muss als solche klar erkennbar
sein und vom übrigen Inhalt der Angebote eindeutig getrennt sein“. Ähnliche Regelungen
finden sich für die Medien Fernsehen und Radio im Rundfunkstaatsvertrag und für die Printmedien in den jeweiligen Landespressegesetzen. Eine entsprechende Regelung ist für Teledienste nun auch in § 7 S. 2 Nr. 1 Teledienstegesetz (TDG) normiert,721 Und zwar in Umsetzung von Art. 6 lit. A, b der E-Commerce-Richtlinie.Damit gilt das allgemeine Trennungsgebot aus dem „offline“-Bereich722 auf spezieller Grundlage auch Online.
Das Trennungsgebot widerstrebt andererseits in gewissem Sinne dem dem Internet zugrundeliegenden Prinzip der Vernetzung. Das Internet zeichnet sich gerade dadurch aus, dass verschiedene Inhalte nicht voneinander getrennt, sondern miteinander verknüpft werden. Dies
719
Siehe hierzu unten im folgenden Kapitel.
Zum Spam- Filter s. näher Kitz, CR 2005, 450; zum Grey- bzw. Blacklisting: Stadler, DuD 2005, 344; Dietrich/Pohlmann, DuD 2005, 548; zur Spam- Abwehr durch die Reg TP: Mayer/Möller, K&R 2005, 251.
721 Zur Abgrenzung von Mediendiensten und Telediensten sieh unten unter: Haftung.
722 s. dazu Fezer/Mankowski, UWG, § 4 –S 12 Rn 19 f mwN; BGH, GRUR 1990, S. 611 (615); BGH, GRUR 1995,
S. 744ff
720
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soll auch den Erwartungen der Internet-Nutzer entsprechen, indem sie im Internet mit einer
stärkeren Vermischung von Werbung und redaktionellen Inhalten rechnen.723 Dem InternetNutzer ist zumeist bewusst, dass sich die meisten Angebote im Netz über Werbung finanzieren; er lässt die Werbung über sich ergehen, erhält im Gegenzug aber den gewünschten Inhalt
kostenlos. Insofern könnte argumentiert werden, dass im Hinblick auf das Trennungsgebot im
Internet andere Maßstäbe anzulegen sind als bei herkömmlichen Informationsmedien.724 Da
das Trennungsgebot in erster Linie eine Irreführung der Kunden verhindern soll, sind die Erwartungen der Verbraucher an das jeweilige Medium zu berücksichtigen.725 Die Durchführung des Trennungsgebot muss demnach medienspezifisch erfolgen.726
Jedenfalls an die typische Werbe-Banner dürften sich die meisten Nutzer gewöhnt haben und
sie ohne weiteres als Werbung identifizieren, auch wenn diese nicht ausdrücklich als solche
gekennzeichnet sind.727 Sie sind quasi typischerweise als Werbung zu erkennen, da sie entweder wie eine „Insel“728 im eigentlichen Angebot wirken („Werbe-Banner“)729 oder als PopUps730 vor- oder nachgeschaltet sind. Dafür spricht auch, dass die Effektivität solcher Banner
drastisch zurückgegangen ist; sie wird als Werbung schlicht von den meisten Nutzern ignoriert. Gleiches dürfte für solche Hyperlinks und Icons gelten, durch die auf Werbung verwiesen wird und dies durch entsprechendes Design für den Nutzer auch unschwer erkennen lassen. Problematisch sind aber einfache Hyperlinks, die sich in redaktionellen Inhalten befinden
und auf werbende Inhalte verweisen. Ist der werbende Inhalt der mit dem Link verknüpften
Seite für den Nutzer vor dessen Aktivierung nicht erkennbar, so dürfte ein Verstoß gegen das
Trennungsgebot vorliegen.731 Dies gilt jedoch nicht für Inhalte auf den Homepages von Unternehmen, da solche insgesamt als Werbung einzuordnen sind732.
723
Boehme-Neßler, Rechtsprobleme der Internet-Werbung, ZUM 2001, S. 547 (554).
Boehme-Neßler, Rechtsprobleme der Internet-Werbung, ZUM 2001, S. 547 (554).
725 Boehme-Neßler, Rechtsprobleme der Internet-Werbung, ZUM 2001, S. 547 (554).
726 BGH 1995, 387 ff. m.w.Nachw..
727 Boehme-Neßler, Rechtsprobleme der Internet-Werbung, ZUM 2001, S. 547 (554); Peschel-Mehner, in: Schwarz,
Recht im Internet, Teil 5-2.1, S. 24.
728 Fezer/Mankowski, UWG, § 4 – S 12 Rn 22.
729 Vgl. zu dieser Erscheinungsform die Darstellung bei Fezer/Mankowski, UWG, § 4 – S 12 Rn 60 ff.
730 Vgl. zu dieser Erscheinungsform die Darstellung bei Fezer/Mankowski, UWG, § 4 – S 12 Rn 60 ff.
731 Fezer/Mankowski, UWG, § 4 – S 12 Rn 32 mwN; schon Körner/Lehment in: Hoeren/Sieber, Handbuch Multimediarecht, Kap. 11.1, Rn. 173; Peschel-Mehner, in: Schwarz, Recht im Internet, Teil 5-2.1, S. 25; Boehme-Neßler, Rechtsprobleme der Internet-Werbung, ZUM 2001, S. 547 (554).
732 Fezer/Mankowski, UWG, § 4 – S 12 Rn 26 mwN.
724
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c. Einzelne Vertriebsmodelle
Im Folgenden sollen exemplarisch einige internetspezifischen Vertriebsmodelle, die in letzter
Zeit Aufmerksamkeit erregt haben, unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten erörtert
werden.
aa. Internet-Auktionen
Ein besonders erfolgreiches Vertriebsmodell im Internet ist die Online-Auktion.733 Kaum etwas, was nicht mittlerweile im Internet ersteigert werden könnte. Das Internet scheint geradezu ideal zu sein, für einen bestimmten Artikel den richtigen Abnehmer zu finden, nämlich
denjenigen, der bereit ist, am meisten dafür zu zahlen. Angeboten werden die Waren c2c
(consumer-to-consumer), b2c (business-to-consumer) oder b2b (business-to-business). In der
Regel werden die Artikel mit einem Mindestpreis versehen, der als Auktionslimit erreicht
werden muss und eine Zeitspanne festgelegt, nach deren Ablauf die Ware an den Meistbietenden verkauft ist.734
Online-Auktionen begegnen aus wettbewerbsrechtlicher Sicht verschiedenen Bedenken. Anknüpfungspunkte sind hier vor allem die vermeintliche Nichtbeachtung der Gewerbeordnung
(GewO), der Preisangabenverordnung (PAngVO) sowie des Irreführungsverbots. Keine Bedenken bestehen, sofern von dem jeweiligen Anbieter lediglich eine Plattform für viele einzelne, private Versteigerungen bereitgehalten werden.735 Immer mehr werden jedoch im
Rahmen über Auktionsplattformen im Internet Neuwaren von kommerziellen Anbietern versteigert. Hier wird das Wettbewerbsrecht relevant. Versteigert werden meist Restposten oder
Auslaufmodelle zu mehr oder weniger niedrigen Preisen.
Das LG Hamburg736 hat in seiner Entscheidung zu erstmals „ricardo.de“ die Frage aufgeworfen, ob Internet-Versteigerungen gegen die Gewerbeordnung und Versteigerungsordnung verstoßen und sich somit einen im Sinne von § 1 UWG aF unlauteren „Wettbewerbsvorteil durch
Rechtsbruch verschaffen“. In § 34 b Abs. 1 GewO i.V.m. mit Vorschriften aus der Versteigerungsordnung ist vorgeschrieben, dass Versteigerungen einer behördlichen Erlaubnis bedürfen
und dass keine Neuwaren versteigert werden dürfen. Das LG sah einen Verstoß gegen diese
Bestimmungen durch den betreffenden Internetauktionator zwar als gegeben an, verneinte im
733
Zwei prominente Beispiele sind „ebay.de“ oder „ricardo.de“.
s. zur zivilrechtlichen Einordnung oben unter V.
735 Bullinger, WRP 2000, S. 253.
736 LG Hamburg, MMR 1999, S. 678 ff.
734
150
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Ergebnis jedoch eine Verletzung von § 1 UWG aF, da der Rechtsverstoß nicht vorsätzlich
erfolgte. Der Bund-Länder-Ausschuss „Gewerberecht“ hatte in einer Stellungnahme die Auffassung vertreten, dass Internetauktionen nicht als erlaubnispflichtige Versteigerungen im
Rechtssinne anzusehen seien.737 Da die Wirtschaftsbehörde eine entsprechende Auskunft an
die Internet-Versteigerer gegeben hatte, könne die Nichtbeachtung der Erlaubnispflicht durch
die betreffenden Unternehmen keine Sittenwidrigkeit begründen, da sie sich insofern auf die
Auskünfte der Wirtschaftsbehörde verlassen hatten.738
Ob die Internet-Auktionen tatsächlich dem gewerberechtlichen Versteigerungsbegriff und
somit der Erlaubnispflicht sowie dem Versteigerungsverbot bezüglich Neuwaren unterfallen,
blieb jedoch strittig.739 Dafür, die modernen Formen der Online-Auktionen im Gegensatz zu
den klassischen Versteigerungen nicht der Erlaubnispflicht der GewO sowie den Regelungen
der VersteigerungsO zu unterstellen, spricht der geschichtliche Hintergrund und Zweck dieser
Vorschriften. Die klassischen Versteigerungen sind Ende des letzten Jahrhunderts in die GewO einbezogen worden, um die Kunden davor zu schützen, durch unseriöse Versteigerer
betrogen zu werden, indem diese das typische Bietergefecht einer Versteigerung dazu ausnutzten, um überhöhte Preise für ihre Waren zu erzielen.740 Entscheidend war die aufgeheizte
Stimmung im Auktionssaal. Die Situation einer Online-Versteigerung im virtuellen Raum ist
jedoch nicht vergleichbar mit der besonderen Situation in einem Auktionssaal vor hundert
Jahren, in welcher ein gewiefter Auktionator die hitzige Stimmung zu seinem Vorteil ausnutzen konnte. Der Bieter hat bei einer virtuellen Auktion vielmehr die Möglichkeit seine Entscheidung unbeeinflusst zu treffen und in Ruhe zu überdenken. Insofern scheint es sachgerecht mit der wohl h.M. in der Literatur741 und Rechtsprechung742 die Online-Auktion nicht
unter den strengen Versteigerungsbegriff des Gewerberechts zu subsumieren.
737
LG Hamburg, MMR 1999, S. 678 (680).
So auch noch Fezer/Mankowski, UWG, § 4-S12 Rn 209.
739bejahend: LG Hamburg, MMR 1999, S. 678 ff; Ernst, CR 2000, S. 304 (305); a.A.: OLG Frankfurt, Urt. v.
1.3.2001, NJW 2001, S. 1434; Vehslage, MMR 1999, S. 680f; Hoeren, Rechtsfragen des Internetrechts, S. 180 (abrufbar
unter: http://www.uni-muenster.de/jura.itm/hoeren/materialien/skript_september.pdf); Bullinger, WRP 2000, S.
253; differenzierend: Peschel-Mehner, in: Schwarz, Recht im Internet, Teil 5-2.3, S. 13; Stögmüller, K&R 1999, S. 391
(393) – geht davon aus, dass Online-Auktionen zwar Versteigerungen im rechtlichen Sinne seine, die jedoch durch §
4 TDG privilegiert seien.
740 Bullinger, WRP 2000, S. 253 (254).
741 S. Überblick bei Fezer/Mankowski, UWG, § 4- S 12, Rn 206 ff mwN; Vehslage, MMR 1999, S. 680f; Bullinger, WRP
2000, S. 253.
742 OLG Frankfurt/M, NJW 2001, 1434; KG Berlin, Urt. v. 11.5.2001, MMR 2001, S. 764 m. Anm. Schrader = CR
2002, S. 47 = K&R 2001, S. 519 = NJW 2001, S. 3272; OLG Frankfurt a M., Urt. v. 1.3.2001; MMR 2001, S. 451 =
K&R 2001, S. 522 = WRP 2001, S. 557 = NJW 2001, S. 1434.
738
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Ein weiteres Problem der Online-Auktionen liegt in der Beachtung der Vorschriften aus der
Preisangaben-Verordnung (PAngVO). Gemäß § 1 PAngVO haben Gewerbetreibende, die
Waren an Endverbraucher verkaufen, bei ihren Angeboten Endpreise anzugeben. Dies ist bei
Auktionen typischerweise nicht möglich. Deswegen nimmt § 7 Abs. 1 Nr. 5 PAngVO als
Ausnahmevorschrift Versteigerungen von der PAngVO aus. Hier stellt sich die Frage, ob es
möglich ist, Online-Auktionen unter den Versteigerungsbegriff im Sinne der PAngVO zu
subsumieren, wenn zuvor argumentiert wurde, dass Online-Auktionen nicht unter den gewerberechtlichen Versteigerungsbegriff fallen.743 Ginge man von einem einheitlichen Versteigerungsbegriff aus, wären Online-Auktionen zwingend unzulässig. Der grundsätzlich unterschiedliche Zweck der entsprechenden Regelungen aus Gewerbeordnung und PreisangabenVerordnung erlauben allerdings eine unterschiedlich weite Auslegung des jeweiligen Versteigerungsbegriffs.744 Die Preisangaben-Verordnung will durch die Pflicht zur Endpreisangabe
für Preisklarheit sorgen, nicht aber neuen Entwicklungen und Geschäftskonzepten im Wege
stehen.745 Sie nimmt daher solche Sachverhalte von der Auszeichnungspflicht aus, bei denen
der Endpreis aufgrund der Natur der Veranstaltung nicht angegeben werden kann.746 Dies
trifft aber auf Online-Auktionen genauso zu wie auf herkömmliche Versteigerungen. Internetauktionen verstoßen daher nicht gegen die Auszeichnungspflicht aus § 1 PAngVO, da sie insofern durch die Ausnahmevorschrift des § 7 Abs. 1 Nr. 5 PAngVO privilegiert sind.747
Meist wird bei den im Rahmen von Internetauktionen feilgebotenen Artikeln auch der tatsächliche Marktpreis (bzw. die unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers) angegeben. Damit soll dem Kunden vermittelt werden, dass es sich bei dem jeweiligen Angebot um ein
Schnäppchen handelt. Sofern aber der angegebene Marktwert nicht mit dem tatsächlichen
übereinstimmt, könnte dies gegen das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot aus § 5 Abs. 1,
Abs. 2 Nr. 1 iVm § 3 UWG nF verstoßen. Relevant ist dies insbesondere im Hinblick auf
Auslaufmodelle, deren Marktwert gegenüber dem ursprünglichem Verkaufspreis gesunken
ist. Auch wurde beispielsweise die Eingabe eines Mindestpreises von 1 DM für einen Artikel,
das 4598 DM nach der unverbindlichen Preisempfehlung des Herstellers kosten soll, wegen
übertriebenen Anlockens gemäß § 1 UWG aF als wettbewerbswidrig angesehen.748
743
Für eine einheitliche Auslegung des Versteigerungsbegriffs in der Gewerbeordnung und in der PAngVO: Völker,
Preisangabenrecht, § 7 PAngVO, Rn. 39.
744 Bullinger, WRP 200, S. 253 (256).
745 Vgl. Bullinger, WRP 200, S. 253 (256).
746 Bullinger, WRP 200, S. 253 (256).
747 So auch LG Hamburg, MMR 1999, S. 678 (681).
748 OLG Hamburg, Urt. v. 5.7.2001 - 3 U 35/01.
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Ein relativ neuer Streitpunkt im Zusammenhang mit Online-Auktionen ist die sog. „SniperSoftware“, eine automatisch arbeitende Bietersoftware, die es dem Nutzer erlaubt, kurz vor
Ablauf einer Auktion ein vorher eingestelltes Gebot zu platzieren. Sniping hat zum Ziel,
durch dieses punktgenaue Zuschlagen einen möglichst niedrigen Preis zu erzielen, weil man
möglichst spät in die Auktion einsteigt und sic damit nur geringes Bietinteresse materialisiert.749 Die Sniper-Software kann sowohl auf dem eigenen Rechner des Bieters als auch auf
dem externen Rechner eines entsprechenden Diensteanbieters installiert sein.750 Die Auktionsveranstalter fürchten dabei um das Niveau der Höchstangebote. Sie verdienen prozentual
mit und haben Sorge, dass , sollte das gegenseitige „Hochschaukeln“ der Bieter wegfallen,
das Niveau der Zuschlagssummen – und damit ihre Beteiligung- langfristig absinken. Außerdem könnten die Anbieter dadurch über kurz oder lang das Interesse an den InternetAuktionen verlieren. Die Auktionsveranstalter sind sie bestrebt, den Einsatz dieser Software
soweit wie möglich zu unterbinden und nehmen oftmals entsprechende Verbote in ihre AGB
auf.751 So lautet z.B. § 8 Nr. 5 der AGB von eBay: „Die Abgabe von Geboten mittels automatisierter Datenverarbeitungsprozesse ist ausgeschlossen.“ Teilweise wird in der Literatur vorgebracht, diese Klausel halte der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB schon nicht Stand.752
In wettbewerbsrechtlicher Hinsicht lassen sich nun einige Probleme andenken. Soweit die
Sniper-Software die Weitergabe des eBay-Passworts vom Kunden fordert, kollidiert dies mit
einer anderen AGB-Vorschrift des Auktionsanbieters, die eben diese Weitergabe verbietet.
Damit käme eine Unlauterkeit wegen Verleitens zum Vertragsbruch in Betracht.753 Dagegen wird von Seiten der Literatur vorgebracht, die entsprechende Klausel sei teleologisch auf
Missbrauchsrisiken durch Fremdnutzer zu reduzieren.754
Da es zulässig ist, Zusatzleistungen zu den Leistungen anderer anzubieten, kommt auch keine
unlautere Ausbeutung in Betracht.755
Auch ein Behinderungswettbewerb wird wohl im Ergebnis nicht anzunehmen sein. Argumentiert wurde dahingehend, dass der auf sich gestellte menschliche Bieter von der Aussicht,
gegen einen Computer antreten zu müssen, abgeschreckt werden könnte.756 Insbesondere eine
749
Fezer/Mankowski, UWG, § 4 – S 12 Rn 215 mwN.
Leible/Sosnitza, CR 2003, 344 f.
751 Schuster et. al., MMR Beilage 4/2004, S. 11 f mwN; Fezer/Mankowski, UWG, § 4 – S 12 Rn 215 mwN.
752 Leible/Sosnitza, CR 2003, 344.
753 So LG Hamburg CR 2002, 763.
754 Leible/Sosnitza, CR 2003, 344, 346 f; Fezer/Mankowski, UWG, § 4 – S 12 Rn 216 ff; aA wohl Weber/Skirpsky sic!
2003, 685, 691.
755 Leible/Sosnitza, CR 2003, 344, 347; Fezer/Mankowski, UWG, § 4 – S 12 Rn 219.
756 LG Hamburg CR 2002, 763 f; LG Hamburg K & R 2003, 297.
750
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neuer Entscheidung des LG Berlin hat dies abgelehnt:757 Ein negativer Einfluss von SniperSoftware auf das Bietverhalten sei nicht festzustellen und die Gefahr eines aufziehenden Behinderungswettbewerbs sei allenfalls rein abstrakt vorhanden. Die Software agiere vielmehr
nicht viel anders als ein weisungsgebundener Strohmann, der den Interessenten bei einer echten Auktion im Saal vertritt.758
bb. „Reverse Auctions“
Als wettbewerbsrechtlich bedenklich eingestuft werden auch Versteigerungen in umgekehrter
Richtung (Reverse Auctions). Hier beginnt der Auktionator mit einem hohen Ausgangspreis,
der im Laufe der Auktion stetig abgesenkt wird. Der Bieter kann, sobald ein Preisniveau erreicht ist, mit dem er einverstanden ist, die Auktion stoppen und zu dem Preis kaufen. Wartet
er länger, so fällt zwar der Preis, gleichzeitig wächst allerdings die Gefahr, dass ihm ein anderer Bieter zuvorkommt. Stehen mehrere Artikel zum Verkauf, so kann der erste Bieter entscheiden, wie viele er zum derzeitigen Gebot kaufen will. Sofern er nicht alle angebotenen
Artikel erwirbt, geht die Auktion weiter. Der beim ersten Bieter erreichte Preis dient dann als
neuer Ausgangspreis. Solche umgekehrten Auktionen sind im 19. Jahrhundert im Blumengroßhandel in den Niederlanden entstanden, weswegen sie auch als „holländische Auktionen“
bekannt sind.759 Umgekehrte Auktionen haben den Vorteil, dass mehrere Exemplare zu unterschiedlichen Preisen an unterschiedliche Bieter verkauft werden können.760 Bei herkömmlichen („englischen“761) Auktionen, mit aufsteigenden Preisen müsste mit viel höherem Aufwand für jedes Exemplar eine gesonderte Auktion durchgeführt werden, um jedes Exemplar
an den richtigen (meistbietendsten) Interessenten zu verkaufen. Die englische Versteigerung
mit aufsteigenden Preisen hat für den Versteigerer im Vergleich zu holländischen Auktion
zudem den Nachteil, dass der höchstbietende die Ware eventuell zu einem niedrigen Preis
bekommt, als er bereit wäre zu zahlen, nämlich dann, wenn die anderen Bieter aus dem Rennen sind und nicht weiterbieten.762 Die deutsche Rechtsprechung hat zunächst, mit weitgehender Zustimmung der Literatur, die Versteigerung in umgekehrter Richtung als unlauter im
757
758
LG Berlin CR 2003, 857.
LG Berlin CR 2003, 857; zustimmend Leible/Sosnitza, CR 2003, 344; Fezer/Mankowski, UWG, § 4 – S 12 Rn 220
ff.
759
Siehe bei Schafft, CR 2001, S. 393.
Vgl. Schafft, CR 2001, S. 393 (394).
761 Schafft, CR 2001, S. 393.
762 Schafft, CR 2001, S. 393 (394).
760
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Sinne von § 1 UWG aF verboten.763 Dieser Auffassung hat sich in Bezug auf Reverse Auctions im Internet das OLG Hamburg angeschlossen.764 Der Interessent würde durch das Risiko,
dass ihm ein anderer Bieter zuvorkommen könnte, in eine spekulative Situation versetzt.765
Ihm würde so ein außergewöhnlicher Anreiz gesetzt möglichst schnell zu kaufen.766 Zudem
ergebe sich die Sittenwidrigkeit durch das Ausnutzen von „aleatorischen“ Anreizen.767 Durch
den stetig abfallenden Preis würde eine Art Gewinnchance suggeriert.768 Es bestehe die Gefahr, dass die Kaufentscheidung nicht mehr auf sachlichen Erwägungen, sondern im Hinblick
auf einen vermeintlichen „Gewinn“ erfolge.769 Nach Ansicht des OLG Hamburg werde das
spielerische Element bei Auktionen im Internet noch dadurch erhöht, dass mit einem schnellem Mausklick bereits der Kauf getätigt werden könne.770
Das OLG Hamburg ging nach eigener Angabe von einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher aus.771 Hier lag allerdings schon damals die Frage auf der Hand, ob ein solcher nicht in der Lage sein müsste, den zugrundeliegenden Mechanismus einer solchen umgekehrten Auktion zu verstehen und vernünftig zu
handeln ohne gleich seiner Spiellust zu verfallen. Auch ist unverständlich, warum das spielerische Element im Internet noch stärker sein soll. Der Verweis auf die Schnelligkeit eines
Mausklicks mag nicht recht überzeugen - man denke an den berühmten Fall der „Trierer
Weinversteigerung“: Auch bei herkömmlichen Auktionen ist ein bindendes Angebot schnell
abgegeben. Es könnte zudem argumentiert werden, umgekehrte Auktionen im Internet verhinderten vorschnelle Kaufentscheidungen, da sie meist ohne Zeitdruck über einen längeren
Zeitraum laufen. Auch ist es bei Auktionen im Internet grundsätzlich möglich automatisierte
Bietagenten einzusetzen, mittels derer ein potentieller Bieter bereits zu Beginn der Auktion
hinterlegen kann, zu welchem Preis er bereit wäre zu kaufen (sog. proxy-bidding).772 In solchen Fällen ist die Gefahr, dass der Bieter trotzdem seiner vermeintlichen Spiellust zum Opfer
fällt, äußerst gering.
763
BGH, GRUR 1986, S. 622; OLG Köln, WRP 1988, S. 326; mit weiteren Nachweisen: Schafft, CR 2001, S. 393
(397).
764 OLG Hamburg, Urt. v. 7.12.2000, CR 2001, S. 340 = GRUR-RR 2001, S. 113.
765 OLG Hamburg, Urt. v. 7.12.2000, CR 2001, S. 340 (341).
766 OLG Hamburg, Urt. v. 7.12.2000, CR 2001, S. 340 (341).
767 OLG Hamburg, Urt. v. 7.12.2000, CR 2001, S. 340 (341); so auch BGH, GRUR 1986, S. 622
768 Vgl. BGH, GRUR 1986, S. 622.
769 Vgl. BGH, GRUR 1986, S. 622.
770 OLG Hamburg, Urt. v. 7.12.2000, CR 2001, S. 340 (341).
771 OLG Hamburg, Urt. v. 7.12.2000, CR 2001, S. 340 (341).
772 Vgl. Schafft, CR 2001, S. 393 (398f).
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Inzwischen hat sich –manifestiert durch den BGH- dementsprechend eine Wende weg vom
Verbot wegen Verbindung aleatorischer Elemente mit der Wertreklame773 hin zur grundsätzlichen lauterkeitsrechtlichen Zulässigkeit774 solcher Auktionen vollzogen, zunächst im Offline- dann auch im Online-Bereich.775 Darin äußern sich auch gewisse Liberalisierungstendenzen der neueren Rechtsprechung zum UWG.776 Allerdings wird immer wieder darauf hingewiesen, dass diese Entscheidung nicht allgemeingültig sein könne und es auch in Zukunft sehr
genau auf den konkreten Einzelfall der umgekehrten Versteigerung ankomme.777
cc. Powershopping
Eine weiter internetspezifische Vertriebsform, die in letzter Zeit besondere Aufmerksamkeit
gefunden hat, ist das sogenannte Powershopping (bzw. Community-Shopping).778 Das Prinzip
ist einfach: Über das Internet schließen sich virtuelle Einkaufgemeinschaften zusammen, um
bei einem bestimmten Produkt einen besseren Einkaufspreis (Mengenrabatt) erzielen zu können. Die Betreiber solcher Angebote verkaufen die Produkte entweder im eigenen Namen
oder aber auch im fremden Namen auf fremde Rechnung. Die Produkte werden als „invitatio
ad offerendum“ auf der Website/Plattform des jeweiligen Anbieters dargeboten. Je mehr Käufer sich während einer festgelegten Zeitspanne für den Kauf dieses Produktes entscheiden,
desto niedriger wird der Preis. Die Gerichte, die sich mit dem „Powershopping“ auseinander
zusetzen hatten, verneinten zunächst deren rechtliche Zulässigkeit. 779 Gerügt wurden Verstöße gegen das RabattG und gegen § 1 UWG aF unter dem Gesichtspunkt der Verwendung aleatorischer Anreize (=Ausnutzung der Spiellust) sowie des übertriebenen Anlockens. Nach
Abschaffung des RabattG hat das OLG Köln entschieden, dass jedenfalls in einer bestimmten
Ausgestaltung das Powershopping wegen Ausnutzung des Spieltriebs nach § 1 UWG aF unzulässig bleibt.780 Sittenwidrig sei das Powershopping zwar nicht als solches, sondern nur
773
BGH GRUR 1986, 622 – Umgekehrte Versteigerung II.
BGH GRUR 2003, 626 – Umgekehrte Versteigerung II m. Anm. Leible/Sosnitza
775 BGH GRUR 2004, 249- Umgekehrte Versteigerung im Internet m. Anm. Leible/Sosnitza; BGH GRUR 2004, 251
– Hamburger Auktionatoren; dazu eingehend Fezer/Mankowski, UWG, § 4-S12 Rn 212 ff; s. auch Schuster et al.,
MMR Beilage 5/2005, S. 12.
776 Fezer/Mankowski, UWG, § 4-S12 Rn 214.
777 Steinbeck, K & R 2003, 344; zustimmend Schuster et.al., MMR Beilage 4/2004 S. 12.
778 etwa letsbuyit.com.
779OLG Köln, CR 2001, S. 545 = GRUR 2001, S. 598; OLG Hamburg („letsbuyit.com“), MMR 2001, S. 41; OLG
Hamburg, NJW 2000, S. 2033, LG Nürnberg-Fürth MMR 2000, S. 640; Peschel-Mehner, in: Schwarz, Recht im Internet, Teil 5-2.3, S. 9.
780 OLG Köln, CR 2001, S. 545 = GRUR 2001, S. 598.
774
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dann, wenn es in der konkreten Ausgestaltung die Spiellust der Teilnehmer anregt und diese
daher in nicht unerheblichem Maße davon abhält, ihre Kaufentscheidung allein nach der
Preiswürdigkeit der Ware zu treffen.781
In der Literatur war die bisherige ablehnende Haltung der unterinstanzlichen Gerichte gegenüber dem Powershopping auf wenig Verständnis gestoßen.782 Den Verbrauchern über § 1
UWG aF vor vermeintlichen Gefahren des Powershopping zu schützen, sei im Hinblick auf
die verstärkten Verbraucherrechte im E-Commerce, durch welche voreilig getroffene Kaufentscheidungen auf relativ einfache Weise wieder rückgängig gemacht werden können, nicht
notwendig und im Hinblick auf das in Art. 3 E-Commerce-Richtlinie (§ 4 TDG) niedergelegte
Herkunftslandprinzip auch kaum möglich.783 Durch ein gänzliches Verbot bestünde zudem
die Gefahr, den abgeschafften Vorschriften des Rabattgesetztes durch die Hintertür des § 1
UWG aF wieder Geltung zu verschaffen.784
Erst recht nach Einführung des neuen UWG im Jahre 2004 herrscht in der Literatur über eine
grundsätzliche Zulässigkeit des PowerShopping- Modells weitgehend Einigkeit.785 Es müssten besondere Umstände hinzutreten, um die Unlauterkeit zu begründen.786 Insbesondere liege
in der bloßen Preisermäßigung bei Steigerung der Abnahmemengen keine unangemessene
unsachliche Beeinflussung durch übertriebenes Anlocken nach § 4 Nr. 1 iVm § 3 UWG nF787.
Zwar sei dem PowerShopping ein spielerisches Element zweifelsohne eigen, es bedürfe aber
immer der Abwägung im Einzelfall und bezogen auf seine genaue Ausgestaltung, ob dabei
die Spiellust wirklich die Oberhand gewinnt.788 Damit kann die lauterkeitsrechtliche Beurteilung ganz unterschiedlich ausfallen, je nachdem ob einerseits geschlossene Preisstufen oder
andererseits flexible Wahlmöglichkeiten bestehen.789 Aufgeworfen wurde auch die Frage unzulässiger Laienwerbung790, zu der das PowerShopping „massive Anreize“ biete:791 Um bestimmte Preisstufen zu erreichen oder zu schließen, wird der Teilnehmer dazu verlockt, noch
fehlende weitere Teilnehmer im eigenen Bekanntenkreis zu werben.792 Da jedoch der eigene
781
OLG Köln, CR 2001, S. 545 = GRUR 2001, S. 598.
Menke, WRP 2000, S. 337; Lange, WRP 2001, S. 888; Stoffmehl, MMR Beilage 8/2001, S. 35.
783 Vgl. Stoffmehl, MMR Beilage 8/2001, S. 35 (40); Menke, WRP 2000, S. 337 (346).
784 Lange, WRP 2001, S. 888 (892); Stoffmehl, MMR Beilage 8/2001, S. 35 (40).
785 Vgl. Baumbach/Hefermehl/Köhler, § 4 Rn 1.999 mwN; Fezer/Mankowski, UWG, § 4-S12, Rn 249 ff.
786 Baumbach/Hefermehl/Köhler, § 4 Rn 1.999.
787 Baumbach/Hefermehl/Köhler, § 4 Rn 1.999.
788 Fezer/Mankowski, UWG, § 4-S12, Rn 244 ff.
789 eingehend und mwN Fezer/Mankowski, UWG, § 4-S12, Rn 245 f.
790 vgl. zur lauterkeitsrechtlichen Relevanz den Überblick bei Baumbach/Hefermehl/Köhler, § 4 Rn 1.176 ff.
791 Fezer/Mankowski, UWG, § 4-S12, Rn 247.
792 LG Köln CR 2000, 318; LG Hamburg CR 2001, 774.
782
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Vorteil des werbenden Laien nicht übermäßig hoch sei und auch hier der angesprochene Kreis
am Maßstab des durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers gemessen werden müsse, wurde auch dies grundsätzlich verneint, solange nicht, gerade im Zusammenspiel
mit den aleatorischen Reizen, sich die Unlauterkeit aus der besonderen Situation ergibt.793
Da ein Übermaß von Vorteilen für den Teilnehmer gerade nicht vorliegt, kommt auch Unlauterkeit wegen übertriebenen Anlockens nicht in Betracht.794 Da schließlich beim Community
Shopping die einzelnen Preisstufen auch klar und bestimmt dargestellt sind und dem Verbraucher der Vergleich zwischen den einzelnen festgelegten Preisstufen und dem üblichen Marktpreis möglich ist, wird auch regelmäßig keine Unlauterkeit wegen Vorsprungs durch Rechtsbruch nach § 4 Nr. 11 UWG nF iVm der PAngVO gegeben sein.795
d. Freie Berufe im Internet
Unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten sind auch die Möglichkeiten geschäftlicher
Aktivitäten von freien Berufen im Internet zu beurteilen. Durch Verstoß gegen wettbewerbsbezogene standesrechtliche Vorschriften kann ein wettbewerbswidriger Vorsprung durch
Rechtsbruch im Sinne von erlangt werden. Diskutiert wurde bisher insbesondere die Frage
nach der Möglichkeit, über das Internet Arzneimittel zu bewerben und zu vertreiben (a) sowie
für Dienstleistungen freier Berufe im Internet zu werben (b).
aa. Internet-Apotheken
Durch den Vertrieb pharmazeutischer Produkte über das Internet könnten – so die Hoffnung
von Patienten und Politik - starke Einsparungen im Gesundheitswesen erzielt werden. Das
Einsparpotential liegt in erster Linie darin begründet, dass so Medikamente auch aus anderen
Staaten bezogen werden könnten, in denen sie oft günstiger angeboten werden als in Deutschland.796 Auf der anderen Seite wurde durch einen anonymisierten und schwer kontrollierbaren
Bezug von Arzneimittel eine Gefährdung der Volksgesundheit befürchtet. Besondere Beachtung hat der Fall der niederländischen Internet-Apotheke DocMorris gefunden. Im Wege einer
793
Fezer/Mankowski, UWG, § 4-S12, Rn 248 mwN.
Vgl. OLG Köln, GRUR-RR 2002, 40- Powershopping, m. Anm. Leible/Sosnitza; Fezer/Mankowski, UWG, § 4S12, Rn 249 f mwN.
795 Fezer/Mankowski, UWG, § 4-S12, Rn 251 mwN.
796 Vgl. Ernst, WRP 2001, S. 893.
794
158
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einstweiligen Verfügung untersagte das LG Frankfurt797 und bestätigend das OLG Frankfurt798 DocMorris den Vertrieb von Arzneimitteln in Deutschland. Das LG Berlin799 entschied
in einem Parallelverfahren zunächst zugunsten von DocMorris, wurde jedoch durch das KG
Berlin800 im Sinne der Frankfurter Urteile korrigiert. Das erste Hauptsacheverfahren vor dem
LG Frankfurt wurde ausgesetzt, da der Fall verschiedene europarechtliche Fragen aufwarf,
die man im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens dem EuGH vorgelegt hat:801 Gemäß §
43 Arzneimittelgesetz (AMG) ist der Fernabsatz von apothekenpflichtigen Arzneimitteln an
Endverbraucher grundsätzlich nicht zulässig. Auch war gemäß § 8 Abs. 1 HWG aF Werbung
unzulässig, die darauf hinwirkt, apothekenpflichtige Medikamente im Wege des Versandhandels zu beziehen. Würde eine deutsche Apotheke Arzneimittel über das Internet vertreiben
oder einen solchen Vertrieb bewerben, so wäre darin wegen eines Verstoßes gegen die genannten Vorschriften des AMG und dem HMG gleichzeitig in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht ein unlauterer Vorteil durch Rechtsbruch zu sehen. Für Apotheken aus dem europäischen Ausland könnte sich allerdings unter dem Gesichtspunkt des freien Warenverkehrs eine
andere Beurteilung ergeben. Fraglich war in diesem Zusammenhang, ob unter dem Gesichtspunkt der in §§ 28ff EGV niedergelegten Warenverkehrsfreiheit eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung entsprechender Ausnahmevorschriften aus dem AMG und HWG geboten
sei.802 Entscheidend war zunächst, ob die deutschen Verbotsnormen unter Art. 28 EGV fallen,
der unter dem Stichwort der Warenverkehrsfreiheit mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen
sowie Maßnahmen gleicher Wirkung verbietet. Im Sinne der Dassonville-Formel803 stellt das
Fernabsatzverbot sowie auch das Werbeverbot Maßnahmen gleicher Wirkung dar. Jedoch
könnten
beide
Rechtsprechung
Verbote
804
als
typische
Verkaufsmodalitäten
im
Sinne
der
vom Anwendungsbereich des Art. 28 EGV ausgenommen sein.
805
KeckSelbst
wenn man dies verneinen würde, könnten die deutschen Vorschriften noch gemäß Art. 30
EGV gerechtfertigt sein.806 Hier hat die Entscheidung des EuGH in Sachen DocMorris für
797
798
LG Frankfurt, MMR 2001, S. 243.
OLG Frankfurt, MMR 2001, S. 751.
799
LG Berlin, MMR 2001, S. 249 (m. Anm. Mankowski).
KG Berlin, MMR 2001, S. 764.
801Der wesentliche Inhalt des Vorlage an den EuGH kann der Pressmittelung des LG Frankfurt unter folgendem
Link entnommen werden:
http://www.landgericht.frankfurt-main.de/Presseerklaerung_ZS(InternetapothekeIV).htm .
802 Siehe im Einzelnen: Ernst, WRP 2001, S. 893 (895ff).
803 EuGH, Urt. v. 11.7.1974, S. 837.
804 EuGH, Urt. v. 24.11.1993, EuZW 1993, S. 770; Ernst, WRP 2001, S. 893 (897f).
805 Ernst, WRP 2001, S. 893 (897f).
806 Vgl. hierzu Ernst, WRP 2001, S. 893 (894ff).
800
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Klarheit gesorgt. Nach dem Urteil des EuGH807 gibt es für das Versandhandelsverbot keine
europäische Rechtsfertigung, soweit es nicht um verschreibungspflichtige Medikamente geht.
Beschränkungen sind also nur zulässig bei verschreibungspflichtigen oder in Deutschland
nicht zugelassenen Arzneimitteln.808 Der deutsche Gesetzgeber hat hier allerdings bereits reagiert: Mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKVModernisierungsgesetz – GMG) vom 14. November 2003809 wurde der Internetversandhandel
aus § 8 HWG herausgenommen; unzulässig ist jetzt insbesondere noch die Werbung für einen
Bezug über Teleshopping.810 Auch § 43 AMG wurde im Zuge dessen modifiziert.811
So hat das KG nun entschieden, dass eine niederländische Apotheke zum Versand über Internet befugt sei.812 Selbst in einem Angebot, dass auch in Deutschland ansässigen Nutzern eine
Bestellung weit unter dem nach der deutschen Arzneimittelpreisverordnung vorgesehenen
Abgabepreis ermöglicht, sah das OLG Hamm außerdem keinen Verstoß gegen deutsches
Recht, da im grenzüberschreitenden Handel die Preisbindung aufgrund des primären Gemeinschaftsrechts nicht gelten könne.813 Bietet eine ausländische Internet-Apotheke in Deutschland nicht zugelassene Arzneitmittel an, so kann sie grundsätzlich per „Disclaimer“ das
Verbreitungsgebiet ihrer Werbung einschränken; allerdings muss dieser, um wirksam zu sein,
eindeutig gestaltet und aufgrund seiner Aufmachung als ernst gemeint aufzufassen sein und –
vielelicht am wichtigsten- vom Werbenden tatsächlich umgesetzt werden. Der BGH814 hat
diese Voraussetzungen nicht gesehen im Fall einer niederländischen InternetversandApotheke, die auf der Startseite ihres Auftritts den Hinweis „Deutschsprachige Europäer, aber
nicht an deutsche Adressen“ geschaltet, gleichwohl Preise aber neben € auch in DM angegeben und auf Bestellung hin auch in Deutschland ansässige Endkunden beliefert hatte.815
Wenn verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht über Internet-Apotheken, sondern über
Internetbörsen versteigert werden, so ist dies allerdings ein Verstoß gegen § 43 AMG, der von
der Aufsichtsbehörde mit Sofortvollzug behoben werden kann.816
807
EuGH, Urt. v. 11. Dezember 2003, MMR 2004, 149 m. Anm. Mand.
Dazu eingehend auch Arhold/Wimmer, Arzneimittelhandel über das Internet, K&R 2004, 126.
809 GKV-Modernisierungsgesetz, BGBl I 2003 Nr. 55, S. 2190 ff.
810 Art. 22 Nr. 3 GKV-Modernisierungsgesetz, BGBl I 2003 Nr. 55, S. 2253; s. dazu Fezer/Reinhart, UWG, § 4-S4,
Rn 434 f.
811 Vgl. Art. 23 Nr. 1 GKV-Modernisierungsgesetz, BGBl I 2003 Nr. 55, S. 2253.
812 MMR 2005, 246.
813 OLG Hamm, MMR 2005, 101.
814 BGH MMR 2006, 461.
815 BGH MMR 2006, 461.
816 VGH München, NJW 2006, 715.
808
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bb. Anwaltliche Dienstleistungen über das Internet
Die Bewerbung anwaltlicher Dienstleistungen im Internet sowie die Rechtsberatung über das
Internet können wegen Vorteils durch Rechtsbruchs gegen § 4 Nr. 11 UWG verstoßen, sofern
standesrechtliche Vorschriften nicht eingehalten werden. Einschlägig sind insofern die Regelungen der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) sowie der Bundesgebührenordnung für
Rechtsanwälte (BRAGO).
Gemäß § 43 b BRAO ist die Werbung für einen Rechtsanwalt nur erlaubt, soweit sie über die
berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines
Auftrags im Einzelfall gerichtet ist. Die Website eines Anwalts ist Werbung. Auf ihr darf der
Rechtsanwalt über seine Dienstleistung und seine Person informieren, soweit die Angaben
sachlich unterrichten und berufsbezogen sind (siehe auch § 6 Abs. I u. II Berufsordnung für
Rechtsanwälte). Sofern die Internetwerbung also sachlich und nicht reklamehaft gehalten ist,
bestehen keine Bedenken gegen sie. Für unzulässig wurde es allerdings seitens der Rechtsprechung erachtet, wenn die Website ein Gästebuch enthält, da solche subjektive Belobigungen und damit unsachliche Werbung enthalten könne;817 dem wird allerdings seitens der Literatur widersprochen: Eine Beeinträchtigung der Funktion der Rechtspflege sei durch da Lob
anderer Mandanten schließlich nicht ersichtlich.818 Ist in der Werbung für eine Kanzlei auf
ihrer Homepage die Angabe über eine „optimale Vertretung“ eingebettet in eine Reihe von
Sachangaben, kann allerdings auch nach einer jüngeren Entscheidung des BGH nach den Umständen des Falles und dem Kontext der gesamten Werbeaussage ein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot nach § 43b BRAO, § 6 BORA zu verneinen sein.819 Die Domain „rechtsanwaelte-notar.de“ stellt nach einem Beschluss des Anwaltssenats beim BGH wegen der ungewöhnlichen Begriffskombination (Sing./Plur.) keine Gefahr der wettbewerbswidrigen Kanalisation von Kundenströmen dar, außerdem reiche es aus, wenn bei „Aufschlagen“ der „ersten
Seite der Homepage“ eine etwaige Fehlvorstellung sofort korrigiert werde- eine Irreführung
sei dann auszuschließen.820 Auch wenn der Internet-Nutzer auf einer Homepage unter dem
Namen „presserecht.de“ auf Informationen über eine einzelne Anwaltskanzlei stößt, ist dies
keine Irreführung: Laut Anwaltssenat des BGH wisse der Nutzer, dass er nicht sicher sein
817
So LG Nürnberg-Fürth, CR 1998, S. 622; s. im Einzelnen Fezer/Becker-Eberhard, UWG, § 4-S3, Rn 65 ff und zu
den Besonderheiten anwaltlicher Werbung im Internet ebenda, Rn. 96 ff.
818 S. Fezer/Becker-Eberhard, UWG, § 4-S3, Rn 72 mit eingehenden Nachweisen.
819 BGH GRUR 2005, 520 – Optimale Vertretung.
820 BGH, NJW 2003, 504.
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könne, unter einer solchen Adresse auf eine wettbewerbsneutrale Seite zu gelangen.821 Für
zulässig wurde außerdem der Slogan „All you need is l@w“822 erachtet, nicht dagegen die
Betreibung der Seite „Rechtsanwalt.com“, soweit dies nicht maßgeblich durch einen Berufsangehörigen geschieht823.824
Eine andere Frage betrifft die Zulässigkeit von Rechtsberatung über das Internet. Diskutiert
wurde diese Frage in erster Linie im Hinblick auf die Beachtung entsprechender Vorschriften
der BRAGO.825 Bezüglich dieser Problematik wird auch auf die Rechtsprechung zu anwaltlichen Dienstleistungen im Rahmen von 0190-Nummern verwiesen.826 Der BGH hat inzwischen zur telefonischen Rechtsberatung zum Minutenpreis durch eine sog. „Telekanzlei“ entschieden, dass solche Vereinbarungen nicht notwenig gegen das Gebührenrecht verstoßen,
insbesondere müssen die Tarife und Sonderzahlungen hinreichend transparent sein.827 Die
sich aus der BRAGO ergebenden Komplikationen betreffen allerdings eher den technischen
Vorgang der Honorierung und nicht die grundsätzliche Zulässigkeit anwaltlicher Beratungsleistungen über das Internet. Der Abschluss einer Vergütungsvereinbarung nach § 3 Abs. 1
BRAGO, die Ausfertigung Vergütungsberechnung nach § 18 BRAGO, aber auch die Erteilung Vollmachtsurkunde nach § 80 ZPO dürften beispielsweise nach Einführung der elektronischen Form (126 Abs. 3 BGB) in Zukunft auch online erfolgen können.828 Da die anwaltliche Beratung auch schriftlich und sogar telefonisch erfolgen kann, steht der Erbringung über
das Internet grundsätzlich nichts entgegen, sofern die einschlägigen standesrechtlichen Erfordernisse, wie etwa das der Vertraulichkeit, gewahrt werden.829
6. Zu den Rechtsfolgen im UWG
Als Rechtsfolgen nach dem neuen UWG interessant sind v.a. ein verschuldensunabhängiger
Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch der Mitbewerber und qualifizierter Einrichtungen,
821
BGH, NJW 2003, 662.
AnwGH Hamburg, NJW 2002, 3184.
823 OLG Hamburg, MMR 2002, 824; aA LG Mannheim, NJW-RR 2002, 1580.
824 Weitere Rechtsprechung zur Verwendung von Domains durch Rechtsanwälte haben Schreibauer/Mulch, Neuere
Rechtsprechung zum Internetrecht, WRP 2005, 442, 450, gesammelt.
825 Köhler/Arndt, Internetrecht, Rn. 378 f.
826 So: Köhler/Arndt, Internetrecht, Rn. 378 f.
827 BGH WRP 2005, 598- Telekanzlei.
828 Siehe zu einzelnen rechtlichen Problemen der Erbringung anwaltlicher Dienstleistungen über das Internet, auch
aus einer europarechtlichen Perspektive: Berger, NJW 2001, S. 1530 ff.
829 Köhler/Arndt, Internetrecht, Rn. 378.
822
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§ 8 UWG, ein verschuldensabhängiger Schadensersatzanspruch der Mitbewerber aus
§ 9 UWG, sowie, als Novum im deutschen Recht, nach § 10 UWG ein Gewinnabschöpfungsanspruch, der bei einem vorsätzlichen Wettbewerbsverstoß bestimmte qualifizierte Einrichtungen, nicht aber die Mitbewerber, dazu berechtigt, die Herausgabe des aus der Verletzungshandlung erwirtschafteten Gewinns an den Bundeshaushalt zu verlangen.
Diese Vorschrift der Gewinnabschöpfung war rechtspolitisch sehr umstritten. Ihr Ziel ist der
Ausgleich eines Kompensationsausfalls bei sog. Bagatell- und Streuschäden: In Fällen, in
denen typischerweise eine Vielzahl von Abnehmern einen relativ geringen Schaden erleiden,
dem aber auf der Gegenseite ein hoher Gewinn auf Seiten des unlauter Handelnden entsprechen kann, soll vor allem aus Gründen der Prävention und Sanktion dem Unternehmer kein
Gewinn verbleiben. Gerade dies ist aber dann der Fall, wenn z.B. keiner der Mitbewerber
einen eigenen Schadensersatzanspruch geltend machen kann oder will und der Verbraucher
bzw. Abnehmer ein „rationales Desinteresse“830 an der Geltendmachung seines wirtschaftlich
geringen Schadens hat831. Damit soll der Anspruch die „Auslesefunktion des Wettbewerbs“
übernehmen, die in bestimmten Fallgruppen typischerweise ausfällt.832 Beispiele für solche
Bagatell- und Streuschäden sind u.a. serienmäßige Füllmengenunterschreitungen, 0190erMehrwertrufnummern, unter denen die erwünschte Dienstleistung nicht erbracht wird, oder
die Abbuchung geringer Beträge ohne Rechtsgrund.833 Allerdings ist die Anwendbarkeit und
Reichweite der Vorschrift in einigen Punkten noch sehr umstritten. So ist nach dem Wortlaut
der Gewinn abzuschöpfen, der „zu Lasten“ einer Vielzahl von Abnehmern erwirtschaftet
wurde. Gerade hier scheiden sich nun die Geister über das Erfordernis einer direkten Entsprechung von Gewinn des Unternehmers und wirtschaftlicher Beeinträchtigung auf Abnehmerseite. Gerade die Fallgruppe des „Spamming“ wäre bei solchen Anforderungen von den Voraussetzungen des § 10 UWG nicht mehr erfasst: Die Unternehmergewinne ergeben sich hier
aus aufgrund der Werbung angebahnten Vertragsschlüssen. Diesen Gewinnen steht bei der
Masse der mit äußerst geringem Kostenaufwand beworbenen Marktteilnehmern als potentiellen Abnehmern ein im Einzelfall eher unerheblicher bzw. je nach Fallgestaltung auch kein
direkt vermögenswerter Nachteil gegenüber,834 je nachdem, ob sich der Zeitaufwand beim
830
Vgl. Basedow/Hopt/Kötz/Baetge, Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozess – Verbandsklage und
Gruppenklage, 1999, S. 46.
831 Zur Frage der Notwendigkeit eines eigenen lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzes gehen die Meinungen ebenfalls weit auseinander, vgl. Fezer, UWG, E Rn. 102 sowie in Gegenposition Köhler, GRUR 2003, 265.
832 Alexander, WRP 2004, 407, 417; Fezer/von Braunmühl, UWG, § 10 Rn 4.
833 Vgl. Begr RegE, BT-Drucks. 15/1487, S. 23; zu weiteren Fallgruppen auch Fezer/von Braunmühl, UWG, § 10 Rn
188 ff.
834 Fezer/von Braunmühl, UWG, § 10 Rn 189.
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Löschen der Spams als Gebührenbelastung niederschlägt.835 Eine Konnexität zwischen Gewinn und diesen Nachteilen auf Seiten lediglich potentieller Vertragspartner ist damit aber
ausgeschlossen.836 Soweit diese Konnexität verlangt wird, ist mit § 10 UWG immer noch kein
geeignetes Sanktionsmittel für Spam-Sünder geschaffen.837 Insofern wird die Zukunft zeigen,
wie die Rechtsprechung bei der Auslegung des teilweise etwas unglücklich formulierten
Wortlauts des § 10 UWG einer Anwendbarkeit auf Fälle unerwünschten Direktmarketings,
insbesondere des Spamming, gegenübersteht.
B. Kartellrecht
Anders als das allgemeine Wettbewerbsrecht, welches unlautere Wettbewerbshandlungen
bekämpft, kommt dem Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellrecht) die Funktion
zu, die Freiheit des Wettbewerbs zu schützen und wirtschaftliche Macht dort zu beseitigen,
wo sie die Wirksamkeit des Wettbewerbs und die ihm innewohnenden Tendenzen zur Leistungssteigerung beeinträchtigt und die bestmögliche Versorgung des Verbrauchers in Frage
stellt.838 Aufgabe des Kartellrecht ist es, den freien funktionsfähigen Wettbewerb in seinem
Bestand zu erhalten und zu fördern. Hierzu sollen zunächst die Bildung von Kartellen durch
wettbewerbsbeschränkende Absprachen durch die Markteilnehmer verhindert und Fusionsbestrebungen großer Unternehmen zu marktbeherrschenden Unternehmen kontrolliert werden.
Darüber hinaus geht es um die Verhinderung des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen, die geeignet sind, den Wettbewerb zu beschränken. Die wichtigsten Vorschriften
finden sich auf europäischer Ebene in den Art. 81 und 82 EGV, sowie im deutschen Recht
im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Mit dem Siebten Änderungsgesetz
zum GWB, in Kraft seit dem 13. Juli 2005, ist das GWB umfassend reformiert worden, allerdings ergeben sich dabei kaum Auswirkungen auf den hier behandelten Bereich des Internet-
835
Vgl. dazu auch BGH GRUR 2004, 517- E-Mail-Werbung.
Fezer/von Braunmühl, UWG, § 10 Rn 190, der allerdings das Erfordernis einer Konnexität ablehnt, d
837 so zB Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815; aA Fezer/von Braunmühl, UWG, § 10 Rn 190, der das Erfordernis einer
Konnexität ablehnt, da es schon in der Natur der Werbemaßnahme liege, unter Inkaufnahme einer hohen Zahl ins
Leere laufender Impulse eine Streuwirkung zu erzielen, weshalb eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung des einheitlichen Werbevorgangs vorzunehmen sei.
838 Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., Allg., Rn. 84.
836
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rechts839. Im Bereich des Softwarerechts ist außerdem die Vorschrift des § 69e UrhG interessant, die unter bestimmten Bedingungen die Ausschließlichkeitsrechte des Rechteinhabers
einschränkt, wenn die Dekompilierung des dem Programm zugrundeliegenden Codes unerlässlich ist, „um die erforderlichen Informationen zur Herstellung der Interoperabilität eines
unabhängig geschaffenen Computerprogramms mit anderen Programmen zu erhalten (...)“, §
69e Abs. 1 UrhG. Die Regelung soll in diesem Bereich den Interessenskonflikt zwischen
Rechteinhabern und den Interessen der Wettbewerber und damit auch dem Ziel eines funktionierenden Wettbewerbs ausbalancieren. Inwieweit neben dem Interessenkompromiss des §
69e UrhG, der bereits wettbewerbsrechtliche Aspekte berücksichtigt, auch kartellrechtliche
Verpflichtungen greifen können, ist wohl umstritten.840
In Bezug auf das Internet und den E-Commerce stellt sich sowohl auf internationaler und europäischer als auch auf nationaler Rechtsebene die Frage, inwieweit die Entwicklung auf diesen dynamischen Märkten durch die für traditionelle Industriezweige entwickelten kartellrechtlichen Vorschriften steuerbar ist und sein soll. Die globalen Märkte der New Economy
sind gekennzeichnet von starken Größenvorteilen, Netzwerkeffekten und rapider Innovation.841 Insbesondere Fusionstätigkeiten zur Schaffung vertikal integrierter Unternehmen oder
Zusammenarbeit von Unternehmen auf horizontaler Ebene, etwa durch Schaffung von Einkaufsgemeinschaften sowie Fälle des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen geraten
ins Blickfeld der Kartellbehörden.842 Dabei wird versucht, eine Abwägung zu treffen zwischen dem Schutz vor solchem Missbrauch einerseits und dem Phänomen eines durch den
schon erwähnten „Netzwerkeffekt“843 entstehenden natürlichen Monopols, dessen Bekämpfung unter Umständen fortschrittsfeindlich sein könnte.844 Im Folgenden sollen anhand von
Entscheidungen exemplarisch einige kartellrechtliche Problembereiche mit Bezug auf das
Internet dargestellt werden.
839
Für Interessierte bieten einen Überblick die Aufsätze von Fuchs, Die 7. GWB-Novelle – Grundkonzeption und
praktische Konsequenzen, WRP 2005, 1384, sowie von Hartog/Noack, Die 7. GWB-Novelle, WRP 2005, 1396.
840 Vgl. Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 2. Aufl. 2006, § 69e Rn. 6 a.E.; s. auch unten VI. B. 3. zum neuesten Fall
„Microsoft“.
841 Gey, WuW 2001, S. 933.
842 Vgl. v. Wallwitz, in: Schwarz (Hrsg.), Recht im Internet (Loseblattsammlung), Kap. 5-4.1, S. 2.
843 unter dem Netzwerkeffekt ist in diesem Zusammenhang v.a. die Nutzungssteigerung zu fassen, die sich daraus
ergibt, dass dasselbe (Kern-)Produkt von möglichst vielen Abnehmern genutzt wird, wie zum Beispiel im Bereich der
PC-Betriebssysteme durch erleichterte Interoperabilität und Datenaustausch.
844 dazu Heinemann, CR 2005, 715 ff.
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1. Covisint
Besondere Beachtung im Bereich des Kartellrechts haben sogenannte B2B845-Marktplätze
gefunden.846 In den letzten Jahren haben sich zahlreiche solcher Plattformen im Internet in
unterschiedlichen Industriezweigen entwickelt, welche etwa der Abwicklung von Ein- und
Verkaufstätigkeiten, der Koordination von Entwicklungsaktivitäten, oder einer effizienten
Bedarfsplanung und dem Informationsaustausch zwischen den Unternehmen dienen. Solche
elektronischen Markplätze werfen mehrere kartellrechtliche Fragen auf. In erster Linie geht es
dabei um die Frage eines diskriminierungsfreien Zugangs für alle Anbieter auf dem betreffenden Markt. Ein solcher muss in rechtlicher, aber auch technischer Hinsicht gewährleistet sein.
Zudem kann es durch die Bündelung von Einkaufstätigkeiten zu einer wettbewerbsschädlichen Konzentration von Nachfragemacht kommen. Schließlich kann der über solche Plattformen erfolgende Informationsaustausch bedenklich sein, wenn er zur Koordination von Wettbewerbsverhalten oder von Preisabsprachen führt. In der Grundsatzentscheidung Covisint847
hatte das Bundeskartellamt über die Zulässigkeit einer Plattform zu entscheiden, welche als
Gemeinschaftsunternehmen der Automobilhersteller DaimlerChrysler, Ford, General Motors
und Renault/Nissan betrieben wurde. Covisint ist eine Internetplattform für das Beschaffungswesen, das Zulieferungsmanagement und die Produktentwicklung im Automobilsektor.
Da die Betreiberunternehmen erklärt hatten, allen Markteilnehmern einen offenen und diskriminierungsfreien Zugang zu Covisint zu ermöglichen, keine exklusive Nutzung zu verlangen
sowie keine gemeinsamen Einkaufstätigkeiten über Covisint zu entfalten, wurde der Zusammenschluss durch das Bundeskartellamt schließlich freigegeben.848 Das Bundeskartellamt hat
sich jedoch eine spätere Überprüfung der Tätigkeiten von Covisint ausdrücklich vorbehalten.
2. AOL/Time Warner
Die im Bereich der Fusionskontrolle wohl bedeutsamste Entscheidung war der Zusammenschluss von America Online, dem Betreiber der weltweit führenden Internet-Plattform, und
Time Warner, eines der weltweit größten Medienkonzerne. Dabei ging es um die vertikale
Integration von Inhalten und deren Vertrieb über Kabelnetze und dem Internet. Die Europäi-
845
business-to-business
Zur kartellrechtlichen Problematik solcher B2B-Marktplätze siehe auch: Asschenfeldt, MMR Beilage 9/2001, S. 5.
847 BKartA, Beschl. v. 25.9.2000 (Covisint), BB 2000, S. 2431 ff..
848 v. Wallwitz in: Schwarz (Hrsg.), Recht im Internet (Loseblattsammlung), Kap. 5-4.1, S. 12.
846
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sche Kommission849, wie auch die US Federal Communications Commission850 (FCC) haben
diesen Zusammenschluss jeweils unter Auflagen genehmigt.
Unter den zahlreichen rechtlichen Problemen, welche diese Fusion mit sich brachte, sei beispielsweise die auf dem europäischen Markt bestehende Verflechtung von AOL und Bertelsmann genannt.851 Im Musikmarkt hätte AOL/Time Warner mit den Inhalten von Time Warner
und Bertelsmann sowie der Vertriebsplattform von AOL eine marktbeherrschende Stellung in
Bezug auf die Online-Verbreitung von Musik über das Internet erlangt. Andere Musikanbieter
wären von der AOL-Infrastruktur abhängig geworden, wodurch AOL die Funktion eines „Gatekeepers“ zugekommen wäre.852 Die EU-Kommission gestatte die Fusion daher nur unter der
Bedingung, das AOL seine vertraglichen Verflechtungen zum Bertelsmann-Konzern beendete.
3. Microsoft und Deutsche Telekom
Gerade im IT-Bereich kommt der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle eine besondere
Bedeutung zu, da wichtige Schlüsselpositionen oft von einigen wenigen Unternehmen beherrscht werden. Prominentestes Beispiel ist das Unternehmen Microsoft, welches im Bereich der Betriebssysteme über eine marktbeherrschende Stellung verfügt. In zwei bedeutsamen Fällen geriet die Firma Microsoft ins Visier der Kartellbehörden. Im ersten Fall ermittelte die EU-Kommission gegen Microsoft wegen der Kopplung des Betriebssystems Windows
95 mit einem automatischen Zugang zum „Microsoft Network“, einem Online-Dienst von
Microsoft. Zum einen wurde darin ein nach Art. 82 Abs. 2 d EGV verbotenes Koppelungsgeschäft gesehen, da die Käufer des Betriebsystems möglicherweise gezwungen wurden, den
Online-Dienst von Microsoft mitzufinanzieren. Wichtiger war aber die Gefahr, dass Microsoft
durch diese Praxis seine beherrschende Stellung auf dem Markt für Betriebssysteme dazu
ausnützen könnte, andere Online-Dienste vom Markt zu verdrängen und auch auf diesem Gebiet der Zugangsysteme eine beherrschende Stellung zu erreichen. Dieses Verfahren wurde
von der Kommission – wohl mit Blick auf die ausstehende Entscheidung der USKartellbehörden - nicht weitergeführt.853 Im zweiten Fall ging es um die Einbindung des
Browsers „Internet Explorer“ in die Betriebsysteme „Windows 95“ und „Windows 98“. Hier-
849
IP/00/1145 vom 11.10.2000.
Public Notice vom 11.01.2001.
851 S. ausführlicher: v. Wallwitz in: Schwarz (Hrsg.), Recht im Internet (Loseblattsammlung), Kap. 5-4.1, S. 19 ff..
852 v. Wallwitz in: Schwarz (Hrsg.), Recht im Internet (Loseblattsammlung), Kap. 5-4.1, S. 20.
853 Freitag in: Kröger/Gimmy, Handbuch zum Internetrecht, 2. Auflage, S. 412 (418).
850
167
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durch gelang es Microsoft, seinen Konkurrenten Netscape von der Spitzenstellung auf dem
Markt für Internetbrowser zu verdrängen. Das US-Justizministerium eröffnete daraufhin ein
Verfahren gegen Microsoft, da Microsoft seine marktbeherrschende Stellung auf dem Markt
der Betriebsysteme dazu ausgenutzt habe, um auch auf dem Markt der Internet-Browser eine
marktbeherrschende Stellung zu erreichen, indem es durch die Vorinstallation des Internet
Explorers wettbewerbswidrige Marktzutrittsschranken aufbaue.854 Das erstinstanzliche Gericht ordnete in einem Aufsehen erregenden Urteil855 die Aufspaltung von Microsoft in zwei
eigenständige Unternehmen an, nämlich eines für den Bereich der Betriebssysteme und eines
für den Bereich der Applikationen. Das Gericht sah in der Praxis von Microsoft ein rechtswidriges Kopplungsgeschäft, sowie den Versuch der Monopolisierung des Marktes für Internetbrowsers. Das Bundesberufungsgericht hob jedoch die angeordnete Zerschlagung auf und
schränkte die kartellrechtliche Verantwortlichkeit von Microsoft erheblich ein.856 In ihrer Entscheidung betonten die Richter, dass wegen der fehlenden Erfahrung bei Anwendung des Kartellrechts in technologisch hochdynamischen Märkten und der damit einhergehenden Gefahr
von Fehleinschätzungen ein behutsames Vorgehen angezeigt ist.857
Das jüngste Kartellverfahren gegen Microsoft führte wiederum die EU-Kommission: Sie warf
dem Unternehmen vor, durch unfaire Geschäftspraktiken Konkurrenzprodukte vom Markt zu
drängen. Ins Visier der Kommission war Microsoft insbesondere wegen der Integrierung des
Windows Media Player in Windows XP sowie der fehlenden Offenlegung von technischen
Schnittstellen bei Server-Software geraten, wodurch die Dialogfähigkeit des Betriebssystems
mit fremder Software erheblich eingeschränkt war. Darin sah die EU-Kommission letztlich
einen Verstoß gegen Art. 82 EG-Vertrag und verhängte im März 2004 eine Geldstrafe von
497.196.304,- € sowie die Anordnung, dass Microsoft innerhalb von 120 Tagen die Schnittstellen offen legen müsse, die ihre Wettbewerber benötigen, damit ihre Produkte mit dem
Windows-Betriebssystem kommunizieren könnten, und innerhalb von 90 Tagen ein Win-
854
S. v. Wallwitz in: Schwarz (Hrsg.), Recht im Internet (Loseblattsammlung), Kap. 5-4.1, S. 27 f. Mit Rücksicht auf
das Verfahren in den USA hat die EU-Kommission bisher in dieser Sache kein eigenes Verfahren wegen Verstoßes
gegen Art. 82 EGV eröffnet.
855 United States v. Microsoft Corporation, 97 F. Supp. 2d 59 (D.D.C. 2000). Das Urteil ist abrufbar unter:
www.usdoj.gov/atr/cases/f4400/4469.htm. Hierzu lesenswert: die zustimmende Ansicht von Black, CRi 2001, S. 57;
sowie die ablehnende, im Wesentlichen auf den Nutzen der Konsumenten abstellende Meinung von Frank, CRi
2001, S. 56.
856 United States v. Microsoft Corporation, 253 F. 3d 34 (DC. Cir. 2001).
857 Siehe zu den ökonomischen Besonderheiten von solchen innovativen Märkten, sowie den wichtigsten Aspekten
des Berufungsurteils in Sachen Microsoft: Gey, WuW 2001, S. 933.
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dows-Betriebssystem auch ohne den Windows Media Player anzubieten habe.858 Der Antrag
Microsofts auf Aussetzung der Auflagen wurde vom EU-Gerichtspräsidenten erster Instanz
abgelehnt, da der Konzern nicht haben nachweisen können, dass ihm dadurch „ein schwerer
und irreparabler Schaden“ entstehen könne.859 Microsoft verzichtete in dieser Sache auf eine
Berufung, hält aber an der Klage gegen den Kommissions- Beschluss vom März 2004 weiterhin fest.860 Seit Januar 2005 vertreibt nun Microsoft eine Windows-Vesion ohne MediaPlayer, die allerdings genauso viel kostet wie die nicht abgespeckte Version und zudem „sehr
konservativ vermarktet“ wird.861 Die neue Windows- XP- Version ohne Media Player kam
dann in endgültiger Version im Juli 2005 in den Handel, nach Protesten der europäischen
Wettbewerbshüter allerdings nicht, wie eigentlich von Microsoft vorgesehen, unter dem Namen „Windows XP Reduced Media Edition“,862 sondern als „Windows XP N“.863
Ein in Ansätzen vergleichbar strukturierter Fall bezüglich der Deutschen Telekom lag unlängst dem Kartellsenat des BGH vor:864 AOL hatte gegen die Deutsche Telekom geklagt
wegen einer Kombination der beiden Produkte T-ISDN und T-Online unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nach §§ 19 I, IV Nr.1, § 33 GWB.
Im Gegensatz zu den Vorinstanzen äußerte der BGH kartellrechtliche Bedenken für solche
Fälle, in denen „das den Markt für Festnetzanschlüsse beherrschende Telefonunternehmen
zusammen mit einem Tochterunternehmen, das auf dem Markt bereits über eine starke Stellung verfügt, ISDN- Anschlüsse gekoppelt mit einem Internetzugang anbietet“. Selbst wenn
der Internetzugang im Rahmen des Kopplungsangebots den Teilnehmer zu nichts verpflichte
und ihm die Möglichkeit offen lasse, Kunde eines anderen Anbieters zu werden, sei die Koppelung kartellrechtlich verboten, soweit von dem Angebot eine tatsächliche Sogwirkung ausgehe und ein erheblicher Teil der ISDN-Kunden auf Grund der Koppelung „für andere Anbieter von Internetzugängen verloren“ sei.865 Eine abschließende Entscheidung konnte der Senat
nicht erlassen, da noch tatsächliche „Feststellungen zur Stellung der Bekl. zu 1 (Deutsche
858
Der
Text
des
300seitigen
Berichts
der
Kommission
findet
sich
unter
http://europa.eu.int/comm/competition/antitrust/cases/decisions/37792/en.pdf; die Stellungnahme von Microsoft zur Entscheidung ist abrufbar unter http://download.microsoft.com/download/5/2/7/52794f65-8784-43cf8651-c7d9e7d34f90/Comment%20on%20EC%20%20Microsoft%20Decision.pdf.
859 s. http://www.heise.de/newsticker/meldung/54537.
860 s. http://www.heise.de/newsticker/meldung/55486.
861 s. dazu schon http://www.heise.de/newsticker/meldung/55662.
862 s. http://www.heise.de/newsticker/meldung/55722.
863 S. zum Ganzen auch Körber, K & R 2005, 193.
864 BGH, Urt. v. 30. März 2004 – KZR 1/03 (OLG Hamburg), NJW 2004, 2375 – Der Oberhammer.
865 BGH NJW 2004, 2375 – Der Oberhammer.
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Telekom) auf dem Markt für Fernsprechdienstleistungen
im Festnetz und zu den Auswir-
kungen des beanstandeten Verhaltens auf den Markt der Internet-Service-Provider zu treffen“866 seien. Die Sache wurde damit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
4. Ausschluss reiner Internethändler
Über die Zulässigkeit von Beschränkungen des Internetvertriebs in selektiven Vertriebssystemen hatte vor einiger Zeit ebenfalls der Kartellsenat des BGH zu entscheiden.867 Der Entscheidung lag der Fall eines Markenparfumherstellers zugrunde, der reine Internethändler von
der Belieferung mit seinen Waren (Parfums der Marken Lancaster, Jil Sander, Davidoff und
JOOP!) ausschließt und auch seinen sonstigen Vertragspartnern den Verkauf über Internet nur
insoweit gestattet, als die Internetumsätze nicht mehr als die Hälfte der im stationären Handel,
also dem ganz normalen Ladengeschäft, erzielten Umsätze ausmachen. Während die Vorinstanz868 der Klägerin, einer reinen Internethändlerin, einen Belieferungsanspruch aus § 20
Abs. 2 iVm § 20 Abs. 1 GWB wegen ansonsten unbilliger Behinderung bzw. Diskriminierung
ohne sachlichen Grund gegenüber vergleichbaren Kunden zuerkannte, sieht der BGH in der
Nichtbelieferung eine sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung: Er bejaht zwar eine
Gleichartigkeit von Internet- und stationärem Handel, erkennt allerdings ein schützenswertes
Interesse der Beklagten an einem Ausschluss an. Der Internethandel scheitert damit an dem
ihm eigenen Grundproblem, der fehlenden tatsächlichen und „eingebetteten“ Präsentationsmöglichkeit: „Die Beklagte legt Wert darauf, dass ihre Produkte dem Verbraucher in einem
anspruchsvollen, die Aura des Exklusiven vermittelnden Umfeld präsentiert werden.(...) Darüber hinaus geht es ihr darum, den Kunden die Gelegenheit zu bieten, das jeweilige Parfum
oder sonstige Duftwasser auszuprobieren und sich von kundigem Fachpersonal eingehend
beraten zu lassen. Diese qualitätsbezogenen Anforderungen kann der Internethandel ebenso
wie der klassische Versandhandel nicht erfüllen.“869
5. «Essential Facilities»
866
BGH NJW 2004, 2375, 2378 – Der Oberhammer.
BGH NJW-RR 2004, 689 = MMR 2004, 536 m. Anm. Jaeger – Depotkosmetik im Internet.
868 OLG München, GRUR-RR 2002, 207 = MMR 2002, 162; krit. besprochen von Bauer, WRP 2003, 243.
869 BGH NJW-RR 2004, 689, 690 – Depotkosmetik im Internet.
867
170
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Insbesondere in Bezug auf das Internet ist es wichtig, dass ein offener und diskriminierungsfreier Zugang zu solchen Einrichtungen gewährleistet wird, die für die Nutzung des Internets
unerlässlich sind. Der Zugang zur Infrastruktur des Internets und zu über das Internet erbrachten Dienstleistungen und vermittelten Inhalten muss sichergestellt werden und eine Diskriminierung durch marktbeherrschende Unternehmen verhindert werden. Dies gilt insbesondere
für die technische Infrastruktur, etwa den Zugang zu Telekommunikationsnetzen und sonstigen Zugangsystemen zum Internet. Darüber hinaus hat die Frage nach einem offenen Zugang
wesentlicher Einrichtungen auch Relevanz in Bezug auf die Inhalte des Internets, die etwa
durch Urheberrechte geschützt und somit zugunsten des Rechteinhabers quasi monopolisiert
sind.
Eine dogmatische Grundlage für diese Frage des Zugangs zu wesentlichen Einrichtung wurde
auf europäischer Ebene mit der aus dem amerikanischen Antitrust Law stammenden, «Essential Facilities-Doktrin» gelegt. Diese besagt, dass ein „Unternehmen, das für die Gestaltung
einer wesentlichen Einrichtung, d.h. einer Einrichtung oder Infrastruktur, ohne deren Nutzung ein Wettbewerber seinen Kunden keine Dienste anbieten kann, marktbeherrschend ist
und diese Einrichtung selbst nutzt und anderen Unternehmen den Zugang zu dieser Einrichtung ohne sachliche Rechtfertigung verweigert oder nur unter Bedingungen, die ungünstiger
sind als für seine eigenen Dienste, gewährt, [...] gegen Art. 86870 [verstößt], sofern die übrigen
Vorraussetzungen dieses Artikels erfüllt sind“871
Die „Essential Facilities-Doktrin“ wurde in verschiedenen kartellrechtlichen Missbrauchsentscheidungen durch den EuGH und die Kommission entwickelt.872 Sie steht direkt im Spannungsfeld zwischen dem Kartellrecht einerseits und andererseits den Ausschließlichkeitsrechten wie z.B. dem Urheberrecht, die ihrerseits, wenn auch mit entgegengesetzten Mitteln, ebenfalls Fortschritt und Wettbewerb schützen.873 Im Fall B&J/Sealink874 ging es etwa um ein
marktbeherrschendes Schifffahrtsunternehmen, welches einen zentralen Hafen betrieb und
konkurrierende Unternehmen hinsichtlich der Nutzung dieses Hafens erheblich behinderte.
Hierin sah die Kommission ein missbräuchliches Verhalten gem. Art. 82 EGV, da ein marktbeherrschendes Unternehmen eine von ihm kontrollierte „Essential Facility“ dazu nutzte, um
Wettbewerber zu behindern.
870
Art. 82 EGV n.F..
Kommission, ABlEG 1994 L 15, S. 8, Tz. 66 (Sealink II)
872 S. Übersicht bei: v. Wallwitz, in: Schwarz (Hrsg.), Recht im Internet (Loseblattsammlung), Kap. 5-4.1, S. 31 ff..
873 näher Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 2. Aufl. 2006, Einl. Rn. 51.
874 ABl. EG 1994, Nr. L 15/8.
871
171
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Eine heftige Diskussion löste die Magill-Entscheidung875 des EuGH aus. In dem Fall ging es
um die Weigerung irischer Fernsehstationen die Nutzung von nach irischem Recht urheberrechtlich geschützter Programmvorschauen an eine Fernsehzeitschrift zu lizenzieren, welche
mit einer eigenen Vorschau konkurrierte. Unter dem Gesichtspunkt des Zugangs zu einer wesentlichen Einrichtung (wenn auch nicht ausdrücklich so bezeichnet) verpflichtete der EuGH
die Fernsehstationen ihre Programmvorschauen an die Herausgeber der Fernsehzeitschrift zu
lizenzieren. Zwar müsse die Annahme eines gewerblichen Schutzrechts als wesentliche Einrichtung die Ausnahme bleiben, jedoch dürfe nicht der Zugang zu Grundinformationen verweigert werden, wenn damit letztlich ein abgeleiteter Markt für konkurrierende Unternehmen
blockiert würde. Nach der „Essential Facilites-Doktrin“ kann demnach die Ausübung eines
Urheberrechts unzulässig sein, wenn durch das Innehaben einer wesentlichen Einrichtung der
Zugang zu einem nachgelagerten Markt für Mitbewerber unmöglich wird. Noch weiter geht
die Entscheidung der Europäischen Kommission IMS-Health.876 Hier verpflichtete die
Kommission ein Unternehmen zur Zwangslizenzierung einer Datenbank mit Marktforschungsdaten über den Verkauf von pharmazeutischen Produkten. Die Struktur dieser Datenbank sei zu einem „de facto-Branchenstandard“ geworden, ohne die man auf dem Markt für
pharmazeutische Umsatzdienste in Deutschland nicht tätig werden könne. Zuvor hatten verschieden deutsche Gericht der IMS-Health einen auf das UrhG und UWG gestützten Unterlassungsanspruch gegenüber ihren Konkurrenten zuerkannt.877 Die Bedeutung dieser Entscheidung lag darin, dass es sich hierbei nicht um die Blockierung eines Folgemarktes handelte, sondern beide Unternehmen unmittelbar auf dem Primärmarkt, für den die Datenbank entwickelt worden war, miteinander konkurrierten.878 Der EuGH allerdings hat in der Sache IMS
Health anschließend, unter Weiterentwicklung der im Fall Magill aufgestellten Grundsätze,
entschieden, dass es zur Annahme einer missbräuchlichen Lizenzverweigerung nach Art. 82
EGV des kumulativen Vorliegens zweier Voraussetzungen bedürfe: Das Auftreten eines neuen Erzeugnisses muss verhindert und jeglicher Wettbewerb auf einem abgeleiteten Markt ausgeschlossen werden.879
In Deutschland ist der Zugang zu wesentlichen Einrichtungen über die §§ 33 ff. Telekommunikationsdienstegesetz spezialgesetzlich geregelt. Für marktbeherrschende Unternehmen im
875
EuGH, Slg. I-1995, S. 743.
COMP D3/38.044 (3NDC Health/IMS Health).
877 So etwa OLG Frankfurt, Az. 2-03 O 283/00.
878 Vgl. ausführlich zu dieser neuen Rechtsprechung die kritische Stellungnahme: Lober, GRUR Int. 2002, S. 7.
879 dazu eingehend und krit. Heinemann, CR 2005, 715, 717 m.w.N; zum Fall Microsoft im Lichte der IMS-HealthEntscheidung Thyri, WuW 2005, 388.
876
172
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Sinne von § 19 GWB, die Telekommunikationsdienstleistungen für die Öffentlichkeit anbieten, besteht die Verpflichtung, ihre Dienstleistungen einschließlich des offenen Netzzugangs
diskriminierungsfrei anzubieten, ausdrücklich gem. §§ 33, 34 TKG, mit denen die EURichtlinie zur Verwirklichung des Binnenmarktes für Telekommunikationsdienste durch Einführung eines offenen Netzzugangs in deutsches Recht umgesetzt wurden. Hieran ist insbesondere die Deutsche Telekom AG gebunden, welche im Bereich der Ortsverbindung eine
marktbeherrschende Stellung hat.
Gemäß § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB ist es ferner missbräuchlich, wenn ein marktbeherrschendes
Unternehmen sich weigert, einem anderen Unternehmen gegen angemessenes Entgelt Zugang
zu den eigenen Netzen oder anderen Infrastruktureinrichtungen zu gewähren, wenn es dem
anderen Unternehmen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ohne die Mitbenutzung
nicht möglich ist, auf dem vor- oder nachgelagerten Markt als Wettbewerber des marktbeherrschenden Unternehmens tätig zu werden. Anders als auf europäischer Ebene dürften allerdings nach deutschem Kartellrecht gewerbliche Schutzrechte nicht als wesentliche Einrichtung anzusehen sein.880
VII. Haftung im Internet
Literatur:
Berger/Janal, Suchet und Ihr werdet finden? Eine Untersuchung zur Störerhaftung von Onlineauktionshäusern, CR 2004,
917; Bettinger/Freytag, Privatrechtliche Verantwortlichkeit für Links, CR 1998, S. 545; Czychowski, Auskunftsansprüche
ggü. Internetprovidern „vor“ dem 2. Korb und „nach“ der Enforcement-Richtlinie der EU, MMR 2004, 514; Eck, Das
Hosting einer rechtsverletzenden Information für ein abhängiges Konzernunternehmen, MMR 2005, 7; Eck/Ruess, Haftungsprivilegierung der Provider nach der E- Commerce- Richtlinie, MMR 2003, 363; Ehret, Internet- Auktionshäuser auf
dem haftungsrechtlichen Prüfstand, CR 2003, 754; Engel, Die Internet-Service-Provider als Geiseln deutscher Ordnungsbehörden, MMR Beillage 4/2003; Engels, Haftung für Anzeigen in Online Angeboten, K&R 2001, S. 338; Ernst, Rechtliche Fragen bei der Verwendung von Hyperlinks im Internet, NJW-CoR 1997, S. 224; Ernst/Wiebe, Immaterialgüterrechtliche Haftung für das Setzen von Links und vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten, MMR Beilage 8/2001, S. 20; Flechsig/Gabel, Strafrechtliche Verantwortlichkeit im Netz durch Einrichten und Vorhalten von Hyperlinks, CR 1998, S. 351;
Freytag, Haftung im Netz, München 1999; Freytag, Providerhaftung im Binnenmarkt – Verantwortlichkeit für rechtswidrige Inhalte nach der E-Commerce-Richtlinie, CR 2000, S. 600; Gabel, Die Haftung für Hyperlinks im Lichte des neuen
UWG, WRP 2005, 1102; Gercke, Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Internetstrafrecht in den Jahren 2000 und
2001, ZUM 2002, S. 282; Gey, Zivilrechtliche Haftung von Access-Providern bei Zugangsstörungen, K&R 2005, 120;
880
Vgl. v. Wallwitz, Kartellrechtliche Wirkungen auf das Internet, in: Schwarz (Hrsg.), Recht im Internet (Loseblattsammlung), Kap. 5-4.1, S. 35; Busche, Patente in der Wettbewerbsordnung – Kartellrechtlicher
Verwertungszwang vs. Innovationsschutz?, unter http://www.uni-duesseldorf.de/HHU/Jahrbuch/2001/busche/ .
173
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Gramespacher, Dem Betreiber fremde, rechtswidrige Inhalte in Internet- Communities und Internet-Foren: Abmahnung,
Unterlassung, Beseitigung – TDG und Störerhaftung?, JurPC Web-Dok. 131/2005; ders., „Abwesenheit schützt vor Haftung nicht!“-Gedanken zum Urteil des AG Winsen- 23 C 155/05, JurPC WebDok. 122/2005; Haft/Eisele, Zur Einführung:
Rechtsfragen des Datenverkehrs im Internet, JuS 2001, S. 112 ; Härting, Gesetzentwurf zur Umsetzung der E-CommerceRichtlinie, CR 2001, S. 271; Holznagel/Kussel, Möglichkeiten und Risiken bei der Bekämpfung rechtsradikaler Inhalte im
Internet, MMR 2001, S. 347; Janal, Abwehransprüche im elektronischen markt der Meinungen, CR 2005, 783; Klett, Zum
Auskunftsanspruch nach § 101a UrhG, K&R 2005, 222; Koch, Perspektiven für die Link- und Suchmaschinen-Haftung,
CR 2004, 213; ders., Haftung für die Weiterverbreitung von Viren durch E-Mails, NJW 2004, 801; ders., Zur Einordnung
von Internet-Suchmaschinen nach dem EGG, K&R 2002, 120; ders., Strafrechtliche Verantwortlichkeit beim Setzen von
Hyperlinks auf missbilligte Inhalte, MMR 1999, S. 704; Kochinke/Tröndle, Links, Frames und Meta-Tags - Urheber- und
markenrechtliche Implikationen im Internet, CR 1999, S. 190; Leible/Sosnitza, Neues zur Störerhaftung von Internetauktionshäusern, NJW 2004, 3225; dies., „3...2...1...meins!“ und das TDG – Zur Haftung von Internetauktionshäusern für
rechtswidrige Inhalte; Lement, Zur Haftung von Internet-Auktionshäusern – Anmerkung zum Urteil des BGH „InternetVersteigerung“, GRUR 2005, 210; ders., Zur Störerhaftung von Online-Auktionshäusern, WRP 2003, 1058; Libertus,
Umfang und Reichweite von Löschungspflichten bei Rechtsverstößen im Internet, ZUM 2005, 627; Libertus/Schneider,
Die Anbieterhaftung bei internetspezifischen Kommunikationsplattformen, CR 2006, 626; Liesching/Knupfer, Verantwortlichkeit von Internetcafé- Betreibern für die Zugangsgewährung zu jugendgefährdenden Inhalten, MMR 2003, 562; Lippert, Filtersysteme zur Verhinderung von Urheberrechtsverletzungen im Internet, CR 2001, S. 478; Lubitz, Die Haftung der
Internet Service Provider für Urheberrechtsverletzungen: ein Vergleich von US-Amerikanischem und europäischem Recht,
GRUR Int. 2001, S. 283; Marwitz, Haftung für Hyperlinks, K&R 1998, S. 369; Meyer, Haftung der Internetauktionshäuser
für Bewertungsportale, NJW 2004, 3151; Müglich, Auswirkungen des EGG auf die haftungsrechtliche Behandlung von
Hyperlinks, CR 2002, 583; Neubauer, Haftung der Betreiber von Internetauktionsplattformen für (marken)rechtsverletzende Inhalte Dritter, K&R 2004, 482; Plaß, Hyperlinks im Spannungsfeld von Urheber-, Wettbewerbs- und
Haftungsrecht, WRP 2000, S. 599; Rath, Zur Haftung von Internet- Suchmaschinen, AfP 2005, 324; Rössel, Stellvertretende Domaininhaberschaft des Providers, CR 2004, 754; Rössel/Rössel, Filterpflichten des Providers, CR 2005, 809; Rücker,
Notice and take down- Verfahren für die deutsche Providerhaftung?, CR 2005, 347; Schack, Urheberrechtliche Gestaltung
von Webseiten unter Einsatz von Links und Frames, MMR 2001, S. 9; Schaefer, Kennzeichenrechtliche Haftung von
Suchmaschinen
für
Adwords-
Rechtsprechungsübersicht
und
kritische
Analyse,
MMR
2005,
807;
Schardt/Lehment/Peukert, Haftung für Hyperlinks im Internet, UFITA 2001, S. 841 (870); Schmitz/Dierking, Inhalte- und
Störerverantwortlichkeit bei Telekommunikations- und Telemediendiensten, CR 2005, 420; Schmitz/Laun, Die Haftung
kommerzieller Meinungsportale im Internet, MMR 2005, 208; Sieber/Höfinger, Drittauskunftsansprüche nach § 101a UrhG
gegen Internetprovider zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen, MMR 2004, 575; Sobola/Kohl, Haftung von Providern für fremde Inhalte, CR 2005, 443; Spieker, Verantwortlichkeit von Internetsuchdiensten für Persönlichkeitsverletzungen in ihren Suchergebnissen, MMR 2005, 727; Spindler, Haftung und Verantwortlichkeit im IT-Recht, CR 2005, 741;
ders. (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet- Provider, 2. Aufl., Köln 2004; ders., Die Verantwortlichkeit der Provider für
„Sich-zu Eigen- gemachte“ Inhalte und für beaufsichtigte Nutzer, MMR 2004, 440; ders., Neues im Vertragsrecht der
Internet-Provider, CR 2004, 203; ders. Urheberrecht und Haftung der Provider – ein Drama ohne Ende?, CR 2001, S. 324;
ders., Dogmatische Strukturen der Verantwortlichkeit der Diensteanbieter nach TDG und MDStV, MMR1998, S. 639;
Spindler/Dorschel, Auskunftsansprüche gegen Internet-Service-Provider, CR 2005, 38; Spindler/Leistner, Die Verantwortlichkeit für Urheberrechtsverletzungen im Internet- Neue Entwicklungen in Deutschland und den USA; GRUR Int. 2005,
773; Spindler/Volkmann, Störerhaftung für wettbewerbswidrig genutzte Mehrwertdienst-Rufnummern und Domains; NJW
2004, 808; dies., Die zivilrechtliche Störerhaftung der Internet- Provider, WRP 2003, 1; Stadler, Th., Haftung für Informationen im Internet, Berlin 2002; Volkmann, Haftung für fremde Inhalte: Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gegen
Hyperlinksetzer im Urheberrecht, GRUR 2005, 200.
Der virtuelle Raum des Internets ist leider auch ein Raum für kaum zu kontrollierende
Rechtsverletzungen. Im Vordergrund der Diskussion stehen dabei zum einen die Verletzung
fremder Ausschließlichkeitsrechte, insbesondere durch die Verbreitung urheberechtlich ge174
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schützter Werke, und zum anderen die Verbreitung strafrechtlich relevanter Inhalte. Hierzu
zählt etwa die viel diskutierte Verbreitung von rechtsradikalem Gedankengut und von verbotener Pornographie. Solche Rechtsverletzungen im Internet nehmen stetig zu.881 Zwar gelten
auch im Internet die Vorschriften einschlägiger Gesetze wie etwa des Urhebergesetzes oder
des Strafgesetzbuches, jedoch sind diese in Bezug auf im Internet begangene Rechtsverletzungen meist nur schwer oder gar nicht durchzusetzen.882
Die Schwierigkeit, Rechtsverletzungen im Internet wirksam zu bekämpfen, lässt sich im Wesentlichen auf zwei grundlegende Faktoren zurückführen. Der erste ist die Globalität des Netzes. Anders als nationale Vorschriften kennt das Internet keine Grenzen. Die meisten Rechtsverletzungen erfolgen über ausländische Server. Hier fragt sich dann zunächst, ob ein solcher
Sachverhalt überhaupt dem deutschen Recht unterliegen kann.883 Die Verbreitung rechtsradikalen Gedankenguts mag nach deutschem Recht strafbar sein, in den USA genießt sie den
verfassungsrechtlichen Schutz der „freedom of speech“. Aber selbst wenn deutsches Recht
anwendbar ist, so ist es meist im Ausland nicht durchsetzbar. Der andere Faktor, der die Bekämpfung von Rechtsverstößen im Internet so schwierig macht, liegt in der Technik des Internets selbst begründet. Die Anonymität des Netzes in Bezug auf dessen Nutzer und auf die
in ihm verschickten Datensätze bewirkt einen weitgehenden Kontrollverlust. Einem digitalen
Datensatz ist nicht ohne weiteres anzusehen, von wem er herrührt und ob sich dahinter lediglich eine Sinfonie Beethovens oder rechtsradikales Propagandamaterial verbirgt. Fast gänzlich
unmöglich wird dies, wenn der entsprechende Datensatz verschlüsselt ist. Zudem lassen sich
rechtswidrige Inhalte von jedem Ort der Welt in das Netz stellen. Die Vernetzung sorgt dafür,
dass der entsprechende Inhalt von jedem Interessenten auch gefunden und abgerufen werden
kann.
Was aber kann getan werden? Welche Strategien zur Bekämpfung von Rechtsverletzungen im
Internet sind denkbar? Vorgeschlagen wird u.a. ein verstärkter Selbstschutz der Nutzer durch
Filter, welche rechtswidrige Inhalte blockieren.884 Auch könnte auf die freiwillige (oder unfreiwillige885) Selbstregulierung der Provider gesetzt werden, rechtswidrige Inhalt zu unter-
881
Siehe in Bezug auf rechtsradikale Inhalte im Netz: Holznagel/Kussel, MMR 2001, S. 347 m.w.Nachw.
s. auch Spindler/Stögmüller, Vertragsrecht der Internet-Provider, 2004, Teil II Rn 170 ff.
883 Vgl. zur Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auf Äußerungen, welche auf einem ausländischen Server im Internet bereitgestellt werden: BGH, Urt. v. 12.12.2000 (Verbreitung der „Auschwitzlüge“), MMR 2001, S. 228 ff., m.
Anm. Clauß = CR 2001, S. 260 ff., m. Anm. Vassilaki.
884 Holznagel/Kussel, MMR 2001, S. 347 (349).
885 Für Aufregung sorgte eine Verfügung mittels derer die Bezirksregierung Düsseldorf auf der Grundlage von §§ 8,
18 MDStV Anfang 2002 rund 80 privatwirtschaftliche und universitäre Provider verpflichtete zwei einschlägig bekannte Neonazi-Seiten aus den USA zu sperren. Nach der Ansicht der Bezirksregierung Düsseldorf sei eine solche
882
175
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drücken.886 Auch eine verstärkte internationale Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung
scheint nötig.887 In Bezug auf Urheberrechtsverletzungen wird fieberhaft an technischen Kopierschutzmechanismen gearbeitet, die eine ungenehmigte Verbreitung geschützter Werke
verhindern sollen.888 Die Effektivität solcher Maßnahmen ist allerdings bisher sehr gering.
Vor dem Hintergrund, dass die eigentlichen Rechtsverletzer nicht zu greifen und so die staatlichen Verbotsnormen nicht durchzusetzen sind, wird heftig darüber diskutiert, welches Maß
an Haftung den Kommunikationsmittlern für rechtswidrige Inhalte Dritter auferlegt werden
soll.889 Ob und unter welchen Voraussetzungen können Verletzungshandlungen Dritter auch
anderen Funktionsträgern zugerechnet werden? Dies betrifft in erster Linie solche Akteure,
die den Zugang zu rechtswidrigen Inhalten vermitteln oder solche, welche die technischen
Möglichkeiten haben, um bestimmte Inhalte zu blockieren. Der deutsche Gesetzgeber hat mit
den internetspezifischen Haftungsregeln §§ 8 – 11 (bisher: § 5) Teledienstegestz (TDG) und §
5 Mediendienste-Staatsvertrag (MDStV) (inzwischen: §§ 6 – 9 MDStV in der Fassung vom
01.04.2003) bereits 1997 reine Kommunikationsvermittler weitgehend von der Haftung für
rechtswidrige Inhalt befreit. Über die Reichweite der entsprechenden Vorschriften ist allerdings seit jeher heftig diskutiert worden.890 In jüngerer Zeit standen in diesem Zusammenhang
besonders die Frage nach der Haftung von Onlineauktionshäusern für auf ihren Plattformen
durch Dritte angebotene (marken- oder urheber-)rechtsverletzende Inhalte sowie die Frage
nach der Auskunftspflichtigkeit von Providern im Mittelpunkt.891
Immerhin haben die deutschen Reglungen zusammen mit den entsprechenden Regelungen im
US-amerikanischen Recht den europäischen Regelungen in der E-Commerce-Richtlinie als
Sperrung technisch durch den Ausschluss von Domains im Domain-Server, der Verwendung eines Proxy-Servers
sowie dem Übergehen einzelner IP-Adressen im Router möglich. Neben der Frage, ob es tatsächlich technisch möglich ist einzelne Seiten effektiv zu sperren, wirft diese Sperrungsverfügung auch zahlreiche rechtliche Fragen auf.
Über die Rechtmäßigkeit der Verfügung wird derzeit vor den Gerichten gestritten.
886 Holznagel/Kussel, MMR 2001, S. 347 (349f).
887 Vgl. jedoch Holznagel/Kussel, MMR 2001, S. 347 (351).
888 Siehe etwa: Federrath, ZUM 2000, S. 804.
889 Spindler/Stögmüller, Vertragsrecht der Internet-Provider, 2004, Teil II Rn 172 m.w.Nachw.
890 Vgl. hierzu: AG München, Urt. v. 28.5.1998 (CompuServe), CR 1998, S. 500 (m. Anm. Moritz) = MMR 1998, S.
429 (m. Anm. Sieber); LG München, Urt. vom 17.11.1999 (CompuServe), CR 2000, S. 117 = MMR 2000, S. 171;
OLG München, Urt. v. 8.3.2001 (MIDI-Files/AOL), MMR 2001, S. 375 (m. Anm. Waldenberger und Hoeren) = CR
2001, S. 333 (m. Anm. Spindler, S. 324); Altenhain, AfP 1998, S. 373; Marwitz, K&R 1998, S. 369; Bettinger/Freitag, CR
1998, S. 545; Spindler, MMR 1998, S. 639; Flechsig/Gabel CR 1998, S. 351 (354), Vassilaki, MMR 1998, S. 630; Freytag,
Haftung im Netz, 1999; Sieber, Verantwortlichkeit im Internet, 1999; Spindler in: Hoeren/Sieber, Handbuch MultimediaRecht, Kap. 29; Spindler/Volkmann, WRP 2003, 1 ff; Spindler/Stögmüller, Vertragsrecht der Internet-Provider,
2004, Teil II Rn 170 ff.
891 s. dazu unten VII.B.5.
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Vorbild gedient.892 Darüber hinaus war lange strittig, unter welchen Voraussetzungen für einen Link gehaftet wird, der auf rechtswidrige Inhalt verweist.893 Das Internet lebt davon, dass
fremde Inhalte miteinander vernetzt werden. Eine zu weitgehende Haftung, wie anfänglich
von einigen Gerichten befürwortet894, würde sich kontraproduktiv auf die Nutzung der Vorteile der Internettechnologie auswirken. Eine weitgehende Haftungsprivilegierung würde dagegen die Verbreitung rechtswidriger Inhalte erleichtern. Die komplexen Auswirkungen von
Haftungsregeln auf die Nutzung des Internets sind in der Regel nur sehr schwer einschätzbar.
Im Zusammenhang mit der Haftungsfrage wird zunehmend auch darüber nachgedacht, wie
ausgefeilte Filtertechnologien die Verbreitung unliebsamer Inhalte verhindern könnten.895
Provider und Netzbetreiber könnten beispielsweise verpflichtet werden, die Adressen von
Websites oder Dateien auf ausländischen Servern, die sich auf zu erstellenden Negativlisten
befinden, innerhalb Deutschlands zu blockieren.896 Hier gilt es allerdings wachsam zu sein.
Wer bestimmt was blockiert wird? Wer schützt vor einer zu weitgehenden „Zensur“ durch
private Provider? Einmal installiert, könnten solche „Filter-Zauberlehrlinge“ eine Bedrohung
für die Informationsfreiheit darstellen, insbesondere wenn deren Kontrolle privaten Akteuren
überlassen wäre.897
A. Anwendbarkeit deutschen Rechts
Delikte im Internet stellen typischerweise sogenannte Distanzdelikte dar, bei denen die Handlung an einem anderen Ort vorgenommen wird an dem der Erfolg eintritt. Bei den allermeisten Sachverhalten im Internet besteht auf Grund dessen Internationalität auch ein Bezug zum
Ausland. Oft stellt sich bei Rechtsverstößen dann die im internationalen Privatrecht noch immer umstrittene Frage, nach welchen Kriterien das anwendbare Recht ermittelt werden soll.898
892vgl.
dazu Eck/Ruess, MMR 2003, 363.
S.u. VII.C ; Spindler/Stögmüller, Vertragsrecht der Internet-Provider, 2004, Teil II Rn 204 ff m.w. Nachw.; Koch,
MMR 1999, S. 704; Ernst, NJW-CoR 1997, S. 224; Plaß, WRP 2000, S. 599; Marwitz, K&R 1998, S. 369.
894 Z.B. LG Frankfurt/Main, Urt. v. 27.5.1998, CR 1999; S. 45.
895 Siehe dazu Spindler, Vertragsrecht der Internet-Provider, 2004, Teil IV Rn 213; Holznagel/Kussel, MMR 2001, S.
347 (351); Lippert, CR 2001, S. 478 m.w.Nachw.
896 Eine solche Verpflichtung wird insbesondere von den Vertretern der Urheberindustrie gefordert, die nach eigenen Angaben bereits die notwendige Technologie entwickelt haben. Siehe ausführlich bei: Lippert, CR 2001, S. 478ff.
897
Vgl.
Hoffman-Riem,
Wider
die
Geistespolizei,
Die
Zeit
50/2001,
abrufbar
unter:
http://www.zeit.de/2001/50/Politik/200150_essay.h-riem.html.
898 S. Spindler, in: Hoeren/Sieber, Handbuch Mutlimediarecht, Kap. 29, Rn. 436.
893
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Bei der Frage nach dem anwendbaren Recht war für unerlaubte Handlungen gewohnheitsrechtlich grundsätzlich das Recht des Tatorts maßgeblich.899 Tatort kann jedoch sowohl der
Handlungsort, als auch der Erfolgsort eines Deliktes sein. In Art. 40 EGBGB ist nunmehr für
das Deliktsrecht normiert, dass grundsätzlich das Recht des Handlungsortes einschlägig ist,
der Verletzte aber verlangen kann, dass das Recht des Erfolgsortes angewendet wird.900 Bei
strafrechtlich relevanten Handlungen gilt das deutsche Strafrecht gemäß § 3 StGB für Taten,
welche im Inland begangen werden, wobei hierfür gemäß § 9 Abs. 1 StGB der Handlungswie auch der Erfolgsort maßgeblich ist.901
Für internetspezifische Rechtsverletzung besteht nun das Problem, dass sowohl der Handlungsort sowie der Erfolgsort schwierig zu bestimmen sein kann. Ein in Spanien lebender Ire
erstellt eine Website mit ehrverletzenden Äußerungen, die er seinem kanadischen Provider
übermittelt, der sie letztlich auf einem in den USA belegenem Server ablegt. Wo ist der Handlungsort? Und wo tritt der Erfolg ein? Als Handlungsort wird üblicherweise der Ort angesehen, an dem der Server des Providers steht, der verletzende Inhalt also ins Netz eingespeist
wird.902
Der Erfolgsort ist zunächst überall dort, wo der Inhalt abgerufen werden kann. Da Inhalte im
Internet aber meist weltweit abrufbar sind, wären die Inhalteanbieter einem unübersehbarem
Haftungsrisiko ausgesetzt, ein Ergebnis, dass u.a. im Hinblick auf die Meinungsfreiheit nicht
wünschenswert ist. Nach h.M. wird daher eine Einschränkung auf den Ort des „bestimmungsgemäßen Abrufes“ befürwortet.903 Nach anderen Vorschlägen soll durch eine konsequente
Anwendung des Günstigkeitsprinzips lediglich dasjenige Recht zur Anwendung kommen,
welches für den Geschädigten am günstigsten ist.904 Auch wird eine sogenannte Mosaikbetrachtung vorgeschlagen, nach welcher das Recht eines Erfolgsortes jeweils nur für denjenigen Teil der Rechtsgutverletzung und des eingetretenen Schadens angewandt wird, der auf
diesen Ort entfällt.905 Im Bereich des Markenrechts und des Urheberrechts haben sich als Anknüpfungsprinzipien die lex loci protectionis (Schutzlandsprinzip, Territorialitätsprinzip)
899
Dazu Terlau in Moritz/Dreier (Hrsg.), Rechtshandbuch zum E- Commerce, Teil D, Rz 762 f; Spindler, in: Hoeren/Sieber, Handbuch Mutlimediarecht, Kap. 29, Rn. 436, m.w.Nachw..
900 s. näher Spindler/Stögmüller, Vertragsrecht der Internet-Provider, 2004, Teil II Rn 224 m.w.N.
901 s. zur Beteiligung von Internet-Providern an Straftaten von Nutzern Spindler/Stögmüller, Vertragsrecht der Internet-Provider, 2004, Teil II Rn 219 m.w.N.
902 Vgl. Köhler/Arndt, Internetrecht, Rn. 457.
903 Vgl. Spindler, in: Hoeren/Sieber, Handbuch Mutlimediarecht, Kap. 29, Rn. 448, m.w.Nachw..
904 S. bei Spindler, in: Hoeren/Sieber, Handbuch Mutlimediarecht, Kap. 29, Rn. 466, m.w.Nachw..
905 Spindler, in: Hoeren/Sieber, Handbuch Mutlimediarecht, Kap. 29, Rn. 467, m.w.Nachw..
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durchgesetzt.906 Demnach findet das Recht des Ortes Anwendung für dessen Gebiet Schutz
beansprucht wird. Aber auch hier müsste sich der Anbieter von Inhalten nach dem weltweit
strengsten Recht richten. Eingeschränkt werden könnte dieses Ergebnis wiederum durch den
Ort des bestimmungsgemäßen Abrufes, dem Günstigkeitsprinzip oder auch dem Ursprungslandprinzip, nach welchem Urheberrechtsverletzungen nur nach dem Recht des Ortes zu beurteilen wären, an dem das Uploading erfolgt.907 Letzteres hätte den Nachteil das für den Nutzer nicht erkennbar wäre, nach welchem Recht sich seine Nutzungshandlung beurteilen würde. Für das Wettbewerbsrecht hat sich weitgehend die sogenannte Marktortregel durchgesetzt,
nach welcher das Recht des Ortes anwendbar ist, an dem die wettbewerblichen Interessen der
Mitbewerber aufeinander stoßen.908
Die Frage nach einer sinnvollen Modifizierung der Tatortregel im Hinblick auf internetspezifische Distanzdelikte bleibt jedoch im Wesentlichen eine noch unbeantwortete Frage des „Internetrechts“.909 Beispielhaft sollen im Folgenden zwei Urteile zur Problematik des anwendbaren Rechts im Internet dargestellt werden.
1. Die Auschwitzlüge
Der BGH hatte im Jahr 2000 einen Fall zu entscheiden, in welchem ein australischer Staatsbürger über einen in Australien belegenen Server die nach deutschem Recht verbotene
„Auschwitzlüge“910 in englischer Sprache ins Netz gestellt hatte.911 Nach § 3 StGB gilt das
deutsche Strafrecht nur für Taten, welche im Inland begangen werden, wobei hierfür allerdings gemäß § 9 Abs. 1 StGB der Handlungs- wie auch der Erfolgsort maßgeblich ist. Der
BGH sah den tatbestandlichen Erfolg in Deutschland eingetreten. Nach dem Grundgedanken
von § 9 StGB sei deutsches Strafrecht – auch bei Vornahme der Tathandlung im Ausland –
anzuwenden, sofern es im Inland zu der Schädigung von Rechtsgütern oder zu Gefährdungen
kommt, deren Vermeidung Zweck der jeweiligen Strafvorschrift ist.912 Bei abstrakt-konkreten
Gefährdungsdelikten sei ein Erfolg i.S.d. StGB dort eingetreten, wo die konkrete Tat ihre Ge-
906s.
dazu oben III.C.
Köhler/Arndt, Internetrecht, Rn.: 451 m.w.Nachw..
908 Köhler/Arndt, Internetrecht, Rn.: 451 m.w.Nachw..
909 Siehe Überblick bei: Spindler, in: Hoeren/Sieber, Handbuch Mutlimediarecht, Kap. 29.
910 Strafbar nach § 130 Abs. 1 und 3 StGB.
911 BGH, Urt. v. 12.12.2000 (Verbreitung der „Auschwitzlüge“), MMR 2001, S. 228 ff., m. Anm. Clauß = CR 2001,
S. 260 ff., m. Anm. Vassilaki.
912 BGH, Urt. v. 12.12.2000 (Verbreitung der „Auschwitzlüge“), MMR 2001, S. 228 ff., m. Anm. Clauß = CR 2001,
S. 260 ff., m. Anm. Vassilaki.
907
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fährlichkeit im Hinblick auf das im Tatbestand umschriebene Rechtsgut entfalten kann.913 Bei
der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 und Abs. 3 sei das die konkrete Eignung zur Friedensstörung in der Bundesrepublik Deutschland.914
2. Yahoo Inc. vs. La Ligue Contre le Racisme et l'Antisémitisme
Ein anderes Urteil, das die Schwierigkeiten in besonderer Weise veranschaulicht, die durch
das grenzüberschreitende Medium Internet im Hinblick unterschiedlichsten territorialen
Rechts- und Wertvorstellungen hervorgerufen werden, ist die Entscheidung des Tribunal de
Grande Instance de Paris vom 20. November 2000.915
Yahoo! Inc. betrieb auf amerikanischen Servern Online-Auktionen, bei denen Waren von privaten Nutzern online verkauft werden. Unter anderem wurden bei diesen Versteigerungen
auch NS-Memorabilia wie Münzen, Flaggen oder andere Symbole angeboten, was nach Art.
R-645-1 des französischen Strafgesetzbuches verboten ist. Nach einer Klage der LICRA (Liga
gegen Antisemitismus und Rassismus) und UEJF (Union der Französischen-Jüdischen Studenten) wurde Yahoo! Inc. vom Tribunal de Grande Instance de Paris dazu verurteilt, diese
Dienste für französische Nutzer nicht mehr zugänglich zu machen.916 Obwohl die fraglichen
Seiten in englischer Sprache abgefasst, die Preise in amerikanischer Währung angegeben und
die Lieferbedingungen auf Käufer in den USA abgestimmt waren, so seien die Seiten auch für
französische Nutzer zugängig und somit die Rechtmäßigkeit des Inhalts nach französischem
Recht zu beurteilen.
Besonderes interessant waren auch die im Rahmen dieses Verfahrens aufgeworfenen technischen Fragen. Durch eine Zwischenentscheidung vom 11. August 2000 hatte das Gericht drei
Gutachter bestellt, welche die technischen Möglichkeiten zur Feststellung der Nationalität und
Sperrung für bestimmte Nutzergruppen beschreiben sollten. Dieses Gutachten über die technische Machbarkeit kommt zu dem Schluss, dass bei 70 % der französischen Nutzer die Identität durch die persönlichen IPs, die jedem beim Einwählen über einen Provider automatisch
zugewiesen würden, feststellbar sei. Die nationale Herkunft der restlichen 30 % könnte durch
die Abgabe einer Erklärung durch den User beim ersten Nutzen einer Seite ermittelt werden.
Cookies würden bei späteren Zugängen den Nutzer wieder identifizieren und weitere Erklä913
BGH, Urt. v. 12.12.2000 (Verbreitung der „Auschwitzlüge“), MMR 2001, S. 228 ff., m. Anm. Clauß = CR 2001,
S. 260 ff., m. Anm. Vassilaki.
914 BGH, Urt. v. 12.12.2000 (Verbreitung der „Auschwitzlüge“), MMR 2001, S. 228 ff., m. Anm. Clauß = CR 2001,
S. 260 ff., m. Anm. Vassilaki.
915 Tribunal de Grande Instance de Paris, Beschl. v. 20. November 2000, K&R 2001, S. 63 (Ls.), m. Anm. Hartmann.
916 Vgl. Ausführlich zur Entscheidung des Tribunal de Grande Instance de Paris:
http://www.legamedia.net/legapractice/hartmann_lutz/2001/01-02/0102_hartmann_lutz_yahoo.php
180
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rungen seien somit unnötig. Das Gericht urteilte daraufhin, dass Yahoo für die 30 %, bei denen die Herkunft nicht über die IPs feststellbar sei, beim Zugriff auf fragliche Seiten die Abgabe einer Herkunftserklärung vorsehen müsse um damit weitestgehend auszuschließen, dass
französische Nutzer zu den entsprechenden Angeboten gelangen könnten.
Die Verpflichtung Yahoos zur Installierung der Herkunftsangabe bei nicht als französische
Nutzer identifizierten Personen führt dazu, dass Nutzer der gesamten Welt nun angeben müssten, dass sie nicht aus Frankreich kommen. Ob eine solche Verpflichtung sinnvoll und praktikabel ist, erscheint sehr fraglich. Die wohl h.M. in Frankreich (anders in Deutschland) ist der
Entscheidung des Gerichts gefolgt,917 auch wenn zuvor oft darauf hingewiesen wurde, dass
dann keine Zuständigkeit gegeben sei, wenn sich der Inhalt eines Internetangebots eindeutig
nicht an französische Nutzer richte.918
Später hat Yahoo! Inc. ein dieser Entscheidung entgegengesetztes Urteil vor einem kalifornischen Gericht erwirkt.919 Der kalifornische Bezirksrichter zeigte sich wenig beeindruckt von
der französischen Entscheidung und urteilte, dass die Redefreiheit amerikanischen Zuschnitts
selbstverständlich auch für die US-Firma Yahoo zu gelten habe.920
B. Haftungsregeln nach TDG und MDStV
Spezielle für das Internet zugeschnittene Haftungsregeln, welche die Verantwortlichkeit von
Vermittlern elektronischer Kommunikation beschränken, enthalten im deutschen Recht der
Mediendienste-Staatsvertrag (MDStV), sowie das Teledienstegesetz (TDG). Die Verantwortlichkeitsbestimmungen aus MDStV und TDG, die den allgemeinen Haftungsregeln zugunsten
der digitalen Kommunikation quasi als „Filter“921 vorgeschaltet sind, erfassen neben der strafrechtlichen Verantwortlichkeit auch die Haftung etwa für persönlichkeitsrechtsverletzende
Inhalte, für urheberrechtsverletzende oder auch für wettbewerbswidrige Inhalte.922
Der Grund für die Normierung in zwei verschiedenen Regelungswerken liegt in der Kompetenzverteilung zwischen dem Bund und den Ländern. Die Bundesländer, denen die Regelung
917
S. Anm. Hartmann zum Tribunal de Grande Instance de Paris, Beschl. v. 20. November 2000, K&R 2001, S. 63 f.
Anm. Hartmann zum Tribunal de Grande Instance de Paris, Beschl. v. 20. November 2000, K&R 2001, S. 63 (64).
919 Yahoo!, Inc. v. La Ligue Contre le Racisme et l'Antisémitisme, F.Supp.2d, 2001 WL 1381157 (N.D.Cal. Nov. 7,
2001), abzurufen unter : http://www.eff.org/Cases/LICRA_v_Yahoo/20011107_us_distct_decision.pdf .
920 "It is preferable to permit the non-violent expression of offensive view points rather than to impose viewpointbased governmental regulation upon speech." - Yahoo!, Inc. v. La Ligue Contre le Racisme et l'Antisémitisme,
F.Supp.2d,
2001
WL
1381157
(N.D.Cal.
Nov.
7,
2001),
abzurufen
unter :
http://www.eff.org/Cases/LICRA_v_Yahoo/20011107_us_distct_decision.pdf.
921 So Plaß, WRP 2000, S. 599 (608) m.w.Nachw.; eine Filterfunktion von § 5 TDG und § 5 MDStV ablehenend:
Spindler, MMR 1998, S. 639 (640).
922 Vgl. Bettinger/Freytag, CR 1998, S. 545 (546); Engels, K&R 2001, S. 338 ff..
918
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des Rundfunks obliegt, beanspruchen auch die Kompetenz für den Bereich elektronischer
Medien, die zwar nicht Rundfunk sind, gleichwohl aber an die Allgemeinheit gerichtet sind.
Für diesen Bereich haben die Länder daher in § 5 MDStV aF, nun §§ 6-9 MDStV nF die Verantwortlichkeit der Mediendienstanbieter geregelt. Der Bund, der die Regelungskompetenz
für Teledienste (worunter auch das Internet zu rechnen ist) innehat, hat zur selben Zeit eine
deckungsgleiche Regelung in § 5 TDG aF, nun §§ 8 – 11 TDG nF923 getroffen. Die gesetzlichen Neufassungen ergaben sich aus dem Handeln des europäischen Richtliniengebers, genauer aus Art. 12- 14 der E- Commerce- Richtlinie.924 Die zweifache Regelung der Verantwortlichkeit für Diensteanbieter führt zu schwierigen, teilweise kaum lösbaren Abgrenzungsproblemen und ist daher als rechtspolitisch verfehlt kritisiert worden.925 Während das TDG
für elektronische Informations- und Kommunikationsdienste gilt, die für eine individuelle
Nutzung von kombinierbaren Daten wie Zeichen, Bilder und Töne bestimmt sind und denen
eine Übermittlung mittels Telekommunikation zugrunde liegt (vgl. § 2 Abs. 1 TDG), erfasst
der MDStV alle die Allgemeinheit gerichteten Informations- und Kommunikationsdienste
(vgl. § 2 Abs. 1 MDStV). Grob lässt sich die Abgrenzung danach vornehmen, ob das zu beurteilende Angebot an die Allgemeinheit gerichtet ist – dann Mediendienst – oder zur individuellen Nutzung bereitgehalten wird.926 Im Internet stellt sich jedoch das Problem das Massenund Individualkommunikation zunehmend konvergieren, bzw. viele typische Teledienste (vgl.
§ 2 Abs. 2 TDG) zugleich an einen großen Personenkreis gerichtet sind, ein Phänomen für das
der Begriff der „individuellen Massenkommunikation“ geprägt worden ist. Da die meisten
Angebote im Internet zumindest auch individualkommunikativen Charakter haben, hat sich in
der gerichtlichen Praxis und im Schrifttum überwiegend die Anwendung des TDG durchgesetzt.927 Die Wirkungsweise dieser verantwortlichkeitsbeschränkenden Regelungen lässt sich
untechnisch mit der eines Filters vergleichen:928 Bevor ein Diensteanbieter (Provider) auf
Grundlage der allgemeinen Vorschriften aus dem zivil- oder strafrechtlichen Bereich zur Verantwortung gezogen werden kann, muss jeweils geprüft werden, ob dieser nicht durch die in
§§ 8 – 11 TDG (bzw. §§ 6-9 MDStV) privilegiert wird.
923
Änderung durch das Gesetz über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr
(EGG) v. 14.12.2001, BGBl I, 2001, 3721.
924 Dazu auch Spindler/Stögmüller, Vertragsrecht der Internet-Provider, 2004, Teil II Rn 181.
925 Siehe etwa: Bettinger/Freytag, CR 1998, S. 545 (547, FN 12).
926 Vgl. näher Spindler/Stögmüller, Vertragsrecht der Internet-Provider, 2004, Teil II Rn 75 ff; Haft/Eisele, JuS 2001, S.
112 (116).
927 Vgl.: Engels, K&R 2001, S. 338 (341) m.w.Nachw.
928 Plaß, WRP 2000, S. 599 (608) m.w.Nachw..
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Den §§ 8-11 TDG und §§ 6-9 MDStV liegt ein abgestuftes Haftungssystem in Abhängigkeit
vom Umfang der Mitwirkung an der Verbreitung der Informationen zugrunde. 929 Unterschieden wird im groben nach drei verschiedenen Typen von Providern: Wer eigene Inhalte zur
Nutzung bereithält (Content-Provider) haftet uneingeschränkt nach den allgemeinen Gesetzen.
Diese Bestimmung fand sich in § 5 Abs. 1 TDG und findet sich nun, nach Umsetzung der ECommerce-Richtlinie, in § 8 Abs. 1 TDG bzw. § 6 Abs. 1 MDStV. Vermittler fremder Informationen sind dagegen für die reine Durchleitung (Access-Provider, reine Telekomumunikationsbetreiber) gemäß § 9 TDG/ § 7 MDStV überhaupt nicht verantwortlich. Diese Bestimmung entspricht § 5 Abs. 3 TDG a.F.. Diensteanbieter, die fremde Informationen zum Abruf
speichern (Host-Provider), sind gemäß § 11 TDG/ § 9 MDStV (entspricht § 5 Abs. 2 TDG/
MDStV a.F.) nur bei Kenntnis der rechtswidrigen Informationen, bzw. bei Schadensersatzansprüchen bereits bei Kennenmüssen, verantwortlich. Gemäß § 10 TDG/ § 8 MDStV sind
schließlich solche Diensteanbieter, die eine automatische, zeitlich begrenzte Zwischenspeicherung zum Zwecke einer effizienteren Übermittlung besorgen (Caching), nur unter den
ganz engen Voraussetzungen des § 10 TDG bzw. des § 8 MDStV n.F. verantwortlich.
Die Reichweite der Haftungsprivilegierungen der §§ 8 – 11 TDG bzw. §§ 6-9 MDStV sind im
Einzelnen noch nicht abschließend ausgelotet. Inzwischen beobachten Stimmen im juristischen Schrifttum bereits eine Kehrtwende zurück zu den allgemeinen Haftungsgrundsätzen,
da das TDG seiner Aufgabe, die sich bei internetspezifischen Sachverhalten ergebenden Probleme weitgehend und umfassend zu lösen, nicht (mehr) gerecht werde.930 Dennoch verbleiben
dem TDG einige wichtige Anwendungsbereiche. Im Folgenden soll kurz auf drei Fälle eingegangen werden, die in der Vergangenheit eine breite Diskussion über die Haftungsregeln des
§ 5 TDG a.F. ausgelöst haben.
1. CompuServe
Nachdem auf einem Server der amerikanischen CompuServe Inc. in den USA Beiträge einzelner Internetnutzer mit pornographischem Inhalt gespeichert wurden, die auch in Deutschland über die Netzvermittlungsstelle CompuServe Deutschland abgerufen werden konnten,
leitete die Staatsanwalt München Ende 1995 ein Ermittlungsverfahren gegen CompuServe
Deutschland wegen des Verdachts der Verbreitung pornographischer Schriften ein. Weil eine
Sperrung von 282 von der Polizei beanstandeten News-Foren nur für Deutschland technisch
nicht möglich war, entschied sich die CompuServe Inc. die entsprechenden Foren weltweit zu
929
930
Spindler/Stögmüller, Vertragsrecht der Internet-Provider, 2004, Teil II Rn 128.
Spindler, CR 2005, 741.
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sperren.931 Diese Sperrung hat in den USA jedoch zu heftigen Protesten geführt, da man in der
Sperrung eine Missachtung der „freedom of speech“ sah. Die Proteste in den USA führten
dazu, dass die Sperrung der meisten Foren wieder aufgehoben wurde, nachdem an die Kunden
eine entsprechende Filtersoftware verteilt worden war.932 Das AG München verurteilte daraufhin den Geschäftsführer von CompuServe Deutschland wegen des Zugänglichmachens
pornographischer Schriften zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, ausgesetzt zur Bewährung.933 Das Urteil ist zu Recht heftig kritisiert worden. Da die Beklagte lediglich den Zugang
zu den betroffenen News-Foren vermittelt hatte, hätte sie als Access-Provider nach § 5 Abs. 3,
Satz 1 TDG a.F. (entspricht § 9 Abs. 1 TDG n.F.) von einer Haftung für fremde Inhalte freigestellt werden müssen. Im Berufungsverfahren wurde dies erkannt und das Urteil des AG
aufgehoben.934
2. Midi-Files
In einem umstrittenen935 Urteil entschied das OLG München936, dass die Haftungsprivilegierung aus § 5 TDG aF in Fällen von Urheberrechtsverletzung keine Anwendung findet. Streitgegenständlich war die Verantwortlichkeit von AOL Deutschland für das Betreiben von nach
Musikkategorien untergliederten Foren im Internet zum Tausch von MIDI-Files durch das
amerikanische Mutterunternehmen. Durch das Einstellen der MIDI-Files durch die Nutzer
wurden u.a. Urheberrechte der Klägerin verletzt. Entgegen der Vorinstanz937 und der überwiegenden Meinung im Schrifttum938 lehnte das OLG München die Anwendbarkeit von § 5
TDG auf Urheberrechtsverletzungen ab und verurteilte AOL Deutschland auf Grundlage des
§ 97 Abs. 1 UrhG. Begründet wurde diese Auffassung zum einen mit dem Wortlaut von § 5
Abs. 2 TDG aF. Es liege nahe anzunehmen, mit dem Begriff „Inhalte“ seien nur solche Daten
gemeint, bei denen der Inhalt selbst Grundlage der Beurteilung der Rechtswidrigkeit ihrer
931
Haft/Eisele, JuS 2001, S. 112 (118).
Haft/Eisele, JuS 2001, S. 112 (118).
933 AG München, Urt. v. 28.5.1998 (CompuServe), CR 1998, S. 500 (m. Anm. Moritz) = MMR 1998, S. 429 (m. Anm.
Sieber).
934 LG München, Urt. vom 17.11.1999 (CompuServe), CR 2000, S. 117 = MMR 2000, S. 171; einen Überblick über
weitere Literatur bietet Spindler, CR 2005, 741, 744.
935 Stark kritisiert wurde die Entscheidung insbesondere von Hoeren, Anm. zum OLG München, Urt. v. 8.3.2001
(MIDI-Files), MMR 2001, S. 379 ff.; dagegen weitgehend zustimmend: Waldenberger, Anm. zum OLG München, Urt.
v. 8.3.2001 (MIDI-Files), MMR 2001, S. 379 f.
936 OLG München, Urt. v. 8.3.2001 (MIDI-Files), MMR 2001, S. 375 ff. m.Anm Waldenberger und Anm. Hoeren = CR
2001, S. 333 ff.
937 LG München I, Urt. v. 30.3.2000, MMR 2000, S. 431 ff. m. Anm. Hoffmann.
938 Spindler, NJW 1997, S. 3193; derselbe, MMR 1998, S. 639; Wild, in: Schricker, Urheberrecht, § 97 Rn 40a ff; Pichler,
MMR 1998, S. 79 ff.; Sieber, Verantwortlichkeit im Internet, Rn. 273.
932
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Bereithaltung ist. Eine solche Auslegung führe dazu, dass eine Anwendung von § 5 Abs. 2
TDG aF auf Urheber- und Leistungsschutzrechte verletzende Inhalte nicht möglich sei, da für
die Beurteilung der Rechtswidrigkeit in solchen Fällen nicht der Inhalt und damit dessen
Kenntnis, sondern die Rechtszuordnung des Inhalts und deren Kenntnis maßgeblich ist. Hiergegen wurde eingewandt, dass solche Unterscheidung in zwei verschiedene Inhaltsbegriffe
auch die Anwendbarkeit des § 5 Abs. 2 TDG bei anderen Rechtsverletzungen versperren
würde, bei denen es um die Rechtzuordnung der jeweiligen Information geht.939
Weiter führt das Gericht zur Unterstützung seiner These Materialien zur Gesetzgebungsgeschichte auf. Die zitierten Materialien geben aber kein klares Bild und sind daher zu Recht als
unredlich kritisiert worden.940 Es erstaunt zudem, mit welcher Unbekümmertheit die Richter
sich an zentraler Stelle ihrer Interpretation auf Aussagen eindeutiger Urheberrechtslobbyisten941 stützen.942
Kritikwürdig ist auch die Annahme des Gerichts, bereits mit dem Betreiben der Einwahlknoten setze die Beklagte eine adäquate Ursache für die spätere Rechtsverletzung.943 Eine solche
Auffassung liefe auf eine Haftung für Urheberrechtsverletzungen bereits für Access-Provider
hinaus.944
In der Neufassung des TDG wird in § 11, der den alten § 5 Abs. 2 TDG ersetzt, klargestellt,
dass sich die Haftungsprivilegierung auch auf solche Informationen bezieht, deren Speicherung eine rechtswidrige Handlung des Nutzers zugrund liegt. Als Beispiel werden in der amtlichen Begründung Informationen genannt, die als solche nicht zu beanstanden sind, die aber
ohne Erlaubnis des Rechtinhabers verwendet werden.945 Insofern wird die Rechtsauffassung
des OLG im Hinblick auf den nunmehr präziseren Wortlaut des § 11 TDG keinen Bestand
haben.
939
Etwa dem Markenrecht, 1 UWG und auch § 823 – s. Hoeren, Anm. zum OLG München, Urt. v. 8.3.2001 (MIDIFiles), MMR 2001, S. 379 f.
940 So von Hoeren, Anm. zum OLG München, Urt. v. 8.3.2001 (MIDI-Files), MMR 2001, S. 379 (380).
941 Auf: Schaefer/Rasch/Braun, ZUM 1998, S. 451 ff – die Verfasser sind allesamt leitende Mitarbeiter der Deutschen
Landesgruppe der IFPI e.V. (International Federation of the Phonographic Industry).
942 S. auch: Hoeren, Anm. zum OLG München, Urt. v. 8.3.2001 (MIDI-Files), MMR 2001, S. 379 (380).
943 OLG München, Urt. v. 8.3.2001 (MIDI-Files), MMR 2001, S. 375 (378).
944 S. auch: Hoeren, Anm. zum OLG München, Urt. v. 8.3.2001 (MIDI-Files), MMR 2001, S. 379 (380 f.).
945 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (EGG), BT-Drucksache 14/6098 vom 17.5.2001, abrufbar unter: http://141.3.20.23/datis/data/EGGE_418.pdf, S. 40.
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3. Zugangsvermittlung zum Meinungsmarkt
Ein weiteres Urteil, dass die Schwierigkeit der Gerichte im Umgang mit der Haftungsprivilegierung des § 5 TDG aF veranschaulicht, stellt die Entscheidung des LG Potsdam vom 8.Juli
1999946 dar.
Die Verfügungsbeklagte, die Landesregierung von Brandenburg, hatte unter dem Titel „Tolerantes Brandenburg“ ein „Handlungskonzept gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit“ initiiert. Im Rahmen dieses Projektes wurde ein Wettbewerb veranstaltet, in
dessen Rahmen Beiträge zu den Themen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit auf einer Internetseite unter der Homepage der Landesregierung eingestellt werden konnten. An verschiedenen Stellen machte die Beklagte darauf aufmerksam, dass sie keine Verantwortung für die Beiträge übernehme. Die Verfügungsklägerin Mitglied der brandenburgischen „<PARTEI>“ verlangte von der Verfügungsbeklagten die Löschung eines Beitrages mit
der Überschrift „Ausländerfeindlichkeit und Rassismus: „<Partei>“ besetzt faschistische
Themen Nation & Europa“.
Das LG Potsdam verneinte jegliche Verantwortlichkeit der Verfügungsbeklagten. Zur Begründung führte das Gericht zunächst an, die Verfügungsbeklagte sei in Anlehnung an die
Rechsprechung des BGH zu Medienbetreibern947 insofern von der Haftung freigestellt, als
dass sie lediglich einen „Markt der Meinungen“ eröffnet habe. Zudem ergebe sich eine Haftungsfreistellung auch aus § 5 Abs. 3 TDG, nach welchem Anbieter von Telediensten nicht
für fremde Inhalte verantwortlich sind, zu denen sie lediglich den Zugang zur Nutzung vermitteln.
Das Urteil des LG Potsdam ist zu Recht kritisiert worden.948 Zum einen verkennt es die Bedeutung der Haftungsprivilegierung des TDG, indem es § 5 TDG aF nur am Rand erwähnt,949
zum anderen wird fälschlicherweise § 5 Abs. 3 TDG angewandt, obwohl ein klarer Fall des §
5 Abs. 2 TDG aF vorgelegen hatte. Die Verfügungsklägerin hatte fremde Inhalte auf ihrer
Webseite zum Abruf bereitgehalten. Gemäß § 5 Abs. 2 TDG a.F. haftet der Anbieter für
fremde Inhalte, die er zur Nutzung bereithält, nach den allgemeinen Regeln, wenn er von den
Inhalten Kenntnis nimmt und es ihm technisch möglich und zumutbar ist, die Nutzung zu verhindern. Zwar haften Medienbetreiber, die fremde Äußerungen als solche klar kennzeichnen
946
LG Potsdam, Urt. v. 8.7.1999 (Zugangsvermittlung zum Meinungsmarkt), CR 2000, S. 123 f. m. Anm. Schmitz.
BGH, NJW 1996, 1131 (1132); BGH, NJW 1976, S. 1198 (1199); BGH, NJW 1970, S. 187.
948 Schmitz, Anm. zum Urt. des LG Potsdam v. 8.7.1999 (Zugangsvermittlung zum Meinungsmarkt), CR 2000, S. 124.
949 so auch Schmitz, Anm. zum Urt. des LG Potsdam v. 8.7.1999 (Zugangsvermittlung zum Meinungsmarkt), CR
2000, S. 124 (125).
947
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oder im Rahmen eines Meinungsforums wiedergeben, nicht nach allgemeinen Regeln950, jedoch wäre im Falle einer Rechtsverletzung durch den betreffenden Beitrag zu Prüfen gewesen, ob das Land Brandenburg eine Störerhaftung trifft.951
4. Online-Auktionshäuser
Ein wichtiges Grundsatzurteil zur Haftung von Internet-Auktionsplattformen hat im Jahre
2004 der BGH gefällt.952 Auf der Plattform eines inzwischen auf dem deutschen Markt nicht
mehr präsenten Internet-Auktionshauses („ricardo.de“) waren Rolex- Plagiate angeboten worden. Für den Interessenten war dabei durch die Warenbeschreibung („z.B. „Edelreplika“,
„vom Laien nicht vom Original zu unterscheiden“ etc.) sowie durch den Preis (Mindestgebote
zwischen 60 und 400 DM) erkennbar, dass es sich lediglich um Nachahmungen handelte. Genau wie bei dem bekannten Veranstalter eBay musste sich der Anbieter bzw. Versteigerer
vorher registrieren, Details über den Versteigerungsgegenstand angeben und versichern, dass
dieser keine fremden Urheber-, Marken- und ähnliche Schutzrechte verletzte.
Nachdem die Firma Rolex von diesen Angeboten erfahren hatte, war sie der Meinung, auch
der Plattformbetreiber ricardo.de hafte für die geschehenen Markenrechtsverletzungen. Sie
nahm ihn auf Unterlassung und Auskunftserteilung in Anspruch und begehrte darüber hinaus
die Feststellung, dass er zur Zahlung von Schadensersatz verpflichtet sei. Denn beim Auktions-Veranstalter liefen wie in einer „zentralen Schaltstelle“ alle Fäden zusammen, nur über
ihn führe für beide Seiten der Weg zum Vertragsschluss. Er habe sich die Inhalte der Versteigerungsangebote zumindest zu Eigen gemacht und könne sich auf eine Haftungsprivilegierung nach TDG somit nicht berufen; außerdem habe er ja Kenntnis von den Fälschungen erlangt und es sei ihm technisch möglich und zumutbar, eine Nutzung der markenrechtsverletzenden Angebote zu verhindern.
Die Firma ricardo.de berief sich dagegen daraus, dass sie den Nutzern lediglich ein „technische Plattform“ zur Verfügung stelle, und dass normalerweise alle Versteigerungsgegenstände
in einem automatisierten Verfahren ins Netz gestellt würden, ohne dass sie durch einen Mitarbeiter vom Inhalt der einzelnen Angebote Kenntnis nehme.
950
BGH, NJW 1996, S. 1131 (1132).
Vgl. hierzu ausführlich: Schmitz, Anm. zum Urt. des LG Potsdam v. 8.7.1999 (Zugangsvermittlung zum Meinungsmarkt), CR 2000, S. 124 (125).
952 BGH GRUR 2004, 860 – Internet-Versteigerung.
951
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Diese Konstellation nahm der BGH zum Anlass, einige grundsätzliche Fragen zur Internethaftung zu klären.953 Zum ersten ist nun höchstrichterlich geklärt, dass die Haftungsprivilegien
des TDG (hier § 11 Satz 1 TDG) für Unterlassungsansprüche nicht gelten können. Nach § 8
Abs. 2 Satz 1 TDG trifft die Telediensteanbieter zwar keine Überwachungs- oder Erforschungspflicht bezüglich der von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen, davon unberührt bleibt nach § 8 Abs. 2 Satz 2 TDG aber die Verpflichtung zur Entfernung und
Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen auch für diejenigen
Anbieter, die ansonsten nach §§ 9-11 TDG privilegiert sind.954 Darunter fällt auch der allgemeine Unterlassungsanspruch.955 Darüber hinaus hat sich der BGH vor allem mit den Fragen
einer etwaigen Teilnehmerschaft oder Störerhaftung der Auktionshäuser befasst. Eine Teilnehmerhaftung schloss er im Ergebnis in Ermangelung des erforderlichen Vorsatzes für solche Fälle aus, in denen der Diensteanbieter lediglich eine Plattform eröffne, auf der private
und gewerbliche Anbieter Waren - unter denen dann vom Anbieter ungewollt auch gefälschte
Markenware zu finden sein kann - im Internet versteigern können. Dies gilt natürlich nur
insoweit, als nicht andere Anhaltspunkte vorliegen.956
Wesentlich aufgeschlossener hat sich der BGH gegenüber der Störerhaftung gezeigt. Diese
kann auch den treffen, der selbst nicht Rechtsverletzer ist, aber in irgendeiner Weise willentlich und kausal an der rechtswidrigen Beeinträchtigung mitgewirkt hat, sofern ihm die Verhinderung der Rechtsverletzung rechtlich möglich und Maßnahmen zur Störungsbeseitigung
zumutbar sind.957 Zwar sei es dem Diensteanbieter „nicht zuzumuten, jedes in einem automatisierten Verfahren unmittelbar ins Internet gestellte Angebot darauf zu überprüfen, ob
Schutzrechte Dritter verletzt werden“. Eine Haftung als Störer setze voraus, dass für
Diensteanbieter „zumutbare Kontrollmöglichkeiten“ bestünden, um eine solche Markenverletzung zu unterbinden. Wird aber einem Diensteanbieter ein Fall einer Markenverletzung
bekannt, muss er nach BGH nicht nur das konkrete Angebot unverzüglich sperren, sondern
auch technisch mögliche und zumutbare Maßnahmen ergreifen, um Vorsorge dafür zu treffen,
dass es nicht zu weiteren entsprechenden Schutzrechtsverletzungen kommt.958
953
Einen schönen Überblick bietet mit seinen Anmerkungen Lement GRUR 2005, 210; krit. zum Urteil des BGH
Hoeren MMR 2004, 673.
954 s. auch Dreier/Schulze, UrhG, 2. Aufl. 2006, § 97 Rn 45 a.E.
955 Ausführlicher Lement GRUR 2005, 210, 211.
956 krit. dazu Lement GRUR 2005, 210, 211
957 Eingehend Dreier/Schulze, UrhG, 2. Aufl. 2006, § 97 Rn 33 m.w.N.
958 LS BGH GRUR 2004, 860 – Internetversteigerung; dazu Lement, GRUR 2005, 210, krit. Gramespacher, JurPC WebDok.
131/2005.; vgl. allerdings inzwischen LG Hamburg MMR 2005, 326 m. krit. Anm. Rachlock.
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Ein verwandtes Problemfeld bei Internet-Auktionshäusern ist durch die Fälle sog. „Identitätsdiebstahls“ eröffnet: Nutzt ein Dritter mit einem extra eingerichteten „Fake-Account“
missbräuchlich den Namen eines – hier bei eBay- registrierten Nutzers, um mangelhafte Waren abzusetzen oder gar die Kunden durch Nicht-Lieferung über den Tisch zu ziehen, und
zeigt der rechtmäßige Namensinhaber die Vorgänge dem Auktionshaus an, so kann sich dieses nicht auf § 11 TDG berufen; dem Unterlassungsanspruch des Klägers wegen Verletzung
von Namens- und allgemeinem Persönlichkeitsrecht gab inzwischen auch die Berufungsinstanz statt.959 Da das Auktionshaus
insoweit gem. § 8 Abs. 1 TDG nach allgemeinen
Grundsätzen hafte, sei ihm nach Bekanntwerden einer solchen Verletzung eine Prüfungspflicht für die Zukunft zuzumuten. eBay hat inzwischen ein neues, sichereres Identifizierungsund Anmeldesystem eingerichtet, müsste dies aber zur Prüfung der Frage Wiederholungsgefahr dem Kläger offen legen- was das Auktionshaus ablehnt, um nicht für die Zukunft wiederum Umgehungen zu erleichtern. Die Sache ist derzeit noch als Revisionsverfahren anhängig.960
5. Auskunftsansprüche gegen Internetprovider
Werden, wie oben unter VII. B. 4. gesehen, Internetprovider zu großen Teilen lediglich als
„Störer“ eingeordnet, sie also selbst nicht „Verletzer“ im deliktischen Sinne sind, ergibt sich
eine ganz spezielle Frage, die derzeit die Gemüter rechtspolitisch erhitzt: Inwieweit ist ein
Störer (oder auch: „Mitstörer“) bei einer Schutzrechtsverletzung auskunftspflichtig über den
potentiellen Verletzer? Konkret geht es dabei hauptsächlich um folgende Fallgruppe: Bietet
ein Internet-User im Internet urheberrechtsverletzende Inhalte zum Download an (Musik,
Filme), so ist der Provider hier ohne Kenntnis des Inhalts lediglich vermittelnd tätig. Er ist
damit grundsätzlich als Störer zu qualifizieren und haftet nach §§ 8 Abs. 2, 9 ff. TDG, wie
oben gesehen, auf Unterlassen, sowie nach allgemeinen Gesetzen auf Entfernen oder Sperrung. Für den Verletzten ist aber nun von großem Interesse, den sich im Internet weitgehend
anonym bewegenden „echten“ Verletzer zu finden, um ihn zur Rechenschaft ziehen zu können. Er möchte dazu vom Provider Auskunft über die Zuordnung der dynamischen IP- Adresse zum jeweiligen Server und damit über die Identität des gesuchten Verletzers bekommen,
und stützt sich auf den Drittauskunftsanspruch nach § 101a UrhG. Danach kann, wer im geschäftlichen Verkehr durch die Herstellung oder Verbreitung von Vervielfältigungsstücken
959
OLG Brandenburg, MMR 2006, 107; Vorinstanz AG Potsdam CR 2005, 232 m. Anm. Gercke.
BGH, Az.: XII ZR 207/05; zur Möglichkeit eines in- camera- Verfahrens zum Schutz des eBay- Betriebsgeheimnisses vgl. Spindler MMR 2006, 111.
960
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das Urheberrecht eines anderen verletzt, vom Verletzten auf unverzügliche Auskunft über
Herkunft und Vertriebsweg dieser Vervielfältigungsstücke in Anspruch genommen werden,
solange dies nicht im Einzelfall unverhältnismäßig wäre.961 Nachdem die Vorinstanzen962
diesem Auskunftsverlangen weitgehend stattgegeben haben, haben nun mehrere obergerichtliche Entscheidungen963 einen solchen Auskunftsanspruch abgelehnt. Interessant ist in diesem
Zusammenhang insbesondere die Frage, ob der Provider als Störer unter den Verletzerbegriff
der Vorschrift – zur Not durch Analogie- subsumiert werden kann. Während bis zu einer evtl.
Entscheidung des BGH nun seitens der Rechtsprechung von einer ablehnenden Haltung ausgegangen werden kann, sind die Meinungen in der Literatur gespalten. Teilweise wird dem im
Ergebnis, aber aus anderen Erwägungen (besonders datenschutzrechtlichen) zugestimmt,964
teilweise wird aber aus Gründen der praktischen Rechtsdurchsetzbarkeit, also eher ergebnisorientiert, für eine Ausweitung der Vorschrift965 plädiert. Möglicherweise kommt der höchstrichterlichen Klärung jedoch der Gesetzgeber mit der Umsetzung der Richtlinie 2004/48/EG
zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (sog. Enforcement- Richtlinie) zuvor.966 Nach Art. 8 Abs. 1 c) der RiLi sind nämlich Maßnahmen zu treffen, die neben dem
Verletzer auch alle anderen solchen Personen zur umfassenden Auskunft über Vertriebswege
von schutzrechtsverletzenden Waren oder Dienstleistungen verpflichten, die – in gewerblichem Ausmaß- für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbrachten. Nach
Art. 8 Abs. 3 e) der RiLi sollen allerdings bestehende datenschutzrechtliche Regelungen
unberührt bleiben - daher gehen die Erwartungen über die gesetzliche Ausweitung der diversen Drittauskunftsansprüche in der Literatur auseinander967, und die Entwicklung bleibt abzuwarten.
C. Haftung für Hyperlinks
961
Parallele Vorschriften finden sich z.B. in §§ 140b PatG, 24b GebrMG, 19 MarkenG sowie 14a Abs. 3 GeschMG.
vgl. LG Hamburg MMR 2005, 55; LG Köln, ZUM 2005, 236; w. N. bei Dreier/Schulze, UrhG, 2. Aufl. 2006,
§ 101a Rn. 6.
963 OLG Frankfurt GRUR-RR 2005, 147 – Auskunftsanspruch; OLG Hamburg GRUR-RR 2005, 209 – Rammstein;
OLG München MMR 2005, 616.
964 Spindler MMR 2005, 243 m.w.N.; Sieber/Höfinger MMR 2004, 575.
965 vgl. Nordemann/Dustmann CR 2004, 380; Czychowski MMR 2004, 514.
966 ber. Fassg. Abl. EG Nr. L 195 v. 2.6.2004, S. 16.
967 S. dazu bspw. Spindler/Dorschel CR 2005, 38, 47; Frey ZUM 2004, 522, 525; Czychowski, MMR 2004, 514, 519.
962
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Rechtliche Fragen bezüglich des Setzens von Hyperlinks ergeben sich insbesondere aus zwei
Aspekten. Zum einen ist fraglich, unter welchen Vorraussetzung durch einen Link in bestehende Rechte an der verlinkten Seite eingegriffen werden kann. Kann beispielsweise durch
einen Hyperlink das Urheberrecht der verlinkten Seite verletzt werden?968 Der andere Aspekt,
der für dieses Kapitel der Haftung relevant ist, betrifft die Verantwortlichkeit des Linksetzenden für den Inhalt der verlinkten Webseite. Hier stellt sich die Frage, inwieweit ein Hyperlink
auf ein fremdes Angebot eine Verantwortlichkeit des Linksetzenden für den Inhalt der so verlinkten Website begründen kann.969
Wer eine Website ins Internet stellt, haftet grundsätzlich für deren Inhalt. Dies gilt zunächst
auch für gesetzte Hyperlinks. Da die Vorteile der Internettechnologien zum Großteil auf der
Möglichkeit zur Verlinkung unterschiedlicher Inhalte beruhen, besteht ein Bedürfnis für eine
Haftungsbegrenzung zugunsten des Linksetzenden. Diskutiert wurde in diesem Zusammenhang bislang die Frage, ob sich das Setzen von Hyperlinks unter die Haftungsprivilegierungen
des TDG subsumieren ließ. Die ganz h. M. hatte die Regelung des § 5 TDG a.F. dementsprechend erweiternd ausgelegt, teilweise im Wege der Analogie.970 Eine solches Verständnis
entspreche deren Zielsetzung Rechtsklarheit für die Verantwortlichkeit für eigene und fremde
Inhalt zu sorgen.971 Obwohl weitgehend Einigkeit darüber bestand, dass Hyperlinks grundsätzlich von Haftungsprivilegierung des TDG umfasst waren, so bestand keine Einigkeit darüber, welchen der drei Absätze von § 5 a.F. die Links zuzuordnen waren. Vertreten wurde
alles: Absatz 1, Absatz 2, Absatz 3 und selbstverständlich auch „kommt drauf an“.
Vereinzelt wurden einfache Hyperlinks unter § 5 Abs. 3 TDG a.F. (reine Zugangsvermittlung)
subsumiert, mit der Folge eines vollständigen Haftungsausschlusses zugunsten des Linksetzenden.972 Die Tätigkeit eines Linksetzenden geht jedoch deutlich über die eines reinen Zu968
Siehe zu dieser Problematik: Ernst/Wiebe, MMR Beilage 8/2001, S. 20; Kochinke/Tröndle, CR 1999, S. 190; Schack,
MMR 2001, S. 9; inzwischen ablehnend für die Fälle, in denen das Werk im Internet ohne technische Schutzmaßnahmen zugänglich gemacht worden war, da hier nur ein Hinweis auf das fremde Werk und eine Erleichterung des
bereits geschaffenen Zugangs hierzu gegeben werde: BGH NJW 2003, 3406 = MMR 2003 m. Anm. Wiebe = GRUR
2003, 958 – Paperboy; dazu auch oben III B. a)c)bb) und VI A. 3)b).
969 Zu dieser Frage jüngst BGH WRP 2004, 899 = MMR 2004, 529 m. Anm. Hoffmann – Schöner Wetten; Vorinstanz: KG MMR 2002, 119 m. Anm. Becker; davor noch eingehend Spindler/Stögmüller, Vertragsrecht der InternetProvider, Teil II Rn 204 ff; Hoffmann, NJW 2004, 2569, 2575; Bettinger/Freytag, CR 1998, S. 545; Flechsig/Gabel, CR
1998, S. 351; Koch, MMR 1999, S. 704; Ernst, NJW-CoR 1997, S. 224; Plaß, WRP 2000, S. 599; Marwitz, K&R 1998, S.
369.
970 So: Bettinger/Freytag, CR 1998, S. 545 (547); Flechsig/Gabel, CR 1998, S. 351; Ernst, NJW-CoR 1997, S. 224; Plaß,
WRP 2000, S. 599; Marwitz, K&R 1998, S. 369; für eine analoge Anwendung: Koch, MMR 1999, S. 704.
971 Vgl. Bettinger/Freytag, CR 1998, S. 545 (547).
972 LG Lübeck, Urt. v. 24.1..98, NIW-CoR, S. 429, LG Frankenthal, Urt. v. 28.11.2000 (Az.: 6 0 293/00), abzurufen
unter: <http://jurpc.de/rechtspr/20010049.htm>; Wiebe WRP 1999, S. 734 (740) – allerdings ohne Begründung;
191
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gangsvermittlers hinaus, da er eine bestimmte und in der Regel bewusste Auswahl an fremden
Inhalten trifft, zu denen er mittels Link den Zugang u.U. wesentlich erleichtert.973
Nicht sachgerecht erschien ferner die ausschließliche Anwendung von § 5 Abs. 1 TDG und
somit eine gänzliche Verneinung einer Haftungsprivilegierung zugunsten von Linksetzenden.974 So machte beispielsweise dass LG Frankfurt975 eine Firma für nach deutschem Recht
wettbewerbswidrige Werbung haftbar, welche sich auf der englischsprachigen Homepage
ihrer amerikanischen Muttergesellschaft befand. Von der Webseite der deutschen Tochtergesellschaft konnte nach Aktivierung mehrer Links auf die Seite der Muttergesellschaft gelangt
werden.
Die ganz überwiegende Meinung sah in dem Setzen von Links einen Anwendungsfall von § 5
Abs. 2 TDG a.F..976 Eine Haftung wurde nur dann bejaht, wenn der Linksetzende Kenntnis
von den verlinkten rechtswidrigen Inhalten hatten und eine Deaktivierung zumutbar war. In
diesem Sinne hatte kurz vor Inkrafttreten des TDG auch das AG Berlin-Tiergarten in einem
viel diskutierten Fall die Verantwortlichkeit eines Linksetzenden beurteilt.977 In dem Fall ging
es um einen Link auf der Homepage der Bundestagsabgeordneten Angela Marquardt auf eine
Seite, auf der sich die Zeitschrift „Radikal“ befand. Eine bestimmte Ausgabe dieser Zeitschrift war strafrechtlich relevant, da in ihr Anweisungen zur Sabotage von Schienentransporten enthalten waren. Das AG verneinte im Ergebnis eine strafrechtliche Verantwortlichkeit
von Frau Marquardt, da unklar blieb, ab wann sie von dem rechtswidrigen Inhalt der verlinkten Seite Kenntnis erlangt hatte.
Anders ist es freilich zu beurteilen, wenn sich der Linksetzende den Inhalt der verlinkten Seite
erkennbar zu eigen gemacht hat, etwa durch Verwendung eines Inline-Links. Hier ist der Anbieter wie auch für eigene Inhalte voll verantwortlich.978 Zu recht: Wer sich durch entsprechende Gestaltung als Anbieter eines bestimmten Inhaltes ausgibt, verdient keine Privilegie-
Hoeren, Rechtsfragen des Internetrechts, S. 319 – jedenfalls für Fälle in denen sich der Linksetzende mit dem verlinkten Inhalt nicht erkennbar solidarisiert (sonst Absatz 1).
(abrufbar unter: http://www.uni-muenster.de/jura.itm/hoeren/materialien/skript_september.pdf);
973 Plaß, WRP 2000, S. 599 (608); Koch, MMR 1999, S. 704 (705f).
974 So aber: LG Frankfurt/Main, CR 1999, S. 45 (46), m. Anm. Kloos; Flechsig/Gabel, CR 1998, S. 351. Das LG Hamburg (Urt. v. 12.5.1998, CR 1998, S. 565) hat den § 5 TDG in einem Fall, in dem auf eine Webseite mit ehrverletzenden Äußerungen verlinkt wurde, schlicht übersehen, was im Ergebnis natürlich auf dasselbe hinausläuft.
975 LG Frankfurt/Main, Urt. v. 28.5.1998, CR 1999, S. 45.
976 Bettinger/Freytag, CR 1998, S. 545; Koch, MMR 1999, S. 704; Plaß, WRP 2000, S. 599; Marwitz, K&R 1998, S. 369.
977 AG Berlin-Tiergarten, Urt. v. 30.6.1997, CR 1998, S. 111, m. Anm. Vassilaki.
978 Schack, Urheberrechtliche Gestaltung von Webseiten unter Einsatz von Links und Frames, MMR 2001, S. 9 (17);
Plaß, Hyperlinks im Spannungsfeld von Urherber-, Wettbewerbs- und Haftungsrecht, WRP 2000, S. 599 (609); s.a.:
LG Lübeck, Urt. v. 24.11.1998, NJW-CoR 1999, S. 429 ff. m. Anm. Ernst.
192
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Z:\Internetrecht\Skript\WS06.07\SkriptInternetrechtWS06.07.06-11-20.doc
rung.979 Solche Fälle wurden nach bisherigem Recht dem § 5 Abs. 1 TDG a.F. unterstellt, der
für eigene Inhalte eine Haftung nach den allgemeinen Gesetzen vorsah.
Was hat sich nun durch die Neufassung des TDG geändert? Weder die E-CommerceRichtlinie noch die nunmehr präziser formulierten Verantwortlichkeitsbestimmungen des
TDG regeln die Frage nach der Haftung für Hyperlinks. Die Frage nach der Haftung für das
Setzen von Links wurde von der Richtlinie bewusst nicht geregelt, sondern gemäß Art. 21
Abs. 2 der E-Commerce-Richtlinie ausdrücklich erst für eine zukünftige Anpassung der
Richtlinie in Betracht gezogen.980 Die neuen Vorschriften lassen sich daher nicht mehr dahingehend auslegen, dass auch Hyperlinks von Ihnen erfasst werden. Auch eine Analogie ist
nicht möglich, da dem Gesetzgeber zumindest keine Planwidrigkeit mehr zu unterstellen ist.
Die Haftungsprivilegierung aus § 5 Abs. 2 TDG a.F. kann dem Verwender von Hyperlinks
somit nicht mehr zugute kommen. Vorerst muss die Haftung für das Setzen von Hyperlinks
wieder nach den allgemeinen Vorschriften beurteilt werden.
Inzwischen hat auch der BGH entschieden, dass auf das Linking die spezialgesetzlichen Regelungen des MDStV und des TDG nicht anwendbar sind. Die Frage nach der Störerhaftung
für das Setzen eines Links, der auf eine Seite mit rechtswidrigen Informationen führt, beurteile sich vielmehr nach den allgemeinen Regeln: Anders als bei der reinen Zugangsvermittlung
oder Übermittlung habe derjenige, der einen Link setze, Prüfungspflichten.981
Im Internet heiß diskutiert wurde der kürzlich entschiedene Rechtsstreit zwischen Vertretern
der Musikindustrie und dem Heise Zeitschriften-Verlag. Heise online gibt einen bekannten
Internet- Newsletter heraus, in dem im Rahmen einer Berichterstattung über eine DVD- Kopier-Software auch ein Link auf die Website der Herstellerfirma Slysoft gelegt war. Sowohl
das LG München I982 als auch das OLG München983 stellten in ihren Urteilen darauf ab, dass
hierdurch das Auffinden der Seite und der Download-Möglichkeiten um ein Vielfaches bequemer und einfacher gemacht werde, selbst wenn der User auch unproblematisch über
Suchmaschinen auf die Seite hätte gelangen können. In der Konsequenz sahen sie eine Haftung von Heise aus § 830 BGB wegen vorsätzlicher Beihilfe bzw. als Mit-Störer, die auch
979
Schack, Urheberrechtliche Gestaltung von Webseiten unter Einsatz von Links und Frames, MMR 2001, S. 9 (17)
So auch die Frage nach der Haftung für die Betreiber von Suchmaschinen und Verzeichnissen.
981 BGH WRP 2004, 899 = MMR 2004, 529 m. Anm. Hoffmann – Schöner Wetten; Vorinstanz: KG MMR 2002, 119
m. Anm. Becker.
982 LG München I, MMR 2005, 385 m. Anm. Hoeren.
983 OLG München, MMR 2005, 768 m. krit. Anm. Hoeren.
980
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nicht nach Art. 5 GG gedeckt sei, da das Urheberrecht die Pressefreiheit insoweit wirksam
einschränke. Heise hat angekündigt, Verfassungsbeschwerde einzulegen.984
D. Haftung für Suchmaschinenbetreiber
Die Tätigkeiten von Suchmaschinenbetreiber wirft zahlreiche rechtliche Fragen auf. Dabei
geht es nicht nur um einfache, sondern auch um spezielle Suchmaschinen, die gezielt die Angebote bestimmter Informationsanbieter durchsuchen, gegebenenfalls auswerten und über
Links zugänglich machen. Hierzu zählen etwa Metasuchdienste, die auf die Informationsbestände anderer Suchmaschinenbetreiber zurückgreifen. Hier bleibt zu klären, inwieweit solche
Dienste aus urheberrechtliche Sicht (einschlägig ist hier insbesondere der Datenbankschutz),
aus persönlichkeitsrechtlicher und aus wettbewerbsrechtlicher Sicht zulässig sind. Spannende
Fragen ergeben sich beispielsweise auch, wenn Suchmaschinenbetreiber sich Platzierungen in
ihren Suchergebnissen bezahlen lassen.
Aus haftungsrechtlicher Sicht stellt sich die Frage, ob Suchmaschinenbetreiber – die ja nur
ohnehin öffentlich zugängliche Quellen auffinden- für die von ihnen ermittelten und über
Links zugänglich gemachten Inhalte haftbar gemacht werden können. Eine Privilegierung
durch das TDG wird inzwischen weithin abgelehnt.
Den Grundsätzen der Störerhaftung folgend hat das LG Berlin985 den Betreiber einer MetaSuchmaschine auf Unterlassung haftbar gemacht, nachdem er von der Verletzten auf den persönlichkeitsrechtsverletzenden Inhalt (angebliche Nacktaufnahmen einer Fernsehmoderatorin)
hingewiesen worden war. Dabei hat das LG ausdrücklich festgestellt, dass folgend dem Urteil
des BGH -Schöner Wetten986 insoweit keine Privilegierungen nach TDG einschlägig sein
könnten und eine analoge Anwendung mangels planwidriger Regelungslücke ausscheide987.
Solange die Zumutbarkeitsgrenze noch nicht erreicht ist, muss also der betreffende Link gesperrt werden. Insofern verhält es sich mit der Haftung normaler, selbst Ergebnisse aufspürender Suchmaschinen nicht viel anders: Prüfungspflichten zur Ermittlung vergleichbarer
rechtsverletzender Einträge lehnte (in ähnlich gelagerten Fällen) wiederum das LG Berlin
984
S. näher unter http://www.heise.de/newsticker/meldung/63428 . Zum Vergleich bieten sich auch die Entscheidungen rund um die sog. „Düsseldorfer Sperrverfügungen“ an: VG Düsseldorf, CR 2005, 885 m. Anm. Volkmann;
LG Stuttgart, MMR 2005, 715, m. Anm. Köcher = CR 2005, 675 m. Anm. Kaufmann; zuvor AG Stuttgart, MMR 2005,
334 m. Anm. Kaufmann/Köcher = CR 2005, 69 m. Anm. Neumann.
985 LG Berlin MMR 2005, 324 sowie 786.
986 BGH MMR 2004, 524 m. Anm. Hoffmann.
987 LG Berlin MMR 2005, 324, 325, bestätigt KG MMR 2006, 392 sowie 393.
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zwar als unzumutbar ab,988 nach konkreter Abmahnung sei allerdings eine Prüfung ebenso
wie ggf. eine Umprogrammierung des „Crawlers“ zumutbar.989
Keine Privilegierung wird sich jedenfalls auch dann ergeben, wenn Suchmaschinen redaktionell gestaltet sind, etwa derart, dass sie kurze Zusammenfassungen oder gar die Startseite der
zu vermittelnden Angebote bieten oder etwa den Nutzer bewusst auf ganz bestimmte Inhalte
lenken.990 Ebenso im Falle sogenannter „Sponsored Links“, für die der Verlinkte dem Betreiber der Ausgangsseite oder Suchmaschine ein Entgelt bezahlt; nach LG Hamburg trifft den
Linksetzenden dann eine gesteigerte Verantwortlichkeit hinsichtlich seiner Unterlassungsund Sperrpflichten.991 Im Fall von AdWord-Werbung am Seitenrand (prominentestes Beispiel: Google), mit der der Werbende widerrechtlich von fremden Nutzungsrechten profitiert,
hat das LG Hamburg in einer Parallele zu presserechtlichen Grundsätzen eine Haftung des
Suchmaschinenbetreibers nur dann für möglich erklärt, wenn es sich um grobe und leicht erkennbare Rechtsverstöße handele; keine Prüfungspflichten bestünden dagegen bei schwer zu
erkennenden Verletzungen.992 Zur Frage der urheberrechtlichen Haftung bei Thumbnails993 in
Bild-Suchmaschinen hat allerdings das AG Bielfeld für die Speicherung der Inhalte § 10
TDG, für ihre Übermittlung § 9 TDG für einschlägig erachtet und eine Haftungsprivilegierung angenommen.994
E. Haftung für Meinungsforen und Weblogs
Schließlich bieten auch gewerbsmäßig oder privat geführte Foren und Weblogs eine Plattform, auf der Nutzer unter Umständen rechtswidrige Inhalte verbreiten können. Zur Reichweite sich daraus ergebende Kontroll- oder Sperrpflichten haben sich eine Vielzahl unterinstanzlicher Entscheidungen geäußert.995 Grundsätzlich ist der Betreiber als Störer zur Unterlassung verpflichtet, § 8 Abs. 2 TDG greift ja insoweit nicht ein. Die rechtswidrigen Inhalte
sind dann unverzüglich zu löschen, wogegen es nicht ausreicht, lediglich einen Link auf eine
988
LG Berlin, MMR 2005, 785; s. auch LG Frankenthal, CR 2006, 698; a.A. Spieker, MMR 2005, 727.
LG Berlin, MMR 2005, 786.
990 Vgl. Hoeren/Sieber, Handbuch Multimedia-Recht, Kap- 29, Rn. 340.
991 LG Hamburg CR 2005, 534.
992 LG Hamburg MMR 2005, 631; krit. Schäfer, MMR 2005, 807.
993 Dazu auch oben III B.4)c)bb).
994 AG Bielefeld, Urt. v. 18.2.2005, abrufbar unter http://www.jurpc.de/rechtspr/20050074.pdf = MMR 2005, 556.
m. krit. Anm. Gercke.
995 AG Berlin-Mitte, MMR 2005, 639; AG Winsen/Luhe, MMR 2005, 722; zu den Rechtsschutzchancen für Unternehmen, die sich in Meinungsforen negativ bewertet sehen, s. Schmitz/Laun, MMR 2005, 208 und Janal, CR 2005,
873.
989
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Hinweisseite einzufügen.996 Das OLG Düsseldorf 997hat zwar auch grundsätzlich festgehalten,
dass Forenbetreiber nach Kenntnis der Verletzung als Störer auf Unterlassung haften. Bei
Meinungsforen sei allerdings ausnahmsweise vorrangig derjenige in Anspruch zu nehmen, der
die rechtsverletzende Äußerung getätigt habe. Da gerade bei Meinungsforen für jedermann
ersichtlich sei, dass es sich bei den Beiträgen nicht um die Meinung des Betreibers handeln
müsse, sei der richtige Anspruch gegen diesen der auf „Abrücken“, also Distanzierung von
der Meinung; auf Unterlassen müsse schon der eigentliche Urheber der Äußerung herangezogen werden. Zur Begründung griff das Gericht –allerdings unter Hinweis darauf, dass Meinungsforen im Internet nicht mit Rundfunk und Presse gleichgesetzt werden könnten- auch
auf eine Entscheidung des BGH998 zurück, wonach bei Meinungsäußerungen in LiveSendungen von Rundfunk und Fernsehen ebenfalls der Veranstalter bzw. Verbreiter nur als
„Markt“ auftritt, und damit als Veranlasser zurücktritt. Nach OLG Düsseldorf wird diese
Nachrangigkeit allerdings beseitigt, wenn der Forenbetreiber die Identität des Verletzers nicht
preisgeben kann oder will.999 Das LG Hamburg hat dagegen wesentlich strenger entschieden,
dass derjenige, der über seine Internet-Einrichtung in pressemäßiger Weise Inhalte verbreitet,
Vorkehrungen dafür treffen müsse, dass hierüber keine rechtswidrigen Inhalte verbreitet würden.1000
Ist der Forenbetreiber allerdings auf eine konkrete Rechtsverletzung hingewiesen worden – in
einem aktuellen Fall handelte es sich um den Heise Zeitschriften Verlag, in dessen Onlineforum ein Nutzer zur Internet-Blockade gegen die Server eines Internetdienstleisters aufgerufen
hatte – so hat er nach OLG Hamburg nicht nur die Pflicht, die beanstandeten Postings kurzfristig zu löschen, sondern er kann auch dazu verpflichtet sein, die Beiträge des konkreten
Forums auch in der Folgezeit darauf zu prüfen, ob sie ähnliche Aufrufe enthalten. Die Zumutbarkeit einer solchen speziellen Überwachungspflicht ergibt sich dann, wenn weitere Rechtsverletzungen drohen; insbesondere, so das OLG, wenn der Betreiber entweder durch sein eigenes Verhalten vorhersehbar rechtswidrige Beiträge Dritter provoziert hat oder wenn ihm
bereits mindestens eine Rechtsverletzung von einigem Gewicht im Rahmen des Forums benannt wurde und sich die Gefahr weiterer Rechtsverletzungen durch einzelne Nutzer bereits
konkretisiert hat.1001
996
LG Düsseldorf, CR 2006, 563.
OLG Düsseldorf, JurPC WebDok. 64/2006= CR 2006, 482.
998 BGHZ 66, 182 ff. – Panorama.
999 OLG Düsseldorf, JurPC WebDok. 64/2006= CR 2006, 482.
1000 LG Hamburg MMR 2006, 491 m. krit. Anm. Gercke.
1001 OLG Hamburg, Urt. v. 22.8.2006 – 324 O 721/05, vs. MMR 11/2006; vorläufige Zusammenfassung in MMR
aktuell 10/2006, XIX.
997
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Den privaten Forenbetreiber treffen insoweit grundsätzlich gar keine Überwachungspflichten; er haftet für fremde, rechtswidrige Foreneinträge immer erst ab Kenntnis.1002
1002
OLG Düsseldorf, CR 2006, 682; ähnlich wohl OLG Hamburg, Urt. v. 22.8.2006 – 324 O 721/05, vs. MMR
11/2006.
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