Mathe-Leistungskurs für Züchter?
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Mathe-Leistungskurs für Züchter?
Zuchtwer tschätzung Ex terieur 2013 . ZUCHT . DER TRAKEHNER 02/2014 In fünf von acht Kriterien deutlich über dem Durchschnitt vererbt sich der Gribaldi-Sohn Easy Game. 31 Mathe-Leistungskurs für Züchter? An der Zuchtwertschätzung spalten sich die Züchtergeister. Da gibt es solche, die paaren ihre Stute nur mit einem Hengst an, der mindestens 130 Punkte Gesamtzuchtwert hat. Und dann gibt es andere, die verteufeln die Zuchtwertschätzung und schauen sich die Werte noch nicht einmal an. W ie so häufig im Leben ist dabei wohl der beste Umgang mit Zuchtwerten die goldene Mitte. Sie sind kein Allheilmittel, aber bei der Anpaarungsplanung sollte sie auch nicht völlig vernachlässigt werden. Von Gegnern der Zuchtwertschätzung gibt es häufig das Argument: Ich verstehe nicht, wie diese Werte zustande kommen. Ist das ein glaubwürdiges Argument? Wer kann schon genau erklären, wie ein Motor funktioniert? Und trotz dieser mangelnden Kenntnis gehört der Gebrauch eines Autos zum Alltagsleben. Zuchtwerte werden über Matrixrechnung berechnet. Damit sind mathematische Formeln gemeint, in denen mehr als drei Unbekannte gleichzeitig berücksichtigt werden. Wer nicht gerade Mathematik-Leistungskurs hatte, lernt diese Art mathematische Formel wohl nie kennen. Doch dies ist auch keine Voraussetzung, um Zuchtwerte in die eigene züchterische Arbeit einfließen zu lassen. Grundsätzlich macht die Zuchtwertschätzung nichts anderes als das, was der Züchter selbst macht. Sie versucht, den züchterischen Wert eines Vatertieres zu bestimmen, also das genetische Potential (Genotyp). Ausgangspunkt dafür sind die vorhandenen Daten (Phänotyp), im Falle der Exterieurzuchtwertschätzung also die Ergebnisse der Stuteneintragungen. Jeder Züchter weiß, dass die gezeigte Leistung, zum Beispiel die Galoppnote, nicht nur von der Genetik der Eltern abhängt. Umweltfaktoren spielen eine erhebliche Rolle. Um diese Faktoren zu berücksichtigen, geht der Züchter zu einem zentralen Eintragungstermin. Er notiert sich die Noten der Stuten, zugleich aber gewinnt er auch ein gewisses Bild von den Umweltfaktoren. Ist der Boden besonders tief oder rutschig? Wirkt die Stute gut vorbereitet oder scheint sie roh und unbemuskelt von der Koppel zu kommen? Diese Dinge kann die Zuchtwertschätzung zum Teil gar nicht oder nur in einem sehr geringen Umfang berücksichtigen. Der Vorbereitungseffekt zum Beispiel bleibt völlig unberücksichtigt, denn es gibt dazu keine Datenerfassung. Der Termineffekt fließt in die Zuchtwerte mit ein, ein besonders schwüler Tag oder ein schlechter Boden beeinträchtig ja alle vorgeführten Pferde. Lagen zum Beispiel alle Noten eines Termins im Schnitt tiefer als auf anderen Terminen? Dies kann die Mathematik berücksichtigen. Besondere Berücksichtigung im Rechenmodell findet zum Beispiel die Kommission. Sind die Noten eines bestimmten Kommissionsmitgliedes höher oder niedriger als im Durchschnitt? Dies können marginale Abweichungen sein, aber sie sind mathematisch leicht zu berücksichtigen. Und dann gibt es da noch die wichtigste Stärke einer Zuchtwertschätzung: Alle Daten werden berücksichtigt. Dies kann kein Züchter von sich behaupten. Noch nicht einmal der Zuchtleiter, der Kraft seines Amtes sehr viele Stuten selbst zu Gesicht bekommt, hat wirklich alle Stuten gesehen. Weder im aktuellen Eintragungsjahr noch in all den Jahren zuvor. So lassen viele Züchter solche Stuten, die sie selbst nicht für wirklich gut halten, lieber bei Gelegenheit auf einem kleinen Brenntermin mit wenig Publikum beurteilen. So bekommt ein Züchter womöglich nur die besseren Töchter eines Hengstes auf den zentralen Eintragungsplätzen zu Gesicht, aber die weniger gelungenen eben nicht. Adel verpflichtet Für die Zuchtwertschätzung werden aber nicht nur alle Nachkommen berücksichtigt, sondern auch alle Vorfahren, Geschwister, Halbgeschwister, einfach alles, was jemals bewertet wurde. Wieso ist das ein Vorteil der Zuchtwertschätzung? Dies lässt sich wohl am besten am Beispiel der Mütter erklären. Schließlich ist die Stute, die der Züchter bei der Eintragung zu Gesicht bekommt nicht nur das Produkt des Vaters und der Umwelteffekte. Auch die Mutter hat einen erheblichen Einfluß. Wenn der Züchter die Mutter zufällig kennt, kann er sich auch dazu ein Bild machen, er weiß vielleicht, dass die Mutter sehr typvoll ist aber nicht galoppieren kann. Nun sieht er die Tochter, sie ist herber im Typ, im Galopp deutlich besser als die Mutter. Daraus schließt er vielleicht, dass der Vater den Typ nicht erhalten konnte, aber dafür die Galoppade verbessert hat. Aber liegt der Züchter damit richtig? Was er sieht, ist vielleicht nur ein Einzelfall. Die Zuchtwertschätzung kann das Anpaarungsniveau in Form der Eintragungsnoten der Mütter berücksichtigen, sind die Nachkommen eines Hengstes besser als die angepaarten Stuten, hat der Hengst also im allgemeinen die Nachkommen verbessert? Oder auch ein anderer Effekt, ein Hengst bekommt vielleicht nur hoch qualitative Stuten zur Anpaarung. Die Produkte sind auch gut. Aber eben nicht so überragend wie sie bei der Qualität der angepaarten Mütter zu erwarten gewesen wäre? Diese Dinge kann die Zuchtwertschätzung teilweise besser aufdecken, als der einzelne Züchter, wie fleißig er auch durch das Land fährt und sich Pferde ansieht. Darin liegt aber vielleicht auch so manches Mal begründet, warum der persönliche Eindruck eines Züchters von der Vererbung eines Hengstes von dem abweicht, was der Zuchtwert aussagt. Wer also für seine Stute einen Hengst zur Anpaarung sucht, der sich im Galopp besonders positiv vererbt, für den lohnt sich durchaus ein Blick auf den Zuchtwert. Dabei spielt es keine Rolle, ob da nun ein Galoppzuchtwert von 121 oder 123 steht. Liegt der Wert 32 DER TRAKEHNER 02/2014 . ZUCHT . Zuchtwer tschätzung Ex terieur 2013 Zuchtwer tschätzung Ex terieur 2013 . ZUCHT . DER TRAKEHNER 02/2014 33 oben links | Adamello v. Herzzaubern gelang 2013 der Sprung in die Exterieurzuchtwertschätzung. oben rechts | In sechs von acht Kriterien überdurchschnittliche Vererbung bewies einmal mehr Shavalou v. Freudenfest. unten | Oliver Twist v. Monteverdi debütierte ebenfalls mit überzeugenden Exterieurzuchtwerten. Tabelle der Exterieur-Zuchtwerte für die zuchtaktiven Hengste (Werte von mindestens 120 sind farbig markiert) 90 118 103 150 76 123 88 133 105 89 119 121 88 101 104 96 119 92 84 114 141 138 121 90 112 134 142 82 105 93 98 85 100 125 109 147 114 125 138 107 110 128 120 83 103 110 114 113 125 124 83 99 132 129 109 124 119 121 102 Oberkörper 103 98 105 112 81 95 79 128 80 68 128 109 116 126 147 108 126 112 62 76 117 135 113 108 129 123 111 97 135 90 121 116 81 135 104 114 122 94 141 118 132 140 86 94 90 98 123 121 119 115 80 113 130 101 124 111 111 98 83 Fundament 117 80 134 87 99 89 117 87 83 88 127 131 99 125 112 135 130 107 92 119 130 110 76 87 79 89 120 104 112 69 103 107 76 142 127 123 118 91 134 73 106 111 97 81 69 128 127 102 95 67 86 131 106 83 141 129 98 84 68 Schritt 93 73 104 121 118 102 78 111 55 115 131 122 130 147 129 105 140 129 52 117 116 113 122 123 96 100 91 107 111 79 115 122 91 133 97 104 131 108 149 122 106 132 84 85 80 120 140 118 106 93 104 116 84 78 98 124 101 45 77 Trab 76 80 114 139 127 95 80 106 89 96 133 115 120 114 159 136 134 130 68 130 131 125 94 104 128 121 121 103 126 93 108 123 104 153 124 131 123 119 133 107 131 135 109 119 84 104 139 124 114 129 90 126 109 108 110 140 88 74 85 Galopp Gesamteindruck Anzahl Stuten 98 69 121 101 113 98 91 111 89 67 135 120 101 114 135 126 114 132 50 106 105 107 97 123 108 114 104 112 143 93 97 132 89 142 116 93 121 92 117 116 123 133 90 111 79 95 124 111 115 127 101 117 114 83 115 148 77 112 80 100 89 113 125 104 101 86 117 85 81 134 122 110 122 142 118 132 122 6 105 121 123 103 112 114 118 117 103 129 86 112 115 93 142 108 120 125 104 139 113 125 136 99 95 84 106 132 118 115 118 85 121 114 95 108 134 98 91 80 13 10 19 73 15 13 14 79 21 14 64 36 21 16 19 46 55 16 14 62 28 30 37 30 47 198 15 10 14 43 57 218 35 16 91 63 36 64 60 77 14 10 25 36 10 21 12 11 10 151 25 92 50 15 80 23 25 17 12 Sicherheit in % 69 68 77 93 74 70 71 93 81 73 92 87 81 75 80 89 91 77 74 92 84 85 87 85 90 97 75 70 75 89 91 97 86 75 94 92 87 92 91 93 75 71 82 87 67 79 73 69 68 96 81 99 90 75 93 81 82 74 71 Größe ** ++ + 0 + + ++ ++ ++ + + + 0 + ++ + + ++ 0 + 0 + ++ ++ + ++ + ++ ++ ++ + 0 ++ 0 + ++ ++ + ++ ++ 0 0 0 0 + ++ ++ ++ + ++ + + 0 ++ 0 + * erstmalig in der Zuchtwertschätzung Exterieur aufgeführt, ** Größe – Bedeutung der Symbole: ++ = Nachkommenschaft ist tendenziell deutlich größer als das Populationsmittel, + = Nachkommenschaft ist tendenziell größer als das Populationsmittel, O = Nachkommenschaft liegt im Durchschnitt der Population, - = Nachkommenschaft ist tendenziell kleiner als das Populationsmittel FOTO: BEATE LANGELS 96 85 115 122 103 100 87 115 82 85 133 122 110 124 136 120 131 120 63 111 126 124 104 107 110 116 117 101 126 84 109 116 89 143 114 121 125 105 140 109 121 134 98 95 82 110 131 117 114 112 89 120 114 96 117 134 99 88 80 Typ FOTO: BEATE LANGELS Abdullah Adamello* Alter Fritz Anduc Artistic-Rock Assistent Bazar Sh.A. Cadeau Camaro Checkpoint Connery Cornus Distelzar Donaufischer Easy Game Exclusiv Freudenfest Goldschmidt Graziello Handryk Harlem Go Herzensdieb Hibiskus Hirtentanz Hofrat Hohenstein Interconti Kaiserkult Kasimir Kasparow King Arthur Kostolany Le Duc Le Rouge Lehndorff's Maizauber Manrico Marduc Michelangelo Münchhausen Oliver Twist * Ovaro * Perechlest Sanssouci Schönbrunn Sedar Shavalou Showmaster Silvermoon Sixtus Starway Summertime Tambour Titelheld Tuareg Tycoon Uckermärker Waitaki Windfall Ges. /ZW FOTO: UNBEKANNT Name bei 100, dann ist das ein durchschnittlicher Wert. Liegt er unter 100, so ist das eher nicht der gesuchte Vererber für diese Stute. Liegt er bei 120 oder drüber, so kann davon ausgegangen werden, dass dieser Hengst tatsächlich ein positiver Vererber für dieses Merkmal ist. In diesem Zusammenhang noch ein Wort zur Sicherheit: Aus der Wettervorhersage ist der Begriff der Regenwahrscheinlichkeit bekannt. 50 % heißt: Es kann regnen, es kann aber auch nicht regnen. Nicht besonders hilfreich als Aussage. Daher werden Zuchtwerte erst veröffentlicht, wenn die Sicherheit deutlich über 50 % liegt, was vor allem von der Anzahl beurteilter Nachkommen abhängt. Je mehr Daten da sind, desto genauer ist die Zuchtwertschätzung, desto höher ist die Sicherheit des Zuchtwertes. Einige Hengste haben hier schon Werte von deutlich über 90 %. Diese Erkenntnisse sind also schon sehr gut abgesichert. Wobei Tiere keine Maschinen sind. Dementsprechend ist kein Züchter vor Überraschungen gefeit und er wird sein ganzes Züchterleben lang immer wieder positive als auch negative Abweichungen von seinen Erwartungen erleben. Noch ein Wort zum Fundament. Auch hierfür wird ein Zuchtwert erstellt und wer eine Stute mit einem schlechten Fundament hat, sollte auch hier zumindest einen Blick auf die Zuchtwerte werfen und nicht gerade einen Negativvererber für das Fundament auswählen. Hier zeigt sich vielleicht auch besonders deutlich die Grenze einer Zuchtwertschätzung. Die sich schon darin begründet, dass die Fundamentsnote eine Sammelnote ist, wo die steile Fesselung in der Vorderhand genauso einfließt wie die angedrückten Sprunggelenke. Wo genau liegen die Fehler der Stute? Hat sie eine deutlich zu weiche Fesselung? Dann sollte der angepaarte Hengst in diesem Merkmal selbst möglichst korrekt sein. Auf die eigene Beobachtung kann hier keiner verzichten. Und hier lohnt sich auch besonders das Gespräch mit der Zuchtleitung und anderen erfahrenen Züchtern. Das Zuchtziel bestimmt die Entscheidung Exterieur ist nicht alles, es gibt wohl kaum einen Hengst, der sich in allen Kriterien überragend vererbt. Wer also für eine kleine Stute mit Springveranlagung gezielt einen Springvererber sucht, für den sind die Informationen darüber (Eigenleistung, FN-Turnierzuchtwertschätzung) erstmal wichtiger für die Erstauswahl und erst im zweiten Blick fällt die Entscheidung dann vielleicht zugunsten des Springvererbers, der sich womöglich im Typ sogar negativ vererbt, dafür aber das Größenproblem der Stute nicht noch verstärkt. Die Durchschnittsnoten der Stuteneintragungen sind übrigens seit 1994 in allen Merkmalen kontinuierlich besser geworden. Dies dokumentiert zum einen den erreichten Zuchtfortschritt, aber zugleich auch eine Selektion durch die Züchterschaft, die gerade in den letzten Jahren tendenziell schlechtere Produkte gar nicht erst zur Eintragung vorgestellt hat. Die aktuellen Zuchtwerte für die zuchtaktiven Hengste werden, soweit vorhanden, im aktuellen Hengstverteilungsplan veröffentlicht. Doch was ist mit den Hengsten, für die es noch keine Zuchtwerte gibt? Hier müssen die eigene Beobachtung, die Beschreibungen aus DER TRAKEHNER (Körung, Nachzuchtbeurteilung), Informationen aus den Hengstbuch-Nachträgen sowie aus der Zuchtberatung mit der Zuchtleitung herangezogen werden. Und dann kann es auch nicht verkehrt sein, gerade bei den jungen Nachwuchshengsten einen Blick auf die Zuchtwerte der Väter zu werfen. Wenn Väter und Großväter zum Beispiel laut Zuchtwertschätzung gute Typvererber sind, wäre es zumindest eher unwahrscheinlich, dass der Nachkomme hier mit einem Mal völlig versagt. In der Tabelle sind die Zuchtwerte für die aktiven Hengste angegeben. Voraussetzung für die Veröffentlichung sind mindestens 10 mit dem aktuellen Notensystem (7 Einzelnoten) eingetragene Töchter. Für einen leichteren Überblick sind Zuchtwerte von über 120 Punkten farbig markiert. Neu dabei sind ADAMELLO, OVARO, OLIVER TWIST. Ovaro und Oliver Twist fallen unter diesen Neuzugängen in der Zuchtwertschätzung mit besonders positiven Werten auf. Alleine 21 Hengste haben einen Typzuchtwert von 120 oder besser, angeführt vom unvergessenen Elitehengst ANDUC. Bezüglich der Vererbung eines guten Oberkörpers ragen EASY GAME, MICHELANGELO und OVARO besonders heraus und auf der Suche nach einem guten Schritt bieten sich unter anderem MICHELANGELO, DONAUFISCHER, FREUDENFEST und SHAVALOU an. Reiche Auswahl auch bei den Trabzuchtwerten, hier stechen EASY GAME und LE ROUGE mit über 150 Punkten besonders heraus. Die Galoppzuchtwerte werden von TYCOON angeführt, der interessanter Weise auch zugleich einen sehr hohen Zuchtwert im Trab hat und durch seine Showauftritte als Auktionstraber dafür auch bekannt ist. Angeführt wird die gesamte Zuchtwertschätzung Exterieur von Le Rouge der zusätzlich auch noch eine Eigenleistung im Dressursport der Klasse S aufweist und auch einen hohen Dressurzuchtwert hat. Noch einmal sei darauf hingewiesen, dass züchten alleine nach Zuchtwerten keine Erfolgsgarantie ist, aber Zuchtwerte als Mosaikstein auf der Suche nach der richtigen Anpaarung wertvolle Hinweise geben können. Wiebke Rosenthal