vita_files/Night Stroke
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vita_files/Night Stroke
Nightstroke Wir streiften durch irgend ein verdammtes Ende dieser Stadt, das irgendwo in irgendeiner Stadt dieser oder meinetwegen irgendeiner Welt sein könnte, weil sich alle Enden aller Städte bis aufs Mark und den Slang ihrer Kids gleichen und an jedem Ende eines Endes ein weiteres Ende kommt, das nur noch Beachtung findet, wenn es brennt. Dieses Ende brennt manchmal, wenn wir es anzünden, weil die Nächte zu dunkel oder die Tage nicht hell genug sind oder wir einfach brennende Städte besser verstehen, als Städte die nicht brennen. Wir stießen auf Carlotta und das meine ich buchstäblich, weil Carlotta auf der Straße lag und wir aus Fun im Nazi-Stechschritt mit rechten und linken Parolen die Fahrbahn entlang schritten und sie uns im Weg lag, quer, und ein weißer Richtungspfeil des Asphalts zeigte auf sie, sie hatte längst gekotzt und ihr fehlte ein Bein. So sah es zumindest aus, weil sie es seltsam unter sich verschränkt hatte, so wie niemand sein Bein verschränken würde, der bei Bewusstsein ist und so, wie man es bei Leichen im Fernsehen sieht, die vom Balkon des zehnten oder hundertsten Stockwerks gestoßen wurden oder vom Dach eines Parkhauses gesprungen sind und die Kotze neben und auf ihr hätte man im Nachtlicht auch für Hirnmasse halten können, die ein Autoreifen aus ihr rausgequetscht hatte. So lag sie da also, für mich eher so, als würde ich mich gleich in sie verlieben, was dann auch passierte, weil ich mich schnell in solche Frauen verliebe, die eigentlich stark sind aber auch hilflos sein können, so wie Carlotta sonst und nun also jetzt, in diesem Moment war und wäre nachts um halb drei an diesem Ende dieser Stadt nicht so wenig Verkehr, weil niemand freiwillig in brennende Stadtenden fährt, wäre Carlottas Kotze tatsächlich Hirnmasse und ihr Bein tatsächlich ab gewesen. Richtige fette Liebe ist, wenn man die Kotze eines Menschen wegmachen würde und dabei kein Ekel empfände und keinen verdammten Würgreiz bekäme, dachte ich und malte mir aus, Carlottas Kotze wegzumachen, dann, wenn ihr Zustand es zuließe, dass sie es schon beobachten könnte und es für einen Liebesbeweis halten würde, was es dann auch wäre. Es gibt keinen besseren Liebesbeweis, als Kotze wegmachen, weil in dieser verdammten Handlung alles steckt, was man sich niemals getraut, zu sagen. Bee Reynolds beugte sich über sie und schrie ihr Befehle ins Gesicht, "Aufgestanden Private" und so und faltete sie zusammen, so, wie Gunnery Sergeant Hartman Private Paula in Full Metal Jacket zusammenfaltet und lachte über ihre Brust, die aus dem verrutschten Shirt mit dem Smiley lugte als passe sie und auch der Smiley auf, dass sich niemand an ihr und gänzlich an Carlotta zu schaffen machte und dann nahm Bee Reynolds ihr den intakten Rest des halb verspeisten und nun ausgekotzten Döners aus der Hand und aß ihn jauchzend weiter und Zag fühlte ihren Puls und fühlte wohl auch irgendwas, zumindest sagte er "Kein Problem!" und nahm sie am Arm und zog sie, die wahrscheinlich nur fünfzig Kilo wog, zurück in den Dönerladen, der Antalya oder Bosporus oder so hieß, ich erinnere mich nicht mehr, weil es hier eine Million Dönerläden gibt, die alle gleich heißen und alle gleich aussehen und in der Regel kann niemand genau sagen, in welchem er sich gerade befindet und in welchem nicht. Irgendwie sah Carlotta leblos aus, aber weil niemand glaubte, dass sie an ihrer Kotze erstickt sein könnte, obwohl mindestens schon eine Hand voll Typen, die wir kannten, an ihrer Kotze erstickt waren und wir uns alle sicher waren, dass es wirklich kein Problem gab, wenn Zag dies versicherte, machte sich niemand Sorgen. Allerdings hätte sich auch sonst niemand Sorgen gemacht, weil es an den Enden einer Stadt wie dieser relativ normal ist, dass es Kids auf irgendeine Weise, meinetwegen auch auf diese Weise, erwischt, denn wie gesagt, sie wäre nicht die erste. Nur ich, ich machte mir Sorgen, weil ich mich tatsächlich in Carlotta, so wie sie da lag, verliebt hatte und dennoch bin ich nicht der Typ, der es rausposaunt, wenn er sich Sorgen macht oder verliebt hat, also machte sich de facto niemand Sorgen. Zag legte sie vor den Tresen und zog sie ein Stück zur Seite, weil Serkan, der Inhaber des Ladens, den hier alle Joachim nennen, meinte, man müsse noch bestellen können und sie im Weg sei und ich fragte mich, als ich sie dort liegen sah, ob ich ein Held sei, ob ich wirklich mal ein Held sei, der sie retten und selbstlos nach Hause bringen und zudecken und über ihre Wange streichen, den Schweiß von ihrer Stirn tupfen und am nächsten Morgen Frühstück machen würde und dachte dann, dass das Blödsinn sei, weil sich Zag offensichtlich längst eine Rettungsgeschichte für sich und Carlotta ausgedacht hatte, die vielleicht nicht so blumig und zeitlos wie meine war, weil Zag solche Geschichten grundsätzlich nur bis zum nächsten Morgen denkt, aber die sie dennoch für den Moment irgendwie retten würde. Mein Handy klingelte und ich sah, dass es Zag sein musste, weil er hinter der Scheibe des Dönerladens gestikulierte, ich solle ran gehen. Er wollte wissen, ob wir auch was wollen, er würde eine Runde schmeißen und Zag schmeißt ständig Runden, weil sein Vater irgendwas in Berlin im 1 Kanzleramt macht und in schwarzen gepanzerten Limousinen von schwarzen gepanzerten Freaks kutschiert wird und ständig das Konto des entflohenen Sohnes auffüllt und ihn aus der Scheiße holt, damit es keine Schlagzeilen gibt und als er sah, dass wir zu diskutieren begannen und Herr Ziegenheinrich und Jason sich nicht einig wurden, sagte er, wir sollen rein kommen und nicht lang über den scheiß Weltfrieden debattieren. Wir gingen also rein, Bee Reynolds, Herr Ziegenheinrich, Jason, ein Ackermann-Zwilling, ich weiß nicht, welcher an diesem Abend dabei war, ich glaube der mit der Pigmentstörung an den Vaden, und ich und als ich Carlotta da liegen sah, dachte ich, dass sie ihren Zustand bewusstlos besser durchstehen würde als im Halbkoma mit Psycho-Schreikrämpfen und Weltbeschimpfungen und so und dass alles gut so sei wie es war und es erschien tatsächlich so und dass meine Sorgen unbegründet waren, weil Engel niemals sterben, denn so sah sie nunmal aus. Wie ein Engel. Unsterblich. Wer jemals Engel gesehen hat, weiß, wie sie aussehen und ich sage das nicht aus irgendeiner schwachsinnigen Verliebtheit sondern weil ich weiß, wovon ich rede. Engel schimmern innerlich, was ihnen äußerlich einen unverwechselbaren Anmut von meinetwegen universeller Liebe oder Güte oder so 'was in der Art verleiht. So wie Carlotta, sie schimmerte innerlich. Zag bestellte Döner für alle, obwohl Jason und der Ackermann-Zwilling eine Pizza wollten aber Zag meinte, dass scheiß Pizza zu lange dauere und man sowieso bei Joachim keine Pizza essen könne, weil sie nach Scheiße schmecke, weil Joachim sich beim Teigkneten nie die Hände wasche, der Döner dagegen unübertrefflich an diesem Ende der Stadt sei, wofür sich Joachim bedankte. So war Joachim und deshalb fragte Bee Reynolds ihn, ob er sich tatsächlich nie die Hände wasche und ob das irgendein muslimischer Brauch oder so 'was sei und meinte, dass die Scheiße ja dann nicht nur im Pizzateig wäre, sondern auch am Fladenbrot und ob der Döner deshalb so billig sei, weil Joachim seine Scheiße über die Döner in unseren Mägen entsorge. Joachim fand das nicht witzig und ich sah, wie Carlotta sich kurz regte und ich dachte, dass ich sie immer lieben würde und wir irgendwann Häuser an den guten Enden der Städte und eins in West Palm Beach oder Key West und eins in Thailand und Kinder hätten und sie niemals arbeiten müsse, weil ich ihr alles bieten könne, was ein erfolgreicher Mann, dem die Dinge zufliegen, weil er alle Blockaden im verdammten Hirn und Anflüge von Selbstzerstörung überwunden hat, einem Engel nur bieten kann, doch Joachim blieb ruhig, lächelte, hob seine Hände und sagte: "Alles sauber!". Herr Ziegenheinrich klaschte Bee Reynolds mit der flachen Hand und ordentlicher Wucht in den Nacken, wahrscheinlich, weil er befürchtete, dass Bee gleich Stress machen und Joachim über den Tresen ziehen würde und Bee Reynolds erschrak, trat einen Schritt zurück, stolperte fast über Carlotta und schrie, was der Scheiß solle und Herr Ziegenheinrich sagte ohne Puls, er solle sich einen Döner einwerfen, auf Standby gehen und endlich die Fresse halten und wenn es einen Menschen gibt, der körperliche Autorität ausstrahlt, dann ist es Herr Ziegenheinrich, weil er mindestens zwei Meter misst, hundertfünfzig Kilo wiegt und Pizzateller große Pranken hat und selbst Bee Reynolds, der regelmäßig pumpen geht und seltsame Pulver frisst, würde sich nicht mit ihm anlegen, auch nicht im Suff. Ich wollte zu Carlotta, weil Bee Reynolds ihren Arm weggetreten hatte und sie nun wieder ganz seltsam verdreht da lag, doch ich bewegte mich nicht, weil mir Joachims Bruder Tekin zwei Döner über den Tresen schob, einen für mich und den anderen für Jason, der gerade am Telefon Shit orderte und den Typen irgendwie durch mindestens drei Enden dieser verdammten Stadt lotsen musste und Zag, der in allen Situationen schnell handelt, in denen Handlungsbedarf ist, zog Carlotta noch etwas weiter in den Laden. Bee Reynolds war ziemlich genervt, weil er runterfahren sollte, obwohl er nicht runterfahren wollte und viel lieber den Laden angezündet oder Joachim die Fresse poliert hätte, weil Bee Reynolds ein Typ ist, der Gedankenspiele wie die Sache mit der Scheiße und den Händen nicht von realen Sachen unterscheiden kann und vor Gericht unter Eid beschwören würde, Joachim wasche sich tatsächlich nie die Hände und sei für irgendwelche Krankheiten und Seuchen und die ganzen Menschen, die in Krankenhäusern an Keimen sterben verantwortlich und wenn das Gesundheitsamt ihm, Joachim, nicht Einhalt gebiete, dann sei es seine Bürgerpflicht, gerade an diesem Ende der Stadt, wo kein Sheriff weit und breit für Ordnung sorge, seine ordnende Hand walten zu lassen. So war es bei jeder Verhandlung. Bee Reynolds schilderte voller Überzeugung seine ganz persönliche und schräge Wahrheit vom Weltgeschehen und verließ verurteilt den Gerichtsaal, was für ihn nichts als ein weiterer Beweis irgendeiner Verschwörungstheorie war, in der er, Bee Reynolds, aufgrund seines Scharfsinns in den Fokus der konspirativen Strippenzieher gelangt sei und aus dem Verkehr gezogen werden solle, so wie die CIA erst Kennedy und dann Lee Harvey Oswald aus dem Verkehr zog und wenn er 2 irgendwann einzementiert oder in einem Schleusenbecken gefunden würde, gäbe es eine Nummer, die wir anrufen müssten, um die Gegenkraft, wie er immer sagte, zu aktivieren und sobald sich die Sache zuspitze gebe er uns die Nummer, er habe alle Vorbereitungen getroffen, vorher nicht. Jason kam rüber und sagte, dass alles klar sei, wenn der Typ mit dem Shit nicht zu blöd sei und rechts und links unterscheiden könne, also gab ich ihm den Döner und der Ackermann-Zwilling und Herr Ziegenheinrich und Zag hatten ihren schon und wir setzten uns an einen Tisch unter den Zag Carlotta gezogen hatte, nur Bee Reynolds haderte mit sich und der Sache mit Joachim und Herrn Ziegenheinrich und der ganzen verdammten Welt und sagte, er fresse den Scheiß nicht, weil er den Fraß hasse und ihm der halbe Döner der Alten, er meinte Carlotta, schon im Hals stecken geblieben war und sie bestimmt daran erstickt sei und er ohnehin keinen scheiß Hunger habe, weil er nie Hunger habe. Zag sagte, er solle den Kopf zu machen und Carlotta da raus halten, was mich aufschrecken ließ, weil Zag eigentlich nie 'was Frauenfreundliches vor den Jungs sagt, sondern nur gezielt im Beisein von Frauen, um den Schein eines Helden zu wahren, der er irgendwie auch war und weil ich nicht wollte, dass er in seinen Plänen mit Carlotta vielleicht doch über den nächsten Tag hinausdachte, vielleicht weil es gerade in die nächsten Wochen seines Lebens passte oder so und dennoch war es mir so lieber, wie es war, weil Bee Reynolds sich niemals entgegen einer Anweisung von Zag an ihr auslassen würde und folglich ich keinen Kampf gegen ihn kämpfen musste, was für mich kein Vergnügen ist, weil ich weder ein Alphatier wie Zag bin, noch die Statur von Herrn Ziegenheinrich habe und dennoch glaube ich, ich hätte Bee meinen Döner ins Gesicht fliegen lassen, wenn er Carlotta angefasst hätte. Wir begannen zu essen, alle gleichzeitig, als habe jemand ein Gebet gesprochen und dann das Kommando dazu gegeben, so wie diese kranken Familienväter aus dem letzten Jahrhundert ihrer Frau und den Kindern mit patriarchischer Geste das Kommando zum Essen gaben und immer, wenn wir anfingen Döner oder sonst 'was zu essen, wurde es erstmal still, weil jeder sich auf das Zeug zwischen seinen Fingern konzentrierte und überlegte, wo er zuerst abbeißen sollte, so auch an diesem Abend, was für mich eine Wohltat war und für Bee Reynolds wohl eher eine weitere Provokation gewesen sein muss, zumindest hielt er unsere Stille nicht aus, also trat er einen leeren Tisch und ein paar Stühle um, riss die Tür auf und verließ den Laden. Carlotta regte sich kurz unterm Tisch und Joachim und Tekin liefen zur Tür und Herr Ziegenheinrich schrie mit fünfhundert Dezibel "Hiergeblieben!", also blieben sie in der Tür stehen und schrieen Bee Reynolds hinterher, dass er sich verpissen solle und Hausverbot habe und "Scheiß Nazi" und "Hurensohn" uns so 'was und dann kamen sie wieder rein, krakeelten noch ein bisschen, ohne dass wir sie beachteten oder gar vom Teller hochschauten und endlich kamen neue Gäste, ein gestyltes Yuppy-Paar Mitte zwanzig, das so wenig hierher passte, wie Schampus zum Kebab passt, fragten nach dem Weg zu irgendeiner angesagten Location und bestellten zwei HähnchenDöner zum Mitnehmen, wahrscheinlich, weil sie die Auskunft irgendwie entlohnen wollten und Joachim und Tekin hatten wieder zu tun und dann kam schon der Drogentyp von Jason, was mir und auch Jason ziemlich schnell vorkam, bis sich herausstellte, dass der Typ, mit dem Jason telefoniert hatte einen anderen schickte, der gerade hier in der Gegend war. Er sah aus, wie einer dieser Freaks, die sich nächtelang vorm Rechner im Netz rumtreiben, Ego-Shooter ballern und in Firmen oder Verwaltungsnetzwerke einbrechen, um das mittlere Führungspersonal mit Kinderpornobildern zu erpressen, nie schlafen und sich mit Coffein-Tabletten und Drogen wach halten und aufgedunsen und verfettet sind, weil sie nur die Drogen und Pizza einwerfen und eimerweise Cola und Red Bull schlucken und schwitzen und die langen Haare selbst nach einer seltenen Dusche noch fettig runterhängen und die stinkende Einzimmerbutze nur verlassen, wenn irgendwas organisiert oder gedealt werden muss und allein, dass er an unsern Tisch kam widerte mich an, weil es mich anwiderte, dass dieser Fleischberg, dieser fette Fleischberg Carlotta so nah kam, dass er die selbe Luft atmete und ich irgendwie gleich so ein Bild von einem fetten Freier im Kopf hatte, der schwitzend ein fünfzehnjähriges Mädchen besteigt, das ungefähr vierzig Kilo wiegt, obwohl Carlotta keine fünfzehn war sondern schon um die zwanzig und nicht so krankhaft dürr wie diese Bulimie-Tussen, sondern richtig perfekt. Ich kannte Carlotta seit einer Ewigkeit, denn zehn Jahre oder meinetwegen auch nur fünf, sind mit zwanzig eine Ewigkeit, weil Ewigkeiten immer dann Ewigkeiten sind, wenn irgendwas irgendwie schon immer da war, ganz egal ob das wirklich so ist oder nicht und deshalb kannte ich Carlotta seit einer Ewigkeit, weil sie schon immer irgendwie da war. Wahrscheinlich, weil sie damals im gleichen 3 Viertel wohnte wie wir und sie immer Kippen hatte, die sie ihrem versoffenen Stiefvater klaute, wofür der ihren Bruder verprügelte und sie daraufhin ihn verprügelte, sobald er voll war und einmal hat ihr Bruder den Saufkopf aus Rache angepisst, als er breit auf dem Teppich lag und im Hintergrund ein Porno lief, der wahrscheinlich täglich lief und obwohl sie mich kaum beachtete und vermutlich nicht mal meinen richtigen Namen kennt, mochte ich sie schon immer. Seit tausend Jahren. Vielleicht liebte ich sie auch schon immer, wenn man davon ausgeht, dass Liebe so 'was wie 'ne Supernova ist, die sämtliche Materie des Körpers und sämtliche Antimaterie des Geistes in sich saugt und dann alles in einem riesigen Mixer zu einem Brei aus interstellaren Gefühlen mixt, die nur noch eins wollen: ein Leben mit Carlotta. Carlotta und ich, ich und Carlotta, wir beide in einer Fügung des Universums. Ja, ich stellte mir seit einer Ewigkeit ein ewiges Leben mit Carlotta vor und unsere Unendlichkeit und deshalb liebte ich sie nicht erst seit heute sondern schon immer, auch wenn ich früher zu blind dafür war, weil ich nicht wußte, was Liebe ist, so wußte ich es heute, hier an diesem Abend, an dem ich nichts als ein fetter Brei aus Gefühlen im Mixer einer fetten Supernova war, wie man es besser nicht wissen kann, wenn einem klar wird, dass man sich gerade in die Frau verliebt hat, die man schon immer liebte. Glasklar, ich liebte sie schon immer und heute und jetzt und zukünftig. Weil sie jemand ist, die mit Kaugummi richtig große Bubbles machen kann und weil sie manchmal, wenn etwas sie überraschte so auffallend schluckte, dann den Hals reckte und mit erstaunten großen glänzenden Augen lächelnd die Welt musterte und dann plötzlich loslachte und weil sie auf alles immer eine Antwort hatte, auch auf das Leben. Carlotta liebte schon immer das Leben so wie andere ihren Hund oder ihr Auto lieben, war nie Getriebene, sondern trat der Sonne in den Arsch, damit sie heller scheine, wenn sie es wollte, so wie mein Alter auf den alten Fernseher haute, wenn das Bild wackelte. Die ganze Sache mit Bee Reynolds und Joachim und Tekin wäre längst von der Stille an unserm Tisch geschluckt und verdaut gewesen und mit irgendeinem Fluss in eines der sieben Meere verschwunden, wäre Bee nicht mit 'ner scheiß Pistole zurückgekommen, einer verdammten Glock 17 und niemand wusste, selbst Zag nicht, wo Bee das Ding so schnell her hatte, denn hätte er sie vorher schon gehabt, hätte er längst damit geprahlt und wahrscheinlich auch irgendwelche Straßenschilder oder Ölfässer oder Tauben durchlöchert. Wahrscheinlich war Bee nur um die Ecke zum Russen am Westbahnhof gegangen, obwohl wir uns geschworen hatten, niemals, ganz egal weshalb, zum Russen zu gehen, weil man nicht mal eben Geschäfte mit ihm macht und das dann wieder sein lässt. Der Russe hilft gern und genauso gern sorgt er auch dafür, dass man tausend Jahre lang in seiner Schuld steht und immer wieder kleine Gefälligkeiten erhält für die man Dinge tun muss, die an diesem Ende der Stadt normal sind oder man landet in irgendeinem Müllcontainer auf dem Hof eines Supermarktes. Ich verwette meine Baseballcap der Yankees, von der ich immer erzähle, sie wäre tatsächlich aus New York, direkt aus der Bronx und seitdem ich das erzähle, ist sie für mich neben dem Traum von einem Leben mit Carlotta das wertvollste, das ich habe und deshalb, weil ich mir nun so sicher bin, würde ich selbst die Cap verwetten, dass Bee Reynolds tatsächlich beim Russen war und ihm die Glock 17 gegen irgendein schwachsinniges Verspechen abgeschwatzt hat. Für den Russen war Bee nichts als ein dummer Köter, den man leicht dressieren konnte, so, wie er schon unzählige Köter dressiert hatte, die hier durch die Straßenzüge zogen und kleine oder größere Aufträge ausführten, die den Russen reich machten und den Kötern das Gefühl gaben, sie wären alle Familienmitglieder der Corleones oder Gambinos oder Luccheses. Eigentlich wußte ich schon lange, dass eines Tages so 'was passieren würde, weil so'n kranker Scheiß an diesen Enden der Stadt täglich passiert, nur dass es mir und Zag und den Jungs und Carlotta passieren würde, das dachte ich nicht, weil niemand glaubt, dass einem der Scheiß passiert, der anderen passiert oder der im Fernsehen rauf und runter läuft. Die Wahrscheinlichkeit, hier in eine Schießerei zu geraten ist nicht sonderlich gering und dennoch glaubt man nicht daran. Genauso wenig, wie man glaubt, dass die eigene kleine Schwester mit fünf von einem Laster überrollt wird und dann passiert es doch. Bee Reynolds stürmte schwitzend in den Laden und begann, wie ein kranker Berserker um sich zu ballern. Tekin ging zu Boden und war wahrscheinlich gleich tot, weil eine Kugel seinen Kopf traf, eine weitere traf den Yuppi in die Schulter, Joachim sprang hinter den Tresen, alle schrieen, besonders die Freundin des Yuppies und Bee Reynolds ballerte weiter und nahm ein weiteres Magazin und traf unsern Tisch und meinen Döner und den fetten Drogentypen und alle waren erstarrt oder warfen sich auf den Boden oder liefen raus, nur Zag hob wie so'n Psychiater die Hände und wollte ihn beruhigen, was ihm nicht gelang und Bee schoss zitternd durch Zags Hand, ich sah es langsam, wie im Film, sah 4 das Blut von Zags Hand auf mein Hemd spritzen, Zag brüllte und schrie ihn an und hielt sich die Hand und Bee schwitzte und schrie, schrie irgendwas von Hurensöhnen und bekam Schreikrämpfe und schoss weiter, bis ein Messer zwischen seinen Rippen oder sonst wo in ihm steckte, er stolperte, die Glock fallen ließ, wimmernd zu Boden ging und Herr Ziegenheinrich zum Handy griff. Mehr weiß ich nicht. Die verdammte Kugel hatte den Döner in meinem Gesicht verteilt und mein rechtes Schlüsselbein zertrümmert. Ich muss vom Stuhl gerutscht sein, denn das letzte, das ich sah, waren Carlottas Augen. Sie lag dicht vor mir. Ihre Augen glänzten, so wie die Augen eines Engels nunmal glänzen und besonders dann glänzen, wenn sie sich in anderen Augen spiegeln, die nichts anderes wollen, als ein Leben mit Carlotta. 5