Abschlussbericht - UB Klagenfurt - Alpen-Adria
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Abschlussbericht - UB Klagenfurt - Alpen-Adria
Alrun Benedikter "Der Rest der Bücherei (3 Autoladungen) wurde der Studienbibliothek zugewiesen und von dieser bereits übernommen" — Die Öffentliche Studienbibliothek Klagenfurt in den Jahren 1931 bis 1953 zwischen Systemergebenheit und behänder Beteiligung am nationalsozialistischen Kulturgüterraub DISSERTATION zur Erlangung des akademischen Grades Doktorin der Philosophie Alpen — Adria — Universität Klagenfurt Fakultät für Kulturwissenschaften 1. Begutachter: Ao. Univ. — Prof. Dr. Willibald Holzer Institut für Geschichte 2. Begutachter: Ao. Univ. — Prof. Dr. Hubert Lengauer Institut für Germanistik März, 2011 Inhaltsverzeichnis Provenienzforschung, "[e]ine Art Geheimwissenschaft mit unaussprechlichem Namen": Einleitung ...............................1 "Wohin führt all dieses Geschichtserzählen, zu was für eine[r] Art von Wissen, zu welchen Zwecken?": Vorwort ..............................15 I. Bibliotheken —Verwaltung I.1. Einpassung der wissenschaftlichen Bibliotheken in das Verwaltungsorganigramm und die Ideologie des Nationalsozialismus ..............................27 I.2. Die institutionsgeschichtliche Entwicklung der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt zur prädestinierten Anwärterin für Zuteilungen aus dem nationalsozialistischen Raubguthort ..............................44 I.3. Drei Direktionsperioden (1931—1953) im Spiegel der Korrespondenzakten ..............................52 I.3.1. Wolfgang Benndorf (1931—1933) ..............................55 I.3.2. Theodor Schmid (1933 —1942) ..............................66 I.3.3. Richard Fuchs (1942 —1953) ..............................94 II. Bücher —Raub II.1. Die Proklamierung einer genuin deutschen Bibliophilie als Teil der kulturellen Verbrämung der nationalsozialistischen Programmatik .............................102 II.2. Die nationalsozialistische Raubpolitik mit dem Fokus auf die Enteignung von Schriftgut aus privatem wie institutionellem jüdischem Besitz ..............................113 II.3. Die Anbindung einer Provinzbibliothek an das nationalsozialistische Verteilernetz für die eingespeisten Bücherflüsse aus "arisiertem" Eigentum ..............................134 II.3.1. Die Relaisstellen der Distribution: Preußische Staatsbibliothek, Reic hstausc hstelle, Besc haf fungsamt Deutsc her Bibliotheken, Deutsch —Ausländischer Buchtausch ..............................139 II.3.2. Das Verlagswesen im Nationalsozialismus ..............................150 II.3.3. Der Buchhandel im Nationalsozialismus ..............................157 II.3.4. Die Suche nach "Evidenzen" im Rahmen der Buchautopsie ..............................161 III. Kirchen —Sturm III.1. Die Amtskirchen im Nationalsozialismus zwischen Widerpart und Gefolgschaft .............................159 III.2. Enteignung von Kirchenbesitz in Deutschland und Österreich .............................177 III.2.1. Die Beschlagnahme von Büchern im Zuge der nationalsozialistischen Entkonfessionalisierungsmaßnahmen .............................184 III.2.1.1. Pfarramt St. Margarethen ob Töllerberg .............................197 III.2.1.2. Privat—Mädchenrealgymnasiums der Ursulinen in Klagenfurt .............................202 III.2.2. Enteignungen auf der Grundlage der "Verordnung über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens" ............................206 III.2.2.1. Kronprinz—Rudolf—Hospital und Konvent der Barmherzigen Brüder in St. Veit a.d. Glan .............................211 III.2.2.2. Propstei Wieting im Görtschitztal ............................220 III.2.2.3. Jesuitenkloster St. Andrä im Lavanttal ............................224 III.2.2.4.Benediktinerstift St. Paul im Lavanttal ............................227 III.2.2.5. Olivetanerabtei Tanzenberg ............................237 III.2.2.6. Mariannhillerstift St. Georgen am Längsee ............................239 IV. Die Enteignung slowenischer Bibliotheken im okkupierten Oberkrain ............................243 V. Die Auflösung der "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg unter der Sachwalterschaft der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt ............................254 "Wenn eine Geschichte damit anfängt, daß man etwas findet, muß sie damit aufhören, daß man etwas sucht": Schlusswort ............................269. Quelleneditionen und Literaturverzeichnis .............................274 Dokumente .............................288 Einleitung Aber hinter diesem Indizien- und Wahrsageparadigma erahnt man den vielleicht ältesten Gestus in der Geschichte des menschlichen Intellekts: den des Jägers, der im Schlamm hockend die Spuren der Beute untersucht. (Carlo Ginzburg, Spurensicherung) Provenienzforschung, "[e]ine Art Geheimwissenschaft mit unaussprechlichem Namen"1 : Einleitung Im Jahr 2008 wurde im Rahmen der VÖB, der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare, die Arbeitsgruppe "NS —Provenienzforschung" gegründet, der auch die Universitätsbibliothek Klagenfurt als kooptiertes Mitglied angehört. Das bis dato zehn wissenschaftliche und allgemeine Bibliotheken2 umfassende Forum "versteht sich als eine bibliothekarische Anlaufstelle für den Informationsaustausch über die Querschnittsmaterie Provenienzforschung" 3. Die Mitgliedschaft der UBK, die als Organisationseinheit der Alpen — Adria —Universität Klagenfurt mit dieser im Jahr 2010 gerade erst das vierte Dezennium ihres Bestehens beging, in einer Arbeitsgruppe, welche ihrerseits den institutionsgeschichtlichen Darstellungsfokus auf die Zeit des Nationalsozialismus richtet, erschließt sich — anders als 1 Ingo Zechner, Von der Etablierung einer Hilfswissenschaft. Provenienzforschung in den österreichischen Bundesmuseen und Sammlungen. In: ... wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung, edd. Gabriele Anderl/Christoph Bazil/Oliver Kühschelm (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 1, Wien/Köln/Weimar 2009) 70-84, hier 70. 2 Mitglieder der AG NS —Provenienzforschung: Österreichische Nationalbibliothek, Wienbibliothek im Rathaus, Jüdisches Museum Wien, Universitätsbibliothek Wien, Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien, Universitätsbibliothek Salzburg, Universitäts- und Landesbibliothek Tirol, Universitätsbibliothek Graz. Kooptierte Mitglieder: Universitätsbibliothek Klagenfurt, Universitätsbibliothek Linz. Siehe http://www.univie.ac.at/voeb/kommissionen/ag-ns-provenienzforschung/, (Stand: 13.2.2011). 3 Ebd. 1 Einleitung jene der teilnehmenden Traditionsbibliotheken — nicht unmittelbar als ein moralisches und rechtliches Erfordernis. Die Erklärung für die Aufnahme in dieses Gremium findet sich in dem Umstand, dass die UBK auf einer ungleich älteren Einrichtung fußt, jener der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt, welche in den Siebzigerjahren der neuen Bildungsinstitution als literarischer Kernbestand einverleibt wurde. Die mit der Gründung im Jahr 1775 verbundene Aufgabe der Studienbibliothek als einer quasi protowissenschaftlichen Einrichtung, "den Mittelschulprofessoren, der studierenden Jugend, der Lehrerschaft, sowie zahlreichen Ämtern und Privaten wertvolle literarische Hilfsmittel zu wissenschaftlicher Arbeit, Belehrung, Bildung und sonstigem Studium zu verschaffen"4 , hatte sich mit der Realisierung einer Universität in Kärnten erfüllt. Was zudem für eine Bestandsfusionierung sprach, war die Tatsache, dass die Universität Klagenfurt dem Planungsentwurf nach eine Einrichtung mit bildungswissenschaftlichem Schwerpunkt war. Solcherart fügte sich das historische Schriftgut, welches vornehmlich aus der Übernahme der Jesuitenbibliotheken von ganz Kärnten nach Auflösung des Ordens 1773 sowie der Schenkung der Bibliothek des Grafen Peter Goëss 1806 herrührte, neben dem Buchbestand, welcher den Bildungskanon der Zeit seit Gründung der Studienbibliothek abbildet, und dem didaktischen Lehrmaterial der inkorporierten Landeslehrerbibliothek nahtlos in das Bestandsprofil der im Aufbau befindlichen Universitätsbibliothek. Über die Bestands- und Zuwachszahlen der Öffentlichen Studienbibliothek und der institutionell angegliederten Landeslehrerbibliothek geben die Korrespondenzakten und Geschäftsbücher nur eine sporadische und ungefähre Auskunft. Die zwischen 1930 und 1955 eruierten Zahlen zeichnen folgendes Bild vom Volumen und der Entwicklungsstärke der Institution: 4 Wolfgang Benndorf, Die öffentliche Studienbibliothek. In: Die Städte Deutschösterreichs 4: Klagenfurt, ed. Erwin Stein (Klagenfurt 1929) 222-230, hier 228. 2 Einleitung Jahr Druckwerke Handschriften Inkunabeln 1930 125.000 299 250 —300 1939 72.000 (Studienbibl.) 294 268 5.000 (Landeslehrerbibl.) 5.400 (Goëss-Bibl.) 1946 139.546 315 268 1952 157.876 320 265 1953 159.342 320 265 1954 160.251 320 265 1955 161.058 320 265 Zu den Angaben, welche sich auf den Hauptbestand der Bibliothek, jenen der Monographien, beziehen, ist anzumerken, dass diese, ungeachtet der bis auf die letzte Ziffer genauen Zahlen, als deren Erfassungseinheit obligatorisch der "Buchbinderband" galt, keinen absoluten Wert darstellen, da zum jeweiligen Erhebungszeitpunkt nie der gesamte Bestand akzessioniert war. So konnte durchaus eine Spanne von Monaten und Jahren zwischen Ankauf oder Erhalt und Bestandseingliederung liegen, zumal während des Krieges, als die Bestandspflege gegenüber der Bestandsbergung einerseits und den Betreibungen einer regen Beutepolitik andererseits ins Hintertreffen geriet. (Ein gutes Beispiel für die Verfahrensweise der Zahlenerhebung gibt der Bericht der Studienbibliothek an die Reichsstatthalterei über das Verwaltungsjahr 1942/1943, siehe Abschnitt III.2.2.). Nur über den bereits vollständig katalogisierten und zahlenmäßig überschaubaren Teilbestand der Handschriften und Inkunabeln konnte verbindlich Auskunft erteilt werden. Wie die Tabelle zeigt, gab es in diesem Bereich lediglich geringfügige Schwankungen in der Stückzahl. 3 Einleitung Was sich aus den verfügbaren Zahlen ungeachtet der großen Zeitintervalle gleichwohl errechnen lässt, ist ein maximaler Bestandszuwachs von circa 1.400 Bänden pro Jahr. Der konsternierende Zahleneinbruch 1939 im Bereich der Monographien ist als eine Abweichung des damaligen Bibliotheksleiters gegenüber der Zählusance seiner Vorgänger und Nachfolger zu lesen. Diesfalls dürften mehrbändige Werke als 1 Gesamttitel erfasst worden sein, was hochgerechnet etwa 130.000 Einzelbände ergäbe — ein plausibler Mittelwert zwischen den Bestandszahlen der Jahre 1930 und 1946. In der untersuchungsrelevanten Jahresspanne von 1938 bis 1953 betrug die Anzahl der akzessionierten Titel an der Öffentlichen Studienbibliothek 4.019 Bände (Signaturenkreis: I+II 30151—34170), jene der angeschlossenen Landeslehrerbibliothek im gleichen Zeitraum etwa 2.371 (Signaturenkreis: A+B 3554 —5925). Dieser Korpus von 6.390 Bänden bildete die Grundlage der Bestandssichtung im Hinblick auf etwaige NS —Raubgutinfiltrate. Wobei sich der Fokus der Untersuchung auf zwei Provenienzen im Besonderen richtete: Zum einen galt die Nachforschung Büchern, welche zwischen der nationalsozialistischen Machtusurpation in Deutschland 1933 und der Zerschlagung des Regimes 1945 ihren jüdischen Eigentümern entweder durch Zwangsverkauf als Folge der Ausfuhrrestriktionen und fiskalischen Abgabeauflagen einer Emigration abgepresst, oder mit der "Arisierung" jüdischer Vermögenswerte und der staatlichen Konfiskation der Besitztümer von Deportationsopfern schlechtweg geraubt worden waren und über die weitverzweigten nationalsozialistischen Verteilungskanäle auch in die Öffentliche Studienbibliothek Klagenfurt gelangten. Zum anderen konzentrierte sich die Suche auf Schriftwerke aus requiriertem Kircheneigentum, das im Rahmen der Auflösung kirchlicher Einrichtungen unmittelbar nach dem "Anschluss" 1938, als auch während des so genannten "Klostersturms" 1940/41 — einer Aktion Himmlers zur Mehrung von Macht und Mitteln durch die Expropriation zahlreicher Stifte und Klöster — dem NS —Raub —Umschlaggut hinzugefügt wurde. 4 Einleitung Im Zuge der vorliegenden Untersuchung wurden zwei unterschiedliche Zeitrahmen überlappend wirksam: Während es für die Darstellung der Institutionsgeschichte sinnvoll schien, drei vollständige Direktionsperioden abzubilden — was der Zeitspanne 1931 bis 1953 entspricht —, beschränkte sich die direkte Buchsuche auf den Akzessionszeitraum 1938 bis 1953. Mit dem "Anschluss" Österreichs 1938 an das Deutsche Reich wurden auch die integrierten Bildungsinstitutionen vermehrt zu Nutznießern eines effizienten Distributionsapparates mobiler wie immobiler Güter. Was die Ausdehnung des Untersuchungszeitraumes bis zum Jahr 1953 anbelangt, so trägt dies zum einen der Tatsache Rechnung, dass zwischen dem physischen Einlangen eines Buches in der Bibliothek und dessen Bestandseingliederung wie bereits erwähnt nicht selten eine erhebliche Zeitspanne lag. Zum anderen endete 1953 die Direktionsperiode von Richard Fuchs, dessen rührige Persönlichkeit wie Amtsführung das nicht untypische Bild einer zeitgenössischen Beamtenlaufbahn zeichnen, von der agilen Systemassistenz über eine geschmeidige Kehrtwendung hin zu seriöser Sachwalterschaft und nekrologer Reputation. Neben der Buchautopsie, der augenscheinlichen Prüfung jeder einzelnen Literaturerwerbung innerhalb der Jahresspanne 1938 bis 1953, auf der Suche nach Herkunftssignets und Besitzeinträgen in Gestalt von Stempelungen, Widmungen oder Exlibris, bildeten folgende Findemittel die Quellengrundlage der Untersuchung: Allen voran die Korrespondenzakten der Öffentlichen Studienbibliothek der Jahre 1931 bis 1953. Dieser zwar nicht lückenlose, doch umfangreiche Aktenkorpus von großer Aussagekraft wird im heutigen Universitätsarchiv verwahrt. Als weiteres Quellenmaterial dienten die Akzessionsjournale der Jahre 1938 bis 1953 sowohl der Studienbibliothek als auch der Landeslehrerbibliothek, die neben den usuellen bibliothekarischen Kürzeln für die vier obligatorischen Erwerbungsmodi (K oder A=Ankauf, P=Pflicht, T=Tausch und G=Geschenk) teilweise auch Angaben zu Händlern und 5 Einleitung Donatoren enthalten. Hinzu kamen die sehr sauber geführten Zugangshefte der Jahre 1945 bis 1951, sowie die beiden einzig noch vorhandenen Kassa —Journale vom April 1943 bis März 1946 und vom März 1946 bis April 1948. Eine Einsichtnahme in die archivierten Personalakten der drei obgenannten Direktoren des institutionellen Darstellungszeitraums ergänzte das Aktenmaterial um einige anschauliche Aspekte. Recherchen im Österreichischen Bundesarchiv, im Kärntner Landesarchiv sowie im Archiv der Diözese Gurk dienten einer Vervollständigung der Quellengrundlage und einer Erhärtung der im letzten Abschnitt der Arbeit erstellten, schier kriminalistischen Indizienketten. Erfolglos hingegen verlief ein Besuch in der Kärntner Landesregierung, welcher mit dem Bescheid endete, dass sämtliche Akten des Bildungsressorts jener Zeit skartiert worden seien. Sehr entgegenkommend zeigte sich demgegenüber das Priorat der Barmherzigen Brüder in St. Veit, welches eine Einsichtnahme in die Konventchroniken gewährte. Zu den kontaktierten Einrichtungen zählen des weiteren die Bibliotheksleitung von St. Paul im Lavanttal, das Archiv der österreichischen Jesuitenprovinz in Wien und das Archiv des Stiftes St. Peter in Salzburg. Die Arbeit gliedert sich in drei Abschnitte: Zuvorderst verlangt eine Bestandsprüfung im Hinblick auf mögliche Raubbuchinfiltrate, wie sie die NS —Provenienzforschung betreibt, nach einer organisationsgeschichtlichen Grundierung, andernfalls die Feststellung des Vorhandenseins, des Fehlens oder des nicht zu erbringenden Nachweises von moralisch wie rechtlich fremdem Eigentum im Gesamtbestand sich zur Tautologie verkürzt. Auch wenn das Bild der Institution als eines Funktionsgliedes im nationalsozialistischen Verwaltungsapparat einem landläufig bekannten Muster folgt, gebildet aus der Verstrebung von Hinnahme, Unterordnung und agiler Beteiligung, zeigen sich im lokalhistorischen Fokus des nationalsozialistischen Bibliotheksbetriebs doch erkenntnis6 Einleitung mehrende Besonderheiten. Der Untersuchungszeitraum umspannt die drei Direktionsperioden Wolfgang Benndorf (interimistisch 1931—1933), Theodor Schmid (1933 —1942) und Richard Fuchs (1942 —1953), deren jede für eine sich deutlich von den jeweils anderen abhebende Weise des Verhaltens gegenüber den Offerten und Drohungen des nationalsozialistischen Regimes steht: Widersetzlichkeit, Beflissenheit und kleinmütige Unterordnung, flinke, vorteilsgewahrende Beteiligung. Der zweite Teil der vorliegenden Arbeit nimmt nach einer kulturgeschichtlich—philosophischen Introduktion über die Bedeutung des Buches für das jüdische Volk die nationalsozialistische Raub- und Verwertungsmaschinerie im Allgemeinen und die Kulturgüterenteignung mit Fokussierung des Buchraubes im Besonderen in den Blick. Nach einer schematischen Darstellung jener Organisationen, welche vorrangig mit der Sortierung und Verwertung des enteigneten Schriftgutes befasst waren, untersucht die Arbeit die nutznießende Einbindung einer Provinzinstitution wie der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt in das feinmaschige Geflecht des nationalsozialistischen Güterverteilungssystems. Der dritte Teil schließlich zeigt, nach einer Darstellung der Rolle der Amtskirchen im Nationalsozialismus und der Situation der österreichischen Klerisei, die Öffentliche Studienbibliothek Klagenfurt als bibliozentrierte Beteiligte am Kulturgüterraub im Raum Kärnten. In zwei abschließenden Kapiteln wird noch die Rolle der Studienbibliothek und anderer "Kultureinrichtungen" Kärntens bei der Beschlagnahme von Bibliotheksbeständen im besetzten Oberkrain in den Blick genommen, sowie die Perpetuierung der während des Krieges ein- und ausgeübten Praxis der Bestandsaufstockung durch den Zugriff auf enteignetes Buchgut auch nach 1945 am Beispiel eines aus Berlin in die Abtei Tanzenberg ausgelagerten und vorderhand aufgrund von Restitutionserschwernissen dort verblieben Teilbestandes der nationalsozialistischen Zentralbibliothek der Hohen Schule. 7 Einleitung Zum Stand der Forschung ist anzumerken, dass die Rolle der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt und ihrer Schwestereinrichtungen im Nationalsozialismus in den wenigen Nachkriegspublikationen, welche sich mit der Geschichte dieser Institutionen befassen, zur Gänze ausgespart bleibt. So konzentriert sich die 1948 erschienene Abhandlung von Josef Hofinger, Die öffentlichen Studienbibliotheken Österreichs, ganz auf die jeweilige Gründungsgeschichte der Klagenfurter, Linzer und Salzburger Institutionen und beschließt die Darstellung bereits mit dem Jahr 19295 . Die 1961 veröffentliche Studie von Franz Konrad Weber, Die österreichischen Studienbibliotheken, fokussiert den Geltungsabfall, welchen selbige von der Zeit ihrer Entstehung an bis in die Gegenwart zu verzeichnen hatten 6. Erst jüngster Zeit haben zwei Untersuchungen dieser Negierung ein Ende gesetzt. Die 2009 fertiggestellte Diplomarbeit von Monika Eichinger, Die Studienbibliothek Linz in der NS — Zeit, untersucht die Involvierung der Linzer Institution in den nationalsozialistischen Buchraub7. Der hohe Deckungsgrad in den Ergebnissen der Arbeit Eichingers und der vorliegenden zeigt deutlich, welche Beförderungschancen sich gerade auch Provinzeinrichtungen und die ihnen Vorstehenden von der Assistenz des nationalsozialistischen Systems versprachen. Die Geschichte der dritten österreichischen Studienbibliothek, jener in Salzburg, wird seit 2009 in Form eines von der Universität und vom Land Salzburg finanzierten Projekts mit dem Titel Der hinterlassene "Fingerabdruck" aufgearbeitet, das bis 2012 abgeschlossen sein soll. Die Aufgabenstellung gilt der Beantwortung der Frage, "inwieweit die 5 Josef Hofinger, Die öffentlichen Studienbibliotheken Österreichs. In: Die Österreichische Nationalbibliothek. Festschrift. Herausgegeben zum 25jährigen Dienstjubiläum des Generaldirektors Univ. — Prof. Dr. Josef Bick, ed. Josef Stummvoll (Wien 1948) 415-422. 6 Franz Konrad Weber, Die österreichischen Studienbibliotheken (= Biblos— Schriften 29, Wien 1961) 29-42. 7 Monika Eichinger, Die Studienbibliothek Linz in der NS—Zeit (Dipl.—Arb., Linz 2009). 8 Einleitung Studienbibliothek Salzburg zwischen 1938 und 1945 am von den Nationalsozialisten durchgeführten Buchraub partizipierte oder zum Nutznießer dieses NS —Buchraubes wurde bzw. auf welche [!] anderen Wege sie geraubtes Buchgut nach 1945 wissentlich oder im guten Glauben erworben hat." 8 Die Publikationen jüngerer Zeit, welche explizit die Geschichte der Universitätsbibliothek Klagenfurt zum Inhalt haben, lösen den Blick nicht von bibliothekstechnischen Belangen. Weder der Essay des vormaligen Bibliotheksdirektors Ernst Benischke, Die Universitätsbibliothek Klagenfurt9, noch die Universitätsschrift von Christa Herzog—Tschinder, Zur Geschichte der Universitätsbibliothek Klagenfurt 10 , messen der Zeit zwischen 1938 und 1945 in institutionsgeschichtlicher Hinsicht besondere Bedeutung bei. Der einzige Text, welcher indirekt — — wenn auch nur die Stellung der Studienbibliothek Klagenfurt im National- sozialismus behandelt, ist der Essay von Wilhelm Wadl, Das Kärntner Landesarchiv (Reichsgauarchiv Kärnten) in der NS — Zeit, worin die institutionelle Einbindung auch der Bibliothek in die Machenschaften des Reichsgauarchivs und des Reichgaumuseums am Rande angesprochen wird11 . Das nationalsozialistische Büchereimodell, welches die vor allem im ländlichen Bereich kulturvermittelnd tätigen Pfarr- und im Stadtgebiet die Arbeiterkammerbibliotheken verdrängen und indoktrinativ ersetzen sollte, untersuc ht für den Raum Kärnten die 1998 im Eigenverlag 8 http://www.univie.ac.at/voeb/kommissionen/ag-ns-provenienzforsc hung/, (Stand 13.2.2011). 9 Ernst Benischke, Die Universitätsbibliothek Klagenfurt. Bestand und gegenwärtige Funktion. In: Biblos 33 (1984) 181-189. 10 C hrista Herzog, Zur Geschichte der Universitätsbibliothek Klagenfurt (Bibliothekarische Hausarbeit, Klagenfurt 1995). 11 W ilhelm Wadl, Das Kärntner Landesarchiv (Reichsgauarchiv Kärnten) in der NS — Zeit. In: Österreichs Archive unter dem Hakenkreuz (= Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 54, Wien 2010) 563-586. 9 Einleitung erschienene Studie von Hannes Presslauer Das Volksbüchereiwesen 12. Am Beispiel der nach dem "Anschluss" aufgelösten Arbeiterkammerbibliothek Klagenfurt, deren Buchbestand an die Stadtbibliothek im Rathaus übergeben wurde, kommen der organisierte Bücherraub sowie das Verfahren von Selektion, Einstampfung oder Umverteilung zumindest am Rande zur Sprache. Ein erhellendes Licht auf die nämliche Praxis im okkupierten Oberkrain werfen zahlreiche Dokumente der Edition von Tone Ferenc, Quellen zur nationalsozialistischen Entnationalisierungspolitik in Slowenien 1941 —1945/Viri o nacistini raznarodovalni politiki v Sloveniji 1941 —194513 , welche Parallelen zur Vorgehensweise bei den Plünderungen konfessioneller Bibliotheken erkennen lassen. Neben Einzeldarstellungen wie jener von Evelyn Adunka über die im requirierten Kloster Tanzenberg untergebrachte Zentralbibliothek der Hohen Schule14 oder der profunden Arbeit von Christina Köstner und Murray Hall über die Österreichische Nationalbibliothek15 beide Arbeiten einen Nexus zu Kärnten haben — — welch sind in den letzten Jahren zahlreiche Aufsätze zum Thema NS—Provenienzforschung erschienen, die als Werkstatt- oder Zwischenberichte Auskunft über noch nicht abgeschlossene Untersuchungen geben, aber auch bereits beendete Bestandsprüfungen und Restitutionsfälle behandeln16. 12 Hannes Presslauer, Das Volksbüchereiwesen. Eine kulturelle Errungenschaft aus vergangener Zeit (Villach 1998). 13 Q uellen zur nationalsozialistischen Entnationalisierungspolitik in Slowenien 1941— 1945/Viri o nacistini raznarodovalni politiki v Sloveniji 1941—1945, ed. Tone Ferenc (Maribor 1980). 14 E velyn Adunka, Der Raub der Bücher. Plünderung in der NS —Zeit und Restitution nach 1945 (= Bibliothek des Raubes 9, Wien 2002). 15 M urray G. Hall/Christina Köstner, "... allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern ...". Eine österreichische Institution in der NS —Zeit (Wien/Köln/Weimar 2006). 16 Exemplarisch für NS—Provenienzforschungsprojekte in Deutschland und Österreich: Bibliotheken in der NS—Zeit. Provenienzforschung und Bibliotheksgeschichte, edd. Stefan Alker/Christina Köstner/Markus Stumpf (= Publikation der Universitätsbibliothek Wien, Göttingen/Wien 2008). 10 Einleitung Innerhalb des weiten Forschungsfeldes der nationalsozialistischen Raubpolitik im Allgemeinen und der Kulturgüterentwendung im Besonderen, stellt die bibliothekarische Suche nach Büchern aus enteignetem Vorbesitz einen sehr speziellen Aspekt dar, welcher gleichwohl dazu angetan ist, dem riesigen Puzzle der zeitgeschichtlichen Studien zum Nationalsozialismus das eine oder andere Erkenntnispartikel hinzuzufügen. Jenseits der Analyse empirischer Erhebungen evozieren die Themen Raub, Restitution und Provenienzforschung auch auf der Metaebene Überlegungen, wie sie Aleida Assmann in dem Essay Das Gedächtnis der Dinge17, oder Dan Diner mit Gedächtnis und Restitution 18 anstellen. Konkret auf die Suche von Bibliotheken nach geraubten Büchern im Bestand nimmt der Essay von Jürgen Babendreier Ausgraben und Erinnern Bezug, in welchem der Verfasser überzeugend für die Verwendung des Begriffs "Bibliotheksarchäologie" anstelle von "Provenienzforschung", wie er sich indes als Terminus technicus für die stratigrafische Bestandssichtung eingebürgert hat19 , argumentiert. Und tatsächlich ist die bibliothekarische Suche nach Relikten der NS —Zeit ja gekennzeichnet durch ihre "Tiefenstruktur"20 . Als eine solche des Raumes, finden die "Grabungen" 21 doch überwiegend in der "stratifizierte[n] Materie" 22 und den "sedimentierte[n] Buchlagerstätten"23 der Kellermagazine und 17 Aleida Assmann, Das Gedächtnis der Dinge. In: Recollecting. Raub und Restitution. [Textband zur gleichnamigen Ausstellung im MAK Wien], ed. Alexandra Reininghaus (Wien 2009) 143-150. 18 Dan Diner, Gedächtnis und Restitution. In: Verbrechen erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord, edd. Volkhard Knigge/Norbert Frei (München 2002) 299-305. 19 Vgl. Jürgen Babendreier, Ausgraben und Erinnern. Raubgutrecherche im Bibliotheksregal. In: Bibliotheken in der NS —Zeit. Provenienzforschung und Bibliotheksgeschichte, edd. Stefan Alker/Christina Köstner/Markus Stumpf (= Publikation der Universitätsbibliothek Wien, Göttingen/Wien 2008) 15-41, hier 24 ff. 20 Ebd. 21. 21 Ebd. 25. 22 Ebd. 25. 23 Ebd. 25. 11 Einleitung Speicher des Bibliotheksbergwerkes statt. Als Tiefenstruktur der Zeit, lassen sich auch im "Linienmuster"24 der Spalten und Zeilen der Akzessionsjournale "stratifizierte Strukturen [...] mit raubgutverdächtigen Einlagerungen (Fundgut) auf einzelnen, chronologisch, topologisch und quantitativ unterscheidbaren Zugangsebenen [wiedererkennen]." 25 Auch den solcherart zutage beförderten Büchern haften in Form von Widmungen, Besitzeinträgen, Stempelungen oder Exlibris Spuren an, welche ihrerseits zurückweisen in der Zeit: "Dieser invers beschrittene Weg zurück in vergangene Zeitabschnitte und deren Einschreibungen und Inschriften trifft auf Fehlstellen, Überlieferungslücken, Konjekturen und palimpsestartige Überlagerungen."26 Angewiesen auf die "Entzifferung verschiedenartiger Zeichen"27 ist Provenienzforschung eine "Indizien[hilfs]wissenschaft"28 , die auf der Grundlage des segmentär Aufgespürten ihren Befund stellt. Und nicht zuletzt hat die bibliotheksarchäologische Suche auch einen tiefenpsychologischen Aspekt, zielt die metaphorisch eingebrachte archäologische Terminologie immer auch auf das Unterbewusstsein, auf die Bergungsarbeit der Erinnerung. Freilich, "das moderne bibliothekarische Gedächtnis verharrt vorzugsweise auf der (Benutzer —)Oberfläche." 29 Das spiegelt sich bis heute im Verhalten vieler Bibliotheken, die sich imagebedacht zwar für eine Bestandsprüfung aussprechen, entsprechende Projekte aber nicht finanzieren, sondern die Untersuchung in Form von Diplomarbeiten oder Dissertationen externalisieren, um hernach in medialen Inszenierungen aus den Ergebnissen Prestigekapital zu schlagen, 24 E bd. 25. 25 Ebd. 25. 26 Ebd. 20. 27 Ginzburg, Spurensicherung. Die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst (= Kleine kulturwissenschaftliche Bibliothek 50, Berlin 1995) 18. 28 Vgl. ebd. 18. 29 Babendreier, Ausgraben und Erinnern (Anm. 19) 41. 12 Einleitung ohne diese wiederum im Gegenzug zu internalisieren30. Während in Österreich die Bundessammlungen mit der Einsetzung der Kommission für Provenienzforschung im Jahr 1998 auf die systematische Erfassung sämtlicher zwischen 1938 und 1945 erworbenen Kunst- und Kulturgegenstände 31 verpflichtet wurden, "um alle Fragen über die Besitzverhältnisse während der Zeit der NS—Herrschaft und der unmittelbaren Nachkriegszeit aufzuklären und auf der Basis des vorhandenen Archivmaterials in den Sammlungen des Bundes und im Bundesdenkmalamt den Rechtstitel der Republik Österreich an diesen Gegenständen zu überprüfen"32, bleiben die Universitätsbibliotheken in Österreich durch die Ausgliederung 2002 von der gesetzlichen Auflage zur Provenienzforschung ausgenommen. Der Tatsache, dass Bücher überwiegend keine unikalen Objekte, sondern Massenware darstellen und mithin dem so genannten "geringfügigen Wirtschaftsgut" zuzurechnen sind, ist anteilig die Mühsal der Suche im Bestand geschuldet, da "der Eingang von beschlagnahmten Druckschriften geringen Werts oftmals entsprechend schlecht dokumentiert" 33 wurde und diese "schon bei ihrer Anlieferung nicht als Einheit erkennbar"34 waren. Der geringschätzige Umgang mit dem Gros der Bücher zu Zeiten ihrer Enteignung spiegelt sich in den Schwierigkeiten der Gegenwart, vor welche sich kleinere Bibliotheken gestellt sehen, seitens 30 Vgl. ebd. 36 und 38. 31 Restitutionsbericht 1998/1999. Bericht der Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten an den Nationalrat über die Rückgabe von Kunstgegenständen aus den Österreichischen Bundesmuseen und Sammlungen gemäß § 2 Abs. 3, BGBl. I 181/1998, 1. 32 Ebd. 33 Margot Werner, Geraubte Bücher — Sonderfall Provenienzforschung in Bibliotheken/ Looted books — The special case of provenance research in libraries. Ein Werkstattbericht aus der Österreichischen Nationalbibliothek. In: Verantwortung wahrnehmen/Taking responsibility. NS —Raubkunst — Eine Herausforderung an Museen, Bibliotheken und Archive/Nazi —looted art — A challenge for museums, libraries and archives, ed. Andrea Baresel—Brand (= Veröffentlichungen der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste 7, Magdeburg 2009) 351-384, hier 357. 34 E bd. 13 Einleitung ihrer Trägerorganisationen finanzielle Unterstützung für die einen Akt der Selbstverpflichtung darstellenden Provenienzforschungsprojekte zu erhalten. Umfassende Aufmerksamkeit wird dem Thema nur dort zuteil, wo es sich um prominente Objekte von großem materiellem Wert handelt, wie im Falle des Klimt —Porträts von Adele Bloch —Bauer. Abseits des medialen Interesses stehen die Alltagsgegenstände, die heute als Nippes auf den Flohmärkten oder in Antiquariaten angeboten werden, wo potenzielle KäuferInnen sich selten darüber im Klaren sind, dass die auratische Geschichtshaltigkeit, um derentwillen sie die Dinge erwerben, auch eine des Raubes und der Verfolgung sein kann. Der geringe materielle Wert der Objekte stellt auch "aus der Perspektive unseres momentanen Alltags"35 eine Schwierigkeit dar, wenn es um die institutionelle Unterstützung der Suche nach geraubten Büchern geht: Vor dem Hintergrund der Wohlstandsgesellschaft verschwindet die Bedeutung des persönlichen und individuellen Werts zusehends hinter der Masse und Beliebigkeit der Dinge, die uns umgeben. Es fällt schwer, die Wertigkeit eines Mantels, eines Buches oder eines Sessels in seiner historischen Dimension zu erfassen und sich dabei nicht durch die Gegebenheiten des globalen und massenproduzierenden Marktes irritieren zu lassen. In der aktuellen Situation, in der die permanente Erreichbarkeit alles Materiellen die Uhr und an jedem beliebigen, selbst virtuellen Ort — — rund um garantiert scheint, lässt sich die individuelle Bedeutung geraubter Alltagsgegenstände für seinerzeit Beraubte und Täter nur mit Mühe ausmachen. 36 35 Mirjam Triendl —Zadoff/Niko Wahl, Geraubt, benutzt, verbraucht. Weil Dinge kein Gedächtnis haben. In: Recollecting. Raub und Restitution. [Textband zur gleichnamigen Ausstellung im MAK Wien], ed. Alexandra Reininghaus (Wien 2009) 77-86, hier 80. 36 Ebd. 80. 14 Vorwort Was geschehen ist, ist geschehen, und doch können wir uns dabei nicht beruhigen. (Jörn Rüsen, Kann gestern besser werden?) Die Archäologie der Restitution jedenfalls entspricht einer anthropologisch gehaltenen Affinität von Gedächtnis und Eigentum. (Dan Diner, Gedächtnis und Restitution) Geschichte geht in die Vorstellungen dessen ein, was getan oder unterlassen werden muß und wird so zum Bestandteil der sozialen Welt. (Jörn Rüsen, Zerbrechende Zeit) "Wohin führt all dieses Geschichtserzählen, zu was für eine[r] Art von Wissen, zu welchen Zwecken?"37 : Vorwort Mehr als siebzig Jahre nach der radikalen Zivilisationsaufsagung durch den Nationalsozialismus, in den langen, klammen Schatten von Abersinn und Widerrecht, in der "dritte[n] Epoche" 38 nach der unabgeltbaren Verschuldung am Inbild des Menschentums, endlich, an der Schwelle eines weiteren Jahrhunderts und wo möglich durch die Überschreitung dieser metaphorisch hoch aufgeladenen Markierung auf der fingierten Zeitgeraden aus etwelchen erratischen Beharrungen gelöst, haben vielerorts39 Bibliotheken begonnen, die Geschichtshaltigkeit ihrer 37 James E. Young, Nach—Bilder des Holocaust in zeitgenössischer Kunst und Architektur (Hamburg 2002) 19. 38 J örn Rüsen, Zerbrechende Zeit. Über den Sinn der Geschichte (Köln/Weimar/ Wien 2001) 294. 39 " Vielerorts" meint das beispielgebende Vorgehen zahlreicher wissenschaftlicher Bibliotheken in Deutschland, denen sich unterdessen auch die österreichische Bibliothekengemeinschaft angeschlossen hat (siehe Einleitung Anm. 2). 15 Vorwort Bestände auf eine nie zuvor stattgehabte Art und Weise zu betrachten und als Ergebnis dieser stratigrafischen Inspektion neu zu bewerten. Wann zuvor in der menschheitsbegleitenden Dauer des Bestehens dieser, ihrem Auftrag und Selbstverständnis nach institutionalisierten mnemonischen Depots40 und Horte kollektiver Identität, hätte der intergenerationell überkommene Besitzstand zu einer ethischen Befragung der Erwerbungsumstände und in weiterer Folge zu Gewissensnöten oder gar Entschuldungsbestrebungen geführt? Wiewohl "[a]nzunehmen wäre, dass Bibliothekare, die berufenen Architekten, Sammler und Hüter des kulturellen Gedächtnisses der Menschheit, im Umgang mit ihrer Geschichte über professionelle Strategien verfügen, Erinnerung wach zu halten, Gedächtnislücken zu schließen und Vergangenheit zu vergegenwärtigen" 41, gingen auch an diesen Orten "der sich endlos akkumulierenden Zeit"42 Übergabe und Entgegennahme innerhalb der Generationenkette bruchlos und unbefragt vonstatten, getragen vom Bewusstsein der Verantwortung für das gemeinsame kulturelle Erbe, mit Umsicht, Sorgfalt und Sachkenntnis für das Unersetzbare sowie in Ergebenheit an die Idee und Schönheit des Überantworteten: Ein einfaches Beispiel aus dem Bereich des alltäglichen historischen Denkens ist der Stolz, den Menschen über die Errungenschaften der Vergangenheit 40 Der vielstrapazierte Topos von der Bibliothek als Verortung des Menschheitsgedächtnisses geht auf einen Satz Arthur Schopenhauers zurück: "Wie schlecht würde es also um das menschliche Wissen stehn, wenn Schrift und Druck nicht wären! Daher sind die Bibliotheken allein das sichere und bleibende Gedächtnis des menschlichen Geschlechts." In: Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena. Kleine philosophische Schriften II. § 254. In: Ders., Sämtliche Werke 5, ed. Wolfgang Löhneysen (Frankfurt am Main 1986) 14. 41 Jürgen Babendreier, Kollektives Schweigen? Die Aufarbeitung der NS —Geschichte im deutschen Bibliothekswesen. In: Das bibliothekarische Gedächtnis. Aspekte der Erinnerungskultur an braune Zeiten im deutschen Bibliothekswesen, edd. Sven Kuttner/Bernd Reifenberg (= Schriften der Universitätsbibliothek Marburg 119, Marburg 2004) 23-53, hier 23. 42 Michel Foucault, Andere Räume. In: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Essays, ed. Karlheinz Barck (= Reclam—Bibliothek 1352, Leipzig 7 1993) 43. Der Hinweis auf Foucault ist einem Essay von Jürgen Babendreier (siehe Anm. 19) entnommen. 16 Vorwort empfinden, die von ihren Vorfahren erbracht worden sind. Sie denken über diese Errungenschaften so, als hätten sie sie selber geleistet.43 Gleichviel ob Schriftträger oder andere Artefakte, das vorzeiten geistvoll Ersonnene und kunstvoll Gefertigte wird zum Stifter eines auf Ästhetik und Friktionslosigkeit basierenden Wirgefühls. Wofern deren Entstehung und Herkunft quellenmäßig belegt ist, erzählen die Dinge der Vergangenheit "Überreste" — — die so genannten "Relikte" oder nicht selten düstere Geschichten von Gewalt, Grausamkeit und Unrecht, die aber längst schon allzu zeitentrückt scheinen, um in der Rezeption der Gegenwart noch Scham oder gar Trauer "Grundfunktion der historischen Erinnerung"44 — — die über die Verletzung einer mit dem Inbild des Menschentums verbundenen "grundsätzliche[n] Werthaftigkeit"45 zu evozieren. Die Abständigkeit in der Zeit schließt das Dunkel der Vergangenheit ein und vom Jetzt ab, lässt es zu, dass vergangene Beweggründe und vergangenes Handeln als ein Fremdes, Überwundenes, als "Barbarisches" zurückfallen in der Zeit, durch keinen Bedeutungsbogen mit der Gegenwart verbunden. Das Überdauern der Dinge aber, ihre Widersetzlichkeit gegen die zernichtende Macht der Zeit, ihr schieres Da —Sein, wird zum triumphalen Beweis für die Überordnung von Geist und Schönheit über die verwerfende Endlichkeit. Die in den Objekten materialisierte Sichtbarkeit der Vergangenheit als solche indiziert hier bereits Sinn: "Mit dem sichtbaren Alter gewinnen sie [die Objekte] eine eigene ästhetische Qualität. An ihnen erscheint der ästhetische Reiz des Vergangenen. Die Dinge werden wegen ihres puren Alters gleichsam »auratisch«."46 Zudem befördert die traditionell solenne museale Inszenierung, die Einbettung der Artefakte in eine 43 Jörn Rüsen, Kann gestern besser werden? Zum Bedenken der Geschichte (Berlin 2003) 60-61. 44 D ers., Zerbrechende Zeit (Anm. 38) 208. 45 E bd. 204. 46 E bd. 117-118. 17 Vorwort Aureole aus Stille, Licht, Glas und kostbaren Tuchen, noch deren Nimbus und magische Verwandlung. Die solcherart in Augenschein genommene Vergangenheit regt weniger zu historischer Sinnbildungsleistung an, als dass sie Andacht und Elevation zeitigt. Um über das Wohlgefühl rein ästhetischer Erfahrung hinaus tatsächlich Geschichtsbewusstsein zu konstituieren, bedarf es des narrativen und diskursiven Brückenschlags zwischen den Zeitalteritäten. Die radikale Negation jener "grundsätzliche[n] Werthaftigkeit" 47, welche mit dem Inbild des Menschentums verbunden ist, durch den Nationalsozialismus hat aber der Möglichkeit einer Vermittlung zwischen Vergangenheit und Zukunft in der traditionellen Form sinnbildenden historiographischen Erzählens gleichsam das Wort abgeschnitten: "Wenn die katastrophische Krise sich ereignet, verstummt die Sprache des historischen Sinns."48 Durch die legitimistische Eindeutung der Vergangenheit in das chiliastische Weltbild des Nationalsozialismus wurden die "Meistererzählungen (master oder meta—narratives) kultureller Zugehörigkeit" 49 weit zurück in der Zeit verdorben. Das Verdikt Theodor W. Adornos: "[N]ach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch"50, richtete sich synekdochisch gegen jede Denkbarkeit, den Faden kollektiver Tradierung über diesen Abgrund hinweg in einer Weise wieder aufnehmen zu können, wie sie der detestable Vorschlag Friedrich Meineckes unmittelbar nach dem Krieg darstellte, einen Goethe —Kult zur Heilung deutscher Identitätsschäden einzurichten: Lyrik und Gedankendichtung mögen dann den inneren Kern solcher Feierstunden bilden. Lyrik von jener wunderbaren Art, wie sie in Goethe und Mörike 47 E bd. 204. 48 E bd. 154. 49 E bd. 146. 50 T heodor W. Adorno, Kulturkritik und Gesellschaft. In: Ders., "Ob nach Auschwitz noch sich leben lasse". Ein philosophisches Lesebuch, ed. Rolf Tiedemann (Frankfurt am Main 3 2003) 187-205, hier 205. 18 Vorwort gipfelt, wo Seele zu Natur und Natur zu Seele wird [...]. Wer sich ganz in sie versenkt, wird in allem Unglück unseres Vaterlandes und inmitten der Zerstörung etwas Unzerstörbares, einen deutschen character indelebilis spüren.51 Just diesen Fluchtweg in die Beschwörung einer "kulturellen Purifikation" wollte Adorno dem scheuenden Bewusstsein versperren: Daß es geschehen konnte inmitten aller Tradition der Philosophie, der Kunst und der aufklärenden Wissenschaften, sagt mehr als nur, daß diese, der Geist, es nicht vermochte, die Menschen zu ergreifen und zu verändern. [...] Kein vom Hohen getöntes Wort [...] hat unverwandelt nach Auschwitz ein Recht.52 Wo aber eine Fortschreibung sich verbietet, muss sich das kulturelle Selbstverständnis mithin neu situieren, denn "weder ist die Geschichte zu Ende noch können wir uns jenseits ihrer selber verstehen, geschweige denn mit anderen umgehen."53 Gerade aber das Erfordernis, sich aus dem stummen Starren in den eigenen Abgrund zu lösen, gelähmt von der Ungewissheit, "ob die Bereitschaft zum Unsäglichen fortwest in den Menschen wie in den Verhältnissen, die sie umklammern"54, hat in den vergangenen Jahren unter dem "verdächtigen Schlagwort"55 von der "Aufarbeitung der Vergangenheit" den Verfechtern einer "Schlussstrichmentalität" und deren paradoxer Aufforderung zu Vergessen und Vergebung zugearbeitet, erhoben gemeinhin von Parteigängern derer, die das Unrecht begingen56. Strikt gilt es, jeglicher erlösungs- und versöh51 Friedrich Meinecke, Die deutsche Katastrophe (Wiesbaden 1946) 175-176. 52 Theodor W. Adorno, Meditationen zur Metaphysik. In: Ders., "Ob nach Auschwitz noch sich leben lasse". Ein philosophisches Lesebuch, ed. Rolf Tiedemann (Frankfurt am Main 3 2003) 472-515, hier 477. 53 Rüsen, Zerbrechende Zeit (Anm. 38) 1. 54 Theodor W. Adorno, Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit. Vortrag vor dem Deutschen Koordinationsrat der Gesellschaft für Christlich—Jüdische Zusammenarbeit, Wiesbaden 1959. In: Ders., "Ob nach Auschwitz noch sich leben lasse". Ein philosophisches Lesebuch, ed. Rolf Tiedemann (Frankfurt am Main 3 2003) 31-47, hier 31. 55 V gl. ebd. 31. 56 V gl. ebd. 31. 19 Vorwort nungsheischender Rhetorik und Gestik perhorreszierend gewahr zu sein, um sich ihr im Bewusstsein zu versagen: [D]aß der beschädigte kollektive Narzißmus darauf lauert, repariert zu werden, und nach allem greift, was zunächst im Bewußtsein die Vergangenheit in Übereinstimmung mit den narzißtischen Wünschen bringt, dann aber womöglich auch noch die Realität so modelt, daß jene Schädigung ungeschehen gemacht wird. 57 Es gibt mithin keine Rückkehr in die "universal[e] Munterkeit"58 einer allem Bestehenden irgend "Sinn" bescheinigenden Positivität. Dass der sedierende Bann nur durch "helles Bewußtsein"59 sich lösen lässt, ist wohl eine indisputable Tatsache, aber noch keine konkrete Handlungsanleitung, sodass sämtliche Betreibungen fortwährend Gefahr laufen, sich in den allem Tun inhärenten Fallstricken zu verfangen. Während auf der einen Seite die "ständige Evokation seiner [des Nationalsozialismus] Embleme"60 das Geschehene inflationiert, zur Folie "einer sich ausbildenden zweifelhaften internationalen Moralkultur" 61 zu verflachen droht, führen Schweigen und Nicht—Handeln unvermeidlich zum Vergessen, denn "[i]n der Passivität des Nicht —Ausdrucks endet die Aktivität der Erinnerung." 62 In ganz unterschiedlichen Leistungen der Gegenwart, persönlichen wie kollektiven, wissenschaftlichen wie künstlerischen, meint der Geschichtstheoretiker und -philosoph Jörn Rüsen immerhin "symptomatische Indikatoren"63 für eine gemeinsame Anstrengung zu sehen, den fundamentalen 57 E bd. 39. 58 D ers., Meditationen zur Metaphysik (Anm. 52) 489. 59 D ers., Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit (Anm. 54) 31. 60 D an Diner, Den Zivilisationsbruch erinnern. Über Entstehung und Geltung eines Begriffs. In: Zivilisationsbruch und Gedächtniskultur. Das 20. Jahrhundert in der Erinnerung des beginnenden 21. Jahrhunderts, ed. Heidemarie Uhl (= Gedächtnis — Erinnerung — Identität 3, Innsbruck 2003) 17-34, hier 28. 61 E bd. 28. 62 Rüsen, Zerbrechende Zeit (Anm. 38) 123. 63 E bd. 294. 20 Vorwort Bruch im intergenerationellen Zusammenhang zu überbrücken, ohne ihn zugleich "heilen" zu wollen. Nach dem Beschweigen und der Exterritorialisierung des Mitverantworteten in der ersten, nach der moralistischen Kritik und Abgrenzung der zweiten Generation, der ihr konformen Identifikation mit den Opfern, aber auch strikten Zurückweisung des intergenerationellen Zusammenhangs mit den Tätern, tastet sich die dritte Nachkriegsgeneration an eine Sprache heran, die die Krise weder ausspart noch normalisiert, sondern auf eine Weise zum Ausdruck bringt, die "aus der negativen Erfahrung der Vergangenheit den Funken einer anderen Zukunft als Handlungsperspektive schlägt."64 Die Schwierigkeit, "eine Tradition für das Gedenken eigener Schuld zu finden" 65, erfordert ständige, ungenügsame, diskursive Selbstbewachung, Super —Revision, Meta —Reflexion, andernfalls das Memento sich in der pädagogischen Zurichtung der Vergangenheit zum Lehrstück, im Bannkreis zeremoniell eingehausten Gedenkens, affektentleerter Betroffenheitsrhetorik und Untatenlitanei66 , in eine weitere Variante des "leeren und kalten Vergessen[s]"67 verkehrt, hinter deren Gewahrseinsfassade die Gegenwart längst wieder "umso unabgelenkter den Geschäften nach[geht]." 68 Im Rahmen des Geschichtsmodells von Jörn Rüsen betrachtet, kann auch NS —Provenienzforschung Ausdruck eines identitätsausrichtenden und zukunf tsweisenden "Historisierungsschritt[es]"69 sein, in welchem die Institutionen den genealogischen Zusammenhang mit der Nazi—Zeit sich selber zuschreiben: 64 E bd. 299. 65 Young, Nach —Bilder des Holocaust (Anm. 37) 14. 66 V gl. ebd. 14. 67 A dorno, Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit (Anm. 54) 42. 68 Rolf Tiedemann, "Nicht die Erste Philosophie sondern eine letzte". Anmerkungen zum Denken Adornos. In: Theodor W. Adorno, "Ob nach Auschwitz noch sich leben lasse". Ein philosophisches Lesebuch, ed. Rolf Tiedemann (Frankfurt am Main 3 2003) 7-27, hier 13. 69 Rüsen, Zerbrechende Zeit (Anm. 38) 299. 21 Vorwort Das setzt eine intergenerationelle Übertragung der Verantwortung voraus, die die unterschiedlichen Instanzen der Verantwortung für die früheren und späteren Generationen in eine gemeinsame Subjektivität zusammenbindet — quer zur Trennung von Schuld und Unschuld.70 Allerdings ist auch dieses Tun nicht gefeit vor versöhnungssuggestiver Instrumentalisierung seines Gegenstandes, insonderheit dort, wo es darum geht, das von der jeweiligen Sammlung absorbierte und nunmehr ausgelöste Eigentum zu restituieren. Die Erleichterung und Frohgestimmtheit, die in den Berichten der Restituierenden über erfolgreich getätigte Rückerstattungen ja durchaus verständlicherweise mitklingen, haben im Kern doch auch immer etwas von jenem kathartischen Gehalt der Verszeile: "Es ist so gut, als wär es nicht gewesen"71 — welche im Faust bezeichnenderweise vom Teufel gesprochen wird. Die Rückgabe eines entwendeten Gegenstandes hebt lediglich den Tatbestandes des Raubes auf, von einer "restitutio in integrum", einer "Heilung" der verletzten Integrität durch den Restitutionsakt kann keine Rede sein72 : [E]s ist völlig klar, dass sich gestohlene Erinnerungen und geraubtes Leben nicht restituieren lassen. Im Gegenteil: Die Wiederkehr der Dinge kann nicht nur Entlastung, sondern auch Belastung sein. Das alles lässt sich nicht auflösen: Die Geschichte der Vernichtung hat auch dem Vergessen jede Unschuld genommen.73 "Die Suche der Bibliothekare nach geraubten Büchern ist ein Akt der Erinnerung"74 , der das "Tätergedächtnis"75 von eben dieser dispensiert, 70 D ers., Kann gestern besser werden (Anm. 43) 69-70. 71 Johann Wolfgang Goethe, Faust II. In: Werke in zehn Bänden 4: Dramen (Stuttgart/ Hamburg/München 1961) 377. 72 V gl. Assmann, Das Gedächtnis der Dinge (Anm. 17) 146. 73 H arald Welzer, Die mnemische Energie der Dinge. Über einen subkutanen Aspekt des Restitutionsproblems. In: Recollecting. Raub und Restitution. [Textband zur gleichnamigen Ausstellung im MAK Wien], ed. Alexandra Reininghaus (Wien 2009) 97-104, hier 104. 74 B abendreier, Ausgraben und Erinnern (Anm. 19) 35. 75 Ebd. 35. Zu "Tätergedächtnis" siehe auch: Aleida Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik (München 2006) 81-83. 22 Vorwort wenn Restitution dazu dient, Erinnerungsfrieden zu stiften. Die der Bibliothek seitens der Gesellschaft zugewiesene Funktion eines Gedächtnisspeichers nimmt die eigene Vergangenheit nicht aus. Gerade im Umgang mit dieser erweist sich ihre mnemonische Eignung. Die Institution, welche sich der Gedächtnisarbeit unterwindet, muss gewahr sein, dass dieses Unterfangen niemals den Endpunkt getaner Schuldigkeit erreicht: Wer sich der eigenen verschütteten Vergangenheit zu nähern trachtet, muß sich verhalten wie ein Mann, der gräbt. Vor allem darf er sich nicht scheuen, immer wieder auf einen und denselben Sachverhalt zurückzukommen — ihn auszustreuen wie man Erde ausstreut, ihn umzuwühlen, wie man Erdreich umwühlt. 76 In diesem Sinne spricht sich Jürgen Babendreier dafür aus, den seiner Ansicht nach auch mit der Erweiterung um das Präfix "NS" allzu nebulosen und euphemistischen Begriff "Provenienzforschung", welcher sich indes als Terminus operandi für die bibliothekarische Erinnerungsarbeit durchgesetzt hat, durch jenen der "Bibliotheksarchäologie" zu substituieren, um solcherart den der Untersuchung immanenten methodischen Charakter einer stratigrafischen Schürfung, die nicht auf eine Glättung der Verwerfungen sondern auf Entdeckung zielt, terminologisch zu konturieren. Desgleichen verweist er auf Analogien zwischen der bibliothekarischen Vorgehensweise und jener der Psychoanalyse: Bibliotheksarchäologie ist eine Disziplin zur Aufdeckung einer nicht nur verschütteten, sondern verdrängten, unbefriedeten Vergangenheit, an die sich zu erinnern Unlust bereitet. Sie dient der Anamnese einer pathogenen Epoche. Provenienzforschung dagegen ist eine Disziplin zur Reaktivierung einer zwar vergessenen, aber sozial und kulturell befriedeten Vergangenheit. 77 76 Walter Benjamin, Ausgraben und Erinnern. In: Gesammelte Schriften 4.1. (Frankfurt am Main 1 1972) 400. 77 B abendreier, Ausgraben und Erinnern (Anm. 19) 27. Die Kursivschreibung im Zitat rekurriert auf das antipodische Begriffspaar: "unbefriedetes und befriedetes Vergessen", welches Harald Weinrich, abgeleitet aus der psychoanalytischen Terminologie Siegmund Freuds, verwendet. Siehe dazu: Harald Weinrich, Lethe. Kunst und Kritik des Vergessens (München 1997) 174. 23 Vorwort Die Selbstprüfung von Institutionen — in diesem Fall von Bibliotheken — im Hinblick auf den je eigenen Beitrag zum reibungslosen Funktionieren eines totalitären Regimes und die daraus sich ergeben habende Unabweisbarkeit der Einreihung in die Gruppe der Mittäter, Nutznießer und Multiplikatoren des Nationalsozialismus — sei es durch den submit- tierenden Vollzug antijüdischer Gesetze, die skrupellose Bereicherung an "arisiertem" Raubgut, konfisziertem politischem Schrifttum oder requiriertem Kirchenbesitz, sei es durch Mittelmaß und Trägheit — ist (auch) von der auffordernden Notwendigkeit einer Klärung informationsethischer Fragen der Gegenwart angestossen. Die Geschwindigkeit, mit welcher das Buch seiner epistemischen Autorität verlustig geht, um zum "Printmedium" zu egalisieren, die auch in der Terminologie sich spiegelnde Entgrenzung von Wissen zum ungerichteten Fließen der Informationen im Hypertext, macht eine Konsolidierung der institutionellen Identität dringlich. Die Kontraktion raumzeitlicher Ausdehnung zur Allgegenwart im Cyberspace, das fungible Manipulieren mit Zeitalteritäten, die Funktionsreduktion von Geschichte zum Ausstattungsfundus virtueller Rollenspiele, die Verflüssigung auch noch der letzten Unterscheidbarkeit von Sein und Schein in "Second Life"78 , die demiurgische Selbstschöpfung in der Welt der Avatare79 lassen das historische Denken und Deuten der prophezeiten "Furie des Verschwindens" 80 anheimfallen. Die rasante wissenschaftliche Entwicklung der letzten Jahre in den Bereichen Computertechnologie, Biochemie und Quantenphysik, scheint geleistet zu haben, was das historische und philosophische Denken so 78 S econd Life: Second Life ist eine Online —3D —Infrastruktur für von Benutzern gestaltete, virtuelle Welten, in denen Menschen durch Avatare interagieren, spielen, Handel treiben und anderweitig kommunizieren können. Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Second_Life (Stand: 14.2.2011). 79 Avatar: Ein Avatar ist eine künstliche Person oder ein grafischer Stellvertreter einer echten Person in der virtuellen Welt, beispielsweise in einem Computerspiel. Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Avatar_(Internet) (Stand: 14.2.2011). 80 T iedemann, "Nicht die Erste Philosophie sondern eine letzte" (Anm. 68) 13. 24 Vorwort hartnäckig und spielverderbend verweigert, die Generierung eines Grundgefühls vollständigen Neubeginns: "Nicht das Ende der Geschichte ist herangekommen, [...] aber der Ausfall jedes historischen Bewußtseins absehbar; er bringt das Denken nicht um das beste, nur um alles." 81 Das Ansinnen, sich einer Menschheit vor Erfindung von Internet, Handy, Chat, Twitter und I—Pod zugehörig fühlen zu sollen, erscheint heute schon vielfach als Morosität und Ressentiment einer Zukunft gegenüber, von der die missgünstigen Mahner sich ausgeschlossen wissen. Die eingangs erwähnte Schwelle zu einem neuen Jahrhundert/Jahrtausend scheint parallel zur Evokation von Endzeitvisionen — — Verheißungen einer "schönen, neuen Welt" zu befördern, wie sie Michio Kaku, Professor für Theoretische Physik verspricht: Heute gleichen wir wieder Kindern, die am Strand entlanglaufen. [...] Vor uns liegt ein neues Meer, das Meer der unendlichen wissenschaftlichen Möglichkeiten und Anwendungen, die uns in zunehmendem Maße die Fähigkeit verleihen, die Kräfte der Natur nach unseren Wünschen einzusetzen und zu gestalten.82 Der Zukunftsentwurf greift nicht zu kurz, er extrapoliert nicht weniger als den "Weg zur planetaren Zivilisation"83 : "Über das wunderbare Phänomen, das man Intelligenz nennt, konnte man früher nur staunen; in Zukunft werden wir in der Lage sein, es nach unseren Wünschen zu manipulieren."84 Einzig die Sorge, dass der ansonsten gewissen Entwicklung "eine Naturkatastrophe, ein Krieg oder ein Zusammenbruch der Umwelt dazwischenkommt"85 , verschattet noch die glänzende Aussicht. Erfüllt von der Berufung, mit Hilfe der Wissenschaft "unsere Bestimmung 81 E bd. 14. 82 Michio Kaku, Zukunftsvisionen. Wie Wissenschaft und Technik des 21. Jahrhunderts unser Leben revolutionieren (München 2000) 16. 83 E bd. 30. 84 E bd. 21. 85 E bd. 425. 25 Vorwort [zu] erfüllen und unseren Platz unter den Sternen ein[zu]nehmen"86 , erscheinen dem Zukunftsweisenden die möglichen Verhinderungsgründe seiner Utopie als Marginalien, schäbige Altlasten einer rasch sich verjüngenden Zeit. Auf dass die Vision nicht zum "Ersatz für den Traum [werde], daß die Menschheit die Welt menschlich einrichte, den die Welt der Menschheit hartnäckig austreibt"87 , müht sich unterdessen noch die Sisyphusarbeit des historischen Denkens, Deutens und Tuns. 86 E bd. 416. 87 A dorno, Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit (Anm. 54) 41. 26 I. Bibliotheken —Verwaltung 1. Andere waren umgekehrt der Meinung, zuallererst müssten die überflüssigen Bücher ausgemerzt werden. Sie brachen in die Sechsecke ein, zeigten nicht immer falsche Beglaubigungsschreiben vor, blätterten verdrossen in einem Band und verdammten ganze Regale. Ihr hygienischer Asketeneifer trägt die Schuld daran, dass Millionen Bücher sinnlos vernichtet wurden. (Jorge Luis Borges, Die Bibliothek von Babel) Jedes Verbot, jede Form der Beschneidung, Zerstörung, Raub oder Plünderung lässt (zumindest als gespenstische Schattenexistenz) eine vernehmbarere, klarere, dauerhaftere Bibliothek des Verbotenen, Geraubten, Zerstörten oder Beschnittenen entstehen. (Alberto Manguel, Die Bibliothek bei Nacht) Museen und Bibliotheken sind Heterotopien, in denen die Zeit nicht aufhört, sich auf den Gipfel ihrer selber zu stapeln und zu drängen [...]. (Michel Foucault, Andere Räume) I. Bibliotheken —Verwaltung I.1. Einpassung der wissenschaftlichen Bibliotheken in das Verwaltungsorganigramm und die indoktrinative Programmatik des Nationalsozialismus Unter dem zeitgeschichtlichen Terminus operandi "NS —Provenienzforschung" ist die bibliothekarische Bestandsprüfung in praxi einesteils mit der Sichtung von Korrespondenzakten, Zugangsverzeichnissen, Akzessionsjournalen und Kassabüchern zum Zweck der Erstellung einer Kontrahentenliste der jeweiligen Institution befasst, um über die Zugangswege und Lieferanten ihrer Anlage nach "bedenkliche" Erwerbungen im Bestand zu markieren, anderenteils mit der Buchautopsie, das heißt, der haptischen Inspektion jeder einzelnen Literaturerwerbung zum Mindesten 27 I. Bibliotheken —Verwaltung 1. innerhalb der Jahresspanne 1938 —1945, auf der Suche nach Besitzeinträgen und Herkunftsspuren, so genannten "Evidenzen", in Gestalt von Amts- oder Namensstempeln, Autogrammen, Zueignungen oder Exlibris. Der konzeptuelle Bestandsaufbau einer Bibliothek ist in nämlichem Maße Ausdruck ihres gesellschaftlichen Auftrages, ihrer fachlichen Ausrichtung und speziellen Funktion im Konnex der für die Verwaltung und Erschließung sämtlicher Wissensbehältnisse zuständigen Einrichtungen, wie item die Modalitäten der Bucherwerbung Ausweis der vertretenen Geschäftspolitik sind. Mit der Verschränkung beider tritt das Profil der Institution zutage. Die Entscheidung darüber, welche Literatur angekauft und seitens welcher Vertriebsstelle bezogen, welcher Kandidat aus dem Kreis der Anbieter als Tauschpartner in Frage kommt oder wessen Schenkung bestandsergänzend angenommen wird, vollzieht sich, wiewohl eingepresst in den zumeist engen Rahmen budgetärer Möglichkeiten und politischer Einflussnahmen, im letzten doch innerhalb eines es noch so schmalen — — und sei freien Entscheidungsraumes der Bibliothek. Daher verlangt eine Bestandsprüfung mit dem Fokus auf mögliche Raubbuchinfiltrate, wie sie die NS—Provenienzforschung betreibt, zuvorderst nach einer organisationsgeschichtlichen Matrix. Andernfalls wird die Feststellung des Vorhandenseins, des Fehlens oder des nicht zu erbringenden Nachweises von moralisch wie rechtlich fremdem Eigentum im Gesamtbestand zur Tautologie, zur bloßen Abbildung eines Ist —Zustandes. Im Zentrum der Untersuchungen der Nachkriegszeit über das formale Funktionieren totalitärer Herrschaft steht der verwaltende Apparat, dessen organigrammatischer Aufbau und machtleitende Durchdringung des politischen Körpers bis ins letzte Amtsstubenglied. Als richtungweisend für sämtliche Analysen zu Wesen und Struktur totalitärer Regime — primär von Nationalsozialismus und Stalinismus — kann man die Arbeit von Hannah Arendt bezeichnen. Historiographie 28 I. Bibliotheken —Verwaltung 1. und Theorie in einem, beschreibt sie die Hypertrophie der k.k. Bürokratie im Nationalsozialismus als Herrschaftstechnik und ermittelt die Multiplikation der Instanzen und Doppelbesetzung der Funktionen, den permanenten Umbau von Hierarchien und die daraus resultierende Verlagerung des Machtzentrums, die absichtsvolle Verhinderung von Durchblick und Sachkenntnis und die willkommene Entbindung aus lästigem Verantwortungsbewusstsein durch die Parzellierung der Entscheidungsräume, die gesamthafte Strukturlosigkeit des Apparates als paradoxe Wesensmerkmale des totalitären Regimes88 . Der polykratische Charakter des NS—Staates spiegelt sich im Aufbau eines jeden Segments der Verwaltung, explizite im Bereich der Bildungspolitik89 . Im Zuge der gesetzlichen Verankerung des weltanschaulichen Monopols der NSDAP90 war gerade die Gleichschaltung des Bildungswesens ein vorrangiges Ziel der nationalsozialistischen Bildungspolitik. Um die ideologische Festigung der unter dem Begriff "Volksgemeinschaft" beschworenen, neuen staatlichen Verfasstheit zu gewährleisten, musste der Einzelne über die schulische Erziehung hinaus geistig unter Kuratel des Staates genommen werden, der im herrisch —usurpatorischen Sprachduktus der nämlichen Programmatik "das Recht auf den ganzen Menschen"91 beanspruchte. Der Gestellungsbefehl zur Indoktrination erging an die 88 H annah Arendt, Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft (München/Zürich 12 2008). Vgl. vor allem Kapitel III/12, 814-867. 89 Vgl. Jan—Pieter Barbian, Die Bibliotheksbürokratie. Politische Kontrolle und Steuerung des wissenschaftlichen Bibliothekswesens durch das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung in den Jahren 1934 bis 1945. In: NS —Raubgut, Reichstauschstelle und Preußische Staatsbibliothek. Vorträge des Berliner Symposiums am 3. und 4. Mai 2007, edd. Hans Erich Bödeker/Gerd —Josef Bötte (München 2008) 11-33, hier 12 ff. 90 Vgl. "Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat" vom 1.12.1933, RGBl. 1933 I, 1016. Abgedr. in: Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus. Ausgewählte Schriften, Gesetze und Gerichtsentscheidungen von 1933 bis 1945, edd. Martin Hirsch/Dietmut Majer/Jürgen Meinck (Köln 1984) 284-285. 91 A lfred Rosenberg, Blut und Ehre 2: Gestaltung der Idee. Reden und Aufsätze von 1933 —1935 (München 7 1938) 182. 29 I. Bibliotheken —Verwaltung 1. Kultureinrichtungen bereits in der Regierungserklärung Adolf Hitlers vom 23. März 1933: Unser gesamtes Erziehungswesen Rundfunk — — das Theater, der Film, Literatur, Presse, sie werden als Mittel zu diesem Zwecke angesehen und dem- gemäß gewürdigt. Sie haben alle der Erhaltung der im Wesen unseres Volkstums liegenden Ewigkeitswerte zu dienen; [...].92 Den theoretischen Anspruch auf monolithische Geschlossenheit des Führerkorps — — vielbeschworen im Bild der "marschierenden Kolonne" 93 unterlaufend, "wurde in der nationalsozialistischen bildungspolitischen Praxis jedoch ein Neben- und Gegeneinander von staatlichen Behörden und Parteistellen sowie Parteisonderbeauftragten deutlich, dem eine verwirrende Aufteilung bzw. Doppelung von Zuständigkeiten zu Grunde lag, [...]. Eine tatsächliche Einheitlichkeit des Bildungswesens war also kaum vorhanden."94 Als zentrales Organ der Durchführung und Verwaltung der Gleichschaltung wurde am 1. Mai 1934 per Erlass ein alle Bildungsbereiche umfassendes Ministerium eingerichtet, das "Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung"95, dessen Funktionsbestimmung vetoresistent dem Reichskanzler persönlich oblag und am 11. Mai 1934 seine Festschreibung erfuhr96 . Mit der Leitung des neuen Ressorts wurde der preußische Kultusminister Bernhard Rust betraut, der nunmehr zwei 92 Regierungserklärung Adolf Hitlers vor dem Reichstag vom 23.3.1933. Teilw. abgedr. in: Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus (Anm. 90) 96. 93 Rosenberg, Blut und Ehre 2: Gestaltung der Idee (Anm. 91) 303. 94 Deutsche Verwaltungsgeschichte 4: Das Reich als Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus, edd. Kurt G. A. Jeserich/Hans Pohl/Georg —Christoph von Unruh (Stuttgart 1985) 967. 95 "Erlaß über die Errichtung des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung" vom 1.5.1934. RGBl. 1934 I, 365. Vgl. Otto Graf zu Rantzau, Das Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (= Schriften der Hochschule für Politik 2: Der organisatorische Aufbau des Reiches 38, Berlin 1939) 5. 96 " Erlaß über die Aufgaben des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung" vom 11.5.1934. RGBl. 1934 I, 375. Ebd. 5. 30 I. Bibliotheken —Verwaltung 1. Ministerien in Personalunion innehatte: "Beide Behörden arbeiteten unter Rust in Realunion, [...] die sich in der Namenserweiterung des Ministeriums zu »Reichs- und Preußisches Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung« am 20. Dezember 1934 ausdrückte."97 Die ad mandatum Hitlers begründete Institution schnitt tief in den Kompetenzbereich zweier anderer Staatsstellen. Zum einen in jenen des Reichsinnenministeriums unter Wilhelm Frick, welches mit dem lapidaren Wortlaut der Verfügung ohne viel Federlesens um die Bereiche Wissenschaft, Erziehung und Unterricht, Jugendverbände sowie Erwachsenenbildung kupiert wurde: "Auf den bezeichneten Gebieten ist der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung für alle Aufgaben einschließlich der Gesetzgebung federführend."98 Das kontrollverfeinernde Panopticon99 war als Ressorthexaeder konzipiert, gebildet aus dem Zentralamt, Ministeramt, Amt für Erziehung, Amt für körperliche Erziehung, Amt für Volksbildung und Amt für Wissenschaft. In den Zuständigkeitsbereich des Letztgenannten fielen die politische Kontrolle und Steuerung des gesamten wissenschaftlichen Büchereiwesens100 . 97 D eutsche Verwaltungsgeschichte 4: Das Reich als Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus (Anm. 94) 969. 98 " Erlaß über die Aufgaben des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung" vom 11.5.1934. RGBl. 1934 I, 375. Vgl. Rantzau, Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (Anm. 95) [5]-48. 99 Das Panopticon ist ein auf den französischen Philosophen und Begründer des klassischen Utilitarismus Jeremy Bentham (1748—1832) zurückgehendes Konzept zum Bau von Einrichtungen, die eine hohen Disziplinierungsdruck auf die Internierten ausüben, wie Gefängnisse, Erziehungsanstalten aber auch Fabriken. Den architektonischen wie psychologischen Mittelpunkt der Konstruktion bildet ein Beobachtungsturm, dessen Funktion darin besteht, durch die Erzeugung eines permanenten Überwachungsdrucks regelkonformes Verhalten zu erzwingen. Für den französischen Philosophen Michel Foucault (1926—1984) ist das Panopticon das wesentliche Ordnungsprinzip westlich —liberaler Gesellschaften. Jeremy Bentham, Panopticon or The Inspection— House. Containing the idea of a new priciple of construction applicable to penitentiary —houses, prisons, and schools (London 1791). Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses (Frankfurt am Main 1 1976). 100 Vgl. Deutsche Verwaltungsgeschichte 4: Das Reich als Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus (Anm. 94) 970. 31 I. Bibliotheken —Verwaltung 1. Zum anderen sah sich das am 13. März 1933 per Erlass etablierte "Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda"101 unter der Ägide Joseph Goebbels in seinem Anspruch auf die alleinige Kontrolle und Lenkung der deutschen Kulturpolitik im Inland empfindlich in die Parade gefahren. Mit der Übertragung der Oberaufsicht über "alle Aufgaben der geistigen Einwirkung auf die Nation und [über die] Verwaltung aller diesen Zwecken dienenden Einrichtungen" 102 hatte Hitler per Erlass vom 30. Juni 1933 dem Propagandaministerium einen ähnlich umfassenden Geltungsbereich zugewiesen wie vice versa dem Bildungsministerium, was als Ausdruck seiner Affinität für pugilistische Machtregulierungen gewertet werden kann, wonach "die Entscheidung ohne Rücksicht auf die Rechtslage zugunsten des Stärkeren zu fällen [ist], also des Mannes mit den kräftigeren Ellenbogen und den dickeren Gewissensschwielen."103 In Anbetracht dieser heiklen Atmosphäre aus "Überorganisation und Überhitzung"104 erscheint die Folgerung zwingend, dass "niemals in der deutschen Geschichte [...] der »Parteihader« heftiger, der gegenseitige Haß der Verantwortlichen größer, die charakterliche und materielle Korruption verbreiteter [waren], als zur Zeit der Regierung Hitlers."105 Der Danziger Senatspräsident Hermann Rauschning unterstreicht in den Gedächtnisprotokollen seiner mit Hitler geführten Gespräche das Moment der Steuerung hinter den herrschenden Zuständen: "Es ist keineswegs so, daß er [Hitler] sie nur duldete und daß ihm hier 101 "Erlaß über die Errichtung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda" vom 13.3.1933. RGBl 1933 I, 104. Abgedr. in: Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus (Anm. 87) 225. 102 "Verordnung über die Aufgaben des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda" vom 30.6.1933. RGBl 1933 I, 449. Abgedr. ebd. 226. 103 Albert Krebs, Tendenzen und Gestalten der NSDAP. Erinnerungen an die Frühzeit der Partei (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 6, Stuttgart 2 1960) 66. 104 Georg Thomas, Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft (1918 — 1943/45), ed. Wolfgang Birkenfeld (= Schriften des Bundesarchivs 14, Boppard am Rhein 1966) 32. 105 Reinhard Bollmus, Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem (München 2 2006) 239. 32 I. Bibliotheken —Verwaltung 1. etwas über den Kopf wuchs."106 Die "absichtliche, gelenkte Korruption"107 ist Teil der politischen Machtstrategie divide et impera: "Jeder war in der Hand von jedem. Und keiner war mehr Herr seiner selbst. Das war das erwünschte Ergebnis [...]."108 Das Propagandaministerium war seinem Aufbau nach eine vielköpfige Hydra. Die basale Gliederung in sieben Abteilungen erfuhr durch die Einbeziehung immer neuer Aufgabengebiete ein schier metastasierendes Wachstum bis zur maximalen Anzahl von siebzehn Abteilungen im Jahr 1943109 . In diesem panoptischen Komplex war die 1934 ins Leben gerufene Abteilung VIII: "Schrifttum" die "maßgebende, staatliche Zensur-, Überwachungs- und Kontrollbehörde. Sie entschied über Buchverbote, Indizierungen oder Beschlagnahmungen und überwachte das gesamte deutschsprachige Schrifttum im In- und Ausland." 110 Dem Geschäftsverteilungsplan von 1938/1939 zufolge, setzte sich die Schrifttumsabteilung wiederum aus drei Hauptreferaten zu je vier Subreferaten zusammen. Die Bestandspolitik der wissenschaftlichen Bibliotheken wurde durch das Hauptreferat I/Referat 4: "Buchverbotswesen, Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums, Überwachung des Buchmarktes, Verkehr mit allen am Buchverbotswesen beteiligten Stellen"111 unter Kuratel gestellt. Davor oblag diese Aufgabe der Reichsschrifttumskammer, welche ihre kulturpolitischen Aufgaben, wie die anderen sechs Einzelkammern auch, 1938 im Zuge einer organisatorischen Neustrukturierung gemäß der "Verfügung über die künftige Behandlung der Reichskulturkammersachen" an die zuständigen Stellen des Reichsministeriums 106 Hermann Rauschning, Gespräche mit Hitler (Zürich 1940) 91. 107 Ebd. 92. 108 Ebd. 92. 109 Vgl. Jan —Pieter Barbian, Literaturpolitik im "Dritten Reich". Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder (Frankfurt am Main 1993) 66 ff. 110 Christine Koch, Das Bibliothekswesen im Nationalsozialismus. Eine Forschungsanalyse (Marburg 2003) 19. 111 Barbian, Literaturpolitik im "Dritten Reich" (Anm. 109) 76. 33 I. Bibliotheken —Verwaltung 1. abgegeben hatte112 . Mit dem "Anschluss" am 13. März 1938 begann unverzüglich die Implementierung der deutschen Verwaltungsordnung in Österreich. Als Relaisstelle der Umstrukturierung fungierte das eigens zu diesem Zweck eingerichtete "Reichskommissariat", dessen Aufgabe darin bestand, die nach dem Machtwechsel entstandene Behördenschwemme und die damit verbundenen Zuständigkeitsreklamationen zu kanalisieren, um ein Verwaltungsvakuum tunlichst zu vermeiden. Jenseits der Erfüllung dieser Prämisse war ein kombattantes Moment der Kompetenzregulierung aber auch hier durchaus im Sinne Hitlers: Er praktizierte — vermutlich unreflektiert — so etwas wie einen »Ämter — Darwinismus«, das heißt, er handelte etwa aus der Empfindung heraus, daß die »bessere« und »stärkere« Dienststelle sich im allgemeinen »Lebenskampf« von selbst durchsetzen werde.113 Dem widerspricht — wie bereits zitiert — die aus unmittelbarer Erfahrung extrahierte Einschätzung Hermann Rauschnings, wonach die Beförderung konfliktiver, odiöser Konstellationen vonseiten Hitlers mitnichten ein durch Intuition gesteuertes Vorgehen gewesen war, sondern vielmehr planvolle Absicht und machtakkumulierende Berechnung. Sukzessive wurde die geltende politisch—kantonale Gliederung in Bundesländer aufgelöst und parallel dazu das System der Gaue als reichsunmittelbare Instanzen aufgebaut, was mutatis mutandis aus den Landesregierungen Reichsstatthaltereien machte. Mit Inkraftsetzung des neuen "Ostmarkgesetzes" am 1. Mai 1939 fielen die überleitend beibehaltenen Ministerien nach erfolgreicher Selbstliquidierung weg114. Wenn man sich vor Augen hält, dass "allein in den ersten fünf Monaten nach dem Anschluß [...] die neuen Bestimmungen 1442 Seiten öster112 Vgl. ebd. 76. 113 Bollmus, Das Amt Rosenberg und seine Gegner (Anm. 105) 245. 114 Vgl. zu diesem Abschnitt Hermann Hagspiel, Die Ostmark. Österreich im Großdeutschen Reich 1938 bis 1945 (Wien 1995) 128 ff. 34 I. Bibliotheken —Verwaltung 1. reichische Gesetzblätter [umfassten]"115, lässt sich daraus unschwer die Unvermeidbarkeit von Abweichungen in der Auslegung der Erlässe, von Auffassungsunterschieden in Bezug auf die Durchführungsrichtlinien und die Zwangsläufigkeit von Improvisationen in den Umsetzungen schlussfolgern. In seiner Entstehung war das hier skizzierte Behördenorganigramm alles andere als das Ergebnis einer Reißbrettplanung. Die Anstrengung einer organisationsgeschichtlichen Dekomposition und Übersichtserstellung sieht sich einer Kumulation aus Neugründungen, Eingliederungen, Abspaltungen, Auflösungen, Doppelungen und Parallelführungen, die zudem vertikal wie horizontal von Sonderbeauftragten, Parteistellen und Verbänden durchzogen wurden, gegenüber, einem Aufbau, deren Permutabilität durch die ständigen Personalrochaden, Inaugurationen oder Amtsenthebungen zusätzlichen Antrieb erhielt. Der Subbereich des Bildungswesens bot wie die Verwaltung in ihrer Gesamtheit den "Anblick eines Förderturms, in dem alle Räder frei rotierten, ohne die Transmissionen zu treiben, mit denen der Diktator die Geschichte bewegen wollte." 116 Die sich daraus unvermeidlich ergebenden Konfusionen, Reibungen und Rivalitäten führten aber aller Logik zum Trotz nicht zu einer Implosion des Systems, nicht im Ganzen und nicht in seinen Teilbereichen, sondern stärkten widersinnigerweise dessen Resistenz gegen Opposition oder Sabotage: Machtkämpfe auf der unteren Ebene verhindern am besten die Bildung einer gemeinsamen und geschlossenen Opposition gegen die Zentralleitung. Sie sind daher eher nützlich als schädlich und sollten sich selbst überlassen, in gewissen Fällen sogar heimlich gefördert werden.117 Zudem bot die Überorganisation eine "sonst nirgends vorzufindende absolute Gewißheit, daß alle Befehle irgendwie immer ausgeführ t 115 Ebd. 129. 116 Alfred Andersch, Die Kirschen der Freiheit. Ein Bericht (Zürich 1971) 47. 117 Krebs, Tendenzen und Gestalten der NSDAP (Anm. 103) 66. 35 I. Bibliotheken —Verwaltung 1. werden."118 Aus der ständigen Notwendigkeit, Interessensgegensätze auszutarieren, "administrative Pleiten zu vermeiden und eine hohe Praktikabilität der nach oft ideologisierten Vorgaben beschlossenen Maßnahmen [zu] erreichen"119 , erwuchs ein "mörderische[s] Gemisch aus politischem Voluntarismus und funktionaler Rationalität"120 , zusammengefasst in der überwölbenden absoluten Autorität des "Führers und Reichskanzlers". Wenn die "Anarchie der Kompetenzen"121 im nationalsozialistischen Staat auch der persönlichen Autorität Hitlers als supremus arbiter förderlich war, spiegelte sich in ihr doch zugleich "ein Stück seines Versagens als Staatsmann"122 , was den immer noch grassierenden Mythos, "daß er ein an machiavellistischer Genialität durch nichts zu übertreffender Diktator gewesen sei, dem die Welt notwendigerweise erliegen mußte" 123, den exkulpierenden Boden entzieht. Dass es dem Fehlen einer auf lange Sicht planvollen Organisation im Inneren zum Trotz dennoch möglich war, das Regime aufrecht zu erhalten, war der Verschwendung materieller Reserven, der Mitarbeit der überkommenen staatlichen Stellen und ihres versierten Personals, dem rücksichtslosen Terror und der unmäßigen Propaganda geschuldet. Einzig auf dem Gebiet der Kriegsrüstung hat die zögerlich gewonnene Erkenntnis Hitlers, dass es jenseits der energetischen Mobilisierung für die Verwirklichung der Programmatik eines "Rassenstaates" eines einheitlich funktionierenden Apparates bedarf, seit 1941 ihren späten Niederschlag gefunden124 . Die Untersuchungen bezüglich der Rolle einzelner Organisationen im 118 Arendt, Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft (Anm. 88) 849. 119 Götz Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus (Frankfurt am Main 2006) 19. 120 Ebd. 19. 121 Barbian, Literaturpolitik im "Dritten Reich" (Anm. 109) 368. 122 Ebd. 368. 123 Bollmus, Das Amt Rosenberg und seine Gegner (Anm. 105) 250. 124 Vgl. ebd. 249. 36 I. Bibliotheken —Verwaltung 1. Nationalsozialismus und ihres je spezifischen Beitrages zum Funktionieren und Gedeihen des totalitären Regimes zeigen, dass "die Institutionen des Geistes"125 sich unter Ausnutzung der unvermeidbaren blinden Winkel im Verwaltungspanopticon, der kontradiktorischen Überlappungen der Befugnisse, der Leerstellen und Auslegungsräume in den Verordnungen, der Selbstblockaden und Pattsetzungen der kombattierenden Amtsträger, zumindest in Teilbereichen ein gewisses Maß an Selbstbestimmung bewahren konnten. Bezogen auf die wissenschaftlichen Bibliotheken lassen sich solche Enklaven der Insubordination am Beispiel der Bestandspolitik verdeutlichen. Am 4. Februar 1933 wurde seitens des Reichspräsidenten die "Verordnung zum Schutz des deutschen Volkes"126 erlassen. Was sich in der nationalsozialistischen affektgeladenen Semantik als heroische Verteidigungsmaßnahme darstellte, zielte jenseits der rhetorischen Camouflage auf eine drastische Einschränkung der freien Meinungsäußerung. Im §7 der Verordnung wurde die Ermächtigung zur Beschlagnahme und Einziehung von Druckschriften legalisiert, "deren Inhalt geeignet ist, die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu gefährden."127 In der Auslegung des Remotionsparagrafen seitens des Juristen und Leiters der "Bibliothek der Schutzstaffeln auf der Wewelsburg", Hans Peter des Coudres, handelte es sich dabei um eine "Kannvorschrift"128 , wonach die Gewährleistung des in der Regel körperschaftlichen Besitzers, "daß die von ihm aufbewahrte kommunistische oder marxistische Literatur nur zu erlaubten Zwecken, namentlich zu wissenschaftlichen Arbeiten 125 Aly, Hitlers Volksstaat (Anm. 119) 22. 126 "Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen Volkes" vom 4.2.1933. RGBl 1933 I, 35. Teilw. abgedr. in: Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus (Anm. 90) 87-89. 127 Zit.n. ebd. 88. 128 Vgl. Jean —Pierre (alias Hans Peter) des Coudres, Das verbotene Schrifttum und die wissenschaftlichen Bibliotheken. In: Zentralblatt für Bibliothekswesen 52 (1935) 459-471, hier 460. 37 I. Bibliotheken —Verwaltung 1. Verwendung findet"129, eine Konfiskation erübrige. Den wissenschaftlichen Bibliotheken gewährte diese Vorbehaltsklausel einen Freiraum, welcher sich der Überlegung verdankte, dass "eine erfolgreiche wissenschaftliche Bekämpfung [Hervorh. d.d. Verf.] des bolschewistischen, marxistischen und pazifistischen Giftes die Kenntnis des einschlägigen Schrifttums voraussetzt."130 Wiewohl der Sprachduktus des Ministerialentschlusses kein Hehl aus der tendenziösen Absicht macht, in welcher die Literaturrezeption erfolgt, bestätigt er immerhin noch der Form halber die Geltung der Disputation als Austragungsform von Divergenzen. De facto hatte die Propaganda die dem Wort verpflichtete Argumentation übernommen, sofern nicht ohnehin eine "schlagkräftigere Persuasionspraxis" zur Anwendung kam, um den ideologischen Gegner mundtot zu machen. Dem bedingten Literaturfreispruch folgte am 3. April 1935 mit einem Runderlass des Reichserziehungsministeriums zwar die verpflichtende Auflage zur Sekretierung des "gesamten verbotenen Schrifttum[s]"131 , die Sammel- und Archivfunktion der Bibliotheken in der ministeriellen Regelung vom 17. September 1934 blieb aber vorerst unangefochten bestehen: [D]aß die wissenschaftlichen Bibliotheken die Pflicht haben, das Schrifttum ihres Aufgabenkreises mit tunlichster Vollständigkeit zu sammeln und daß hierzu auch die verbotene und sonst unerwünschte Literatur gehöre. Der Minister hat weiter darauf hingewiesen, daß diese Literatur nicht nur zum Zwecke späterer wissenschaftlicher Forschung, sondern auch für behördliche Zwecke bewahrt werden muß.132 Gerade in diesem Zusammenhang ist in der historischen Selbstreflexion 129 Ebd. 460. 130 Ministerialentschluss des bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 5.4.1933. Ebd. 461. 131 Runderlass des Reichserziehungsministeriums vom 3.4.1934. Ebd. 467. 132 Runderlass des Reichserziehungsministeriums vom 17.9.1934. Ebd. 461. 38 I. Bibliotheken —Verwaltung 1. der Bibliotheken immer wieder die Rede von "Ermessensspielräume[n]" 133. Worin haben diese bestanden? Zumindest in der Entscheidung zwischen "Dienst nach Vorschrift" und vorauseilendem Gehorsam, zwischen retardierendem Taktieren und überhastetem Agieren: Einige Universitäten, wie die Friedrich —Wilhelm —Universität Berlin, ließen sich willig die neuen Gesetze auferlegen. Andere Institutionen bemühten sich, nach außen den Schein der Mitarbeit zu erwecken. [...] Die Universitätsbibliothek von Jena ging in ihrem Eifer damals allerdings so weit, daß sie 30.000 verbotene Bände ihres eigenen Buchbesitzes selbst vernichten ließ.134 Ein Akt partieller Selbstbestimmung lag allenthalben auch in der Entscheidung, Neuerwerbungen lediglich noch im ideologiekonformen Rahmen zu tätigen oder parallel dazu die Sammlung indizierter inländischer und — so weit zensurbedingt überhaupt möglich — ausländischer Literatur im Sinne eines "geistigen Artenschutzes" fortzuführen. Für die meisten Bibliotheken war aber die Anschaffung von NS —Literatur in breitem Rahmen eine keiner Aufforderung seitens staatlicher Stellen bedürfende Selbstverständlichkeit. Noch die finanzschwächsten Einrichtungen gaben bereitwillig "ihre letzte Mark für dieses Schrifttum aus"135 , eine Feststellung, für welche auch die Bestandspolitik der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt als Beleg herangezogen werden kann, wie die Überprüfung der Neuzugänge der Jahre 1938—1945 zeigt. Das schmale Budget wurde nahezu eins —zu —eins in Erwerbungen aus dem Bereich des nationalsozialistischen Literaturkanons investiert. Eine Proskynese, welche gleichenteils der Pflichtauffassung, der Furcht vor 133 Ingo Toussaint, Geist und Ungeist. Universitätsbibliotheken unter dem Hakenkreuz. In: Die Universitätsbibliotheken Heidelberg, Jena und Köln unter dem Nationalsozialismus, ed. Ders. (= Beiträge zur Bibliothekstheorie und Geschichte 2, München u.a. 1989) 329-340, hier 337. 134 Peter M. Manasse, Verschleppte Archive und Bibliotheken. Die Tätigkeit des Einsatzstabes Rosenberg während des Zweiten Weltkrieges (St. Ingbert 1997) 38. 135 Koch, Das Bibliothekswesen im Nationalsozialismus (Anm. 110) 75. 39 I. Bibliotheken —Verwaltung 1. landesbehördlichen Schikanen und vor Denunzianten aus dem Benutzerkreis der Landeslehrerbibliothek geschuldet gewesen sein dürfte, war doch insonderheit der Schulbereich ein Tummelplatz der Eiferer brauner Couleur136 . Am 5. Februar 1940 kam der amtierende Bibliotheksdirektor Schmid einer Aufforderung der Landeshauptmannschaft Kärnten nach, "Nachweis über Zweck und Bestände der Studienbibliothek" zu erbringen. Bezüglich der Erwerbungspolitik lautete der Rapport: "Seit dem Umbruch hat die Studienbibliothek auch alle wichtige nationalpolitische Literatur angeschafft, sowie reiche Bestände an Werken über Vererbung, Rassenfrage, Judenfrage usw."137 Andererseits gelangten just unter Berufung auf den "Sammelauftrag" getätigte Erwerbungen aus dem Bereich "Jüdische Weltliteratur" häufig als Raubgut aus jüdischem Bibliotheks- und Privateigentum in den Bestand. Bereits ab 1933 stellten beschlagnahmte Bücher eine Kompensation für die durch Sekretierung und Zensur ausgedünnten Bestände dar, nach Kriegsausbruch zudem erweitert um Sammlungen aus den besetzten Ländern. Diese Kontingente wurden den Kultusministerien der Länder oder den wissenschaftlichen Bibliotheken teils direkt seitens der Gestapo als dem beschlagnahmenden Organ angeboten, teils durch die Vermittlung eigens eingerichteter Distributionsstellen zugewiesen (wie in Abschnitt II.3.1. der Arbeit ausführlich behandelt). Hier kam wiederum das Verhalten der einzelnen Bibliotheken am "Raubgutbuffet" zwischen Vorazität und Enthaltsamkeit zum Tragen. 136 "[D]er Nationalsozialismus hatte gerade dem Unterrichtswesen große Aufmerksamkeit geschenkt, und hier vor allem den Pflichtschulen (Volks- und Hauptschulen). Die Volksschullehrer waren besonders auf dem Land für den Aufbau der Partei wichtig gewesen, weil sie in kleineren Orten — neben Bürgermeister und Pfarrer — die intellektuellen Kapazitäten darstellten. Im Bereich der Volksschulen soll der Nationalsozialismus im Deutschen Reich daher einen Organisationsgrad von 80 Prozent erreicht haben." Dieter Stiefel, Entnazifizierung in Österreich (Wien 1981) 162. 137 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Landeshauptmannschaft Kärnten: "Nachweis über Zweck und Bestände der Studienbibliothek in Klagenfurt" vom 5.2.1940. UAK, Kt. 363, Fasz. 1940. 40 I. Bibliotheken —Verwaltung 1. Ein erweiterter Handlungsrahmen bestand auch in der je beflissenen oder aber — unter Berufung auf flagrante Informationsmängel — re- tardierenden Zernierung der verbotenen und unerwünschten Bücher und Zeitschriften vom übrigen Bestand. Die 1936 nach dem Stand vom Oktober 1935 von der Reichsschrifttumskammer herausgegebene "Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums"138 erwies sich rasch als "völlig fehler- und lückenhaftes Instrument"139 und wurde daher nach zweimaliger Überarbeitung im April 1937 vorerst wieder aus dem Verkehr gezogen, um nach dem Stand vom 31. Dezember 1938 in einer revidierten Fassung erneut im Umlauf gebracht zu werden 140. Bis 1942 wurde der Staatsindex als "Jahresliste" geführt, wobei die annuelle Ergänzung im Prinzip nichts an dem Umstand änderte, dass "weiterhin Unklarheiten über den Umfang der zu sekretierenden Literaturbestände, vor allem hinsichtlich der jüdischen Autoren [bestanden]."141 Versuche, diese auszuräumen, wurden zwar unternommen — etwa mit der Erstellung eines siebenteiligen Verzeichnisses jüdischer Autoren durch Alfred Rosenbergs Amt "Schrifttumspflege" oder mit der Edierung von Benutzungsrichtlinien für interdizierte Literatur durch den "Reichsbeirat für Bibliotheksangelegenheiten"142 —, blieben jedoch in Ansätzen stecken, sodass letztlich die Umsetzung appellativ der Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Bibliotheken überantwortet wurde. Auch im Falle der Willfährigkeit stellte eine Remotion in Zeiten der mit Maschine geschriebenen 138 Vertrauliches Rundschreiben des Reichserziehungsministeriums an die Unterrichtsverwaltungen der Länder vom 23.3.1936. Zit.n. Barbian, Literaturpolitik im "Dritten Reich" (Anm. 109) 341. 139 Mitteilung des Reichserziehungsministeriums an den Thüringischen Minister für Volksbildung vom 9.4.1937. Zit.n. ebd. 341. 140 Vgl. Dietrich Strothmann, Nationalsozialistische Literaturpolitik. Ein Beitrag zur Publizistik im Dritten Reich (= Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft 13, Bonn 4 1985) 218. 141 Hans—Gerd Happel, Das wissenschaftliche Bibliothekswesen im Nationalsozialismus. Unter besonderer Berücksichtigung der Universitätsbibliotheken (= Beiträge zur Bibliothekstheorie und Bibliotheksgeschichte 1, München u.a. 1989) 90. 142 Vgl. ebd. 90. 41 I. Bibliotheken —Verwaltung 1. Zettelkataloge einen personell und logistisch nicht so ohne weiteres zu bewerkstelligenden Aufwand dar. Desgleichen eröffnete sich den Bibliotheken in der Auslegung der geltenden Benutzungsbestimmungen ein souveräner Entscheidungsraum. Die Benutzung indexierter Literatur war an die Auflage der Erbringung des Nachweises gebunden, dass die Einsichtnahme im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit erfolgte. Es lag im Befinden der Bibliotheksleitung, sich mit der "Glaubhaftmachung eines wissenschaftlichen Zweckes"143 seitens des Antragstellers zufrieden zu geben, oder darüber hinaus zusätzliche "schriftliche Zeugnisse von Universitätsdozenten u.U. mit Angaben des zu bearbeitenden Themas"144 einzufordern oder im Falle politischer Themen "eine Bescheinigung einer höheren Parteistelle oder Staatsbehörde"145 zu verlangen. Das Vorhandensein solcher Resistenzräume und Subordinationsenklaven ist durch Einzelbeispiele belegt146 . Die sich ihrer bedienten, bildeten allerdings die Minderzahl gegenüber dem Gros der Willfährigen: [D]as Verwaltungsgefüge des wissenschaftlichen Bibliothekswesens [konnte] auf einen Personalstab blicken, der zur Mitarbeit und Ausführung bereit war, [...] und sich damit weitgehend reibungslos gegenüber der Normativität der bestehenden Institutionen integrierend unterordnete.147 Dass die wissenschaftlichen Bibliotheken heute nicht umhinkönnen, sich aufgrund der Ergebnisse einer historischen Inspektion in die Reihe der Mittäter, Nutznießer und Multiplikatoren des NS—Staates einzuordnen, ist weder mit dem exkulpierenden Hinweis auf Befehlsketten und Repressionen abgegolten, noch mit dem Verweis auf das "sozialpsychologische 143 Des Coudres, Das verbotene Schrifttum und die wissenschaftlichen Bibliotheken (Anm. 128) 467. 144 Ebd. 467. 145 Ebd. 467. 146 Vgl. Happel, Das wissenschaftliche Bibliothekswesen im Nationalsozialismus (Anm. 141) 65 und 80. 147 Ebd. 65. 42 I. Bibliotheken —Verwaltung 1. Phänomen des Konformismus" 148 erklärt: In den bestehenden, erst recht in den neu geschaffenen Institutionen setzte er [der Nationalsozialismus] Initiativen frei. Er löste die Starre herkömmlicher Hierarchien. Wo vorher Dienst nach Vorschrift geschoben wurde, erwachte Arbeitsfreude, nicht selten vorauseilendes Mitdenken.149 Die "Übernahme politischer Sonderaufgaben in die alltägliche Arbeit der wissenschaftlichen Bibliotheken"150 entsprang demnach keineswegs nur dem legitimatorischen und mithin existenzsichernden Erfordernis, in einem grundsätzlich antiintellektuellen Klima ein den wissenschaftlichen Bibliotheken und Universitäten im ganzen oft entgegengebrachtes Misstrauen zu zerstreuen. Karrierechancen, Chauvinismus, komplexitätsreduzierende, exkulpierende und triebentgrenzende Lockangebote machten "Fachleute jeder Art zu sehr verschiedenen, verschiedenartig nützlichen Werkzeugen der NS —Herrschaft". 151 148 Toussaint, Geist und Ungeist (Anm. 133) 338. 149 Aly, Hitlers Volksstaat (Anm. 119) 22. 150 Barbian, Die Bibliotheksbürokratie (Anm. 89) 31. 151 Aly, Hitlers Volksstaat (Anm. 119) 22. 43 I. Bibliotheken —Verwaltung 2. I.2. Die institutionsgeschichtliche Entwicklung der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt zur prädestinierten Anwärterin für Zuteilungen aus dem nationalsozialistischen Raubguthort Mit seiner Rede zur Eröffnung des Klagenfurter Ingeborg—Bachmann — Wettbewerbs im Juni 2009 war es dem Autor Josef Winkler tatsächlich — wenn auch nur kurzzeitig — gelungen, die verdickte Gemütssuppe einer einesteils im Einverständnis mit der Landespolitik, andernteils im Verzagen an selbiger erstarrten Bevölkerung zum mindesten an der Oberfläche in Bewegung zu versetzen. "Geistesdefraudation" lautete die Anklage und zornig wies der Wortfinger auf den metaphorischen Ort der Bildung, hier eine Leerstelle, die fehlende Bibliothek: Aber für eine Stadtbibliothek in der Landeshauptstadt, wie es sie in jeder Stadt Mitteleuropas gibt, hatten diese drei erwähnten Politiker in den letzten Jahren [...] kein Geld. Sie haben kein Geld für eine Bibliothek für Kinder und Jugendliche. Sie haben kein Geld für Bücher. 152 In Zeiten von Internet und Hypertext, der Transformation von Wissen zu Information, der Entgrenzung des Buches zum Textfluss, ist es eigentlich schon ein Anachronismus, dass "Die Bibliothek" doch immer noch als schlechthinnige Metapher von Kultur gehandelt wird: "Noch heute bemisst sich das intellektuelle Ansehen eines Landes nach seinen Beständen an Bibliotheken, deren Besucherzahl sowie deren Organisation und elektronischer Ausrüstung."153 Zu kurz griff die furiose Rede Winklers einzig in der Zeitspanne, denn die Diskrepanz zwischen der Mythisierung alles Geistigen und dessen Wertschätzung im Spiegel realpolitischer Maßnahmen erwies sich nicht erst "in den letzten Jahren"154 als eklatant. So lautete der Bildungsauftrag 152 Josef Winkler, Der Katzensilberkranz in der Henselstraße. Klagenfurter Rede zur Literatur (Suhrkamp 2009) 25-26. 153 Guillaume de Laubier/Jaques Bosser, Die schönsten Bibliotheken der Welt (München 2003) 10. 154 Winkler, Der Katzensilberkranz in der Henselstraße (Anm. 152) 26. 44 I. Bibliotheken —Verwaltung 2. der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt geschichte zu bleiben — — um im Rahmen der Lokal- im Gründungsjahr 1775: "[Z]ur Aufnahme der Wissenschaften, zum Wohle der studierenden Jugend, zum Nutzen des ganzen Publici und zur Zierde des Landes." 155 Ein hoher Anspruch, dessen Scheitern insofern vorgezeichnet schien, als "diese Grundkonzeption nicht auf echte Bedürfnisse zugeschnitten gewesen, sondern eine rein bürokratische Konstruktion oder eine Verlegenheitslösung [war]."156 So beklagte bereits um die Jahrhundertwende deren damaliger Direktor Max Ortner den Zustand der Studienbibliothek als einen der "Armuth, Dürftigkeit, Unzulänglichkeit, Schiefheit"157 . Die sechs Studienbibliotheken der k.k. Monarchie Salzburg, Görz, Laibach und Olmütz 158 — — Klagenfurt, Linz, waren Glieder einer histori- schen bibliothekarischen Fresskette: Hatten die Jesuiten sich als Marodeure der Gegenreformation am protestantischen Buchbesitz bereichert, widerfuhr ihnen ein Gleiches mit der Aufhebung des Ordens 1773 durch Papst Clemens XIII. Die Vermutung Franz Konrad Webers, die Gründung der Studienbibliotheken sei dem Schamempfinden der Staatsmacht im Zeichen des Josefinismus geschuldet, dem "Bestreben, diese negative Maßnahme zu einem Positivum zu machen"159 , hieße die Absichten nobilitieren, denn wiewohl die Studien —Hofkommission darauf Bedacht nahm, "alles ihr wertvoll Scheinende dem Staate [zu] erhalten"160 , kollidierte dieser kameralistisch—merkantile Vorsatz mit der hochmütigen Verachtung aller klösterlichen und geistlichen Literatur, wie sie aus der Anweisung ihres Präsidenten van Swieten spricht: "Der ganze Wust 155 Benndorf, Die öffentliche Studienbibliothek (Anm. 4) 223. 156 Weber, Die österreichischen Studienbibliotheken (Anm. 6) 29-30. 157 Max Ortner, Unsere Studienbibliotheken. Vortrag gehalten am 8. Mai 1897 im österreichischen Verein für Bibliothekswesen. In: Mitteilungen des österreichischen Vereines für Bibliothekswesen 1,1 (1897) 7-11, hier 7. Fortsetzung 1,2/3 (1897) 1-27. 158 Vgl. Hofinger, Die öffentlichen Studienbibliotheken Österreichs (Anm. 5) 415. 159 Weber, Die österreichischen Studienbibliotheken (Anm. 6) 29. 160 Hofinger, Die öffentlichen Studienbibliotheken Österreichs (Anm. 5) 416. 45 I. Bibliotheken —Verwaltung 2. unbrauchbarer Gebets- und Andachtsbücher, Legenden und übriger theologischer Ungereimtheiten ist ohne weiteres in die Stampfe zu geben."161 Die staatliche Anteilnahme hatte sich mit der Gründungsbewilligung für die Studienbibliothek auch schon wieder erschöpft. Nach dem salbungsvollen Auftakt sah sich diese fortan in der Rolle einer Bittstellerin um die nötigen Subsistenzmittel. Solcherart nimmt es nicht wunder, dass der idealistische Proviant, zumindest was die "Zierde des Landes" anbelangt, auf dem langen Weg ins Jahr 1931, dem Ausgangspunkt der Untersuchung, längst aufgezehrt worden war. In einem Brief an den Generaldirektor der Nationalbibliothek, Josef schrieb Wolfgang Benndorf: [W]as einen wirklich traurig machen kann, das ist die Geschichte der Klagenfurter Studienbibliothek, die sich wenigstens teilweise in [deren] Zustand spiegelt"162. Büchersaal der Studienbibliothek. Aus: Wolfgang Benndorf, Die öffentliche Studienbibliothek. In: Die Städte Deutschösterreichs 4, ed. Erwin Stein (Berlin 1929) 222. 161 Zit.n. Simon Laschitzer, Die Verordnungen über die Bibliotheken und Archive der aufgehobenen Klöster in Österreich. In: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 2 (1881) 400-440, hier 431. 162 Briefentwurf von Wolfgang Benndorf an den Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vom 2.2.1933. Mit dem handschriftlichen Vermerk: "Nicht abgeschickt! Entwurf zu dem Brief vom 6.II.33". UAK, Kt. 362, Fasz. 1933. 46 I. Bibliotheken —Verwaltung 2. Das Gebäude in der Kaufmanngasse 11, das ehemalige Jesuitenkolleg, worin die Bibliothek seit ihrer Gründung angesiedelt war, bedurfte längst einer umfassenden Sanierung. Im Außenbereich wurde die Liste der seitens der Direktion an die Landeshauptmannschaft gerichteten drängenden und drohenden Finanzierungsgesuche von "unaufschiebbare[n] Dachreparaturen"163 unter Hinweisung darauf angeführt, "dass im Falle der Unterlassung dieser Arbeiten voraussichtlich arge Regenschäden im bevorstehenden Herbst und Winter entstehen würden und dass zu deren Behebung noch weit grössere Summen erforderlich werden dürften."164 Im Innenbereich war eine Instandsetzung der schadhaften elektrischen Leitungen, "welche ohne jeden Schutz an den Holzstellagen und Büchern vorbeiführen, bezw. an denselben anliegen"165, am vordringlichsten, andernfalls "die Gefahr eines Schadensfeuers sehr groß ist und die Verantwortung hiefür von niemandem getragen werden kann."166 Um nichts besser war es indes um die Bibliotheksausstattung bestellt: Verwahrlosung und Beengtheit prägten die Raumsituation: Die Büchermagazine sind nicht nur ihrem Rauminhalte nach unzureichend, sondern auch vielfach finster und in den oberen Bücherreihen nur in unbequemer und gefahrbringender Weise mit Hilfe von Leitern benützbar. Der Lesesaal umfasst nur 10 eng aneinander gedrängte Sitzplätze, von denen die von der Fensterwand weiter abstehenden sehr wenig Tageslicht haben. An Beamtenräumen steht lediglich ein Direktionszimmer zur Verfügung. Eine genauere Schilderung dieser und anderer Übelstände erübrigt sich, da sie der Landeshauptmannschaft Kärnten ohnehin bekannt sind.167 163 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Landeshauptmannschaft Kärnten in Klagenfurt vom 20.9.1934. UAK, Kt. 362, Fasz. 1934. 164 Ebd. 165 Prüfungsbericht der Firma Elektrohaus Fritz Czernowsky an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 29.12.1934. UAK, Kt. 362, Fasz. 1934. 166 Ebd. 167 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Landeshauptmannschaft Kärnten in Klagenfurt vom 29.3.1938. UAK, Kt. 837, Fasz. Raumvermehrung ab 1938. 47 I. Bibliotheken —Verwaltung 2. Der resignative Nachsatz spiegelt die Jahrzehnte fruchtlosen Bemühens, abgewiesener Anträge, in Ergebung verwandelten Eifers. Die gleichmütige Inkaufnahme des sukzessiven Verfalls der historischen Bildungsstätte seitens des staatlichen Trägers musste jeden schmerzen, der einen Sinn dafür hatte, dass "an den Räumen, in denen sie während anderthalb Jahrhunderten groß geworden ist und sich ausgebreitet hat, doch der Reiz ehrwürdigen Alters und teilweise sogar nicht unbeträchtlicher Schönheit [haftet]."168 Vor allem aber setzten die klimatischen Unzukömmlichkeiten der Unterbringung, welche den Nährboden für Schimmelbildung und Ungezieferbefall bildeten, dem Buchbestand in einem irreparablen Ausmaß zu: "Von Feuchtigkeit beschädigt, von Mäusen benagt und von Würmern zerfressen [...], von Einbänden umgeben, die sich bereits in Staub und Moder auflösen, so liegen diese doch nicht unbeträchtlichen Werte da."169 Anders als zu Zeiten der Josephinischen Studien —Hofkommission ließ sich die ferne Bundesbehörde auch durch das Argument einer drohenden Wertminderung nicht dazu bewegen, ihrer Unterhaltsverpflichtung nachzukommen. Doch nicht nur pflanzliche und tierische Schädlinge machten sich über die Rara her, auch vor Biblioklastern waren diese nicht sicher — und das nicht etwa nur seitens der Benutzer. Die desolate Umgebung schlug sich offenbar auch den dort tätigen Biliothekaren verderblich und ehrvergessend aufs Gemüt. In den Zustandsberichten, welche Wolfgang Benndorf als interimistischer Leiter der Bibliothek seinem Vorgesetzten und Mentor regelmäßig zukommen ließ, schilderte er einige seiner Amtsvorgänger als Wüteriche vom Schlag eines Schnippedilderich (Heimito von Doderer, Die Merowinger), die aus Zorn über die zu erduldenden 168 Benndorf, Die öffentliche Studienbibliothek (Anm. 4) 222. 169 Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vom 6.2.1933. UAK, Kt. 362, Fasz. 1933. 48 I. Bibliotheken —Verwaltung 2. Unbilden und "oft auch in sichtlich boshafter Absicht [Bücher] zerrissen und ruiniert" 170 hätten: Zudem habe ich den allerdings bis jetzt noch nicht erweislichen, aber immerhin gegründeten Verdacht, daß es ein Bibliothekar war, der sich einmal durch Ausschneiden eine Sammlung von Initialen angelegt haben dürfte! [...] Ähnlich aufgestellt wurde eine Sammlung »Kunstblätter und Porträte«. [...] Unmöglich ist es nicht, daß sie aus Büchern der Studienbibliothek geschnitten wurden. [...] Ich halte nichts mehr für unmöglich.171 Der Personalmangel — über Zeiträume bestand der Personalstab lediglich aus dem Bibliotheksleiter und einem so genannten Amtswart — verun- möglichte von vornherein einen geordneten Betrieb. Ständige Dotationskürzungen bis hin zum teilweisen Ausbleiben der Überweisungen zeitigten bereits vor der Jahrhundertwende derart untragbare Bedingungen für die Studienbibliothek, dass sich deren damaliger Direktor, Max Ortner, ein nicht weniger streitbarer und unbeugsamer Geist als sein Nachfolger Benndorf, wiederholt dazu veranlasst sah, seiner Empörung über die Missstände, für welche die staatliche Kulturbarbarei die alleinige Verantwortung trug, mit deutlichen Worten öffentlich Ausdruck zu verleihen: Wahrhaft erschütternd wirken seine Schilderungen der inneren und äußeren Verhältnisse der Klagenfurter Studienbibliothek und zugleich so beschämend [...]. Der Hilferuf fand die Zustimmung der Fachgenossen im Inland, bald auch im Deutschen Reich, das Interesse der Öffentlichkeit begann sich zu regen, 1907 interpellierte eine Gruppe von Abgeordneten im oberösterreichischen Landtag den Statthalter wegen der Zustände in der Studienbibliothek — der Bann war gebrochen.172 Allem Anschein nach hatte es aber mit den politischen Absichtserklärungen 170 Ebd. 171 Briefentwurf von Wolfgang Benndorf an den Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vom 2.2.1933. Mit dem handschriftlichen Vermerk: "Nicht abgeschickt! Entwurf zu dem Brief vom 6.II.33". UAK, Kt. 362, Fasz. 1933. 172 Hofinger, Die öffentlichen Studienbibliotheken Österreichs (Anm. 5) 421. 49 I. Bibliotheken —Verwaltung 2. sein Bewenden, deren Realisierung durch "die ganze Ungunst der Kriegs- und Nachkriegszeit für alle österreichischen Institute mit wissenschaftlichen und geistigen Zwecken" vereitelt wurde: "Die Geldmittel, die der besiegte und verarmte Staat seinen Bildungsanstalten zur Verfügung stellen konnte, waren auf einen geringen Bruchteil der schon in Vorkriegszeiten gewiß nicht sehr reichlichen Dotationen herabgesunken."173 Mit jedem Jahrzehnt fiel der Bestand der Studienbibliothek weiter ab vom Literaturbedarf aktueller wissenschaftlicher Forschung, in welchem Maße sich auch das Publikum reduzierte, "weil es wußte, daß man das Gesuchte dort kaum finden könne."174 Um das Bedarfs- und Aktualitätsdefizit auszugleichen, war die Studienbibliothek auf Betreiben Max Ortners im Jahr 1900 um einen Sonderbestand erweitert worden. Die seitens des Landes finanzierte Landeslehrerbibliothek sollte zum einen die Grundversorgung der Kärntner Lehrerschaftund der Lehramtskandidatinnen mit Fachliteratur leisten, zum anderen mag die institutionelle Koexistenz unter einem gemeinsamen Dach auch der strategischen Überlegung ihres findigen Initiators zu verdanken gewesen sein, auf diese Weise das Land zum Mindesten hinsichtlich der Gebäudesanierung doch in die Pflicht nehmen zu können. Dieses Kalkül ging indes nicht auf, vielmehr sah sich die jeweilige Bibliotheksleitung in Hinkunft vor die Aufgabe gestellt, gleich an zwei Fronten gegen die ökonomische Vastation anzukämpfen. Die Landesregierung erwies sich den Allokationsforderungen gegenüber um nichts ansprechbarer als die Bundesbehörden, wie aus einem der Berichte Wolfgang Benndorfs an die Direktion der Nationalbibliothek bildhaft hervorgeht: "Wenn man bei der Landesregierung telephonisch anfrägt, wann man Geld angewiesen erhält, bekommt man manchmal die lakonische Antwort: »Geld wird angewiesen, sobald eines vorhanden ist«."175 173 Benndorf, Die öffentliche Studienbibliothek (Anm. 4) 229. 174 Weber, Die österreichischen Studienbibliotheken (Anm. 6) 35. 175 Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vom 22.2.1932. UAK, Kt. 362, Fasz. 1932. 50 I. Bibliotheken —Verwaltung 2. In ökonomischer Hinsicht unterschied sich die Lage der Studienbibliotheken nicht grundsätzlich von jener der Universitätsbibliotheken. In seiner Inaugurationsrede zeichnete Hans Benndorf, der Vater von Wolfgang Benndorf, als Rektor der Karl —Franzens —Universität Graz ein düsteres Bild von der Situation der Universitäten wie der inkorporierten Bibliotheken: So erfreulich dieser Blick in die besonnte Vergangenheit war, so trüb um nicht zu sagen trostlos ist er in die Zukunft unserer Universitäten, die im dichten Nebel zu liegen scheint. Seit dem Kriege befindet sich unser wissenschaftliches Rüstzeug im Zustande eines erschreckenden Verfalles. Ich meine damit in erster Linie unsere Bibliotheken, in denen die Zahl der notwendigen Bücher, die fehlen, bald die der vorhandenen übersteigen wird. Neue Bücher können fast nicht mehr gekauft werden, der Bezug wichtiger deutscher Zeitschriften muß eingestellt werden, nicht zu reden von solchen in fremder Sprache.176 Die notorische budgetäre Unterversorgung machte die Bibliotheken zu prädestinierten Anwärtern für eine aufstockende Kontingentierung aus dem staatlichen Konfiskationsdepot. 176 Hans Benndorf, Die Aufgaben der Universität und ihre Bedeutung für Volk und Staat. Rede, gehalten bei der Inauguration als Rector magnificus der Karl—Franzens— Universität Graz am 14. November 1932 (Graz 1932) 15-16. 51 I. Bibliotheken —Verwaltung 3. I.3. Drei Direktionsperioden (1931 —1953) im Spiegel der Korrespondenzakten Auch wenn das Gesamtbild der Institution einem landläufig bekannten Muster folgt, gebildet aus der Verstrebung von Hinnahme, Unterordnung und agiler Beteiligung, zeigen sich im lokalhistorischen Fokus des nationalsozialistischen Bibliotheksbetriebs doch erkenntnisbefördernde Varietäten. Der Untersuchungszeitraum umspannt drei Leitungsperioden: Wolfgang Benndorf (interimistisch 1931 —1933), Theodor Schmid (1933 —1942), Richard Fuchs (1942—1953), deren jede für eine spezifische Verhaltensweise gegenüber den Offerten und Drohungen des nationalsozialistischen Regimes steht, nämlich für Widersetzlichkeit, Botmäßigkeit und behände Beteiligung. Die quellenmäßige Grundlage der Darstellung bildet der Schriftverkehr der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt, diesfalls der Jahre 1931 bis 1953. Die Überlieferung dieser durchaus umfänglichen Aktei verdankt sich vermutlich dem Umstand, dass dem Entscheidungsdilemma von Aufbewahrung oder Entsorgung, welches sich mit dem Auffinden der jahrzehntelang in den dunklen Untiefen eines Armariums vergessenen Briefschaften anlässlich einer der zahlreichen Umsiedelungs- und Räumungsaktion verantwortungsschwer einstellte, mit dem mittlerweile eingerichteten Universitätsarchiv eine Abhilfe bereitstand. Nicht allein hinsichtlich der Lagerung — das Reponieren der Akten von der Eingangsmappe in den Ordner, vom Aktenschrank im Direktionsbüro ins Depot, legt einen Vergleich mit dem Absinken in immer tiefere geologische Schichten nahe — evoziert das Aktenmaterial eine der archäologischen und kriminologischen Disziplin entlehnte Metaphorik. Gerade weil "der überwältigenden Mehrheit aller schriftlichen Mitteilungen [...] ein ausgeprägtes Crescendo [fehlt]"177, ist es erforderlich, 177 Raul Hilberg, Die Quellen des Holocaust. Entschlüsseln und Interpretieren (Frankfurt am Main 2002) 84. 52 I. Bibliotheken —Verwaltung 3. hinter dem scheinbar Offensichtlichen von Form und Duktus nach verborgenen Aussagen zu suchen, um die Wortquellen zum Sprechen zu bringen. Der große Vorzug des vorliegenden Schriftverkehrs besteht darin, dass die so genannten "Korrespondenzakten" der Bezeichnung insofern vollumfänglich gerecht werden, als aus jeder Direktionsperiode Schreiben erhalten sind, darin der Verfasser jenseits der präkonfigurierten Amtssprache sei es Beschwerde führt, Missstände aufzeigt oder sich an höherer Stelle Gehör zu verschaffen sucht. Ergänzend geben die noch vorhandenen, samt und sonders maschinen- oder handschriftlich abgefassten Briefentwürfe Einblick in die Textgenealogie: Überschreibungen, Unkenntlichmachungen, Auslassungen, Einfügungen und dergleichen mehr bilden einen mitunter aufschlussreichen Subtext. Auch gemeinhin für sprachdürr gehaltene Textsorten nehmen bei genauer Hinsicht "wie unter einem Röntgenschirm ein verändertes Aussehen"178 an, lassen "eine bestimmte Struktur, einen charakteristischen Stil und einen höchst selektiven Inhalt"179 erkennen. Bereits die Form als solche, in welche der schriftliche Behördenaustausch gekleidet ist, gibt Auskunft über die Verfasstheit des gesamten Apparats: Die Standardisierung war geradezu ein Markenzeichen des amtlichen deutschen Schriftverkehrs. Die alten Vorschriften und Praktiken wurden auf die Unterschriften, das Layout, den Geschäftsgang und die Aktenablage angewandt. Dieses System war mehr als nur eine Formalität; es bildete das eigentliche Wesen von allem, was als geregeltes Verfahren angesehen wurde. Die durch und durch verinnerlichte Ordnung wurde bei jedem schriftlichen Vorgang eingehalten.180 Es scheint paradox, doch ebenso wie die fossilisierte Form erweist sich auch das versteinerte Wort per se als beredt, indem die emotionsarme 178 Ebd. 10. 179 Ebd. 11. 180 Ebd. 61. 53 I. Bibliotheken —Verwaltung 3. Sprache auf die Latenz verweist: "Gleichzeitig eignet sich diese bürokratische Gleichgültigkeit dazu, scharfkantige Themen zu glätten."181 Solcherart wird die Leerstelle selbst zur Botschaft: Das Fehlen einer relevanten Tatsache in einer Quelle ist eine Auslassung. Es kann sein, dass der Autor eines Berichts keine Notwendigkeit sah, gerade darüber etwas zu sagen, was das Interesse späterer Forscher geweckt hat. Möglicherweise steckte aber auch eine Absicht hinter dieser Weglassung.182 Für die auf der Grundlage des vorliegenden Aktenmaterials erstellte Geschichte der Institution, geprägt von den Persönlichkeiten derjenigen, welche ihr vorgestanden haben, gilt, dass "[l]etzten Endes die Zuschreibung von Bedeutung bei Quellen, eine Differenzierung zwischen ihnen oder das Einpassen einzelner Teile in ein umfassenderes Gefüge ein Akt der Erkenntnis [ist]."183 181 Ebd. 84. 182 Ebd. 194. 183 Ebd. 230. 54 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1. I.3.1. Wolfgang Benndorf (1931—1933) Eine erste Sichtung des im Universitätsarchiv verwahrten Schriftverkehrs der Öffentlichen Studienbibliothek, welcher den Untersuchungszeitraum 1931 bis 1953 abdeckt, erweist perioden in gleicher Weise geltend — — für jede der drei Direktions- die Untauglichkeit dieser Amts- korrespondenz als Lehrbeispiel einer mustergültigen Geschäftsablage. Allerdings bedurfte es einiger Langmut, um die Forderungen einer teilweise schildbürgerlichen Selbstzweck —Bürokratie zu erfüllen, deren enervierende Zumutungen Wolfgang Benndorf immer wieder in einer Mischung aus Entrüstung und Erheiterung schilderte: Dabei habe ich von der Rechnungsabteilung der Landesregierung und vom Gebührenbemessungsamt manchmal Auskünfte erhalten, die sich kontradiktorisch widersprechen, z.B. was ausländische Rechnungen anlangt. Die Rechnungsabteilung behauptet, jede ausländische Rechnung müsse genauso wie jede inländische den vorgeschriebenen Rechnungs- und Quittungsstempel haben. [...] Wie soll man aber von ausländischen Firmen Stempelgelder eintreiben, zumal wenn man die Rechnung als solche durch eine Bank im Privat-Clearing bezahlen läßt, wo man also gar nicht im Vorhinein genau weiß, wie hoch der Betrag ist. den man zu bezahlen hat und der daher dem Quittungsstempel unterliegt, so daß man den Betrag gar nicht mit Sicherheit abziehen kann.184 Zweifellos waren bürokratische Obstinationen dieser Art mit ein Grund dafür, dass der jeweils Amtsleitende seine Ausdauer und Akribie lieber auf den bibliothekarischen Bereich — wie die diffizile Katalogerstellung — konzentrierte und die leidige Verwaltungsarbeit auf ein Mindestmaß beschränkte. In Anbetracht der Inhalte des vorhandenen Quellenmaterials erscheint jedenfalls der Amtsmüdigkeit geschuldete Nachlässigkeit als Ursache der Lücken in den Geschäftsunterlagen wahrscheinlicher als 184 Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vom 6.2.1933. UAK, Kt. 362, Fasz. 1933. 55 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1. eine nachträgliche, absichtsvolle Sichtung und Vernichtung "belastender" Akten. Das Desinteresse der Nachfolgenden mag ein Weiteres zur schleichenden Aktenausdünnung Verwahrungsortes — — etwa im Zuge eines Wechsels des beigetragen haben. Eine mehr als nur quantitative Abweichung vom Modus procedendi der regulären Amtskorrespondenz stellt die Geschäftsperiode 1931 —1933 dar. Es sind dies jene drei von insgesamt acht Tätigkeitsjahren, welche Wolfgang Benndorf in leitender Funktion an der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt zubrachte. Die in den entsprechenden Mappen enthaltenen Schriftstücke verdienen die Bezeichnung "Korrespondenzakten" in besonderer Weise, handelt es sich dabei doch ausschließlich um Dokumente der Textsorte "Brief", nämlich um den aus insgesamt zwölf erhaltenen Briefen bestehenden Schriftverkehr zwischen dem interimistischen Direktors Benndorf und seinem Vorgesetzten und Mentor, dem Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick. Das vollständige Fehlen sämtlicher den Geschäftsgang üblicherweise abbildenden Unterlagen, wie etwa der Abrechnungen für die Gebäudeverwaltung, Regiekosten, Erhebungen des Brennstoffbedarfs, Buchhandlungs- und Buchbinderrechnungen, Dotationsanträge und dergleichen mehr, die den Verwaltungsalltag der Institution prägen, nimmt sich ungewöhnlich aus. Was dieser Sachverhalt jedenfalls zum Ausdruck bringt, ist das Sträuben, mit welchem Benndorf sich den leidigen buchhalterischen Aufgaben unterwand, deren Penibilität erzwingende Forderungen seinem zu Ungeduld neigenden Charakter lästig und zuwider waren: Infolge der außerordentlichen Verhältnisse hat die Studienbibliothek bereits seit dem Jahre 1930 keinen offiziellen Jahresbericht mehr an das Unterrichtsministerium gelangen lassen. Ich hielt dies formal darum nicht für notwendig, weil ich ja immer mit der bevorstehenden Ernennung eines neuen Direktors gerechnet habe, und meritorisch weil ich über alles Wichtigere in meinem Tun und Lassen ja immer von Zeit zu Zeit an Herrn Generaldirektor 56 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1. persönlich berichtet habe. Ich möchte aber natürlich ja nicht, daß mir die weitere Unterlassung eines Jahresberichtes etwa als Nachlässigkeit ausgelegt werden könnte. [...] Die Jahresabrechnung ist natürlich schon seit Mitte Jänner abgeliefert. Die lästigsten Schwierigkeiten habe ich dabei immer wieder bei den Problemen der Rechnungs- und Quittungsstempel. Ich glaube manchmal, ein gewöhnlicher Sterblicher, der nicht täglich damit zu tun hat, kann diese Vorschriften einfach nicht kapieren und sich merken. [...] Ich habe nachgerade eine wahre Phobie vor allen Stempelproblemen bekommen.185 Die von den profanen Geschäftspapieren gesonderte Verwahrung der Briefe hebt diese auf eine Weise hervor, welche unwillkürlich den Eindruck erweckt, es handele sich um eine bewusste Hinterlassenschaft des nach Graz abberufenen Benndorf, zumal seine Episteln beredt Zeugnis ablegen vom beklagenswerten Zustand der Bibliothek — wie auch von der schwindenden Zuversicht ihres Leiters. 1901 in Wien geboren, war Wolfgang Benndorf bei der Amtsübernahme 30 Jahre alt. Der Tenor seiner Briefe an den Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vermittelt den Eindruck eines nervösen jungen Mannes, dem es entschieden an Abgeklärtheit und langem Atem gebrach, welche indes die Trägheit des bürokratischen Apparates seinen Amtsträgern abverlangte. Für Benndorf, der in Graz, München und Bonn Philosophie und Geschichte studiert hatte, mag der Bibliotheksdienst ein Vernunftargumenten gehorchender Brotberuf gewesen sein, ein Kompromiss, geboren einerseits aus seiner Leidenschaft für die Literatur, andererseits nahegelegt durch die vermittlungsförderliche Tatsache, dass sein Vater, der Physiker Hans Benndorf, zweimal Rektor der Universität Graz gewesen war186 . Seine insgeheim literarischen Ambitionen bekundete Benndorf mit der Veröffentlichung eines schmalen Lyrikbändchens, welches unter dem 185 Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vom 6.2.1933. UAK, Kt. 362, Fasz. 1933. 186 Vgl. Manfred Hirschegger, Geschichte der Universitätsbibliothek Graz 1918—1945 (= Biblos —Schriften 148, Wien 1989) 32 ff. 57 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1. Pseudonym Peter Welf 1933 im Klagenfurter Verlag Leon erschien. Die Gedichte weisen ihn als Epigone der Sturm —und —Drang —Dichtung und der Originalgenie —Bewegung aus, sprachbegabt, doch mit einer ausgeprägten Neigung zu Pathos und Überschwang, bei gleichzeitigem Unwillen zur Überarbeitung. Durchaus selbstironisch formuliert er in einem seiner Poeme mit dem Titel Wortwahl seine literarische Crux: "O Qual der Wortbrunst, die dich überkam, so unerlöst, so schmerzlich myrigam!" 187 Benndorfs eigentliche Begabung lag im Bereich der literarischen Kleinform des politisch —satirischen Essays, des gesellschaftskritischen Feuilletons, somit von Formen, welche er für sich gering schätzte, da sie nicht mit seiner Vorstellung von "hehrer Dichtung" in Einklang standen. Als Leiter der Studienbibliothek sah Benndorf sich mit jedem Jahr mehr auf verlorenem Posten. Bezug nehmend auf ein Schreiben des Generaldirektors der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, zum Jahreswechsel 1932/33, vermochte Benndorf seine schwindende Zuversicht angesichts der Auspizien, unter welchen die Bibliothek in das neue Jahr ging, nicht zu verhehlen: Die darin ausgesprochene Befürchtung, das neue Jahr könnte sich noch schlechter auswirken als das vergangene, hat mich recht erschreckt, da doch die finanzielle Hilflosigkeit, mit der die Bibliotheken ihren wichtigen Aufgaben gegenüberstehen, wahrhaftig schon schlimm genug ist. [...] Voriges Jahr hätten wir 4000 S. bekommen sollen (gegenüber ca. 9000 im Jahr 1929 u. 1930!), haben aber nur 2800 S. erhalten, was natürlich vollkommen trostlos ist. Ich hoffe aber doch, durch immer wieder persönlich vorgebrachte Vorstellungen eine weitere Verschlechterung hintanzuhalten.188 Die notorische Geldnot verunmöglichte jede Investition in die so dringend erforderlichen Maßnahmen zur Bestandserhaltung, was dem Bibliophilen und Konservator besonders zu schaffen machte: 187 Peter Welf, Gedichte (Klagenfurt 1933) 19. 188 Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vom 6.2.1933. UAK, Kt. 362, Fasz. 1933. 58 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1. Wirklich in Besorgnis setzt mich allerdings der Zustand, in dem sich unsere Inkunabeln befinden. [...] Generationenlang hat sich überhaupt kein Mensch um sie gekümmert! Was kann man tun, um sie zu retten und zu konservieren? [...] Was soll man gar ohne Geld machen? An Papierblättern, die ich vor ein paar Jahren eingelegt habe, sehe ich, daß wenigstens in einzelnen Bänden auch jetzt noch Schädlinge hausen. Ich habe vorläufig alle Bände mit Vorsicht ein wenig ausgeklopft, weil die Erschütterung den Tieren sehr lästig sein soll (?).189 Immer wieder fügte Benndorf in die nach Wien gehenden Berichte Schilderungen seiner Alltagserfahrungen mit dem Provinzleben ein, welche über Partien skurrile Züge annahmen, wenn er seiner Verzweiflung darüber, sich in der realen Vorlage der bizarren Welt eines Fritz von Herzmanovsky— Orlando wiederzufinden, mit Ironie zu begegnen suchte: Einen etwas merkwürdigen Konflikt hatte ich hier mit dem Bundes —PolizeiKommissariat. Ich hatte voriges Jahr eine amtliche Eingabe an die Polizei wegen etlicher säumiger Entlehner gemacht. Nach längerer Zeit erhielt ich persönlich in meiner Privatwohnung eine polizeiliche Vorladung zwecks einer Einvernahme, die dann in nichts bestand als in mündlichen Auskünften auf die amtliche Eingabe der Bibliothek. Ich gab sehr höflich meinem Erstaunen über diesen zwischen Ämtern und Behörden doch nicht üblichen Verkehrsmodus Ausdruck, [...] bat jedoch künftige Eingaben amtlich zu erledigen. Nach einiger Zeit erhielt ich nun wieder in meiner Privatwohnung eine persönliche Vorladung. Da ich das nun für die Ungeschicklichkeit eines jüngeren Konzeptsbeamten hielt, diesem eine Unannehmlichkeit ersparen und die ganze Sache nicht unnötig aufbauschen wollte, ließ ich diesem Konzeptbeamten etwa eine Woche vor dem Ladungstermin durch einen gemeinsamen Bekannten vertraulich sagen, daß ich mich, falls es sich bei meiner Vorladung wieder um eine amtliche Angelegenheit handle, im Interesse meines Amtes verpflichtet fühlen müßte, mich offiziell zu beschweren. Worauf dieser Bekannte von dem Polizeibeamten die Antwort erhielt, was mir eigentlich einfiele, die Studienbibliothek sei doch kein Amt, er würde ihr daher nie einen Akt schicken und es stünde völlig im Belieben der Polizei jemandem an seinen Dienstort oder in seine Privatwohnung zu schreiben.190 189 Ebd. 190 Briefentwurf von Wolfgang Benndorf an den Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vom 2.2.1933. Mit dem handschriftlichen Vermerk: "Nicht abgeschickt! Entwurf zu dem Brief vom 6.II.33". UAK, Kt. 362, Fasz. 1933. 59 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1. Zur fatalistischen Hinnahme der Misere, zur ergebenen Verwaltung des Verfalls nicht bereit, sann Benndorf auf Lösungen jenseits der üblichen Dienstwege. In einem Schreiben an Bick erörterte er die Möglichkeit, durch den Verkauf von Dubletten Gelder zu lukrieren: Es wäre wohl zu überlegen, ob man das Stück nicht hergeben sollte, namentlich wenn man einen Betrag dafür bekäme, mit dem man für die Erhaltung der übrigen Inkunabeln wertvolles [!] leisten könnte. Ich weiß nun gar nicht, welches eigentlich der offiziell vorgeschriebene Weg ist, falls sich ein Tausch oder Verkauf in das Ausland, etwa die Notgemeinschaft deutscher Wissenschaft oder das Londoner British Museum als zweckmäßig herausstellen sollte. Wohl ein eigener Bericht an das Ministerium mit der Bitte um die Bewilligung? Auch fühle ich mich nicht sicher, wann man in normalen Zeiten und in so schweren Zeiten wie den jetzigen die Abgabe einer Dublette als indiziert betrachten darf. [...] Andererseits brauchen wir Geld wie das liebe Brot, wenn ich an den Zustand der anderen Inkunabeln denke, sagt mir der gesunde Menschenverstand: Besser eine Inkunabel hergeben und dafür für die anderen sorgen können, als alle langsam zu Grunde gehen lassen!191 Ein Unterfangen, welches letzten Endes an der minderen Qualität der zu veräußernden Stücke scheitern sollte, wie der etwas moros anmutenden Antwort Bicks zu entnehmen ist: In Beantwortung Ihres geschätzten Schreibens vom 21.v.M. beehre ich mich mitzuteilen, dass die im letzten Schreiben erwähnte Inkunabel —Dublette Ihrer Bibliothek Hain 8100 (Gregorius, Decretales) hier eingelangt ist. Zu meinem Leidwesen sehe ich, dass diese nicht vollständig ist und auch hinsichtlich ihres Erhaltungszustandes manches zu wünschen übrig lässt; [...].192 Desgleichen stießen Benndorfs allzu treuherzig an Bick herangetragene Absichten, "mit Erlaubnis der Landesregierung aber sozusagen ganz inoffiziell"193 eine unbezahlte Aushilfskraft aufzunehmen, nicht auf das Entgegenkommen seines Mentors: 191 Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vom 6.2.1933. UAK, Kt. 362, Fasz. 1933. 192 Schreiben des Generaldirektors der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, an Wolfgang Benndorf vom 4.4.1933. UAK, Kt. 362, Fasz. 1933. 193 Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vom 21.3.1933. UAK, Kt. 362, Fasz. 1933. 60 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1. Die Personalschwierigkeiten Ihrer Bibliothek begreife ich voll und ganz und begreife deshalb auch Ihr Bestreben, ihnen möglichst abzuhelfen, wenn auch, wie ich sehe, auf dem verbotenen Wege, da ja die Aufnahme von Volontären und unentgeltlichen Mitarbeitern durch zwei Erlässe ausdrücklich untersagt ist. 194 Wolfgang Benndorf nahm kein Blatt vor den Mund, wenn es galt, seinem Leiden an der Provinz und Indolenz — — für ihn Synonym für Geistfeindlichkeit, Stupor Ausdruck zu verleihen. In den Briefen an Josef Bick geißelte er die örtliche Beamtenschaft als "Barbaren"195 und "geisteskranke [...] Menschen"196 , die er maßgeblich für den misslichen Zustand der Bildungseinrichtung verantwortlich machte: Ich hatte früher immer geglaubt, daß die schlimmsten Beschädigungen der alten Bücher wohl noch in den Klöstern vor der Josephinischen Säkularisation und der Übernahme in die Studienbibliothek geschehen sein müßten. Ich bin jetzt anderer Ansicht geworden, da sich sehr vieles nachweislich in der Studienbibliothek zugetragen hat.197 Die burlesken Schilderungen Benndorfs stellten auch den Versuch dar, die Bedrückung durch die geistige Enge mit ihren aggressiven, nationalistischen Untertönen, in die er sich gepresst sah, zu lockern: Es geschehen hier wirklich Dinge, die wo anders [!] kaum möglich wären. Um nur ein Beispiel zu nennen. Als voriges Jahr die Absicht des hiesigen Theaterdirektors bekannt wurde im September stimmungsfeier — — also 1 Monat vor der Ab- ein Burgtheatergastspiel der »Jüdin von Toledo« zu veran- stalten, protestierten viele Kärntner dagegen, daß man ausgerechnet zur Zeit der Abstimmungsfeier ein Stück spiele, in dem eine Jüdin vorkomme. Der Protest drang bis nach Wien zu einem Bundesminister Kärntner Nationalität und dieser verfaßte dann einen Brief an die Landesregierung, in dem auch er davor warnte, die Jüdin von Toledo spielen zu lassen, man solle doch lieber ein Stück von »einem österreichischen Dichter, z.B. von Grillparzer 194 Schreiben des Generaldirektors der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, an Wolfgang Benndorf vom 4.4.1933. UAK, Kt. 362, Fasz. 1933. 195 Briefentwurf von Wolfgang Benndorf an den Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vom 2.2.1933. Mit dem handschriftlichen Vermerk: "Nicht abgeschickt! Entwurf zu dem Brief vom 6.II.33". UAK, Kt. 362, Fasz. 1933. 196 Ebd. 197 Ebd. 61 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1. oder Schönherr« spielen. Der Theaterdirektor mußte damals in eigener Person nach Wien fahren, um die Erlaubnis zur Aufführung der Jüdin von Toledo zu erhalten und um einen Bundesminister darüber aufzuklären, daß dieses Stück ohnehin von Grillparzer ist. [...] Solcher erheiternder Episoden ist nun das Kärntner Geistesleben voll, man kann sie immer wieder erleben.198 Hinter den forciert launigen Schilderungen schwelte die Depression. So sehr Benndorf bemüht war, um seiner beruflichen Karriere willen gegenüber seinem Vorgesetzten Optimismus, Diensteifer und Rührigkeit zu bekunden, in der Befürchtung, durch beständige Lamentationen die gleichwohl geringe Chance auf eine Verwandlung der interimistischen Bibliotheksleitung in eine definitive Bestallung zu verwirken 199, vermochte er sein Hadern mit dem geistig —politischen Klima doch nicht gänzlich zu verhehlen: "Darum gebe mich aber, beiläufig gesagt, doch keinen Illusionen über den geistigen Aspekt dieses Landes hin." 200 In einem seiner vorliegenden Briefe an Generaldirektor Josef Bick zitierte Benndorf aus einem in der Tageszeitung "Freie Stimmen" veröffentlichten Artikel der Kärntner Landsmannschaft Kärnten den Kärntnern, worin eingeräumt wird, dass auch "unter Nichtkärntnern erstklassige Menschen sein mögen."201 Zwischen Entrüstung und Bestürzung schwankend, formulierte er seine Hoffnung auf eine "Aktion von »vernünftigen Kärntnern« [...], um gegen diesen Unsinn Stellung zu nehmen."202 Anspielungen in den Briefen ist zu entnehmen, dass die Geisteshaltung und politische Einstellung Benndorfs zu Friktionen mit seiner Umgebung führte, wenn er von "vielen falschen Gerüchten, die über mich im Umlauf waren und mir 198 Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vom 17.3.1931. UAK, Kt. 362, Fasz. 1931. 199 Siehe Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vom 1.3.1932. UAK, Kt. 362, Fasz. 1932.- 200 Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vom 17.3.1931. UAK, Kt. 362, Fasz. 1931. 201 Briefentwurf von Wolfgang Benndorf an den Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vom 2.2.1933. Mit dem handschriftlichen Vermerk: "Nicht abgeschickt! Entwurf zu dem Brief vom 6.II.33". UAK, Kt. 362, Fasz. 1933. 202 Ebd. 62 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1. das Leben so schwer gemacht haben"203 schreibt. Ungeachtet dessen gebrach es Benndorf in seinen öffentlichen Auftritten weder an Zivilcourage noch an Rhetorik, um furios gegen Rassismus, Deutschtümelei und Kulturnationalismus zu Felde zu ziehen, wie seine fulminante Rede zum "Tag des Buches", gehalten am 21. März 1931 zeigt, die hier mit einem längeren Ausschnitt wiedergegeben sei: [Ich will] ihnen mit einer fast naturwissenschaftlichen Exaktheit das Schicksal, welches die Goethesche Pandora bei uns erfahren würde, prophezeien. [...] Noch bevor das Buch gelesen wird, rennen ein paar Leute der Verlagsbuchhandlung die Bude ein, erzürnt, weil das Buch in Antiqua und nicht in Fraktur gedruckt wurde. Andere sagen: »Pandora? Das ist ja von diesem grauslichen Juden, Wedekind, oder wie er nur heißt, so etwas lesen wir nicht!« Wieder andere halten den Verfasser nicht für einen Juden, sondern für einen Griechen und sagen, man solle doch nicht ausgerechnet jetzt, wo noch nicht 6 Monate seit der Abstimmungsfeier vergangen sind, so etwas spielen. Spielt doch lieber deutsche Dichter, z.B. Grillparzer oder Schönherr, Kernstock oder Goethe! Das Buch kommt zum Volksbildungsreferenten. Er persönlich findet das Stück zwar schön; aber ich fürchte fast, er würde konstatieren, ein Buch müsse nicht nur »wertvoll«, es müsse auch »lesbar« sein. [...] Im Landtag wird der Antrag gestellt, man solle das Theater in die Luft sprengen, um die Aufführung zu verhindern. Eine Anzahl heimischer Dichter — gewiss nicht alle, aber doch diejenigen, von denen man sich gut vorstellen könnte, daß ihre eigenen Festspiele im Sandwirtsaal aufgeführt würden, wo sie an den dort befindlichen Fresken gleich die geeignete Dekoration hätten! — verfaßt ein enthusiastisches Zustimmungsschreiben. Das Werk stelle den Typus moderner Abwegigkeit dar. Außerdem sei es undeutsch! Es kommen Fremdworte darin vor! Vor allem aber: es ist eine Beleidigung für die Kärntner! [...]; eine so beispiellose Brutalität als allgemein menschlich hinzustellen, vor Kärntnern, das ist eine freche Verhöhnung des Kärntner Volksschlages!204 203 Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vom 17.3.1931. UAK, Kt. 362, Fasz. 1931. 204 Personalakte Wolfgang Benndorf, Universitätsbibliothek Klagenfurt (= künftig UBK), Personalakten. 63 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1. Benndorfs beherztes Auftreten vermochte gleichwohl nicht zu verhindern, dass die Agitation sich auch in die Studienbibliothek Einlass zu verschaffen wusste: Übrigens haben wir hier in letzter Zeit mehrmals die befremdende Beobachtung gemacht — Städten auch so ist und es würde mich interessieren, ob das in anderen — daß Bücher der Studienbibliothek zu politischen Pro- pagandazwecken benützt werden[,] indem Leser in die entlehnten Bücher maschingeschriebene oder gedruckte oder handschriftliche Flugzettel hineinlegen, meistens sehr klein, so daß man sie nicht gleich bemerkt. [...] Ich habe es jedoch bis jetzt für zweckmäßiger gehalten, die Wische, wo man sie findet, einfach stillschweigend zu entfernen, als etwa durch ein ausdrücklich anzuschlagendes Verbot dem Übel eventuell Reklame zu machen oder noch mehr Leser auf den Gedanken zu bringen, das Beispiel nachzumachen. 205 Durchaus zum Nachteil der Studienbibliothek und der Stadt, verließ Wolfgang Benndorf im Sommer 1934 Klagenfurt, um als wissenschaftlicher Mitarbeiter an die Grazer Universitätsbibliothek zu wechseln: "Aufgrund seiner erklärten Gegnerschaft zum Nationalsozialismus wurde er schon wenige Wochen nach dem »Anschluß« im Jahr 1938 fristlos aus dem Bibliotheksdienst entlassen. Dies auf Betreiben des nunmehr überaus mächtigen NS —Studentenbundes."206 Zudem wurde der Literat und Feuilletonist Benndorf mit einem Schreibverbot belegt: "Benndorf war dann längere Zeit arbeitslos und brachte sich später als Buchhalter, Korrektor und Sprachlehrer notdürftig durch."207 Nach Kriegsende wurde er verdienterweise zum Direktor der Universitätsbibliothek berufen, eine Position, die er acht Jahre lang bekleidete. In zahlreichen Artikeln und Feuilletons prangerte Benndorf unbeugsam 205 Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek. Wien, Josef Bick, vom 25.5.1932. UAK, Kt. 362, Fasz. 1932 206 Hirschegger, Geschichte der Universitätsbibliothek Graz 1918 —1945 (Anm. 186) 32. 207 Ebd. 32. 64 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1. gesellschaftliche Missstände an. Wohl aus Klagenfurter Zeit rührte seine Bekanntschaft mit Michael Guttenbrunner her, der ihm eine Erzählung mit dem Titel Absage 208 widmete, eine Eloge an die Unbeugsamkeit. 208 Michael Guttenbrunner, Absage. In Memoriam Wolfgang Benndorf. In: Die Verbannten. Eine Anthologie, ed. Milo Dor, (Graz 1962) 25-27. 65 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. I.3.2. Theodor Schmid (1933 —1942) Am 1. September 1933 befreite Theodor Schmid mit der Übernahme der Bibliotheksdirektion Wolfgang Benndorf von der Verantwortung für das marode Amt209 . In Anbetracht des abgewirtschafteten Zustandes der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt fällt es schwer, in der Beförderung des 58—jährigen zum Bibliotheksleiter einen Karriereschritt zu sehen. Dass die Versetzung von der Technischen Hochschule Wien nach Klagenfurt gleichwohl im vollen Einverständnis mit dem Bestellten erfolgte, ja auf dessen Bewerbung zurückging, erklärt sich damit, dass Schmid — anders als Benndorf — ein genuiner Vertreter des k.k. Beamtenstaates war, für welch selbigen die göttliche Ordnung der Welt im strengen wie verlässlichen Curriculum der Ämter und der mit ihnen verbunden Würden sich abbildete. Obzwar Schmid sein ordentliches Studium im soliden Bereich der Naturund Rechtswissenschaften absolvierte — väterlichen Mahn- oder Machtwortes gut denkbar in Befolgung eines — , waren seine Interessen viel- gestaltiger Natur: "Während meiner Universitätszeit besuchte ich jedoch auch sehr viele Vorlesungen und Übungen aus den Gebieten der modernen Sprachen (Englisch, Italienisch), der Geographie, Geologie, Naturgeschichte, Geschichte und Kunstgeschichte."210 Fast melancholisch, da in keinen sachlichen Zusammenhang gestellt, mutet die Erwähnung einer mit seinem Vater unternommenen Italienreise an: "[W]obei wir namentlich Venedig, Florenz, Rom, Neapel und Capri besuchten."211 Der Wandel vom aufgeschlossenen jungen Mann zum pedanten Bürokraten im Durchlaufen der "untugendenzerschmetternden Schule" 212 des Staatsdienstes spiegelt sich in der Sprachdürrung: 209 Wie sich das gemeinsame Dienstjahr von Wolfgang Benndorf und Theodor Schmid an der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt gestaltete, ist nicht eruierbar. 210 Handschriftlicher Lebenslauf Theodor Schmids, verfasst 1946. UBK, Personalakten. 211 Ebd. 212 Rober Walser, Jakob von Gunten (Zürich/Frankfurt am Main 66 8 1998) 154. I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. Am 13.IX.1912 wurde ich ernannt zum Bibliothekar II.Kl. an der Bibliothek der Techn. Hochschule Wien, wurde daselbst Bibliothekar I.Kl. am 20.VI.1920 u. erhielt den Titel eines Oberbibliothekars am 24.III.1921. März 1928 wurde ich zum Oberstaatsbibliothekar ernannt mit Rechtswirksamkeit vom 1. Jänner 1928, August 1933 zum Leiter der Studienbibliothek Klagenfurt, welchen Posten ich am 1.IX.1933 antrat. 9. Feber 1938 erhielt ich vom Bundespräsidenten den Titel eines Hofrates.213 Die Ernennung zum Leiter der Studienbibliothek war der letzte Abschnitt einer vorgezeichneten, zufallsabweisenden, pensionsvisierten Laufbahn. Dementsprechend unaufgeregt fügte sich Schmid auch in die inneren Umstände seines Amtes. Ernstlich in Bedrängnis brachte ihn erst die mit der Vollendung seines 35. Dienstjahres seitens des Bundesministeriums für Unterricht per Erlass vom 30. August 1937 für Ende Februar 1938 verfügte Versetzung in den dauernden Ruhestand214 . Dem wenige Tage darauf erhobenen Einspruch Schmids ist die Bestürzung über diese ihm offensichtlich unerwartete und vorzeitige Amtsenthebung deutlich abzulesen. Sein Gesuch, den Pensionsantritt unter Hinweis auf seine Verpflichtungen als Alleinerhalter einer sechsköpfigen Familie sowie dringende, an keinen Nachfolger so ohne weiteres zu übertragende bibliothekarische Fertigstellungsarbeiten um wenigstens ein Jahr zu stunden, wurde noch im November des Jahres abschlägig beantwortet. Was letzten Endes dazu führte, dass Theodor Schmid die Leitung der Studienbibliothek weitere fünf Jahre innehaben konnte, bleibt in den Akten ausgespart. Ob sich ein Fürsprecher fand, ob ihm der Anschluss im März 1938 zugute kam, ist der Spekulation anheimgestellt. Das nächst datierte Schriftstück in den Personalunterlagen bescheidet Theodor Schmid jedenfalls seine definitive Pensionierung mit 1. Mai 1942, welche er, versehen mit dem 213 Handschriftlicher Lebenslauf Theodor Schmids, verfasst 1946. UBK, Personalakten. 214 Schreiben des Bundesministeriums für Unterricht vom 19.11.1937, ZL. 33116—I/5. UBK, Personalakten. 67 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. "Goldene[n] Ehrenzeichen für 40—jährigen treuen Staatsdienst" 215, antrat. Wofür die Stundung der vorzeitigen Pensionierung um weitere fünf Jahre aber zweifelsohne Gewähr bot, waren eine vorbildliche Amtsauffassung und beflissene Diensterfüllung im Sinne des neuen Regimes: Die meisten Beamten tungen geschonten — — nicht zuletzt auch die entgegen eigenen Befürch- wußten sich dem in sie gesetzten Vertrauen würdig zu erweisen. [...] Widerstandshandlungen im österreichischen Beamtenapparat waren noch seltener als in der übrigen Bevölkerung. Eine gewisse Gewöhnung an autoritäre Herrschaftsformen hatte bereits das Vorgängerregime ermöglicht; hinzu kamen inhärente Affinitäten zu traditionellen obrigkeitsstaatlichen Denkweisen bei vielen österreichischen Beamten. Und besonders wichtig für viele Beamte: die neuen Machthaber gaben sich den Anschein formal strikter Legalität.216 Neben der Berufung auf seine vorrangige Verantwortung als Familienerhalter war letzteres für den promovierten Juristen Schmid zweifellos ein weiteres Subordinationsargument und Entlastungsmoment. Der "Anschluss" Österreichs an Hitlerdeutschland am 13. März 1938 fand selbst in den Korrespondenzakten einer Provinzinstitution so geringer bildungspolitischer Bedeutung und budgetärer Handlungsfähigkeit wie der Öffentlichen Studienbibliothek seinen augenfälligen Niederschlag in Form einer jähen Zunahme der ministeriellen Rundschreiben und Erlässe. Allenthalben ging seitens des gleichgeschalteten Verwaltungsapparates ein papierener Regen aus Erlässen, Erhebungen, Fragebogen, Formularen und Antragsscheinen auf die Behörden herunter und lagerte sich als moralabstumpfender brauner Schlick in den Ämtern ab. Im Folgejahr 1939 wurden antijüdische und antisozialistische Restriktionen auch im österreichischen Bibliothekswesen vollumfänglich wirksam. Die an die Studienbibliothek adressierten Anfragen und Anweisungen 215 Handschriftlicher Lebenslauf Theodor Schmids, verfasst 1946. UBK, Personalakten. 216 Hagspiel, Die Ostmark (Anm. 114) 133. 68 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. nämlichen Sachverhalts wurden seitens der Bibliotheksleitung legalistisch abgearbeitet. Zum einen mit der Ausstellung eines "Politischen Unbedenklichkeitszeugnisses" für die Bedienstete der Studienbibliothek am 30.9.1938217 , zum anderen mit der Übermittlung der staatlicherseits geforderten Angaben bezüglich der "rassischen" Zugehörigkeit derselben an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten in Wien vom 10.6.1939 (Abb. 1, Dokumente): In Befolgung des do. Antrages vom 25. Mai 1939, Zl. IV—1 —323386 —d, beehrt sich die ergebenst gefertigte Direktion mitzuteilen, daß hieramts keine jüdischen oder jüdisch versippten Beamten oder Angestellten bedienstet sind. Der rechtsgültige Nachweis rein arischer Abstammung wird bei allen hieramts bediensteten Beamten und Angestellten noch in diesem gegenwärtigen Monat durchgeführt sein.218 Beide amtlichen Leermeldungen hatten ihren legislatorischen Ursprung in dem am 7. April 1933 in Deutschland erlassenen "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums", das mit den Paragrafen 3 und 4 zwei wesentlichen Punkten des Parteiprogramms der NSDAP staatsrechtlich verankerte Umsetzungsbeihilfe leistete. Der im Konzeptwort "Arierparagraf" zusammengefasste §3 legte unumwunden fest: "Beamte, die nicht arischer Abstammung sind, sind in den Ruhestand zu versetzen."219 Mit diesem Passus "fand zum ersten Male antisemitisches Gedankengut Eingang in die Reichsgesetzgebung."220 War §3 das unter rassenideologischen Gesichtspunkten herausragende Teilstück des Berufs217 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten Wien, Abt. IV, Erziehung, Kultus und Volksbildung, vom 30.9.1938. UAK, Kt. 363, Fasz. 1938. 218 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten Wien, Abt. IV, Erziehung, Kultus und Volksbildung, vom 10.6.1939. UAK, Kt. 363, Fasz. 1939. 219 "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7.4.1933. RGBl 1933 I, 175. Teilw. abgedr. in: Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus (Anm. 90) 299. 220 Jörg Grotkopp, Beamtentum und Staatsformwechsel (= Rechtshistorische Reihe 105, Frankfurt am Main 1992) 111. 69 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. beamtengesetzes, so war §4, der nach damaliger Diktion die "Gleichschaltung der Beamten mit dem Staate"221 befördern sollte, dessen politisches Korrelat. Die so umfassende wie vage Klausel: "Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden"222 , öffnete Willkürakten wie Inhaftnahme und Internierungen von Beamten in Konzentrationslagern 223, Denunzianten- und Konjunkturrittertum Tür und Tor in einem Ausmaß, dass sich die Regierung alsbald genötigt sah, zu gegensteuernden Maßnahmen zu greifen. Der Titel des neuen Gesetzes entsprang politisch —propagandistischem Kalkül, indem er einesteils eine Polemik gegen die Weimarer Republik enthielt, andererseits das Ressentiment vieler Staatsdiener gegen Außenseiter und republikanische Ämterpatronage bediente. 224 Während das Berufsbeamtengesetz aber mit Rücksicht auf die Bevölkerungsstimmung immerhin noch Ausnahmeregelungen vorsah, indem etwa der Patriotismusnachweis in Gestalt dekorierter Kriegsteilnahme der jüdischen Herkunft pardonierend übergeordnet wurde, trat die politische Radikalisierung mit dem am 26. Jänner 1937 verabschiedeten "Deutsche[n] Beamtengesetz" in ihre nächste Phase. Nach §59 waren nunmehr auch solche Beamte des Dienstes zu verweisen, deren "Ehegatte nicht deutschen oder artverwandten Blutes ist".225 Und auch der Vollzug oder vielmehr die Vollstreckung des Gesetzes kannte jetzt keine Schonzeiten mehr, wie eine im gleichen Jahr angestellte Untersuchung zur "Beamten221 Hans Seel, Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (Berlin 2 1933) 10. 222 "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7.4.1933. RGBl 1933 I, 175. Teilw. abgedr. in: Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus (Anm. 90) 299. 223 Vgl. Grotkopp, Beamtentum und Staatsformwechsel (Anm. 220) 132. 224 Vgl. ebd. 105. 225 "Deutsches Beamtengesetz" vom 26.1.1937. RGBl 1937 I, 41. Teilw. abgedr. in: Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus (Anm. 90) 303. 70 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. politik im Dritten Reich" mit Genugtuung konstatierte: "Jüdische Beamte gibt es im Staatsdienst also nicht mehr."226 Nach dem "Anschluss" am 13. März 1938 erfuhren diese Maßnahmen mit der "Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Beamtentums" vom 31. Mai 1938 ihren spiegelbildlichen Übertrag auf die österreichische Verwaltung. Umfangreiche Fragebogen, zu deren peinlich genauer Ausfüllung alle Staatsangestellten angehalten waren, dienten der Erhebung rassischer wie politischer Amtstauglichkeit: "Es kam zur Bildung von Kommissionen, zu Verhören und Sanktionen, die von der Degradierung über die Pensionierung mit verkürztem »Ruhegenuß« bis hin zur fristlosen Entlassung ohne jeden Pensionsanspruch reichten."227 Mithin lässt sich sagen, dass, dem programmatischen Bestreben nach, die Beamtenschaft des deutsch —österreichischen Verwaltungsapparates weniger "gleichgeschaltet" denn "gesäubert" werden sollte.228 Jenseits der obgenannten rassenideologischen oder politischen Gründe — die in Preußen etwa mit 12,68%229 im Bereich des so gestuften "höheren Dienstes" für eine drastischere Entlassungsquote sorgten, als in den anderen Ländern, da hier "in größerem Umfang Sozialdemokraten in den höheren Dienst aufgestiegen waren"230 und das Gros der jüdischen Beamten überhaupt in der preußischen Verwaltung zu finden war231 — wurzelte diese Tendenz in einem genuinen Misstrauen der Parteifunktionäre dem Beamtentum als solchem gegenüber, welches auf eine volle Ausschöpfung der in den Beamtengesetzen enthaltenen Amtsenthebungs226 Erwin Schütze, Beamtenpolitik im Dritten Reich. In: Dr. Wilhelm Frick und sein Ministerium, ed. Hans Pfundtner (München 1937) 47-65, hier 49. 227 Hagspiel, Die Ostmark (Anm. 114) 128. 228 Vgl. Thilo Vogelsang, Die nationalsozialistische Zeit. Deutschland 1933 — 1939 (= Deutsche Geschichte: Ereignisse und Probleme, Frankfurt am Main 4 1978) 24. 229 Grotkopp, Beamtentum und Staatsformwechsel (Anm. 220) 285. 230 Hans Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich. Mit ausgewählten Quellen zur nationalsozialistischen Beamtenpolitik (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 13, Stuttgart 1966) 56. 231 Vgl. ebd. 56. 71 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. paragrafen drängte: In den besonderen Rechten des Berufsbeamtentums, seinem traditionell starken Zusammenhalt, der Homogenität des Beamtentums auf Grund ähnlicher Ausbildung und Herkunft, in dem vielfach üblichen Kooptionsverfahren bei der Besetzung der Beamtenstellen des höheren Dienstes sowie in der überwiegend konservativen Grundeinstellung der Beamten sah man eher einen dem nationalsozialistischen Führungsanspruch entgegenstehenden »Staat im Staat«.232 Umso mehr nimmt es wunder, dass ungeachtet der auch von Seiten Hitlers seinerseits bereits in der Festungsschrift Mein Kampf vorgebrachten Invektiven 233, weite Teile der Beamtenschaft deutlich positiv auf dessen Reichskanzlerschaft reagierten und der opportunistischen Rhetorik seiner im Reichswehrprozess abgegebenen Loyalitätsbekundungen vertrauten. Derart tief ging die Ablehnung der republikanischen Staatsform, welche gerade auch seitens der Beamtenschaft durch einschneidende Maßnahmen wie die Personalabbauverordnung des Jahres 1923 und die Besoldungskürzungen im Rahmen der Notverordnungen 1930/31 zusätzlich Nahrung erhielt234 . Vor allem aber der unverwundene Schock über die Revolution 1918/19, die alle Majestät und die in deren Lichthof gelegene Amtshonorigkeit hinweggerissen hatte, veranlasste viele Staatsdiener, für das Versprechen der Wiederherstellung der "Ideale des altpreußischen Beamtentums" 235 den moralischen Tribut der Hinnahme von Rechtseinbußen zu bezahlen. 232 Martin Broszat, Der Staat Hitlers. Grundlegung und Entwicklung seiner inneren Verfassung (= dtv-Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts 9, München 5 1975) 302. 233 "Kriechende Unterwürfigkeit nach »oben« und arrogante Hochnäsigkeit nach »unten« zeichnen diesen Stand ebensosehr aus wie eine oft himmelschreiende Borniertheit, die nur durch die manchmal geradezu erstaunliche Einbildung übertroffen wird." Adolf Hitler, Mein Kampf (München 701—705 1942) 352. 234 Vgl. Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich (Anm. 230) 25-27. 235 Aufruf Hermann Görings "An alle Beamten der Preußischen Inneren Verwaltung" vom 1.2.1933. Ministerialblatt für die Preußische Innere Verwaltung 1933 I, Sp. 89 f. Zit.n. Grotkopp, Beamtentum und Staatsformwechsel (Anm. 220) 101. 72 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. Innerhalb einer Gesamtheit von 1,5 Millionen Beamten wurden etwa ein bis zwei Prozent auf der Grundlage des Berufsbeamtengesetzes demissioniert. Ein noch tiefergreifender Personalwechsel, wie ihn der Staatssekretär im Reichsministerium des Inneren und profunde Kenner des öffentlichen Dienstes, Hans Pfundtner, programmatisch gefordert hatte, blieb mit Rücksicht auf die Erfordernisse einer friktionsfrei arbeitenden Verwaltung letztlich aus: "Unter den Sofortmaßnahmen nimmt die Säuberung des Verwaltungsapparates und die damit verbundene Wiederaufrichtung eines fachlich vorgebildeten, verantwortungsfreudigen und national eingestellten Berufsbeamtentums natürlich die 1. Stelle ein. 236 Für eine Vergiftung des Klimas im gesamten öffentlichen Dienst und die Einschüchterung eines Gutteils der Beamten reichten die gesetzten Maßnahmen aber allemal aus. Die Unterschiede in den Anwendungszahlen des Berufsbeamtengesetzes waren aber nicht nur im Querschnitt der Länder betrachtet erheblich, sondern variierten auch innerhalb der einzelnen Verwaltungsressorts. Dass die Forderung nach der "Schaffung eines einwandfreien nationalsozialistischen höheren Beamtenkörpers" 237 insonderheit im ideologietragenden Bildungsbereich suspendierend zu Buche schlug, nimmt nicht wunder. Sofern den Zahlen Verlass zugestanden werden kann, wurde das wissenschaftliche Bibliothekswesen sowohl im gehobenen wie im mittleren Dienstbereich von einem "moralischen Erdbeben" 238 der Entlassungen erschüttert: [D]uring the five years before National Socialism, a total of 94 librarians — about 22 for every hundred libraries left office. During the five years after 1933, 271 librarians — — or about 236 Denkschrift des späteren Staatssekretärs im Reichsministeriums des Inneren, Hans Pfundtner, über beamtenpolitische Maßnahmen aus dem Jahr 1932. Abgedr. in: Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich (Anm. 230) 127 ff. 237 Schreiben des Stellvertreters des Führers, Rudolf Heß, an den Chef der Reichskanzlei vom 7.2.1935. Zit.n. Broszat, Der Staat Hitlers (Anm. 232) 310. 238 Handbuch der Bibliothekswissenschaft 3: Geschichte der Bibliotheken 2, ed. Georg Leyh (Wiesbaden 2 1957) 469. 73 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. 74 for every hundred libraries — left office. 239 Von den 271 Bibliothe- karen gehörten 188 dem gehobenen Dienst an. Auch wenn diese Zahlen unvollständig sind, da sie lediglich den Zeitraum 1933 —1938 abdecken und sich auf das deutsche wissenschaftliche Bibliothekswesen beziehen, vermitteln sie doch immerhin einen relationalen Eindruck. Fraglos wird Theodor Schmid sein Schicksal als das eines "Geschonten" mit jenem seiner nächsten Amtskollegen, wie Wolfgang Benndorf oder Joseph Bick, die ihre Fronde gegen den Nationalsozialismus mit Entlassung, Konzentrationslager, Hausarrest zu büßen hatten, verglichen und sich mit der Subordination gut beraten gefühlt haben, womit er es, in der Formulierung seines Berufskollege Georg Leyh, Direktor der Universitätsbibliothek Tübingen, verstanden hatte, "sich klug und menschenkundig zu halten."240 Die nationalsozialistische Personalpolitik war nur einer der Auswüchse der Programmatik des Rassenstaates. Solcherart nahm die "Säuberung" der Hochschulen und wissenschaftlichen Bibliotheken den Lehrkörper und die Studenten nicht aus. Für den Hass der geballten Gesinnung auf die dumpf gefühlte Wendigkeit und Weltläufigkeit der Intelligenz waren die symbolischen Orte des Geistes die ausgesuchten Ziele der Verfolgung und Unterhöhlung. Bereits im 19. Jahrhundert konnte die deutschnationale, antisemitische Geisteshaltung unter den Studenten Fuß fassen und auch auf Seiten des Lehrkörpers Sympathie und Gefolgschaft gewinnen. So zählten die Universitäten in den Dreißigerjahren bereits zu den festen Bastionen der nationalsozialistischen Ideologie. Von der Deutschen Studentenschaft ging am 10. Mai 1933 dann auch der organisierte und geduldete Terror gegen das Leben des Geistes aus, das sacrilegium intellectus der Bücherverbrennung. 239 Ralph T. Esterquest, A statistical contribution to the study of libraries in contemporary Germany. In: The library quarterly 11 (1941) 1-35, hier 16. 240 Handbuch der Bibliothekswissenschaft 3 (Anm. 238) 469. 74 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. Am 25. April 1933 nahm die sukzessive Vertreibung der Juden von den Hochschulen mit dem "Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen" ihren Anfang. Demnach durfte der Anteil jüdischer Studenten nicht über 5% liegen, bei Neuimmatrikulationen wurden überhaupt nur noch 1,5% der jüdischen Studienanwärter zugelassen 241. Wiewohl die Zugangsregelung die Bibliotheken noch exkludierte, ließ der Gesinnungseifer einiger Institutionen diese in wohlgelittener Eigenmächtigkeit sich mit einer Reihe schikanöser Maßnahmen an der Vertreibung ihrer jüdischen Benutzer beteiligen, weit davon entfernt, den Relegierten und Abgewiesenen geistiges Asyl zu gewähren. So wurde bereits am 1. April, also noch vor In—Kraft—Treten der gesetzlichen Repression, in der Preußischen Staatsbibliothek eine Boykottaktion gegen die jüdischen Bibliotheksbenutzer organisiert, die vielerorts Nachahmung fand242 . Am 8. Dezember 1938 erfolgte die reichseinheitliche Regelung: "Ausschluß von Juden an den deutschen Hochschulen", die nunmehr ausdrücklich auch das Verbot der Bibliotheksbenutzung enthielt: Die Genehmigung, die ausgeschiedenen jüdischen Professoren, Lehrkräften und wissenschaftlichen Beamten ausnahmsweise erteilt worden ist, privat in Hochschulinstituten, Bibliotheken usw. wissenschaftlich weiterzuarbeiten, wird mit sofortiger Wirkung zurückgezogen.243 Für jüdische Benutzer der Öffentlichen Bibliotheken war ein nämliches Verdikt vom Reichsinnenminsteriums bereits am 29. November 1938 erlassen und expressis verbis auch auf die Nationalbibliothek sowie 241 "Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen" vom 25.4.1933. RGBl 1933 I, 225. Teilw. abgedr. in: Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus (Anm. 90) 259. 242 Vgl. Happel, Das wissenschaftliche Bibliothekswesen im Nationalsozialismus (Anm. 141) 94 ff. 243 RMWiss, WA 3270, Z II A vom 8.12.1938. In: Das Sonderrecht für die Juden im NS —Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien — Inhalt und Bedeutung, ed. Joseph Walk (= Motive — Texte — Materialien 14, Heidelberg /Karlsruhe 1981) 264. 75 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. die protowissenschaftlichen Studienbibliotheken ausgeweitet worden (Abb. 2, Dokumente): Zur Vermeidung von Unzukömmlichkeiten sind mit dem h.o. Erlass vom 29. November 1938, Zl: IV — 2 — 42685/a, Juden überhaupt ausländischer Staatsangehörigkeit — — also auch Juden vom Besuche der Hochschulbibliotheken ausgeschlossen worden. Diese Massnahme wird hiemit auf die Nationalbibliothek in Wien und auf die Studienbibliotheken in Linz, Salzburg und Klagenfurt erstreckt. Soweit bisher Professoren, sonstigen Lehrkräften und wissenschaftlichen Beamten, die Juden im Sinne der Nürnberger Gesetze und als solche aus dem aktiven Hochschuldienste ausgeschieden sind, ausnahmsweise die Genehmigung erteilt worden ist, privat in Bibliotheken wissenschaftlich weiterzuarbeiten oder diese Einrichtungen zu benützen, gilt diese Genehmigung mit sofortiger Wirksamkeit als erloschen.244 Seitens der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt blieb dieser Erlass unbeantwortet und unkommentiert. Dass die Bibliothek im Laufe ihres Bestehens auch Mitglieder der kleinen jüdischen Gemeinde in Klagenfurt — die Volkszählung des Jahres 1934 ergab 201 Personen mosaischen Glaubens in Klagenfurt von 298 Personen in Kärnten insgesamt245 — zu ihren Benutzern zählte, ist gut denkbar, vor allem die Landeslehrerbibliothek dürfte den Schülern und Schülerinnen der höheren Lehranstalten Unterrichtsbehelfe geliefert haben. Ein Nachweis lässt sich aber nicht mehr erbringen, da die Benutzerkartei längst skartiert worden ist. Dem Erlass ging die "Reichskristallnacht" voran, deren Ausläufer Kärnten am 10. und 11. November 1938 erreichten. Die Pogrom—Befehle aus Wien, die über das Kommunikationssystem der SS liefen 246, ließen in 244 Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten Wien, Abt. IV, Erziehung, Kultus und Volksbildung, an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 3.1.1939. UAK, Kt. 363, Fasz. 1939. 245 Vgl. Ulfried Burz, Die nationalsozialistische Bewegung in Kärnten (1918 —1933). Vom Deutschnationalismus zum Führerprinzip (= Das Kärntner Landesarchiv 23, Klagenfurt 1998) 107. 246 Vgl. August Walzl, Die Juden in Kärnten und das Dritte Reich (Klagenfurt 1987) 213. 76 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. den Bezirksstädten Verhaftungs- und Zerstörungskommandos auf den Plan treten. In Klagenfurt waren das Bethaus in der Platzgasse und der jüdische Friedhof in St. Ruprecht die vorrangigen Orte der "spontanen" Aktionen: "Im Bethaus warf man die leichten Möbel auf die Straße, zerstörte den Rest der Inneneinrichtung, zündeten aber nichts an."247 Die Akten und sonstiges Schriftgut nahm der Sicherheitsdienst248 in Gewahrsam. Einhergehend mit der Randale der Hetzmeute wurden zwischen August und Dezember 1938 zweiundzwanzig jüdische Gewerbebetriebe in Klagenfurt "arisiert"249 und deren Besitzern mithin die Existenzgrundlage entzogen. Der Vermögensentzug und die zunehmende Radikalisierung lösten Ende 1938 unter den jüdischen Kärntnern eine große Abwanderungswelle in Richtung Wien und weiter in die Emigration aus250 . Eine neuerliche Volkszählung im Jahr 1939 erfasste mit Stichtag 17. Mai in Kärnten denn auch nur noch 60 in der rassenkundlich basierten, injuriösen Amtssprache als "Volljuden" eingestufte Personen, davon 22 in Klagenfurt-Stadt, 10 in Klagenfurt —Land, 6 in Villach Stadt, 3 in Villach—Land, 6 in St. Veit, 1 in Spittal a.d. Drau, 2 im Bezirk Völkermarkt und 3 im Bezirk Wolfsberg."251 (Abb. 3, Dokumente). Die Kommentarlosigkeit, mit welcher der Erlass zu den Akten gelegt wurde, mag ihren Grund also darin gehabt haben, dass es zu diesem Zeitpunkt längst keinen jüdischen Bibliotheksbenutzer mehr gab und dem ansonsten so akkuraten Bibliotheksdirektor Schmid selbst eine amtliche Leermeldung in Anbetracht der Tatsache müßig erschien, dass offizielle Meldungen Kärnten mit 31. Dezember 1938 für "judenfrei" erklärt hatten 252. 247 Ebd. 213-214. 248 Vgl. ebd. 214. 249 Vgl. Burz, Die nationalsozialistische Bewegung in Kärnten (1918—1933) (Anm. 245) 112. 250 Vgl. Walzl, Die Juden in Kärnten und das Dritte Reich (Anm. 246) 221 ff. 251 Statistische Übersichten für den Reichsgau Kärnten, zsgest. Statistisches Amt für die Reichsgaue der Ostmark (Wien 1941). Stichtag: 17.5.1939. 252 Vgl. Walzl, Die Juden in Kärnten und das Dritte Reich (Anm. 246) 231. 77 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. Nach über fünfunddreißig Jahren im Staatsdienst waren für Theodor Schmid Zensur und Verbotspolitik mit deren im Bereich des Bildungswesens wirksam werdenden repressiven Direktiven, eine zwar aufwändige, grundsätzlich aber alltägliche bibliothekarische Usance, an der sich auch in der Zwischenkriegszeit nichts änderte. In Deutschland hatte die Nationalversammlung 1919 die Meinungs- und Pressefreiheit in Artikel 118 der Reichsverfassung in den Grundrechten verankert, doch so hehr und leer wie die in Artikel 142 postulierte Formel von der "Freiheit der Kunst" blieb auch die legislatorische Geste, da auch die Weimarer Zeit "jenseits tolerierter Freiheit politisch, moralisch und religiös motivierter Meinungsäußerungen [...] eine gesehen — — absolut bedeutende kontinuierliche Überwachung, Behinderung, Unterdrückung und Verfolgung öffentlicher Äußerungen [kannte]."253 Nunmehr übernahmen eben die ordentlichen Gerichte die interdizierende Tätigkeit der Zensurbehörde. Die einschlägigen Paragrafen, welche vordem die Grundlage von Verboten und Verurteilungen gebildet hatten, waren nach wie vor rechtsgültig254 . Als Instrumente ausschließlich der Nachzensur erwiesen sie sich in ihrer Wirkungstiefe jedoch als unzureichend, weshalb die Bereiche der politischen und literarischen Schrifttumskontrolle mittels zweier Gesetze nachgerüstet wurden. Nach der Ermordung von Reichsminister Walther Rathenau wurde 1922 das so genannte "Republikschutzgesetz" erlassen, in dessen Rahmen "der Zensur insofern ein besonderes Gewicht zu[fiel], als sie jetzt in Form scharfer Eingriffe in die Presse- und Versammlungsfreiheit ausdrücklich über die geltenden Strafrechtsbestimmungen hinaus zugelassen wurde"255. 253 Klaus Petersen, Zensur in der Weimarer Republik (Stuttgart/Weimar 1995) 2. Zu diesem Abschnitt vgl. Bodo Plachta, Zensur (Stuttgart 2006) 152 ff. 254 Vgl. Hans J. Schütz, Verbotene Bücher. Eine Geschichte der Zensur von Homer bis Henry Miller (München 1990) 157. 255 Petersen, Zensur in der Weimarer Republik (Anm. 253) 10. 78 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. 1926 folgte mit dem sexualmoralischen Argument, dass §184 StGB, Unsittlichkeit und Unzucht, die literarisch —pornographische Literaturproduktion nicht genugsam erfasse, das "Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften" 256. Wörtlich genommen war das Gesetz der Ausdruck eines konservativen Sittlichkeitsfanatismus. Wohl nicht zu Unrecht argwöhnten die zeitgenössischen Intellektuellen dahinter ein Produkt des "»trockenen« Faschismus"257 , den "großangelegten Versuch der Reaktion, die politische und kulturelle Linke in Deutschland völlig mundtot zu machen"258. Entsprechend der Weimarer Verfassung sah auch die österreichische Erste Republik zumindest in ihren Bundesgesetzen keine zensorische Judikatur vor. Desungeachtet praktizierte der austrofaschistische Staat mittels scheinlegaler Verordnungen gleichwohl eine interdizierende Schrifttumspolitik, die in der Erstellung und Distribution von Verbotslisten ihren reprimierenden Niederschlag fand259 . Am 26. Mai 1933 wurde per Verordnung der Bundesregierung der Kommunistischen Partei jede Betätigung in Österreich verboten 260. Eine Untersagung, welche selbstredend auch ein vollständiges Publikationsverbot implizierte. Die abbreviiert als "Liste 2" bezeichnete Aufstellung umfasste im Jahr ihres Ersterscheinens 1934 ganze 52 Titel261 . Korrespondierend erging am 19. Juni 1933 die Verordnung der Bundesregierung, wonach der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (Hitler256 Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften vom 18.12. 1926. RGBl 1926 I, 505. Vgl. ebd. 56 ff. 257 Heinrich Mann, Schmutz und Schund. In: Werkausgabe in zehn Bänden: Essays (Düsseldorf 1976) 536. 258 Klabund, Gegen das Schmutz —und —Schund — Gesetz. In: Werke in acht Bänden 8: Aufsätze und verstreute Prosa (Berlin 2003) 374. 259 Vgl. Murray Hall, Östereichische Verlagsgeschichte 1918—1938 1: Geschichte des österreichischen Verlagswesens (= Literatur und Leben N.F. 25, Graz/Wien/Köln 1985) 109. 260 Vgl. ebd. 110. 261 Vgl. ebd. 116. 79 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. bewegung) und dem Steirischen Heimatschutz (Führung Kammerhofer) jede Betätigung in Österreich verboten wird" 262. Die mit dem Betätigungsverbot korrelierende "Liste 1" war mit 257 Titeln im Jahr 1934 das umfangreichste der interdizierenden Verzeichnisse 263. Die generell literaturskeptische Einstellung des autoritären Regimes wurde mit dem Gesetz zur "Bekämpfung staatsfeindlicher Druckwerke"264 vom 31. Jänner 1935 evident, welches seinem Inhalt nach eine Doppelung der beiden vorhergegangenen Verordnungen darstellte, zudem noch den bislang ausgesparten Bereich des Schrifttums religiösen Inhalts abzudecken trachtete. Dementsprechend beinhaltete die "Liste 3" als zweitgrößtes Kontingent der 120 im Jahr 1934 angeführten Titel Schriften, die gegen die (katholische) Kirche in Österreich gerichtet waren265. Zusammengestellt wurden die Verbotslisten monatsweise "bei der Bundes —Polizeidirektion in Wien (Preß —Bureau) im Einvernehmen mit der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit im Bundeskanzleramt sowie dem Landesgericht für Strafsachen Wien"266 und auf der Grundlage eines vorgegebenen Verteilerschlüssels an die zuständigen Dienststellen und öffentlichen Institutionen verteilt. Die Verbreitungsbeschränkungen für Periodika wurden zudem im amtlichen Teil der Wiener Zeitung verlautbart, solche für Bücher und Broschüren im Anzeiger, dem offiziellen Organ des Vereins der österreichischen Buch-, Kunst- und Musikalienhändler267 . Wie eingangs erwähnt, gehörten die diversen Verbotslisten auch zum bibliothekarischen Alltag der Studienbibliothek. So findet sich in den Korrespondenzakten derselben ein Schreiben Theodor Schmids vom 27. 262 Vgl. ebd. 110. 263 Vgl. ebd. 114-115. 264 Vgl. ebd. 112. 265 Vgl. ebd. 118. 266 Ebd. 114. 267 Ebd. 114. 80 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. Oktober 1934 an das Bundesministerium für Unterricht mit dem Gesuch: Unserem Vernehmen nach sind in der Universitätsbibliothek Graz die derzeit verbotenen Bücher, welche dem Lesepublikum nicht ausgefolgt werden dürfen, bekannt gegeben worden. Da aber hieramts noch kein solches Verzeichnis eingelaufen ist, bitten wir um baldmöglichste Zusendung einer offiziellen Liste der derzeit in Österreich verbotenen Bücher.268 Auch die drei offiziellen Verbotslisten finden sich in ihrer vermutlich letztgültigen Version mit Datum 14. Februar 1938 vor dem "Anschluss" — — also einen Monat in den Akten; "Liste 1" mit 28 Titeln, "Liste 2" mit 4 Titeln und "Liste 3" mit 126 (je nach Zählweise) aufgeführten Titeln 269. Entsprechend dem Vorhandensein der hier aufgelisteten Titel im Bestand der Studienbibliothek, erstellte Schmid einen "Fachkatalog der Studienbibliothek 1936 —1939: Nicht erwünschte und verbotene Literatur". Die darin auf 6 Seiten erfassten 74 Titel wurden nach folgender Systematik rubriziert: 1. 2. 3. 4. Geschichte Lebensbeschreibungen Politik Grenz- und Auslanddeutschtum, Judenfrage, Freimaurerei, Rassenfrage, Erblehre 5. Rechts- und Staatswissenschaften 6. Technik270 Mit dem "Anschluss" verlor zumindest die "Liste 1" ihre Gültigkeit, ja mutierte vom verbotenen zum nunmehr erwünschten Schrifttum. Am 13. Juli 1939 urgierte die Direktion der Studienbibliothek beim Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten die Bekanntgabe der nunmehr geltenden Indizierung (Abb. 4, Dokumente): In Erledigung des do. Auftrages Zl. IV — lg — 113/1939 beehrt sich die gefertigte Direktion mitzuteilen, dass sie die regelmäßige Zusendung eines 268 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Bundesministerium für Unterricht Wien vom 27.10.1934. UAK, Kt. 362, Fasz. 1934. 269 "Liste 1", "Liste 2", "Liste 3" der interdizierten Literatur. UAK, Kt. 363, Fasz. 1938. 270 Fachkatalog der Studienbibliothek 1936 —1939: Nicht erwünschte und verbotene Literatur. UAK, Kt. 367. 81 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. Exemplares der »Listen des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« erbittet.271 Neben den listenweise rubrizierten Schriften ergingen seitens der staatlic hen Zensurbehörde im Anlassfall auch gesonder t Er werbungsinterdiktionen und Sekretierungserlässe an die Bildungseinrichtungen. Die zwei interessantesten, die in die Akten der Öffentlichen Studienbibliothek Eingang fanden, betrafen die norwegische Schriftstellerin Sigrid Undset und den Geographen und Kartographen Sándor Radó. Die Nobelpreisträgerin Sigrid Undset (1882 —1949) war eine frühe und beständige Oppositionelle des Nationalsozialismus. Nach dem Einmarsch der Deutschen in Norwegen 1940 wandte sie sich via Radio in einer Brandrede an ihre Landsleute. Auch im schwedischen Exil ließ sie trotz eines schweren persönlichen Verlustes im Krieg — — einer ihrer Söhne fiel nicht ab, sich schreibend gegen die Usurpation zu stemmen: Es ist unser, dieses Land. Keine Gewalt kann uns das Recht auf Norwegen nehmen [...]. Laßt sie niemals glauben, daß wir die Forderung nach Gerechtigkeit aufgeben, die Hoffnung, daß unsere Kinder eines Tages als freies Volk in einem freien Norwegen leben werden.272 Die Furcht vor der Wirkmächtigkeit des Wortes der populären Schriftstellerin veranlasste das Reichsministerium eilends zu einem Zensurerlass (Abb. 5, Dokumente): Zufolge eines Erlasses des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda kommen die in deutschen Übersetzungen erschienenen Bücher der norwegischen Schriftstellerin Sigrid Undset, welche sich nach der Besetzung Norwegens in einem besonders gehässigen Aufruf gegen die deutsche Wehrmacht gewandt hat, weiterhin für die Ausleihe von Volks- und Schulbüchereien nicht mehr in Betracht. Auch der Vertrieb und Verkauf der Bücher durch den Buchhandel wurde unterbunden.273 271 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten Wien, Abt. IV, Erziehung, Kultus und Volksbildung, vom 13.7.1939. UAK, Kt. 363, Fasz. 1939. 272 Zit.n. Max Tau, Ein Flüchtling findet sein Land (Hamburg 1964) 180. 273 Reichsstatthalterei Kärnten an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 14.10.1940. UAK, Kt. 363, Fasz. 1940. 82 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. Die Biographie des Ungarn Sándor Radó, alias Alexander Radolfi (1899—1981) mutet abenteuerlich an274. Ein vertrauliches Rundschreiben des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung aus dem Jahr 1940 zeigt Radó ins nationalsozialistische Visier genommen (Abb. 6, Dokumente): Vertraulich! Es ist zu meiner Kenntnis gelangt, dass die Genfer Kartenkorrespondenz »Geopress« Rundschreiben an deutsche Wissenschaftler übersandt hat, in denen sie zur Mitarbeit auffordert. Die »Geopress« wird von dem ungarischen Staatsbürger Rado geleitet, der Jude sein soll. Das von ihr hergestellte Kartenmaterial dient eindeutig den Zielen der Westmächte. Eine Mitarbeit deutscher Wissenschaftler an der »Geopress« kommt demnach nicht in Betracht.275 Zum Zeitpunkt der lancierten Warnung leitete der Kommunist Radó in Genf die kartographische Agentur "Geopress", zu deren Abonnenten "Presseorgane und Bibliotheken in allen Erdteilen, Universitäten, geographische Institute, verschiedene Ämter, Ministerien, Generalstäbe, Botschaften" 276 zählten. Radó nutzte die Tatsache, "daß Genf, der Sitz vieler internationaler Organisationen, noch immer ein hervorragender Platz für Informationsbeschaffung und Kontaktaufnahme war, in einem Land, in dem man sich immer noch relativ frei bewegen konnte." 277 Der deutsche Argwohn war nur zu begründet, denn unter dem Decknamen "Dora" war Radó Mitglied der europaweit agierenden Widerstandsbewegung Rote Kapelle. Er war jener legendäre Agent, der von der Schweiz aus am Vorabend des 22. Juni 1941 die Sowjetunion über 274 Sándor Radó: Der Kundschafter und die Liebe zur Kartographie. In: Karl Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik (München/ Wien 2003) 229-242. 275 Vertrauliches Schreiben des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung u.a. an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 19.2.1940. UAK, Kt. 363, Fasz. 1940. 276 Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit (Anm. 274) 237. 277 Ebd. 231. 83 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. die Vorbereitungen des deutschen Angriffs informierte — ohne allerdings bei Stalin Gehör zu finden. Auch im weiteren Kriegsverlauf blieb "Dora" ein wichtiger Informant für die Sowjetunion: Radó rekonstruiert, gestützt auf die ihm aus der Presse und deutschen Quellen zugänglichen Informationen, die Kriegshandlungen der Deutschen an der Ostfront und übermittelt seine Beobachtungen und Analysen an die Führung der Roten Armee.278 Im Visier der deutschen Peilsender und kurz vor seiner tatsächlichen Entdeckung gelang ihm eine spektakuläre Flucht in die UDSSR. Als "Dank" für seinen Kampf gegen Hitler erwarteten ihn dort allerdings weder Orden noch eine glänzende Stellung, sondern "was alten Kommunisten, Spanienkämpfern und Juden nur allzu häufig widerfuhr: die Internierung im Gulag, den er in Workuta und Uchta kennenlernte."279 Nach seiner Freilassung kehrte Radó nach 1955 nach Budapest zurück. In seinen Memoiren schreibt er: "Hier verwirklichte ich auf dem Gebiet der Geographie und Kartographie viele meiner wissenschaftlichen Ziele, von denen ich jahrzehntelang nur träumen konnte."280 Für die Bibliotheken stellten die staatlichen Sekretierungsauflagen zu jeder Zeit einen außerordentlichen Aufwand dar. Die fortwährend nachgebesserten Listen erforderten einen ständigen Bestandsabgleich, vor allem aber mussten die zu entfernenden Bücher in den diversen Katalogen gekennzeichnet werden. Hier kam es zur Ausbildung der denkbar unterschiedlichsten Praktiken, wie sie den einzelnen Bibliotheken sinnfällig und handhabbar erschienen. Sofern die entsprechenden Katalogzettel nicht überhaupt gezogen und somit im Publikumskatalog nicht mehr ausgewiesen wurden, versah man sie mit Kennungen, welche 278 Ebd. 232. 279 Ebd. 234. 280 Zit.n. ebd. 229. 84 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. auch als Warnung an die Benutzer gedacht waren, wie "Sep." für Separata, "S" für Sekreta, "R" für Remota und dergleichen mehr. Auch die Bücher selbst, die zumeist aus der Aufstellung genommen und gesondert verwahrt wurden, erhielten eine ähnliche Markierung281 . Die Vorgehensweise an der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt ist nicht mehr nachvollziehbar. Eine Überprüfung der Katalogzettel im noch vorhandenen Hauptkatalog hat zwar auf einigen der Katalogkarten Zeichen und Kürzel ergeben, deren Bedeutung heute aber in Ermangelung einer Legende kryptisch bleibt. Auch sind nicht alle Karten in nämlicher Weise gekennzeichnet. Der vormalige Beamtenkatalog wurde schon vor Jahren skartiert. Die Bücher selbst weisen außer den Besitzstempeln der Studien- oder Landeslehrerbibliothek sowie den Signaturen keinerlei Einträge auf. In Anbetracht der überschaubaren Menge an indexierten Titeln liegt eine räumliche Zernierung nahe, wie sie auch einem Antwortschreiben Schmids an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten zu entnehmen ist, worin die Frage nach dem Vorhandensein jüdischer Literatur dahingehend beantwortet wird, dass Bücher selbiger Provenienz "gegenwärtig dem Leserpublikum ohnehin unzugänglich gemacht sind"282 . Das Komplement zum "unerwünschten" Schrifttums bildete die staatlich geförderte Literatur, die in einer eigenen NS —Bibliographie zusammengefasst wurde. Die Beurteilung der Förderungswürdigkeit nach ideologieassistierenden Kriterien traf die "Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des nationalsozialistischen Schrifttums", kurz PPK. Als Herausgeber der Bibliographie fungierten die Reichsleitung der NSDAP und das Propagandaministerium283. Auch die PPK —Liste war ein 281 Vgl. Happel, Das wissenschaftliche Bibliothekswesen im Nationalsozialismus (Anm. 141) 87-88. 282 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten Wien, Abt. IV, Erziehung, Kultus und Volksbildung, vom 8.8.1939. UAK, Kt. 363, Fasz. 1939. 283 Vgl. Barbian, Literaturpolitik im "Dritten Reich" (Anm. 109) 350-351. 85 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. veritables Instrument der staatlichen Schrifttumslenkung: So erhielten zu Zeiten der Papierkontingentierung Verlage lediglich für den Druck vordem geprüfter und genehmigter Titel Papierzuteilungen 284. Neben der bibliographischen Erfassung, wurden die kanonisierten Titel als Hinweis für den Käufer im Impressum mit einem Unbedenklichkeitszertifikat ausgewiesen. Solcherart konnte niemand mehr Unkenntnis als Ausrede für den Erwerb nicht genehmer Literatur geltend machen (Abb. 7, Dokumente): Gegen die Herausgabe dieser Schrift bestehen seitens der NSDAP keine Bedenken. Die Schrift wird in der NS. —Bibliographie geführt. Die Erwerbungspolitik der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt und insonderheit der angeschlossenen Landeslehrerbibliothek orientierte sich ab 1938 durchaus an der NS—Bibliographie, wie der geschätzte Anteil von gut 60% ideologiekonformer Neuzugänge zeigt (siehe Abschnitt II.3.4.). Sowohl vor als auch nach dem "Anschluss" konzentrierte sich Theodor Schmid tunlichst auf das unverfänglich Sachliche, suchte er in der Illusion einer unpolitischen Haltung sein unbehelligtes Auskommen zu finden. Dank seiner im Amt gezogenen Langmut vermochte er auch einiges für die Instandsetzung der Studienbibliothek zu erwirken, wozu es seinem allzu "temperamentvoll[en]"285 Vorgänger im Amt an Beharrlichkeit gefehlt hatte. Für den notorischen Personalmangel fand sich mit der Einrichtung des "Freiwilligen Arbeitsdienstes" Abhilfe. Die in Österreich 1933 als beschäftigungspolitische Maßnahme infolge der Wirtschaftskrise eingeführte und propagierte Maßnahme nach deutschem Vorbild sah sich wie dieses der Idee einer Militarisierung des Gesellschaft verpflichtet, was sich auch in der aggressiven Terminologie spiegelt. 284 Vgl. Strothmann, Nationalsozialistische Literaturpolitik (Anm. 140) 362. 285 Selbstbeschreibung Wolfgang Benndorfs in einem Schreiben an den Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vom 2.2.1933. UAK, Kt. 362, Fasz. 1933. 86 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. Begriffe wie: "Werksoldaten", "Arbeitsarmee", "Arbeitsschlacht" lassen die ideelle Stossrichtung erkennen. 1935 wurden die Abteilungen des FAD der Aufsicht des Bundesministeriums für soziale Ver waltung unterstellt. Mit der Einführung der Bundesdienstpflicht 1936 war die Freiwilligkeit lediglich noch nominell, Arbeitslosen, welche sich dieser arbeitspolitischen Maßnahme verweigerten, wurde die Notstandshilfe entzogen. Die Pressionen trugen nicht dazu bei, den Grad der Beliebtheit des FAD in der Bevölkerung zu steigern. Die unterbezahlten Tätigkeiten wurden zurecht als soziales Dumping betrachtet. Sozialökonomisch und volkswirtschaftlich war der Arbeitsdienst ein Misserfolg, letztlich diente er vor allem der nationalistischen Indoktrination286 . Zwischen 1935 und 1938 wurden der Öffentlichen Studienbibliothek ein bis maximal drei Hilfskräfte Karl Schmid — — darunter auch Theodor Schmids Sohn über das Arbeitsamt zugeteilt. Die an des Arbeitsamt adressierten Zuweisungsansuchen vermitteln einen Eindruck von der sozialen Notlage der Betroffenen, welcher sich die braunen Rekrutierungskommandos agitierend bedienten. Unter der Rubrik "Begründung der Bedürftigkeit" finden sich Einträge wie "arbeitslos" 287, "6 Personen im Haushalt"288 , "[k]ein Vermögen"289 , "[b]ezieht Notstandshilfe vom Arbeitsamt". 290 (Abb. 8, Dokumente). In einem mit 29.3.1939 datierten Schreiben an die Landeshauptmannschaft Kärnten erwies Schmid sich als einer der vielen, die mit ihren 286 Zum gesamten Absatz vgl. Gerhard Senft, Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934 —1938 (= Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit 15, Wien 2002) 477 ff. 287 Vgl. Ansuchen der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Arbeitsamt Klagenfurt um Zuweisung von Arbeitskräften im Rahmen des Freiwilligen Arbeitsdienstes, hier vom 1.2.1935 ff. vierzehntägig. UAK, Kt. 362 und 363, Fasz. 1935 —1938. 288 Ebd. 289 Ebd. 290 Ebd. 87 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. Erneuerungs- und Verbesserungshoffnungen ganz auf das neue Regime bauten. In seinem Fall mag die in letzter Minute ausgesetzte vorzeitige Pensionierung für eine vertiefte Ergebenheit aus Dankbarkeit und Erleichterung gesorgt haben. Die am eigenen Schicksal so eindrucksvoll sich erwiesen habende Staatsmacht bildete den Nährboden des Zutrauens: Während nun unter den früheren Verhältnissen mangels der erforderlichen Geldmittel und des nötigen Interesses der zuständigen Stellen an einen solchen Neubau des Gebäudes der Bundes —Studienbibliothek seinerzeit nicht zu denken war, dürfte unter dem heutigen Regime die Sache ganz anders liegen, da man die Notwendigkeit grosszügiger Arbeitsbeschaffung in Deutschösterreich, vor Allem [!] durch öffentliche Bauten, einsieht und zu diesem Zwecke auch die grossen Geldmittel des Deutschen Reiches heranzuziehen bereit ist.291 Die Träume vom Goldregen erfüllten sich nicht, anstelle einer wundersamen Erneuerung sah sich Schmid 1939 mit der Erstellung von Luftschutzmaßnahmen befasst. Immerhin schien zumindest die Behebung der drängenden Raumnot seitens der neuen Machtherren endlich eine Beförderung zu erfahren, wohl der Einsicht folgend, dass die im Zuge des "Klostersturms" requirierten und der Studienbibliothek zugedachten Klosterbibliotheken aufgrund ihrer Bestandsgröße nicht so ohne weiteres unterzubringen waren. Zu diesem Behufe erhielt die öffentliche Studienbibliothek einen ehemaligen Kapellenraum zugesprochen, um dessen Nutzung bereits seit längerem ein Tauziehen zwischen der Bibliothek, dem Gurker- Ordinariat und der Reichsstatthalterei bestand. In den Auszügen dieser Korrespondenz tritt deutlich die sukzessive Minderstellung der kirchlichen Einrichtung zutage. Am 14. November 1939 hatte sich Theodor Schmid mit dem botmäßig formulierten Ersuchen an das Gurker Ordinariat gewandt: 291 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Landeshauptmannschaft Kärnten in Klagenfurt vom 29.3.1939. UAK, Kt. 837, Fasz. Raumvermehrung ab 1938. 88 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. Die Direktion der Studienbibliothek in Klagenfurt bringt Folgendes zur Kenntnis und ersucht um gefällige Stellungnahme: Im Gebäude der Studienbibliothek befindet sich in der Paulitschgasse die Kapelle der staatlichen Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt. Diese Kapelle wird aber seit geraumer Zeit für gottesdienstliche Zwecke nicht mehr verwendet. Die Direktion der Studienbibliothek legt nun Wert darauf, diesen Raum für eigene Zwecke, wenigstens vorübergehend zu verwenden. Sollte die Kapelle exekriert worden sein, so ersucht die gefertigte Direktion um die entsprechende Verständigung, damit sie die Räume für Bibliothekszwecke benützen kann; [...].292 In seinem Antwortschreiben vom 22. November 1939 zeigte sich das Gurker Ordinariat dem Gesuch grundsätzlich gewogen, knüpfte allerdings einige Auflagen an die Erteilung der Genehmigung für eine zweckentfremdete Nutzung des Kapellenraumes: Da die Studienbibliothek den Charakter einer geweihten Kapelle würdigt und deshalb bereit ist, den Raum so zu benützen, dass eine Exekration nicht notwendig wird, ist auch das Fb. Ordinariat gerne bereit, unter Wahrung nachstehender Bedingungen den geweihten Raum der Studienbibliothek in Klagenfurt [...] zur Verfügung zu stellen. Müsste die löbliche Direktion der Studienbibliothek dafür sorgen, dass die Paramente, die liturgischen Geräte und beweglichen Teile des Altares, [...] dem Fb. Ordinariate zu kirchlichen Zwecken zur Verfügung gestellt werden. [...] Müsste der Altar, wozu sich die Direktion schon bereit erklärt hat, mit Tüchern überschlagen werden und der Raum nicht als Lesesaal, sondern als Aufbewahrungsraum für Bücher benützt werden.293 Einen Monat später hatten Ausgangslage und Tonfall bereits eine deutliche Änderung erfahren. Seitens des "Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich" wurde der Kapellenraum dem Landesschulrat für Kärnten kurzerhand zugewiesen, 292 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das f.-b. Gurker Ordinariat vom 14.11.1939. UAK, Kt. 837, Fasz. Raumvermehrung ab 1938. 293 Schreiben des f. —b. Gurker Ordinariats an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 22.11.1939. UAK, Kt. 837, Fasz. Raumvermehrung ab 1938. 89 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. welcher ihn seinerseits der Studienbibliothek überliess. Gegen diese freibeuterische Vorgangsweise erhob das Ordinariat am 27. Dezember 1939 Einspruch: Dieser Druck ist aber gewiss nicht im Sinne der Reichsregierung; hat doch der Führer und Reichskanzler selbst in seiner Rede vor dem Deutschen Reichstag am 23. März 1933 in Ankündigung der kultur- und kirchenpolitischen Grundlinien des Dritten Reiches ausdrücklich hervorgehoben, dass die nationale Regierung in Schule und Erziehung den christlichen Konfessionen den ihnen zukommenden Einfluss einräumen und sicherstellen werde, dass sie für das aufrechte Zusammenleben zwischen Staat und Kirche sorgen werde und dass der Kampf gegen eine materialistische Weltauffassung und für die Herstellung einer wirklichen Volksgemeinschaft ebenso sehr den Interessen der Deutschen Nation diene wie den [!] des christlichen Glaubens.294 Die Berufung auf ein Hitlerwort aus dem Jahr 1933 zeugt trotz der zu diesem Zeitpunkt bereits gemachten desillusionierenden Erfahrungen mit der "Bonität" der neuen Machtherren (siehe Abschnitt III.1.) von der Weigerung, sich der Tatsache zu stellen, dass alle bis dato gegolten habenden und für unverbrüchlich gehaltenen Formen und Regeln auch des offiziellen Umganges außer Kraft gesetzt und an ihre Stelle Willkür, rüde Landsknechtmanieren und schiere Gewalt getreten waren. Der "Klostersturm" der Jahre 1940/41 sollte dann in noch ungleich devastierenderem Ausmaß über die Diözese Gurk hinwegfegen, wie einem Schreiben des Ordinariates an den Reichsstatthalter in Kärnten vom 28. Oktober 1940 zu entnehmen ist: Die Direktion der Staatsstudienbibliothek in Klagenfurt erhielt vom Herrn Reichsstatthalter in Kärnten unter obiger Zahl vom 7. Oktober 1940 die Ermächtigung, den Kapellenraum im Gebäude Klagenfurt, 10. Oktoberstr. 24 zur vorläufigen Unterbringung der aus St. Georgen a.L., St.Andrä i.L. und Tanzenberg stammenden Büchereien in Verwendung zu nehmen. Das Fb. Ordinariat hat davon eine Verständigung nicht erhalten. [...] Am 21. Oktober 294 Schreiben des f.—b. Gurker Ordinariats an den Reichsminister des Inneren in Berlin vom 27.12.1939. UAK, Kt. 837, Fasz. Raumvermehrung ab 1938. 90 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. 1940 wurden [!] nun unter Beisein des Herrn Hofrates Dr. Theodor Schmid ein Teil der religiösen Gegenstände, die genau aufgenommen wurden, aus dem allerdings sehr unwürdig behandelten und mutwillig beschädigten Kapellenraum entfernt.295 Machteinbuße und Geltungsverlust der Kirche spiegeln sich auch in einer Veränderung des Tonfalls, dessen sich der Direktor der Studienbibliothek in seiner Amtskorrespondenz nunmehr gegenüber dem Ordinariat befleissigte, in einer deutlichen Wendung von devoter Höflichkeit zu unverhohlener Abschätzigkeit: Die »religiösen Gegenstände« in der erwähnten Kapelle, d.h. kirchlichen Paramente, nämlich Messkleider, eine Kirchenfahne, Ampel und einige andere Kleinigkeiten, sind Eigentum des fürstbischöflichen Ordinariats und wurden von demselben auf Aufforderung der Bibliotheksdirektion bereits abtransportiert; sie repräsentieren übrigens, da stark beschädigt und abgenützt, keinerlei Verkehrswert mehr.296 Trotz amtlicher Zusage konnte die Studienbibliothek den so dringend benötigten Kapellenraum letzten Endes dennoch nicht in Verwendung nehmen. Allem Anschein nach kam ihr die auch lobbyistisch stärkere Landesstelle des Bergeamtes mit dem zugkräftigen Argument volkswirtschaftlicher Erfordernis zuvor. So fand nach Kriegsende der langjährige Raumstreit seine Fortsetzung, nunmehr ausgefochten vom Amtsnachfolger Schmids, Richard Fuchs, auf der pressierenden Suche nach einem Lagerraum für die rund 600 Bücherkisten, welche jene Bestände der in Tanzenberg untergebracht gewesenen Zentralbibliothek der Hohen Schule füllten, die eines besonderen Restitutionsaufwandes bedurft hätten (siehe Abschnitt IV.) und fürs erste entscheidungsretardierend der Sachwalterschaft des Direktors der Studienbibliothek 295 Schreiben des f. —b. Gurker Ordinariates an den Reichsstatthalter in Kärnten vom 28.10.1940. UAK, Kt. 837, Fasz. Raumvermehrung ab 1938. 296 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichsstatthalterei Klagenfurt, Abt. II, vom 7.12.1940. UAK, Kt. 837, Fasz. Raumvermehrung ab 1938. 91 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. überantwortet worden waren: Als Zwischenlösung muss der Bibliothek der Kapellenraum zur Verfügung gestellt werden, wie es schon 1938 vorgesehen war. Für alle Schäden an den Büchern, insbesondere infolge der feuchten Einlagerung und für alle Mehrauslagen, beantrage ich das Bergeamt verantwortlich zu machen, weil es unter keinen Umständen den Kapellenraum freigeben wollte und sich, mit Hinweis auf Einnahmenentgang hinter Herrn Landeshauptmann- stellv. Herke verschanzte.297 Auch ein Jahr später, im Juni 1949, war das Problem seiner Lösung so fern wie eh und je, bis sich mit dem Abtransport der Packkisten an die Büchersortierungsstelle in Wien das jahrelange Tauziehen erübrigte: Es ist unbedingt notwendig, das Bergeamt zur Aufgabe dieses Raumes zu veranlassen, weil die Manipulation, die hier durchgeführt wird auch wo anders vorsich gehen [!] kann und der Wert der Bücher bestimmt höher steht, als alte Autoreifen oder schadhafte englische Kotzen.298 Nach Kriegsende erging an Theodor Schmid im Zuge des "Entnazifizierungsverfahrens", welches seitens der Besatzungsmächte eingeleitet und hernach an die Österreichische Regierung übertragen wurde, vermutlich die Aufforderung zu einer offiziellen Stellungnahme, da er während des Krieges doch in leitender Funktion tätig gewesen war. Die Beurteilung seiner je aktiven oder passiven Rolle im Nationalsozialismus, entschied wiederum über eine etwaige Heranziehung zur "Sühneleistung" wie über den künftigen Bezug seiner staatlichen Pension 299. Daß der vormalige Bibliotheksdirektor Schmid einer solchen Überprüfung unterzogen wurde, erklärt jedenfalls die Existenz eines 1946 — mithin 297 "II. Bericht über Tanzenberg" der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an den Generalinspektor der Bibliotheken des Bundesministeriums für Unterricht, Josef Bick, vom 18.7.1948. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg. 298 Entwurf eines Schreibens der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Amt der Kärntner Landesregierung, Abt. 23, vom [?].6.1949. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg. 299 Vgl. Stiefel, Entnazifizierung in Österreich (Anm. 136) 281 ff. 92 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2. vier Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Bibliotheksdienst — hand- schriftlich aufgesetzten Lebenslaufs Schmids in dessen Personalakten. Die Einstellung seines Verfassers zum Hitler —Regime findet darin allerdings mit keinem Wort Erwähnung. Soweit ein Schriftstück, welches gewissen formalen Kriterien gehorcht, eine Interpretation zulässt, liegt der Schwerpunkt in diesem Selbstzeugnis auf der Betonung von berufsständischer Honorigkeit und persönlicher Kultiviertheit. Die ins Auge stechenden Unsauberkeiten in der autographischen Abfassung (Durchstreichungen, ungleiche Schriftgröße, zusehends schiefe Zeilenführung) lassen sich als Ausdruck der Empörung und demonstrativen Zurückweisung der als Anmutung und Infragestellung der persönlichen Reputation empfundenen Rechtfertigungsaufforderung lesen. Sofern sich der Pensionär Schmid tatsächlich einem Beurteilungsverfahren zu unterziehen hatte, dürfte die Sonderkommission in ihrer Einordnung des ehemaligen Bibliotheksdirektors Theodor Schmid zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen sein, wie Peter Malina hinsichtlich des durchschnittlichen Staatsdieners: "Die Beamtenschaft (und dies trifft wohl auch für die Bibliotheks —Beamten zu) versuchte, so gut es ging, über die Zeiten hin- wegzukommen und sich den neuen Gegebenheiten nach Möglichkeit anzupassen." 300 300 Peter Malina, Zur Geschichte der wissenschaftlichen Bibliotheken Österreichs in der NS —Zeit. In: Bibliotheken während des Nationalsozialismus 1, edd. Peter Vodosek und Manfred Komorowski (= Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens 16, Wiesbaden 1989) 443-452, hier 447. 93 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.3. I.3.3. Richard Fuchs (1942 —1953) In kausalem Zusammenhang mit der Implementierung des Gesetztes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 sowie des Deutschen Beamtengesetzes vom 26. Jänner 1937 als der legistischen Grundlage einer radikalen Verwaltungsreform, welche ganz im Sinne einer Militarisierung des zivilen Lebens einen "neue[n] Beamtentyp von echtem Kämpfertum"301 visierte, stand die Kontroverse um den Entwurf eines Runderlasses des Reichsinnenministeriums, der die verpflichtende Mitgliedschaft aller Beamten in der NSDAP oder zum wenigsten in einem der ihr angeschlossenen Verbände zum Inhalt hatte. Während dessen Befürworter darin neben dem "Treueeid"302 auf den Führer einen weiteren Garanten für die in §71 des Deutschen Beamtengesetzes festgeschriebene Unbedingtheit rückhaltloser Gefolgschaft303 sahen und zudem auf die persuadierende Außenwirkung einer solchen Formation reflektierten, führten die Gegner die Gefahr einer Gesinnungsinflation ins Treffen, wonach eine Pression "wohl Parteimitglieder, aber nicht Nationalsozialisten" zu generieren vermöchte 304. Mit der Schlagkraft letzteren Argumentes wurde der ministerielle Vorstoss dann auch vereitelt. Lediglich in Bezug auf Beamte des gehobenen Dienstes einigte man sich unter Berufung auf eine persönliche Anordnung Hitlers auf die Formel einer "erwünschten Parteimitgliedschaft" 305. In einzelnen Sub301 Denkschrift von Fritz —Dietlof Graf von der Schulenburg, April 1933 zum Neuaufbau des höheren Beamtentums. Schulenburg war NSDAP —Mitglied, Verwaltungsbeamter, 1937 Polizeivizepräsident von Berlin. Nach seiner Abkehr vom Nationalsozialismus wurde er 1940 aus der Partei ausgeschlossen. Als Widerstandskämpfer war Schulenburg aktiv an der "Operation Walküre" beteiligt. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler wurde er zum Tode verurteilt und 1944 hingerichtet. Abgedr. in: Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich (Anm. 230) 137. 302 Vgl. Arnold Köttgen, Die Stellung des Beamtentums im völkischen Führerstaat. In: Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus. (Anm. 90) 305-307, hier 305. 303 "Deutsches Beamtengesetz" vom 26.1.1937. RGBl 1937 I, 41. Vgl. ebd. 304. 304 Zit.n. Grotkopp, Beamtentum und Staatsformwechsel (Anm. 220) 138-139. 305 Vgl. Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich (Anm. 230) 84. 94 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.3. bereichen des öffentlichen Dienstes, wie dem Bildungsbereich, wurde eine Parteimitgliedschaft ungeachtet der Gesetzeslage verpflichtend eingefordert. So hieß es in §2d der "Ausbildungs- und Prüfungsordnung für den Wissenschaftlichen Bibliotheksdienst" aus dem Jahr 1938: In Frage kommen Bewerber, die [...] der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen angehören. Ob im Einzelfall von diesem Erfordernis [Hervorh. d.d. Verf.] abgesehen werden kann, bestimmt der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers.306 Abseits der offiziellen Debatte drängte die Beamtenschaft nach der nationalsozialistischen Machtusurpation allerdings derart massiert in die Partei, dass die NSDAP sich veranlasst sah, dem "Konjunkturrittertum" mit einer Verschärfung der Aufnahmebedingungen wie der Einführung eines Anwärterstatus vor der eigentlichen Mitgliedschaft sowie einer zweijährigen Bewährungszeit einen Riegel vorzuschieben 307. Es war also mitnichten ein im Zuge der Entnazifizierung immer wieder exkulpierend ins Treffen geführter Zwang, der die Mitglieder des öffentlichen Dienstes derart forciert in die Partei drängte, sondern mehrheitlich Überzeugung und Opportunismus: "Eine »unpolitische« Erfüllung der Beamtenpflicht genügte zumeist, wenn sie auch das berufliche Fortkommen zeitweise behindert haben mag." 308 Einer jener Kalkül —Nationalsozialisten dürfte auch Richard Fuchs gewesen sein, der Theodor Schmid 1942 als Leiter der Öffentlichen Studienbibliothek nachfolgte. So stellte er sich jedenfalls selbst in einer Erklärung dar, welche ihm als registriertem Parteimitglied seitens der "Sonderkommission" im Zuge des allgemeinen Entnazifizierungsverfahrens 306 Ausbildungs- und Prüfungsordnung für den wissenschaftlichen Bibliotheksdienst WE 2544,ZIIa(b)/38. Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (Berlin 1938) 3-4. 307 Vgl. Hans Buchheim, Mitgliedschaft bei der NSDAP. In: Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte 1 (München 1958) 317. 308 Stiefel, Entnazifizierung in Österreich (Anm. 136) 128. 95 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.3. nach Kriegsende abverlangt worden war: Nach Darlegung der dienstlichen Stellung, folgt nun mein Verhalten zur NSDAP. Während meiner Hochschulstudien war ich bei keiner Verbindung aktiv, sondern gehörte nur einem Fachverein, dem Akad. Verein d. Historiker der Univ. Wien an. Ich war von Anbeginn Mitglied der V.F. und wurde zum Leiter der Dienststelle "Parlament" bestellt, welchen Posten ich von 1933—36 bekleidete, um später von Dr. Bernsteiner abgelöst zu werden. Im März zählte ich zu den vielen Parlamentsbeamten, die übernommen wurden. Da alle, oder fast alle, Kollegen in den verschiedensten Bibliotheken bereits der Partei angehörten, da ich überdies mit meiner Versetzung zu rechnen hatte, meldete ich mich im Oktober 1940 zu derselben. Es gelang mir, jede Mitarbeit in der Ortsgruppe Brillantengrund, trotz Einschüchterungsversuchen durch den Leiter, abzuwehren. Das scheint der Grund gewesen zu sein, warum meine rosa Anwärterkarte mit der Nummer 9,021.705 erst am 4.12.1943 ausgestellt wurde. Die Zustellung in Klagenfurt geschah am 3.XI.1944. So kam es, dass die wenigsten von meiner Parteizugehörigkeit wussten, weil ich hier mit keinem Pg. [Parteigenossen] verkehrte, an keinem Appell teilnahm und das Abzeichen nur trug, wenn ich einen dienstlichen Weg hatte. Aus dieser Sachlage heraus erfolgte schon im Mai 1945 meine Einstellung durch die F.S.S.309 [Field Security Section] Die Dienstzuweisung des 52 —jährigen Richard Fuchs an die Öffentliche Studienbibliothek Klagenfurt im Jahr 1942 war eine mittelbare Folge der "Selbstausschaltung des Parlaments" am 4. März 1933 und des "Anschlusses" Österreichs an das Deutsche Reich am 13. März 1938. Am 1. Mai 1942 wurde die Parlamentsbibliothek, mit deren provisorischer Leitung Fuchs betraut gewesen war, aufgelöst und mit der Administrativen Bibliothek des Bundeskanzleramtes zur so genannten "Verwaltungsbibliothek in Wien" rechtlich vereinigt. Zwar bewarb sich Fuchs um eine Übernahme in leitender Funktion an die neue Institution, doch wurde ihm, wie er in seinem Lebenslauf mit deutlich erkennbarem Ressentiment 309 Richard Fuchs an die Sonderkommission I. Instanz beim Bundesministerium für Unterricht vom 7.12.1946. UBK, Personalakten. 96 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.3. schrieb, "der dienstjüngere Dr. Oberhummer vorgezogen"310 . Die Versetzung von einer Einrichtung, die mit rund 25.000 Bänden zwar nur ein Fünftel der Bestandsgröße der Öffentlichen Studienbibliothek maß, dafür aber so wertvolle Stücke wie das "Oktoberdiplom" oder das "Februarpatent" in ihrer Sammlung enthielt, an die darbende Klagenfurter Studienbibliothek war eine wohl nicht ganz erwartungskonforme Lösung. In einem Nekrolog war denn auch vom "Unrecht seiner Versetzung"311 die Rede — eine Satisfaktion, welche für den ehrgeizigen Direktor allerdings zu spät kam. Die Amtszeit von Richard Fuchs, soweit sie sich in den vorhandenen Akten abbildet, wurde durch zweierlei Verfahren bestimmt: Zum einen war Fuchs in den Jahren 1943 bis 1950 in einer in der Rückschau nachgerade abstrus anmutenden Weise als Bücherspediteur zugange. Im April 1943 kamen die bereits drei Jahre zuvor im Rahmen von Luftschutzmaßnahmen vorbereiteten Bergungskisten tatsächlich zur Anwendung: Die wertvollsten Bestände der Studienbibliothek, Inkunabeln, Handschriften und Carinthiaca, darunter auch die Paracelsus—Handschriften, wurden nach Schloss Himmelberg bei Feldkirchen und Schloss Frauenstein bei St. Veit ausgelagert. Dem Bergungsbericht zufolge wurden auf diese Weise 18 Kisten unersetzbaren Schriftgutes vor einer möglichen Zerstörung in Sicherheit gebracht. Wie ein Schreiben an den Reichsstatthalter in Klagenfurt vom Jänner 1944 erklärte, blieb nach Befinden von Richard Fuchs aber "noch viel mehr zu bergen übrig [...]. Bei der Vorliebe unserer Feinde, deutsche Bibliotheken zu vernichten und bei einer geplanten Landung auf den [!] Balkan, wäre es an der Zeit, die gänzliche Verlegung der Stud.Bibl. von Klagenfurt nordwärts zu erwägen, um sie bei einer Gefahr während des Krieges sicher zu stellen."312 In 310 Ebd. 311 Volkszeitung Klagenfurt, 107, 10.5.1953, 10. 312 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichsstatthalterei Klagenfurt, Abt. II, Personalamt, vom 15.1.1944. UAK, Kt. 369, Fasz. Bergung. 97 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.3. der Folge wurden weitere 18 Kisten nach Schloss Tanzenberg und handschriftlichen Ergänzung des Bergungsberichtes zufolge — — einer 20 Kisten nach Schloss Drasing verfrachtet (Abb. 9, Dokumente). Die verlustlose Rückführung der ausgelagerten Bestände nach dem Krieg (Abb. 10a—b, Dokumente) wurde Theodor Fuchs als besonderes Verdienst noch in den Nachrufen auf seine Amtszeit angerechnet. Tatsächlich dürfte es einiger Überzeugungskraft bedurft haben, den alliierten Besatzern die Rechtmäßigkeit des Eigentums inmitten all des Raubgutes glaubhaft zu machen. Zeitgleich galt es, die aus Kirchenbesitz stammenden Bücher, welche der Studienbibliothek "unter dem Schlagwort »Sicherung«"313 zugewiesen worden waren (siehe Abschnitt III.2.2.), an die rechtmäßigen Eigentümer zu restituieren. Zudem wurde Richard Fuchs bereits 1946 in die Liquidation der in Tanzenberg untergebrachten Zentralbibliothek der Hohen Schule eingebunden, der aus rund 500.000 Bänden bestehenden Studienbibliothek einer noch im Planungsstadium befindlichen NSDAP —Universität, die mit den beginnenden Bombardierungen 1942 auf Einladung des damaligen Gauleiters Friedrich Rainer von Berlin nach Kärnten ausgelagert worden war314 . Mit dem nämlichen Eifer, mit welchem Fuchs sich unter dem NS—Regime an der Enteignung der Klosterbibliotheken beteiligt hatte, unterwand sich der stets Vorteilsgewahrende nunmehr dieser sehr gelegen kommenden, da reputationsrestaurierenden Aufgabe: "Die Leitung ist selbstverständlich bereit und befähigt dem ehrenvollen Auftrage nachzukommen, um nebenamtlich, so rasch als tunlich, die Liquidierung dieser Angelegenheit [Hervorh. d.d. Verf.] durchzuführen."315 Nach der noch unter englischer Verwaltung erfolgten 313 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichsstatthalterei Klagenfurt, Abt. II, Personalamt, vom 10.11.1942. UAK, Kt. 837, Fasz. Raumvermehrung ab 1938. 314 Vgl. Adunka, Der Raub der Bücher (Anm. 13) 15 ff. 315 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Amt der Kärntner Landesregierung, Hofrat Dr. Stoll, vom 6.2.1946. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg. 98 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.3. Restitution von 4.599 Bücherkisten316 befanden sich 1949 immer noch etwa 600 Kisten in Kärnten, als deren Treuhänder Richard Fuchs bestellt wurde. Bis 1950 war Fuchs mit dieser Aufgabe befasst, am 16. November erfolgte dann die Meldung an das Amt der Kärntner Landesregierung, Abteilung Vermögensverwaltung, über den "Abschluss des Transportes der Tanzenberger Bücherkisten nach Wien"317 (siehe Abschnitt IV.). Jenseits der expeditorischen Agenden war die Amtszeit von Theodor Fuchs von seinem Bestreben dominiert, das Ansehen der Bibliothek durch den Zugewinn bibliophiler Rara zu steigern. Diesem Begehren kam die Enteignung der klösterlichen Buchbestände als eine Folge des "Klostersturms" durchaus zupass — womit sich der 3. Abschnitt der Arbeit ausführlich beschäftigen wird. Als Fuchs mit Kriegsende alle Hoffnung auf eine höhere Aggregation der Studienbibliothek schwinden sah, stellte er spornstreichs die ihm anvertrauten Restbestände der ehemaligen Zentralbibliothek ins Zentrum neuer Pläne. Mit usukapionistischen Argumenten machte sich Fuchs für den Verbleib zum mindesten eines Teils des "herrenlosen Gutes" in Kärnten stark (Abb. 11, Dokumente). Als jedoch auch die Kärntner Landesregierung den Gedanken, auf der Grundlage dieser Bestände ein "Institut der Kärntner Landesforschung"318 mit Standort Klagenfurt oder Ossiach zu gründen, wieder fallen ließ, suchte Fuchs dem dräuenden Schicksal eines finalen Rückfalls in die Unmaßgeblichkeit mittels einer Intrige zu entgehen (siehe Abschnitt IV.). In seinem letztendlichen Verbleib in Klagenfurt spiegelt sich sein mangelndes Talent zum bibliothekarischen Machiavelli. 316 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Bundesministerium für Vermögenssicherung Wien vom 23.12.1949. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg. 317 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Amt der Kärntner Landesregierung, Vermögensverwaltung, vom 16.11.1950. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg. 318 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an den Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vom 12.5.1948. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg. 99 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.3. Resümierend zeichnet die rührige Persönlichkeit und Amtsführung von Richard Fuchs das nicht untypische Bild einer zeitgenössischen Beamtenlaufbahn, von der agilen Beteiligung am System über eine geschmeidige Kehre hin zu Reputationsbekundungen in den Nachrufen: Mit Dr. Fuchs verliert Klagenfurt und unsere Heimat einen braven, pflichtbewußten Beamten, der all seine Kräfte in den Dienst des Staates gestellt hat. Hofrat Ganz als Vertreter des Bundesministeriums für Unterricht dankte dem Verstorbenen im Namen des Ministeriums für seine Pflichttreue und die viele geleistete Arbeit in diesem Ressort. Dr. Fuchs stand kurz vor der Ernennung zum tit. Hofrat und außerdem sollte auch das Unrecht seiner Versetzung, die im Jahre 1942 durchgeführt wurde, gutgemacht werden.319 Nach Kriegsende musste sich nicht nur der Bibliotheksleiter vor der Sonderkommission verantworten, die Bibliothek selber war zur "Entnazisierung" ihrer Bestände aufgefordert: Es wird um umgehenden Bericht ersucht, was hinsichtlich der Entnazisierung der Bibliothek durchgeführt wurde. Außerdem ist mitzuteilen, wer für die Durchführung dieser Aktion verantwortlich ist. Das Verzeichnis über die ausgeschiedenen Bücher und Schriften ist anher vorzulegen.320 In seinem Antwortschreiben vom 5. Februar 1946 gibt Fuchs an, dass "bisher 175 Werke aus der Studien —Bibliothek und 288 Werke aus der Landes —Lehrerbibliothek ausgeschieden wurden."321 Im März wurde die für die Dauer der Bestandsbereinigung verhängte Schliessung der Bibliothek nach erfolgter Sichtung durch die Education —Branch der britischen Militärregierung wieder aufgehoben. Die auf der Grundlage des "Literatur —Reinigungsgesetzes" des Bundesministeriums für Unterricht vom 9. März 1946 ausgeschiedenen Bücher wurden bis zu einer Entscheidung des Alliierten Rates über deren Behand319 Volkszeitung Klagenfurt, 107, 10.5.1953, 10. 320 Amt der Kärntner Landesregierung an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 19.12.1945. UAK, Kt. 363, Fasz. 1945. 321 Schreiben der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Amt der Kärntner Landesregierung vom 5.2.1946. UAK, Kt. 363, Fasz. 1946. 100 I. Bibliotheken —Verwaltung 3.3. lung zentral gesammelt. Da die hierfür vorgesehene Studienbibliothek aufgrund von Platzmangel hierfür nicht wie vorgesehen in Frage kam, wurde der Luftschutzkeller der Lehrerbildungsanstalt zur lokalen Sammelstelle bestimmt. Seitens der Öffentlichen Studienbibliothek wog die mit den Büchern nationalsozialistischer Couleur zugleich expedierte Erinnerung an die "braunen Zeiten" nicht allzu schwer: 700 Bde. ist gleich 350 kg322 (Abb. 12, Dokumente). 322 Notiz des Bibliotheksleiters Richard Fuchs auf einem Telegramm des Unterrichtsministeriums vom 8.6.1946. UAK, Kt. 363, Fasz. 1946. 101 II. Bücher —Raub 1. Buch. Geschlossen hinter seinem festen Deckel, geöffnet mit seinen dünnen Seiten. Das Äußere verbirgt ein Geheimnis, das Innere ist mit den Zeichen der Aufklärung versehen. Das Umblättern der Seiten ist ein raum —zeitlicher Ablauf. Das Öffnen einer Seite bedeutet das Schließen einer anderen. Perfekter Chronotop. Das Buch als Ort der Zeichen, als Versuch der Entzifferung. Das Buch als komprimierter und konzentrierter Geist. Das Buch als Symbol für die Enthüllung der Rätsel dieser Welt. Das Buch als Ort des Glaubens. Das Buch als Schlüssel für das Tor. (Igor Ganikowskij, Die Symbole des Lichts: VI. Buch) Sie waren von dem Wahn getrieben, die Bücher des Scharlachroten Sechsecks zu erobern: Bücher kleineren Formats als die natürlichen; allmächtig, erlaucht und magisch. (Jorge Luis Borges, Die Bibliothek von Babel) Auch die den jüdischen Mitbürgern geraubten Bücher lassen sich aufgrund der in ihnen verborgenen Latenz zu den Heterotopien zählen. Es sind Bücher außerhalb aller Bücher. Ihr Ort im Regal reflektiert einen anderen Ort, einen Un—Ort, Auschwitz. (Jürgen Babendreier, Ausgraben und Erinnern) Ahl al —kitab, "Leute des Buches": II. Bücher —Raub II.1. Die Proklamierung einer genuin deutschen Bibliophilie als Teil der kulturellen Verbrämung der nationalsozialistischen Programmatik Innert weniger Jahre — im Umblättern einer Seite, gemessen an der menschheitsbegleitenden Dauer seines Bestehens — hat das Buch die Ein- buße seiner epistemischen Autorität erfahren, um von der technologischen Entwicklung tabulos zum "Printmedium" egalisiert zu werden. Nur unzu102 II. Bücher —Raub 1. länglich spiegelt die neue Terminologie den eigentlichen Gehalt dieses Bedeutungswandels: Die Entgrenzung von Wissen zum ungerichteten Fliessen der Informationen im Hypertext: Zu den aus der Tradition entwickelten Eigenheiten des Buchs, wie es im späten europäischen Mittelalter geprägt wurde, gehört, dass ein Buch ein abgeschlossenes [...] Werk ist, [...] versinnbildlicht in den beiden das Buch einschließenden Buchdeckeln [...]. Google Print, Amazon's [!] seitenweises Verkaufsmodell der Zukunft und die Eröffnung von Random House, die Buchdeckel virtuell zu öffnen und Seite für Seite anzubieten lösen diese alten Verbindlichkeiten schlichtweg auf.323 Was für die Seefahrer der Vorzeit das mare incognitum, das unbekannte Meer war, das sie einst zu ihren Entdeckungsreisen lockte, ist für die Surfer der Gegenwart das Internet, gestaltlos wie Wasser und wandelbar wie dieses324 : "Das Gegenteil von Bibliothek heißt heute Information, ist befallen vom Virus des digitalen Vergessens und war früher ein Fluss und nannte sich Lethe."325 Nicht Dauerhaftigkeit verheißt das Virtuelle, sondern Allgegenwart — für die Gelehrten des Mittelalters eine punitive Eigenschaft der Hölle326. Doch bei allem Gewahren dessen, was mit dem Paradigmawechsel verloren geht, besteht gleichwohl keine Veranlassung zu einem defätistischen Lamento über einen dräuenden Kulturverlust und die Substitution von universeller Weltkunde durch zweckrationale Fachkenntnis und Wikipedia —aufbereitete Konsumbildung, wie es die Mediendiskussion der Gegenwart vielstimmig erhebt: Die menschliche Einbildungskraft ist nicht monogam und muss es auch nicht sein, und neue Geräte werden schon bald neben den Powerbooks stehen, die heute in der Multimedia —Bibliothek neben den echten Büchern stehen.327 323 Rüdiger Wischenbart, Die Eroberung der Bibliotheken durch das Internet. Ein Kulturkonflikt um Profile, Rollen und Mandate. In: Semantic Content Engineering. Proceedings der Semantics 2000, edd. Siegfried Reich u.a. (= Schriftenreihe Informatik 17, Salzburg 2006) 285-290, hier 288. 324 Alberto Manguel, Die Bibliothek bei Nacht (Frankfurt am Main 2007) 38. 325 Babendreier, Kollektives Schweigen? (Anm. 41) 23. 326 Vgl. Manguel, Die Bibliothek bei Nacht (Anm. 324) 38. 327 Ebd. 352. 103 II. Bücher —Raub 1. In den Menetekeln spiegelt sich zuweilen ein traditionsverbissenes Arbeitsethos, welches allem frei Zugänglichen und Entlastenden grundsätzlich mit Misstrauen begegnet. Ungeachtet der Varietäten der Wissensbehältnisse ist das Konzept des Buches auch heute noch von seiner starken kulturellen Belegung bestimmt. Geschuldet ist die Nachhaltigkeit dieser Prägung den großen monotheistischen Religionen, welche das Buch als zentrale Metapher der Offenbarung eingesetzt haben. Die Manifestation des Wortes Gottes in Buchform prädestiniert diese "strukturell als Behältnis von Totalität" 328. Für das Judentum ist in den beiden Gesetzestafeln, die in Form und Ausmaß das Buch präfigurieren, das Wort Gottes vollständig enthalten329. Und in der christlichen Apokalyptik wird die Auferstehung am Jüngsten Tag durch das Eingeschriebensein in das Buch des Lebens verheißen 330. Was das Judentum aber vor den anderen Schriftreligionen zum "Ahl al—kitab", einem "Volk des Buches", hat werden lassen, ist seine dolorose Geschichte der fortgesetzten Vertreibungen, Verfolgungen, Versehrungen. Die Thora, die fünf Bücher Mose, hat als einende Kraft die Juden gegenüber anderen Gemeinschaften befähigt, eine zweitausendjährige Diaspora als Volk zu überstehen. Das wohlbekannte Wort Heines von der Thora als dem "portative[n] Vaterland"331 der Juden bezeichnet auf das Genaueste den Weg des jüdischen Volkes in den geistigen Raum des Buches: "[D]enn Judesein heißt ins Wort emigrieren [...]. Die Rückkehr ins Buch ist die Rückkehr zu den vergessenen Stätten."332 Verglichen mit der Weite der Welt ein eng begrenzter Raum, der sich aber von innen gesehen "als viel unermeßlicher [erweist], als die Welt in ihrer Pracht 328 Carola Erbertz, Zur Poetik des Buches bei Edmond Jabès. Exiliertes Schreiben im Zeichen von Auschwitz (Tübingen 2000) 143. 329 Vgl. ebd. 143. 330 Vgl. ebd. 143. 331 Heinrich Heine, Geständnisse. In: Werke in fünf Bänden 5 (= Bibliothek deutscher Klassiker, Berlin/Weimar 14 1976) 374. 332 Edmond Jabès, Vom Buch zum Buch (München/Wien 1989) 132. 104 II. Bücher —Raub 1. und Größe nur immer sein kann."333 Eine Selbst- und Fremdwahrnehmung, die bis zum Zweiten Weltkrieg ihre Gültigkeit hatte. Was die emphatische Respektbezeugung Jan Assmanns vor dem Primat des Geistigen übersieht, ist das Moment der Verordnung in der aus der Not geborenen Tugend. Dagegen haben sich die Juden nach dem Krieg mit der Gründung des Staates Israel verwahrt und ihren Anspruch auf Teilhabe an der realen Welt erhoben. Dem entsprach auch die Mission des Religionshistorikers und Bibliothekars Gershom Scholem, der unmittelbar nach dem Krieg durch Europa reiste, um sich für eine "Rückkehr der Bücher" einzusetzen, "für eine Globalrestitution der geraubten Büchermengen an das jüdische Volk und deren vorrangige Überführung nach Palästina, wo sie die Hebräische Universität von Jerusalem treuhänderisch verwalten solle."334 Mit dieser Initiative sollte das in den "Räumen des Buches" dislozierte Gedächtnis an einem "kulturellen Platz (Universität)"335 konzentriert werden, um "dem Volk des Buches als einheitliche Körperschaft einen symbolischen Ort und Anlass zu geben, ein mit dem Buch verwobenes kollektives Gedächtnis zu entwickeln."336 Durch das Wissen um die tiefe Beziehung von Volk und Wort wird die Schändlichkeit der Bücherverbrennung des Jahres 1933 über den bloß rohen Akt der Bekundung einer vulgärer Lebensphilosophie hinaus zu einer "magische[n] Zerstörungsorgie"337. "Eines Tages erfuhr ich, durch meine Bücher, meinen Namen"338, schrieb Edmond Jabès: Die Vernichtung 333 Jan Assmann, Das Volk des Buches Zum Mahnmal von Rachel Whiteread für die ermordeten Juden Österreichs. In: Projekt: Judenplatz Wien. Zur Konstruktion von Erinnerung, ed. Simon Wiesenthal (Wien 2000) 97-109, hier 105. 334 Babendreier, Kollektives Schweigen? (Anm. 41) 29. 335 Ebd. 29-30. 336 Ebd. 30. 337 Leo Löwenthal, Calibans Erbe. In: "Das war ein Vorspiel nur ...". Berliner Colloquium zur Literaturpolitik im "Dritten Reich", edd. Horst Denkler/Eberhard Lämmert (= Schriftenreihe der Akademie der Künste 15, Berlin 1985) 14-28, hier 23. 338 Jabès, Vom Buch zum Buch (Anm. 332) 131. 105 II. Bücher —Raub 1. der Schrift als Manifestation von Identität ist ein primitives Ritual der symbolischen Tötung des Gegners und der gleichzeitigen Anverwandlung seiner gefürchteten Stärke. Aus der Asche der Bücher erhebt sich der Homunculus des "deutschen Geistes". Auf der über einen Thementag hinaus wertigkeitssuggestiv zur "Woche des Buches" ausgedehnten Inszenierung präsentierte Goebbels in seiner Eröffnungsrede das deutsche "Kulturvolk" 339 als das genuine Buchvolk: "Wir Deutschen als Volk der Dichter und Denker können uns ein menschliches Leben ohne Buch überhaupt nicht vorstellen."340 Das großsprecherisch—salbungsvolle Bekenntnis zum "Buch als Lebensbedingung" 341 steht nur scheinbar im Widerspruch zur antiintellektuellen Grundhaltung der nationalsozialistischen Ideologie. Die bekundete Literaphilie gilt nicht den Abstraktionen und Vermittlungen, nicht der "Freiheit pluralistischer, hermeneutischer, also individueller Deutung"342 , welche nur zu einem vom "Grund des Volksganzen"343 herausgelösten "Sonderleben" 344 führen. Eine der Reflexion verhaftete Sprache "hat nichts mehr zu sagen, was alle zu erfassen vermag, sondern nur noch das, was Einzelne angeht. Und so wird sie zu einer Angelegenheit der »Bildung und Kennerschaft«."345 Im Nationalsozialismus hatte Literatur eine doppelte Funktion. Zum einen waren Buch und Lektüre Versatzstücke einer schaurigen Inszenierung aggressiver Innerlichkeit: Ein Sessel wird in jedem Heim vorhanden sein, ein kleines fahrbares Bücherregal an ihn herangefahren, vielleicht noch eine Leselampe dazugestellt, 339 Joseph Goebbels, Buch und Schwert. Rede zur Eröffnung der Woche des deutschen Buches. In: Das eherne Herz. Reden und Aufsätze aus den Jahren 1941/42 (München 1943) 61. 340 Ebd. 61. 341 Ebd. 64. 342 Löwenthal, Calibans Erbe (Anm. 337) 23. 343 Hans Jantzen, Geist und Schicksal der deutschen Kunst (Köln 1935) 54. 344 Ebd. 55. 345 Ebd. 54. 106 II. Bücher —Raub 1. und mit wenigen Mitteln ist das Haus um eine schöne Gestaltung reicher geworden. [...] Nicht großen Aufwand, nicht üppige Bücherschränke verlangt das Buch im kleinen Haus, nur ein wenig Liebe und Sorgfalt in seiner Pflege und seiner Unterbringung, und es trägt einen stillen Glanz auch in bescheidenste Verhältnisse.346 In der traulichkeitsmuffigen Atmosphäre des deutschen Heims kommt der Lektüre eines "guten Buches" die Aufgabe der Erbauung zu: Bücher [...] sollen uns die große Welt in das Heim holen, sollen von Vergangenem erzählen, uns die Gegenwart recht erleben und die Zukunft schauen lassen. Gerade die stille Welt der Bücher ist für den, der sie besitzt, ein sich stets erneuernder Quell der Freude und der Innerlichkeit, der immer neue Kräfte schenkt. Das Buch ist ein guter Freund in stillen Stunden der Besinnlichkeit und der häuslichen Freude, ein treuer Helfer in Stunden der Niedergeschlagenheit oder des Leides.347 Das hier geschilderte "Idyll" entspricht der nationalsozialistischen Strategie der Ablenkung348 , scheinbar unpolitische Reservate im Privatleben wie im Kulturbereich einzurichten, die jedoch von faschistischen Inhalten durchdrungen sind349 . Über die literarische Seite der deutschen Innerlichkeitskultur, wie sie hier geschildert wird, schrieb Kurt Tucholsky: Es ist kein Zufall, daß diese Innenkünstler fast immer reaktionär sind oder aber — und das ist der schlimmere Fall — von Reaktionären benutzt, ausgenutzt und mißbraucht werden können. (Mit Shakespeare geht das nicht. Mit Tolstoi geht das nicht. Mit dem echten Goethe geht das nicht.) 350 Hinter dem Heimeligen bleckt das Unheimliche: "Überall waren Blumen gepflanzt", beschrieb der Kommandant von Treblinka, Franz Stangl, den 346 Alfons Brugger, Wohnen mit Büchern, ed. Werbe- und Beratungsamt für das deutsche Schrifttum beim Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (Berlin [1940]) ohne Paginierung. 347 Ebd. 348 Vgl. Gudrun Brockhaus, Schauder und Idylle. Faschismus als Erlebnisangebot (München 1997) 197. 349 Vgl. ebd. 197. 350 Zit.n. ebd. 197-198. 107 II. Bücher —Raub 1. deutschen Teil des Lagers: "Es ist schwer, das jetzt richtig zu beschreiben, [...] aber es wurde richtig schön."351 Die Instrumentalisierung von Literatur als Empfindungsstimulans und Bildungsbesitznachweis zeitigte mitnichten immer die gesollte Wirkung. Je salbungsvoller und weihetrunkener der Tenor deutscher Reden war, desto beißender fiel der Spott aus, mit welchem vor allem das Ausland auf die geistigen Urheberrechtspostulate reagierte, deren Bizarrerie so weit ging, noch Shakespeare zum genuin Deutschen zu erklären, wie Baldur von Schirach in einer Kantate —Rede vor der "Gesellschaft der Bibliophilen" in Weimar: Die Nation Goethes und Beethovens sind wir. Mit Thieck können wir sogar sagen: Nun haben wir unseren Shakespeare ganz, er ist in der Tat ein Deutscher geworden. Nicht nur, daß er sprachlich Gemeingut des deutschen Volkes geworden ist, was in England nie der Fall war noch sein kann, wird er an unseren Bühnen unvergleichlich viel mehr gespielt als in England selbst.352 Die Häme, welche diese "höhere Dummheit" (Robert Musil) nicht nur seitens der Engländer provozierte, gab wiederum den Anstoss zu rhetorischen Drohgebärden: "Wenn die Welt die Früchte des deutschen Geistes, der deutschen Dichtung und des deutschen Denkens zu ihren kostbarsten zählt, dann soll sie auch lernen, dieses Volk der Deutschen in seinen politischen Forderungen zu achten."353 Zum anderen kam dem Buch während des Krieges die Funktion der "inneren Rüstung" zu, anklingend im Bedeutungshof der Propagandaformel "Buch und Schwert"354 , dem Motto der Kriegsbuchwoche 1941. Unrichtig ist die Behauptung von Margaret Stieg, wonach dem Buch als Waffengattung der nationalsozialistischen Propaganda lediglich eine 351 Gitta Sereny, Am Abgrund: Gespräche mit dem Henker. Franz Stangl und die Morde von Treblinka (München 3 1997) 193. 352 Baldur von Schirach, Kantaterede (Weimar 1941) 9. 353 Karl Heinz Hederich, Nationalsozialismus und Buch. Rede zur Woche des Deutschen Buches 1937, gehalten auf der Abschlußkundgebung in Essen (Main [1938]) 21. 354 Goebbels, Buch und Schwert (Anm. 339) 67. 108 II. Bücher —Raub 1. zweitrangige Stellung zukam: The nazis understood that for their purposes the book was relatively ineffectual. As a cultural medium, the influence of the book is likely to be slow and indirect. [...] Because it has a more direct impact and evokes an immediate response, the spoken word was held in much higher esteem. Radio and film were the media of interest rather than the book.355 Volksempfänger und Film waren aufgrund ihrer Suggestionskraft wichtige Instrumente im Dienst der nationalsozialistischen Propaganda, erreichten aber in erster Linie die Zivilbevölkerung. Während des Krieges — und mit zunehmender Verelendung, Verzweiflung und Verrohung als demoralisierende Gefolgschaft des schwindenden Kriegsglücks in verstärktem Maß — galt es, die Frontsoldaten patriotisch zu indoktrinieren, um "den Mut und die Tapferkeit derer, die auf der Wacht und im Kampf stünden" 356, zu stärken. Zwei Großmaßnahmen wurden ins Leben gerufen, um "die deutsche Wehrmacht im kommenden Winter ausreichend mit guten Büchern zu versorgen"357, wie Goebbels in der Rede zur Eröffnung der Kriegsbuchwoche 1941 ankündigte: Eine Auswahl bester Literatur wird in Großauflage in handlichstem und ansprechendstem Format herausgebracht und der Wehrmacht zur Verteilung übergeben. Als erstes Ergebnis dieser Aktion werde ich in Kürze 3 Millionen Bücher an die deutschen Soldaten an der Front zum Versand gelangen lassen. [...] Daneben geht [!] die großzügige Ausführung des Aufrufs des Reichsleiters Rosenberg zur 3. Büchersammlung der NSDAP. Ungezählte Millionen Bände aus allen Sparten unseres deutschen Schrifttums sind in den vergangenen zwei Jahren auf grund [!] dieser Sammlung an die Front gegangen; [...].358 355 Margaret F. Stieg, The impact of National Socialism on libraries. In: Bibliotheken während des Nationalsozialismus 2, edd. Peter Vodosek/Manfred Komorowski (= Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens 16, Wiesbaden 1992) 11-26, hier 18. 356 Gegenwartsaufgaben des deutschen Schrifttums. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 96 (1940) 85. 357 Goebbels, Buch und Schwert (Anm. 339) 67. 358 Ebd. 67-68. 109 II. Bücher —Raub 1. Wie viele davon mögen wohl als papierene Einlage im wenig winterfesten Schuhwerk gedient haben ...? Die Ableitung von Geisteskraft aus Produktionszahlen ist so kontradiktorisch, wie sie bezeichnend ist für die dem großsprecherischen Gebaren immanente Verachtung und Scheu des Kleinbürgers vor aller "Bildung": 250 Millionen Bücher und Schriften wurden im abgelaufenen Berichtsjahr im Reich herausgebracht [...]. Wieder steht an erster Stelle das schöngeistige Schrifttum mit einer Gesamterzeugung von 72 Millionen Büchern. Hierunter befinden sich allein 39 Millionen Neuerscheinungen. [...] An zweiter Stelle steht die politische und dokumentarische Literatur der Zeit mit einer Gesamtauflage von 56 Millionen. [...] Unter den 56 Millionen Büchern der Zeit befinden sich 33 Millionen Neuerscheinungen auf dem Gebiet des Wehr- und Kriegsschrifttums. 359 Im Dezember 1939 kommentierte der polnische Historiker Chaim Kaplan in seinen Tagebuchaufzeichnungen einen Artikel der "Deutschen Allgemeinen Zeitung", der die vorgebliche Buchaffinität der Deutschen zum Inhalt hatte. Hellsichtig erfasst die Analyse den Doppelcharakter der schamlosen Anverwandlung: We are dealing with a nation of high culture, with »a people of the Book«. An article in the Deutsche Allgemeine Zeitung, »Books, Books, Books«, reports on the mania for reading that has seized all of Germany. The Germans have simply gone crazy for one thing — books. At every bookstore there are long lines of people waiting for the moment when they will be able to buy a book. They are hungry, not for bread, not for water, nor for any tangible worldly pleasure, but for the German writer. Editions of ten of thousands are sold in a few days, and the publishers cannot keep up with the tremendous demand, a demand that has never been equalled, even in the inflationary days of World War I. [...] Obviously the printers and binders are not in a position to meet the gigantic demand that shouts: »Give me! Give me!« Germany has become a madhouse 359 Ebd. 66. 110 — mad for books. Say II. Bücher —Raub 1. what you will, I fear such people! Where plunder is based on an ideology, on a world outlook which in essence is spiritual, it cannot be equalled in strength and durability. Such a nation will not perish. The Nazi has robbed us not only of material possessions, but also of our good name as »the people of the book«. The Nazi has both book and sword, and this is his strength and might.360 Auf die Lädierung der sowohl individuellen als auch kollektiven "Identitäts— Ausrüstung"361 im symbolisch aufgeladenen Akt der Bücherverbrennung folgte mit der Expropriation deren vollständige Vernichtung: Was ist es also, was im Zuge der Enteignung, im Laufe schikanöser, demoralisierender Verwaltungsakte genommen wird? Einerseits materielles [!], und dies besonders schmerzlich, weil die Beraubung an Vermögen und Besitz immer auch eine Reduktion von Handlungschancen, eine Verengung des Möglichkeitsraums bedeutet. Andererseits ist das Ensemble von Dingen [...] immer auch ein biographisches Arrangement, das das Selbstbild und die Identität in einem sehr konkreten Sinn fundiert und stützt. Geht alles dies verloren [...] kommt die sukzessive Beraubung einer wachsenden psychosozialen Entstellung gleich.362 Der hier distanzierend in die Wissenschaftssprache der sozialpsychologischen Analyse transponierte Schmerz, der ohnmächtige Zorn und die Fassungslosigkeit der Opfer, klingen aus den Tagebuchaufzeichnungen Chaim Kaplans — geschrieben im Warschauer Ghetto — als ein tief empfundenes Weh: The day before yesterday, like true Vandals, the conquerors entered the Tlomacka Library, where rare spiritual treasures were stored. They removed all the valuable books and manuscripts, put them on trucks, and took them 360 Chaim A. Kaplan, Scroll of Agony. The Warsaw Diary of Chaim A. Kaplan (London 1966) 72-73. 361 Vgl. Erving Goffman, Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen (Frankfurt am Main 7 1989) 30. 362 Harald Welzer, Vorhanden/Nicht —Vorhanden. Über die Latenz der Dinge. In: "Arisierung" im Nationalsozialismus. Volksgemeinschaft, Raub und Gedächtnis. edd. Irmtraud Wojak/Peter Hayes (= Jahrbuch 2000 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Darmstadt 2000) 287-308, hier 294. 111 II. Bücher —Raub 1. to some unknown place. This is a burning of the soul of Polish Jewry, for this library was our spiritual sanctuary where we found respite when troubles came to us. Now the fountain which slaked our thirst for Torah and knowledge is dried up.363 Die Leerstelle, welche die geraubten Bücher im Regal hinterlassen, verweist auf "einen anderen Ort, einen Un —Ort, Auschwitz."364 363 Kaplan, Scroll of Agony (Anm. 360) 39. 364 Babendreier, Kollektives Schweigen? (Anm. 41) 41. 112 II. Bücher —Raub 2. II.2. Die nationalsozialistische Raubpolitik mit dem Fokus auf der Enteignung von Schriftgut aus privatem wie institutionellem jüdischem Besitz Bereits zwei Jahre nach der Machtusurpation der Nationalsozialisten krängte der Staatshaushalt dermaßen auf die Seite des Prekären, dass sich Hitler genötigt sah, eine öffentliche Bekanntgabe des Etats zu untersagen365 . Der innenpolitische Rückhalt wurde mittels einer Politik des Vorgriffs auf die Zukunft erkauft, die Konsolidation der Stimulierung der Massenlaune bedenkenlos geopfert. In den Gedächtnisprotokollen seiner Gespräche mit Hitler schildert der ehemalige Danziger Senatspräsident Hermann Rauschning dessen Haltung zum Staatsdefizit: »Inflation, was heißt Inflation! Reden Sie mir nicht von Inflation. Es kommt darauf an, das Vertrauen der Bevölkerung zu erhalten. Alles andere ist Unsinn. [...] Was bedeutet Deckung? Vertrauen. Zu uns haben die Leute Vertrauen auch ohne Deckung«.366 Die zwei wichtigsten Investitionsbereiche der populistischen Stimmungspolitik waren die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Aufrüstung. Allen andrängenden sozialen Problemen zum Trotz wurde gerade auch letztere von einer breiten Bevölkerungsschicht mitgetragen. Der Bruch des Versailler Vertrages und der Austritt aus dem Völkerbund durch die Reichsregierung galten gemeinhin als Akt der fälligen Satisfaktion für die schmachvollen und erniedrigenden Jahre nach dem selbstverschuldeten und verlorenen Krieg. Die aggressive Psychohygiene hatte allerdings ihren Preis: Von 1933 bis Mitte 1939 gab das Deutsche Reich etwa 45 Milliarden Reichsmark für die Aufrüstung aus. Die nach damaligen Begriffen astronomische Summe betrug mehr als das Dreifache der Reichseinnahmen im Haushaltsjahr 1937. [...] Vollbeschäftigung und Rüstung waren mit riesenhaften Krediten finanziert worden.367 365 Vgl. Aly, Hitlers Volksstaat (Anm. 119) 353. 366 Rauschning, Gespräche mit Hitler (Anm. 106) 99. 367 Aly, Hitlers Volksstaat (Anm. 119) 52. 113 II. Bücher —Raub 2. Selbst Goebbels, der die Warnungen der von ihm vollmundig als "kleine Spießer"368 abgetanen Finanzfachleute gemeinhin mit dem verächtlichen Gestus eines in größeren Zusammenhängen Denkenden vom Tisch fegte, sprach in seinem Tagebuch am 2. März 1939 von dringenden Einnahmeerfordernissen angesichts eines "rasenden Defizits"369 . Das Paradieren lief auf Krieg und das Mulatieren auf Raub als "logische" und letzten Endes einzig verbleibende Lösung zur Subsidiengewinnung hinaus: Das konstante Gerede vom Volk ohne Raum, von Kolonien und Weltgeltung, von Ostexpansion, wirtschaftlichen Ergänzungsräumen und so genannter Entjudung bezweckte am Ende immer das Eine: Die Aussicht auf ein nicht selbst zu erarbeitendes Wachstum des allgemeinen deutschen Wohlstands, und das innerhalb kurzer Zeit.370 Galt die Ausplünderung der überfallenen und niedergeworfenen Staaten als angestammtes Siegerrecht, das man ohne Blickscheu bis zum Letzten zur Anwendung brachte, war die materielle Bereicherung an den Juden eine Tatsache, gegenüber der man Verschleierung und Stillschweigen präferierte: "Über die zwangsweise Umwandlung jüdischer Vermögenswerte in Kriegsanleihen durfte nicht berichtet werden, konkrete Zahlen über die Erlöse blieben geheim."371 Wo ein Agieren im Verborgenen nicht zu bewerkstelligen war, wurde das Motiv der schnöden Habgier mit geschichtsklitternden, rassistisch—ideologischen Argumenten legitimierend überformt: "Die wehrlosen Opfer eines heimtückischen Massenraubmords sollten als nichtswürdige Feinde erscheinen"372 , wofür die "Verordnung über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit" vom 12. November 1938 ein Parade368 Die Tagebücher von Joseph Goebbels I/5, ed. Elke Fröhlich (München 2000) 69. 369 Die Tagebücher von Joseph Goebbels I/6, ed. Elke Fröhlich (München 1998) 273. 370 Aly, Hitlers Volksstaat (Anm. 119) 353. 371 Ebd. 315. 372 Ebd. 315. 114 II. Bücher —Raub 2. beispiel darstellt. Die im Anschluss an die Novemberpogrome erlassene Verordnung Görings war eine groß angelegte Raubaktion, deren besondere Infamie darin bestand, die Verfolgten und Bestohlenen mit der Bezichtigung einer "feindliche[n] Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk und Reich, die auch vor feigen Mordtaten nicht zurückschreckt"373, zu Schuldnern zu machen: "Den Juden deutscher Staatsangehörigkeit in ihrer Gesamtheit [wird hiermit] die Zahlung einer Kontribution von 1,000.000.000 Reichsmark an das Deutsche Reich auferlegt."374 Bezeichnend für die Einschmelzung von Widersprüchen in die nationalsozialistische Heilslehre ist die Übertragung einer metaphysischen Anschauung auf das ökonomische Verhalten. So wird aus dem geraubten Gut "erlöstes" Gut: Es soll aber keineswegs aus der privaten jüdischen Hand in die private nichtjüdische Hand, es sei denn indirekt gelangen, sondern es gehört in die öffentliche Hand, was für diesen metaphysisch begründeten oder zumindest betonten Judenhaß charakteristisch scheint. 375 In der Übernahme und Behandlung durch den Staat vollzieht sich ein Akt der Tilgung alles "Jüdischen", eine Transsubstantiation von kontaminierten Objekten in handelbare Werte. [Sachen], die sich auch mühelos, mochte es sich selbst um so intime Dinge wie Leib- und Bettwäsche, Schlafzimmereinrichtungen oder Geschirr und Besteck handeln, von »Volksgenossen« [...] benützen ließ[en], ohne daß »Deutschblütige« darunter Schaden litten, obwohl doch sonst das jüdische Stigma kaum trennbar an allen Dingen haftete, die nach rassistischer und besonders auch nationalsozialistischer Auffassung Juden oder zu Juden gehörten, ja sogar je einmal gehört hatten.376 373 " Verordnung über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit" vom 12.11.1938. RGBl. I, 1579. Abgedr. in.: Arno Buschmann, Nationalsozialistische Weltanschauung und Gesetzgebung 1933—1945, 2: Dokumentation einer Entwicklung (Wien/New York 2000) 449. 374 Ebd. 449. 375 H. G. Adler, Der verwaltete Mensch. Studien zur Deportation der Juden aus Deutschland (Tübingen 1974) 492. 376 Ebd. 603. 115 II. Bücher —Raub 2. Die Verwandlung der "von individuellem menschlichen [!] Leben imprägnierten Dinge in neutrale bezugslose Objekte"377 folgte einer "Logik der Sparsamkeit und zweckrationalen Effizienz, die alles irgendwie Brauchbare einsammelt, sortiert und magaziniert, um es in neue Gebrauchskreisläufe einzuspeisen."378 In der Praxis der Umgestaltung und Umwidmung der materiellen Habe, die ihrerseits "Züge einer massenhaften und industriellen Arbeit annimmt"379, spiegelt sich die Vernichtung menschlichen Lebens. Auch im Sinne dieser Verwertungsökonomie wurde den "wilden Arisierungen", wie sie während der Pogrome in und nach der "Reichskristallnacht" allerorten stattfanden, ein gesetzlicher Riegel vorgeschoben. Solange der Mob seine Übergriffe auf Körpergewalt und Grausamkeit beschränkte, waren diese als "Fanal" wohlgelitten, da propagandistisch als Ausdruck des "Volkszornes" instrumentalisierbar. Hingegen stellten Sachbeschädigungen bereits ein grobes Ärgernis dar, wie Göring in einer Besprechung über Maßnahmen zur Ausschaltung der Juden aus der deutschen Wirtschaft unmissverständlich klarmachte: Wenn heute ein jüdisches Geschäft zertrümmert wird, wenn Waren auf die Straße geschmissen werden, dann ersetzt die Versicherung dem Juden den Schaden — er hat ihn gar nicht —, und zweitens sind Konsumgüter, Volks- güter zerstört worden. Wenn in Zukunft schon Demonstrationen, die unter Umständen notwendig sein mögen, stattfinden, dann bitte ich nun endgültig sie so zu lenken, daß man sich nicht ins eigene Fleisch schneidet. Denn es ist irrsinnig, ein jüdisches Warenhaus auszuräumen und anzuzünden [...] und die Waren [...] werden verbrannt und fehlen mir hinten und vorn. Da kann ich gleich die Rohstoffe anzünden, wenn sie hereinkommen. Das Volk versteht das natürlich nicht, und deshalb müssen hier Gesetze gemacht werden, die dem Volk einwandfrei zeigen, daß hier etwas getan wird."380 377 Assmann, Das Gedächtnis der Dinge (Anm. 17) 144. 378 Ebd. 145. 379 Ebd. 145. 380 Stenographische Niederschrift (Teilübertragung) der Besprechung über die Judenfrage bei Göring am 12. November 1938. Abgedr. in: Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus (Anm. 90) 365. 116 II. Bücher —Raub 2. Was nicht missverstanden werden darf: "Das Wort »Entjudung« fordert nicht zum Pogrom auf, sondern bestimmt ein Staatsziel."381 Vollends nicht geduldet werden konnten aber Plünderungen, da blanke Habgier als Beweggrund der Verfolgung die "offiziösen »idealistischen« Begründungen"382 konterkarierte. Zudem mochte es nicht angehen, dass dem Staat durch Selbstbedienung die paternalistische Geste des Verteilens aus der Hand genommen wurde. "Der Jude wird aus der Wirtschaft ausgeschieden und tritt seine Wirtschaftsgüter an den Staat ab. [...] Soweit sie nicht abgesetzt werden können, wird sich irgendein Weg finden, sie in die Winterhilfe hineinzuführen oder sonstwie zu verwerten"383 , lautete die hinsichtlich der Beuteverteilung eindeutige Richtlinie Görings. Das Verhältnis von NS —Raubstaat und Volksempfängern ist die mimetische Spiegelung der Symbiose von Hai und Putzerfischchen: "So betrachtet, verwandelte die NS —Führung die Deutschen mehrheitlich weder in Fanatiker noch in überzeugte Herrenmenschen. Vielmehr gelang es ihr, sie zu Nutznießern und Nutznießerchen zu machen."384 Die "Entjudung" des sozialen und wirtschaftlichen Lebens war ein politisch—gesellschaftlicher Prozess, worin zahlreiche Akteure und Millionen von Profiteuren involviert waren: "Gerade am Beispiel der »Arisierung« zeigt sich, daß die nationalsozialistische Herrschaft nicht als bloße Diktatur von oben nach unten, sondern als soziale Praxis begriffen werden sollte, an der die deutsche Gesellschaft in vielfältiger Weise beteiligt war." 385 Die Transformation des Staates in eine gewaltige 381 Betrifft "Aktion 3". Deutsche verwerten jüdische Nachbarn, ed. Wolfgang Dreßen (Berlin 1 1998) 15. 382 Frank Bajohr, "Arisierung" als gesellschaftlicher Prozeß. Verhalten, Strategien und Handlungsräume jüdischer Eigentümer und "arischer" Erwerber. In: "Arisierung" im Nationalsozialismus. Volksgemeinschaft, Raub und Gedächtnis, edd. Irmtraud Wojak/Peter Hayes (= Jahrbuch 2000 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Darmstadt 2000) 15-30, hier 15. 383 Stenographische Niederschrift (Teilübertragung) der Besprechung über die Judenfrage bei Göring am 12. November 1938. Abgedr. in: Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus (Anm. 90) 366. 384 Aly, Hitlers Volksstaat (Anm. 119) 361. 385 Bajohr, "Arisierung" als gesellschaftlicher Prozeß (Anm. 382) 17. 117 II. Bücher —Raub 2. Raubmaschinerie erforderte das Zusammenspiel aller Kräfte: Da das Problem in der Hauptsache ein umfangreiches wirtschaftliches Problem ist, wird hier der Hebel angesetzt werden müssen. Selbstverständlich ergeben sich daraus auch eine Reihe rechtlicher Maßnahmen, die sowohl in das Gebiet des Justizministers wie des Innenministers fallen, dann die daraus zu folgernden Propagandamaßnahmen, die in das Gebiet des Herrn Propagandaministers fallen, selbstverständlich auch Maßnahmen des Finanzministers und des Wirtschaftsministers."386 Was die Justiz im Bütteldienst des Nationalsozialismus anbelangte, so stand diese nicht an, mittels Zuschnittsgesetzgebung das legislatorische Instrumentarium für eine Totalentwertung der Juden zu liefern. Die gewieftesten Verwaltungsjuristen unterwanden sich der Aufgabe, die Ideen von "Rassereinheit" und "Entjudung" in bürokratisch praktikable Normen zu verwandeln. Das Ergebnis war ein perfides System gleichzeitiger Ausgrenzung und Einkreisung, welches den schrittweisen Entzug sämtlicher Existenzgrundlagen bis hin zur Aberkennung der Existenzberechtigung leistete. Hinter der scheinlegalen Fassade der entrechtungszentrierten nationalsozialistischen Gesetzgebung war eine Vielzahl staatlicher Stellen und Sondereinrichtungen emsig mit der verwaltungstechnischen Logistik der Ausbeutung der Juden befasst. Wie in allen Bereichen des Staatsapparates kam es auch und gerade auf dem Sektor der Expropriation zu Machtstreit und Beutebalgerei: Gab das Reichsministerium des Inneren die Anweisung, alle Bibliotheken an die Gestapo auszuliefern, ordnete das Reichsministerium für Finanzen an, sämtliches beschlagnahmtes Schrifttum bei der Preußischen Staatsbibliothek abzuliefern, während verschiedene Parteiinstanzen nach Kräften bestrebt waren, beide Weisungen zu konterkarieren.387 386 Stenographische Niederschrift (Teilübertragung) der Besprechung über die Judenfrage bei Göring am 12. November 1938. Abgedr. in: Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus (Anm. 90) 365. 387 Hans Erich Bödeker/Gerd —Josef Bötte, NS —Raubgut, Reichstauschstelle und Preußische Staatsbibliothek. Skizze einer Problemstellung. In: NS —Raubgut, Reichstauschstelle und Preußische Staatsbibliothek, edd. Dies. (= Vorträge des Berliner Symposiums am 3. und 4. Mai 2007, München 2008) 1-10, hier 2-3. 118 II. Bücher —Raub 2. Mit dem "Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit", abbreviiert "Ausbürgerungsgesetz", vom 14. Juli 1933, wurde eine erste rechtliche Handhabe für die Vermögensenteignung erlassen. Nach §2 konnten alle Personen "der deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig erklärt werden, sofern sie durch ein Verhalten, das gegen die Pflicht zur Treue gegen Reich und Volk verstößt, die deutschen Belange geschädigt haben". 388 Ein Begriff wie jener der "Treue" an zentraler Stelle dieses und anderer Gesetzestexte — beispielsweise des Beamtengesetzes — ist bezeichnend für die Verwandlung der Rechtsprechung zu einer Exegese der nationalsozialistischen Heilslehre. Die Substituierung von Prägnanz durch Emotion erlaubte, jegliche Missliebigkeit unter dem Rubrum des Treuebruchs zu erfassen, wovon der nationalsozialistische Staat auch weidlich Gebrauch machte. Bis Ende 1941 wurden 32.508 Personen auf der Grundlage dieses Gesetztes ausgebürgert und in weiterer Folge enteignet389 . Um einen Vermögenstransfer der Zwangsexilierten zu unterbinden, konnte bereits mit der Einleitung des Ausbürgerungsverfahrens das gesamte Vermögen beschlagnahmt und nach erfolgter Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft als dem Reich verfallen erklärt werden 390. Eine "Kann — Bestimmung", welche wohl in keinem einzigen Falle unausgeschöpft blieb. Der beschlagnahmte nicht — monetäre Besitz wurde zugunsten des Reichsfiskus verwertet, sprich entweder über das Dorotheum oder über die Ver waltungsstelle für jüdisches Umzugsgut der 388 "Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit" vom 14.7.1933. RGBl. I, 479. Abgedr. in: Buschmann, Nationalsozialistische Weltanschauung und Gesetzgebung 1933 —1945, 2: Dokumentation einer Entwicklung (Anm. 373) 14. 389 Vgl. Michael Hepp, Wer Deutscher ist, bestimmen wir ... In: Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933 —45 nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten Listen 1: Listen in chronologischer Reihenfolge, ed. Michael Hepp (München u.a. 1985) 25-40, hier 25. 390 "Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit" vom 14.7.1933. RGBl. I, 479. Abgedr. in: Buschmann, Nationalsozialistische Weltanschauung und Gesetzgebung 1933 —1945, 2: Dokumentation einer Entwicklung (Anm. 373) 14. 119 II. Bücher —Raub 2. Gestapo (VUGESTA) öffentlich versteigert, mitunter auch im freien Verkauf an Interessenten veräußert391 . Da das Ausbürgerungsgesetz dem nationalsozialistischen Staat nicht nur als Zugriffshandhabe auf das Vermögen der jüdischen Oberschicht diente, sondern auch als exorzistisches Instrument der "Vertreibung des Geistes"392 , mittels dessen man sich der intellektuellen Elite und künstlerischen Avantgarde des Landes entledigte, zählten zur konfiszierten Vermögensmasse häufig auch wertvolle Kunstsammlungen und Privatbibliotheken. Ein Beispiel von unzähligen für diese Form des Buchraubs, für die schmähliche Beteiligung der Bibliotheken und den schwerfälligen Gang der Restitution, stellt die Bibliothek von Thomas Mann dar, der 1936 ausgebürgert wurde. Gerade die wertvollsten Bücher aus der Münchener Wohnung der Familie Mann, die bei einem Freund in sicherer Verwahrung gewähnt waren, wurden "bei einer Haussuchung konfisziert und gingen verloren". 393 Nur etwa die Hälfte der Bibliothek erreichte dank loyaler Freunde das Schweizer Exil: "[E]in ansehnlicher Teil der Bücher, darunter die Literatur über Friedrich den Großen, blieb im Haus zurück, wurde dann prompt, als das Haus tatsächlich beschlagnahmt wurde, von der Geheimen Staatspolizei konfisziert und wanderte von ihr in die Bibliothek der Münchner Universität weiter, wo Jahrzehnte später einzelne Bände schließlich ihren Weg ins Thomas-MannArchiv in Zürich fanden; diese Zwischenbesitzer hatten nicht versäumt, die Bücher mit ihren Stempeln zu versehen.394 391 Gabriele Anderl, Edith Blaschitz, Sabine Loitfellner, "Arisierung" von Mobilien 1/2: Die Arisierung von Mobilien und die Verwaltungsstelle für jüdisches Umzugsgut (= Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS —Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich 15, Wien/München 2004) 98 ff. 392 Hans Georg Lehmann, Acht und Ächtung politischer Gegner im Dritten Reich. Die Ausbürgerung deutscher Emigranten 1933 —45. In: Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933 —45 nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten Listen 1: Listen in chronologischer Reihenfolge, ed. Michael Hepp (München u.a. 1985) 9-23, hier 9. 393 Peter de Mendelssohn, Der Zauberer. Das Leben des deutschen Schriftstellers Thomas Mann 2: Jahre der Schwebe, 1919 und 1933 (Frankfurt am Main 1996) 206. 394 Ebd. 274. 120 II. Bücher —Raub 2. Aber auch jener jüdische Teil des Besitzbürgertums, welcher nicht ausgewiesen wurde und sich seinerseits einer Emigration nicht unterwinden konnte oder wollte, entging dem existenzabschnürenden Zugriff nicht. Eine "Kette von psychischen, sozialen und materiellen Verlusterfahrungen"395 durchzog den Alltag der Opfer. Entrechtende Verwaltungsakte und schikanöse Übergriffe führten zu zunehmender Verarmung und Marginalisierung und bedingten eine sukzessive Verengung von "Möglichkeitsräumen" 396 und die Einschränkung von Handlungschancen. Die Bereicherungsabsichten der Täter waren die offenkundige Seite des Vorgehens, hinter der sich eine abgefeimte, meuchlerische Absicht verbarg. In den Protokollen der Wannsee —Konferenz zur "Endlösung der Judenfrage" ist von "verproletarisierten Juden" 397 die Rede. Die systematische Lädierung der "Identitäts —Ausrüstung"398 der Opfer galt der Herbeiführung eines Zustandes, "der sie nicht nur in administrativer Perspektive, sondern auch sozial aus der Mehrheitsgesellschaft ausschließt, bevor sie schließlich vernichtet werden können."399 Zu den ständig zu gewärtigenden Beschädigungen zählten die Hausdurchsuchungen und, mit diesen einhergehend, die Konfiskationen durch die Gestapo, deren Zweck nicht zuletzt in der Demonstration der vollständigen "Nichtswürdigkeit" der Heimgesuchten bestand. In den Aufzeichnungen Viktor Klemperers findet sich eine eindringliche Schilderung der im Akt der Beraubung beschlossenen Demütigung des Enteigneten: Vorgestern, 4.10., wieder eine Hausdurchsuchung: Bibliothek. Zwei Gestapoleute (sehr höflich) suchten mit Katalog in der Hand Beschlagnahmtes; eine 395 Welzer, Vorhanden/Nicht —Vorhanden (Anm. 362) 294. 396 Ebd. 294 397 Faksimile—Protokoll der Besprechung Reinhard Heydrichs mit Vertretern der Obersten Reichsbehörden und Offizieren der Sicherheitspolizei und des SD am 20. 1.1942 in Berlin, Am großen Wannsee, über "die Endlösung der Judenfrage". Abgedr. in: Mark Roseman, Die Wannsee —Konferenz. Wie die NS —Bürokratie den Holocaust organisierte (München/Berlin 2002) 173. 398 Vgl. Goffman, Asyle (Anm. 361) 30. 399 Welzer, Vorhanden/Nicht —Vorhanden (Anm. 362) 295. 121 II. Bücher —Raub 2. Dame (von der Staatsbibliothek — sagte mir nachher heimlich Grüße von der Roth, ich habe es aber doch bereut, daß ich ihr die Hand gab — gewiß: zum Dienst gepreßt, aber zu was für einem Dienst!), die Dame also fahndete nach »sicherzustellendem Kulturgut«, d.h. kostbaren Erstdrucken und derartigem. Sie fand nichts, den anderen beiden fielen übersehene sechs oder sieben Ludwigbände in die Hand, darunter die »Fahrten der Goeben«, eines der patriotischen Bändchen aus dem vorigen Weltkrieg — jetzt Judenliteratur. Sonst nichts ... Zensurlücke ...400 Die Erinnerung hält auch die promiske Willfährigkeit fest, mit welcher sich Bibliothekare zu Handlangern des Lädierungssystems haben machen lassen. Das Berufsverbot und eine ganze Reihe von fiskalischen Pressionsmaßnahmen ließen als einzigen Ausweg aus der finanziellen Zwinge den Notverkauf alles irgend entbehrlichen Besitzes. Mit der "Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden" vom 26. April 1938 wurde der seitens des Staates der Eigenverfügung unterstehende Besitz auf 5.000 Reichsmark beschränkt401 . Alles darüber hinausgehende Vermögen war anmeldepflichtig und konnte "im Einklang mit den Belangen der deutschen Wirtschaft"402 in der euphemistischen Sprache der Machthaber "sichergestellt"403 , sprich enteignet werden. Aufbauend auf dieser Erfassung jüdischer Vermögenswerte folgte mit der "Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens" vom 3. Dezember 1938 die gesetzliche Handhabe für die eine Erzwingung der Veräußerung von gewerblichen sowie land- und forstwirtschaftlichen Betrieben und Grundeigentum, der Depotzwang für Wertpapiere sowie das generelle Verbot 400 Victor Klemperer, Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933—1941, ed. Walter Nowojski (Berlin 1995) 494. 401 " Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden" vom 26.4.1938. RGBl. I, 414. Abgedr. in: Buschmann, Nationalsozialistische Weltanschauung und Gesetzgebung 1933 —1945, 2: Dokumentation einer Entwicklung (Anm. 373) 430. 402 Ebd. 431. 403 Ebd. 431. 122 II. Bücher —Raub 2. der freien Verfügung über Juwelen, Schmuck- und Kunstgegenstände in jüdischem Besitz 404: Der staatliche Vermögensraub hatte damit sämtliche jüdischen Werte erfaßt, die entweder dem Vermögen des Reiches zuflossen oder zu Spottpreisen in private Hände verschleudert wurden. [...] In Wirklichkeit handelte es sich nicht um eine vorläufige »Sicherstellung« des jüdischen Vermögens und auch nicht um dessen »Verwaltung« unter Aufrechterhaltung der Substanz, wie die VO vom 3.12.1938 glauben machen wollte, sondern um die totale Enteignung (»Verwertung«) sowohl des unbeweglichen wie beweglichen jüdischen Vermögens zugunsten des Staates [...].405 Auf diese Weise kamen auch Rara und wissenschaftlich wertvolle Privatbibliotheken auf den Markt: Auch die unter solchen Umständen veräußerten Bücher sind als »NS —verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut« anzusehen. Hiervon profitierte vor allem der Antiquariatshandel, über den die Bücher dann teils in private Hände, teils in den Bestand wissenschaftlicher und öffentlicher Bibliotheken gelangten.406 Aber nicht nur auf dem gewissensschonenden Weg über den antiquarischen Zwischenhandel gelangten Bücher in den bibliothekarischen Besitz. Wenn es galt, dem eigenen Bestand interessante Sammlungen zuzuführen, traten die Bibliotheken auch als Direktkäuferinnen auf. Als ein Beispiel seien hier die Sammlungen der Wiener Schwestern Elise und Helene Richter angeführt407 . Die Romanistin und Linguistin Elise 404 "Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens" vom 3.12.1938. RGBl. I, 1709. Vgl. ebd. 449 ff. 405 Dietmut Majer, "Fremdvölkische" im Dritten Reich (Boppard am Rhein 1981) 270. 406 Bernd Reifenberg, NS—Raubgut in deutschen Bibliotheken. In: Raub und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute, edd. Inka Bertz/Michael Dorrmann (Göttingen 2008) 157-178, hier 159. 407 Ausführlich nachzulesen in: Christiane Hoffrath, "Die Welt von Gestern". Widmungsexemplare aus der Bibliothek von Elise und Helene Richter. Ein Beitrag der Provenienzforschung an der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln. In: Bibliotheken in der NS—Zeit. Provenienzforschung und Bibliotheksgeschichte, edd. Stefan Alker/ Christina Köstner/Markus Stumpf (Wien 2008) 103-118. 123 II. Bücher —Raub 2. Richter war die erste in Österreich promovierte Dozentin, ihre Schwester Helene hatte sich "als Autodidaktin mit anglistischen und theaterwissenschaftlichen Studien einen Namen gemacht." 408 Zur Zeit des "Anschlusses" waren die Schwestern 73 und 78 Jahre alt, eine Auswanderung kam für beide nicht mehr in Frage. Lehrverbot, Ruhegeldentzug und fiskalische Steuerpressionen mündeten in eine finanzielle Notlage, welche in weiterer Folge "auch zum Verlust ihrer umfangreichen Privatbibliothek [führte]. Bereits 1938/39 verkauft Elise hundert ihrer wertvollsten Bücher. [...] 1.700 Bände von Helenes englischer Bibliothek folgen."409 Die verbliebene Bibliothek, etwa 2.700 Bände romanistischer und anglistischer Bücher, ging 1941 für 6.000 Reichsmark in den Besitz der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln über, die Autographen und Theatersammlung erwarb die Österreichische Nationalbibliothek410. Im Oktober 1942 wurden die Schwestern nach Theresienstadt deportiert, wo ihr Überleben nur wenige Wochen währte. Heute sind alle noch ermittelbar gewesenen Bände der Richter —Bibliothek in der USK "aus dem Büchermagazin herausgenommen, auf einem Sonderstandort zusammengestellt und in einem eigenen Online —Katalog erfasst."411 Die Provenienzforschungsprojekte der letzten Jahre haben erdrückend viele mit den aufgefundenen Büchern verbundene Lebensgeschichten wie jene der Richter —Schwestern rekonstruiert. Häufig wurden Privatbibliotheken nach den nämlichen Kriterien geführt wie öffentliche Bibliot heken, das heißt, deren bibliophile oder wissensc haf tlic he Besitzer erstellten Bücherlisten oder regelrechte Kataloge, die Bücher wurden zudem mit Eigentumszeichen wie Namensstempel oder Exlibris versehen, was heute ein Auffinden der zumeist versprengten Teile in den Bibliotheksbeständen und eine eindeutige Identifikation überhaupt 408 Ebd. 106. 409 Ebd. 109. 410 Vgl. ebd. 109-110. 411 Ebd. 110. 124 II. Bücher —Raub 2. erst ermöglicht. Aber auch unter Aufbietung aller Anstrengung ist das zutage Geförderte lediglich ein verschwindend geringer Teil eines nur schätzbaren Ganzen. Die große, die anonyme Bücherwanderung setzte 1938/1939 ein, als unter dem Eindruck des Novemberpogroms etwa 150.000 Juden Deutschland verließen412. Dass dies unter Hintanlassung nahezu des gesamten immobilen wie mobilen Besitzes und Barvermögens geschah, dafür sorgte neben den bereits erwähnten Sonderabgaben die aus dem Jahr 1931 herrührende so genannte "Reichsfluchtsteuer", "die jeder deutsche Staatsbürger bei seinem Wohnsitzwechsel ins Ausland in Höhe von 25% seines gesamten Vermögens zu zahlen hatte."413 Darüber hinaus durften ab Juni 1934 lediglich noch 2.000 Reichsmark ausgeführt werden, um einen Devisenabfluss zu verhindern. Der Rest musste auf ein Sperrkonto eingezahlt werden414 . Die Bündelung sämtlicher Maßnahmen kam jener Totalberaubung nahe, welche der Hitler zugeschriebene Ausspruch, die Juden werden Deutschland »nur mit dem Rucksack und 10, — Mark«415 verlassen, hämisch prognostizierte. Ein Perspektivenwechsel im Blick auf die Emigrationswelle, und dem Betrachter bietet sich "das Bild einer gigantischen Bücherwanderung. Es waren Millionen von Büchern in Bewegung geraten. Ein Teil von ihnen emigrierte zusammen mit ihren jüdischen Eigentümern in alle Welt, ein anderer, größerer Teil wurde gewaltsam verschleppt."416 412 Vgl. Wolfgang Scheffler, Judenverfolgung im Dritten Reich 1933 bis 1945 (Berlin 1961) 35. 413 Martin Friedenberger, Praktiken der Enteignung von Kulturgut durch Behörden der Reichsfinanzverwaltung. In: NS —Raubgut, Reichstauschstelle und Preußische Staatsbibliothek, edd. Hans Erich Bödeker/Gerd —Josef Bötte (= Vorträge des Berliner Symposiums am 3. und 4. Mai 2007, München 2008) 35-44, hier 37. 414 Vgl. Betrifft "Aktion 3" (Anm. 381) 21. 415 In: Als Jude in Breslau 1941. Aus den Tagebüchern von Studienrat a.D. Dr. Willy Israel Cohn, ed. Joseph Walk (Gerlingen 1984) 126. 416 Alice Jankowski, "Bibliothek, Buch, Leser". Zur Geschichte der Hamburger jüdischen Gemeindebibliothek. In: Theresienstädter Studien und Dokumente (2005) 179212, hier 189-199. 125 II. Bücher —Raub 2. Die allerletzten juridischen Lücken im großen System der Totalentwertung wurden mit der "Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz" vom 25. November 1941 geschlossen. Darin hieß es: Ein Jude, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, kann nicht deutscher Staatsangehöriger sein. Der gewöhnliche Aufenthalt im Ausland ist dann gegeben, wenn sich ein Jude im Ausland unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er dort nicht nur vorübergehend verweilt."417 Die Perfidie dieser Erweiterungsverordnung und der bodenlose Zynismus der Formulierung erschließt sich erst ganz vor dem Hintergrund des Wissens, dass die darin ausgesprochenen Aberkennungs- und Entzugsmaßnahmen nicht nur jüdische Emigranten betrafen, sondern gleichermaßen die über die Reichsgrenze in die Vernichtungslager Deportierten. Die Kenntnis der Gesetzgeber von der Funktion der "Konzentrationslager" als "Endlager" bildete die eigentliche Voraussetzung dieser Verordnung. Das dem Staat verfallene Vermögen der Opfer sollte zudem für die Finanzierung ihrer eigenen Vernichtung aufgewendet werden: "Aus außenpolitischen Gründen ist bestimmt, daß das verfallene Vermögen für die mit der Lösung der Judenfrage im Zusammenhang stehenden Zwecke verwandt werden soll." 418 In der "Vermögenserklärung", welche die Deportierten vor dem Abtransport in die Vernichtungslager auszufüllen hatten, vereinte sich "die Härte der Verfolger, die voller Eifer bei der Sache waren, mit der Qual für die Vertriebenen in einem dokumentarischen Akt [...]."419 Für die Erhebung des nach allen fiskalischen Schröpfungen und erzwungenen Veräusserungen noch verbliebenen Besitzes diente im Jahr 1941 ein Formular im Umfang von acht Seiten, welches im Folgejahr 417 "Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz" vom 25.11.1941. RGBl. I, 722. f. Abgedr. in: Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus (Anm. 90) 344. 418 Brief von Staatssekretär Hans Pfundtner an den Reichsjustizminister und Chef der Reichskanzlei Hans —Heinrich Lammers. Zit.n. Hepp, Wer Deutscher ist, bestimmen wir ... (Anm. 389) XXXV. 419 Adler, Der verwaltete Mensch (Anm. 375) 562. 126 II. Bücher —Raub 2. auf sechzehn Seiten erweitert wurde420. Unter Punkt B1, Möbel und Einrichtungsgegenstände, fiel in Unterabschnitt b, Wohn —Herrenzimmer, unter anderem auch die Erfassung von Büchern: Schreibtisch u.Sessel klein Stühle Wandleuchter garnitur Bücher Bücherschrank Sofa —Couch Stand- Lexikon Krone —Lampe Wand —Uhr Schreibtischuhr Bücherregal Weltgeschichte Schreibtischlampe Spiegel Schreibplatte Tisch, groß Teppich Prachtbände Stehlampe Brücken Papierkorb Atlanten Tisch, Schreib- Gardinen —Store Globus.421 Die mit bürokratischer Umständlichkeit betriebene, akribische Erfassung selbst noch des kleinsten Trödels spiegelt die totale Vernichtung. Die listenweise Erfassung der Dinge ist ein Akt der Neutralisierung, mit welchem die den Gegenständen anhaftenden individuellen Geschichten gelöscht werden: [Die Liste] führt einzelne Posten auf und addiert sie zusammen. Was unter dem Strich stehen bleibt, ist allein der materielle Wert der Güter, der in Zahlen beziffert wird. [...] Aus den abstrakten Listen, in denen der vom Staat angeeignete Besitz peinlich genau registriert wird, sind die Lebensgeschichten der Betroffenen gänzlich ausgelöscht. Erzählungen gehen in Zahlen unter: Die Enteigneten sind nicht nur von ihrem Besitz getrennt, sondern auch ihrer Existenz und Geschichte beraubt. 422 Im Rahmen der »Aktion 3«, wie die Enteignung, Verwaltung und Verwertung des Eigentums der Deportierten durch die Finanzbehörden in der Tarnsprache des NS—Regimes hieß, "konfiszierten die Finanzbeamten das gesamte Vermögen der verschleppten Juden, behielten es teilweise selbst in ihren Ämtern oder verkauften und versteigerten es an die Bevölkerung."423 Die so genannten "Judenauktionen"424 waren eine wahre 420 Ebd. 553. 421 Ebd. 554 422 Assmann, Das Gedächtnis der Dinge (Anm. 17) 145-146. 423 Christiane Kuller, Die Bürokratie des Raubs und ihre Folgen. In: Raub und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute, edd. Inka Bertz/Michael Dorrmann (Göttingen 2008) 61-74, hier 64. 424 Reifenberg, NS —Raubgut in deutschen Bibliotheken (Anm. 406) 159. 127 II. Bücher —Raub 2. Fundgrube für jegliches Interesse und jedweden Bedarf: "Gebildete »Reichsbürger« sahen auf Qualität. Sie erwarben »Inselbücher«, Gedichte von Rilke, die Noten von Mozarts »Requiem« oder von Tschaikowskis »Oeuvres complètes«." 425 Zu den Empfängern staatlich zugewiesenen Wohnraumes und Hausrates zählten unter anderem Angehörige jener Minderheitenenklaven, die im Zuge der "Heim—ins—Reich"—Bewegung Siedlungspolitik Himmlers nannte — — wie sich die nationalrassische aufgelöst wurden426. Vor allem aber diente der konfiszierte Hausrat als Ersatzwarenlager für die kriegsgeschädigte Zivilbevölkerung in den bombardierten deutschen Städten. Eine eigene Abteilung, die "Dienststelle Westen" unter der Leitung des zuvor im Kunstraub tätig gewesenen Kurt von Behr, war mit den Agenden der Umverteilung befasst: Hausrat und Wäsche aus früherem Besitz ausländischer Juden wurden an ausgebombte Familien ausgegeben und »dankbar begrüßt«. Zu den Begünstigten zählten daneben Kinderreiche und Kriegsversehrte, deren Wünsche schon seit längerem anerkannt worden, aber unerfüllt geblieben waren.427 In großem Maßstab wurden die Warenlager mit konfiszierten Gütern aus dem besetzten Ausland gefüllt. Im Rahmen der "Aktion —M", wie der Möbelraub im saloppen NS —Jargon hieß, wurden beispielsweise aus Frankreich "bis Ende 1943 fast eine Million Kubikmeter Möbel, für die mehr als 24000 Güterwaggons abgefertigt wurden"428, ins Reich überführt. Für den Transport wurde eigens eine "Normkiste" entwickelt, "die das kompl. Inventar einer Wohnküche für 4 Personen enthält, einschließlich Wäsche, Geschirr, Bestecke usw."429 Der Ehrgeiz, die Logistik der Bewegung riesiger Mengen als Ausdruck 425 Vgl. Betrifft "Aktion 3" (Anm. 381) 150. 426 Vgl. Adler, Der verwaltete Mensch (Anm. 375) 598 ff. 427 Aly, Hitlers Volksstaat (Anm. 119) 147. 428 Ebd. 146. 429 Leistungsbericht der für die "Aktion M" zuständigen Dienststelle, 1944. Zit.n. Betrifft "Aktion 3" (Anm. 381) 49. 128 II. Bücher —Raub 2. deutscher Technik, Tatkraft und Tüchtigkeit zu bewältigen, spornte die Verwaltung zu Höchstleistungen an. Ob es sich nun um Menschen handelte oder Waren, die Reibungslosigkeit in der Abwicklung gerade im Absehen von den Inhalten galt als Teil der vollbrachten Leistung. Wie am Beispiel der Einrichtungsgegenstände skizziert, wurde auch das geraubte und verwaiste Schriftgut einem nämlichen Verwertungsverfahren unterzogen. Auch hier waren eigene Stellen mit der Sammlung, Sichtung, Auswahl und Umverteilung der "arisierten" Verlagsund Buchhandelsbestände, der konfiszierten Bibliotheken und der in der Vermögensmasse der Emigrierten und Deportierten enthaltenen Bücher befasst, wie die der Preußischen Staatsbibliothek angegliederte Reichstauschstelle, das Beschaffungsamt Deutscher Bibliotheken und der Deutsch —Ausländische Buchtausch. Korrespondierend zur "Aktion —M" bestand deren Hauptaufgabe in der "Beschaffung von Ersatz für die bei Luftangriffen beschädigten oder zerstörten wissenschaftliche Bibliotheken."430 Diese drei Einrichtungen werden in den folgenden Abschnitten ausführlicher behandelt, da sie auch als Kontrahenten der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt in Erscheinung traten. Die wichtigste Zweigstelle im "Altreich" war die nach dem "Anschluss" 1938 eingerichtete "Bücherverwertungsstelle" in Wien, ein zentrales Sammellager für jene Bestände, welche einerseits durch die Säuberung des Buchmarktes von "unerwünschtem und schädlichem Schrifttum" anfielen, andererseits durch die "Entjudung" des Buchhandels und Verlagswesens. Von den in den zwei Jahren ihres Bestehens eingegangenen rund 644.000 Bänden wurde der größte Teil makuliert. Der in Relation dazu kleine Teil von etwa 10.000 Bänden, die als verwertbar galten, wurde verteilt und verkauft. Der Verbleib der restlichen etwa 234.000 430 Cornelia Briel, Zum Verhältnis zwischen Reichstauschstelle und Preußischer Staatsbibliothek in den Jahren 1934 bis 1945. In: NS —Raubgut, Reichstauschstelle und Preußische Staatsbibliothek, edd. Hans Erich Bödeker/Gerd—Josef Bötte (= Vorträge des Berliner Symposiums am 3. und 4. Mai 2007, München 2008) 45-84, hier 77. 129 II. Bücher —Raub 2. Bände ist nicht ganz klar. Sie dürften nach der Auflösung der Bücherverwertungsstelle 1939 wohl in der Nationalbibliothek verwahrt worden und nach Kriegsende zum Teil restituiert worden sein 431. Zu den im Reichsgebiet geraubten Büchern kam während des Krieges die Beute aus den besetzten Territorien. An den staatlich organisierten Raubzügen waren wiederum zahlreiche Organisationen beteiligt, allen voran der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, der Sicherheitsdienst, die Sicherheitspolizei und nicht zuletzt die Wehrmacht432 . In den im Westen besetzten Ländern blieb zumindest staatlicher Besitz weitgehend unberührt. Hier waren vor allem private Sammlungen, wie jene von "Maurice und Robert Rothschild, im Jagdschloß Armainvilliers, ca. 3000 Bände. 61 Kisten (ca. 7000 Bände) der wertvollsten Bücher aus der Sammlung Edouard Rothschilds und die Sammlung James Rothschilds im Château de Ferrières"433 sowie die Bibliotheken jüdischer Einrichtungen, Freimaurerlogen und anderer verbotener Organisationen Opfer gezielter Plünderungen 434: These cultural treasures were captured through persistent and wellprepared intelligence work, provided by German secret police and by Nazi art historians, as well as by a close network of French informers and collaborationist art dealers. This meticulous scheme achieved impressive results."435 In den eroberten Ostländern, in Polen und der Sowjetunion, "hatte die Politik der Besatzer dagegen die vollständige Zerstörung der nationalen 431 Vgl. Hall/Köstner, "... allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern ..." (Anm. 15) 89 ff. 432 Vgl. Reifenberg, NS —Raubgut in deutschen Bibliotheken (Anm. 406) 159. 433 Dov Schidorsky, Das Schicksal jüdischer Bibliotheken im Dritten Reich. In: Bibliotheken während des Nationalsozialismus 2, edd. Peter Vodosek/Manfred Komorowski (= Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens 16, Wiesbaden 1992) 189-222, hier 202. 434 Vgl. Reifenberg, NS —Raubgut in deutschen Bibliotheken (Anm. 406) 160. 435 Hector Feliciano, The great culture robbery: the plunder of Jewish —owned art. In: The plunder of Jewish property during the Holocaust. Confronting European history, ed. Avi Beker Houndmills 1 2001) 164-176, hier 167. 130 II. Bücher —Raub 2. Kulturen zum Ziel, hier wurden unterschiedlos staatliche und nichtstaatliche Bibliotheken ausgeraubt und oft auch vernichtet."436 The enemy's hand has fallen upon the remainder of our precious treasure. Some weeks ago, only part of the books of the Tomacka Library were removed, for the most part bound sets of daily newspapers, weekly and monthly journals. The shelves were still laden with volumes that the enemy had not touched. When he left, he placed a seal upon the locked doors, and this week he returned to complete his work of looting. Trucks stood before the library and Jews who were innocently passing by were seized and made to load the trucks with the remaining books. In general the conqueror displays a weakness for libraries which other hands have accumulated and preserved. The Sejm [The polish Parliament] Library has also been looted and its contents taken to an unknown place. It was unequaled in its wealth of books and manuscripts.437 Die Plünderung der Tomackie —Bibliothek bildete lediglich den Auftakt zu einem "Feldzug des Bibliothekenraubs und der Büchervernichtung"438 im Gefolge der deutschen Ost —Expansion. Allenthalben wurden Synagogen in Schutt und Asche gelegt, setzten "Brenn—Kommandos" 439 Thorarollen und Heilige Bücher in Brand. Die Tatsache, dass Schätzungen zufolge im Zweiten Weltkrieg 70% der jüdischen Bibliotheken in Polen zerstört wurden 440, zeugt von einem unglaublichen Wüten. Die aus den besetzten Territorien stammenden Bücher waren überwiegend zur Ausstattung verschiedener NS —Bildungs- und Forschungseinrichtungen wie der "Bibliothek des Sicherheitsdienst—Hauptamtes der SS", der "Forschungsabteilung Judenfrage im Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands" oder des als Außenstelle der geplanten Hohen Schule der NSDAP in Frankfurt eingerichteten "Instituts zur Erforschung 436 Ebd. 160. 437 Kaplan, Scroll of Agony (Anm. 360) 70-71. 438 Markus Kirchhoff, Häuser des Buches. Bilder jüdischer Bibliotheken (Leipzig 122. 439 Ebd. 122. 440 Ebd. 122. 131 1 2002) II. Bücher —Raub 2. der Judenfrage" bestimmt441 . Jener — allerdings geringe — Teil der Buch- beute, welchen obgenannte Einrichtungen nicht für sich beanspruchten, gelangte über die Reichstauschstelle zur Verteilung an die wissenschaftlichen Bibliotheken. Den deutschen Wissenschaftlichen Bibliotheken bot die Westbesetzung vor allem die Möglichkeit, "bei französischen, niederländischen oder dänischen Antiquariaten, Buchhandlungen und Verlagen günstig einzukaufen [...] — auch Raubgut aus dem Besitz jüdischer Deportierter." 442 Wie flächendeckend und gezielt die Suche nach wertvollen Büchern betrieben wurde, zeigt das angeschlossene Schreiben des Ministeriums für Innere und Kulturelle Angelegenheiten, Abt. IV: Erziehung, Kultus und Volksbildung vom 27. Mai 1939, adressiert an die Österreichische Nationalbibliothek, die Universitätsbibliotheken sowie die Studienbibliotheken (Abb. 13a —b, Dokumente): Der Herr Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung hat mit Erlass W A 1797/38 auf die Notwendigkeit verwiesen, Bücherbestände jüdischer und hebräischer Literatur zum Zweck der Auswertung für die Bearbeitung der Judenfrage [Hervorh. d.d. Verf.] zu erfassen. Hierfür werden in erster Linie Bücherbestände bei Reichs-, Staats- und Kommunalbehörden in Betracht kommen. Wenn diese Bücherbestände auch vielfach bekannt und in ihrem Umfang nicht bedeutend sind, ist ihre Erfassung nicht nur der Vollständigkeit halber, sondern auch deshalb angebracht, weil sich dort immerhin wertvolle Spezialwerke befinden können. Viel ergiebiger dürften aber die Bestände an Büchern und Dokumenten sein, die sich bei den jüdischen Kultusgemeinden und Privatbibliotheken von Juden und Judenforschern sowie vielleicht nicht zuletzt im Besitz von Stiften und Klöstern, allenfalls auch bei höheren Schulen befinden [Hervorh. d.d. Verf.]. [...] Um den dortigen Organen die Möglichkeit der Nachforschungen im obigen Sinne zu gewährleisten, haben Sie sich bei den zuständigen Landes441 Vgl. Reifenberg, NS —Raubgut in deutschen Bibliotheken (Anm. 406) 159. 442 Ebd. 160. 132 II. Bücher —Raub 2. hauptmannschaften (Wiener Magistrat), die unter einem von diesem Erlass in Kenntnis gesetzt werden, um die Ausstellung einer entsprechenden Bescheinigung zu bewerben, die den Zutritt zu den in Frage kommenden Bücherbeständen sichert. [Hervorh. d.d. Verf.]. Die bezügliche Zusammenstellung über die gegenständliche Literatur wolle unter Angabe des Besitzers möglichst bald in zweifacher Ausfertigung anher geleitet werden; [...].443 Das Gros der geraubten Bücher stammte aber aus dem Besitz der in den 1940er Jahren deportierten und ermordeten Juden: Zu Kriegsende 1945 gab es Schätzungen über das Ausmaß der gestohlenen und vernichteten Bücher. Auf dem Gebiet des deutschen [!] Reichs befanden sich zur Zeit seiner größten Ausdehnung 469 große öffentliche jüdische Bibliotheken mit einem Bestand von mehr als 3,3 Millionen Büchern. Berücksichtigte man auch private Sammlungen und kleinere Bibliotheken, die über weniger als 1.000 Bände verfügten, so käme man auf eine Zahl von mehr als fünf Millionen. Geht man dann noch davon aus, dass jede der etwa eineinhalb Millionen Familien der ermordeten sechs Millionen, wie es in jüdischen Familien häufig der Fall war, einige, meist mehrere Bücher besessen hatte, kommt man auf eine noch viel höhere Zahl.444 443 Schreiben des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten, Abt. IV, Erziehung, Kultus und Volksbildung, adressiert an die Österreichische Nationalbibliothek, die Universitätsbibliotheken sowie die Studienbibliotheken vom 27.5.1939. UAK, Kt. 363, Fasz. 1939. 444 Mirjam Triendl/Niko Wahl, "Arisierung" von Mobilien 2/2: Spuren des Verlustes. Die Arisierung des Alltags (= Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS —Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich 15, Wien/München 2004) 273. 133 II. Bücher —Raub 3. II.3. Die Anbindung einer Provinzbibliothek an das nationalsozialistische Verteilernetz für die eingespeisten Bücherflüsse aus "arisiertem" Eigentum Am 2. April 1949 leitete die Kärntner Landesregierung die per Erlass des Bundesministeriums für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung vom 9. März 1949 an die Dienststellen des Bundes und der Länder ergangene Aufforderung zur Berichtlegung über entzogene Kunstgüter an das Landesmuseum, das Landesarchiv, die Landesgalerie und die Öffentliche Studienbibliothek Klagenfurt weiter: Das Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung hat mit Erlass Zl. 360.068/VSt/48 vom 9. März 1949 um Vorlage eines Berichtes ersucht, ob in Gebäuden, die seinerzeit von nationalsozialistischen Dienststellen okkupiert wurden, Objekte aus entzogenem Vermögen in das Mobiliar übernommen wurden. Danach sollen alle jenen [!] Dienststellen, die nach dem 13. März 1938 erworbene Kunstgegenstände (Bilder, Plastiken, Einrichtungsgegenstände, Beleuchtungskörper, Teppiche, Bibliotheksbestände [Hervorh. d.d. Verf.] etz. in das Inventar übernommen haben, erfasst werden. Es ergeht daher die Einladung [Hervorh. d.d. Verf.], mittels Inventarverzeichnisses alle nach dem 13. März 1938 erworbenen Kunstgegenstände nachzuweisen, bei denen die Möglichkeit besteht, dass sie aus entzogenem Vermögen stammen, damit festgestellt werden kann, ob darin Gegenstände angeführt sind, die als gesucht geführt werden. Um Vorlage des Verzeichnisses oder eines Fehlberichtes binnen Wochenfrist wird gebeten.445 Die Weiterleitung der ministeriellen Verfügung an die Landesdienststellen vermittelt im Tonfall eher den Eindruck einer Entschuldigung für die absurde Behelligung denn einer Anordnung. Auch die Kürze der Erhebungsfrist konterkariert eine seriöse Sichtung und Erfassung. Ein 445 Amt der Kärntner Landesregierung u.a. an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 2.4.1949. Betreff: "Entzogenes Kunstgut in Dienststellen des Bundes und der Länder". UAK, Kt. 364, Fasz. 1949. 134 II. Bücher —Raub 3. weiteres Beispiel für die latente Beredtheit des amtlichen Schriftverkehrs, der hier in Wortwahl und Formulierungsweise einer viktimologischen Empörung Ausdruck verleiht. Der Leiter der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt, Richard Fuchs, sah seine Institution denn auch weder angesprochen noch betroffen, wie die auf der Rückseite des Schreibens handschriftlich aufgesetzte Antwort an die Landesregierung zeigt, welche auf eine bereits direkt an das Bundesministerium ergangene Leermeldung verweist (Abb. 14, Dokumente): Zu Zahl 39797 —23/49 wegen entzogenen Kunstgegenständen teilt die STUB mit, daß sie die erforderliche Leermeldung bereits direkt an das B.M. für Unterricht erstattete. 446 Nach dem Motto: "Auch fürs kleinere Getier/Gibt es Feste, wenn der Stier/Um Europen freit"447 , erscheint die Möglichkeit, dass in Anbetracht der Vielzahl an Akteuren und Vermittlern im großen Buchraub und der dadurch in Bewegung gesetzten "gigantischen Bücherwanderung"448 ein oder das andere Exemplar aus jüdischem Eigentum sei es als "Primärerwerbung" in der NS —Zeit oder als "Sekundärerwerbung" in der Nachkriegszeit in den Bestand der Öffentlichen Studienbibliothek aufgenommen worden sein könnte, immerhin im Bereich des Denkbaren. Zur Erklärung der in der NS—Provenienzforschung usuellen Terminologie: Unter "Primärerwerbungen" der NS—Zeit sind direkte Zugänge vonseiten staatlicher Stellen zu verstehen oder Bestandsübernahmen anderer Einrichtungen, teils auch Privatkäufe (etwa Angebote eines "Liquidators" und Geschenke einzelner privater "Ariseure". Als "Sekundärerwerbungen" gelten Buchabgaben aus ehemaligem NS —Besitz seitens der Alliierten, die während der Besatzungszeit rekonfisziert wurden, ihren rechtmäßigen 446 Ebd. Rückseite: Handschriftlicher Entwurf einer Leermeldung von Richard Fuchs. 447 Bertolt Brecht, Räuberlied. In: Die Gedichte (Frankfurt am Main 1981) 506. 448 Jankowski, "Bibliothek, Buch, Leser" (Anm. 416) 189. 135 II. Bücher —Raub 3. Eigentümern aber nicht restituiert werden konnten (siehe Abschnitt IV.), desgleichen über den Antiquariatshandel getätigte Ankäufe. Dazu kommen noch nachträgliche Akquisitionen "arisierter" Bücher von den Fünfzigerjahren bis heute, welche als Geschenk oder über den Antiquariatshandel in den Bestand gelangt sein und theoretisch auch noch weiterhin gelangen können449 , sofern nicht eine allmählich sich ausbildende institutionelle Sensibilisierung in Verbindung mit der erforderlichen Wahrnehmungsschulung für die Erkennungsmerkmale von Raubbüchern ein solches zu verhindern weiß. Tatsächlich zählte die Öffentliche Studienbibliothek Klagenfurt, wie eine Auswertung sämtlicher zur Verfügung stehender Quellen zeigt, in den Jahren 1939 bis 1945 einige Stellen zu ihren Kontrahenten, welche nachweislich mit enteignetem, vornehmlich "arisiertem" Buchgut befasst waren. Das bedeutet nicht, dass Bezüge seitens einer dieser Einrichtungen a priori als Raubgut anzusehen sind. Jedenfalls aber gelten Kauf-, Geschenk- oder Tauscherwerbungen eines solchen Lieferanten als "bedenklich". Unerlässlich für die Beurteilung, ob eine Bucherwerbung tatsächlich als enteigneter Buchbesitz gilt, ist die Buchautopsie, die haptische Prüfung jeder einzelnen Literaturerwerbung zum Mindesten innerhalb der Jahresspanne 1938—1945, auf der Suche nach Herkunftssignets und Besitzeinträgen in Gestalt von Stempelungen, Autogrammen, Widmungen oder Exlibris. Im Falle der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt bedeutete das die Durchsicht von rund 4.000 Bänden aus dem Bestand der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt, sowie weiteren 2.400 Bänden der angeschlossenen Landeslehrerbibliothek. Verlauf und Ergebnis dieser Sichtung werden in Abschnitt II.3.4. ausführlich behandelt. 449 Vgl. Thomas Jahn, Bücher im Zwielicht. Die Bayerische Staatsbibliothek und ihr Umgang mit zweifelhaften Erwerbungen der Jahre 1933 —1955. In: Kulturverluste, Provenienzforschung, Restitution. Sammlungsgut mit belasteter Herkunft in Museen, Bibliotheken und Archiven (= MuseumsBausteine 10, Berlin 2007) 157-165, hier 160. 136 II. Bücher —Raub 3. Als Quellen für die Erstellung der folgenden Kontrahentenliste wurden herangezogen: — Die Kassa —Journale von April 1943 bis März 1946 und von März 1946 bis April 1948 — Die Inventarbücher 1938—1953 mit allerdings nur gelegentlichen Herkunftsangaben der akzessionierten Bücher — Die Zugangsverzeichnisse der Jahre 1945 bis 1953 — Die Buchautopsie von rund 4.000 Bänden der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt im Erwerbungszeitraum 1938—1953, sowie 2.400 Bänden der Landeslehrerbibliothek der nämlichen Jahresspanne — Die Geschäftsakten, welche fallweise Durchschläge von Monatsabrechnungen enthalten Aufgrund der Lücken im vorhandenen Quellenmaterial darf diese Aufstellung nicht als vollständig gelten, rubriziert aber die wesentlichen Geschäftspartner der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt (Abb. 15, Dokumente). 137 II. Bücher —Raub 3. Kontrahentenliste der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt (1938 —1953) Österreich Deutschland Verlag Amalthea, Wien, Leipzig, Zürich Ahnenerbe —Verlag, Berlin* Univ. —Verlagsbuchhandlung Braumüller, Wien Armanen —Verlag, Leipzig Österreichischer Bundesverlag, Wien Artibus et Literis [?], Berlin Beschaffungsamt der Deutschen Bibliotheken, Verlag "Deutsche Kulturpropaganda", Wien Berlin* NS —Gauverlag, Klagenfurt* Deutsch —Ausländischer-Buchtausch, Berlin* Verlag Gerold, Wien Eher —Verlag, München* Antiquariat Gilhofer und Ranschburg, Wien Buchhandlung Fock, Leipzig Buchhandlung Hartleben, Wien Buchhandlung Giehrl, Berlin Verlag und Buchhandlung Heyn, Klagenfurt Verlag Harrassowitz, Leipzig Verlag Kleinmayr, Klagenfurt Verlag und Antiquariat Hiersemann, Leipzig Buchhandlung Kollitsch, Klagenfurt Verlag Hummel, Berlin Buchhandlung Kuppitsch, Wien Verlag Koehler, Leipzig Verlag Leon, Klagenfurt Post- und Ortsbuchverlag Müller, Wuppertal Verlag und Buchhandlung Manz, Wien Antiquariat Otto, Mannheim Verlag Raunecker, Klagenfurt Preußische Staatsbibliothek, Berlin* Reise und Versandbuchhandlung Urban und Schwarzenberg, Wien Reichstauschstelle, Berlin* Buchhandlung Worsch, Klagenfurt Verlag Reisland, Leipzig Verlag Ruprecht, Berlin Scheffel [?], Königsberg Verlag Teubner, Leibzig Die mit "*" gekennzeichneten Stellen werden in der Folge noch genauer behandelt 138 II. Bücher —Raub 3.1. II.3.1. Die Relaisstellen der Distribution: Preußische Staatsbibliothek, Reichstauschstelle, Beschaffungsamt Deutscher Bibliotheken, Deutsch —Ausländischer Buchtausch Die partizipierende Rolle der Preußischen Staatsbibliothek am nationalsozialistischen Bücherraub gründete nicht zuletzt in den Ambitionen ihres Generaldirektors Hugo Andres Krüß auf die Stellung seiner Institution als einer deutschen National- oder Reichsbibliothek — was auch dem politischen Willen des Reichskultusministers Bernhard Rust entsprach 450. Diese Bevorzugung schlug sich in einem Erlass des Preußischen Finanzministeriums vom 27. März 1934 nieder, worin die Preußische Staatsbibliothek als jene Institution bestimmt wurde, welcher beschlagnahmte Buchbestände zu übergeben seien451. Die Verordnung bezog sich auf jene Bücher und Schriften, welche Teil der eingezogenen Vermögensmasse der mit dem "Ausbürgerungsgesetz" 1933 des Landes vertriebenen "Volks- und Staatsfeinde" waren. Dem Erlass zufolge waren die Bücher nach einer vorherigen Sichtung durch den jeweiligen Landesbeauftragten des Reichspropagandaministeriums der Preußischen Staatsbibliothek anzuzeigen452 . Diejenigen Bücher, welche die Preußische Staatsbibliothek nicht in ihren Bestand zu akzessionieren beabsichtigte, waren den anderen staatlichen Bibliotheken, allen voran den Universitätsbibliotheken sowie anderen NS —Schulungs- und Bildungseinrichtungen anzubieten 453: "Den Auftrag, die Zugänge aus Beschlagnahmungen an andere Bibliotheken weiterzugeben, erfüllte die Preußische Staatsbibliothek, wie Forschungen über diese Bibliotheken belegen."454 Ein 450 Briel, Zum Verhältnis zwischen Reichstauschstelle und Preußischer Staatsbibliothek in den Jahren 1934 bis 1945 (Anm. 430) 52. 451 Vgl. ebd. 62. 452 Vgl. ebd. 62. 453 Vgl. ebd. 62. 454 Vgl. ebd. 62. 139 II. Bücher —Raub 3.1. Folgeerlass des Reichsfinanzministeriums vom 12. Juni 1939 wies die betroffenen Amtsstellen explizit an, "beschlagnahmte jüdische und hebräische Literatur der Preußischen Staatsbibliothek als zentraler Sammelstelle zu überweisen."455 Eine Darlegung der Haushaltsangelegenheiten der Preußischen Staatsbibliothek an das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung aus dem Jahr 1941 dokumentierte "ein besonders großes Aufkommen von beschlagnahmter Literatur aus Osteuropa"456 . Befand sich die Preußische Staatsbibliothek im Jahr 1934 noch in privilegierter Stelle am Raubbuffet, so machten ihr alsbald "die machtvollen, vielfältigen Strukturen der NS —Organisationen, die ähnliche Interessen verfolgten, Konkurrenz." 457 Innerhalb der Raubmeute übernahmen die Einrichtungen des NS —Herrschaftsapparates rasch die Alpha—Stellung, wie etwa der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg. Aber auch innerhalb der eigenen Institution blieb die Preußische Staatsbibliothek seitens ihrer Dienststellen nicht konkurrenzlos. Insonderheit die Position der Reichstauschstelle, welche der Preußischen Staatsbibliothek 1934 angebunden worden war, mauserte sich gemeinsam mit dem Beschaffungsamt Deutscher Bibliotheken während des Krieges zur "reichswichtigen Einrichtung". Die Reichstauschstelle wurde per Verordnung des Reichsinnenministeriums im Jänner 1926 ins Leben gerufen, und zwar als Appendix der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. Letztere Institution war eine Nachkriegsgründung der Zwanzigerjahre mit dem vordringlichen Ziel, neben einer generellen Förderung der Wissenschaft "jene Lücken in den Reihen ausländischer Zeitschriften [zu schliessen], die durch Krieg und Nachkriegszeit, Isolation und finanzielle Misere entstanden 455 Ebd. 72. 456 Ebd. 72. 457 Ebd. 82. 140 II. Bücher —Raub 3.1. waren."458 Die Gründung der Reichstauschstelle im Jahr 1926 war ein Akt der Vorbereitung auf den erwarteten Eintritt Deutschlands in den Völkerbund. Der Austausch amtlicher Druckschriften, aber auch akademischer Schriften und anderer wissenschaftlicher Publikationen sollte über eine zentrale Stelle abgewickelt werden: Nach dem durch die Tauschakten vermittelten Eindruck war die Reichstauschstelle für den »amtlichen« wie den »wissenschaftlichen« Schriftentausch in gleicher Weise aktiv, vermittelte Austauschwünsche zwischen deutschen und ausländischen »Amtsstellen«, gelehrten bzw. wissenschaftlichen Gesellschaften, Vereinen, Instituten und »Zeitschriften«( —Redaktionen). [...] Nach der geknüpften Tauschbeziehung konnte dann der Austausch entweder direkt zwischen den jeweiligen Tauschpartnern oder über die Reichstauschstelle laufen.459 1927 wurde der Aufgabenbereich der Reichstauschstelle per Erlass dahingehend erweitert, dass die Bibliotheken der Reichsbehörden zur Anmeldung ihrer Dubletten bei der Reichstauschstelle verpflichtet wurden: "Die Reichstauschstelle übernahm ausgesonderte Bestände von Behörden oder ganze aufgelöste Bibliotheken, erschloss sie, ermittelte den Bedarf und verteilte die Bücher."460 Zu den immensen Zahlen legaler Zugänge kamen ab 1933 mit der "Verreichlichung"461 der Verwaltung auch die Bestände beschlagnahmter Bibliotheken 462. 1934 wurde die Reichstauschstelle der Notgemeinschaft ausgegliedert 458 Ebd. 46. 459 Johannes Metz, Die Reichstauschstelle 1926 —1945. Organisatorische Entwicklung und Aufgaben. In: Im Dienste des Rechts und der Rechtsliteratur. Festschrift für Helmut Dau, edd. Ralph Lansky/Raimund —Ekkehard Walter (Berlin 1992) 215268, hier 240. 460 Briel, Zum Verhältnis zwischen Reichstauschstelle und Preußischer Staatsbibliothek in den Jahren 1934 bis 1945 (Anm. 430) 49. 461 Aus einem Schreiben des Generaldirektor der Preußischen Staatsbibliothek, Hugo Andres Krüß, vom 1.7.1938. Zit.n. Metz, Die Reichstauschstelle 1926 —1945 (Anm. 459) 253. 462 Briel, Zum Verhältnis zwischen Reichstauschstelle und Preußischer Staatsbibliothek in den Jahren 1934 bis 1945 (Anm. 430) 54. 141 II. Bücher —Raub 3.1. und der Preußischen Staatsbibliothek verwaltungstechnisch unterstellt, eine Anbindung, welche den machtakkumulierenden Interessen derselben durchaus zupass kam. Ihre größte Bedeutung gewann die Reichstauschstelle gemeinsam mit dem Beschaffungsamt Deutscher Bibliotheken während des Krieges durch die Aufgabe, die durch Luftangriffe erlittenen Verluste der deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken auszugleichen. Einerseits sollte ein möglichst geordneter universitärer Betrieb auch während des Krieges gewährleistet werden, zum anderen galt es "gemäß der offiziellen Meinung, dass die deutschen Truppen den Krieg siegreich beenden könnten und Deutschland die Bedingungen des Friedensschlusses diktieren würde, die Ausgangsposition für die Zeit nach Kriegsende so optimal wie möglich zu gestalten."463 Das Wiederaufbauvorhaben war somit zum zentralen Aufgabenbereich der Reichstauschstelle avanciert, zu dessen Erfüllung es der findigen Erschließung aller erdenklichen Ressourcen bedurfte: Dies konnten nicht allein die beschlagnahmten Bibliotheken der jüdischen Verfolgten sein. Mannigfache Bezugsquellen, und zwar sowohl legale als auch illegale, wurden in den Blick genommen. [...] Geklärt werden musste lediglich, ob die ins Auge gefassten Erwerbungsarten mit den Ansprüchen anderer Institutionen des NS —Regimes kollidierten. 464 Nach dem Krieg bestand die Reichstauschstelle unter der modifizierten Bezeichnung "Reichstauschstelle in Abwicklung" als Abteilung der ihrerseits in Öffentliche Wissenschaftliche Bibliothek umbenannten Preußischen Staatsbibliothek bis in die Fünfzigerjahre weiter465 . Die Bedeutung der Reichstauschstelle als Umverteilungseinrichtung für beschlagnahmte Bücher zeigt beispielhaft das Provenienzforschungsprojekt 463 Ebd. 59. 464 Ebd. 77. 465 Vgl. ebd. 61. 142 II. Bücher —Raub 3.1. der UB Marburg, demzufolge aus den Zugängen der Reichstauschstelle 10% aus NS —Raubgut stammen466 . In den Akten der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt befindet sich der handschriftliche Entwurf eines Dankschreibens für eine Bücherspende, verfasst vom Leiter derselben, Theodor Schmid, an die Reichstauschstelle, datiert mit 14. Mai 1941: Im Namen der von mir geleiteten Staats —Studienbibliothek in Klagenfurt danke ich verbindlichst für das uns kürzlich gespendete Werk: "Revolution im Mittelmeer" (hgg. von Dr. Paul Schmidt) sowie für die beigelegte Broschüre: Sven Rinman, Bibliograph. Verzeichnis von deutschen Büchern über Schweden! Die letztgenannte Arbeit hat infolge meiner Beziehungen zu Schweden und meiner Kenntnis der schwedischen Sprache mein besonderes Interesse erregt, weshalb ich mir die Anfrage erlaube, in welchem Verlage das Werk, "Schweden 1941" (aus welchem die genannte Broschüre einen Sonderabdruck darstellt) erschienen ist, ob es ferner nicht auch von einem deutschen Verlage (etwa Harrassowitz in Leipzig) in Komission [!] geführt wird und wie der genaue Titel des Werkes lautet? Mit deutschem Gruß ...467 Die Buchspende Revolution im Mittelmeer wurde seitens der verwaltenden Direktion bestandsergänzend der Landeslehrerbibliothek mit der Signatur 4226 —B zugewiesen, die Rinmansche Bibliographie dem Bestand der Öffentlichen Studienbibliothek mit der Signatur I 31106 akzessioniert. Von obigem Schriftstück abgesehen gibt lediglich eine handschriftliche Eintragung des Bibliothekars Auskunft über deren Herkunft als Geschenk der Reichstauschstelle. Beide Werke befinden sich noch im Bestand der Universitätsbibliothek Klagenfurt. 466 Vgl. Bernd Reifenberg, Beispiel Marburg: NS —Raubgut in den Büchersendungen von Reichstauschstelle und Preußischer Staatsbibliothek. In: NS—Raubgut, Reichstauschstelle und Preußische Staatsbibliothek, edd. Hans Erich Bödeker/Gerd—Josef Bötte (= Vorträge des Berliner Symposiums am 3. und 4. Mai 2007, München 2008) 121-134 , hier 121. 467 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichstauschstelle vom 14.5.1941. UAK, Kt. 363, Fasz. 1941. 143 II. Bücher —Raub 3.1. Revolution im Mittelmeer. Der Kampf um den italienischen Lebensraum, ed. Paul Schmidt (Berlin 1940). Geschenk der Reichstauschstelle Berlin, 9.5.1941. UBK, B 4266. Sven Rinman, Bibliographisches Verzeichnis von deutschen Büchern über Schweden und von schwedischer Dichtung in deutscher Übersetzung (Schweden 1941). Geschenk der Reichstauschstelle Berlin, 9.5.1941. UBK, I 31106. 144 II. Bücher —Raub 3.1. Neben diesen beiden Werken hat die Buchautopsie drei weitere Buchspenden der Reichstauschstelle zutage befördert, die am 18. und 20. November 1940 sowie am 25. November 1941 in den Buchbestand der Öffentlichen Studienbibliothek übernommen wurden: Hansa Luftbild, Luftbild und Vorgeschichte, Signatur II 30904 Albert Buddecke, Der Feldzug von Le Mans, Signatur I 30945 Walther Scharrer, Wilhelm Raabes literarische Symbolik, Signatur I 31322 Luftbild und Vorgeschichte, ed. Hansa Luftbild (Berlin 1938). Geschenk der Reichstauschstelle Berlin, 18.11.1940. UBK, II 30904. 145 II. Bücher —Raub 3.1. Albert Buddecke, Der Feldzug von Le Mans. Die Operationen auf dem südwestlichen Kriegsschauplatz im Winter 1870/71 (Berlin 1928). Geschenk der Reichstauschstelle Berlin, 20.11.1940. UBK, I 30945, Ex.a. Walter Scharrer, Wilhelm Raabes literarische Symbolik dargestellt an Prinzessin Fisch (München 1927). Geschenk der Reichstauschstelle Berlin, 25.11.1941. UBK, I 31322. 146 II. Bücher —Raub 3.1. Jenseits der handschriftlichen Kennzeichnung als Geschenk der Reichstauschstelle Berlin enthalten die fünf Werke keinerlei weitere Herkunftsangaben, die Rückschlüsse auf eventuelle Vorbesitzer zuließen. Aufgrund der Involvierung der Reichstauschstelle in den Verteilungsprozess "arisierter" Buchbestände, insonderheit innerhalb des Eingangszeitraumes 1940/41, sind diese Erwerbungen jedenfalls als "bedenklich" einzustufen. Wie die Reichstauschstelle war auch das Beschaffungsamt der Deutschen Bibliotheken der Preußischen Staatsbibliothek lediglich verwaltungstechnisch angeschlossen. Die spezielle Funktion und Arbeitsweise dieser Einrichtung illustriert ein weiteres Aktenstück aus den Archivalien der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 24. Jänner 1940. Anders als die Preußische Staatsbibliothek, deren Buchzuteilungen den Regeln des Zufälligen und Wahllosen folgte 468, und auch anders als die Reichstauschstelle, welche die Buchverteilung auf der Grundlage zirkulierender Offertlisten vornahm, war das Beschaffungsamt dazu ausersehen, ganz konkrete Buchwünsche einzelner Bibliotheken zu bearbeiten, wofür ein eigener Erwerbungsetat zur Verfügung stand. Das Beschaffungsamt hatte solcherart nicht lediglich die Funktion eines Vermittlers, sondern trat als Käufer auf, die vorfinanzierte Summe plus Spesen wurde hernach seitens der nachfragenden Bibliothek an das Amt entrichtet (Abb. 16, Dokumente): An das Beschaffungsamt der Deutschen Bibliotheken in Berlin. In unserer Bibliothek wurde verlangt: Milleker, Felix: Kulturgeschichte der Deutschen im Banat. [...] Da nun das erstgenannte Werk ("Kulturgeschichte ....") als im Ausland erschienen durch den hiesigen Buchhandel nicht beschaffbar war, bitten wir auf Grund eines vom 20. XII. 1939 datierten Erlasses des Reichsministers für Wissenschaft .... um gütige baldmöglichste Beschaffung dieses 1930 erschienenen Werkes. Ihre Spesen wollen Sie samt dem Kaufpreis von RM 2.20 uns zur Anrechnung bringen.469 468 Vgl. Briel, Zum Verhältnis zwischen Reichstauschstelle und Preußischer Staatsbibliothek in den Jahren 1934 bis 1945 (Anm. 430) 62. 469 Schreiben der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Beschaffungsamt der Deutschen Bibliotheken vom 24.1.1940. UAK, Kt. 363, Fasz. 1940. 147 II. Bücher —Raub 3.1. Felix Milleker, Kulturgeschichte der Deutschen im Banat. 1916 — 1918. In Einzeldarstellungen (Werschetz 1930). Beschaffungsamt der Deutschen Bibliotheken, 29.10.1940, UBK, I 22131. In erster Linie war das Beschaffungsamt mit der Erwerbung wissenschaftlicher Zeitschriften aus dem Ausland befasst, welche im Rahmen eines Ausleihdienstes den interessierten Institutionen zur Verfügung gestellt wurden. Allerdings mussten sich die belieferten Stellen verpflichten, die ihnen überlassenen Zeitschriften nur für den internen Gebrauch zu verwenden: "Allen Personen wird die strikte Einhaltung der Geheimhaltungsvorschriften zur Pflicht gemacht"470 , wie der Leiter des Beschaffungsamtes, Adolf Jürgens, die Sicherheitspraxis seiner Einrichtung vor dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung erläuterte. Wie die Reichstauschstelle, wurde auch das Beschaffungsamt im Krieg als "rüstungswichtiger Betrieb" eingestuft und schwerpunktmäßig mit der Bestandsergänzung bombengeschädigter Bibliotheken betraut. 470 Erläuterung der Sicherheitspraxis des Beschaffungsamtes durch dessen Leiter, Adolf Jürgens, gegenüber dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 24.12.1942. Zit.n. Happel, Das wissenschaftliche Bibliothekswesen im Nationalsozialismus (Anm. 141) 70. 148 II. Bücher —Raub 3.1. Die dritte Einrichtung mit ähnlich gelagertem Aufgabenbereich war der Deutsch —Ausländische Buchtausch. Die Funktionssimilarität der drei Stellen bildet sich auch in der gemeinsamen Leitung durch Adolf Jürgens ab. Ursprünglich dem Auswärtigen Amt angeschlossen, wurde auch der Deutsch—Ausländische Buchtausch der Verwaltungsägide der Preußischen Staatsbibliothek unterstellt. Der Pflichtenschwerpunkt des DAB war die Vermittlung wissenschaftlicher Neuerscheinungen. Stempel "Deutsch — Ausländischer Buchtausch". In: Puschkin. Eine Sammlung von Aufsätzen dem grossen russischen Dichter Puschkin gewidmet, ed. Gesellschaft für kulturelle Verbindung der Sowjetunion mit dem Auslande (Moskau 1939). UBK, B 418 149 II. Bücher —Raub 3.2. II.3.2. Das Verlagswesen im Nationalsozialismus Die nationalsozialistischen Gleichschaltungsmaßnahmen kamen selbstredend auch im Bereich der Literaturpolitik zur Anwendung, indem sie auf eine einheitliche Ausrichtung der gesamten Buchproduktion an den staatsideologischen Maximen zielten. Die zwei wesentlichen Lenkungsinstrumente waren ab 1933 die Indexierung unerwünschter Titel sowie die Steuerung der Herstellungsquote durch staatliche Papierkontingentierungen. Wiewohl die massierte staatliche Einflussnahme auf den Literaturmarkt zu einer sukzessiven "Ablösung der Dichtung der Moderne durch das »volkstümliche« Schrifttum [führte] und der Übersetzungsmarkt immer mehr eingeschränkt wurde"471 , war die Kontrolle des Verlagswesens zumindest bis Kriegsbeginn keine so vollständige, wie angestrebt. Wie bereits am Beispiel der wissenschaftlichen Bibliotheken gezeigt, gab es auch im Bereich der Literaturproduktion allen Einschüchterungsversuchen und Überwachungsmaßnahmen zum Trotz "einen Raum freier Betätigung und Wirksamkeit"472 . Eine führende Stellung unter jenen deutschen Buchverlagen, welche "von 1933 bis 1944 ohne Unterbrechung Werke »unerwünschter« Autoren auf den Buchmarkt brachten, nahmen die Verlage Fischer—Suhrkamp (123 Titel), Zsolnay—Bischoff (50 Titel), Rowohlt (47 Titel) und Insel (25 Titel)"473 ein. Freilich bildete auch in diesem Bereich die Fronde die Ausnahme gegenüber dem Gros der Eiferer und Opportunisten: "Nach dem Anzeigenteil des Börsenblattes der Jahre von 1933 bis 1944 beteiligten sich 70 Verlage an der Herstellung von nationalsozialistischem oder gefördertem Schrifttum."474 Einige von diesen hatten schon vor dem Jahr 1993 durch ihren Autorenstamm eine 471 Strothmann, Nationalsozialistische Literaturpolitik (Anm. 140) 384. 472 Ebd. 376. 473 Ebd. 374. 474 Ebd. 369. 150 II. Bücher —Raub 3.2. der nationalsozialistischen Blut —und —Boden —Ideologie konforme Linie vertreten und mussten solcherart nicht erst auf Kurs gebracht werden. Die meisten Verleger folgten mit ihrem Programm der Konjunktur bestimmter Themenkreise wie: "Führer —Literatur", Bauern- und Heimatromane, Geschichtsromane und Kriegsliteratur475 , und bedienten den Markt mit den entsprechenden Titeln: Aus freiwilligem Entschluß oder unter dem Druck der Überwachungsmaßnahmen hatten diese Buchverlage einen bedeutenden Anteil an dem Steuerungserfolg von Staat und Partei, der zum erzwungenen Aufbau einer den belletristischen Buchmarkt überschwemmenden »völkischen« und das Ideengut der NS —Weltanschauung publizistisch verbreitenden Literatur führte.476 Den so genannten bürgerlichen Verlagen stand die Gruppe der politischen und weltanschaulichen Verlage gegenüber, angeführt vom "Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachf." in München. Dem Eher— Verlag kam das Privileg zu, das "erste Buch der Deutschen", Hitlers Festungsschrift Mein Kampf zu editieren. Ein gutes Geschäft, erreichte die nationalsozialistische Pflichtschrift bis April 1940 bereits eine Rekordauflage von 6 Millionen477. Die bevorzugte Stellung des Eher —Verlages spiegelt sich auch darin, dass zu einer Zeit, als die bürgerlichen Verlage lediglich für einzelne, seitens einer Bewilligungskommission geprüfte Titel Papierzuweisungen erhielten, was zu einer Senkung der Herstellungsquoten führte, selbiger ein jährliches Sonderkontingent zugesprochen erhielt und damit zwischen 1934 und 1940 seine Auflagen stetig steigern konnte 478. Das Programm des Eher —Verlages umfasste neben dem "Völkischen Beobachter" alle Sparten "von Romanen bis zu Straßenkarten, von Liederbüchern bis zu Kalendern, von Verordnungen bis zu Rassenkunden, alles natürlich strikt im NS —Geist"479 . 475 Vgl. ebd. 385. 476 Ebd. 369. 477 Vgl. ebd. 387. 478 Vgl. ebd. 362. 479 Reinhard Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels. Ein Überblick (München 1991) 338. 151 II. Bücher —Raub 3.2. Neben dem Eher —Verlag waren etwa 70 weitere Parteiverlage mit der Publikation von nationalsozialistischem Schrifttum befasst. Hiezu zählten auch die NS —Gauverlage — deren einen es auch in Klagenfurt gab, hervorgegangenen aus der Enteignung der größten Kärntner Buch — und Zeitungsdruckerei mit angeschlossenem Verlag und einer Buchhandlung, als deren Besitzer und Betreiber der katholische St. Joseph— Verein firmierte. Dieser war "auf Grund des politischen Einflusses, der mit dem Besitz einer Zeitungsdruckerei ausgeübt werden konnte, der politisch bedeutendste katholische Verein in Kärnten. Zusätzlich war er der vermögendste Verein im katholischen Milieu."480 In der sattsam betriebenen Manier der Verbrämung ökonomischer Motive mit ideologisch— politischen Bekundungen wurde die "Zentrale aller deutschfeindlichen landesverräterischen Bestrebungen im Lande Kärnten"481 im Juli 1938 zuvorderst in "Presseverein Klagenfurt umbenannt" und hernach der "Aufsicht des zuständigen Gauleiters"482 unterstellt. 1940 erfolgte die nominelle Auflösung des Vereins. Die Buchdruckerei und Buchbinderei, der Buch- und Papierhandel samt Einrichtung und Maschinen, welche den Großteil des Vermögens des St. Joseph—Vereins ausmachten, wurden im Oktober 1938 an den "NS —Gauverlag und Druckerei Kärnten GesmbH" verkauft483 . Nach dem "Anschluss" avancierte der Gauverlag mit seinem Verlagsprogramm zum Hauptlieferanten der Landeslehrerbibliothek. Im lokalen Kontext betrachtet, zeigte sich das Verlagswesen gegenüber dem nationalsozialistischen Regime ebenso promisk wie die Mehr480 Vgl. Irene Bandhauer —Schöffmann, Entzug und Restitution im Bereich der Katholischen Kirche (= Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS —Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich 22: Vermögensentzug und Rückstellung im Bereich der Katholischen Kirche I, Wien/München 2004) 148. 481 Ebd. 149. 482 Ebd. 149. 483 Ebd. 152. 152 II. Bücher —Raub 3.2. zahl der "kulturvermittelnden" Einrichtungen des Landes. So hob einer der Hauptlieferanten der Öffentlichen Studienabteilung, der Verlag Leon, in seinem Betriebsbericht an die NSDAP —Gauleitung vom 18.9.1943 stolz hervor: Auf Grund des Führerbefehls wurde durch das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda dem Betriebsführer Rudolf Leon in Anerkennung der Leistungen obigen Betriebes auf dem Gebiete kulturellen Buchschaffens die Herstellung von Farbaufnahmen in historischen Bauwerken Nord- und Westdeutschlands übertragen.484 Nach Kriegsende stellte das Verlagshaus Leon seine technischen Fertigkeiten mit der nämlichen Bereitwilligkeit in den Dienst der britischen Besatzung485 . 484 Landesarchiv Kärnten (= künftig LAK), Bestand: Kärntner Wissenschaftliche Gesellschaft, Kt. 1, Fasz. 1.18: NSDAP, Gau Kärnten 1943-44. 485 Vgl. Adunka, Der Raub der Bücher (Anm. 13) 52. 153 II. Bücher —Raub 3.3. II.3.3. Der Buchhandel im Nationalsozialismus In der Wirtschaftskrise der Zwanzigerjahre hatte sich der deutsche Buchmarkt nicht zu den geschonten Branchen zählen dürfen. Vor allem kleinere Unternehmen im Verlagsbereich wie im Sortiment hatten ihre Kapazitäten an den stetigen Umsatzeinbrüchen erschöpft. Selbst die verlässlichste Käufergruppe, der bürgerliche Mittelstand, war im Sog von Arbeitslosigkeit und Kaufkraftrückgang von der Erwerbung zur Entlehnung übergegangen. Auch die Produzenten und Distribuenten von Lehrmitteln und wissenschaftlicher Literatur waren aufgrund der institutionellen Ausgaben-, Budget- und Etatbeschneidungen in eine prekäre Situation gekommen. Und selbst der Aufschwung, welchen die Leihbüchereien als Folge dieser Entwicklung nahmen, kam dem Buchmarkt nicht auf dem Wege der Umwegrentabilität zugute. Aus Einsparungsgründen wurden Neuanschaffungen — wenn überhaupt — zunehmend aus dem Angebot von Buchgemeinschaften und Billigbuchreihen getätigt486 . Das Katastrophenlamento wandelte sich mit der nationalsozialistischen Machtusurpation schlagartig "zu einem gesteigerten Aktivismus"487 . Das Krisenmanagement des Börsenvereins, des Interessenverbandes der deutschen Verleger und Buchhändler, wie es nunmehr rege wurde, bestand im eilfertigen "Anempfinden an die Macht"488 . Einer Ergebenheitserklärung gegenüber der "nationalen Erhebung"489 war ein "Sofortprogramm für den deutschen Buchhandel" beigefügt, das am 12. April 1933 vom Gesamtvorstand unter Leitung von Friedrich Oldenbourg verabschiedet und am 3. Mai im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel veröffentlicht wurde. Die darin erhobene Forderung nach krisen486 Ebd. 40. 487 Ebd. 40. 488 Karl Dietrich Bracher, Die deutsche Diktatur. Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus (Berlin 1969) 272. 489 Vgl. Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels (Anm. 479) 330. 154 II. Bücher —Raub 3.3. beseitigenden Maßnahmen im Bereich der Buchwirtschaft zielte auf die staatlich assistierte Ausschaltung der lästigen Konkurrenz "Buchgemeinschaften und Warenhäuser und gegen die buchhändlerische Betätigung von Vereinen, Parteien, Gewerkschaften und der öffentlichen Hand." 490 Im Gegenzug war die Interessenvertretung der Verleger und Buchhändler bereit, dem neuen Bund ihre jüdischen Mitglieder als "Morgengabe" zu opfern. Punkt 10 des "Sofortprogramms" lautete: "In der Judenfrage vertraut sich der Vorstand der Führung der Reichsregierung an. Ihre Anordnungen wird er für seinen Einflussbereich ohne Vorbehalt durchführen."491 Dem Unterwerfungsoffert der Standesvertretung folgte spornstreichs die Beweisführung. Am 13. Mai erging über das Branchenorgan, das Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, die Aufforderung an Verleger und Buchhändler, die Werke der zwölf Autoren: Lion Feuchtwanger, Ernst Glaeser, Arthur Holitscher, Alfred Kerr, Egon Erwin Kisch, Emil Ludwig, Heinrich Mann, Ernst Ottwalt, Theodor Plivier, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky, Arnold Zweig, die "für das deutsche Ansehen als schädigend zu erachten [sind]"492 , aus der Edition und dem Vertrieb zu nehmen. Bereits am darauf folgenden Tag wurde die Unterwerfungsgeste durch einen persönlichen Besuch Goebbels, des neuen Ministers für Volksaufklärung und Propaganda, in der Leipziger Zentrale honoriert. Zu Ehren des Gastes intonierte die Versammlung sinnigerweise zur Melodie Ich hab' mich ergeben ein Preislied, dessen erste zwei Strophen folgend gingen: Heut hat uns die Kantate nach altem Brauch vereint, auf das [!] dem deutschen Buche die Zukunft heller scheint. / Wenn auch vergangne Jahre viel Elend uns bedrückt'. Nun hat uns die Erlösung das Schicksal selbst geschickt. 493 490 Ebd. 330. 491 "Sofortprogramm für den deutschen Buchhandel" vom 3.5.1933. Zit.n. Barbian, Literaturpolitik im "Dritten Reich" (Anm. 109) 42. 492 Otto Seifert, Die große Säuberung des Schrifttums. Der Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig 1933 bis 1945 (Schkeuditz 2000) 18. 493 Zit.n. Barbian, Literaturpolitik im "Dritten Reich" (Anm. 109) 42-43. 155 II. Bücher —Raub 3.3. Abgesehen von einigen Bevorrechteten im Lichthof der Macht, brachen für die Branche insgesamt in den Folgejahren mitnichten selige Zeiten an. Die anlässlich einer Kundgebung des deutschen Buchhandels in Leipzig 1936 von Seiten Goebbels angekündigte "Reinigung des Buchhandelsstandes von ungeeigneten Elementen" 494 ließ sich gleichermaßen als Versprechen wie als Drohung verstehen. Die Geister, die man so lauthals gerufen hatte, gingen mit einem Rigorismus zu Werke, den wider Erwarten auch der eine oder andere der Sänger zu spüren bekam. Zwar wurde mit der unverzüglichen Schließung und sukzessiven "Arisierung" jüdischer Buchhandlungen sowie dem scharfen Vorgehen gegen kontrollresistente Buchvermittlungsformen wie Warenhausverkauf, Reisebuchhandel und Buchgemeinschaften einiges an Konkurrenz vom Halse geschafft, doch gerieten darüber hinaus weitaus mehr Sortimenter in den Ruch des Zweifelhaften und in der Folge unter Repressalien als erwartet, allen voran Anbieter mit dem Schwerpunkt auf konfessionellem Schrifttum. Die Verpflichtung des Buchhandels zum "weltanschaulichen Willensträger" 495 ging mit drastischen Aktionen zur "Auskämmung"496 einher, welche bis zum Jahr 1944 zu einer Schließung von sage und schreibe 60% aller Ladenbuchhandlungen führte497 . Die solcherart freigesetzten Arbeitskräfte wurden zur Wehrmacht einberufen oder in der Rüstungsindustrie eingesetzt. Das Ergebnis der nationalsozialistischen Literaturpolitik war ein durch politische Regulierungen ebenso wie wirtschaftliche Eingriffe und besitzrechtliche Übergriffe "erheblich entstellter Rumpfbuchhandel" 498. 494 Zit.n. Strothmann, Nationalsozialistische Literaturpolitik (Anm. 140) 130. 495 Ebd. 130. 496 Zit.n. ebd. 318. 497 Vgl. ebd. 131. 498 Ebd. 319. 156 II. Bücher —Raub 3.4. II.3.4.Die Suche nach "Evidenzen" im Rahmen der Buchautopsie Im Zuge der Buchautopsie wurden Buch für Buch etwas über 4.000 Bände der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt (Signaturenkreis I/II 30151 —I/II 34170) im Hinblick auf Herkunftssignets und Besitzeinträge in Gestalt von Stempelungen, Autogrammen, Widmungen oder Exlibris in Augenschein genommen, was dem Akzessionszeitraum von 1938 bis 1953 entspricht. Des weiteren rund 2.400 Bände der angeschlossenen Landeslehrerbibliothek der Eingangsjahre 1938 bis 1945 (Signaturenkreis A/B 3554 —A/B 5925). Am Aufstellungsort "Vorstufenmagazin" konnten auf diese Weise insgesamt fünf Bücher ausfindig gemacht werden, welche aufgrund der Involvierung ihrer Bezugsquelle, der Reichstauschstelle, in den nationalsozialistischen "Arisierungs" —Prozess als zum Mindesten "bedenkliche" Erwerbungen anzusehen sind (siehe Abschnitt II.3.1.). Die Herkunft der im Akzessionsjournal als "Gesch[enk]" ausgewiesenen Bücher war lediglich aufgrund einer handschriftlichen Eintragung des Bibliotheksleiters erkenntlich. Zu diesem Fundkreis der "bedenklichen" Erwerbungen zählt auch ein über das Beschaffungsamt der Deutschen Bibliotheken bezogenes Werk. Des weiteren hat die Bestandsüberprüfung ebendort acht Bücher der "Convents—Bibliothek der Barmherzigen Brüder St. Veit a.d. Glan", einen Band der Krankenhausbücherei des "Kronprinz —Rudolf —Hospitals der Barmherzigen Brüder St. Veit a.d. Glan", einen Band der Schulbücherei des "Privat —Mädchenrealgymnasiums der Ursulinen" sowie einen Band des Pfarramtes St. Margarethen ob Töllerberg zutage befördert, welche mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus enteignetem Kirchenbesitz stammen (siehe Abschnitt III.). Die Durchsicht der in der Sondersammlung verwahrten Bücher aus dem Currens hat ein weiteres Buch der "Convents—Bibliothek der Barmherzigen Brüder St. Veit a.d. Glan" 157 II. Bücher —Raub 3.4. sowie einen Band aus der Bibliothek des Stiftes St. Paul erbracht, welche ebenfalls von nationalsozialistischen Raubzügen herrühren dürften. Das Resümee der Sichtung: In der doch geringen Anzahl der jährlichen Neuerwerbungen, rund 400 Titeln pro Jahr, spiegelt sich die ökonomische und in dieser die geltungsmäßige Stellung der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt ebenso, wie in der nahezu ausschließlichen Orientierung der Ankäufe nach dem "Anschluss" am nationalsozialistischen Kanon die politische Ausrichtung von Bibliotheksleitung und Nutzern. Die Tatsache, dass sich innerhalb des Bestandszuwachses von insgesamt etwa 6.400 Bänden einer Provinzinstitution wie der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt immerhin sechs Bücher fragwürdiger Provenienz haben ausfindig machen lassen, demonstriert die flächendeckende Effizienz des nationalsozialistischen Distributionsapparates. Desgleichen spiegelt die relational nicht unbeträchtliche Anzahl von dreizehn identifizierbaren Büchern aus enteignetem Kirchenbesitz das Ausmaß des "Kirchensturms" in Kärnten wie die Rolle der Studienbibliothek als dessen bedenkenloser Nutznießerin. Stempel der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt. 158 III. Kirchen —Sturm 1. III. Kirchen —Sturm III.1. Die Amtskirchen im Nationalsozialismus zwischen Widerpart und Gefolgschaft Die nationalsozialistische Absichtserklärung der Errichtung eines "tausendjährigen Reiches" war in Tenor und Gehalt mehr als ein Parteiprogramm, sie war der Introitus einer neuen Theokratie, mit der konsekutiven Bedeutung einer Marginalisierung der etablierten Konfessionen. Die Entmachtung des gleichermaßen verachteten wie beachteten Gegners folgte dem bewährten Muster von Diffamierung, Kriminalisierung, Expropriation und mimetischer Übernahme. Der Vorbildcharakter der katholischen Kirche für die parteiliche und staatliche Strukturbildung ist unübersehbar: Der papalistische Primat entspricht dem Führerprinzip, die strenge Hierarchie dem Führungsapparat, der Ordensgedanke dem Korpsgeist der nationalsozialistischen Schutzstaffeln. Auch ideell liess sich der jesuitischen Verpflichtung zum "Kadavergehorsam" und insonderheit dem Dogma von der Heiligung der Mittel durch den Zweck durchaus Taugliches für den nationalsozialistischen Hausgebrauch abgewinnen. Der Durabilität und Effektivität der Vorlage zollte Hitler joviale Anerkennung: "Die katholische Kirche ist schon was Großes. Herr Gott ihr Leut', das ist eine Institution und es ist schon was, an die zweitausend Jahre auszudauern. Davon müssen wir lernen. [...] jetzt sind wir die Erben. Wir sind auch eine Kirche."499 Entsprechend umstandslos bediente sich der "braune Kult"500 aus dem reich bestückten katholischen Suggestionsfundus. Die Übernahme religiös besetzter Symbole wie Fahne und Kreuz in den nationalsozialistischen Zeichensatz, die Einkleidung öffentlicher Auftritte in die prunkschweren 499 Rauschning, Gespräche mit Hitler (Anm. 106) 53. 500 Hans —Jochen Gamm, Der braune Kult. Das Dritte Reich und seine Ersatzreligion. Ein Beitrag zur politischen Bildung (Hamburg 1962) u.a. 159. 159 III. Kirchen —Sturm 1. Paramente kirchlicher Inszenierungen, die rhetorischen Anleihen der Reden bei Doxologie und Predigt hatten den kalkulierten Effekt eines Vexierspiegels: "Der Führer ein neuer Christus, ein deutscher Sonderheiland [...], sein Buch das eigentliche Evangelium der Deutschen"501 . Der Nationalsozialismus präsentierte sich der Volksgemeinschaft als veritable Ersatzreligion, von Brecht trefflich erfasst: [...] und die Stimmen Milde und zornige auch, die sie damals betäubten, betäuben Sie durch dies Etwas von Inbrunst und Drohung noch heute. [...] und kamen von oben Grade wie diese. Doch so ist's ja auch mit den Fahnen: die seidnen Neben dem Altar waren bestickt mit Kreuzen, die neuen Haben auch Kreuze, nur andre, mit Haken versehne, doch Kreuze. [...] 502 In seiner Studie über die Sprache des Nationalsozialismus, LTI: Lingua Tertii Imperii, unterstreicht Viktor Klemperer die Wirkmächtigkeit der rhetorischen Mimesis: [D]er Nazismus wurde von Millionen als Evangelium hingenommen, weil er sich der Sprache des Evangeliums bediente. [...] Wenn man nach einem Vorbild für die Spannung des Goebbelsschen Stiles sucht, so mag man es annähernd in der mittelalterlichen Kirchenpredigt finden, wo sich ein vor nichts zurückschreckender Realismus und Verismus des Ausdrucks mit dem reinsten Pathos der Gebetserhebung verbindet. Aber dieser mittelalterliche Predigtstil quillt aus reiner Seele und wendet sich an ein naives Publikum, das er unmittelbar aus der Enge geistiger Begrenztheit in transzendente Bezirke erheben will. Goebbels dagegen geht raffiniert auf Betrug und Betäubung aus.503 Aber nicht nur die Nationalsozialisten betätigten sich als Kopisten. Auch die katholischen Weltmeister der Massenbewegung waren sich nicht zu schade, sobald sie des Zulaufes gewahr wurden, welchen die 501 Victor Klemperer, LTI [Lingua Tertii Imperii]. Notizbuch eines Philologen (= Universal— Bibliothek 278, Leipzig 4 1975) 138. 502 Bertolt Brecht, Tödliche Verwirrung. In: Die Gedichte (Frankfurt am Main 1981) 498. 503 Klemperer, LTI (Anm. 501) 142 und 302. 160 III. Kirchen —Sturm 1. gegnerische Inszenierung zu erzielen vermochte, ihrerseits in dessen populistischem Rhetorikfundus zu wildern. Es entbehrt nicht der Ironie, dass die begriffliche Mimesis an das neue "Meinungsklima"504 so weit ging, "daß die Nationalsozialisten darin eine systematische Verschwörung des »politischen Katholizismus« sahen, die den Nationalsozialismus von innen her besiegen sollte."505 War "Nächstenliebe" vormals ein Leitbegriff, so klang alsbald mit dem nämlichen Pathos aus sämtlichen apostolischen Kundmachungen die Botschaft von "Volkstum", "Blut" und "Boden" 506. Und es blieb nicht bei der verbalen Kurskorrektur. Vor der nationalsozialistischen Machtusurpation hatte die katholische Kirche noch den moralisch argumentierten Standpunkt einer prinzipiellen Unvereinbarkeit von Katholizismus und Nationalsozialismus vertreten: Die Mehrzahl der Bischöfe freilich stand der NSDAP am Ende der zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre mit großem Mißtrauen oder klarer Ablehnung gegenüber. Nach der für die Nazis sehr erfolgreichen Reichstagswahl im September 1930 gab das Bischöfliche Ordinariat Mainz auf Anfrage einer Gauleitung der NSDAP die schockierende Auskunft, ein Katholik dürfe nicht eingeschriebenes Mitglied dieser Partei sein, weil sie in grundsätzlichen Fragen gegen die Kirche stehe. Ein Katholik, der trotzdem Parteimitglied werde, sei vom Empfang der Sakramente ausgeschlossen.507 Nach einer derart klaren Positionierung erweckten das Einlenken und Umschwenken innert weniger Monate infolge des unerwarteten Zulaufs, welchen der vorschnell als episodisch abgetane nationalsozialistische Gegner erfuhr, allenthalben den Eindruck eines "erstaunliche[n] Gesinnungswandel[s]" 508 . Bereits 1931 wog Pius XI. Haltung gegen 504 Guenter Lewy, Die katholische Kirche und das Dritte Reich (München 1965) 183. 505 Ebd. 183. 506 Vgl. ebd. .183. 507 Georg Denzler, Widerstand oder Anpassung? Katholische Kirche und Drittes Reich (München/Zürich 1984) 19. 508 Ebd. 20. 161 III. Kirchen —Sturm 1. Zweckrationalität auf und zog ins Kalkül, "ob man bei allen Vorbehalten gegenüber den kirchenfeindlichen Grundsätzen der Nationalsozialisten nicht doch, wenn auch »vielleicht nur vorübergehend für bestimmte Zwecke«, an eine Zusammenarbeit denken könnte [...]."509 Nach der Machtusurpation der Nationalsozialisten wurde die zögerliche Einstellung vollends verabschiedet und zugunsten eines Arrangements revidiert. Wie Ernst Bloch 1936 in einem seiner politischen Essays feststellte, habe das "[e]ilige Konkordat mit Hitler"510 den Eindruck erweckt, selbiges sei "nicht nur mit Schlauheit geschehen, sondern mit Lust und Liebe"511 . Damit perpetuierte der Klerus allerdings nur eine seit dem vierten Jahrhundert eingenommene Haltung: Die Idee, die Kirche könne sich als zeitliche soziale Institution jedem Regime anpassen, das seine Bereitwilligkeit bezeugt, Eigentum und Vorrechte der Kirche zu respektieren, scheint in der katholischen politischen Philosophie fast ein unantastbarer Gemeinplatz geworden zu sein. Sogar die neueren päpstlichen Enzykliken [...] unterstreichen den Unterschied zwischen der Regierungsform (einer Angelegenheit von geringerer oder keiner moralischen Bedeutung) und dem göttlichen Ursprung der Autorität der Regierung (auf Grund derer der Christ verpflichtet ist, sie zu unterstützen, welche Form sie auch annehmen mag).512 Oder — wie Friedrich Heer unverblümt konstatiert — setzte die Kirche 1933 fort, was sie "zumindest seit den Tagen Konstantins" praktizierte, sie ging erneut wie "bisher noch in jeder Geschichtsstunde mit jedem Machtherren ins Bett."513 Bereits am 28. März 1933 traten die deutschen Bischöfe mit einer 509 Ebd. 20. 510 Ernst Bloch, Der letzte Hirtenbrief. In: Ders., Vom Hasard zur Katastrophe. Politische Aufsätze 1934 —1939 (Frankfurt am Main 1 1972) 81. 511 Ebd. 81. 512 Gordon C. Zahn Die deutschen Katholiken und Hitlers Kriege (Graz/Wien/Köln 1965) 282-283. 513 Friedrich Heer, Christentum ohne Anziehungskraft. In: Kritik an der Kirche, ed. Hans Jürgen Schultz (Stuttgart 1958) 26-43, hier 40. 162 III. Kirchen —Sturm 1. Botschaft an die Öffentlichkeit, worin der neuen Regierung das volle Vertrauen bekundet und zuvor ergangene Verbote und Warnungen für null und nichtig erklärt wurden 514. Die Entscheidung, mit dem nationalsozialistischen Brachialregime ein Bündnis einzugehen, entsprang dem einerseits naiven — was die "Bonität" und Lenkbarkeit des Vertrags- partners anbelangte —, andererseits perfiden Kalkül, selbst ungeschoren zu bleiben und gleichzeitig einen potenten Beförderer der Gegenreformation und schlagkräftigen Verbündeten im Kampf gegen die Feindbilder des gemeinsamen dualistisch —manichäischen Weltbildes zu gewinnen: Juden, Freimaurer und Bolschewisten. In diesem Sinne, um "die zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zu festigen und zu fördern"515 , wurde am 8. Juli 1933 ein Konkordat zwischen der deutschen Reichsregierung und dem Vatikan paraphiert und am 20. Juli unterzeichnet. Seiner Anlage nach war das Vertragswerk für beide Partner ein profitabler "Tauschhandel": Die Kirche ließ sich den Schutz der katholischen Bekenntnisschulen (Artikel 23) sowie den Bestand der katholischen Verbände und Vereine (Artikel 13) garantieren, wofür sich die Nationalsozialisten im Gegenzug mittels einer Entpolitisierungsklausel (Artikel 32) der lästigen politischen Konkurrenz der beiden katholischen Parteien Zentrum — die mit mehr als 70 Abgeordneten im Reichstag immerhin die viertstärkste politische Gruppe bildete — und Bayerische Volkspartei entledigten, womit der Weg zum Einparteienstaat geebnet war516 : Aufgrund der in Deutschland bestehenden besonderen Verhältnisse wie im Hinblick auf die durch die Bestimmungen des vorstehenden Konkordats ge514 Vgl. Hubert Wolf, Papst und Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich (München 2008) 192. 515 Aus der Konkordatspräambel. Abgedr. in: Ludwig Volk, Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933. Von den Ansätzen in der Weimarer Republik bis zur Ratifizierung am 10. September 1933 (Mainz 1972) 234. 516 Vgl. Terence Prittie, Deutsche gegen Hitler. Eine Darstellung des deutschen Widerstands gegen den Nationalsozialismus während der Herrschaft Hitlers (Tübingen 1965) 80. 163 III. Kirchen —Sturm 1. schaffenen Sicherungen einer die Rechte und Freiheiten der katholischen Kirche im Reich und seinen Ländern wahrenden Gesetzgebung erläßt der Heilige Stuhl Bestimmungen, die für die Geistlichen und Ordensleute die Mitgliedschaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien ausschließen.517 Bereits im Juni hatte Hitler die Bayerische Volkspartei aufgelöst und ebenfalls noch vor der Ratifizierung des Konkordatsvertrages erging am 5. Juli an das katholische Zentrum der Befehl zur Selbstauflösung518 , eine Vorgehensweise, die nicht zu Unrecht von der sicheren Erwartung der unverzüglichen Folgeleistung bestimmt wurde, denn schließlich hatten die katholischen Parteien im März 1933 bereits das Ermächtigungsgesetz mitgetragen, "das Hitler die Vollmachten eines Diktators gab."519 Die in der Weimarer Republik zutage getretenen liberalen Tendenzen waren in einen Ultrakonservativismus umgeschlagen: "Das Zentrum machte keine Miene, den Sozialdemokraten bei ihrem Zweikampf mit Hitler beizustehen. Die Geschichte ihrer bereitwilligen Mitwirkung beim eigenen Untergang widert jeden Betrachter an [...]."520 Der Theologe Walter Dirks analysiert das klerikale "Versagen vor der Geschichte"521 etwas profunder: Entscheidend aber war wohl, daß im Banne des neuscholastischen Systemdenkens weder der reale Charakter der Gesellschaft noch der Prozeß ihrer Geschichte angemessen in den Blick kamen. Der politische Katholizismus des 19. Jahrhunderts war eine auf das Religiöse und auf einen konservativen Kulturbegriff eingeengte Defensiv—Formation; in dieser Tradition verzichteten die beiden katholischen Parteien auch nach 1918, als an sich die politischen Parteien die eigentlichen Träger der staatlichen Souveränität geworden waren, auf originäre politische Konzeptionen [...]. Sie reagierten statt zu agieren; 517 Volk, Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 (Anm. 515) 241. 518 Vgl. Prittie, Deutsche gegen Hitler (Anm. 516) 80. 519 Ebd. 80. 520 Ebd. 80. 521 Zit.n. Denzler, Widerstand oder Anpassung? (Anm. 507) 145. 164 III. Kirchen —Sturm 1. sie verstanden sich nicht als demokratisch —republikanische Kräfte, sondern als »Verfassungsparteien«, in denen die politisch—geschichtlichen Entscheidungen, die fällig gewesen wären, zugunsten eines bequemen demokratischen Formalismus ausgespart blieben.522 Jetzt rächte sich, dass die Christen die Wende vom "paulinischen Obrigkeits —Gehorsam in die christlich —weltliche Verantwortung des politischen Bereichs"523 nie vollzogen hatten und solcherart allzu bereitwillig Verzicht auf politische Teilhabe leisteten und die eigenen Grundsätze durch "Scheinübereinstimmungen" 524 mit der nationalsozialistischen Fraktion hinreichend vertreten sahen: "Antikommunismus, antizivilisatorische und antidemokratische Ressentiments, autoritäre und hierarchische Denk- und Gefühlsstrukturen"525 . Von nicht gering zu schätzender Bedeutung für die Regierung Hitler war das Konkordat als völkerrechtlich relevanter Vertrag auch in außenpolitischer Hinsicht. Zu Recht pries der "Völkische Beobachter" das konkordiale Bündnis als eine "ungeheure moralische Stärkung der nationalsozialistischen Reichsregierung und ihres Ansehens"526 . Dass der Papst mit dem Konkordat als erster Souverän des Auslands die neue Reichsregierung zu den "auf der Seite der Ordnung stehenden staatlichen Gewalten"527 erklärte, hatte international Signalwirkung: "Wenn sich schon der Heilige Stuhl als unumstrittene moralische Macht nicht zu gut war, mit den Nationalsozialisten Verträge abzuschließen, dann konnte es auch für säkulare Staaten kein Hindernis geben."528 Aufgrund ihrer gesellschaftlichen Omnipräsenz und ihres 522 Ebd. 145. 523 Ebd. 156. 524 Ebd. 145. 525 Ebd. 145. 526 Zit.n. Karlheinz Deschner, Mit Gott und dem Führer. Die Politik der Päpste zur Zeit des Nationalsozialismus (Köln 1988) 48. 527 Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli am 30.4.1937. Zit.n. ebd. 49. 528 Wolf, Papst und Teufel (Anm. 514) 200. 165 III. Kirchen —Sturm 1. ethischen Mobilisierungspotenzials wäre die katholische Kirche 1933 wahrscheinlich als einzige christliche Glaubensgemeinschaft in Deutschland in der Lage gewesen "sich mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg gegen Hitler zu verteidigen [...]."529 Allerdings nur mit der Assistenz des Papsttums und seiner "ungeheuren Macht und Autorität in einem überwiegend katholischen Europa"530 . Die vatikanische Appeasementpolitik unterstützte die Auslegung Hitlers, wonach das Konkordat weniger als bilaterales Abkommen denn als Subordinationserklärung der katholischen Kirche zu betrachten sei: Durch den Abschluß des Konkordats zwischen dem Hl. Stuhl und der deutschen Reichsregierung erscheint mir genügende Gewähr dafür gegeben, daß sich die Reichsangehörigen des römisch —katholischen Bekenntnisses von jetzt ab rückhaltlos in den Dienst des neuen nationalsozialistischen Staates stellen werden.531 Damit verpflichtete Rom implizit die Gläubigen "bis zur letzten Stunde des Zweiten Weltkrieges [...] zu treuem Opfergehorsam dem Manne gegenüber, der sich selbst zum einzigen Schirmherrn der Kirchen gegen den Bolschewismus proklamiert [hatte]."532 Wiewohl das Konkordat unmittelbar zu einer Sistierung von Repressalien gegen katholische Orden und deren Mitglieder führte, war von einem kordialen Auskommen beider Parteien keine Rede. Die seitens der Kirche an den Vertrag geknüpfte Hoffnung auf eine Bündelung der Kräfte erfüllte sich nicht, im Gegenteil, "noch ehe die Tinte auf dem Papier, auf dem e[r] geschrieben, trocken war"533 , wurde der Vertrag, wie der Kardinalstaatssekretär und spätere Papst Pius XII., Eugenio Pacelli, lamentierte, 529 Prittie, Deutsche gegen Hitler (Anm. 516) 79. 530 Ebd. 79. 531 Zit.n. Friedrich Heer, Der Glaube des Adolf Hitler. Anatomie einer politischen Religiosität (München/Eßlingen, 1.-8. Tsd. 1968) 263. 532 Ebd. 264. 533 Zit.n. Deschner, Mit Gott und dem Führer (Anm. 526) 59. 166 III. Kirchen —Sturm 1. zigfach umgangen oder schlichtweg verletzt. Nicht weniger als 55 Protestnoten sandte Pacelli zwischen 1933 und 1939 nach Berlin, von denen kaum ein Dutzend überhaupt einer Antwort gewürdigt wurde 534. Letztlich scheiterte eine gedeihliche Allianz an der gänzlichen Intransigenz von nationalsozialistischem Totalitäts- und kirchlichem Suprematieanspruch. Seine Sicht einer Symbiose zwischen Staat und Kirche präzisierte Hitler sinnigerweise anlässlich der Eröffnung einer "Ordensburg" in Sonthofen im November 1937: Wir geben euch unbedingte Freiheit in eurer Lehre oder in eurer Auffassung der Gottesvorstellung. [...] Eines aber sei ganz klar entschieden: Über den deutschen Menschen im Jenseits mögen die Kirchen verfügen, über den deutschen Menschen im Diesseits verfügt die deutsche Nation durch ihre Führer. 535 Der Adressat der nun schon als Kampfansage zu wertenden Botschaft war Papst Pius XI., welcher am 14. März 1937 mit der Enzyklika "Mit brennender Sorge" den wiederholten Vertragsbruch des Konkordatspartners nicht mehr auf diplomatischem Wege, sondern öffentlich anzuprangern sich unterstanden hatte. Gerade diese Enzyklika wird immer wieder als Beweis für den unerschrockenen Widerstand der katholischen Kirche gegen den Nationalsozialismus bemüht. De facto hatte sie allerdings lediglich den "Leidensweg der Kirche"536 zum Inhalt, "die Vertragsumdeutung, die Vertragsumgehung, Vertragsaushöhlung, schließlich die mehr oder minder öffentliche Vertragsverletzung"537 bezogen auf das Reichskonkordat. Von einer Verletzung der Menschen534 Vgl. ebd. 59. 535 Rede Hitlers vor den versammelten Kreisleitern und Gauamtsleitern anlässlich der Eröffnung einer Ordensburg in Sonthofen im Allgäu am 23.11.1937 unter dem Titel: "Aufbau und Organisation der Volksführung". In: Max Domarus, Hitler. Reden und Proklamationen 1932 —1945. Kommentiert von einem deutschen Zeitgenossen 1: Triumph (1932 —1938) (Würzburg 1962) 762. 536 Pius XI., Mit brennender Sorge. Über die Lage der katholischen Kirche im Deutschen Reich (= Die Enzykliken des Hl. Vaters Pius XI., Innsbruck/Wien/München [1937]) 47. 537 Ebd. 49. 167 III. Kirchen —Sturm 1. rechte ist an keiner Stelle die Rede, wiewohl zu diesem Zeitpunkt in Deutschland das legislatorisch assistierte Programm der "Ausmerze" von Juden und politischen Gegnern bereits in vollem Gange war. "In sechs Sätzen ihrer dreiundvierzig Paragraphen" 538 kommt der Begriff der "Rasse" vor, allerdings nicht negativ konnotiert, sondern als ein usueller Terminus im zeitgeschichtlichen Wissenschaftsdiskurs, der auch im Kontexte der christlichen Schöpfungsgeschichte als sinnfällig galt: Nur oberflächliche Geister [...] können den Wahnversuch unternehmen, Gott, den Schöpfer aller Welt, den König und Gesetzgeber aller Völker, vor dessen Größe die Nationen klein sind wie Tropfen am Wassereimer (Is. 40,15), in die Grenzen eines einzelnen Volkes, in die blutmäßige Enge einer einzelnen Rasse einkerkern zu wollen.539 Nicht die Rassenlehre als solche wird als Irrglaube gebrandmarkt, "sondern nur, dass manche die Rasse über die Lehren des Christentums stellen möchten" 540. Beeinsprucht wird vor allem die Unverfrorenheit, die Kirche unter die Staatsmacht zwingen zu wollen, den Papst als Stellvertreter Gottes unter die Befehlsgewalt eines weltlichen und zudem häretischen "Führers": Wer die Rasse, oder das Volk, oder den Staat, oder die Staatsform, die Träger der Staatsgewalt [...] zur höchsten Norm aller, auch der religiösen Werte macht und sie mit Götzenkult vergöttert, der verkehrt und fälscht die gottgeschaffene und gottbefohlene Ordnung der Dinge. [...] Wer in sakrilegischer Verkennung der zwischen Gott und Geschöpf [...] klaffenden Wesensunterschiede irgend einen Sterblichen, und wäre er der Größte aller Zeiten, neben Christus zu stellen wagt, oder gar über Ihn und gegen Ihn, der muß sich sagen lassen, daß er ein Wahnprophet ist, [...]. Der Kirchenglaube wird nicht rein und unverfälscht erhalten, wenn er nicht gestützt wird vom Glauben an den Primat des Bischofs von Rom.541 538 Daniel Jonah Goldhagen, Die katholische Kirche und der Holocaust. Die katholische Kirche und der Holocaust. Eine Untersuchung über Schuld und Sühne (Berlin 2002) 56. 539 Mit brennender Sorge (Anm. 536) 52. 540 Goldhagen, Die katholische Kirche und der Holocaust (Anm. 538) 65. 541 Mit brennender Sorge (Anm. 536) 51, 55 und 60. 168 III. Kirchen —Sturm 1. Während die Kirche in der Enzyklika "Mit brennender Sorge" am Nationalsozialismus selbst "nur behutsam Kritik übte"542, war die aus demselben Jahr stammende antibolschewistische Enzyklika "Divini Redemptoris" vergleichsweise "ein donnerndes, kompromissloses Verdammungsurteil"543. In diesen "Abwehrkampf" zog die Kirche mit den wirkmächtigsten Waffen aus ihrem Wortarsenal: Der Kommunismus wird als "satanische Geißel"544, als "falsche Erlösungsidee"545 und unter Berufung auf Papst Leo XIII. als "verheerende Seuche, die das Mark der menschlichen Gesellschaft anfrißt und sie völlig zersetzt" 546, attackiert. Bei der Öffnung des Vatikanischen Archivs 2003 fanden sich zahlreiche Bittgesuche, welche ab 1933 an den Papst ergangen waren, in denen Pius XI. "von jüdischen und nichtjüdischen Persönlichkeiten flehentlich gebeten wurde, seine Stimme zu erheben" 547. Endlich, 1938, schien sich der Papst doch auch hinsichtlich der Verfolgung der Juden zu einer Stellungnahme durchringen zu wollen. Nachdem auch in Italien eine eigene "Rassengesetzgebung" nach deutschem Muster ausgearbeitet worden war548 , erteilte Pius XI. dem Jesuitenpater LaFarge den unter strikte Geheimhaltungspflicht gestellten Auftrag zur Ausarbeitung einer Enzyklika zum Thema der "Einheit des Menschengeschlechts". Hier finden sich die ersten deutlichen Worte, wird der Nexus: Rasse, Judentum und Verfolgung an- und ausgesprochen: [D]er Kampf für die Reinheit der Rasse [wird] schließlich einzig zu einem Kampf gegen die Juden [...], einem Kampf, der sich weder in seinen wahren 542 Goldhagen, Die katholische Kirche und der Holocaust (Anm. 538) 119. 543 Ebd. 119. 544 Pius XI., Divini Redemptoris. Über den gottesleugnerischen Kommunismus (= Die Enzykliken des Hl. Vaters Pius XI., Innsbruck/Wien/München [1937]) 6. 545 Ebd. 7. 546 Leo XIII. in der Enzyklika: Quod Apostolici muneris, 28.12.1878. Zit. n. ebd. 4-5. 547 Wolf, Papst und Teufel (Anm. 514) 209. 548 Vgl. Georges Passelecq/Bernard Suchecky, Die unterschlagene Enzyklika. Der Vatikan und die Judenverfolgung (München/Wien 1997) 136 ff. 169 III. Kirchen —Sturm 1. Motiven noch in seinen Methoden Grausamkeit — — mit Ausnahme seiner systematischen von den Verfolgungen unterscheidet, denen die Juden seit der Antike allerorten ausgesetzt waren. Diese Verfolgungen sind vom Heiligen Stuhl bei mehr als einer Gelegenheit verurteilt worden, vor allem wenn sie sich das Christentums als eines Deckmantels bedienten. [...] Ist die Verfolgung einmal in Gang gekommen, dann werden Millionen von Menschen auf dem Boden ihres eigenen Vaterlandes der elementarsten Bürgerrechte und Privilegien beraubt, man verweigert ihnen den Schutz des Gesetzes gegen Gewalt und Diebstahl, Beleidigung und Schmach harren ihrer, man geht sogar so weit, das Brandmal des Verbrechens Personen aufzudrücken, die das Gesetz ihres Landes bis dahin peinlich genau befolgt haben.549 Wiewohl in den Ausführungen über die "Position der Kirche gegenüber dem Judentum" ein weiteres Mal der gesamte Kanon an Vorhaltungen und Vorurteilen ausgebreitet wird, betont der Entwurf, "[d]aß die Verfolgungsmethoden des Antisemitismus mit dem wahren Geist der katholischen Kirche in keinster Weise in Einklang zu bringen sind"550 und erhebt die Forderung, "Antisemitismus und Rassismus energisch zu verurteilen"551. Die Enzyklika "Humani Generis Unitas" sollte aber nicht zur Veröffentlichung gelangen. Mit der Übernahme des Pontifikates durch Eugenio Pacelli als Pius XII. verschwindet das Papier im Vatikanarchiv, womit der Kurs der "ölige[n] Proteste"552, des Schweigens und der Unterlassungen seine Fortsetzung nimmt. Bis heute findet die Haltung der katholischen Kirche gegenüber dem Nationalsozialismus Verteidiger, deren Argumentation ausschließlich einer Beweisführung dient: Jener des Scheiterns aller Mühen der Aufklärung an einem Bewusstsein, das noch einer "Schlachtbank [...], auf welcher das Glück der Völker, die Weisheit der Staaten und die Tugend der Individuen zum Opfer gebracht 549 Humani Generis Unitas" 131/132. Zit.n. ebd. 260-261. 550 Humani Generis Unitas" 144. Zit.n. ebd. 267. 551 Humani Generis Unitas" 152. Zit.n. ebd. 273. 552 Bloch, Der letzte Hirtenbrief (Anm. 510) 81. 170 III. Kirchen —Sturm 1. worden" 553, teleologisch deutend Sinn verleiht: Angenommen, ein Papst, in diesem Falle Pius XI. oder Pius XII., hätte plötzlich die Kirche zu einem Kreuzzug aufgerufen, um den Gefahren zu begegnen, die den Juden damals drohten, so sei die Frage erlaubt, wer ihnen überhaupt gefolgt wäre. Wäre diese Kehrtwendung nicht zu plötzlich gekommen, wäre sie nicht zu radikal und unvermittelt gewesen, um auch nur verstanden zu werden? Damit eine derartige Veränderung angebahnt werden konnte, wird es eben des von den Nationalsozialisten begangenen Genozids [...] bedürfen, [...].554 [Hervorh. d.d. Verf.] Die Argumentation folgt der Vorgabe von höchster Stelle: 1963 suchte Papst Paul VI. ein Schlusswort unter die an Rolf Hochhuths Drama "Der Stellvertreter" erneut sich entzündet habende Debatte über die Rolle der katholischen Kirche im Nationalsozialismus mit der Argumentation zu setzen: "Der Papst, der im Zweiten Weltkrieg an der Spitze der katholischen Kirche stand, hätte durch Aufgabe seiner Zurückhaltung schuldhaft womöglich »noch schlimmeres Unheil ausgelöst« [...]."555 Der exkulpierenden Deutung begegneten deren Kritiker mit der lapidaren Entgegnung, "im Kontext der tatsächlichen Entfaltung des Holocaust hätte man sich überhaupt kein schlimmeres Szenario vorstellen können als jenes, das tatsächlich ablief."556 Unbestritten fanden sich auch innerhalb der katholischen Kirche Widerstandsgeister, bekannte Persönlichkeiten wie der Kardinalerzbischof von München, Michael Faulhaber, oder der Kardinalerzbischof von Münster, Clemens Graf von Galen, die ihre Autorität einsetzten, um gegen das 553 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Die Vernunft in der Geschichte, ed. Johannes Hoffmeister (= Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte 1, Hamburg 5 1955) 80. Hinweis auf das Zitat bei: Jörn Rüsen, Kann gestern besser werden? 554 Passelecq/Suchecky, Die unterschlagene Enzyklika (Anm. 548) 186. 555 Robert Katz, Papst Pius XII. gegen die Judenvernichtung. Hätte das Oberhaupt der römisch—katholischen Kirche während des Zweiten Weltkriegs die "Endlösung" verhindern können? In: Was wäre geschehen wenn? Wendepunkte der Weltgeschichte, ed. Robert Cowley (Köln 2008) 396-514, hier 399. 556 Ebd. 399. 171 III. Kirchen —Sturm 1. nationalsozialistische Euthanasieprogramm, gegen die "Ausmerze unwerten Lebens" zu protestieren. Die Erklärung Kardinal Faulhabers: "Ich habe in dieser sittlich—rechtlichen, nichtpolitischen Frage es als Gewissenspflicht empfunden, zu reden, weil ich als katholischer Bischof nicht schweigen kann, wenn es sich um die Erhaltung der sittlichen Grundlagen jeder öffentlichen Ordnung handelt [...]" 557, führt indes die Argumentation, welche das Schweigen der Kirche zum Genozid an den Juden als Deeskalationsstrategie verteidigt, ad absurdum: Warum glaubten die Bischöfe nicht, dass ein Protest zu Gunsten der Geisteskranken und anderer Opfer dieses Massenmordprogramms deren Tod nur beschleunigen würde, wie es doch — heutigen Behauptungen zufolge — der Papst und die Bischöfe geglaubt haben sollen, wären sie für die Juden eingetreten.558 Die Person Kardinal Faulhabers ist ein gutes Beispiel für die ambivalente Haltung auch derer, welche heute seitens der Kirche gerne als Widerstandskämpfer "ohne weiteres auf das Pluskonto"559 gebucht werden. Das im November 1940 an Justizminister Franz Gürtner adressierte Protestschreiben Faulhabers gegen das nationalsozialistische Euthanasieprogramm war gleichwohl nicht der Ausdruck einer grundsätzlichen Aufkündigung seiner Staatsloyalität oder gar der Gefolgschaft Hitlers, "für den er ein dauerndes Faible empfand"560 . Faulhabers Kommentar zum Putschversuch 1944 bestätigt die wider alles Wissen verteidigte Haltung der Amtskirche. Er bezeichnete das Attentat als "einen solchen Wahnsinn, der unser Volk in das furchtbarste Chaos gestürzt und den Bolschewismus in der radikalsten Form zum Siege geführt hätte" 561 und beeilte sich zu versichern, er habe sich "persönlich 557 Protestbrief Kardinal Faulhabers an Justizminister Franz Gürtner vom 6.11.1940. Zit.n. Lewy, Die katholische Kirche und das Dritte Reich (Anm. 504) 291. 558 Goldhagen, Die katholische Kirche und der Holocaust (Anm. 538) 84. 559 Denzler, Widerstand oder Anpassung? (Anm. 507) 129. 560 Ebd. 128. 561 Zit.n. ebd. 128. 172 III. Kirchen —Sturm 1. die Verehrung zum Führer"562 bewahrt. Es waren vor allem Angehörige des niederen Klerus, die den Verhaltensinstruktionen den Gehorsam verweigerten und der eigenen Angst und Not zum Trotz mutig handelten. Die Art und Weise, wie sich die Amtskirche heute dieser ihrer wehrhaftesten und wahrhaftesten Vertreter erinnert, ist nicht frei von Zynismus, wenn man sich vor Augen hält, was Peter Tropper am Beispiel des Gurker Ordinariates feststellte: Zurückgeführt wird die hohe Todesrate des Gurker Klerus vornehmlich auf die mangelnde caritative und psychologische Unterstützung der Geistlichen aus der Heimat, hauptsächlich durch das Gurker Ordinariat selbst. Damit steht ein Vorwurf im Raum, der sich auch den Quellen nach nicht ohne weiteres entkräften läßt.563 Nach Kriegsende waren die überlebenden Heimkehrer der Vernichtungslager im zivilen Leben wie auch in der Kirche wenig willkommen, gemahnten sie doch höchst unliebsam ans eigene Versagen, wie Pfarrer Eugen Weiler, der drei Jahre lang im KZ Dachau interniert gewesen war, aus eigenem Erleben zu berichten weiss: [Nicht selten] sind leider unbegreifliche Verhaltensweisen vorgekommen von übergeordneten Stellen, um nicht noch deutlicher zu werden, wie: Begrüßung als verirrtes Schaf nach der Heimkehr! Anweisung an einen abgelegenen Posten! Welcher Gemeinde können wir zumuten, einen KZ —Priester als Seelsorger anzubieten?564 Seitens der Amtskirche blieb die Enzyklika Pius des XI., "Mit brennender Sorge", die einzige Einhalt gebietende Äußerung des Vatikans gegen den Nationalsozialismus. Dessen Nachfolger, Pius XII., entschied sich "im tragischesten Augenblick der ganzen neuzeitlichen Geschichte"565 562 Zit.n. ebd. 128. 563 Peter G. Tropper, Kärntner Priester im Konzentrationslager. In: Staat und Kirche in der "Ostmark", edd. Maximilian Liebmann/Hans Paarhammer/Alfred Rinnerthaler (= Veröffentlichungen des Internationalen Forschungszentrums für Grundfragen der Wissenschaften Salzburg N.F. 70, Frankfurt am Main u.a. 1998) 411-450, hier 449. 564 Zit.n. Denzler, Widerstand oder Anpassung? (Anm. 507) 125. 565 Katz, Papst Pius XII. gegen die Judenvernichtung (Anm. 555) 399. 173 III. Kirchen —Sturm 1. für eine Politik des Schweigens. "Aus diesem Grunde, mehr als aus jedem anderen, wurde die katholische Kirche nicht zum Hauptwiderstandszentrum der Konservativen gegen Hitler, was sie eigentlich ihrer Natur nach hätte sein können."566 Wiewohl es zu keiner formellen Auflösung des Konkordates kam, war diese Ehe an "unheilbarer Zerrüttung" gescheitert, was seinen unmittelbaren Ausdruck in einer massierten Propagandawelle fand. In Analogie zur "Blutschande" in der antisemitischen Hetze standen die Promiskuität im allgemeinen und im besonderen Homosexualität in der antiklerikalen Propaganda, mit dem gemeinsamen Ziel der Beseitigung von Hemmschwellen durch die Prägung "bis ins Körperliche reichende[r] Abwehraffekte"567 . Als eifernder Lanceur der Invektiven fungierte Julius Streichers Zeitschrift "Der Stürmer". Ein Lieblingssujet der bevorzugt pornographischen Karikaturen war der "geile katholische Priester"568 . Ein zweites Thema, das gleichfalls Parallelen in der antijüdischen Propaganda hat, war der gegen den Klerus vorgebrachte Korruptionsvorwurf. Beide Anwürfe bildeten die Grundlage zahlreicher Prozesse, deren Ziel es war, das Ansehen der katholischen Kirche in der Öffentlichkeit zu unterminieren. Für die Protestanten hegte Hitler a priori eine ostentative Verachtung: "Es sind kleine dürftige Subjekte, unterwürfig bis zum Handkuß, und sie schwitzen vor Verlegenheit, wenn man sie anredet. Sie haben schließlich gar keinen Glauben, den sie ernst nehmen, und sie haben auch keine große Herrschaftsmacht zu verteidigen wie Rom."569 Wieso war sich Hitler der Duktilität der evangelischen Kirchen so sicher, die doch fast sechzig Prozent der deutschen Bevölkerung umfassten, mithin einen kaum derart rigoros von der Hand zu weisenden Einflussfaktor darstellten: 566 Prittie, Deutsche gegen Hitler (Anm. 516) 88. 567 Gamm, Der braune Kult (Anm. 500) 165. 568 Prittie, Deutsche gegen Hitler (Anm. 516) 85. 569 Rauschning, Gespräche mit Hitler (Anm. 106) 55. 174 III. Kirchen —Sturm 1. "Bewußte Protestanten gehörten dem Beamtentum, der Regierung, dem Generalstab und selbst der NSDAP an. Bis 1945 war das ungeteilte Deutsche Reich ein vorwiegend protestantischer Staat."570 Einesteils war es das streng am Pauluswort ausgerichtete Verhältnis der Protestanten zur Obrigkeit, welches die unangefochtene Überzeugung Hitlers von der evangelischen Subordination stützte. Seit Luther bildete die im Brief an die Römer niedergelegte Aufforderung des Apostel Paulus eine Maxime der protestantischen Lehre: 1. Jeder unterwerfe sich der obrigkeitlichen Gewalt! Denn es gibt keine Obrigkeit, ohne daß sie von Gott da ist, sondern die, welche da sind, sind von Gott verordnet. 2. Wer also wider die Obrigkeit sich auflehnt, der lehnt wider Gottes Ordnung sich auf; aber solche Empörer werden sich selbst Verdammnis zuziehen. (Sendschreiben Paulus an die Römer, 13,1 —2) Die protestantische Exegese leitete daraus das Gebot zur Unterwerfung unter jede Gewalt ab, "die noch irgendwie als »rechtmäßig« angesehen werden konnte"571 , insonderheit vertreten von der Partei der Deutschen Christen. Letztendlich hatte sich auch Luther 1525 gegen die aufständischen Bauern auf die Seite der Machtherren gestellt. Auch die lutheranische Verehrung des Staates, ein ausgeprägt antisemitischer Nationalismus standen nicht eben in Opposition zur nationalsozialistischen Ideologie. Strukturell wähnte sich Hitler wohl aufgrund der Gespaltenheit der evangelischen Kirchen vor Widerstand gefeit.: "Es gab so viele unabhängige Gliedkirchen, daß die Historiker sich kaum über ihre genaue Zahl einigen können; d.h. es gab mindestens 28 unabhängige Provinzialsynoden, es können auch dreißig gewesen sein."572 Diese Zerrissenheit stand der Widerstandsformierung im Wege, wozu noch das Fehlen einer internationalen Organisation kam. 570 Prittie, Deutsche gegen Hitler (Anm. 516) 106. 571 Ebd. 108. 572 Ebd. 108. 175 III. Kirchen —Sturm 1. Ungeachtet dessen scheiterte die am Dünkel genährte Gewissheit Hitlers, die Protestanten für die Etablierung einer Reichskirche botmäßig in Dienst nehmen zu können, an der gänzlich unerwarteten Widersetzlichkeit eines Teils der samt und sonders duktil Gewähnten. Während die Deutschen Christen, die federführende Fraktion im landeskirchlichen Protestantismus, für eine Reichskirche lutherischer Prägung optierten, "die die Hoheit des nationalsozialistischen Staates aus Glauben anerkennt und das Evangelium im Dritten Reich verkündigt"573 , für eine "Kirche der deutschen Christen, das heißt der Christen arischer Rasse" 574, formierte sich im Laufe des Jahres 1934 mit der Bekennenden Kirche eine starke Gegenbewegung. Zwei Bekenntnissynoden der Bekennenden Kirche im Mai und im Oktober 1934 erklärten das Regiment einer deutschen Reichskirche unter dem kooperierenden Bischof Ludwig Müller für illegitim und riefen mit der Proklamation eines kirchlichen Notrechts zur Gehorsamsverweigerung auf 575. Zu der Geschichte der "so wenig systematischen Opposition"576 der Kirchen gegen Hitler bemerkt Terence Prittie, sie entspräche "der Struktur der Menschheitsgeschichte, die so reich ist an technischen Erfolgen und gleichzeitig so voll der Erkenntnis geistigen Versagens."577 573 Aus den "Kirchengrundsätzen" der Deutschen Christen vom 5.5.1933. Zit.n. Kurt Meier, Kreuz und Hakenkreuz. Die evangelische Kirche im Dritten Reich (München 1992) 39. 574 Ebd. 39. 575 Vgl. Alfred Rinnerthaler, Die Orden als Feindbilder des NS —Staates. In: Staat und Kirche in der "Ostmark", edd. Maximilian Liebmann/Hans Paarhammer/Alfred Rinnerthaler (= Veröffentlichungen des Internationalen Forschungszentrums für Grundfragen der Wissenschaften Salzburg N.F. 70, Frankfurt am Main u.a. 1998) 351-394, hier 353-354. 576 Prittie, Deutsche gegen Hitler (Anm. 516) 142. 577 Ebd. 142. 176 III. Kirchen —Sturm 2. III.2. Enteignung von Kirchenbesitz in Deutschland und Österreich Mit dem Scheitern des Reichskirchenkonzepts und der Renitenz des katholischen Säkularklerus "verlor Hitler jegliches Interesse an kirchenpolitischen Experimenten und begann die Kirchen zunehmend als unversöhnliche Gegner seiner politischen Ambitionen einzustufen."578 Damit erhielten die Verfechter einer a priori kirchenfeindliche Linie wie Alfred Rosenberg und Heinrich Himmler freie Hand für eine generalstabmäßige Entpolitisierung des kirchlichen und Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens. In einer ersten Phase sollte die Kirche sukzessive aus allen Positionen gedrängt werden, "in denen sie nicht unmittelbar ihre Aufgabe der Wortverkündung und Sakramentsverwaltung erfüllte" 579. Der Angriff richtete sich gegen die intrakommunikativen und infrastrukturellen Einrichtungen: So hat die Kirche nach und nach aufgeben müssen ihre Gewerkschaften, ihre berufsständischen Organisationen, ihre Jugendformationen, ihre Studentenverbindungen und Altherrenschaf ten, den größten Teil ihrer Caritasorganisation, ihre Privatschulen, den Teil ihrer Presse und ihres Schrifttums, der über den Bereich des unmittelbar kirchlichen Lebens hinausragte, und ihre wissenschaftlichen Vereinigungen. Weiter wurde ihr Volksbüchereiwesen zurückgedrängt und ihre mannigfachen geselligen Veranstaltungen zum Erliegen gebracht. 580 Die Phase der Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens, welche massiert ab 1936 einsetzte, folgte der Direktive, "daß der Primat des völkischen Prinzips und der volksgemeinschaftlichen Einheit kein dieses Ziel gefährdendes Auftreten und Wirken der beiden christlichen Kirchen 578 Rinnerthaler, Die Orden als Feindbilder des NS —Staates (Anm. 575) 354. 579 Werner Weber, Die staatskirchenrechtliche Entwicklung des nationalsozialistischen Regimes in zeitgenössischer Betrachtung. In: Rechtsprobleme in Staat und Kirche. Festschrift für Rudolf Smend zum 70. Geburtstag (= Göttinger Rechtswissenschaftliche Studien 3, Göttingen 1952) 365-386, hier 371. 580 Ebd. 371. 177 III. Kirchen —Sturm 2. in der Öffentlichkeit zulasse."581 Zu den Maßnahmen, welche auf eine Ablösung der religiösen durch die nationalsozialistische Indoktrination zielten, sind "die Beseitigung der Konfessionsschulen und des Schulgottesdienstes und die Zurückdrängung des Religionsunterrichts sowie der Anstaltsseelsorge, die Bagatellisierung der theologischen Fakultäten innerhalb des Hochschulwesens, [...] die Fernhaltung der Kirchen von Rundfunk und Presse" 582 zu rubrizieren. Die Marginalisierung der Kirche in ideologisch —politischer Hinsicht war nur ein Aspekt nationalsozialistischer Zielsetzung. In nämlichem Maße galten die staatlichen Betreibungen deren planmäßiger Expropriation. Am 12.5.1937 hielt Joseph Goebbels in seinem Tagebuch fest: "Die Kirchenvermögen [müssen] eingezogen werden."583 Unter strengen Geheimhaltungsauflagen wurde der Sicherheitsdienst mit der systematischen Erfassung kirchlicher Besitzstände und Vermögenswerte beauftragt. Die staatliche Vorgehensweise folgte dem Muster der "Arisierungen". Die Devisen- und Sittlichkeitsprozesse in den Dreißigerjahren dienten propagandistisch der Erzeugung einer antikirchlichen Grundstimmung. Darauf folgte die fiskalische Drangsalierung, dieser die Enteignungen, welche unter dem Schlagwort "Klostersturm" im Jahr 1941 ihren Höhepunkt erreichten und dem in Deutschland insgesamt mehr als 300 Klöster und kirchliche Einrichtungen zum Opfer fielen 584. Mit dem "Anschluss" Österreichs weitete sich die im "Altreich" herrsc hende "Kulturkampfatmosphäre" 585 in versc här f ter Form auf die nunmehrige "Ostmark" aus. Am 15. März 1938 machte der Wiener 581 Ebd. 372. 582 Ebd. 373. 583 Die Tagebücher von Joseph Goebbels I/4, ed. Elke Fröhlich (München 2000) 135. 584 Vgl. Annette Mertens, Himmlers Klostersturm. Der Angriff auf katholische Einrichtungen im Zweiten Weltkrieg und die Wiedergutmachung nach 1945 (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen 108, Paderborn u.a. 2006) 388. 585 Rinnerthaler, Die Orden als Feindbilder des NS —Staates (Anm. 575) 372. 178 III. Kirchen —Sturm 2. Kardinal Theodor Innitzer Hitler im Hotel Imperial einen "Huldigungsbesuch". Wenige Tage später suchten sich die sechs regierenden Erzbischöfe und Bischöfe Österreichs den neuen Machthabern mittels einer "Feierlichen Erklärung" anzudienen. Wiewohl eine erste allzu emphatisch —devote Fassung redigiert wurde und sich die Loyalitätsadresse etwas verhaltener präsentierte, blieb der Grundtenor der nämliche: A us innerster Überzeugung und mit freiem Willen erklären wir unterzeichneten Bischöfe der österreichischen Kirchenprovinz anläßlich der großen geschichtlichen Geschehnisse in Deutsch —Österreich: W ir erkennen freudig an, daß die nationalsozialistische Bewegung auf dem Gebiet des völkischen und wirtschaftlichen Aufbaues sowie der Sozial—Politik für das Deutsche Reich und Volk und namentlich für die ärmsten Schichten des Volkes Hervorragendes geleistet hat und leistet. Wir sind auch der Überzeugung, daß durch das Wirken der nationalsozialistischen Bewegung die Gefahr des alles zerstörenden gottlosen Bolschewismus abgewehrt wurde. D ie Bischöfe begleiten dieses Wirken für die Zukunft mit ihren Segenswünschen und werden auch die Gläubigen in diesem Sinne ermahnen. A m Tage der Volksabstimmung ist es für uns Bischöfe selbstverständliche nationale Pflicht, uns als Deutsche zum Deutschen Reich zu bekennen, und wir erwarten auch von allen gläubigen Christen, daß sie wissen, was sie ihrem Volke schuldig sind.586 Wie ihre deutschen Amtsbrüder wünschten sich auch die österreichischen Bischöfe "den Staat als Schutzmacht. So waren sie es jahrhundertelang gewohnt gewesen."587 Vergessen war die kurze Spanne der Ersten Republik, "als die Kirche mit Wahlaufrufen entscheidend in die Politik eingegriffen und diese selbstverständlich entscheidend mitgeprägt hatte [...]."588 Die Subordination ging freilich ins Leere. Nach den Er586 Maximilian Liebmann, Kardinal Innitzer und der Anschluss. Kirche und Nationalsozialismus in Österreich 1938. (= Grazer Beiträge zur Theologiegeschichte und kirchlichen Zeitgeschichte 1, Graz 1982) 70. 587 Stefan Moritz, Grüß Gott und Heil Hitler. Katholische Kirche und Nationalsozialismus in Österreich (Wien 2 2002) 75. 588 Ebd. 76. 179 III. Kirchen —Sturm 2. fahrungen im "Altreich" dürfte Hitler an einem Konkordat mit Österreich a priori wenig Interesse gehabt haben, weswegen auch eine Erweiterung des bestehenden Kirchenvertrages auf die "Ostmark" erst gar nicht zur Debatte stand. Hier bot sich endlich die Gelegenheit, ohne ärgerliche Retardationen vorgehen zu können: 1. Das österreichische Konkordat ist durch und mit der Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich von selbst erloschen, da Österreich durch diese Wiedervereinigung als selbständiger Staat untergegangen ist und seine Stellung als Völkerrechtssubjekt verloren hat. 2. Die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich hat nicht zur Folge, daß sich das Reichskonkordat automatisch auf das Land Österreich erstreckt, da dieses Konkordat auf die Verhältnisse des Altreichs zugeschnitten ist und infolge dieser Eigenart auf die Verhältnisse in Österreich keine sinngemäße Anwendung finden kann. 3. Daraus ergibt sich, daß in Österreich zur Zeit ein konkordatloser Zustand herrscht.589 Die Zuständigkeit des Reichsministeriums in Berlin für kirchliche Angelegenheiten wurde sukzessive beschnitten, um 1940 zunächst Martin Bormann, ein Jahr später dann den Reichsstatthaltern übertragen zu werden 590. Ein Schreiben Bormanns an die Gauleiter vom 13. Jänner 1941 wird mehrheitlich als Initialzündung für den so genannten "Klostersturm" angesehen, darin er dazu aufrief, Klöster einer "allgemein geeignet erscheinenden Verwendung"591 zuzuführen. Unbehindert von Vertragsbindungen wurden innert weniger Monate all jene Maßnahmen durchgesetzt, welche im "Altreich" seit 1933 progredient den Geltungsbereich der Kirche kupiert hatten: Die Schliessung sämtlicher konfessioneller Privatschulen, Kindergärten und Heime, respektive deren Über589 Österreichs Stifte unter dem Hakenkreuz. Zeugnisse und Dokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus 1938 bis 1945, ed. Sebastian Bock. In: Ordensnachrichten 34,4A (1995) 12. 590 Vgl. Mertens, Himmlers Klostersturm (Anm. 584) 266. 591 Zit.n. ebd. 389. 180 III. Kirchen —Sturm 2. führung in öffentliche Trägerschaft. Die Auflösung kirchlicher Pfarr- und Vereinsbüchereien. Die Abwertung des Religionsunterrichts zum "unverbindlichen Gegenstand" bei gleichzeitiger Einführung einer exponierenden Anmeldepflicht für Besuchswillige 592. Das Erscheinen katholischer Zeitungen und Zeitschriften wurde eingestellt, die Druckereien enteignet und nicht selten in Gauverlage umgewandelt. Zwischen 1938 und 1945 wurden 724 österreichische Priester inhaftiert. 300 waren ausgewiesen, über mehr als 1.500 Unterrichts- und Predigtverbote verhängt worden593. Neben diesen reprimierenden Maßnahmen waren aber vor allem die zahlreichen österreichischen Stifte und Klöster mit ihren Kunstschätzen und Liegenschaften Objekte des Begehrens der Machtherren. 1933 existierten in Österreich immerhin 275 Niederlassungen männlicher und 1.123 Niederlassungen weiblicher Orden594. Die Diözese Gurk in Kärnten zählte zum Stichtag 1.1.1938 19 männliche Orden und Kongregationen sowie 17 weibliche Ordensgemeinschaften 595. Die Konfiskationen wurden auf der Grundlage zweier Gesetze vorgenommen. Deren eines war das "Gesetz über die Unterbringung von öffentlichen Dienststellen" vom 27. Juli 1938. §1,1: Zur Unterbringung von Dienststellen und Einheiten der Wehrmacht, der NSDAP und ihrer Gliederungen sowie von Dienststellen des Reichs, des Landes Österreich und der ehemaligen österreichischen Länder können Grundstücke herangezogen werden, soweit der zu ihrer Benützung Berechtigte sie für seinen eigenen Bedarf nicht benötigt oder seinen Bedarf anderweitig decken kann. 592 Vgl. ebd. 267. 593 Vgl. Erika Weinzierl, Katholische Priester im Widerstand. In: Staat und Kirche in der "Ostmark", edd. Maximilian Liebmann/Hans Paarhammer/Alfred Rinnerthaler (= Veröffentlichungen des Internationalen Forschungszentrums für Grundfragen der Wissenschaften Salzburg N.F. 70, Frankfurt am Main u.a. 1998) 473-500, hier 488. 594 Vgl. Kirchliches Handbuch 1939, 218. 595 Kirche im Gau. Dokumente zur Situation der katholischen Kirche in Kärnten von 1938 bis 1945, ed. Peter G. Tropper (Klagenfurt 1995) 1. 181 III. Kirchen —Sturm 2. §2,2: Über die Zuweisung entscheidet der Reichsstatthalter. Er bestimmt, welche Vergütung für die Benützung des Grundstücks zu leisten und inwieweit dem Berechtigten für Vermögensnachteile, die ihm durch die Entziehung des Besitzes entstanden sind, eine Entschädigung zu gewähren ist.596 Die zweite Gesetzesgrundlage für einen Vermögensentzug bildete die "Kundmachung des Reichsstatthalters in Österreich, wodurch die Verordnung über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens im Lande Österreich vom 18. November 1938 bekanntgemacht wird". §1,1: Der Reichsstatthalter (Österreichische Landesregierung) in Wien oder die von ihm bestimmten Stellen können Vermögen von Personen oder Personenvereinigungen, die volks- und staatsfeindliche Bestrebungen gefördert haben, sowie Sachen und Rechte, die zur Förderung solcher Bestrebungen gebraucht oder bestimmt waren oder sind, zugunsten des Landes Österreich einziehen. §1.2: Der Reichsminister des Inneren oder die von ihm bestimmten Stellen stellen fest, welche Bestrebungen als volks- und staatsfeindlich anzusehen sind.597 Von den insgesamt etwa 1.400 österreichischen Ordensniederlassungen wurden an die 200 konfisziert598 . Wiewohl die vorliegende Untersuchung in diesem Kapitel mit den konfessionellen Bibliotheken einen — bezogen auf die Enteignung von Mobilien und Immobilien im Bereich der katholischen Kirche insgesamt — marginalen und sehr speziellen Aspekt in den Blick nimmt, haben sich die hierzu aufgefundenen Quellen als hinlänglich aussagekräftig er-wiesen, um die allgemeinen Ausführungen zum Thema Kirchenraub pars pro toto zu exemplifizieren. Die folgenden Abschnitte werden — entsprechend den Stoßrichtungen, welche die nationalsozialistische Enteignungspraxis nahm und gemäß den Unterschieden in den Verfahrens596 Gesetzblatt für das Land Österreichs ÖGBl 1938, 84, 124 vom 27.7.1938. 597 Gesetzblatt für das Land Österreichs ÖGBl 1938, Stück 167, Nr. 589, 2991 vom 27.7.1938. 598 Vgl. Mertens, Himmlers Klostersturm (Anm. 584) 274. 182 III. Kirchen —Sturm 2. weisen und Motiven — einerseits die Beschlagnahme von Pfarr-, Schul- und kleineren Konventbüchereien behandeln, zum anderen die Requirierung der zigtausend Bände umfassenden Stifts- und Klosterbibliotheken. 183 III. Kirchen —Sturm 2.1. III.2.1. Die Beschlagnahme von Büchern im Zuge der nationalsozialistischen Entkonfessionalisierungsmaßnahmen Bereits im Dezember 1938 wurden die Bibliotheken kirchlicher Trägerschaft per Erlass mit dem Verdikt belegt, keine Bücher mehr in ihrem Bestand haben, geschweige denn verleihen zu dürfen, welche nicht "rein religiösen Inhalts" waren: An alle Gemeinden Die Säuberung der verschiedenen, unter allen möglichen Namen aufscheinenden Volksbüchereien von unerwünschtem Schrifttum ist im Gange. Von der Sichtung können auch die Pfarr- oder von konfessionellen Vereinen erhaltenen Büchereien nicht ausgenommen werden, da die Kulturpolitik des Nationalsozialismus es nicht zulassen kann, dass die oben genannten Büchereien anderes als rein religiöses Erbauungsschrifttum führen. Der Minister für innere und kulturelle Angelegenheiten hat daher im Einvernehmen mit dem Stillehaltekommissar [!] für Vereine, Organisationen und Verbände angeordnet, dass in Hinkunft, spätestens ab 1.Jänner 1939, in sämtlichen Pfarr- und von konfessionellen Vereinen erhaltenen Büchereien der Ostmark nur Werke geführt werden dürfen, die in einer von den Beauftragten des Stillehaltekommissars [!] erstellten und vom Ministerium genehmigten Grundliste aufscheinen. Diese Grundliste erhebt zunächst noch nicht Anspruch auf Vollständigkeit, jedoch ist die Belassung oder Aufnahme weiterer Werke des Erbauungsschrifttums in die Pfarr- oder von konfessionellen Vereinen geführten Büchereien nur nach ausdrücklicher im Einzelfall einzuholender Genehmigung durch das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, Abteilung IV, Wien I., Minoritenplatz 5, zulässig.599 Die so genannte "Grundliste", herausgegeben vom Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, Abteilung IV, Erziehung, Kultus und Volksbildung, führte 387 Titel an, welche es den Pfarrbüchereien noch gestattet war, sie den Lesern zur Verfügung zu stellen. Alle anderen Bücher wurden beschlagnahmt und den öffentlichen Bibliotheken über599 Bezirkshauptmannschaft Lienz vom 15.12.1938. AdDG, Kt. 8/1937-1945/I. 184 III. Kirchen —Sturm 2.1. geben. Erstellt worden war die Liste von zwei eigens einberufenen "Fachmännern": "Ein Sachverständiger wurde von Kardinal Innitzer nominiert, ein zweiter, Mitarbeiter der Nationalbibliothek, vom Stillhaltekommissar." 600 Die Vorgehensweise ist bezeichnende für die nationalsozialistische Manier, einen Willkürakt durch dessen Einkleidung in das Gewand eines streng formalisierten und legislatorisch justifizierten Verfahrens zu "objektivieren" und tunlichst mit Hilfe der Betroffenen (hier der katholischen Kirche) in der Funktion von Erfüllungsgehilfen durchzusetzen. Beide Maßnahmen, das Verbot wie die Beschlagnahme von Büchern nicht genehmen Inhalts, hatten vor allem eine symbolische Wirkmächtigkeit. Sie wiesen der Kirche demonstrativ ihren Platz innerhalb der Gesellschaft zu und unterstrichen die Funktionsbeschneidung auf ausschließlich seelsorgerisches Gebiet. Die im ländlichen Raum bis dato überwiegend durch die Pfarrbüchereien erfüllte Funktion der Kulturvermittlung sollte künftighin nach dem Vorbild des "Altreichs" auch in der "Ostmark" von "Volksbüchereien" übernommen werden. Es versteht sich von selbst, dass die Volksbüchereien keine liberalen Leseanstalten waren, sondern "politische Institution[en]"601 im Dienste der ideologischen Indoktrination. Um die Volksbüchereien als Distributionsstellen der nationalsozialistischen Propaganda und Gesinnungsmultiplikatoren nutzen zu können, "musste der flächendeckende Ausbau des Bibliothekswesens forciert in Angriff genommen werden."602 Nach einer Expansionsphase in Deutschland zwischen 1933 und 1939, im 600 Verena Pawlowsky/Edith Leisch — Prost/Christian Klösch, Vereine im Nationalsozialismus. Vermögensentzug durch den Stillhaltekommissar für Vereine, Organisationen und Verbände und Aspekte der Restitution in Österreich nach 1945 (= Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS —Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich 21: Vereine Stiftungen und Fonds im Nationalsozialismus 1, Wien/München 2004) 65. 601 Koch, Das Bibliothekswesen im Nationalsozialismus (Anm. 110) 49. 602 Ebd. 50. 185 III. Kirchen —Sturm 2.1. Zuge derer 4.579 Bibliotheksgründungen 603 zu verzeichnen waren, konzentrierte sich der Aufbau des Bibliothekswesens nach 1938 auf die "angeschlossene Ostmark" und die annektierten Länder. Als Relaisstellen des Bibliothekenaufbaus fungierten in den jeweiligen Reichsgauen zentrale Volksbüchereistellen. So wurden etwa bis 1942 seitens der Volksbüchereistelle Klagenfurt für den Raum Kärnten und Steiermark 122 Gemeindebüchereien eingerichtet604 . Daraus wird ersichtlich, "mit welcher Verbissenheit in diesem System gearbeitet wurde"605 und auch, wohin die beschlagnahmten Bibliotheken anderer Einrichtungen flossen. Das erste Heft der "Ostmarkbücherei" vom April/Mai 1939 veröffentlichte die "Richtlinien für das Volksbüchereiwesen" des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 26. Oktober 1937. Hier wurde das ehrgeizige Konzept vorgestellt, "daß in jeder Gemeinde, die 500 und mehr Einwohner hat, eine Standbücherei vorhanden ist "606 . Als deren Kernfunktion wird die Aufgabe bezeichnet, "das Erbe der völkischen Überlieferung zu pflegen, das für die politische und weltanschauliche Schulung und die Berufsausbildung wichtige Schrifttum bereit zu halten, volkhaftes Unterhaltungsschrifttum und gutes Jugendschrifttum zu vermitteln."607 Für den Raum Kärnten von Bedeutung war zudem eine Sonderform des Volksbüchereiwesen, das "Grenzbüchereiwesen", gedacht als eine Art ideologisches Bollwerk gegen unerwünschte Fraternisierung: "Besondere Förderung und Aufmerksamkeit ist dem Aufbau eines starken Volksbüchereiwesens in den Grenzgebieten zuzuwenden, da die Volksbüchereien in hohem Maße befähigt sind, wichtige Aufgaben zu übernehmen, die sich aus den 603 Vgl. ebd. 50. 604 Vgl. Presslauer, Das Volksbüchereiwesen (Anm. 12) 53. 605 Ebd. 53. 606 Richtlinien für das Volksbüchereiwesen vom 26.10.1937. In: Die Ostmarkbücherei 1/2 (1939) 9. 607 Ebd. 10. 186 III. Kirchen —Sturm 2.1. grenzpolitischen Notwendigkeiten ergeben."608 Die in der eingangs zitierten Gemeindeaussendung so fälschlich wie bezeichnend gebrauchte Wendung "Stillehaltekommissar" verweist wiederholt auf die Autorität des "Stillhaltekommissars für Vereine, Organisationen und Verbände", wie die vollständige und korrekte Bezeichnung der Dienststelle lautete. Die Aufgabe der unmittelbar nach dem "Anschluss" eingerichteten und im Mai 1938 gesetzlich verankerten Behörde609 , die von vornherein als eine Übergangseinrichtung gedacht war, bestand in der organisatorischen Angleichung der österreichischen Vereinslandschaft an jene des "Altreichs". Bei der Entscheidung über den Fortbestand, die Überführung oder Auflösung bestehender Vereine wurde besonderes Augenmerk darauf gerichtet, dass "die Satzungen der Vereine, Organisationen und Verbände, insbesondere auch hinsichtlich der Vermögensverwertung"610, dem am 17. Mai 1938 erlassenen "Gesetz über die Überleitung und Eingliederung von Vereinen, Organisationen und Verbänden" nicht entgegenstünden, desgleichen, "daß alle Vereine, Organisationen und Verbände nationalsozialistisch ausgerichtet und geführt werden"611. Es ging kurzum wieder einmal um Geld und Einflussnahme. Das Gesetz bot dem Stillhaltekommissar "ein absolutes Eingriffsrecht"612 in die finanzielle und organisatorische Gebarung der Vereine inklusive der unanfechtbaren 613 Berechtigung zur Vermögensbeschlagnahmung und Verbandsauflösung. Zu den kulturellen Verbänden im Aktionsradius des Stillhaltekommissars 608 Ebd. 11. 609 Vgl. Pawlowsky/Leisch —Prost/Klösch, Vereine im Nationalsozialismus (Anm. 600) 26. 610 Verordnung des Reichsstatthalters (Österreichische Landesregierung) zur Durchführung des Gesetzes über die Überleitung und Eingliederung von Vereinen, Organisationen und Verbänden, Nachrichtenblatt 1, GBlÖ 44/1938. Zit.n. ebd. 52. 611 Zit.n. ebd. 53. 612 Ebd. 53. 613 Vgl. ebd. 52. 187 III. Kirchen —Sturm 2.1. zählten auch Büchereien, wobei nicht alle Bibliothekstypen hier von gleichem Interesse waren: Schulbüchereien waren beispielsweise ausgenommen, während mobile (so genannte Wander—)Büchereien der Arbeiterkammer sehr wohl der Zuständigkeit des Stillhaltekommissars unterlagen (sie wurden zur Gänze der DAF [Deutsche Arbeitsfront] eingewiesen).614 Auch die Arbeiterkammerbücherei in Klagenfurt fiel den "Säuberungsmaßnahmen" des Stillhaltekommissars zum Opfer: "Nach Auflösung der Arbeiterkammern wurde diese zur Stadtbücherei der Gauhauptstadt Klagenfurt umfunktioniert und im hiesigen Rathaus der Öffentlichkeit zugänglich gemacht." 615 Was die Zuteilung der aufzulösenden Büchereien anbelangt, überkreuzten sich ein weiteres Mal die Zuständigkeitsbereiche: Neben dem Deutschen Volksbildungswerk suchte auch das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksaufklärung seine "Reichszuständigkeit für das Gebiet der Erwachsenenbildung"616 geltend zu machen unter Berufung auf eine mit dem Reichsinnenministerium getroffene Einigung, wonach "Büchereien mit selbständiger Tätigkeit an die betreffende Gemeinde überführt wurden, während solche, die mit einem Volksbildungsverein verbunden waren, gemeinsam mit diesem in die DAF eingewiesen wurden."617 Allerdings war die rurale Bibliothekenlandschaft der "Ostmark" dünn besiedelt, hier hatten die Pfarrbüchereien die kulturvermittelnde Rolle inne. Obgleich die katholische Kirche selbst dem Aufgabenbereich des Stillhaltekommissars formal ausgespart blieb, "[waren] die unzähligen katholischen Vereine und Kongregationen, sowie der große Komplex des Caritasverbandes und der Kolpingfamilie jedoch 614 Pawlowsky/Leisch —Prost/Klösch, Vereine im Nationalsozialismus (Anm. 600) 64. 615 Presslauer, Das Volksbüchereiwesen (Anm. 12) 58. 616 Pawlowsky/Leisch —Prost/Klösch, Vereine im Nationalsozialismus (Anm. 600) 64. 617 Ebd. 64, Erläuterung zu Fussnote 204. 188 III. Kirchen —Sturm 2.1. sehr wohl Gegenstand seiner Tätigkeit."618 Aus Gründen der Indoktrinierungshoheit galt ein besonderes Augenmerk den katholischen Büchereiverbänden: "Sie wurden aufgelöst, ihre Bestände gingen entweder an Gemeindebüchereien oder an das Deutsche Volksbildungswerk (einen Teil der DAF)."619 Die Pfarrbüchereien wurden auf der Grundlage der oben genannten "Grundliste" behandelt: "Was dort enthalten war, konnte retourniert werden."620 Der Rest wiederum zerfiel in die zwei Gruppen, jene des erwünschten und des unerwünschten Schrifttums. Ersteres ging an die gemeindeeigene Bücherei, sofern eine solche bestand, letzteres an die Gestapo. Was die materielle Seite anbelangt, waren die betroffenen Pfarrbüchereien allerdings vollkommen uninteressant: "Das meiste, was sich in katholischen Bibliotheken fand, erhielt das Attribut »wertlos«."621 Im Archiv der Diözese Gurk fand sich unter den Archivalien zum Vermögensentzug im Bereich der katholischen Kirche in Kärnten seitens der nationalsozialistischen Regierung ein für diese Arbeit sehr wertvolles, da aussagekräftiges Schriftstück, welches über die Enteignung der Pfarrbüchereien Auskunft gibt. Es handelt sich dabei um eine seitens der Diözese begonnene Liste, welche 13 Bibliotheken anführt, die von obiger Maßnahme betroffen waren und sich in der Folge intimierend und mit dem Ersuchen um Beschwerdeführung an das Gurker Ordinariat wandten. 618 Ebd. 58. 619 Ebd. 64. 620 Gretl Köfler, Auflösung und Restitution von Vereinen, Organisationen und Verbänden in Tirol (= Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS—Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich 21: Vereine, Stiftungen und Fonds im Nationalsozialismus 3, Wien/München 2004) 59. 621 Ebd. 59. 189 III. Kirchen —Sturm 2.1. Archiv der Diözese Gurk, Bestand Kirchenvermögen, Karton 3. Die Angaben lassen erkennen, dass die Beschlagnahmen in zwei Wellen stattfanden: Die erste zu Jahresbeginn 1939, was auf die Tätigkeit des Stillhaltekommissars verweist, die zweite nach einjähriger Sistierung im Frühsommer 1941 als staatspolizeiliche Maßnahme. Hiezu wurde im "Kirchlichen Verordnungsblatt für die Diözese Gurk" vom 26. April 1941 unter Punkt 69, Pfarrbücherei, eine Anordnung der Gestapo veröffentlicht: Die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Klagenfurt, teilt unter 9. April 1941, Zl. II B 221/41 anher mit, daß »Katholische Pfarrbüchereien in Hinkunft nur noch Schriften und Bücher enthalten und ausleihen dürfen, die katholisch —religiösen oder erbaulichen, katholisch — kulturellen oder katholisch — karitativen Inhalts sind, wobei es belanglos ist, ob es sich um Werke der Dichtung und des erzählenden Schrifttums oder um Bücher des Sachschrifttums handelt. Pfarrbüchereien, die bisher dieser Anordnung nicht nachgekommen sind, haben ab sofort 190 III. Kirchen —Sturm 2.1. das Ausleihen von Büchern einzustellen. Bei der Ausscheidung des erzählenden und unterhaltenden Schrifttums ist ein strenger Maßstab anzulegen, so daß nur solche Schriften übrig bleiben, die infolge ihres Themas und ihres ausgesprochen religiösen und erbaulichen Charakters dem religiösen Schrifttum zugerechnet werden können. Gemäß Erlaß des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei vom 20.12.1940 B 4 a Nr. 3136/C unterliegt die Überwachung dieser Maßnahme der zuständigen Staatspolizeistelle«. Ferner müssen alle anderen Bücher, die ausgeliehen sind, zurückgezogen und die Titel aus den öffentlich zugänglichen Katalogen gestrichen werden. Vorstehendes Schreiben wird den hochwürdigen Pfarrvorständen zur Kenntnisnahme mitgeteilt. Soweit in unserer Diözese Pfarrbibliotheken noch bestehen, ist über das Veranlaßte bis 15. Mai ds.J. anher zu berichten. Klagenfurt, am 25. April 1941 Fb. Gurker Ordinariat. Dr. Andreas Rohracher622 Als beschlagnahmende Organe werden in der Rubrizierung des Gurker Ordinariates Gestapo, Gendarmerie und die Kreisleitung der NSDAP genannt. Was sich der Liste, beziehungsweise den Zahlenangaben über die eingezogenen Bücher überdies entnehmen lässt, ist die maßgebliche Rolle in der Kulturvermittlung, welche die Pfarrbüchereien gerade im ländlichen Raum gespielt haben. Rechnet man die im Besitz belassenen Werke hinzu, kommt man zu dem Ergebnis, dass die einzelnen Bibliotheken doch einen Umfang von durchschnittlich 1.000 und mehr Titeln gehabt haben dürften. Aufgrund der genauen zeitlichen Angaben zu den staatlichen Übergriffen war es möglich, in den Protokollbüchern des Gurker Ordinariates eine ganze Reihe weiterer Meldungen betreffend die Beschlagnahme von Pfarrbüchereien ausfindig zu machen. Die entsprechenden Eingaben der Pfarrämter, auf welche sich die Einträge beziehen, waren im erschlossenen Aktenbestand allerdings nicht ausfindig zu machen. Nach Angaben des Archivars der Diözese Gurk, Univ.Doz.Dr. Peter Tropper, 622 Kirchliches Verordnungsblatt für die Diözese Gurk 9 (1941) 40. 191 III. Kirchen —Sturm 2.1. besteht die vage Möglichkeit, dass sie in einem bis dato noch nicht gesichteten und freigegebenen Archivbestand erhalten sein könnten. Die beiden folgenden Tabellen enthalten die Abschriften der pfarramtlichen Eingaben an das Ordinariat und sind auch der Form nach den Eingabebüchern nachempfunden: Einreichungs- und Expediten —Protokoll bei der f. —b. Gurker Konsistorial —Kanzlei Erstellt Eingelangt Adressant 122 14.01.1939 16.01.1939 Pf.A. Berg Buch: int., daß die Pfarrbücherei bisher noch nicht beschlagnahmt wurde G.V. 135 12.01.1939 17.01.1939 Pf.A. St. Andrä berichtet über Beschlagnahme der Pfarrbücherei G.V. an Pf.A. Mitteilung, daß bereits Beschwerde erhoben wurde 135 13.01.1939 17.01.1939 Kollegium S.J. St. Andrä übermittelt seine Stellungnahme an die Kreisleitung der N.S.D.A.P. in Wolfsberg in der Büchereifrage G.V. an Rektorat S.J., St. Andrä Mitteilung hiervon 149 16.01.1939 18.01.1939 Pf.A. St. Leonhard/ Lav. berichtet über Beschlagnahme der Pfarrbücherei G.V. 150 16.01.1939 18.01.1939 Pf.A. Pörtschach/ Sec. berichtet über Verweigerung der verlangten Herausgabe der Pfarrbücherei G.V. 167 14.01.1939 19.01.1939 Ord. Wien Bücher: int., daß gegen Erlaß zur Beschlagnahme der Pfarrbüchereien Einspruch eingelegt wurde G.V. 176 15.01.1939 20.01.1939 Pf.A. St. Paul/Lav. berichtet über Beschlagnahme der Bücherei G.V. 192 Gegenstand Adressent/ Antwort Zl. III. Kirchen —Sturm 2.1. Gegenstand Adressent/ Antwort Zl. Erstellt Eingelangt Adressant 481 22.02.1939 23.02.1939 Kollegium S.J. St. Andrä legt Eingabe an L.H. um Freigabe der Bibliothek z.K. vor G.V. an L.H.: Ersuchen um Freigabe G.V. an S.J. St. Andrä mitgeteilt L.H., 21.4., erklärt, daß nur rein kirchliche Bücher von der Beschlagnahme ausgenommen sind 303 03.02.1939 06.02.1939 Pf.A. Millstatt int. Beschlagnahme einzelner Bibliotheksbücher und des Katalogs G.V. 516 25.02.1939 27.02.1939 Seelsorgeamt Innsbruck Buch: ersucht um Mitteilung über der [!] Stand der Angelegenheit "Beschlagnahme der Büchereien" G.V. an — mitgeteilt, daß ha. Intervention bei L.St. die Aktion sofort eingestellt wurde und gegenwärtig ruht, 28.2. 577 25.02.1939 06.03.1939 Ord. Linz Buch: über den Stand der Frage "Beschlagnahme der Büchereien in Linz G.V. Verweis auf 3187b [1939] 577 11.03.1939 18.03.1939 Ord. Linz bringt Gegenäußerung des Ord. gegen den Standpunkt der L.H. zur Kenntnis G.V. 318 7a 21.08.1939 22.08.1939 Pf.A. Stall meldet den Versuch der NSDAP Pfarrbücherei für die Gemeinde zu beschlagnahmen G.V. 318 7b 21.08.1939 22.08.1939 Pf.A. Oberdrauburg Buch: übermittelt Verzeichnis der 387 noch erlaubten Bücher f. Pfarrbüchereien und Erlaß der Bez.H. Linz v. 15/12 38 an alle Gemeinden G.V. Tabelle 1 193 III. Kirchen —Sturm 2.1. Ein- und Auslauf —Protokoll beim f. —b. Gurker Ordinariat 1941 Zl. Erstellt Eingelangt 4931 09.04.1941 15.04.1941 4931 a,b,c 28.4.1941 3.5.1941 6.5.1941 2.5.1941 9.5.1941 9.5.1941 5288 5289 5290 14.5.1941 20.5.1941 23.5.1941 5293 5294 5295 28.5.1941 31.5.1941 7.6.1941 Adressant Gegenstand Gestapo Buch: meldet, daß auf Veranlassung des Stell. des Führers die Gestapo zu wachen hat, daß aus allen kathol. Büchereien nicht — religiöse Bücher entfernt werden G.V. a) Pf.A. b) St. Veit b) Pf.A. Gurk c) Pf.A. Radlach a: erbittet Weisungen wg. Gendarmerie Nachfrage b: meldet Beschlagnahme der nicht—relig. Bücher (353) c: ebenso [Nachtrag]: 4.) 17.12. Holz erbittet Intervention wg. relig. Bücher G.V. auf KVBl. 9/41 S. 40 verwiesen 6.5.1941 Mittlg., daß Gestapo die Frist zur Einforderung nicht —relig. Bücher bis 15/ 5 erstreckt vide 5288 ff. Buch: Entsprechung des h.a. Erl. 26/4 KVBl. S. 40 melden Pf.Ä. 1.) Rangersdorf 2.) 20/5 Kirchbach 3.) Stockenboi Bleiberg, S t. Marg.Ros (Beschlagnahme der nicht relig. Bücher) G.V. Beschlagnahme der nicht religiösen Bücher meldet: Bleiburg Pf.A . Gurk erbittet Einschreiten bei Gestapo wg. Rückgabe Pf.A. Reichenfels ebenso (als Urgenz einer Zuschrift v. 28/4 Pf.A. Ferlach meldet Beschlagnahme der Pf. Büch. Zell, S t. Margare t hen, Kappel G.V. Tabelle 2 Abkürzungen: G.V. h.a. int. KVBl. Ord. Pf.A. = = = = = = Adressent/ Antwort Generalvikar hieramtlich intimiert Kirchliches Verordnungsblatt Ordinariat Pfarramt 194 III. Kirchen —Sturm 2.1. Was die Liste nicht wiederzugeben vermag, ja eigentlich tilgt, ist das mit dem Erfassten verbundene Erleben. In der Pfarrchronik der Gemeinde Villach enthaltene Schilderungen des schikanösen Verfahrens und der Enttäuschung, die mit dem gewaltsamen Ende einer Tätigkeit verbunden war, welche für deren Betreiber weit mehr als Pflichterfüllung war, lässt hinter der Kargheit einer Auflistung das Geschehen lebendig werden: "Liber memorabilium IV" der Pfarre Villach St. Nikolai, 1933/34 —1942: Leihbibliothek: Die Leihbibliothek wurde mit 14. Jänner 1939 geschlossen. Dies geschah auf einer [!] Verordnung des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten hin. Diese solle im Einvernehmen mit dem Stillhaltekommissär für Vereine, Organisationen und Verbände die Pfarr- und Vereinsbüchereien in der Richtung säubern, dass diese nur mehr rein religiöse Erbauungsbücher führen. Die anderen Bücher sollten an die Gemeindebüchereien abgeliefert werden. Die Bücher sind aber Eigentum des Klosters teilweise, die übrigen sind Eigentum der Pfarre St. Nikolai Villach. Die Bibliothek wurde geschlossen, abgefordert wurde bis zur Stunde nichts. [...] [Vor Maria Himmelfahrt] Leihbibliothek: Zwei Mal von der Gestapo, einmal von der Bezirkshauptmannschaft und einmal von der Stadtgemeinde wurde ein Verzeichnis der Bücher abgefordert. Weiter ist nichts geschehen bis dahin. Leihbibliothek: Endlich nach langer Stillegung wurden die Bücher unserer Pfarrleihbibliothek am 24. und 25. mittels Autos abgeholt um sie der allgemeinen Stadtleihbibliothek einzuverleiben. Es handelte sich um rund 4000 Bände; die rein religiösen Bücher wurden später wieder zurückgeschickt. So ist eine 15 Jahre bestehende Pfarreinrichtung, die viel Geld und Mühe im Laufe der Jahre gekostet hat, ins allgemeine Volkswohl übergegangen. Es gab wohl keinen Pater, der einmal hier war, der sich [!] seine eigensten Privatbücher hiefür hergegeben hatte."623 623 Liber memorabilium IV der Pfarre Villach St. Nikolai, AdDG, Pfarrarchiv Villach — St. Nikolai 252. 195 III. Kirchen —Sturm 2.1. Innerhalb des im Zuge der Durchsetzung der nationalsozialistischen Deutungshoheit beschlagnahmten religiösen Schrifttums standen im kärntner Grenzland insonderheit die slowenischen konfessionellen Bibliotheken im Visier der Machthaber. Das Beispiel des Pfarramtes Zell—Pfarre demonstriert eindringlich die Inferiorität der Gesinnung und die Perfidie der Verfolgung. Verschlagenheit, Verhetzung, stumpfer Sinn und Gewaltlust sind in der rural gefärbten Amtssprache der Mitteilung des Gendarmeriepostens Zell —Pfarre an die Geheime Staatspolizei Klagenfurt aus dem Jahr 1943 geronnen: Pfarrer Vauti kam während des ersten Weltkrieges nach Zell—Pfarre. Er hatte schon damals nationalslowenische Einstellung und hasste das Deutschtum. Vauti agitierte um diese Zeit schon für das Nationalslowenertum und als die Freiheitskämpfe der Kärntner ausgetragen wurden flüchtete er sich von Zell —Pfarre, während der Kämpfe. Durch die Ausleihung von Büchern aus seiner Bücherei hat er zur nationalslowenischen Erziehung der Bevölkerung wesentlich beigetragen, denn die Bücher die er ausgab, waren alle in slowenischer Sprache geschrieben. Die Bücherei wurde nach der Machtübernahme beschlagnahmt.624 624 Meldung des Gendarmeriepostens Zell—Pfarre an die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Klagenfurt vom 26.8.1943. AdDG, Pfarrarchiv, Zell bei Ferlach, Kt. 2. 196 III. Kirchen —Sturm 2.1.1. III.2.1.1. Pfarramt St. Margarethen ob Töllerberg Im Protokollbuch des Gurker Ordinariates aus dem Jahr 1941 findet sich auch ein Eintrag, wonach das Pfarramt St. Margarethen im Juni des Jahres die Beschlagnahme der Pfarrbücherei intimiert (siehe III.2.1., Tabelle 2). Ob es sich dabei um die Pfarre Töllerberg gehandelt hat, ist nicht sicher, aber wahrscheinlich (St. Margarethen im Rosental hatte die Beschlagnahme der Pfarrbücherei bereit im Mai 1941 gemeldet, siehe III.2.1., Tabelle 2). Die Vermutung, dass auch das Pfarramt St. Margarethen über einen Stock an Büchern verfügt haben dürfte, welcher der Enteignung zum Opfer fiel, liegt jedenfalls nahe und wird zudem durch die Tatsache erhärtet, dass sich ein Buch mit dem Eigentumsstempel des Pfarramtes im Bestand der Landeslehrerbibliothek hat finden lassen, welches im Oktober 1942 inventarisiert wurde. Mit diesem Buch hat es eine besondere Bewandtnis. Auf dem Vorsatzblatt befindet sich ein mit rotem Buntstift vorgenommener persönlicher Kommentar: "Beweis des Kulturstandes des »freien ital. Volkes!«". Unterzeichnet: O[tto]Schuster, Pf[ar]r[er]. Prof. C. Bonatta, Italisches Alpenland. Lesebuch für Elementarschulen, Bolzano, Milano, o.J. Mit der Signatur A-4630 [10.1942] in den Bestand der Landeslehrerbiliothek integriert. 197 III. Kirchen —Sturm 2.1.1. Nach den Personalakten der Diözese Gurk und der Pfarrchronik von St. Margarethen war Otto Schuster zweimal an der Pfarre Töllerberg tätig: vom 1.2.1932 bis zum 4.3.1932 als Pfarrprovisor und vom 7.9.1933 bis zum 17.9.1937 als 52. Pfarrer der katholischen Gemeinde Töllerberg625 . Otto Schuster war einer jener katholischen Priester, welche von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Wegen angeblicher Homosexualität am 9.9.1939 verhaftet und in die Strafanstalt Garsten eingewiesen, wo er bis zum 13.3.1942 interniert blieb626 , wurde Otto Schuster bereits einen Monat später, am 18.4.1942, von der Gestapo in das KZ Dachau überstellt627 . Der Bucheintrag, welcher für sich genommen schon einen 625 Personalakte Otto Schuster, AdDG. Vgl. 950 Jahre Pfarre St. Margarethen ob Töllerberg 1993, ed. Elisabeth Reichmann— Endres (St. Margarethen ob Töllerberg [1993]) 42. 626 Personalakte Otto Schuster, AdDG. Zum Vorwurf der Homosexualität als Verhaftungsvorwand vgl. Tropper, Kärntner Priester im Konzentrationslager (Anm. 563) 415. 627 Die Geistlichen in Dachau sowie in anderen Konzentrationslagern und in Gefängnissen. Nachlass von Pfarrer Emil Thoma, ed. E. Weiler (Mödling 1971) 593. 198 III. Kirchen —Sturm 2.1.1. expressiven Akt darstellt, wie dessen Inhalt lassen auf einen auch politisch emphatischen Charakter schließen, was wiederum einer anderen Quelle Plausibilität verleiht, welche als Verhaftungsgrund einen Verstoß Schusters "gegen Paragraph 130a RStGB, der Geistlichen die »Erörterung von Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise« verbot"628 , nennt. Auch hinsichtlich seines Todes gibt es unterschiedliche Versionen: Laut Personalakte der Diözese Gurk starb Otto Schuster knapp vier Monate nach seiner Inhaftierung am 25.8.1942 in Dachau und wurde "im dortigen Krematorium am 29.8.1942 [eingeäschert]"629 . In der Nachlassedition von Pfarrer Emil Thoma, welcher gleichfalls in Dachau interniert war, lautet die Eintragung zum Tod von Otto Schuster: "Schicksal: Invalidentransport, 12.8.1942" 630. Die Website der "KZ—Gedenkstätte Mauthausen" dokumentiert die Ermordung Schusters noch etwas präziser: "Am 12.8.1942 wurde er im Rahmen der »Aktion 14f13« von Dachau mit einem »Invalidentransport« nach Hartheim transferiert und dort vergast." 631 Die nach dem Aktenkürzel "14f13" bezeichnete "Sonderaktion", auch als "Invaliden —Aktion" bekannt, sollte die Konzentrationslager von so genannten "Ballastexistenzen" "befreien"632 . 628 Laut Website der "KZ —Gedenkstätte Mauthausen" wurde Otto Schuster 1940 "wegen eines Verstoßes gegen Paragraph 130a RStGB, der Geistlichen die »Erörterung von Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise« verbot, zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Nach Verbüßung der Gefängnisstrafe wurde er der Gestapo übergeben, die ihn in das KZ Dachau überstellte." http://www.mauthausen-memorial.at/index_open.php (Stand: 27.1.2011). 629 Personalakte Otto Schuster. AdDG . 630 Die Geistlichen in Dachau (Anm. 627) 593. 631 Websit e der "KZ — Gedenkst ätt e Maut hausen", http://www.maut hausenmemorial.at/index_open.php (Stand: 27.8.2010). 632 Siehe dazu: Ernst Klee, "Euthanasie" im NS—Staat. Die "Vernichtung lebensunwerten Lebens" (= Die Zeit des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 9 1999) 345 ff. Und Joseph Wulf, Aus dem Lexikon der Mörder. "Sonderbehandlung und verwandte Worte in nationalsozialistischen Dokumenten (Gütersloh 1963) 17 und 88 ff. 199 III. Kirchen —Sturm 2.1.1. Otto Schuster. Rechte: Sammlung Herbert Exenberger. Website der "KZ—Gedenkstätte Mauthausen", http://www.mauthausen-memorial.at/index_open.php (Stand: 27.8.2010). Aber auch einer seiner Nachfolger, Pfarrer Toma Holmar, der 54. Pfarrer von St. Margarethen (24.10.1937—1.4.1938), geriet ins Visier der Nationalsozialisten. Er war einer "jener slowenischen Geistlichen, deren vorläufige oder dauernde anderweitige Verwendung von der Geheimen Staatspolizei verlangt wurde"633 . Für das Buch aus dem Pfarramt St. Margarethen ob Töllerberg, in welchem Otto Schuster mit seinem passionierten Eintrag eine Erinnerungsspur hinterlassen hat, gilt, was Jürgen Babendreier anlässlich eines ganz ähnlich gelagerten Falles und Fundes formuliert: 633 Kirche im Gau (Anm. 595) 116. 200 III. Kirchen —Sturm 2.1.1. Die dem einst [...] gehörenden Buch jenseits seines Inhalts anhaftenden Spuren vereinigen in einem einzigen realen, topologisch präzise verortbaren Objekt gleichwohl eine Vielzahl heterogener, disparater, assoziativ verknüpfter Merkmale (Topoi): Räume und Zeiten, Personen und Ereignisse, Botschaften, Interpretationen und Phantasmen. [...] Die Geschichte der Begegnung mit einem Buch und seinem Besitzer in einer Bibliothek provoziert Neugier. Die Geschichte ist geeignet, exemplarisch (a) das epistemologische Interesse, (b) die Methoden und (c) den Gedächtnishorizont zu illustrieren, die uns bei der Suche nach Raubgut im Bibliotheksregal begleiten. In ihren narrativen Elementen spiegeln sich exemplarisch mehrere epistemische Dimensionen von Bergung (Ver- und Entbergung), Recherche und Restitution. 634 634 Babendreier, Ausgraben und Erinnern (Anm. 19) 17 und 40. 201 III. Kirchen —Sturm 2.1.2. III.2.1.2. Privat—Mädchenrealgymnasium der Ursulinen in Klagenfurt Im Jahr 1929 bewilligte der Landesschulrat für Kärnten die Errichtung eine Mädchen-Realgymnasiums der Ursulinen, welches noch im selben Schuljahr mit zwei Klassen in Klagenfurt eröffnet wurde 635. Damit erfuhr der sozialpädagogische Aufgabenbereich des Ordens, welcher seit 1851 ein Waisenhaus, seit 1903 den ältesten Kindergarten in Klagenfurt, eine Volks- und Bürgerschule und seit 1904 eine Lehrerinnenbildungsanstalt unterhielt636 , eine weitere Ausdehnung. Wie bereits dargestellt, zählten die konfessionellen Privatschulen zu jenen Einrichtungen, welche unmittelbar nach dem "Anschluss" den nationalsozialistischen Entkonfessionalisierungsmaßnahmen zum Opfer fielen. Von der Auflösung waren auch sämtliche Bildungs- und Sozialeinrichtungen des Ursulinenordens betroffen, wie Kapitular vikar Dr. Andreas Rohracher in einem Bericht zur Situation der Diözese Gurk an Papst Pius XII. 1939 erwähnte: Wie in ganz Österreich besteht auch in der G[urker] Diözese kein Internat, Konvikt, Waisenhaus, Kindergarten mehr. Den Ursulinen in Klagenfurt wurde sogar verboten, Mädchen in der Kochkunst zu unterrichten, weil auch dies eine konfessionelle Lehrveranstaltung sei.637 Die Mädchenklassen des staatlichen Realgymnasiums und jene der Ursulinenschule wurden nach deutschem Schulmodell "zu einer »neuen Anstalt« zusammengefaßt" 638, wie es im 1. Jahresbericht der nunmehrigen Staatlichen Oberschule für Mädchen in Klagenfurt aus dem Jahr 1939 vermeldet wird. Entsprechend den nationalsozialistischen Vorstellungen 635 Vgl. Wilfried Kuss/Margarete Kattnig —Wendl/Harald Triebnig, Die Ursulinen in Klagenfurt. 325 Jahre im Dienste der Erziehung und Bildung (Klagenfurt 1995) 98. 636 Vgl. ebd. 90 ff. 637 Bericht von Kapitularvikar Dr. Andreas Rohracher an Papst Pius XII. vom [5.1.1939]. Zit.n. Kirche im Gau (Anm. 595) 61. 638 1. Jahresbericht der Staatlichen Oberschule für Mädchen in Klagenfurt 1938/1939 (1939) 5. UBK. 202 III. Kirchen —Sturm 2.1.2. einer strikten Geschlechtsrollenverteilung in der Gesellschaft sah auch das Schulsystem keine koedukativen Erziehungsmodelle vor. Im berichtseinleitenden Jahresrückblick des Schulleiters der neuen Schule klingt deutlich die Konsternation über die Jähheit des Eingriffs und die daraus resultierende missliche Lage der Schule nach: Die Entscheidung war so plötzlich — sie kam vierzehn Tage vor Schulbeginn —, daß man nur mit Mühe das Nötigste beschaffen konnte: vor allem fehlte es an Bänken, die uns die nunmehrige erste Oberschule für Jungen leihweise überlassen konnte, da sie ihre Schülerinnen verloren hatte. Wir alle, Eltern, Lehrer und Schüler, sind uns der Dürftigkeit der augenblicklichen Unterbringung bewußt. Auch fehlt es gewaltig an Lehrmitteln und noch mehr an der Möglichkeit, Lehrmittel aufzustellen: wir haben einfach keinen Platz dafür. Das Wenige, das wir haben, teilen wir mit der Volks- und Hauptschule, die im gleichen Gebäude noch schlechter untergebracht ist.639 Die einschneidende Veränderung der neuen Schulform lag aber im Bereich der Lehrpläne. Dem nationalsozialistischen Formelvorrat, der auch diesen Bericht sprachlich durchzieht, gebricht es gegenüber vergleichbaren Elaboraten an der sattsam bekannten rhetorischen Schneidigkeit. Dem Text ist die Anstrengung anzumerken, welche es den Verfasser kostete, seinen Vorbehalten gegenüber dem oktroyierten Erziehungsmodell zumindest sprachlich ein Gutheißen der "neue[n] Rangordnung der Erziehungsgegenstände [...]: Körper, Herz, Hirn"640 abzuringen: Wenn wir uns die neue Stundentafel der Oberschule für Mädchen [...] ansehen, so fällt einem die Zusammenfassung der Schulfächer in Gruppen auf. in I. Leibesübungen, II. Deutschkunde. III. Naturwissenschaften und Mathematik, IV. Fremdsprachen und V. Konfessionsunterricht. [...] Es ist heute nicht mehr nötig, auf die Bedeutung der Leibeserziehung für die Bildung des Körpers und des Charakters hinzuweisen, man müßte die Jugend nur vor einem Zuviel warnen! [...] Tritt das bloße Wissen neben der Ausbildung des Körpers und des Charakters heute auch an die dritte Stelle, so gehört 639 Ebd. [5]. 640 Ebd. [5]. 203 III. Kirchen —Sturm 2.1.2. es doch zu den unentbehrlichen Voraussetzungen für die Kulturleistungen eines Volkes. [...] Wer in der Schule etwas lernen muß, das er »im Leben« dann nicht mehr braucht, und dies sehr bereut, der möge den Fehler in sich suchen und sich fragen, was er ohne Schule geworden wäre.641 In der Aufwertung der "Leibeserziehung" gegenüber der "Wissensbildung" in den neuen Lehrplänen spiegelt sich der machttechnische Zugriff auf den Körper als eines Politikums. Während der Sportunterricht in den "Jungenschulen" einer vormilitärischen Erziehung entsprach, wurden die Mädchen im Turnunterricht auf die ihnen zugedachte Rolle als "Frau und Mutter" sozialisiert. Hand in Hand mit dem Unterrichtsverbot ging die Besitzenteignung der Ursulinen. Bereits im Juni 1938 bezogen die NSV, die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, Gendarmerie und Reichsluftschutzbund die Kloster- und Schulräume642. Dass diesfalls die Enteignung und Usurpation nicht gänzlich widerstandslos vonstatten gegangen sein dürften, ist der Berichtlegung des Reichsgauarchivars Emmerich Zenegg über die "Bestandsaufnahme des Archives des Ursulinenklosters in Klagenfurt" vom 7. September 1939 zu entnehmen: "Wegen Verhinderung der Frau Priorin konnte das Archiv des Ursulinenklosters in Klagenfurt erst jetzt aufgenommen werden."643 Was den vorhandenen Buchbestand anbelangt erwähnen die Jahresberichte 1931 bis 1937 gleich drei hauseigene Bibliotheken: die "Schülerbücherei", eine "reichhaltige Konventsbibliothek" sowie eine "Armenbücherei"644 . Aus dem Bestand der Schulbibliothek des aufgelösten Mädchen —Realgymnasiums der Ursulinen wurde 1941 ein Lehrbuch in den Bestand der an die Studienbibliothek angegliederten Landeslehrerbibliothek aufge641 Ebd. [5]-8. 642 Vgl. Kuss/Kattnig —Wendl/Triebnig, Die Ursulinen in Klagenfurt (Anm. 635) 159. 643 LAK, Archivregistratur, Zl. 37/1939. 644 Vgl. Jahresberichte I—V des Privat—Mädchenrealgymnasiums der Ursulinen (mit Öffentlichkeitsrecht) in Klagenfurt (1932 —1936). UBK, I 28912,1.1931/32—I 28912,5. 1935/36. 204 III. Kirchen —Sturm 2.1.2. nommen. Die Lehrplanänderungen bedingten selbstredend auch einen Austausch der Unterrichtsbehelfe, insonderheit der Lehrbücher: Waren im Verzeichnis der Lehrbücher für das Schuljahr 1937/38 für die 1.-8. Klasse noch insgesamt 98 (u.a. auch selbiges Geometriebuch) Titel aufgelistet, so führte die nämliche Rubrik für das folgende Schuljahr lediglich noch jeweils 1 Schulbuch pro Unterrichtsgegenstand und Klasse an 645. Die nicht mehr genehmigten Schulbücher dürften eingezogen und eingestampft worden oder, sofern sie als ideologisch kompatibel galten, wie im Falle von Mathematik und Geometrie, entsprechend dem beschlagnahmten Buchgut anderer Provenienz umverteilt worden sein. Es mag sein, dass jenes Lehrbuch auf diese Weise in den Bestand der Landeslehrerbibliothek gelangte. Geometrie für die 5. bis 8. Klasse der Mittelschulen. Bearb. von Franz Holzmeister. Wien 1934. Mit der Signatur A —4189 ohne Datumsangabe [1941] in den Bestand der Landeslehrerbibliothek aufgenommen. 645 Vgl. VI. Jahresbericht des Mädchen—Realgymnasiums und Oberlyzeums "St. Ursula" in Klagenfurt 1936/1937 (1937) 16-18. UBK, I 28912,6.1936/37. Und 2. Jahresbericht der Staatlichen Oberschule für Mädchen in Klagenfurt 1939/1940 (1940) 12. UBK, I 28912,2.1939/40. 205 III. Kirchen —Sturm 2.2. III.2.2. Enteignungen auf der Grundlage der "Verordnung über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens" Bei der Beschlagnahme der Pfarr- und konfessionellen Schulbüchereien war nicht die Bereicherung das handlungsbestimmende Interesse. Vom materiellen Standpunkt aus betrachtet stand der bürokratische Aufwand, der mit der Erfassung, Sichtung, Auswahl und daraus folgend der Makulierung oder Umverteilung verbunden war, in keinem Verhältnis zum Handelswert der schon durch viele Hände gegangenen Bücher. Die Konfiskationen im Bereich der kirchlichen Leihbüchereien stellten einen Akt der indoktrinativen Machtablösung und Durchsetzung der nationalsozialistischen Deutungshoheit dar. Demgegenüber waren die im Rahmen der "Verordnung über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens" (siehe Abschn. III.2.) getätigten Expropriationen von Kircheneigentum Beutezüge im fadenscheinig —ideologischen Mäntelchen. Die Stifte und Klöster mit zumeist großem Landbesitz waren lohnende Objekte für die nationalsozialistische Raubpolitik. Auch die zur mobilen Vermögensmasse zählenden Kunstgegenstände und Kulturgüter weckten allenthalben persönliche und institutionelle Begehrlichkeiten. Wie der folgende Abschnitt zeigen soll, zählte auch die Öffentliche Studienbibliothek zu den Nutznießern dieser Beschaffungsaktionen. Die Bestandsprüfung und die Aktenauswertung haben Verbindungen zu sechs Kirchenbesitzungen in Kärnten ergeben, die auf der Grundlage der nationalsozialistischen Zuschnittsgesetzgebung enteignet wurden. Die beiden von ihrem wirtschaftlichen Umfang her kleineren Objekte nach deren Einziehung es zur Übernahme von Büchern seitens der Öffentlichen Studienbibliothek kam, waren das Kronprinz—Rudolf—Hospital und der Konvent der Barmherzigen Brüder St. Veit a.d. Glan, die bereits 1939 der nationalsozialistischen Requirierung zum Opfer fielen, sowie die Propstei Wieting im Görtschitztal, die 1941 beschlagnahmt wurde. 206 III. Kirchen —Sturm 2.2. Als große kirchliche Einrichtungen waren in Kärnten das Jesuitenkloster St. Andrä, das Stift St. Paul, die Olivetanerabtei Tanzenberg und das Stift St. Georgen von den Expropriationsaktionen betroffen, welche sämtlich zwischen Februar und Oktober 1940 stattfanden: Im Februar 1940 verfügte die Gestapo in Klagenfurt die Einziehung des gesamten Besitzes des Jesuitenklosters St. Andrä. Im August 1942 wurde das Kolleg in eine Gaumusikschule umgestaltet. Die Konfiskation von St. Paul erfolgte im August 1940, im Stiftsgebäude wurde eine "Nationalsozialistische Erziehungsanstalt" eingerichtet. Die Abtei Tanzenberg wurde im Oktober 1940 enteignet und 1942 zur Unterbringung der "Zentralbibliothek der Hohen Schule im Aufbau" bestimmt. Gleichfalls im Oktober 1940 erfolgte die Vermögensbeschlagnahme von St. Georgen. Die gesamte Liegenschaft fiel dem Reichsgau Kärnten zu, welcher in den Stiftsgebäuden eine landwirtschaftliche Schule einrichtete. 1943 trat der Gau Kärnten die Anlage an die Organisation Todt646 zur Errichtung eines Erholungsheims und Lazaretts ab. Zur mobilen Vermögensmasse der aufgelösten und enteigneten kirchlichen Einrichtungen zählten auch deren Bibliotheken, welche im Falle der vier Stifte und Klöster von einer nicht unbeträchtlichen Bestandsgröße waren. Wiewohl das konfessionelle Schriftgut ideel im nationalsozialistischen Weltbild einen Minder —Wert darstellte und solcherart ohne weiteres einer Makulierung hätte zugeführt werden können, bildeten die Klosterbibliotheken aufgrund des Alters und Seltenheitswertes ihrer Bestände wie der prachtvollen Ausführung einzelner Kodizes 646 Die nach dem Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen Fritz Todt benannte Organisation, war für die Wiederherstellung der durch Kriegsschäden zerstörten Infrastruktur (Brücken, Straßen, Eisenbahntrassen usw.) zuständig, sowie für die Errichtung militärischer Befestigungsanlagen. Auf den Baustellen beschäftigte die OT ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und in Lagernähe auch Juden und andere Häftlinge aus Konzentrationslagern. Die OT war auch am Bau des Loibl —KZs beteiligt. Siehe: Hilde Kammer/Elisabeth Bartsch, Lexikon Nationalsozialismus. Begriffe, Organisationen und Institutionen (Reinbek bei Hamburg 1999) 182-183. 207 III. Kirchen —Sturm 2.2. gleichwohl einen Wertkorpus, dessen Vernichtung dem merkantilen Kalkül zuwiderlief. Während der entfesselte wie der programmatisch kalkulierte Fanatismus die Überwindung vergangener Kultur durch die Zerstörung symbolischer Objekte demonstriert, wird in der merkantilen Geisteshaltung des Kleinbürgers ein materielles Destruktionstabu wirksam, welches sich aus der verinnerlichten Befangenheit vor allem "Geistigen" nährt, an das man nicht zu rühren wagt. In dieser Situation zwischen Habgier und Unbehagen eröffnete sich der Reichsstatthalterei im Dezember 1940 Studien—Hofkommission — — wie vormals der Josephinischen mit der Öffentlichen Studienbibliothek Klagen- furt ein Ausweg aus dem Dilemma, etwas behalten zu wollen, das man im Grunde genommen nicht wertschätzte. Einer Hochrechnung zufolge sollten demnach 30.000 Bände der Jesuitenbibliothek St. Andrä, 5.000 Bände der Abtei Tanzenberg, 10.000 Bände von St. Georgen und 60.000 Bände aus dem Stift St. Paul an die Öffentliche Studienbibliothek übergeben werden. Für die Studienbibliothek wiederum rückte mit der avisierten Zuweisung unversehens eine Lösung für das seit nunmehr Jahrzehnten behördlicherseits hartnäckig ignorierte Problem der unzulänglichen Unterbringung im ehemaligen Jesuitenkollegium in den Bereich des Realistischen. Dass ein geschätzter Bestandszuwachs von 100.000 Bänden die räumlichen und personellen Möglichkeiten bei weitem überforderte, lag auf der Hand. Da auch andere lokale Kultureinrichtungen, wie das Landesmuseum und die Landesgalerie, durch Zuflüsse aus den Enteignungen an die Grenzen ihrer Aufnahmekapazität gelangt waren, nahm der weiland bereits von Studienbibliotheksdirektor Schmid vorgetragene Plan einer gemeinsamen Kultureinrichtung eine konkrete Form an. Der Reichsgau trug sich mit dem Gedanken, das Palais Rosthorn zu erwerben und zu einem neuen Kulturzentrum auszubauen, auch die Jesuitenkaserne war als Unterbringungsort im Gespräch (Abb. 17a—c, Dokumente): 208 III. Kirchen —Sturm 2.2. Das durch die Aufhebung verschiedener Klöster und Stifte in Kärnten bedingte Anwachsen der Museen, der Landesgalerie, der Studienbibliothek und des Landesarchivs in Klagenfurt rückt die Frage der gegenwärtigen, vor allem aber der zukünftigen Unterbringung dieser Institute in den Vordergrund aller in Klagenfurt zu lösenden kulturellen Probleme. Es sei im folgenden kurz die Begründung für das Anwachsen ausgeführt: Die Studienbibliothek hatte und hat noch zu übernehmen: aus St. Andrä i.L. Tanzenberg St. Georgen a.Längsee St. Paul i.L. rund 30.000 Bände, " 5.000 " " 10.000 " " 60.000 " Das Landesarchiv an für die polititsche und Wirtschaftsgeschichte Kärntens wichtigen Akten: Aus St. Georgen a.Längsee 3 Lastautofuhren " Eberndorf 1 Lastauto " St. Paul 3 Doppelfuhren (mindestens) " Schloss Grafenstein 2 Lastautos " Wolfsberg Reckturm (Akten derzeit bei der Hespa eingelagert) 1 Lastauto Ferner sollen die Archive der Städte St. Veit a.d.Glan und Friesach dem Landesarchiv übergeben werden. Das Landesmuseum des Geschichtsvereines für Kärnten hat durch die rege Ausgrabungstätigkeit der letzten Jahre eine Unmenge von Fundstücken übernehmen müssen, für die jede geeignete Unterbringungsmöglichkeit fehlt. Sie sind dadurch der Forschungstätigkeit mehr oder weniger unzugänglich gemacht. Aus den Beständen des in Wien beschlagnahmten jüdischen Kunstbesitzes sind zahlreiche Stücke dem Museum zugewiesen worden [Hervorh. d.d. Verf.], die solange nicht aufgestellt werden können, als nicht einigermassen Raum geschaffen ist. Aus dem Kunstbesitz von St. Paul i.L. hat das Landesmuseum grosse Bestände zu übernehmen und teilweise bereits übernommen [Hervorh. d.d. Verf.]. [...] Die Landesgalerie muss viele Bilder und Graphiken aufnehmen, die dem 19. Jahrhundert angehören.647 647 Reichsstatthalterei u.a. an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 20.12.1940. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul. 209 III. Kirchen —Sturm 2.2. Dass die Zuweisung der Bibliotheken an die Öffentliche Studienbibliothek nicht lediglich virtual erfolgte und ein Transfer der Bestände in die Kaufmanngasse tatsächlich stattfand, wird durch den Bericht der Studienbibliothek an die Reichsstatthalterei über das Verwaltungsjahr 1942/43 vom 15.April 1943 erhärtet: Als vordringlichste Arbeit erschien mir die genaue Ermittlung der Bücherzahl und Länge der Bücherreihen in Meter, denn alle bisher angegebenen Zahlen waren nur Schätzungen. In den Zimmern 1 —6 liess sich die Zählung und Messung bisher durchführen, sie ergab: 66.448 Bände und 2.108 Meter. Die Räume 7, 8 und 9 können erst im Sommer während der Schliessung durchgezählt werden. Im Zimmer 10 ist die Feststellung erst nach Freimachung des Kapellenraumes möglich, weil die dort aufgeschlichteten Klosterbücher aus Andrae, Georgen u. Tanzenberg die Zählung verhindern. Zufolge dieser Ermittlung dürfte der Stand der Bände mit 130.000 anzunehmen sein, dazu kommt Spanheim mit 40.000. Als Endsumme wäre dann mit 170.000 Bänden und 5 —6.000 laufenden Metern zu rechnen." 648 648 Bericht der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichsstatthalterei über das Verwaltungsjahr 1942/43 vom 15.April 1943. LAK, Kärntner Wissenschaftliche Gesellschaft, Kt. 1, Fasz. 7 Bibliothekswesen. 210 III. Kirchen —Sturm 2.2.1. III.2.2.1. Kronprinz —Rudolf —Hospital und Konvent der Barmherzigen Brüder in St. Veit a.d. Glan Am 3. April 1876 erging seitens der Grazer Ordensprovinz der Barmherzigen Brüder das Gesuch an das fürstbischöfliche Ordinariat in Klagenfurt um die Bewilligung zur Errichtung eines selbständigen Konvents mit angeschlossenem Krankenhaus in St. Veit an der Glan. Die Grundsteinlegung fand bereits drei Monate später statt. Im Oktober 1877 wurde das "Kronprinz—Rudolf—Spital" eingeweiht. Es folgen für Betreiber wie Nutznießer gedeihliche Jahre: "Von der Zeit der Eröffnung bis zum 1. Oktober 1902 wurden 24.597 Kranke aufgenommen [...], von diesen sind 22.737 unentgeltlich verpflegt worden, darunter aus Kärnten 19.481 [...]."649 Der historische Rückblick zeigt eine Phase des kontinuierlichen Aufbaus, gekennzeichnet durch Grundankäufe, den Ausbau des Krankenhauses und die Modernisierung der Ausstattung. Während des Ersten Weltkriegs fungierte das Krankenhaus als Reservespital. 1924 wurde die bislang nur für Männer eingerichtete Krankenanstalt um eine Frauenabteilung erweitert — selbstredend unter strengsten Separationsauflagen seitens des Generaldefinitoriums: [Es ist Sorge dafür zu tragen], daß die Brüder nicht bei den Operationen der Frauen beiwohnen dürfen und diese Abteilung separat sei von der Abteilung der Männer. P. Prior soll auch wachen, damit die Brüder keinen unnützen Verkehr mit dem Weibspersonal haben, um alles Ärgernis zu vermeiden.650 Für die Pflege der Frauen wurden Schwestern vom 3. Orden des Hl. Franziskus herangezogen. Die Wirtschaftskrise der Zwanziger- und Dreißigerjahre tangierte dann auch die kirchliche Einrichtung: "Die Verpflegungskosten steigen immer höher, die Medikation ins Ungeheure 649 Herberge am Weg. Leben und Wirken der Barmherzigen Brüder in St. Veit a.d. Glan — Kärnten. Festschrift anläßlich der Fertigstellung des Neu- und Umbaues des St. Veiter Krankenhauses (St. Veit [1980]) 117. 650 Ebd. 119. 211 III. Kirchen —Sturm 2.2.1. und die Sammlungen werden immer geringer. Mit den behördlichen Zuschüssen ist kaum das Auslangen für einen halben Monat zu finden [...]."651 1938 wurden alle Häuser der Steiermärkischen Provinz, darunter auch der Konvent in St. Veit unter kommissarische Leitung gestellt. Im Mai 1939 folgten die Enteignung und Vertreibung der Patres: "Die Brüder mußten innerhalb kürzester Zeit, versehen nur mit RM 20. — Reisegeld, das Krankenhaus verlassen."652 In einem Bericht des Kapitularvikars der Diözese Gurk, Andreas Rohracher, an Papst Pius XII. fand auch die Enteignung des Konvents unter dem Rubrum: IV. Orden und Klöster Erwähnung: In der Diözese Gurk wurde bisher ein Kloster, näml[ich] das der Barmh[erzigen] Brüder in St. Veit/Glan unter dem Vorwand tatsächl[ich] vorgekommener Sittlichkeitsdelikte aufgehoben u. der Besitz aus diesem Grunde als staatsfeindl[iches] Vermögen konfisziert. 653 Zur mobilen Vermögensmasse zählten den Eigentumsstempeln nach offensichtlich auch eine Konventbibliothek sowie eine Krankenhausbücherei, aus deren Beständen insgesamt zehn Bände — darunter ein Faksimile Nachdruck aus dem Jahr 1882 von Johann Wichard Valvasors Land —Beschreibung deß berühmten Erz —Herzogthums Kärndten — im Jahr 1942 ohne nähere Angaben zu den Erwerbungsumständen in den Besitz der Öffentlichen Studienbibliothek gelangten. Der Zeitpunkt der Akzessionierung lässt keine eindeutigen Rückschlüsse auf jenen der Enteignung zu. Die geschilderte Verfasstheit der Öffentlichen Studienbibliothek, welche durch die Wirren des Krieges noch um ein weiteres in Unordnung geriet, macht selbst eine erst Jahre nach Einlangen der Bücher erfolgte Bestandsaufnahme nicht unwahrscheinlich. Am Beispiel der Bücher aus der Bibliothek der Barmherzigen Brüder wird der Indizien651 Ebd. 120. 652 Ebd. 121. 653 Zit.n. Kirche im Gau (Anm. 595) 61. 212 III. Kirchen —Sturm 2.2.1. charakter der Provenienzforschung deutlich: Bis zu diesem Zeitpunkt der Untersuchung lässt sich lediglich folgende Aussage treffen: Konvent und Krankenhaus der Barmherzigen Brüder wurden 1939 enteignet. 1942 tauchen im Bestand der Öffentlichen Studienbibliothek insgesamt 10 Bücher auf, welche den Stempel selbiger Einrichtungen tragen. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass es sich bei diesen Bänden um enteigneten Buchbesitz handelt. Ein den Sachverhalt des Raubes dokumentierendes Schriftstück bildet an dieser Stelle noch ein Missing Link. Evangelji in Branje ali Pisma na Vse Nedele in Imenitne Prasnike zeliga leta in tudi Na Vse Dni Svetiga Posta. V' Zelovzu 1839. Eintrag im Akzessionsjournal mit der Signatur I 31459, ohne Herkunfts- und Datumsangabe im Eingangsmonat November 1942. Stempel auf dem Vorsatzblatt. 213 III. Kirchen —Sturm 2.2.1. Kirche und Kirchen, Papstthum und Kirchenstaat. Historisch—politische Betrachtungen von Joh[ann] Jos[eph] Ign[az] von Döllinger, München 1861. Eintrag im Akzessionsjournal mit der Signatur I 31460, ohne Herkunfts- und Datumsangabe im Eingangsmonat November 1942. Stempelung auf dem Vorsatzblatt. Slovenska Slovnica za domao in olsko rabo. Spisal Anton Janei. V Celovcu 1864. Eintrag im Akzessionsjournal mit der Signatur I 31461, ohne Herkunfts- und Datumsangabe im Eingangsmonat November 1942. Stempelung auf dem Vorsatzblatt. 214 III. Kirchen —Sturm 2.2.1. Allgemeine Weltgeschichte für alle Stände, von den frühesten Zeiten bis zum Jahre 1831, mit Zugrundelegung seines größeren Werkes, bearbeitet und herausgegeben von Dr. Carl v. Rotteck, 4 Bände, Stuttgart 1833. Eintrag im Akzessionsjournal mit der Signatur I 31465, Bd.1—4, ohne Herkunfts- und Datumsangabe im Eingangsmonat November 1942. Stempelung jeweils auf dem Vorsatzblatt. Peter Macher, Geschichte Österreichs für das Volk, 1905. Deckblatt fehlt. Eintrag im Akzessionsjournal mit der Signatur I 31468, ohne Herkunfts- und Datumsangabe im Eingangsmonat November 1942. 215 III. Kirchen —Sturm 2.2.1. Politische Verfassung der deutschen Schulen in den kaiserl. königl. deutschen Erbstaaten, Wien 1828. Eintrag im Akzessionsjournal mit der Signatur I 31442 ohne Herkunftsangabe und genauem Datum im Eingangsmonat Oktober 1942. Topographia Archiducatus Carinthiae antiquae & modernae completa: Das ist Vollkommne und gründliche Land-Beschreibung deß berühmten Erz — Herzogthums Kärndten, beydes nach dem Vormaligem und jetzigem Zustande desselben: Darinn Alle dessen Städte, Märckte, Klöster und Schlösser, nebst andren Beschaffenheiten, und Miteinführung mancher, entweder zur Erläuterung dienlicher oder sonsten sich dazu bequemender Geschichten, Nicht allein mit einer wahrhaften Feder, sondern auch Naturähnlichem Abriß der beschriebenen Oerter, und in Kupfer gebrachten Plätze. Ans Liecht gestellt durch Johann Weichard Valvasor, Nürnberg 1688. Nachdruck, 1882. Sondersammlung der UBK, II 16462, Ex.2. 216 III. Kirchen —Sturm 2.2.1. Die Buchautopsie hat noch zwei weitere Bücher ausfindig gemacht, welche auf St. Veit verweisen und gemeinsam mit den oben angeführten in den Bestand der Studienbibliothek übernommen wurden. Im Unterschied zu den anderen Bänden weisen diese beiden Bände einen persönlichen Besitzstempel auf, welcher auf "E. Jettmar" lautet. Auf der Rückseite des Deckblattes findet sich jeweils der handschriftliche Herkunftsvermerk "St. Veit", welcher dem Schriftbild nach von Bibliotheksdirektor Fuchs stammen dürfte. Die Durchstreichungen dieser wie sämtlicher anderen Stempel von Vorbesitzern stammen nicht wie erwartbar aus der Zeit der Studienbibliothek, sondern wurden sämtlich von der gegenwärtigen Referentin für Geschichte der UBK vorgenommen. Vollständiges Taschen—Wörterbuch der slovenischen und deutschen Sprache/Popólni Roni Slovár. Von/Spisal Anton Janei, Klagenfurt/U Celovcu 1850. Im Akzessionsjournal mit der Signatur I 31456, ohne Herkunfts- und Datumsangabe im Eingangsmonat November 1942. Herkunftsvermerk auf der Rückseite der Haupttitelseite. 217 III. Kirchen —Sturm 2.2.1. Es stellt einen tatsächlichen Ausnahme- und Glücksfall dar, dass sich unter den Archivalien der Diözese Gurk just jenes Schriftstück befand, welches den Diebstahl der Bibliothek dokumentiert — zumal der Verlust der Bücher nicht zu den vordringlichsten Problemen der verfolgten und enteigneten Einrichtungen zählte. Anders als im Fall der Jesuiten von St. Andrä (siehe Abschnitt III.2.2.3.) waren die Barmherzigen Brüder weniger spirituell orientiert als karitativ tätig. Ein Einblick in die Chroniken des Konvents seit dessen Entstehung zeigt die Dominanz säkularer, aus der sozialen Arbeit entstehender Fragen im Alltag der Ordensgemeinschaft. Dass der Konvent auch im Besitz einer schönen Bibliothek war, findet in den chronikalen Aufzeichnungen lediglich in einem einzigen Nebensatz Erwähnung, wo von einer "gründlichen Neuordnung der Bibliothek"654 die Rede ist. Bei besagtem Dokument handelt es sich um die "Anmeldung von abhanden gekommenen Inventarstücken" seitens des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder (Abb. 18, Dokumente). Der Schätzwert von 7.000,— Schilling für die darin angeführte Bibliothek, welche mit der erstaunlichen Bestandsgröße von 4.000 Bänden beziffert wurde, erscheint sehr niedrig. Allem Anschein nach wurde die Konventbibliothek nach der Enteignung in alle Winde zerstreut. Zu einer und sei es partiellen Restitution der Bücher nach Kriegsende kam es nicht, ebensowenig zum Aufbau einer neuen Bibliothek. Mit Ausnahme der erwähnten Nebeneintragung findet sich in der Chronik des Konvents kein Hinweis auf den vormaligen Buchbesitz und somit geriet die Bibliothek rasch in Vergessenheit. Die Nachfrage beim heutigen Priorat nach der geraubten Bibliothek stiess auf Skepsis und Verwunderung, an Büchern sei der Konvent nie interessiert gewesen655 . 654 Chronik des Konvents der Barmherzigen Brüder St. Veit: "Geschichte des Konventes und Spitales der ehrwürdigen Barmherzigen Brüder in St. Veit a.d. Glan (Kärnten)". Eintrag vom 8.10.1936. Priorat St. Veit a.d. Glan. 655 Telefonische Auskunft von Prior Paulus Kohler am 15.9.2010. 218 III. Kirchen —Sturm 2.2.1. Wenngleich das Schriftstück die Indizienkette zwischen der Enteignung der Bücher und deren Erwerbung durch die Studienbibliothek nicht zur Gänze schliesst, stellt es die Annahme, es handele sich bei diesen Bänden um eine unrechtmäßige Aneignung, doch auf festeren Boden. 219 III. Kirchen —Sturm 2.2.2. III.2.2.2. Propstei Wieting im Görtschitztal Ein weiteres Segment des großen Raubbuch—Tableaus bildet die Propstei Wieting. Die Propstei Wieting im Görtschitztal in Kärnten geht auf "[d]ie fromme Stiftung der Edlen Gotfried und Adala von Wieting"656 des Jahres 1147 an das Benediktinerkloster St. Peter in Salzburg zurück. Bis 1848 "eine Grundherrschaft kleineren Ausmaßes mit etwa 1300 Untertanen"657 , verblieben der Abtei St. Peter nach der gesetzlichen Grundentlastung "neben der Kirche nur der Propsteihof mit der großen Wirtschaft sowie der Amtshof, [...] wie sie heute noch zum Erzstifte gehören."658 1906 wurde die Propstei vom Orden der Kinderfreund— Benediktiner gepachtet und in eine Landwirtschaftsschule umgewandelt. Nach dem Ersten Weltkrieg setzte die Abwanderung der Kinderfreund— Benediktiner ein, bis die Propstei 1930 erneut in die Administration des Stiftes St. Peter gelangte: 1941 wurde die Propstei enteignet und der kommissarischen Verwaltung der außerhalb des Reichsgaues Salzburg liegenden Güter von St. Peter unterstellt. Nach Intervention beim Salzburger Gauleiter Friedrich Rainer durch Emmerich Zenegg übernahm das Reichsgauarchiv Kärnten das Propsteiarchiv Wieting und verbrachte es im Mai 1942 nach Klagenfurt, wo es von Zenegg neu geordnet und inventarisiert wurde."659 Das Schreiben, worin Zenegg das dringende Interesse seiner Institution am Archivbestand der Propstei Wieting anmeldet, ist in mehrfacher Hinsicht aussagekräftig: Zum einen entlarvt es die nach dem Krieg gerne als Handlungsmotivation beschriebene konservatorisch—bergende 656 Josef Höck, Geschichte der Propstei Wieting im Görtschitztal, Kärnten (1147—1848) (Salzburg 1979) 9. 657 Ebd. 12. 658 Ebd. 146. 659 Gerald Hirtner, Das Stiftsarchiv St. Peter in der NS —Zeit. In: Österreichs Archive unter dem Hakenkreuz (= Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 54, Wien 2010) 708-719, hier 716. 220 III. Kirchen —Sturm 2.2.2. Obsorge als Camouflage eines bestandsaufwertenden Aneignungsinteresses, zum anderen verdeutlicht es die Aufteilungsgebarung unter den Raubgutanwärtern: "Sehr verehrter Herr Gauleiter! Wie ich soeben von der hiesigen Geheimen Staatspolizei erfahre, wurde die Propstei Wieting aufgehoben und zu Ihren Gunsten eingewiesen. Nun ist mir aus eigener Anschauung bekannt, daß sich dort zahlreiche ältere Archivalien befinden, die für die Geschichte des Görtschitztales von großem Werte sind. Wie mir weiters mitgeteilt wurde, sind sie aber keineswegs unter Sperre gelegt, sondern befinden sich am Dachboden der Propstei und sind daher jedem Zugriff ausgesetzt. Da Sie selbst, Herr Gauleiter wohl kaum Interesse an den Archivalien haben dürften, möchte ich Sie bitten, sie dem Reichsgauarchiv Kärnten zu überlassen, wo sie gesichert aufbewahrt und so der wissenschaftlichen Forschung zugänglich gemacht werden. Sollten Sie diesem meinem Ersuchen nachkommen, so bitte ich der Gestapo in Salzburg oder Klagenfurt einen bezüglichen Auftrag zu erteilen, daß mir die Archivalien ausgefolgt werden. Privatim möchte ich aufmerksam machen, daß sich seinerzeit in Wieting einige ganz gute Bilder (darunter einige kleinere Holländer) befanden, von denen ich allerdings nicht weiß, ob sie noch dort sind. Heil Hitler! Ihr ganz ergebenster Z[ene]gg dzt. mit der Leitung betraut660 Ehe dem Gesuch Zeneggs entsprochen wurde, erhielt dieser den Auftrag zu einer detaillierten Bestandserhebung und Übermittlung, welche neben den Kunstgegenständen und Archivalien auch Bücher auflistet: 660 Schreiben des Reichsgauarchivleiters Emmerich Zenegg an Gauleiter Friedrich Rainer vom 23.1.1941. LAK, Archivregistratur, Zl. 17/1941. Der Hinweis auf diesen Aktenbestand des Kärntner Landesarchivs ist dem Aufsatz von Wilhelm Wadl, Das Kärntner Landesarchiv (Reichsgauarchiv Kärnten) in der NS —Zeit entnommen (Anm. 11) 563-586. 221 III. Kirchen —Sturm 2.2.2. In der Anlage übersende ich Ihnen, unserer Verabredung gemäss, das Verzeichnis der Kunstgegenstände, Archivalien und der Bibliothek. Ueber letztere 2 Körper kann ich nur summarisch berichten, da die Umstände, die Kälte und der Staub, es nicht zuliessen, mich damit eingehender zu befassen. Ich möchte Sie bei der Gelegenheit nochmals bitten, dem Reichsgauarchiv Kärnten die Archivalien zu verschaffen, da sie für die Geschichte des Görtschitztales immerhin von Wert sind, insbesondere das Urbar von 1402.661 Anlage: Verzeichnis der Kunstgegenstände, Archivalien und gedruckten Bücher in der Propstei Wieting. Aufgenommen am 5.u.6.Februar 1941 durch Reg.Rat E.v. Zenegg. [...] Archivalien am Dachboden. 2 Stellagen mit Akten und Büchern wirtschaftlichen Inhalts der Propsteiherrschaft Wieting, meist Ehrungs- und Stiftregister, ein wertvolles Urbar vom Jahre 1402 (in der Kasse in der Pfarrkanzlei aufbewahrt). Bibliothek am Dachboden. 6 Stellagen mit Akten und Büchern, meist geistlichen Inhalts ohne besonderen Wert.662 Wie ein in den Korrespondenzakten der Öffentlichen Studienbibliothek gefundenes Dokument belegt, wurden bei dieser Beschlagnahmeaktion schließlich nicht nur die Archivalien, sondern ungeachtet der abschätzigen Beurteilung Zeneggs auch die Bücher der Propsteibibliothek "am 28.5.1942 in einem Auto aus Klagenfurt weggeführt [gemeint sein dürfte: in einem aus Klagenfurt kommenden Auto]" 663. Wie sich aus dem Inhalt des Schriftstücks ableiten lässt, dürften die Bücher von der Studienbibliothek übernommen worden sein. Das mit Jänner 1946 datierte Papier dokumentiert die Kontaktierung des Leiters der Öffentlichen Studien661 Schreiben des Reichsgauarchivleiters Emmerich Zenegg an Dr. Georg Sauseng, Wirtschaftstreuhänder in Salzburg, vom 7.2.1941. LAK, Archivregistratur, Zl. 17/ 1941. 662 Anlage. Ebd. 663 Fb. Gurker Ordinariat an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 15.1.1946. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul. 222 III. Kirchen —Sturm 2.2.2. bibliothek, Fuchs, durch das fb. Gurker Ordinariat bezüglich der Rückerstattung dieses Konvolutes (Abb. 19, Dokumente): Fb. Gurker Ordinariat Zl. 10259 Klagenfurt , am 15.1.1946 An die Studienbibliothek zu Handen Herrn Direktor Dr. Fuchs in Klagenfurt. Auf die szt. mündliche Mitteilung an das fb. Ordinariat müssen wir derzeit leider mitteilen, daß der hochwürdige Herr P. Willibald Meier, der Treuhänder der Abtei St. Peter in Salzburg, in Wieting, die Bücher und Archivalien nicht nach Wieting bringen kann, da er dort bis jetzt leider über keine Räume verfügt. Sobald jedoch Herr Egger, der derzeit noch die Wirtschaft in der Propstei Wieting besitzt, auszieht, werden die Bücher und Archivalien, die am 28.5.1942 in einem Auto aus Klagenfurt weggeführt wurden, gerne zurückgenommen. Kadras, Kanzler.664 Was die ins Reichsgauarchiv verbrachten Archivalien anbelangt, so sperrte sich Zenegg nach dem Krieg gegen eine Übergabe derselben an die Erzabtei St. Peter. Erst eine Urgenz des Erzabtes Jakobus Reimer führte 1948 zur Rückstellung665 . Obig zitiertem Dokument kommt insofern besondere Bedeutung zu, als es den Nachweis dafür erbringt, dass der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt — in einer Verteilungstriade mit dem Reichsgauarchiv und dem Reichsgaumuseum — nicht nur die großen Klosterbibliotheken (sie- he III.2.2.) zugesprochen wurden, sondern auch Bestände, welche aus anderen Enteignungen von Kirchenvermögen herrührten. 664 Ebd. 665 Vgl. Hirtner, Das Stiftsarchiv St. Peter in der NS —Zeit (Anm. 659) 716. 223 III. Kirchen —Sturm 2.2.3. III.2.2.3. Jesuitenkloster St. Andrä im Lavanttal Das Jesuitenkloster St. Andrä im Lavanttal wurde am 19.2.1940 enteignet. Wiederum lautete das entsprechende Dekret der Reichsregierung auf "Staatsfeindliche Betätigung". Den Patres wurde eine zehntätige Frist eingeräumt, um das Haus zu verlassen. Nach Übernahme in den Besitz des Landes diente das Kolleg "als Rückwanderheim für die Kanaltaler, dann als Unterkunft für die Hitlerjugend, später als provisorische Gaumusikschule und zuletzt als Wehrertüchtigungslager für 12—16 jährige."666 Auch im Fall von St. Andrä kam die Aufteilungs—Triade: Studienbibliothek, Reichsgauarchiv und Reichsgaumuseum zum Einsatz: Dem erteilten Auftrage Folge leistend, hat der Gefertigte am 18.d.M. gemeinsam mit dem Landeskonservator Dr. Frodl und dem Direktor der Studienbibliothek Hofrat Dr. Schmid die Bibliothek des aufgehobenen Jesuitenklosters in St. Andrä besichtigt und erlaubt sich bezüglich derselben folgende Vorschläge zu erstatten. Von der in zwei Räumen untergebrachten Bibliothek käme ein geringer Teil (historische und geographische Literatur) für das Landesarchiv in Betracht, um deren Überlassung hiemit ersucht wird. Für einige wenige Werke kunsthistorischen Inhaltes hätte der Landeskonservator Interesse. Für den restlichen und Hauptbestand, bestehend aus religiösen und religionsgeschichtlichen und anderen Werken verschiedener Wissensfächer erklärt sich der Studienbibliothekdirektor zur Übernahme bereit. An Archivalien sind nur 4 Pakete mit Urkunden und Akten verschiedenen Inhaltes vorhanden, die gleichfalls in das Landesarchiv kommen sollen. An kunsthistorischen Gegenständen fand ich nichts mehr vor. Die in den Gängen des Klosters befindlich gewesenen religiösen Bilder wurden von der Verwaltung der Pfarrkirche abgetreten. 666 Helmut Platzgummer, Jesuitenkolleg in St. Andrä im Lavantal [!]. In: Zukunft Nächstenliebe. 80 Jahre Kärntner Caritasverband 1921 —2001 (= Helfen im Wandel der Zeit 5, Klagenfurt 2002) 186-194, hier 192. 224 III. Kirchen —Sturm 2.2.3. Da die Räumung der Bibliothekszimmer baldmöglichst erfolgen soll, wird der Abtransport nach Klagenfurt mittels Lastautos erfolgen müssen. Zu diesem Zwecke wird um Vollmacht gebeten, bei der Firma Künstl ein größeres Lastauto mit mehreren Transportarbeitern bestellen zu dürfen. Die Überführung der gesamten Bibliothek wird sodann mit 2 Fuhren bewerkstelligt werden können. Z[ene]gg dzt. mit der Leitung betraut.667 Neben einer Präzisierung des Enteignungszeitpunktes gibt obiges ebenso wie das folgende Schriftstück genaue Auskunft über das Prozedere der Beschlagnahme: Dem mit dä. Zl.L —3032/5/40, erfolgten Auftrage Folge leistend, berichte ich, daß der Abtransport der Bibliothek des ehemaligen Jesuitenklosters St. Andrä i.Lav. in der Zeit vom 4. —5. d.M. erfolgte. Behufs vorläufiger Sichtung der Bücher und Vorbereitung des Transportes begab ich mich schon am 3. nach St. Andrä. Für den 4. waren zwei Lastautos der Firma Künstl dorthin beordert worden, von denen eines zweimal fuhr. Da hernach noch ein bedeutender Bücherrest übrig blieb, mußte für den 5. noch ein Auto genommen werden, so daß der gesamte Transport vier Fuhren beanspruchte. Den wertvollsten Teil der Bibliothek, die Abteilungen Geschichte und Geographie, habe ich für die Bücherei des Landesarchivs übernommen, für die die z.T. seltenen Werke eine willkommene und sehr erwünschte Bereicherung bilden werden. Ihre Menge umfaßt etwa tel Autoladung. Aus der Abteilung Kunst habe ich die von Landeskonservator Dr. Frodl erbetenen Werke für diesen reserviert. (Umfang 1 Kiste). Der Rest der Bücherei (3 Autoladungen) wurde der Studienbibliothek zugewiesen und von dieser bereits übernommen. Endlich wird noch bemerkt, daß sich anschliessend an den 2. Bibliotheksraum noch ein kleines, sehr geschickt getarntes Geheimkabinett vorfand, das auch der Gestapo unbekannt geblieben war. Es fanden sich darin aber auch etliche Stellagen mit offenbar ausgeschiedenen Büchern sowie 5 Faszikel 667 Schreiben des Reichsgauarchivleiters Emmerich Zenegg an die Landeshauptmannschaft Kärnten vom 19.3.1940. LAK, Archivregistratur, Zl. 68/1940. 225 III. Kirchen —Sturm 2.2.3. Akten, betreffend Kirche und Kloster Maria Loretto und Polizeigegenstände sowie ein Bündel mit etwa 70 bis in das 16. Jahrhundert zurückreichender Pergamenturkunden (Kaufbriefe u.a.). Diese Archivalien wurden ebenfalls für das Landesarchiv übernommen. Z[ene]gg. dzt. mit der Leitung betraut.668 Der Bericht der Studienbibliotheksdirektion über das Verwaltungsjahr 1942/43 bestätigt die Übernahme der Bibliothek von "Andrae" (III.2.2.). In den Archivalien des Jesuitenordens selbst fanden Enteignung und Rückgabe gleichfalls Erwähnung, wie sich dem Essay von Helmut Platzgummer über das Jesuitenkolleg entnehmen lässt. Die Bibliothek, die in jeder Jesuitenniederlassung einen wichtigen Platz einnimmt, war von den Nationalsozialisten der Klagenfurter Studienbibliothek einverleibt worden, aber sie blieb zumindest als ganze beisammen. Sie wurde nun wieder zurückgebracht. Die Bücher mussten wegen Platzmangels an verschiedenen Orten untergebracht werden, bis sie 1949 endlich ordentlich aufgestellt werden konnten.669 668 Schreiben des Reichsgauarchivleiters Emmerich Zenegg an die Landeshauptmannschaft Kärnten vom 19.3.1940. LAK, Archivregistratur, Zl. 68/1940. Bericht des Reichsgauarchivleiters Emmerich Zenegg an die Landeshauptmannschaft Kärnten vom 6.4.1940. LAK, Archivregistratur, Zl. 68/1940. 669 Platzgummer, Jesuitenkolleg in St. Andrä im Lavantal [!] (Anm. 666) 194. 226 III. Kirchen —Sturm 2.2.4. III.2.2.4. Benediktinerstift St. Paul im Lavanttal Am 1. Juli 1938 wurde das Stiftsgymnasium St. Paul auf Grundlage der Verordnung zur Überleitung der "Ostmärkischen Mittelschule" in das Schulsystem des "Altreichs" verstaatlicht und in eine "Staatliche Oberschule für Jungen" umgewandelt. Damit verbunden war die Entlassung des geistlichen Lehrkörpers als "lehrunwürdig". Am 24. August 1940 erfolgte wie andernorts unter Berufung auf "volks- und staatsfeindliche" Betätigung die Stiftsaufhebung, die Mönche mussten auch hier binnen sieben Tagen ihr Domizil verlassen. Nach vollzogener Verstaatlichung begann auch schon der Streit um die Beute. Sowohl der Gau Kärnten als auch die Reichsregierung machten Ansprüche auf die Liegenschaften geltend. Schlussendlich kam es zu einer dahingehenden Einigung, dass die Gebäude — sprich das Stift, das Gymnasium sowie das Konvikt Josefinum — der Reichs- regierung zugeschlagen, die Liegenschaften des Stiftes in das Eigentum des Gaues Kärnten eingewiesen wurden. Nachdem das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung das Stift in eine Ordensburg umgewandelt und zu einer "Nationalpolitischen Erziehungsanstalt" (NPEA oder NAPOLA) ausgestaltet hatte, musste die Kärntner Gauverwaltung einen Teil des Grundbesitzes der Herrschaft "Spanheim" zur Finanzierung der nationalsozialistischen Eliteschule abtreten 670. Der Beutestreit zwischen dem Gau Kärnten und der Reichsregierung spiegelt sich auch in der Kontroverse um die Besitzrechte an der wertvollen Bibliothek des Stiftes. Seitens der Reichsstatthalterei waren die Bücher der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt zugesprochen worden, eine Entscheidung, welcher die NAPOLA—Leitung freilich die Anerkennung und in der Folge die Herausgabe der Bibliothek verweigerte. 670 Zum gesamten Absatz vgl. Österreichs Stifte unter dem Hakenkreuz (Anm. 589) 191 ff. und St. Paul 1091 — 1809 — 1959, ed. Helmut Schuster (St. Paul im Lavanttal 1959) 30-31. 227 III. Kirchen —Sturm 2.2.4. Die wiederholten Eingaben der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek an die Reichsstatthalterei legen anschaulich Zeugnis ab von einem Beutestreit, wie er vielerorts ausgetragen wurde. Noch bevor ein detaillierter Verteilungsplan der Reichsstatthalterei für die enteigneten Kirchenmobilien im Dezember 1940 abgefasst wurde, war die Stifts- und Klosterbibliothek von St. Paul der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt per Erlass vom 11.10.1940 zugesprochen worden. Bereits am 29. Oktober 1940 sprach der Direktor der Studienbibliothek, zu diesem Zeitpunkt noch Theodor Schmid, in einem Schreiben an die Reichsstatthalterei von einer "unmittelbar bevorstehende[n] Übernahme der über 60000 Bände umfassenden St. Pauler Klosterbibliothek in die Verwahrung der Staats —Studienbibliothek in Klagenfurt"671 . Die von einem erfahrungsresistenten Optimismus zeugende Gewissheit war gleichwohl verfrüht. Keine zwei Wochen später stand mit der NAPOLA unversehens ein potenter Konkurrent ante portas. Die Aussicht, um die bereits sicher gewähnte Beute betrogen zu werden, veranlasste Schmid, in einem weiteren Schreiben an die Reichsstatthalterei zu einer ausführlichen Darlegung des Besitzanspruches der Studienbibliothek auf die St. Pauler Bestände auszuholen: Die ergebenst gefertigte Direktion hat in Erfahrung gebracht, daß die "Napola" (Nationalpolitische Erziehungsanstalt) in Berlin Anspruch auf die Bibliothek des aufgehobenen Klosters St. Paul erhebt obwohl diese Bibliothek durch Reichsstatthalterei—Erlaß Zl.14647/II/1940 vom 11. Oktober (hieramts eingelangt am 18. Oktober) bereits der Staats—Studienbibliothek in Klagenfurt zugesprochen worden ist. Die unterzeichnete Direktion fühlt sich nun verpflichtet nicht nur im Interesse der ihr unterstehenden Bibliothek, sondern insbesondere auch des Gaues Kärnten, gegen die beabsichtigte Überlassung der St. Pauler Bibliothek an die "Napola" die ernstesten Bedenken zu erheben u.zw. aus folgenden Gründen: 671 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichsstatthalterei Klagenfurt, Abt. II, vom 29.10.1940. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul. 228 III. Kirchen —Sturm 2.2.4. 1) Der Bestand der St. Pauler Bibliothek kann für die "Napola" aus inhaltlichen Gründen nur zum allergeringsten Teile Wert und Interesse besitzen. Werke wissenschaftlichen oder politischen Inhalts, die von der "Napola" etwa benötigt werden könnten, sind für diese Anstalt aus den äußerst reichhaltigen Bibliotheken Berlins und des Altreichs überhaupt stehts [!] leicht beschaffbar. 2) Ein volles Drittel der St. Pauler Bibliothek besteht aus Inkunabeln (d.h. vor 1501 gedruckten Werken) und Büchern aus dem 16. Jahrhundert alle diese Werke sind ihres Alters und ihrer Seltenheit wegen äußerst wertvoll, wären aber naturgemäß in der "Napola" mangels sachkundiger Betreuung und Beaufsichtigung der Gefahr des Verlustes oder der Verschleuderung ausgesetzt, abgesehen davon, daß dort keine Leser dafür vorhanden wären. 3) Die St. Pauler Bibliothek stammt zum größten Teil aus dem Besitz hervorragenden [!] alter Kärntner Familien und enthält zahlreiche seltene Carinthiaca; schon aus diesem Grunde wäre sie in einer Anstalt außerhalb Kärntens fehl am Platze (insbesondere, wenn solche Anstalt nicht von Personen mit gründlicher bibliothekarischer Fachbildung geleitet würde. Es wäre unverständlich, wenn der Gau Kärnten seine Zustimmung gäbe, zu einem Vorgehen, wodurch eine für die Geschichte Kärnten [!] so hochbedeutsame Bibliothek außer Landes käme. Hingegen würde die Staatsstudienbibliothek in Klagenfurt durch die Übernahme der St. Pauler Bücherei sofort eine der wertvollsten und reichhaltigsten Bibliotheken der Ostmark werden. 672 An der aus bibliophiler Habgier gespeisten Argumentation ist insonderheit die indirekte Aufforderung interessant, die NAPOLA möge sich doch an den reichen Raubbeständen des "Altreichs" schadlos halten. Nach mehr als einem halben Jahr, währenddessen die Angelegenheit zu stagnieren schien, übermittelte die Reichsstatthalterei der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek im August 1941 den Gegenvorschlag der NAPOLA: Die NPEA schlägt die Übergabe der Stiftsbibliothek in ihr Eigentum vor und würde sich vertraglich verpflichten, keinen Bestandteil der Stiftbibliothek außerhalb des Reichsgaues Kärnten zu ver treiben und die Bücherei bei 672 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichsstatthalterei Klagenfurt, Abt. II, vom 12.11.1940. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul. 229 III. Kirchen —Sturm 2.2.4. etwaiger Auflösung der Anstalt im gleichen Umfange dem Reichsgau Kärnten wieder zurückzugeben. Der Vorschlag der NPEA sieht weiter vor, daß die Handschriften und Frühdrucke der Stiftsbibliothek von der Übergabe ausgeschlossen bleiben, dagegen soll der Reichsgau Kärnten die während der Treuhandverwaltung aus der Stiftsbücherei entfernten wissenschaftlichen Werke der NPEA wieder zurückgeben. Über das künftige Schicksal der Stiftsbücherei ist derzeit noch nicht ent schieden.673 Dem Antwortschreiben Schmids ist zu entnehmen, dass dieser nicht gesonnen war, sich derart billig abfertigen zu lassen und kampflos auf den Löwenanteil an der Buchbeute zu verzichten. Die im Schreiben der Reichsstatthalterei erwähnte unbefugte Entfernung von Beständen aus der Stiftsbücherei bestätigt der Direktor der Studienbibliothek hingegen umstandslos: [So] schlage ich als viel einfacheren und zweckentsprechenderen Ausweg vor, das Eigentum an der Stiftsbibliothek im Prinzip der Klagenfurter Studienbibliothek zuzusprechen, wogegen sich die Direktion der letzteren verpflichten müßte, alle von der "Napola" in einer von ihr aufgestellten Liste als für die "Napola" wichtig bezeichneten Werke (von einzelnen Ausnahmen abgesehen, die von der Studienbibliothek als für sie unentbehrlich gleich nach Erhalt obiger Liste anzugeben wären) der "Napola" zu überlassen. Gegen die Rückübermittlung der während der Treuhandverwaltung aus der Stiftsbücherei entfernten wissenschaftlichen Werke wird seitens der unterzeichneten Bibliotheks —Direktion kein Einwand erhoben. [...] Doch wird das in der Stiftsbibliothek befindliche, schon jetzt viele Bände umfassende Werk "Thesaurus linguae latinae", von welchem hieramts bereits Fortsetzungshefte übernommen und bezahlt wurden, ausdrücklich für die Studienbibliothek erbeten.674 673 Reichsstatthalterei Klagenfurt, Gauselbstverwaltung an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 4.8.1941. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul. 674 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichsstatthalterei Klagenfurt, zu Handen von Gaukämmerer Natmeßnig, vom 13.8.1941. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul. 230 III. Kirchen —Sturm 2.2.4. 1942 ging die Leitung der Öffentlichen Studienbibliothek von Theodor Schmid an Richard Fuchs über. Nicht weniger als sein Vorgänger daran interessiert, durch bibliophile Bestandsanreicherungen eine Besserstellung der in misslicher Lage sich befindenden Studienbibliothek zu erwirken, gierte auch Fuchs nach den St. Pauler Kostbarkeiten. Wie er bei einer ersten Besichtigung der Bibliothek aber feststellen musste, war just der wertvollste Bestandsanteil, jener der Handschriften, bereits spurlos abhanden gekommen: Im Jahrbuch der Deutschen Bibliotheken 1941 sind für die eheml. Bibliothek in St. Paul neben rund 41.000 Werken und 400 Wiegendrucken, 1.300 Handschriften angegeben. Da ich bei meiner ersten Besichtigung der Bibliothek am 8.7.1942 trotz vielfacher Stichproben nur eine einzige Handschrift feststellen konnte und mir auch der Herr Rentmeister in Spanheim über den Verlust keinen Aufschluss gab, bitte ich den Herrn Reichsstatthalter in Kärnten Abt. II um Klärung dieser Angelegenheit d.h. Beantwortung der gehorsamst gestellten Frage, ob es amtlich bekannt ist: wann, durch wenn [!] und mit wessen Zustimmung diese Handschriften entfernt wurden? 675 Um seiner Anfrage Nachdruck zu verleihen, fuhr Fuchs mit schweren Geschützen auf, was zeigt, wie sehr er sich durch die freche Unterschlagung und den Beuteentgang düpiert sah: Die Bibliotheksleitung behält sich vor, nach Empfang der Antwort einen dienstlichen Bericht an den Herrn Reichsminister für WEu.V in Berlin abzusenden. Sie würde sich eines strafbaren Vergehens schuldig machen, wenn sie den Verlust von Handschriften, die der Bibliothek zustehen und in einem halbamtlichen Verzeichnis vermerkt sind, verschweigen würde. Ebenso wird dieser Vorfall in einem Brief dem Herrn Generaldirektor der Nationalbibliothek in Wien Dr. Heigl mitgeteilt werden, auf dessen fachmännisches Urteil Herr Gauleiter Dr. Rainer grossen Wert legt, wie er mir bei meiner Vorstellung sagte.676 675 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichsstatthalterei Klagenfurt, Abt. II, vom 10.7.1942. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul. 676 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichsstatthalterei Klagenfurt, Abt. II, vom 10.7.1942. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul. Zur Person von Paul Heigl und seiner Rolle im nationalsozialistischen Bücherraub siehe: Hall/Köstner, "... allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern ..." (Anm. 15) 43 ff. 231 III. Kirchen —Sturm 2.2.4. Nach dem Motto: "Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte", erbrachte die insistierende Nachforschung des Studienbibliotheksleiters, dass die abgängigen Handschriften vom Reichsgauarchiv abtransportiert worden waren: Dem Vernehmen nach sollten sich die Handschriften der St. Pauler Bibliothek im Hause Klagenfurt Tarviserstr. Nr. 30 befinden. [E]s handelt sich hier auf keinen Fall um Archivalien die dem Reichsarchiv zuzusprechen wären sondern um einen Teil der Bibliothek wie dies, [!] aus dem offiziellen Jahrbuch der Deutschen Bibliotheken ersichtlich ist.677 Auf der Rückseite des Schriftstückes findet sich noch ein Gedächtnisprotokoll zum nämlichen Sachverhalt: Laut fernmündlicher Verständigung durch Reg.Rat von Zenegg, der seinerzeit den Transport durchführte, befinden sich die Handschriften von St. Paul im Hause Tarviserstr. 20 [gemeint war wohl: Tarviserstr. 30]. Nach seiner Meinung kann die Aufteilung erst später erfolgen, da sich auch andere Stellen darum bewerben (Basel). Nach Mitteilung von Ober Reg.Rat Dr. Happenhofer ist diese Frage vom Führer bereits entschieden, es wurden alle Schriften Kärnten zugesprochen.678 Die Eintragung bezieht sich auf die von Emmerich Zenegg, dem administrativen Leiter des Reichsgauarchivs, und dem Kunsthistoriker und Direktor des Reichsgaumuseums, Walter Frodl, gemeinsam durchgeführte Einziehungsaktion der St. Pauler Archivalien: Kaum war das St. Pauler Archiv in Klagenfurt verstaut, meldeten sich schon Interessenten. Zibermayer meldete Ansprüche Oberösterreichs an den Archivalien von Spital am Phyrn an, das Generallandesarchiv Karlsruhe äußerte 677 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichsstatthalterei Klagenfurt, Abt. II, vom 18.11.1942. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul. Tarviserstraße 30 ist die Adresse des Diözesanhauses der Diözese Gurk. Von Dezember 1932 bis Herbst 1938 diente das Priesterhaus als Seminar. Nach dem "Anschluss" wurde das Domizil von NS—Dienstellen besetzt. Von hier aus betrieben die Staatliche Bauleitung, die Universale Hoch- und Tiefbau A.G. und die Waffen—SS den Bau des Loibltunnels. Nach Kriegsende wurde das Haus Tarviserstraße 30 das Hauptquartier der britischen Besatzung. Siehe: http:/www.kath- kirche-kaernten.at (Stand: 5.9.2010). 678 Gedächtnisprotokoll von Richard Fuchs vom 23.11.1942. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul. 232 III. Kirchen —Sturm 2.2.4. Wünsche nach dem Archiv der Fürstabtei St. Blasien, das »bei der Säkularisation entführt worden« sei und schließlich wollte sogar das Schweizer Bundesarchiv in Bern St. Pauler Schriftgut mit Schweizer Pertinenz eintauschen. Zenegg betonte allen Interessenten gegenüber die derzeitige Unzugänglichkeit des Archivs sowie die noch ungeklärten Rechtsverhältnisse und verwies sie auf die Zeit nach Kriegsende. Dadurch wurde das St. Pauler Archiv vor willkürlichen Zerreißungen bewahrt und konnte 1946 weitgehend vollständig restituiert werden.679 Über das Schicksal der Handschriften geben die Akten der Studienbibliothek keine Auskunft. Nach Mitteilung des gegenwärtigen Leiters der St. Pauler Stiftbibliothek, Mag. Gerfried Sitar, ist ein Gutteil der Handschriften und Inkunabeln bis heute spurlos verschwunden geblieben 680. Im Zuge der in St. Paul durchgeführten Umbauarbeiten, die mit der Einrichtung eines Schulbetriebes notwendig geworden waren, wurde die Bibliothek aus den ursprünglichen Räumlichkeiten in die Kapelle der Stiftskirche umgelagert. Eine Aktion, welche in Durchführung und Auswirkungen das geschwundene Interesse der NAPOLA an den Buchbeständen spiegelt: Die Bibliothek ist zur Zeit in den alten Regalen an der nördlichen Seitenwand, der Südostecke und in 2 Seitenkapellen der Stiftskirche untergebracht. Die Kirche war versperrt und hatte den Schlüssel der Leiter [!] der NPEA in Verwahrung. Nach Abschluss der Ueberprüfung wurde der Schlüssel auftragsgemäss dem Leiter der gaueigenen Güterverwaltung von Spanheim übergeben. Es konnte festgestellt werden, dass die Schliessung des Haupttores (Kirchenhaupttor) die Bibliothek vor fremdem Zugriff nicht bewahren konnte. So fanden wir in der ersten Seitenkapelle eine offene Tür, die auf einen Gang des ehem. Kreuzganges führt, über welchen man ohne besondere Schwierigkeiten in das Innere der Kirche gelangen kann. Ein auf diesem Gang gefundener Bucheinlagszettel lässt darauf schliessen, dass auf diesem 679 Wadl, Das Kärntner Landesarchiv (Reichsgauarchiv Kärnten) in der NS—Zeit (Anm. 11) 574. 680 Email von Mag. Gerfried Sitar, 12.5.2010. 233 III. Kirchen —Sturm 2.2.4. Wege Bücher aus der Sammlung entfernt wurden. Von einem Chorfenster aus war aus Leitern, die zur Benutzung der Bücherregale dienen, eine Steiganlage angebracht, die es ohne weiteres ermöglicht, aus einem den Zöglingen der NPEA zugänglichen Abstellräume [!] in die Kirche einzusteigen.681 Den Schlusspunkt der Korrespondenz der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt im Zusammenhang mit der Bibliothek des Stiftes St. Paul bildet ein handschriftlicher Bericht von Studienbibliotheksdirektor Fuchs vom 16. Juli 1944: Während bis zum Jahre 1943 auf Grund des Sicherstellungsbescheides vom 12.10.1940, Zl. 14647/II/1940 die Bestände dieser Bibl. als der Stud. Bibl. in Klagenfurt zugesprochen galten, ist jetzt der gesamte Grund- und Kunstbesitz von St. Paul [eingeschoben: somit auch d Bibl.] von der Reichsverwaltung der Gau Selbstverwaltung [!] eingewiesen worden. Diese neue Rechtslage wurde ohne aktenmäßige Verständigung der Kärntner Reichsstatthalterei, Abt. II durchgeführt.682 Die Korrespondenz der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt bezüglich der Stiftsbibliothek St. Paul zeichnet beispielhaft das Bild der unrühmlichen Rolle, welche die wissenschaftlichen Bibliotheken Österreichs als Nutznießer der nationalsozialistischen Enteignungspolititk gespielt haben. Das vorliegende Aktenkompendium hält noch ein weiteres Schriftstück bereit, welches die Skrupellosigkeit, die joviale Lässigkeit, die Raffgier und Vorazität der Beutejäger auf eine nachgerade satiretaugliche Manier zum Ausdruck bringt. In einem persönlichen Schreiben an Richard Fuchs avisiert der Direktor des Kunsthistorischen Museums Wien, Fritz Dworschak, seinen Besuch in Kärnten, um sich dortselbst in 681 "Niederschrift, aufgenommen zu der vom Herrn Gauhauptmann mit Schreiben vom 10.2.43 G.K.8608—2/lT. angeordneten Überprüfung der Unterbringung, des Erhaltungszustandes und des Umfanges der Buchbestände der Bibliothek des aufgelassenen Stiftes St. Paul in Spanheim" am 23.2.1943. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul. 682 Handschriftlicher "Bericht über die ehem. St. Pauler Stiftsbibliothek in Spanheim/ Kärnten" vom 16.7.1944. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul. 234 III. Kirchen —Sturm 2.2.4. mehrfacher Hinsicht der Kultur —Aneignung zu widmen (Abb. 20a —b, Dokumente): Lieber Freund! Wie wir im Sommer besprochen haben, möchte ich nunmehr die Übernahme der numismatischen Literatur aus der Stiftbibliothek St. PAUL durchführen. Ich erbitte mir Nachricht hierher, ob meine Mitarbeiter gegen Ende der übernächsten Woche nach Klagenfurt, bezw. St. Paul kommen können. Die Durchsicht in der Stiftskirche wird voraussichtlich ein bis zwei Tage in Anspruch nehmen, weshalb ich auch um Besorgung eines Quartiers für meine Mitarbeiter, Hauptmann SCHINDLER und Frau SEUTTER, bitten möchte. Besonders verbunden wäre ich Dir, wenn Du an Ort und Stelle selbst intervenieren und den Studiendirektor vorher entsprechend anweisen würdest, damit keine Verzögerung entsteht. In der Bibliothek von TANZENBERG dürfte ja kaum etwas Brauchbares für uns enthalten sein. Voraussichtlich komme ich von hier mit meiner Gattin selbst für kurze Zeit nach Klagenfurt. Ich würde meinen Besuch unter Umständen so einrichten, dass ich der mir als besonders gut geschilderten Aufführung von Gianni Schichi beiwohnen könnte. Die Zimmerbesorgung im Sandwirt würde ich beim Herrn Regierungspräsidenten telefonisch erbitten. Schliesslich hätte ich noch gerne gewusst, ob Herr Dr. MORO in Klagenfurt oder am Ende gar eingerückt ist. Mit bestem Dank für Deine Bemühungen und herzlichen Grüssen Dein alter Dworschak683 Aus dem Bestand der St. Pauler Bibliothek hat die Buchautopsie lediglich ein Werk mit dem Exlibris des Stiftes zutage befördert, welches seitens der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt akzessioniert wurde. 683 Schreiben des Generaldirektors des Kunsthistorischen Museums Wien, Fritz Dworschak, an den Direktor der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 27.10.1943. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul. Gotbert Moro war Schriftleiter der vom Geschichtsverein Kärnten herausgegeben Zeitschrift Carinthia. In dieser Funktion folgte er Martin Wutte nach, die "deutschnationale Tradition" der Zeitschrift weiterführend. Nach Kriegsende avancierte Moro zum Leiter des Landesmuseums, ab 1958 zudem noch zum Leiter des Landesarchivs. Vgl. Martin Fritzl, "... für Volk und Reich und deutsche Kultur". Die "Kärntner Wissenschaft" im Dienste des Nationalsozialismus (= Disertacije in Razprave/ Dissertationen und Abhandlungen 29, Klagenfurt/Celovec 1992) 28 und 170. 235 III. Kirchen —Sturm 2.2.4. P. Gasparis Schotti e Societate Jesu, Technica curiosa, sive mirabilia artis ..., 1664. Mit der Signatur I 31487 im November 1942 in den Bestand aufgenommen. Sondersammlung der UBK. Der handschriftlich vorgenommene Herkunftsvermerk weist das Buch als Eigentum der "Ober Realschule [St. Paul], Nov. 1942" aus. 236 III. Kirchen —Sturm 2.2.5. III.2.2.5. Olivetanerabtei Tanzenberg Die Abtei Tanzenberg wurde am 31. Oktober 1940 von den Nationalsozialisten enteignet, den 22 Mönchen des Olivetanerordens eine siebentägige Frist zugebilligt, um das Kloster zu verlassen. Das Gebäude selbst sowie der 283 Hektar umfassende Grundbesitz im Wert von 400.000 Reichsmark fielen am 30. April 1941 dem Reichsgau Kärnten zu 684. Die ursprüngliche Absicht, in den Räumlichkeiten der Abtei eine Reichsverwaltungsschule einzurichten, wurde zugunsten eines anderen Verwendungszweckes aufgegeben: Auf Verfügung des Reichsministers des Inneren und auf Einladung des damaligen Gauleiters Friedrich Rainer wurde 1942 auf Tanzenberg die zum Schutz vor den Bombenangriffen aus Berlin ausgelagerte Zentralbibliothek der Hohen Schule, die aus rund 450.000 Bänden bestehende Studienbibliothek einer noch im Stadium der Nachkriegsrealisierung befindlichen NSDAP— Universität untergebracht. Mit einer amtlicherseits veranschlagten Bestandsgröße von 5.000 Bänden (Anm. 647)war die Bibliothek der Olivetaner von Tanzenberg die kleinste der an die Studienbibliothek übertragenen Bibliotheken aus enteignetem Kirchenbesitz. Abgesehen von dem bereits zitierten Bericht der Studienbibliotheksdirektion an die Reichsstatthalterei vom April 1943 findet sich in den Akten kein Hinweis auf den erfolgten Transfer und die Modalitäten desselben. In dem Essay von Gabriela Stieber Die Bibliothek der "Hohen Schule des Nationalsozialismus" in Tanzenberg sind unter dem Punkt "Statistische Informationen zur Arbeit in der Bibliothek Tanzenberg, III: Bandzahlen" unter anderem 800 Bände der Klosterbibliothek Tanzenberg rubriziert685 . 684 Österreichs Stifte unter dem Hakenkreuz (Anm. 589) 197. 685 Gabriela Stieber, Die Bibliothek der "Hohen Schule des Nationalsozialismus" in Tanzenberg. In: Carinthia I, 185 (1995) 343-362, hier 360. 237 III. Kirchen —Sturm 2.2.5. Ob die Zentralbibliothek einen Teil der Olivetanerbiliothek für sich beansprucht hatte, ist unklar. Ein Besitzstreit zwischen der Studienbibliothek und der Zentralbibliothek ist — anders als im Falle von St. Paul — jedenfalls nicht überliefert. Die Eigentümer der Bibliothek, die Brüder der Olivetanerkongregation kamen nach Kriegsende zwar nach Tanzenberg zurück, gaben die Niederlassung aber 1953 auf und kehrten in das Mutterhaus, die Abtei Monte Oliveto Maggiore in der toskanischen Provinz Siena zurück. Schloß Tanzenberg wurde dem bischöflichen Knabenseminar Marianum vermietet686 . Seitens der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt gab es jenseits der Übernahme jener rund 5.000 Bände der requirierten Stiftsbibliothek in ihren Bestand zwei weitere Verbindungen zu Tanzenberg. Wie in Abschnitt I.3.3. ausgeführt, lagerte die Öffentliche Studienbibliothek 1944 einen Teil ihrer eigenen wertvollen Bestände nach Tanzenberg aus. Nach Kriegsende wurde deren damaliger Direktor, Richard Fuchs, in die Liquidation der in Tanzenberg untergebrachten Zentralbibliothek der Hohen Schule eingebunden (siehe Abschnitt IV.). 686 Österreichs Stifte unter dem Hakenkreuz (Anm. 589) 197. 238 III. Kirchen —Sturm 2.2.6. III.2.2.6. Mariannhillerstift St. Georgen am Längsee Das Enteignungsverfahren des seit 1934 im Besitz der Mariannhiller Kongregation befindlichen Schlosses St. Georgen durch die nationalsozialistischen Machhaber folgte demselben Muster, wie es im Falle der anderen kirchlichen Objekte zur Anwendung kam. Am 23. Juli 1940 erhielt die Klostergemeinschaft von der Gestapo die Nachricht von der Enteignung des Klosters, zugleich mit der Aufforderung, den Gau Kärnten binnen sieben Tagen zu verlassen. Nach vollzogener Beschlagnahme im Oktober 1940 und Besitzübertragung im April 1941 wurde die gesamte Liegenschaft vom Reichsgau Kärnten übernommen, welcher in dem Gebäudekomplex eine landwirtschaftliche Schule für Knaben und eine landwirtschaftliche Jungbäuerinnenschule einrichtete. Auch die Gemeinde St. Georgen erhielt ihren Anteil an den requirierten Räumlichkeiten. 1943 kaufte die Organisation Todt dem Kärntner Reichsgau den Besitz ab, um dortselbst ein Lazarett mit Erholungsheim einzurichten. Der hierzu nötige Umbau war bis Kriegsende allerdings noch nicht zur Gänze fertiggestellt. Nach Kriegsende nutzte die britische Besatzungsmacht die bereits funktionierende Infrastruktur des Krankenhauses für die Unterbringung eines Militärlazarettes. Bis zum Abschluss des Rückstellungsverfahrens belegte das Land Kärnten das Schloss für die Unterbringung der Tuberkulosenabteilung des Allgemeinen Krankenhauses in Klagenfurt. Der endgültige Rückstellungsbescheid des Besitzes an die Mariannhiller konnte erst im Sommer 1948 abgeschlossen werden. Wie in anderen Fällen der Restitution von kirchlichem Vermögen auch, war das überaus langwierige Verfahren einer "massive[n] politische[n] Einflussnahme auf die Entscheidungen der Finanzlandesdirektion"687 geschuldet: 687 Irene Bandhauer —Schöffmann, Kloster — Schloss — Bildungshaus. Zur Geschichte des Stiftes St. Georgen am Längsee im 20. Jahrhundert. In: 1000 Jahre Stift St. Georgen am Längsee, ed. Johannes Sacherer (St. Georgen am Längsee 2003) 268-303, hier 281. 239 III. Kirchen —Sturm 2.2.6. "[D]ie sozialistischen Landespolitiker nahmen die Restitution von kirchlichem Vermögen zum Anlass, offene Rechnungen aus der Bürgerkriegszeit zu begleichen und fanden dabei Unterstützung in der ihnen politisch nahe stehenden Ministerialbürokratie im Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung."688 Wie andernorts auch, waren selbstredend nicht allein Gebäude und Liegenschaften enteignet worden, auch die Mobilien fielen der Aneignung und Verteilung zum Opfer. Noch 1946 liess das Land Kärnten widerrechtlich "Einrichtungsgegenstände aus dem Schloss (50 Sessel, 50 Nachtkästchen, zwei Küchensessel) abtransportieren"689, um sie landeseigenen Sozialeinrichtungen zu überlassen. Auf die Enteignung der Bibliothek durch die nationalsozialistische Landesführung ist in den Diözesanakten kein Hinweis zu finden. Auch die Chronik von St. Georgen enthält lediglich eine einzige Eintragung aus dem Jahr 1940, welche auf die Bibliothek Bezug nimmt: Was jeder an Privateigentum besitzt, darf er mitnehmen. Sachen, die jedoch dem Hause gehören, darf keiner mitnehmen. Dies betrifft besonders die Bücher in der Bibliothek, wie auch Werkzeug.690 Dass der Verlust der Bibliothek für die ihres gesamten Besitzes enteigneten und vertriebenen Mariannhiller Patres noch zu den geringsten Nöten gezählt haben dürfte, ist verständlich. Dass allerdings die dokumentierte Rückerstattung der Bibliothek nach dem Krieg so gar keine Erwähnung findet, verwundert doch. Zumal die Restitution bei einem geschätzten Gesamtbestand von gut 30.000 Bänden zweifellos eine größere Aktion dargestellt haben sollte. Auch in den Korrespondenzakten der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt nehmen lediglich zwei Schriftstücke Bezug auf die Bibliothek 688 Ebd. 281. 689 Ebd. 285. 690 Aus der Chronik des Missionshauses ST. Georgen/Lgs 1934—59. AdDG, Ordner 917, ADG HS 917. 240 III. Kirchen —Sturm 2.2.6. von St. Georgen. Diese sind allerdings insofern von besonderer Bedeutung, als sie aktenkundig machen, dass die Öffentliche Studienbibliothek Klagenfurt Buchbestände aus dem enteigneten Kirchenvermögen nicht nur erhielt (III.2.2.), sondern nach Kriegsende auch wieder restituierte. Am 4. Oktober 1945 erging seitens der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt folgende Meldung an das Amt der Kärntner Landesregierung (Abb. 21a, Dokumente): Da die Studienbibliothek sehr unter Raummangel leidet, wird der Antrag gestellt, den Rücktransport der Bücher aus St. Georgen am Längsee in die Wege zu leiten. Es hätte zu ergehen: An das Kloster St. Georgen am Längsee. Die im Jahr 1940 im Kloster beschlagnahmten Bücher befinden sich im Gebäude der Studien-Bibliothek Klagenfurt, Kaufmanngasse 11. Es wird höflich ersucht, sich wegen der Durchführung des Rücktransportes mit der Leitung der Bibliothek ins Einvernehmen zu setzen.691 Am 24.10.1945 teilte das Amt der Kärntner Landesregierung, Verwaltung von Partei- und Reichsvermögen, der Studienbibliothek mit, dass sich "der Überbringer, Pater Josef Dahm, mit Ihnen zwecks Rückübernahme der Bücher des Klosters St. Georgen a. Längsee ins Einvernehmen setzen [wird]."692 (Abb. 21b, Dokumente). Auch für St. Georgen gibt es eine Berichtlegung des Reichsgauarchivleiters Emmerich Zenegg an die Reichstatthalterei über das unter die Beschlagnahme fallende Schriftgut. Darin wird ein weiterer Buchbestand erwähnt, welcher der Öffentlichen Studienbibliothek neben der eigentlichen Klosterbiblothek zugesprochen wurde: 691 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Amt der Kärntner Landesregierung, Schulabteilung, vom 4.10.1945. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul. 692 Amt der Kärntner Landesregierung, Verwaltung von Partei und Reichsvermögen an die Öffentliche Studienbibliothek Klagenfurt vom 24.10.1945. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul. 241 III. Kirchen —Sturm 2.2.6. Über Aufforderung des Herrn Rechnungsrates Jantsch begab ich mich Sonntag den 28.d.M. nach St.Georgen a.L., um dort das Archiv und die Bibliothek des Klosters zu besichtigen. Ich erlaube mir bezüglich deren Unterbringung folgende Vorschläge zu erstatten: An Archivalien fanden sich etwa 80 bis in das 15. Jahrhundert zurückgehende Pergamenturkunden, ferner eine größere Anzahl Urbare, Stiftregister u.a. und etliche Faszikel Akten, welche Bestände sich sämtlich auf das ehemalige Nonnenkloster bezw. die Herrschaft St. Georgen a.L. beziehen. Diese Bestände wären vom Reichsgauarchiv Kärnten zu übernehmen. Ferner fand sich in einem als [!] Bibliothekszimmer bezw. Raum ein wüster Haufen von Büchern, die sich bei näherem Zusehen als ehemalige Hausbibliothek der Grafen Egger, der vormaligen Besitzer der Herrschaft, herausstellte [!]. Demgemäß besteht sie vornehmlich aus Belletristik und weniger historischer Literatur. Ich schlage vor, die belletristischen Werke der hiesigen Studienbibliothek zu übergeben (zahlreiche darin vorhandene Kinderbücher könnte man der Schule in St. Georgen überlassen) und die historische Literatur dem Reichsgauarchiv Kärnten zu überlassen. Sollte die Studienbibliothek nicht geneigt sein, die an und für sich nicht sehr wertvollen Bücher zu übernehmen, so käme nur die Abgabe an eine Papierfabrik oder an Antiquar Raunecker in Betracht. Zur Sichtung der in vollständiger Unordnung befindlichen Bücher muß ich mich etwa 4 Tage in St. Georgen a.L. aufhalten. Z[ene]gg dzt. mit der Leitung betraut.693 693 Bericht des Reichsgauarchivleiters Emmerich Zenegg an die Reichsstatthalterei Kärnten vom 29.7.1940. LAK, Archivregistratur, Zl. 146/1940. 242 IV. Slowenische Bibliotheken IV. Die Enteignung der slowenischen Bibliotheken im okkupierten Oberkrain Im April 1949 stellte die jugoslawische politische Vertretung in Wien beim Bundesministerium für Inneres das Ersuchen, zwei Delegierten einer jugoslawischen "Wiedergutmachungskommission" Einsichtnahme in "die Landesarchive und Landesbibliotheken von Graz und Klagenfurt sowie in die Universitätsbibliothek von Graz zu gewähren" 694. Dieses Interesse stiess auf kein über die erzwungene Befolgung eines Beschlusses des Alliierten Rates695 hinausgehendes Entgegenkommen der österreichischen Behörden. Von Seiten des Bundesministeriums für Inneres wurde den Ländern "empfohlen, die Archive und Bibliotheken anzuweisen, die Delegierten zu ersuchen, sie mögen angeben, über welche verschleppten bzw. geraubten Güter ihrer Vermutung Korrespondenzen oder Akten- und Schriftenmaterial in dem betreffenden Institut vorhanden sind." 696 Eine kaum zu erfüllende Auflage. In Kärnten wurden der Delegation, welche sich vor allem für das "Depot Bibliothek Tanzenberg"697 interessierte, alle erdenklichen bürokratischen Hürden in den Weg gestellt, um eine solche Einsichtnahme zu verhindern: Eine telefonische Anfrage beim Britischen Element, Colonel Husband, ergab, daß die jugoslavische [!] Vertretung am 4. April 1949 eine diesbezügliche Anfrage an das Bundeskanzleramt — Auswärtige Angelegenheiten um Besichtigungsbewilligung für Bibliotheksbestände in Klagenfurt gerichtet hat. Von einem neuerlichen Ansuchen, insbesondere um die Besichtigung des Depots Bibliothek Tanzenberg ist weder im Bundeskanzleramt — Auswärtige 694 Abschrift eines Schreibens des Bundesministeriums für Inneres an das Amt der Kärntner Landesregierung vom 25.5.1949. UAK, Kt. 363. 695 Vgl. ebd. 696 Ebd. 697 Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung an das Amt der Kärntner Landesregierung zu Handen Hofrat Dr. Kandutsch vom 1.10.1949. UAK, Kt. 363, Fasz. 1949. 243 IV. Slowenische Bibliotheken Angelegenheiten, noch im Bundesministerium für Unterricht, noch beim Britischen Element, Col. Husband, etwas bekannt, somit kann eine Bewilligung zur Besichtigung der Depotbestände "Bibliothek Tanzenberg" nicht erteilt werden, solange nicht das Britische Element und das Bundeskanzleramt —Auswärtige Angelegenheiten hiezu die entsprechende Zustimmung erteilt haben."698 Ein weiteres Schreiben des Bundesministeriums an das Amt der Kärntner Landesregierung vom 3. November 1949 präzisierte die Suche der jugoslawischen Delegation, welche der im Jahr 1942 nach Klagenfurt verschleppten "slowenischen Bibliothek" 699 aus Krainburg galt. Als deren Empfängerin wurde das Institut für Kärntner Landesforschung genannt. Selbige Bibliothek sollte im Juli 1947 nach Tanzenberg und von dort wiederum nach Klagenfurt unter die Verwaltung der Studienbibliothek gebracht worden sein 700: Außerdem teilt die jugoslawische, politische Vertretung in ihrer Note mit, daß es anderen Vertretungen gestattet worden sei, in das Depot "Bibliothek Tanzenberg" Einsicht zu nehmen, in welchem von diesen Vertretungen auch eine Anzahl restitutionspflichtiger Bücher ihres Landes aufgefunden worden sein sollen. Das Amt der Kärntner Landesregierung wird daher eingeladen, umgehend zu berichten, zu welchem Zeitpunkt eine Besichtigung durch andere Vertretungen im Depot Bibliothek Tanzenberg stattgefunden haben und von wem die Besichtigungsbewilligung hiefür erteilt wurde. Gleichzeitig wären sofortige Nachforschungen sowohl beim Institut für Kärntner Landesforschung als auch in der Studienbibliothek Klagenfurt nach dem Verbleib der erwähnten slowenischen Bibliothek aus Krainburg zu pflegen. Das Ergebnis wolle umgehend dem ho. Bundesministerium übermittelt werden. Vom Leiter der Studienbibliothek, Dr. Fuchs, wäre ein schriftlicher Bericht einzuholen 698 Ebd. 699 Es ist unklar, ob die Bezeichnung "slowenische Bibliothek" einen geschlossenen Bestand meint, oder eine Teilmenge sämtlicher requirierten slowenischen Bücher aus dem Gebiet Oberkrain, die nach Krainburg verbracht worden waren, um dort gesichtet und in weiterer Folge entweder makuliert oder umverteilt zu werden. 700 Vgl. Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung an das Amt der Kärntner Landesregierung zu Handen von Hofrat Dr. Kandutsch vom 3.11.1949. UAK, Kt. 363. 244 IV. Slowenische Bibliotheken über Art und Umfang der Einlagerung der "Bibliothek Tanzenberg", die Anzahl der eingelagerten Kisten und über die Möglichkeit zu dem in einer der Kisten befindlichen Inventarverzeichnissen zu gelangen. Falls die Inventarverzeichnisse erreichbar sind, wären diese gleichfalls vorzulegen. Auf die Dringlichkeit der Angelegenheit wird besonders hingewiesen.701 In den Korrespondenzakten der Öffentlichen Studienbibliothek befindet sich der handschriftliche, teilweise in Kurzschrift verfasste Entwurf für die geforderte Stellungnahme, welcher hier, soweit lesbar, transkribiert wiedergegeben ist: Bibl. Tanzenberg, Jugols. [!] Es entspricht nicht den Tatsachen, daß die slow. Bibliothek aus Krainburg unter die Verwaltung der Studienbibliothek gekommen ist und es gelang auch der Bibliotheksleitung, die hier anwesende jugols. Kommission von der Tatsache zu überzeugen und klar zu beweisen, daß auch nicht ein einziges Buch aus Krain in die Stud.Bibl. aufgenommen wurde. [?] Nach Einlagerung der 600 Tanzenberger Depotkisten wurde niemandem eine Durchsicht dieser Bestände zugestanden, zumal von keiner Seite ein derartiges Ansuchen gestellt wurde. Solange diese Bestände in Tanzenberg lagen, standen sie unter englischer Kontrolle und konnten mit Zustimmung dieser Stelle besichtigt werden, was aus der Tatsache hervorgeht, daß einige Kisten nach Jugolsen. [!] restituiert wurden; hierbei dürfte es sich aber nicht um die gesuchten Bücher aus dem [damaligen = durchgestrichen] vormaligen Oberkrain handeln. Der [?] STUB [?] Umfang [?] Einlagerung [?]. Es ist nicht möglich [an] die Kisten mit dem Inventarverzeichnis [dem Katalog = durchgestrichen] zu gelangen, da die [?] wahllos eingelagert wurden. Es sollen [?] 3 Stücke aus Triest befinden mit [?] dürfen nicht zu den gesuchten Beständen gehören.702 701 Ebd. 702 Handschriftlicher Entwurf einer Sachverhaltsdarstellung des Direktors der Öffentlichen Studienbibliothek, Richard Fuchs, [9.12.]1949. UAK, Kt. 363, Fasz. 1949. 245 IV. Slowenische Bibliotheken Als lapidare Randnotiz "Nichts gefunden"703 findet sich an anderer Stelle noch einmal ein Hinweis auf das Ergebnis der Nachforschung: Möglicherweise bezieht sich der Hinweis auf "restitutionspflichtige Bücher", welchen die jugoslawische Delegation ins Treffen führte, auf jene in obiger Sachverhaltsdarstellung erwähnten und unter KoC 1 —3 angegebenen drei Kisten mit "Bücher[n] in slowenischer Sprache aus Triest" 704, welche Fuchs in seiner Berichtlegung an das Ministerium unter dem Rubrum "allfällige Restitution" 705 auflistet: Solange die Bibliothek Tanzenberg unter englischer Verwaltung stand, wurden 4599 Kisten restituiert, darunter 16 Kisten nach Jugoslawien u.z. am 18.11.1947 und am 6.4.1948. 3 Kisten mit Büchern in slow. Sprache aus Triest erliegen noch hier, sind aber derzeit unter den rd. 600 Kisten nicht auffindbar.706 Dies ist zugleich der einzige Hinweis auf "Triest" als Herkunftsort von Büchern in den Akten der Öffentlichen Studienbibliothek. Gut möglich, dass es sich bei dem er wähnten Bestand um ein Bücherkonvolut aus der zum Raubdepot für die "Operationszone Adriatisches Küstenland" 703 Nachträgliche Randnotiz von Richard Fuchs auf einem Rundschreiben des Bundesministeriums für Unterricht vom 15.4.1949, welches den Besuch der jugoslawischen Delegation avisiert. UAK, Kt. 363, Fasz. 1949. 704 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Bundesministerium für Vermögenssicherung Wien vom 23.12.1949. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschunginstitut Alfred Rosenberg". 705 Ebd. 706 Ebd. 246 IV. Slowenische Bibliotheken umfunktionierten Synagoge in Triest handelte707, zumal der "Einsatzstab Rosenberg" auf der Liste der Empfänger von Büchern selbiger Provenienz aufscheint708 . Das in dem Schriftstück erwähnte Institut für Kärntner Landesforschung wurde am 10. Oktober 1942 auf Betreiben Gauleiter Rainers gegründet, als eine Art Außenstelle der Universität Graz, nachdem sämtliche Bestrebungen, die Gründung einer eigenen Kärntner Universität zu erwirken, gescheitert waren 709. Die Institutsgründung entsprang dem Bestreben von Seiten Kärntens "zur Errichtung einer genuin kärntnerischen wissenschaftlichen Institution, die der Germanisierung und »geistigen Eroberung« des besetzten Oberkrain dienen sollte."710 Als Dachorganisation fungierte die zeitgleich gegründete Kärntner Wissenschaftliche Gesellschaft, deren Zweck darin bestand, "insbesondere in Hinblick auf Germanisierung und Reichsanschluß Oberkrains sämtliche wissenschaftliche Aktivitäten des Landes zu monopolisieren und ausnahmslos unter Kuratel des Gauleiters zu stellen, um den wissenschaftlichen Einsatz nach rein politischen Maßgaben zu dirigieren." 711 Das Institut für Landesforschung unter der Leitung von Eberhard Kranzmayer, Lehrstuhlinhaber für "Mundartkunde und Grenzlandforschung" in Graz, war von seiner Gründung 1942 bis 1945 im vormaligen Gaumuseum untergebracht. "Nach dem Krieg wurde das Institut aufgelöst und der Bestand von etwa 1.100 Werken von der Bibliothek des Landesmuseums übernommen — wo er heute unbearbeitet im Keller des Museums lagert." 712 707 Vgl. Hall/Köstner, "... allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern ..." (Anm. 15) 427 ff. 708 Vgl. ebd. 709 Vgl. ebd. 430-431. 710 Michael Wedekind, Nationalsozialistische Besatzungs- und Annexionspolitik in Norditalien 1943 bis 1945. Die Operationszonen "Alpenvorland" und "Adriatisches Küstenland" (= Militärgeschichtliche Studien 38, München 2003) 262. 711 Ebd. 261. 712 Ebd. 434. 247 IV. Slowenische Bibliotheken Die kategorische Feststellung von Richard Fuchs, "daß auch nicht ein einziges Buch aus Krain in die Stud.Bibl. aufgenommen wurde"713 , konnte durch diese Untersuchung zwar nicht falsifiziert werden, was aber nicht bedeutet, dass die Studienbibliothek am Kulturgüterraub im okkupierten Slowenien in keiner Weise beteiligt gewesen war. Denn wie ein weiteres Aktenstück aus der Ablage der Öffentlichen Studienbibliothek zeigt, war Richard Fuchs im Jahr 1942 in die Transferierung eines wertvollen Bücherkonvolutes von Krainburg nach Klagenfurt involviert. Eine Übernahmebestätigung der "Zweigstelle des Reichsgauarchivs für Kärnten in Krainburg"714 weist ihn als vom Reichsstatthalter in Kärnten beauftragten Empfänger wertvoller bibliophiler "Unikate"715 aus. Offenbar spielte Fuchs hier lediglich eine Botenrolle — was ihn in Anbetracht der Rara geschmerzt haben dürfte. Die Unterfertigung des Papiers weist auf das Reichsgauarchiv als Bestimmungsort der Bücher hin: "Für das RGA zur Aufstellung übernom[m]en I.V. M[artin] Wutte"716. Der Historiker Dr. Martin Wutte war von 1923 bis 1938 Direktor des Landesarchivs Klagenfurt. Sein Nachfolger nach dem "Anschluss" war sein Neffe, der aus Wien gebürtige Kunsthistoriker und Archivar Karl Starzacher, welcher im November 1941 zum SS—Obersturmführer avancierte. Dessen Versetzung nach Kärnten ans Landesarchiv erfolgte auf eigenen Wunsch, um hier das "Lebenswerk" seines Onkels fortzusetzen717. Mit Kriegsausbruch übernahm Martin Wutte neuerlich bis 1942 die wissenschaftliche Leitung des nunmehrigen Reichsgauarchivs, dessen administrative Führung 713 Handschriftlicher Entwurf einer Sachverhaltsdarstellung des Direktors der Öffentlichen Studienbibliothek, Richard Fuchs, [9.12.]1949. UAK, Kt. 363, Fasz. 1949. 714 Zweigstelle des Reichsgauarchivs für Kärnten in Krainburg vom 5.10.1942. UAK, Kt. 363, Fasz. 1942. 715 Ebd. 716 Ebd. 717 Vgl. Alfred Elste/Michael Koschat, Kärntner Nationalsozialisten und ihr Anteil an der NS —Okkupationspolitik in Slowenien. In: Kärnten und die nationale Frage 5: Kärnten und Slowenien — "Dickicht und Pfade", edd. Stefan Karner/Janez Stergar (Klagenfurt/Celovec 2005) 133-150, hier 146, Fussnote 34. 248 IV. Slowenische Bibliotheken an Emmerich Zenegg ging718. Starzacher wurde nach Oberkrain versetzt, wo er die Funktion eines Beauftragten für Archivwesen, Büchereien und Museen beim Stab des Chefs der Zivilverwaltung [CdZ] und Stabsleiters der Dienststelle des Beauftragten des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums [RKFDV] bekleidete719. Als Historiker trug Wutte durch seine rege Publikationstätigkeit maßgeblich "zum Aufbau einer Landesideologie und damit eines Landesnationalismus"720 bei, in seinen Funktionen als Obmann des Kärntner Heimatbundes und Archivdirektor wirkte er an "d[er] Planung und Vorbereitung der Aggression Hitler—Deutschlands gegen Jugoslawien, d[er] Annexion jugoslawischer Gebiete und d[er] Germanisierung der jugoslawischen Bevölkerung entscheidend mit [...]."721 Die Behandlung der Bibliotheken und Archive in den 1941 von den Nationalsozialisten okkupierten Gebieten Oberkrain und der Untersteiermark lässt deutliche Parallelen zu dem bereits geschilderten Verfahren gegenüber den konfessionellen Einrichtungen erkennen. Ein erster Schritt unmittelbar nach der Besetzung war die möglichst vollständige Beschlagnahme des slowenischen Schriftgutes. Analog zu den Entkonfessionalisierungsmaßnahmen war die Unterdrückung der slowenischen Sprache ein wesentliches Element der Machtdurchsetzung und Beherrschung. Am 25. April 1941 erteilte die Bundesführung des Steirischen Heimatbundes folgende Anweisung zur Beschlagnahme des slowenischen Schriftgutes: Aus nationalpolitischen Erwägungen heraus sind wir interessiert, so rasch als möglich das gesamte slowenische Schriftgut aus der Untersteiermark 718 Vgl. Wadl, Das Kärntner Landesarchiv (Reichsgauarchiv Kärnten) in der NS —Zeit (Anm. 11) 566-567. 719 Vgl. Elste/Koschat, Kärntner Nationalsozialisten und ihr Anteil an der NS —Okkupationspolitik in Slowenien (Anm. 717) 146, Fussnote 34. 720 Fritzl, "... für Volk und Reich und deutsche Kultur" (Anm. 683) 75. 721 Ebd. 135. 249 IV. Slowenische Bibliotheken einzuziehen. Eine öffentliche Aufforderung zur Ablieferung des vorerwähnten Schriftgutes ist aus optischen Gründen nicht angebracht. Es muss aber trotzdem möglich sein, durch persönliche aktive Fühlungnahme ausser den Vereins- und Schulbüchern usw. auch die Privatbüchereien [Hervorh. d.d. Verf.] weitgehend zu säubern. Die sichergestellten Bücherbestände sind unter strengem Verschluss in Räumen Ihrer Ortsgruppen —Dienstelle unterzubringen [...].722 Ein Vermerk des Generaltreuhänders für die Sicherstellung der Kulturgüter über Aufgaben in den besetzen Gebieten Krains, SS—Obersturmführer Johann Löhausen, vom 15. Mai 1942 beschreibt ein entsprechendes Verfahren auch für diese Besatzungszone: 4.) Es wurden sämtliche Büchereien im Gebiet von Oberkrain beschlagnahmt. Ein Teil von ihnen ist bereits in eine Art Buchsammelstelle nach Krainburg überführt worden. Dr. Koschir, der frühere Leiter der Abteilung "Kultur und Schule" des CDZ. [Chef der Zivilverwaltung], jetzt Leiter der Lehrerbildungsanstalt in Krainburg, beaufsichtigt diese Aktion. Die Buchsammelstelle ist in den Räumen der ehemaligen Textilschule in Krainburg untergebracht. Bisher wurden in Krainburg 150 Büchereien zusammengezogen. Unter der Leitung von Dr. Koschir wird mit Hilfe von pensionierten slowenischen Lehrern und auf Grund von Mitteln, die der CDZ. noch zur Verfügung gestellt hat, der gesamte Bücherbestand gesichtet, geordnet und aufgearbeitet. Das slowenische Buchmaterial wird herausgenommen. Es werden bis zu 5 Exemplaren [...] jedes Buches in die künftigen Büchereibestände eingeordnet. Die übrigen Exemplare werden zum Einstampfen abgelegt.723 Wie der Abschlussbericht des Generaltreuhänders für die Sicherstellung der Kulturgüter, SS—Obersturmbannführer Wolfram Sievers, vom 12. August 1942 über die Tätigkeit in der Untersteiermark auflistet, wurden in der Untersteiermark im Rahmen dieser Aktion allein an Schriftgut "sichergestellt": 722 Quellen zur nationalsozialistischen Entnationalisierungspolitik in Slowenien 1941— 1945 (Anm. 13) 77. 723 Ebd. 432. 250 IV. Slowenische Bibliotheken [...] Bücher Urkunden usw. etwa 60.000 Bände 75 handgeschriebene Urkunden, darunter verschiedene aus dem 14. u. 15. Jahrhundert. 33 Abschriften u. Auszüge aus verschiedenen alten Urkunden. 22 Chroniken. Zahlreiche chronikalische Aufzeichnungen und Traktate. Volksliedersammlungen, im ganzen 3.000 Lieder [...].724 Die weitere Vorgehensweise ist sattsam bekannt: Die "unerwünschte Literatur" wurde ausgesondert und in der Folge eingestampft, was hingegen irgend wertvoll war, kam ins "Altreich" und wurde in die dortige Distributionsmaschine eingespeist, wie ein Bericht des Kommandanten der Sicherheitspolizei und des SD in der Untersteiermark vom 19. November 1941 über die Eindeutschung darlegt: Literatur. Gegenwärtig wird die slowenische Literatur geprüft. Vorgesehen ist, von den ausgesuchten Büchern, 4 Bibliotheken zusammen zustellen [!], welche in das Altreich kommen, das übrige Material wird eingestampft.725 Ein Teil der beschlagnahmten Literatur war auch hier für den Aufbau von Volksbüchereien bestimmt, wie das Reichspropagandaamt Kärnten, Zweigstelle Veldes, in einem Bericht vom 23. Juni 1941 über die Lage in den besetzten Gebieten Krains festhält : Selbstverständlich wurden gleich nach der Besetzung dieses Gebietes alle slowenischen Büchereien beschlagnahmt und ich bin nun daran, aus den Mitteln des Ministeriums in Zusammenarbeit mit der staatlichen Büchereistelle je nach der Grösse des Ortes kleinere oder grössere Büchereien zu schaffen. Es ist gerade die Schaffung der Büchereien eine vordringliche Aufgabe, da die Nachfrage nach Lesestoff sehr gross ist.726 724 Ebd. 478. 725 Ebd. 351. 726 Ebd. 187. 251 IV. Slowenische Bibliotheken Welcher Bestimmung die aus der Zweigstelle des Reichsgauarchivs nach Klagenfurt transferierten Werke zugeführt werden sollten, ist ebenso unklar wie ihr Verbleib. In den Bestand des heutigen Landesarchivs sind sie jedenfalls nicht eingegangen. Möglicherweise waren die Rara als Exponate für die Ausstellung "Kärnten 1200 Jahre Grenzland des Reiches" bestimmt, die im Oktober 1943 in Klagenfurt stattgefunden hat, und an der auch das Reichsgauarchiv wesentlich beteiligt war727 . Der im Landesarchiv noch vorhandene Ausstellungskatalog verzeichnet allerdings keinerlei Druckwerke. Möglicherweise waren die angeführten Druckschriften Teil jenes Archivbestandes, welcher 1950 auf der Grundlage der Arbeit der Restitutionskommission im Rahmen der österreichisch —jugoslawischen Archivverhandlungen zur Übergabe gelangte728. Die Suche im Online— Katalog der National- und Universitätsbibliothek Laibach hat für die unter: 1: Valvasor, 1689 2: Dalmatin, 1584 3: Bohoriz, 1584 4: Trubar, 1582 5: Trubar, 1566 6: Dalmatin, 1584 7: Kancyonal, 1659 entsprechende Treffer ergeben 729. Ob es sich um dieselben Werke handelt, ist natürlich nicht sicher. Was sich dem angeführten Dokument jedenfalls entnehmen lässt, ist das gute Einvernehmen, welches zwischen dem Leiter der Öffentlichen Studienbibliothek, Richard Fuchs, und den Landesstellen geherrscht 727 Vgl. Fritzl, "... für Volk und Reich und deutsche Kultur" (Anm. 683) 142 ff. 728 Vgl. Wadl, Das Kärntner Landesarchiv (Reichsgauarchiv Kärnten) in der NS —Zeit (Anm. 11) 574-575. 729 Vgl. http://www.cobiss.si 252 IV. Slowenische Bibliotheken haben muss, da er derart in Dienst genommen wurde. Wiewohl die Öffentliche Studienbibliothek als Bundeseinrichtung nicht im Verband der Wissenschaftlichen Gesellschaft integriert war und Fuchs auch nicht als ein außerordentliches Mitglied derselben aufscheint, taucht sein Name doch immer wieder auf den Listen der persönlich zu Veranstaltungen der Gesellschaft Einzuladenden auf 730. Vor allem beweist das Papier, dass es seitens der Studienbibliothek sehr wohl eine Verbindung nach Oberkrain und damit zu den Bücherbeschlagnahmen gab. 730 Einladung zur Konstituierung der Kärntner Wissenschaftlichen Gesellschaft, 10. Oktober 1942, Großen Wappensaal, Landhaus Klagenfurt. Einladungsliste für den Vortrag von Franz Xaver Zimmermann am 19. November 1943. Einladungsliste für den Vortrag von Professor Max Ittenbach, Gent am 22. Mai 1944 in St. Veit an der Glan. LAK, Bestand Kärntner Wissenschaftliche Gesellschaft, Kt. 1, Fasz. 1.1: Gründung, Satzung, Organisation, Tätigkeit 1942 —43. 253 V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg V. Die Auflösung der "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg unter der Sachwalterschaft der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt Die Geschichte der "Zentralbibliothek der Hohen Schule im Aufbau" oder "Zentralbibliothek der Hohen Schule in Vorbereitung", wie die parteiamtliche Bezeichnung lautete, ist mittlerweile gut dokumentiert. Desgleichen liegen eigene Forschungsarbeiten über die Zeit der Unterbringung in Tanzenberg sowie die Restitution der Buchbestände nach dem Krieg vor. Im Rahmen der NS —Provenienzforschung hat sich ein Projekt an der UB Wien mit der "Sammlung Tanzenberg"731 befasst. Diese Abschnitte werden hier nur soweit rekapituliert, als es der Verständniskontext erfordert. Ein dokumentarisches "Missing Link" scheint aber die Auflösung jener "Restbestände" von immerhin rund 600 Bücherkisten darzustellen, welche aufgrund ihrer unmittelbar nicht eruierbaren Provenienz als "herrenloses" Gut eingestuft wurden oder aber seitens der Zentralbibliothek nachweislich regulär angekauft worden waren und somit als "rechtmäßig" erworben galten: Das weitere Schicksal des restlichen Buchbestandes von rund 68.000 Bänden nach der Übergabe an den österreichischen Staat ist jedoch kaum mehr feststellbar. Es kann als sicher angenommen werden, daß die Bücher nicht in der Studienbibliothek Klagenfurt geblieben sind. Sie dürften unter der Bezeichnung "Tanzenberg —Sammlung" in der Neuen Hofburg in Wien gelagert und bibliotheksmäßig erfasst worden sein.732 Unter den Akten der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt befindet sich eine Mappe, welche das Verfahren rund um den "Restbestand" der Zentralbibliothek in der Jahresspanne 1945 bis 1950 dokumentiert und solcherart geeignet ist, einige der bis dato noch bestehenden Kenntnislücken zu schliessen. 731 Projekt: Die Sammlung Tanzenberg — ein unaufgearbeiteter Buchbestand an der Universitätsbibliothek Wien: http://www.ub.univie.ac.at/tanzenberg. 732 Stieber, Die Bibliothek der "Hohen Schule des Nationalsozialismus" in Tanzenberg (Anm. 685) 362. 254 V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg Im Jänner 1934 ernannte Hitler den NS —Chefideologen und Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP, Alfred Rosenberg, zum "Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP". Der Aufgabenstellung entsprang der Plan zur Errichtung einer "Hohen Schule", einer universitätsähnlichen Ausbildungseinrichtung für künftige Führungskräfte des nationalsozialistischen Staates, der Abschluss —Institution eines Ausbildungsweges, der über die Adolf—Hitler—Schulen und die Ordensburgen führte. Dem elitären Anspruch gemäß, sollte niemand geringerer als der Architekt des Führers, Albert Speer, für die neue Institution eines seiner gigantesken Bauwerke entwerfen. Als Standort war der Chiemsee vorgesehen. Die "Hohe Schule im Aufbau", oder "Hohe Schule in Vorbereitung", wie die dem Planungsstadium gemäße Bezeichnung künftig lautete, war zuvorderst in mehrere dislozierte Außeninstitute gegliedert, deren jedes unabhängig von seinen sonstigen Agenden unverzüglich mit dem Aufbau fachspezifischer Bibliotheken begann. Untergebracht waren die Institute an den Universitäten der jeweiligen Standorte, zum einen, um dadurch den "wissenschaf tlichen" Charakter der dor tselbst getätigten Forschung zu unterstreichen, zum anderen aus infrastrukturellen und personalpolitischen Gründen: "Diese Institute würden nicht zur Universität gehören, aber ihre Professoren sollten in Personalunion auch an den betreffenden Universitäten tätig sein."733 Vorgesehen waren folgende Institute: 1. Institut für germanische Geistesgeschichte, Indogermanisches Institut in München 2. Institut für Biologie und Rassenlehre in Stuttgart 3. Übersee —Institut in Hamburg 733 Enzyklopädie des Nationalsozialismus, edd. Wolfgang Benz/Hermann Graml/ Hermann Weiß (Stuttgart 1997) 517. 255 V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg 4. Institut für Religionswissenschaft in Halle 5. Institut für Ostforschung in Prag (hier dürfte ein Gutteil der in Polen beschlagnahmten Buchbestände gelandet sein) 6. Institut für germanische Forschung in Kiel 7. Germanisch —Gallikanisches Institut in Straßburg 8. Institut für deutsche Volkskunde in Detmold 9. Sonderstab Musik in Berlin, später in Hirschberg in Schlesien 10. Institut zur Erforschung der Judenfrage in Frankfurt Letzteres war jenes Institut, welches Rosenberg vor allen anderen am Herzen lag. Und die einzige der zehn Außenstellen, welche im März 1941 ihre Tätigkeit in der ursprünglich geplanten Form aufnehmen konnte. "Zum Zeitpunkt der Eröffnung umfasste die Bibliothek bereits 350.000 Bände, zum Teil geschlossene Bibliotheken und Bestände aus Privatsammlungen, einschließlich wertvoller Handschriften und Inkunabeln."734 Raubbestände aus dem besetzten Frankreich, wie die Bibliothek Rothschildt, welche bereits Erwähnung fand (siehe Abschnitt II.2.), und aus den Niederlanden sorgten für einen derart immensen Buchzufluss, dass eine "vorschriftsmäßige Erfassung unmöglich war" 735. 1946 wurden in Hungen im Landkreis Hessen, wohin die Bibliothek 1944 aus Platzgründen verlegt worden war, über 3 Millionen Bücher gefunden 736. Wiewohl die Pläne für die "Hohe Schule" kriegsbedingt letztlich über ein Anfangsstadium nicht hinauskamen, stellten sie als solche schon einen weiteren massiven Eingriff in das traditionelle Hochschulwesen dar, dem gegenüber die Partei ein genuines Misstrauen hegte, fussend in der grundsätzlichen Weigerung, "Macht von einer erworbenen Berechtigung abhängig"737 zu machen. 734 Stieber, Die Bibliothek der "Hohen Schule des Nationalsozialismus" in Tanzenberg (Anm. 685) 346. 735 Ebd. 346. 736 Vgl. ebd. 346-347. 737 Harald Scholz, Nationalsozialistische Ausleseschulen. Internatsschulen als Herrschaftsmittel des Führerstaates (Göttingen 1973) 396. 256 V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg Die Zentralbibliothek selbst wurde 1939 in Berlin gegründet und der Direktion von Dr. Walther Grothe unterstellt. Die Aufgabe der Zentralbibliothek bestand nicht nur in der Zusammenführung der einzelnen Institutsbibliotheken, sondern auch im selbständigen Bestandsaufbau. Eine jährliche Dotation von RM 150.000 diente dem Ankauf von nachgelassenen Bibliotheken und Antiquaritatsankäufen738. Der überwiegende Teil aller Neuzugänge stammte allerdings aus den Zuweisungen an geraubten Büchern seitens des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg (ERR). 1942 ließen die Bombenangriffe auf Berlin eine Evakuierung zum mindesten eines Teils der Bestände angeraten scheinen. Die requirierte Abtei Tanzenberg bot sich als neue Unterkunft an. Als Dienststelle diente aufgrund noch zu tätigender Umbauarbeiten in Tanzenberg einstweilen das Grandhotel Annenheim am Ossiachersee. Die Übersiedelung der Zentralbibliothek nach Tanzenberg währte bis Kriegsende. "Nach Kriegsende befanden sich in den Räumlichkeiten von Tanzenberg etwa 40.000 Bücher in Regalen und 3.500 bis 4.000 Kisten mit jeweils 100 —120 Büchern."739 Unter der britischen Besatzung wurde sogleich mit der Restituierung aller eruierbaren Provenienzen begonnen. Für die Arbeiten wurden die ehemaligen Bibliothekare der ZB zwangsverpflichtet. Im Juni 1947 konnte die Restituierungstätigkeit der Bibliothekare in Tanzenberg als weitgehend abgeschlossen betrachtet werden. Offen geblieben war ein Restbestand, der sich aus den angekauften Büchern sowie jenen Beständen zusammensetzte, deren Provenienz nicht so ohne weiteres festgestellt werden konnte. Daher regte die britische Militärbehörde die Einsetzung eines österreichischen Sachwalters an, der für die weitere Betreuung und eventuelle spätere Restitution der Bücher zuständig sein sollte. Die britische Besatzung schlug dem damaligen 738 Vgl. Stieber, Die Bibliothek der "Hohen Schule des Nationalsozialismus" in Tanzenberg (Anm. 685) 349. 739 Ebd. 350. 257 V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg Ministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung vor, den Direktor der Öffentlichen Studienbiliothek, Richard Fuchs, mit dieser Aufgabe zu betrauen. Am 10. Mai 1948 erfolgte schließlich die Übergabe der noch vorhandenen Bestände an die Studienbibliothek Klagenfurt. Bereits 1946 trat die Kärntner Landesregierung mit der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt in Fühlungnahme bezüglich einer allfälligen Einbindung von Richard Fuchs als bibliothekarischem Sachverständigen in die Liquidierung der Bibliothek Tanzenberg. In seinem Antwortschreiben vom 6.2.1946 bekundete Fuchs seine Bereitschaft und Befähigung, "dem ehrenvollen Auftrage nachzukommen, um nebenamtlich, so rasch als tunlich, die Liquidierung dieser Angelegenheit durchzuführen."740 Zur Bedingung machte Fuchs aber eine "[o]rdnungsgemäße Bestallung durch einen schriftlichen Auftrag, der von der Englischen Besatzungsbehörde und der Landesregierung gezeichnet ist."741 Vorerst wurde die Restitution der Bestände bekannter Personen- oder Länderprovenienzen aber unter direkter alliierter Observation und Heranziehung der früheren Bibliotheksmitarbeiter durchgeführt. Bis zu deren Abschluss kam Fuchs lediglich die Stellung eines designierten Sachwalters etwaiger "Restbestände" zu. Wie die Berichtlegung von Fuchs an die Kärntner Landesregierung über eine Zusammenkunft in Tanzenberg vom Dezember 1947 zeigt, galt die Übergabe der verbleibenden Bestände an die Studienbibliothek allerdings bereits als entschieden: "Es wurde festgelegt, dass die Übernahme der ZB — Bestände etwa zwei bis drei Monate beanspruchen werden und auch alle bisherigen Angestellten dazu herangezogen werden müssen um diesen Termin einhalten zu können, desgleichen müssen auch die bisherigen Räume zur Verfügung bleiben." 742 740 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Amt der Kärntner Landesregierung, Hofrat Dr. Stoll, vom 6.2.1946. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschunginstitut Alfred Rosenberg". 741 Ebd. 742 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Amt der Kärntner Landesregierung vom 10.12.1947. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg". 258 V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg Am 22. Mai meldete Richard Fuchs "[a]uf Grund einer telefonischen Anfrage bei der Generaldirektion der Nationalbibliothek in Wien" 743 dem Personalamt der Kärntner Landesregierung seine "Berechtigung, die Bibliothek in Tanzenberg vorläufig als Treuhänder übernehmen zu können"744 , verbunden mit dem Antrag auf Personalprolongierung. Zu diesem Zeitpunkt waren laut einer Personalstandsliste in Tanzenberg folgende Personen beschäftigt: Dr. Walther Grothe, vormals Bibliothekdirektor, seit August 1945 verantwortlicher Leiter der Restitutionsarbeiten. Politisch: minderbelastet. Dr. Gottlieb Ney, Wissenschaftlicher Bibliothekar. Seit 1941 an der ZB. Politisch: war nicht Mitgl. der NSDAP. Franziska Wendl, Wissenschaftliche Bibliothekarin, seit 1943 an der ZB. Politisch: minderbelastet. Käthe Ziegler (keine Angaben). Anton Tony, Magazinmeister, seit 1943 an der ZB. Politisch: war nicht Mitglied der NSDAP. Joseph Zapf, Magazinmeister, seit 1942 an der ZB. Politisch: minderbelastet. Des weiteren drei Arbeiter: Franz Brunschitz, Franz Sucher und Joseph Jordan, sämtlich politisch unbelastet.745 Zum Zeitpunkt der Übergabe der ZB —Bestände an die Öffentliche Studienbibliothek Klagenfurt waren unter englischer Aufsicht 4.599 Kisten mit Büchern an deren rechtmäßige Besitzer restituiert worden, was einer geschätzten Zahl von 450.000 Bänden entspricht. Übrig blieben jene Bücher, welche seitens der ZB als rechtmäßig erworben galten sowie jene Bestände, deren Rückerstattung sich schwieriger gestaltete, da deren Eigentümer oder Rechtsnachfolger erst ausfindig gemacht werden mussten. Eine für das Bundesministerium für Vermögens743 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Amt der Kärntner Landesregierung, Personalamt, vom 22.4.1948. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg". 744 Ebd. 745 Personalstandsliste, undatiert, unterzeichnet mit Kürzel "Gr" [= Grote]. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg". 259 V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg sicherung Wien erstellte Bestandsliste vom 23. Dezember 1949 führt in Summe 478 Kisten folgenden Inhalts an: 198 Kisten mit ZB—Signaturen. Dabei handelte es sich um Bücher, "die als Grundstock für die Bibliothek einer philosophischen Fakultät und ihren [!] Randgebieten gedacht war[en]. Sie wurden mit Geldmittel [!] der NSDAP gekauft und sind somit nicht rückgabepflichtig."746 168 Kisten mit personenbezogener Signatur, welche sich auf die Nachlassbibliotheken von Stutz, Grothe, Wesselski und Kircheisen bezogen. Nach Ansicht von Fuchs waren die betreffenden Werke jedenfalls als rechtmäßig erworben anzusehen. Die Argumentation, mit welcher Fuchs diesen Buchbestand als nicht restitutionspflichtig ausweist, mutet befremdlich an und zeugt von seiner Bedenkenlosigkeit, wenn es darum ging, dem eigenen Haus interessante Bestände zuzuführen: Dies sind Bücher, [...] die als Annexe der ZB (Zentralbibliothek der Hohen Schule) in Frankfurt/Main zu betrachten sind, da sie schon vor dem März 1938 als dorthin gehörig angesehen wurden, weil bereits zu dieser Zeit der Aufenthaltsort der Betreffenden unbekannt war und auch keine Ansprüche von irgendeiner Seite geltend gemacht worden waren [Hervorh. d.d. Verf.]. 747 Des weiteren listet die Aufstellung noch 112 Kisten auf, die "für eine allfällige Restitution" 748 in Frage kämen. Tatsächlich handelt es sich um 116 Kisten, so man gesonnen ist, die Addition nachzuvollziehen. Diese wie ähnliche Lässlichkeiten mögen der Ausdruck einer gelinden Unwilligkeit gegenüber den Anmutungen der auskunftsheischenden Entscheidungsträger sein. Insonderheit an den unter dem Punkt KoC 1 —9 rubrizierten "Cimelien" war Fuchs sehr interessiert. Auch hier blieb er von Skrupeln hinsichtlich 746 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Bundesministerium für Vermögenssicherung in Wien vom 23.12.1949. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg". 747 Ebd. 748 Ebd. 260 V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg der Eigentumsverhältnisse gänzlich unangefochten: "Da es sich hier um sehr wertvolles Gut unbekannter Herkunft handelt, wäre die Belassung in Klagenfurt begrüssenswert." 749 (Abb. 22a —b, Dokumente) Bei den in der Bestandsliste an das Bundesministerium angeführten 478 Kisten handelt es sich lediglich um einen Teilbestand der insgesamt 653 Packkisten umfassenden Zentralbibliothek. Aufgrund notorischen Platzmangels musste die treuhändisch übernommene Bibliothek nämlich an drei Unterbringungsorte disloziert werden: Zwei Kellerräume der Studienbibliothek, ein ehemaliger Luftschutzraum im Keller der in der Nähe gelegenen Benediktinerschule und gleichfalls ein Kellerraum im Landesmuseum fungierten als provisorische Depositorien, bis zur endgültigen Klärung des weiteren Schicksals der Bibliothek. Noch vor der tatsächlichen Ausgliederung aus der Zuständigkeit der britischen Besatzung entbrannte ein Wettstreit um Zusprechung der Besitzrechte. Was darin zum Ausdruck kommt ist die nämliche Unangefochtenheit von Skrupeln, wie sie während der NS —Herrschaft gegenüber der Aneignung von Raubgut bestand, und die Bereitschaft zur raschen Selbstbefriedung durch scheinlegale Argumente. Während sich die Studienbibliothek als naheliegende Anwärterin des Besitzzuspruches bereits sicher wähnte, trat unversehens Vorarlberg als aussichtsreiche Konkurrenz auf den Plan, wie einem Schreiben des Generaldirektors der Österreichischen Nationalbibliothek, Josef Bick, vom 23. Jänner 1948 zu entnehmen ist: Wenn es richtig ist, wie Dr. Grothe schreib [!], dass die Bestände der Bibliothek ausnahmslos von Deutschland rechtmäßig gekauft oder von der Reichstauschstelle der Deutschen Bibliotheken zugewiesen wurden, so kann ohne weiteres über die ganze Bibliothek verfügt werden. Da alle österreichischen Länder mit Ausnahme Vorarlbergs eine grössere Landesbibliothek besitzen, so wäre es recht und billig, diese Bibliothek als Grundstock einer Landesbibliothek nach Vorarlberg, d.h. Bregenz zu verlegen. Dass das Land Kärnten Interesse 749 Ebd. 261 V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg an diesen Beständen hätte, ist ja gewiss naheliegend, aber die Bibliothek in Klagenfurt dürfte gewiss einen Teil der Bestände ohnedies bereits besitzen, so dass diese geschlossene Bibliothek zerrissen würde und der Wunsch der Engländer nicht erfüllt würde.750 Nach seiner Bestallung als Treuhänder der verbliebenen ZB —Bestände formulierte Fuchs in einer Meldung nach Wien am 12. Mai 1948 neuerlich summarisch die Interessenslage des Landes und seine persönliche Präferenz: Der Stand der Lage ist nun folgender: Das Land Kärnten interessiert sich seit Neuestem sehr für diese Bibliothek und will sie als Landesbibliothek für ein zu schaffendes Institut der Kärntner Landesforschung zugesprochen erhalten und in Klagenfurt oder Ossiach aufstellen. Dr. Grothe, der von der Hohen Schule des A. Rosenberg in Frankfurt kommt, bemüht sich sehr bei der Bibliothek in Kärnten zu bleiben und sucht auf allen Wegen, sich den Landesstellen unentbehrlich zu machen. Herr Landesamtsdirektor Dr. Newole wird bei seinem nächsten Zusammentreffen mit Herrn Generaldirektor diese Fragen zur Sprache bringen, daher bitte ich, meine Mitteilungen vorerst vertraulich aufzufassen. [...] [Für den Fall einer Zuweisung an Vorarlberg] erbitte ich meine Versetzung nach Vorarlberg, um dort die neue Bibliothek aufzubauen.751 Im Folgemonat schien sich das Blatt wiederum zugunsten des Landes Kärnten und der Studienbibliothek gewendet zu haben, wie ein Schreiben Josefs Bicks in der Funktion des Generalinspizierenden der Bibliotheken des Bundesministeriums für Unterricht an den Landesamtsdirektor der Landesregierung in Kärnten, Karl Newole, deutlich macht: Auch begrüsst der Herr Minister mit Befriedigung den Plan der Kärntner Landesregierung bezüglich Erwerbung des Palais Rosthorn zur Unterbringung 750 Generaldirektor der Österreichischen Nationalbibliothek, Josef Bick, an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 23.1.1948. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg". 751 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an den Generaldirektor der Österreichischen Nationalbibliothek, Josef Bick, vom 12.5.1948. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg". Nachdem das Institut für Landesforschung 1945 aufgelöst worden war, handelte es sich offenbar um eine beabsichtigte Neugründung. 262 V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg und Ausgestaltung der Studienbibliothek in Klagenfurt, wie er auch befriedigt zur Kenntnis genommen hat, dass die Kärntner Landesregierung bereit ist, zur Ausgestaltung der Studienbibliothek den Betrag von S 100.000. — zur Verfügung zu stellen. Der Herr Minister ist auch der Meinung, dass das zu erwerbende Palais Rosthorn ausschliesslich der Studienbibliothek gewidmet wird, da ja jede Bibliothek jährlich neuen Zuwachsraum benötigt [...]. Gleichfalls habe ich das Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung, Abtl. 3 (Ministerialrat Pomersberger), gepflogen, das mit der Übersiedlung der Tanzenberger Bibliothek in das Gebäude der Studienbibliothek in Klagenfurt und mit der Übernahme der Bestände durch die Studienbibliothek [...] einverstanden ist.752 Diese für das Land Kärnten überaus günstige Wendung war weniger im Sinne von Richard Fuchs, als man annehmen möchte. In den vorliegenden Akten findet sich die handschriftliche Fassung eines mit 28. Mai 1948 datierten Briefentwurfs an den Nationalrat Pius Fink, darin er der Vorarlberger Variante das Wort redet. Augenscheinlich sah Fuchs in der Aussicht, als Leiter einer neu zu gründenden Landes- oder Studienbibliothek nach Vorarlberg zu gehen, eine unerwartete Karrierechance (Abb. 23, Dokumente): Herr Nationalrat, werden sich gewiss meiner vom Bundestage her erinnern, da ich während dieser Zeit Leiter der Parlaments —Bibl[iothek] war. 1942 wurde ich als Leiter der Studien Bib[liothek] nach K[lagen]f[ur]t versetzt und übernahm kürzlich die rund 40.000 Bände zählende Zentral —Bibliothek d. Hohen Schule, Frankfurt, die als deutsches Eigentum in Österreich dem Staate zugesprochen wurden, von den Engländern für das B.M. für Vermögenssicherung. (B.M. für Vermögenssicherung, Zl. 85.649—5/1948 vom 30.4.48. gez. W. Wittermann). Nach Meinung des Herrn General Dir Prof. Dr. J. Bick der Nat[ional] Bib[liothek] Wien I, Josefsplatz, sollen diese Bestände als Grundstock einer Studien —Bibl. nach Bregenz übertragen werden, da Vorarlberg bisher keine Bibliothek besitzt. 752 Der Generalinspizierende der Bibliotheken des Bundesministeriums für Unterricht, Josef Bick, an den Landesamtsdirektor der Landesregierung in Kärnten, Karl Newole, vom 30.6.1948. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/ "Forschungsinstitut Alfred Rosenberg". 263 V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg Es sind nun Bestrebungen im Gange diese Bibl[iothek] im Lande Kärnten, zwar nicht als Teil der Studien Bibl[iothek], sondern für ein zu errichtendes Forschungsinstitut, zu erhalten. Diese Bestände sind ein sehr wertvolles Bücher Material [!] und es würde sich sehr der Mühe lohnen, wenn das Land Vorarlberg alle Schritte unternimmt, um diese Bücherschätze für sich zu erringen. Herr Nationalrat, ich würde Ihnen vorschlagen, sich vorerst mit Herrn GenDir Bick, den Sie ja als Vorsitzenden des ehem. Bundeskulturrats kennen, ins Benehmen zu setzen, um an [?] Stelle in Erfahrung zu bringen, wie die Angelegenheit steht, doch ist Eile geboten! Ich bitte Sie nur, meinen Namen vorerst aus dem Spiel zu lassen, damit ich hier in K[lagen]f[ur]t nicht in eine peinliche Lage gerate.753 Wie ein Brief der Vorarlberger Landesregierung an Fuchs zeigt, hatte Nationalrat Fink die Empfehlung weitergegeben. Indes schien die Vorarlberger Landesregierung das Interesse bereits verloren zu haben: In Anbetracht der Eigentumsverhältnisse, die mit der Bibliothek zusammenhängen, sind wir allerdings zur Überzeugung gelangt, dass sich die Aufbringung der erheblichen Kosten ihres Transportes, ihrer Unterbringung und ihrer Betreuung nicht hätten empfehlen lassen.754 Damit war die Aussicht auf eine berufliche Besserstellung für Richard Fuchs obsolet. An die durch Bick emphatisch avisierte Neugestaltung und Aufwertung der Klagenfurter Studienbibliothek vermochte er nach Jahren der enervierenden Erfahrungen mit der Landesbürokratie kaum Hoffnung zu knüpfen: Ich glaube nicht an die Möglichkeit der Unterbringung der STUB. im Rosthorn— Palais, da hier die naturwissensch. Abteilung des Landesmuseums zur Aufstellung gelangen soll, wie auch andere Landesstellen und der botanische Garten. Kärnten denkt in diesen Dingen zu kantonal, um an staatliche Ämter 753 Handschriftlicher Entwurf eines Schreibens von Richard Fuchs an den Nationalrat Pius Fink vom 28.5.1948. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/ "Forschungsinstitut Alfred Rosenberg", Transkription d.d. Verf. 754 Amt der Vorarlberger Landesregierung an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 15.7.1948. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg". 264 V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg einen Raum abzutreten. Der STUB kann nur ein Neubau helfen [urspr.: Die STUB kann nur ein Neubau retten] u.z. auf dem Grunde des heutigen botanischen Gartens, in der Nähe der Landesregierung. Als Zwischenlösung muss der Bibliothek der Kapellenraum zur Verfügung gestellt werden, wie es schon 1938 vorgesehen war. Für alle Schäden an den Büchern, insbesondere infolge der feuchten Einlagerung und für alle Mehrauslagen, beantrage ich das Bergeamt verantwortlich zu machen, weil es unter keinen Umständen den Kapellenraum freigeben wollte und sich, mit Hinweis auf Einnahmeentgang, hinter Herrn Landeshauptmannstellv. Herke verschanzte.755 Fuchs sollte mit seiner Einschätzung recht behalten: Mit Erlass Zl.VS. 179.119 —3/50 vom 14.8.1950 beorderte das Bundesministerium für Finanzen, Sektion Vermögenssicherung, den Abtransport der "rund 600 Kisten mit ca. 50.000 Bänden der Bibliothek Tanzenberg [...] zur Büchersortierung in die Hofburg nach Wien [...]."756 (Abb. 24a—b, Dokumente). Von der Büchersortierungsstelle übernahm die Universitätsbibliothek Wien schließlich etwa 40% des Bücherkonvolutes aus Tanzenberg, die übrigen 60% wurden der Jüdischen National- und Universitätsbibliothek in Jerusalem (JNUL) zugesprochen757. "Wieviele Bücher letztlich an der Universitätsbibliothek tatsächlich verblieben sind, ist momentan noch nicht abzuschätzen, da Bücher teilweise ausgeschieden bzw. erst gar nicht in den Bestand der Bibliothek aufgenommen wurden."758 Die Kennzeichnung der letztlich akzessionierten Bücher mit der Stempelung "Sammlung Tanzenberg" erfolgte erst im internen Geschäftsgang der UB 755 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an den Generalinspizierenden der Bibliotheken des Bundesministeriums für Unterricht, Josef Bick, vom 18.7.1948. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg" 756 Amt der Kärntner Landesregierung, Vermögensverwaltungsabteilung an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 15.9.1950. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg". 757 Vgl. Adunka, Der Raub der Bücher (Anm. 13) 144. 758 Angelika Zdiarsky, Stempelspuren in der NS —Vergangenheit. Die "Sammlung Tanzenberg 1951" an der Universitätsbibliothek Wien. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Buchforschung 1 (2006) 16-26, hier 23. 265 V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg und war, was die tatsächliche Herkunft der Bücher anbelangt, in doppelter Hinsicht irreführend. Zum einen insofern, als "Tanzenberg" ja lediglich einen Sammelpunkt darstellte, zum anderen als die Kennung pauschal "zum Synonym für den von der Büchersortierungsstelle übernommenen Buchbestand [wurde] — unabhängig von seiner tatsächli- chen Herkunft." 759 Allem Anschein nach ging die Öffentliche Studienbibliothek Klagenfurt aber doch nicht ganz leer aus. Ein Artikel in der "Volkzeitung" vom 25. Mai 1946 berichtet über die Zentralbibliothek und die im Gange befindlichen Restitutionsarbeiten. In einem Abschnitt heisst es (Abb. 25, Dokumente): Im Jänner d.J. wurde eine Sendung mit Büchern der Studienbibliothek in Klagenfurt übergeben. Darunter befanden sich 37 Bände italienische Enzyklopädie, 31 Bände englische Enzyklopädie, eine große Prachtausgabe in sieben Bänden des Babylonischen Talmud, außerdem noch eine Ausgabe "Österreichische Dichter", die unvollendet ist. Im März erhielt die Studienbibliothek noch eine Sendung von 2679 Bänden statistischen Materials. 760 Eine bei aller Präzision im Detail äußerst kryptische Formulierung, die sich mit Bandangaben aufhält, über die Person oder Körperschaft hinter der Übergabe aber ebensowenig verlauten lässt wie über den Grund und die Natur der Übergabe. Tatsächlich finden sich die angeführten Werke mit Ausnahme der "Österreichischen Dichter" im Zugangsverzeichnis des Jahres 1947. Mit den fortlaufenden Zugangsnummern 478—481 wurden sie im Oktober des Jahres unter dem Kürzel G=Geschenkt, ohne Angaben des Donators in den Bestand der Studienbibliothek aufgenommen und befinden sich auch heute noch im Bestand der Universitätsbibliothek (Abb. 26, Dokumente). 759 Ebd. 23 760 "Liquidierung des »Forschungsinstituts Alfred Rosenberg«." In: Volkszeitung Klagenfurt, 117, 25.5.1946, 3. 266 V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg Es mag sein, dass der Talmud ebenso wie die Lexika zu den seitens der Zentralbibliothek nachweislich "regulär" getätigten Ankäufen zählten und solcherart von der Restitution ausgenommen waren. Allerdings war weder zum Zeitpunkt der im Artikel genannten Übergabe noch zum Zeitpunkt der tatsächlichen Akzession seitens der verwaltenden Besatzer entschieden, wie mit diesen Bücherkonvoluten zu verfahren sei. Da es sich nicht um einen Akt der Rückerstattung handelte, wie der Artikel kontextuell suggeriert, da die Bücher der Studienbibliothek nicht entzogen worden waren, eine generöse Überlassung aufgrund der ungeklärten Rechtslage ebenso unwahrscheinlich ist, bleibt noch die Vermutung, der ehemalige Leiter der Zentralbibliothek habe sich mit dieser "Spende" die Gewogenheit des designierten Sachwalters Fuchs zu sichern gesucht, allfällige Bedenken mit dem Argument zerstreuend, die Bücher seien Teil jenes Bestandes, welcher ohnedies nach Abschluss der Restituierungen an die Studienbibliothek erginge... Hier überschreitet die Interpretation der Quellen freilich die Grenze vom Indizienbeweis hin zur reinen Spekulation. In jedem Fall zeugt die Geschenkannahme aus Beständen einer Einrichtung wie jener der Zentralbibliothek von der moralischen Resistenz bibliophiler Vorazität. Eine aus heutiger Sicht ob ihrer Naivität befremdend anmutende Wahrnehmung in Bezug auf die Raubbibliothek in Tanzenberg zeigte sich auch von Seiten des britischen Besatzung, wie Evelyn Adunka in ihrer Arbeit über die Zentralbibliothek der Hohen Schule ausführlich darstellt. Auf Betreiben von Major J. F. Hayward, dem für Tanzenberg zuständigen MFA&A —Offizier (Monuments, Fine Arts and Archives), organisierte die Besatzungsmacht bereits im November 1945 in der Klagenfurter Burg eine Ausstellung mit den kostbarsten Handschriften, Inkunabeln und Büchern aus der Raubsammlung: "Unter ihnen befanden sich die deutsche Ausgabe der Schedel'schen Weltchronik von 1493, arabische und persische Handschriften sowie zeitgenössische Drucke von 267 V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg Luther, Melanchthon, Calvin, Martin Opitz und Andreas Gryphius."761 Die teleologischen Erklärungen Haywards im Zusammenhang mit der Exposition zeugen von der Robustheit eines bildungsbürgerlichen Bewusstseins, welches dem Zeitgeschehen zum Trotz nicht von der Vorstellung einer Purifikation und Genesung des lädierten Menschentums durch Schönheit und die Besinnung auf das europäische Kulturerbe zu lassen vermochte: "Auch wenn die Konfiskationen durch die Nazis in den besetzten Ländern in so einem überwältigenden Ausmaß wie im Fall der in Tanzenberg gelagerten Bücher unendlich bedauerlich sind: Aus einem engeren Blickwinkel betrachtet wirkt der Umstand, dass so die Klagenfurter Bevölkerung und die britischen Truppen der Central Mediterranean Force Gelegenheit bekamen, Bücherschätze aus so manch berühmter Sammlung Europas zu sehen, zumindest entschädigend."762 761 Adunka, Der Raub der Bücher (Anm. 13) 48-49. 762 Zit.n. ebd. 51. 268 Schlusswort "Wenn eine Geschichte damit anfängt, daß man etwas findet, muß sie damit aufhören, daß man etwas sucht"763 : Schlusswort Mit der Restitution der Bibliotheken aus enteignetem Kirchenvermögen und der schlussendlichen Übergabe jenes Teilbestandes der Zentralbibliothek der Hohen Schule, welcher nach Auflösung derselben aufgrund von Zuordnungsschwierigkeiten in Tanzenberg verblieben war, an die Büchersortierungsstelle in Wien wurde auch die letzte Hoffnung von Direktor Richard Fuchs auf eine Konsolidierung der Studienbibliothek zernichtet. Die Geschmeidigkeit, mit welcher Fuchs die Wendung vom agilen Systemassistenten zum seriösen Sachwalter nahm, ist frappierend, aber mitnichten singulär. Seinem Schreiben an die Diözese Gurk betreffend die Rückgabe der Bücher aus St. Georgen ist kein Gran Unbehagen anzumerken, man könnte meinen, die Studienbibliothek habe die Bücher lediglich für die Dauer des Krieges zu treuen Handen übernommen gehabt. Die neuerliche Entwicklungsstagnation und Perspektivelosigkeit zeitigten ein Klima habitueller Desolatheit: So geht die Fama, dass die Bestände der Studienbibliothek bis zu deren Eingliederung in die Universitätsbibliothek für lokale Politiker als eine Art Selbstbedienungsladen für repräsentative Gastgeschenke dienten, und sich auch Bibliotheksangestellte selbst als Vendeure am illegalen Antiquaritasmarkt betätigten. Heute ist die Vorgeschichte der UBK vergessen. Jener Teil der Bestände der vormaligen Studienbibliothek, welcher noch von den Jesuiten herrührt, wurde teilweise restauriert und bildet den Grundstock einer Sondersammlung. Der größte Teil des Bestandes der vormaligen Studienbibliothek ist unter kaum besseren Bedingungen als dereinst magaziniert. Was heute freilich nicht mehr von Belang ist, bilden die Bücher der Studienbibliothek längst keinen nachgefragten Bibliotheksanteil 763 Penelope Fitzgerald, Die blaue Blume (Frankfurt am Main/Leipzig 122. Hinweis auf dieses Zitat findet sich bei Alberto Manguel. 269 1 1999) 121- Schlusswort mehr. Der pädagogische und geistesgeschichtliche Kanon der vergangenen Jahrhunderte ist allenfalls noch für die Erarbeitung sehr spezieller historischer Themen von Interesse. Die Annahme einer Abseitsstellung der Studienbibliothek vom Zeitgeschehen, welche bei der Aufnahme der vorliegenden Untersuchung noch bestanden hatte, wurde durch die Stratifizierung des alten Bestandes widerlegt. Die Tatsache, dass sich unter den Erwerbungen einer vernachlässigten und entlegenen Institution, wie sie die Studienbibliothek Klagenfurt dargestellt hatte, Bücher deutscher Institutionen haben finden lassen, welche mit dem Umschlag vor allem arisierter Bestände befasst waren, veranschaulicht, wie fein verästelt das nationalsozialistische Güterverteilungssystem tatsächlich war. Die Quantität und Qualität der als Geschenke an die Studienbibliothek gelangten Bücher spiegelt aber auch die Ausdünnung des Gabenflusses gegen das Ende der Distributionshierarchie hin. Darüber hinaus haben sowohl die exemplarischen Buchfunde aus enteignetem Kirchenbesitz, als vor allem auch das gesichtete Aktenmaterial, das Bild der Öffentlichen Studienbibliothek und ihrer Rolle im alerten Kreis der systemunterstützenden Institutionen in Kärnten korrigiert. Das Beispiel der Klagenfurter Studienbibliothek macht deutlich, welche Aufwertungs- und Aufstiegsofferte gerade auch Provinzinstitutionen und die ihnen Vorstehenden im Nationalsozialismus sahen und wie rasch und unbedingt die Entschlossenheit war, diese zu nutzen. Die Aufnahme der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt in die Gilde lokal nachgerade sakrosankter Institutionen wie Reichsgauarchiv und Reichsgaumuseum, deren Rechtsnachfolger bis heute die Deutungshoheit in Bezug auf das Kärntner Geschichtsbild behaupten, zeigt auch, wie sehr Komplizenschaft von eigener Gewissensleistung befreit. Viele Fragen sind offen geblieben oder haben sich lediglich in Form von Rückschlüssen und Schlussfolgerungen konjizierend beantworten lassen. 270 Schlusswort Die Lücke zwischen zwei Fakten, jenem der Enteignung und jenem der Akzessionierung der Bücher in den Bestand der Studienbibliothek, der dazwischenliegende Weg, bleibt verschattet. Als umso wertvoller erweist sich der Fund eines Dokuments wie jenes aus dem Bestand des Landesarchivs, welches die Vorgehensweise der Enteignung bzw. der Enteigner am Beispiel von St. Andrä beschreibt und solcherart grundsätzlich erhellt. An mehreren Stellen hat die Arbeit Bereiche tangiert, die einer vertiefenden oder ergänzenden Untersuchung wert wären, welche aufgrund des vor allem zeitlichen Ressourcenkorsetts hier nicht leistbar war. So läge eine systematische Betrachtung der Enteignungen im Bereich der katholischen Pfarrbibliotheken nahe. Desgleichen gälte es, nach Parallelen im Bereich der evangelischen Kirche zu suchen. Die Geschichte der ursprünglichen AK —Bibliothek und deren Umwandlung zur nationalsozialistischen Stadtbücherei wäre ein ebenso lohnendes Thema, wie sich die Bibliothek des Landesmuseums einer Bestandssichtung im Hinblick auf die Übernahme von nationalsozialistischem Raubgut aufgeschlossen zeigen sollte. — Die Absicht eines jungen Germanisten aus Wien, dies im Rahmen einer Diplomarbeit zu tun, ist jüngst mit dem Hinweis auf Datenschutzempfindlichkeiten gescheitert. Das Ergebnis der vorliegenden Untersuchung impliziert eine jedenfalls eine Handlungsaufforderung an die Klagenfurter Universität, welche seit dem UOG93 die Eigentumsrechte über die Bücher der Bibliothek innehat. Nach dem Beispiel anderer Bibliotheken, welche NS —Provenienzforschungsprojekte bereits erfolgreich abgeschlossen haben, wäre folgende Vorgehensweise denkbar: Unmittelbar und einfach umzusetzen ist die Wahrnehmung des Untersuchungsergebnisses auf der bibliothekstechnischen Ebene. Hier haben sich interbibliothekarisch bereits Übereinstimmungen in der Vorgehensweise etabliert. Dazu zählen die Statusänderung sowohl jener Titel, welche als "bedenkliche Erwerbungen" 271 Schlusswort gelten, als auch jener, bei denen es sich eindeutig oder wahrscheinlich um Raubgut handelt, auf "nicht entlehnbar" und eine recherchierbare Provenienzkennzeichnung im lokalen elektronischen Katalog. Des weiteren wäre es denkbar, die Rechtsnachfolger der Bücher bekannt sind — — welche ja sämtlich zugleich mit einer Sachverhaltsdarstellung zu ersuchen, der Bibliothek die Bücher als Leihgabe zu überlassen, um in einer Dauerausstellung jenen Teil der Institutionsgeschichte bewusst zu machen und zu halten. Damit ließe sich jener Fallstrick, welcher gewissermaßen im Wesen der Restitution eingeschlossen ist, umgehen, nicht Geschichtsbewusstsein zu konstituieren, sondern Erinnerungsfrieden zu stiften. Zum Mindesten stünde die solcherart vergegenwärtigte Geschichte dem Wohlgefühl getaner Schuldigkeit wie der Gedenkmüdigkeit störend im Weg. Worauf in einem Land, dessen Geschichtsbild zwischen aggressiver Schlussstrichforderung und auftrumpfender Verherrlichung der eigenen Borniertheit und Verblendung angesiedelt ist, besonderes Augenmerk zu richten ist. Was sich in den gefundenen Büchern und Aktenhinweisen selbst dieser peripheren Untersuchung abbildet, ist die Komplexität des Themas. Nur schwer lassen sich die unermessliche Zahl der Geschädigten, die unterschiedlichen Gruppen und Organisationen aufseiten der Expropriateure, die Disparität der Motive und Verfahrensweisen, die zeitliche Ausdehnung des Kulturgüterraubes von der nationalsozialistischen Machtusurpation bis Kriegsende und die räumliche Ausweitung im Zuge der Okkupationspolitik strukturieren. Auch die Gliederung der vorliegenden Arbeit, welche auf der Vorgabe des Gefundenen aufbaut, ist narrativen Forderungen geschuldet und kämpft mit Sukzessions- und Zuordnungsschwierigkeiten. Was der Begriff "Buchraub" nivelliert und erst mit den bibliothekarischen Suchergebnissen wieder an Tiefe gewinnt, ist die Diversität der enteigneten 272 Schlusswort Objekte. Das ist ein Manko auch der vorliegenden Untersuchung, deren Fundergebnisse sämtlich aus dem Besitz konfessioneller Institutionen herrühren. Das engt den Blick auf die Vielgestaltigkeit dessen ein, was das Faktum "Raub" subsummiert: Judaika und Hebraika, alte Kodizes, Erstausgaben, wissenschaftlich, bibliophil oder biografisch wertvolle Sammlungen, ganze Bibliotheken, Verlagsproduktionen und Warenlager, vor allem aber Millionen von Büchern aus privatem Eigentum, deren eigentlicher Wert darin bestanden hat, Teil einer Lebensgeschichte gewesen zu sein. Sie bilden die große "Bibliothek der Opfer"764 , die geraubt, zurückgelassen, zerstört oder wiedergefunden, "unablässig [fragt]: »Wie kann so etwas geschehen?«"765 In diesem Sinn sind die Fundergebnisse von Provenienzforschung nicht der Abschluss einer Untersuchung sondern — im Sinne des kapitelüberschreibenden Satzes von Penelope Fitzgerald — der Auftakt zu neuen Fragestellungen. 764 Manguel, Die Bibliothek bei Nacht (Anm. 324) 273. 765 Ebd. 273. 273 Quelleneditionen und Literaturverzeichnis Quelleneditionen und Literaturverzeichnis Theodor W. Adorno, Kulturkritik und Gesellschaft. In: Ders., "Ob nach Auschwitz noch sich leben lasse". Ein philosophisches Lesebuch, ed. Rolf Tiedemann (Frankfurt am Main 3 2003) 187-205. Ders., Meditationen zur Metaphysik. In: Ders., "Ob nach Auschwitz noch sich leben lasse". Ein philosophisches Lesebuch, ed. Rolf Tiedemann (Frankfurt am Main 3 2003) 472-515. Ders., Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit. 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UAK, Kt. 363, Fasz. 1939. 290 Dokumente Abb. 5 Reichsstatthalterei Kärnten an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 14.10.1040. UAK, Kt. 363, Fasz. 1940. 291 Dokumente Abb. 6 Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 19.21940. UAK, Kt. 363, Fasz. 1940. 292 Dokumente Abb. 7 Aus: Hans Fabricius, Dr. Wilhelm Frick. Ein Lebensbild des Reichsministers des Inneren (= Schriften der Hochschule für Politik III: Die Führerpersönlichkeiten des Nationalsozialismus 1, Berlin 1938). Abb. 8 Ansuchen der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Arbeitsamt Klagenfurt um Zuweisung von zwei Arbeitskräften im Rahmen des Freiwilligen Arbeitsdienstes vom 1.2.1935. UAK, Kt. 362, Fasz. 1935. 293 Dokumente Abb. 9 "Bergungsbericht" der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichsstatthalterei Klagenfurt, Abt. II, vom 29.3.1933. UAK, Kt. 369, Fasz. Bergung. 294 Dokumente Abb. 10a Abb. 10b Kassa-Journal der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 1.4.1943 — 11.3.1946, hier 2.10.1945 und 12.3.1946. UBK, Sondersammlung. Abb. 11 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Bundesministerium für Vermögenssicherung vom 23.12.1949. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg. Abb. 12 Notiz des Bibliotheksleiters Richard Fuchs auf einem Telegramm des Unterrichtsministeriums vom 8.6.1946. UAK, Kt. 364, Fasz. 1946. 295 Dokumente Abb. 13a 296 Dokumente Abb. 13b Schreiben des Ministeriums für Innere und Kulturelle Angelegenheiten, Abt. IV, Erziehung, Kultus und Volksbildung, adressiert an die Österreichische Nationalbibliothek, die Universitätsbibliotheken sowie die Studienbibliotheken vom 27.5.1939. UAK, Kt. 363, Fasz. 1939. 297 Dokumente Abb. 14 Amt der Kärntner Landesregierung u.a. an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 2.4.1949. Betreff: "Entzogenes Kunstgut in Dienststellen des Bundes und der Länder". Auf der Rückseite: handschriftlicher Entwurf einer Leermeldung von Richard Fuchs. UAK, Kt. 364, Fasz. 1949. Abb. 15 "Ausgaben in den Monaten November und Dezember 1940. UAK, Kt. 363, Fasz. 1940. 298 Dokumente Abb. 16 Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Beschaffungsamt der Deutschen Bibliotheken Berlin vom 24.1.1940. UAK, Kt. 363, Fasz. 1940. 299 Dokumente 300 Dokumente 301 Dokumente Abb. 17a —c Reichsstatthalterei u.a. an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 20.12.1940. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul. 302 Dokumente Abb. 18 "Anmeldung von abhanden gekommenen Inventarstücken" des Krankenhause der Barmherzigen Brüder in St. Veit a.d. Glan vom 18.10.1946. AdDG, Bestand Kirchenvermögen, Kt. 3. Abb. 19 Fb. Gurker Ordinariat an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 15.1.1946. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul. 303 Dokumente Abb. 20a Abb. 20b Schreiben des Generaldirektors des Kunsthistorischen Museums Wien, Fritz Dworschak, an den Direktor der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 27.10.1943. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul. 304 Dokumente Abb. 21a Abb. 21b Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek an das Amt der Kärntner Landesregierung, Schulabteilung, vom 4.10.1945. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul. Und Antwortschreiben vom 24.10.1945. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul. 305 Dokumente 306 Dokumente Abb. 22a-b Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Bundesministerium für Vermögenssicherung Wien vom 23.12.1949. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg". 307 Dokumente Abb. 23 Entwurf eines Briefes von Richard Fuchs an den Nationalrat Pius Fink vom 28.5.1948. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg". 308 Dokumente Abb. 24a Abb. 24b Amt der Kärntner Landesregierung, Vermögensverwaltungsabteilung an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 15.9.1950. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg". Und Antwortschreiben der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 18.11.1950. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg". 309 Dokumente Abb. 25 "Liquidierung des »Forschungsinstituts Alfred Rosenberg«". In: Volkszeitung Klagenfurt, 117, 25.5.1946, 3. 310 Dokumente Abb. 26 Zugangsverzeichnis 1.1.1947—31.12.1947. UAK, Kt. 400. 311