Die griechischen Eisenbahnen am Abgrund

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Die griechischen Eisenbahnen am Abgrund
derFahrgast
Thema
Europa
Die griechischen
Eisenbahnen am
Abgrund
Von Hans-Bernhard Schönborn
D
ie Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung
(OECD) hat nach einer eingehenden Über­
prüfung der Strukturen in allen 14 grie­
chischen Ministerien in einer 2011 ver­
öffentlichten Studie festgestellt, dass es
tiefgreifender Änderungen im Behörden­
apparat bedürfe, um das finanziell schwer
angeschlagene Land zu stabilisieren.
Denn der zentrale Regierungsapparat
Griechenlands habe bisher weder die Ka­
pazität noch die Fähigkeit zu großen Re­
formen. Es gebe zwar in allen Bereichen
kompetente und motivierte Mitarbeiter,
aber diese würden sehr häufig ausge­
bremst: Der Gesetzeswirrwarr sei äußerst
komplex, effiziente Kontrollmechanis­
men fehlten, aber auch ein Ehrenkodex
für den öffentlichen Dienst im Hinblick
auf die verbreitete Korruption. Die ge­
genwärtige Hierarchie sei kopflastig und
es gebe bisweilen Angestellte, die „Geis­
terabteilungen“ vorstünden. Kommuni­
kation zwischen den Kollegen finde kaum
statt und es fehle ein effektives mittleres
Management.
All diese Feststellungen treffen auch
auf den unüberschaubar großen Ver­
waltungsapparat der griechischen Eisen­
bahnen OSE (Organismos Sidirodromon
Ellados), einer spezialrechtlichen Aktien­
gesellschaft im Besitz des Staates, zu, und
man fragt sich: Steht die Eisenbahn in
Griechenland (noch) am Abgrund oder
befindet sie sich nicht schon im freien Fall?
Olympische Träume
Im Vorfeld der Olympischen Spiele 2004 in
Athen keimten bei der OSE zahlreiche
Wünsche, auf welche durch das sog.
„Olympia-Programm“, das keine Einspra­
chen zuließ, sowie durch die Tatsache
Foto oben: Der sanierte Bahnhof Mesolon­
gion auf der Strecke Krionerion – Agrinion:
Die fünf Gleise haben noch keinen Zug ge­
sehen und werden wohl auch keinen sehen!
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begüns­tigt wurden, dass 2004 auch Parla­
mentswahlen stattfanden.
Ein lange gehegter Wunsch war die
„Westliche Eisenbahnachse“ Igoumenitsa
– Patras – Pirgos – Kalamata, eine rund
747 Kilometer lange Linie, von der 482 Ki­
lometer vollständig neu angelegt werden
mussten. Da man „vergessen“ hatte, sich
bei der neuen Autobrücke Rio – Antirio
(bei Patras) eine Trasse zu sichern, sollten
die Züge mit einer Trajektfähre über den
Golf von Korinth gesetzt werden, bis ein
mindestens 9,5 Kilometer langer unter­
seeischer Eisenbahntunnel in einer kriti­
schen Erdbebenzone erstellt war. Insge­
samt sollten 130 Kilometer Tunnel und
30 Kilometer Brücken gebaut werden. Bei
der OSE schätzte man die Kosten auf
2,71 Mrd. EUR zuzüglich 3 Mrd. EUR für
neues Rollmaterial. 2001 gab man eine
rund 1,5 Mio. EUR teure Studie für diese
Eisenbahnstrecke in Auftrag.
Der damalige Transportminister ließ
die 62 Kilometer lange, 1971 als unrenta­
bel aufgegebene Meterspurstrecke Krio­
nerion – Agrinion für rund 10 Mio. EUR
sanieren, denn er wollte seiner Heimat­
region etwas Gutes tun. 1987 und 1997
waren ähnliche Reaktivierungsversuche
gescheitert. Nachdem die Planungsarbei­
ten bereits 900.000 EUR zusätzlich gekos­
tet hatten, sollte die Strecke 2004 wieder
in Betrieb gehen und später umgespurt in
die „Westliche Eisenbahnachse“ inte­
griert werden.
Im Großraum Athen und darüber hi­
naus sollte ein rund 300 Kilometer langes
S-Bahn-Netz entstehen, doppelspurig,
elektrifiziert, mit ETCS Level 2 ausge­
stattet, dessen Hauptachsen die Strecken
Flughafen „El. Venizelos“ – „Sidirodro­
miko Kentro Acharnon“ (SKA) – Korinth –
Kiato (– Patras) und SKA – Athen – Piräus
sein sollten. Zweiglinien waren nach Rafi­
na, Markopoulo, Lavrio und Loutraki ge­
plant. Da sich zwischen SKA und Piräus
S-Bahn- und Fernzüge die Gleise hätten
teilen müssen, war ein drei- bzw. vierglei­
siger Ausbau der bestehenden Strecke ge­
plant, wobei teilweise Dreischienengleise
mit Meterspur verlegt werden sollten.
In SKA sollte das „Herz des griechischen
Eisenbahnnetzes“ schlagen: Weil sich dort
die Süd-Nord-Achse Athen – Thessaloniki
und die S-Bahn in Ost-West-Richtung
kreuzen, sollten auf 300.000 Quadrat­
metern Fläche acht Bahnsteige mit zahl­
reichen Gleisen, Verbindungsstrecken und
Parkplätze entstehen.
Und der bisherige Athener Hauptbahn­
hof, „Stathmos Larissis“, sollte für 35 Mio.
EUR zu einem vierstöckigen Handels- und
Zwei normalspurige
Gelenktriebwagen
(GTW) in Doppel­
traktion fahren als
S-Bahn Ano Liossia –
Piräus in den alten,
dreigleisigen Teil
des Athener Haupt­
bahnhofs ein; man
beachte die Gleis­
geometrie in dem
noch unbenutzten
neuen Teil. Wer hat
da geplant?!
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derFahrgast
Alle Fotos: H.-B. Schönborn (6)
Thema
Bauruine SKA: In der Bildmitte und auf der rechten Seite die beiden voll ausgestatteten „Geisterbahnhöfe“, links fährt gerade ein zurzeit
typischer lokomotivbespannter IC nach Thessaloniki auf dem kleinen IC-Bahnhof mit den zu kurzen Bahnsteigen.
Verkehrszentrum ausgebaut werden. Mit
elf Gleisen, zwei S-Bahn-, vier Hochge­
schwindigkeits- (IC-) und fünf zusätzlichen
Hilfsgleisen sollten 150.000 Fahrgäste täg­
lich bedient werden.
Der Ausbau der Süd-Nord-Achse sollte
zügig fortschreiten, vor allem auf den
Neubauteilstrecken Tithorea – Lianokladi
und Lianokladi – Domokos. Bei Strecken­
kilometer 31,2 der Neubaustrecke in Rich­
tung Korinth (S-Bahn-Haltestelle Aspro­
pyrgos) sollte der neue Rangierbahnhof
„Thriassio Pedio“ entstehen, wohin auch
das zentrale Ausbesserungswerk von
­Piräus verlegt werden sollte. Eine Neubau­
strecke mit Dreischienengleis sollte die
Anbindung an den Hafen von Piräus
(Ikonio) herstellen.
Schließlich sollten 17 Normal- und
zwölf Meterspur-Gelenktriebwagen
(GTW), 20 fünfteilige elektrische Desiro
für die Athener S-Bahn, zehn zusätzliche
Adtranz-Dieselloks, 15 MAN-Nahver­
kehrs-Dieseltriebwagen und 164 Reise­
zugwagen in fünf unterschiedlichen
Typen (sog. „Modularwagen“) beschafft
werden. In alle Konsortien zum Bau der
Fahrzeuge wurde auf Wunsch der griechi­
schen Regierung die Hellenic Shipyards
(HSY) in Skaramangas, eine Schiffswerft
ohne Gleisanschluss, eingebunden, um
­einen (größeren) Teil der Wertschöpfung
in Griechenland zu behalten.
Und die Realität?
Der Traum von der „Westlichen Eisen­
bahnachse“ dürfte ausgeträumt sein,
denn EU-Zuschüsse sollten nur fließen,
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wenn die Planungen bis 2006 und die
­Bauarbeiten bis 2014 abgeschlossen sind.
Außerdem gibt es für die Strecke kaum
Verkehrsaufkommen, denn in dieser geo­
graphisch schwierigen Region ohne große
Städte und Wirtschaftszentren wohnen
nur etwa fünf Prozent der Griechen.
Die Strecke Krionerion – Agrinion wur­
de tatsächlich saniert – außer den meisten
Bahnübergängen. Und der erste nach
Griechenland gelieferte Meterspur-GTW
wurde mit Bewachung durch einen priva­
ten Sicherheitsdienst auf dieser Strecke im
Bahnhof Etoliko als Wahlpropaganda ei­
ne Zeitlang aufgestellt, ohne einen Meter
zu fahren. Nach dem Wahlsieg der an­
deren Partei kam er zu den anderen
GTW nach Kalamata. Das Problem dieser
Stre­cke ist das Inseldasein, während die
Busse – vor allem nach der Eröffnung der
Straßenbrücke Rio – Antirio über den Golf
von Korinth – von Patras aus die Orte
­direkt anfahren. Um der OSE Einnahmen
zu verschaffen, sollen die neuen Gleise
nun wieder abgebaut und das Land an­
schließend verkauft werden.
Zu den Olympischen Spielen war vom
S-Bahn-Netz nur der Abschnitt SKA – Flug­
hafen fertig, der mit handbedienten
Weichen an die Hauptstrecke Athen –
Thes­saloniki angeschlossen war – von
Elek­trifizierung und ETCS keine Rede: Die
Fahrbefehle gab ein Fahrdienstleiter, des­
sen Bahnhof aus einem klimatisierten
Container bestand, mit der grünen Kelle.
2005 wurde von der „Proastiakos A.E.“,
der „Vorstadtbahn AG“, der Betrieb nach
Korinth aufgenommen, so dass es drei
S-Bahn-Linien gab: Korinth – Piräus, Flug­
hafen – Piräus und Flughafen – Korinth.
2007 ging der Abschnitt Korinth – Kiato
zunächst ohne Zwischenbahnhöfe in Be­
trieb, und nach Aufnahme des elektri­
schen Verkehrs zwischen dem Flughafen
und Kiato im Jahre 2011 wurde die Linie
Flughafen – Piräus ganz eingestellt und
die Linie Korinth – Piräus auf den Ab­
schnitt Piräus – Ano Liossia verkürzt, wo
schlanke Anschlüsse am gleichen Bahn­
steig bestanden. Am 26. Januar 2012 wur­
de die OSE-Linie Chalkis – Athen bis Piräus
verlängert und auf Stundentakt umge­
stellt. Da man die Züge Piräus – Ano Liossia
aufgab, ist SKA der neue Umsteigebahn­
hof, was für die Fahrgäste (mit Gepäck)
lange Wege, teilweise unter freiem Him­
mel, bedeutet. Dies könnte sich auf die
ohnehin geringen Fahrgastzahlen negativ
auswirken.
Zwischen SKA und Piräus wurden tat­
sächlich teilweise drei und vier Gleise ver­
legt, allerdings ohne Meterspur, aber bis­
weilen auch wieder abgebaut, weil nach
den Olympischen Spielen zahlreiche Ge­
richtsverfahren gegen den Ausbau began­
nen und weil man feststellte, dass man
Platz für die Sockel der Oberleitungs­
masten braucht. So entstand ein großes
Flickwerk, das bis heute nicht vollständig
elektrifiziert ist.
Die Situation von SKA ist ein Spiegel­
bild des Zustandes der griechischen Eisen­
bahnen: SKA ist eine riesige, sicher sehr
teure Bauruine! Es existieren mindestens
vier Stationen auf vier Ebenen, aber nur
zwei sind in Betrieb. Ganz unten zwischen
den Fahrbahnen der Autobahn befindet
sich die zweigleisige S-Bahn-Station. Auf
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derFahrgast
Thema
Das Schild wirbt für die Möglichkeit, für 5 EUR nach
Olimpia zu reisen; der einzige Zug, der täglich dorthin
fährt, steht am Bahnsteig. Man kommt also vom Hafen
Katakolo per Bahn nach Olimpia, aber nicht mehr zurück.
Normalspur zweigleisig
Normalspur eingleisig
Schmalspur
Schmalspur stillgelegt
Strecke mit elektrischem Betrieb
Fahrdraht gestohlen
zurzeit kein Personenverkehr
griechischer Ort
ausländischer Ort
Landesgrenze
H.-B. Schönborn / April 2012
den beiden nächsten Ebenen folgen zwei
größere unvollendete Bahnhöfe mit mehreren Bahnsteigen und Gleisen, mit Fahrleitung und leuchtenden Signalen, deren
nördliche Ausfahrten aber vor einer Betonmauer bzw. einem Hang enden, und
man fragt sich unwillkürlich nach der (weiteren) Planung. Die vierte Ebene nimmt
der kleine „IC-Bahnhof“ mit den beiden
Richtungsgleisen der Hauptstre­cke ein,
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Der Schein trügt: Was nach Hochbetrieb aussieht,
ist die Betriebsruhe, bei der ab etwa 15 Uhr
alle fünf in Pirgos beheimateten GTW auf den
Gleisen des Bahnhofs abgestellt werden.
dessen Seitenbahnsteige aber für die zurzeit verkehrenden IC-Züge zu kurz sind.
Und die nächste Bauruine ist der neu
angelegte Teil des Athener Hauptbahnhofs: Von einem Handels- und Verkehrszentrum ist nichts zu sehen, die neuen
Bahnsteige wurden nach Insiderinformationen bereits mehrfach umgebaut, und
bei manchen Weichen gibt es keine Gegenweiche, oder diese kann wegen der
Gleisgeometrie nicht erreicht werden. Seit
zwei Jahren soll es überhaupt keinen Baufortschritt mehr geben.
1996 wurde der Bau der Neubau­strecke
Tithorea – Lianokladi mit dem aus
zwei neun Kilometer langen Röhren mit
18 Querstollen bestehenden KallidromoTunnel für 206 Mio. EUR vergeben; kurz
nach Vertragsabschluss flossen noch einmal 100 Mio. EUR für Werkverträge. 2001
derFahrgast 2/2012
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war das Geld aufgebraucht, obwohl erst
insgesamt sechs Kilometer der beiden
Röhren ausgebrochen waren. Die Arbei­
ten ruhten. 2005 wurde die Fertigstellung
für nochmals 163 Mio. EUR vergeben,
­allerdings legte die EU wegen Bruchs von
europäischem Recht Widerspruch ein;
wieder ruhten die Arbeiten. Seit Anfang
2012 wird wieder gearbeitet, fertig ist der
Tunnel noch nicht.
Nachdem die EU einen 22 Kilometer
langen Tunnel auf der Neubaustrecke
Lianokladi – Domokos abgelehnt hatte,
wurde neu geplant: Die Strecke hat eine
Länge von 106 Kilometer, davon sind
38 Kilometer Tunnel, u.a. der aus zwei
­sieben Kilometer langen Röhren beste­
hende Othrys-Tunnel, und sechs Kilome­
ter Brü­cken; die Kosten betragen 1,4 Mrd.
EUR. Ob sich dieser Aufwand für sechs
IC-Zugpaare täglich und einige wenige
Lokal- und Güterzüge lohnt, darf man sich
fragen.
Der Rangierbahnhof „Thriassio Pedio“
ist in Betrieb, doch verirrt sich kaum ein
Güterzug dorthin, weil es fast keine Gü­
terzüge mehr gibt und weil der Bahnhof
fernab von der Süd-Nord-Achse liegt.
Auch die Gebäude des neuen Ausbesse­
rungswerkes sind fertig, doch es fehlt das
Geld für die „Inneneinrichtung“ bzw. den
Umzug der alten Anlagen aus Piräus. An
der Neubaustrecke nach Ikonio wird ge­
baut: Sie ist für 100 km/h ausgelegt und
lässt sich problemlos auf zwei Gleise (für
Personenverkehr) erweitern. Doch wie
viele Güterzüge werden dort fahren, da
der Güterverkehr fest in der Hand der
Lkw-Lobby ist und aus Kostengründen
nachts in den griechischen Rangierbahn­
höfen nicht mehr gearbeitet wird?
Da der Schweizer Hersteller Stadler
rechtzeitig erkannte, dass die HSY auf­
grund der schwierigen Privatisierungsver­
handlungen Probleme hat, die Lieferter­
mine einzuhalten, nahm er die Fertigung
der GTW in die Schweiz zurück, so dass
­alle Fahrzeuge pünktlich zur Verfügung
standen. Die Normalspur-GTW bewältig­
ten während der Olympischen Spiele den
S-Bahn-Verkehr, für die Meterspur-GTW
gab es kein Einsatzkonzept, weil die OSE
ja davon träumte, die Meterspur vollstän­
dig umzuspuren. Später verkehrten die
Fahrzeuge ohne WC sogar im IC-Verkehr
Kalamata – Korinth bzw. Kiato.
Die elektrischen Desiro wurden nicht
rechtzeitig fertig, dafür stellte Siemens als
„Naturalersatz“ acht zweiteilige DieselDesiro zur Verfügung, die auch im Fern­
verkehr zum Einsatz kamen. Die MANNahverkehrstriebwagen wurden erst
sieben Jahre später abgeliefert; und die
Modular­wagen wurden teilweise durch
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einen Lkw-Hersteller in Volos gebaut. Die
Adtranz-Loks, die eigentlich auf der Me­
terspur verkehren sollten, standen recht­
zeitig zur Verfügung.
2004 fuhr die OSE bei Einnahmen von
88 Mio. EUR Verluste von fast 576 Mio.
EUR ein und der Schuldenberg der OSE
Holding betrug 4,9 Mrd. EUR, abgesichert
durch Bürgschaften des Staates. Seit Juni
2000 war ohne gültigen Businessplan ge­
arbeitet worden, ohne Ziel und konkrete
Pläne. Es kam auf Verlangen der EU zur
Trennung von Betrieb (TrainOSE) und In­
frastruktur und es wurden weitere Toch­
tergesellschaften gegründet; weil aber
die Kommunikation nicht funktionierte,
wurden Gesellschaften wieder fusioniert,
ohne Stellen abzubauen, denn in der Ver­
waltung saßen die Anhänger der jeweils
regierenden Partei. An etwa 1.000 leiten­
de Angestellte wurden 2004 Prämien in
Höhe von mehr als 2 Mio. EUR für „beson­
dere Leistungen“ vergeben, wobei die
höchsten bei 28.582 EUR pro Person lagen.
Gespart wurde beim Betrieb durch das
Streichen von Zügen, und so wanderten
die Fahrgäste zu Scharen zu den Busunter­
nehmen ab.
Der Niedergang
2008 hatte der Verkehrsminister ein
dras­tisches Sparprogramm angekündigt:
­Abbau von 3.000 Stellen, Kürzungen im
Investitionsprogramm, Stilllegung unren­
tabler Strecken, Streichung unrentabler
Züge, Reduzierung des Fahrpersonals um
25 Prozent, bessere Nutzung der OSE-Im­
mobilien, Aufschieben der Neubeschaf­
fung von Fahrzeugen, Neugliederung der
OSE. Es lief eine Pressekampagne gegen
die Meterspurbahn, wobei aber ver­
schwiegen wurde, dass manche Strecken
bereits seit Jahren zur Sanierung geschlos­
sen waren, das Personal aber weiter be­
schäftigt wurde.
2011 kam dann der „Super-Gau“: Sämt­
liche Auslandsverbindungen wurden ge­
strichen, weil sich die Bahnen jahrelang
nicht auf den Kilometerausgleich einigen
konnten. Der Personenverkehr westlich
von Edessa wurde eingestellt, obwohl die
Strecken nach Florina und Kozani gerade
erst saniert worden waren. Der Betrieb auf
den Strecken Thessaloniki – Alexandrou­
polis und Alexandroupolis – Dikea wurde
auf zwei bzw. drei Zugpaare täglich mar­
ginalisiert, obwohl auf diesen Strecken
Ausbauten zur Beschleunigung des IC-Be­
triebs erfolgt waren. Zwischen Athen und
Thessaloniki gibt es nur noch sechs IC-Zug­
paare täglich, und das Nachtzugpaar ver­
kehrte ohne Schlaf- und Liegewagen; alle
anderen Züge wurden gestrichen oder auf
Teilstrecken verkürzt. Das Meterspurnetz
wurde – nach vielen teuren Sanierungs­
arbeiten – praktisch vollständig zerschla­
gen: Es gibt noch die sog. „S-Bahn“ in Pa­
tras, die aber den neuen Hafen in Patras
nicht anfährt, und die Verbindung Olim­
pia – Pirgos – Katakolo, wobei dort der
Verkehr gegen 15 Uhr endet und nur ein
einziges Zugpaar morgens zwischen Kata­
kolo und Olimpia verkehrt. Man kommt
also vom Hafen Katakolo, in dem viele
Kreuzfahrtschiffe anlegen, zu den Ausgra­
bungen, aber nicht mehr zurück.
Um Eigeninitiativen des Personals zu
verhindern, wurden die meisten Fahrzeu­
ge außer den GTW mit großem Aufwand
in den Hallen der Peloponnesbahn in
Piräus, die keinen Gleisanschluss mehr ha­
ben, abgestellt, wo sie trotz Bewachung
durch einen privaten Sicherheitsdienst
„vergammeln“. Das Personal in Kalamata
hatte nämlich versucht, den S-Bahn-ähn­
lichen Verkehr zwischen Kalamata und
Messini auf eigene Verantwortung auf­
recht zu erhalten, da dort durchschnittlich
900 Fahrgäste mit 15 Zugpaaren täglich
befördert wurden.
Völlig desinteressiert zeigt sich die OSE
an den beiden touristisch hochwertigen
Strecken, denn diese stehen nicht einmal
mehr im Fahrplan, und telefonische Aus­
kunft darüber erhält man auch nicht. Es
handelt sich um die weltweit schmalste
Zahnrad- und Adhäsionsbahn von Dia­
kopto durch die einzigartige VuraikosSchlucht nach Kalavrita (Spurweite 750
mm) und die Pilionbahn bei Volos (Spur­
weite 600 mm).
Das 2011 durchgeführte Sparpro­
gramm spiegelt die Feststellungen der
OECD wider, denn gespart wurde vor
allem auf der Einnahmenseite, anstatt
den riesigen Verwaltungsapparat mit der
dort herrschenden Vettern- und Misswirt­
schaft zu überprüfen.
Zwei meterspurige IC-Züge, die nach der
Stilllegung der Peloponnesbahn in die alten
Gebäude ohne Gleisanschluss nach Piräus
gebracht wurden; erst dort wurden die Fahr­
zeuge trotz Bewachung durch ein privates
Unternehmen vollständig versprayt.
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